Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik

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Die Situation der deutschen Teilung legte es nahe, sich mit einer gezielten bilateralen Förderungspolitik möglichst viele politische Freunde in der Dritten Welt zu erwerben. Bei der Entwicklungspolitik war die „Strahlkraft der Projekte für das freie Deutschland“ intendiert. Man glaubte, beide Ziele, die Stärkung des eigenen Wiedervereinigungsstandpunktes wie die Demonstration des „besseren Deutschlands“, nur über direkte entwicklungspolitische Kontakte von Land zu Land erreichen zu können. Die hohe Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft legte eine DefactoBindung finanzieller Hilfe an deutsche Lieferungen nahe.

Unter öffentlichkeitspolitischen Gesichtspunkten argumentierte man, ein wachsender entwicklungspolitischer Beitrag lasse sich auf die Dauer nur dann mobilisieren, wenn dem skeptischen Steuerzahler ein möglichst direkter politischer und wirtschaftlicher Nutzen nachgewiesen werden könne. Faktisch bleibt festzuhalten, dass der Anteil multilateral geleisteter öffentlicher Hilfe an der öffentlichen Hilfe der Bundesrepublik im Durchschnitt der Jahre 1963–1966 insgesamt verschwindend gering war, nämlich bei 6 % lag.27

Regional setzte ScheelScheel, Walter Schwerpunkte in Asien. Deutschland hatte mit den Ländern des asiatischen Kontinents schon seit jeher gute wirtschaftliche und politische Beziehungen. Es war daher nur natürlich, dass die Bundesrepublik bei ihren entwicklungspolitischen Maßnahmen gerade diesem Raum besondere Beachtung schenkte. Schwerpunkte der deutschen Entwicklungshilfe in Asien waren die Länder IndienIndien, PakistanPakistan und AfghanistanAfghanistan.

Das Stahlwerk RourkelaStahlwerk Rourkela28 in IndienIndien war eines der größten deutschen Entwicklungshilfeprojekte. Das Rourkela Stahlwerk wurde mitten im Urwald geplant. 16.000 Menschen wurden umgesiedelt. Zahlreiche Pannen und Fehler sind beim Bau aufgetreten (z.B. Nichtentschä­digung der umgesiedelten Bewohner, massive zwischenmenschliche Konflikte bei der Zusammenarbeit der deutschen, völlig unvorbereiteten Fachkräfte mit ihren indischen „counterparts“). Sie brachten den Deutschen den Ruf ein, in fremder Umwelt seien sie mit ihrer Technik und ihrem Leistungsvermögen ziemlich rasch am Ende. Dazu hat ScheelScheel, Walter, der Rourkela am 2. Dezember 1961 besucht hatte29, Stellung genommen und Besserung gelobt:

„Ich möchte mich jetzt mit dem Stahlwerk Rourkela befassen, das als Grundlage für den Aufbau einer weiterverarbeitenden Industrie anzusehen ist. An diesem Beispiel Indiens haben wir gelernt, neben dem perfekten technischen Wissen und Können, neben der technischen Seite eines so großen Unternehmens auch die sozialen und gesellschaftlichen Aspekte und Probleme zu berücksichtigten. Wenn in Rourkela in der Vergangenheit Schwierigkeiten entstanden sind, dann lagen sie nicht im technischen, sondern im sozialen, zwischenmenschlichen Bereich. Sie ergaben sich aus der Konfrontation einer hoch technisierten Welt mit einer archaischen gesellschaftspolitischen Umgebung, in die diese Welt hineingepflanzt worden ist. Das muss in Zukunft vermieden werden.“30 Daraus entstand das Instrument der SozialstrukturhilfeSozialstrukturhilfe, die die „durch den wirtschaftlichen Aufbau ausgelösten Veränderungen im sozialen Leben der Bevölkerung in eine gesunde Entwicklung lenken sollten“31 (Sozialzentren, Kindergärten, Mütterbetreuung, Nähstuben und dgl.).32 Die Sozialstrukturhilfe war und ist bis heute ein Instrument der nicht-staatlichen Entwicklungszusammenarbeit.

Auch PakistanPakistan wurde von Deutschland nachhaltig gefördert. Besonders interessant sind dabei die Zuckerlieferungen gegen Bezahlung in Landeswährung, die das Instrument der GegenwertmittelGegenwertmittel begründeten. ScheelScheel, Walter schrieb dazu nach seinem PakistanBesuch im November 1964:33 „Durch die Lieferung von Zucker gegen Bezahlung in Landeswährung im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung dazu beigetragen, eine bedrohliche Versorgungskrise für die pakistanische Bevölkerung abzuwenden. Es ist beabsichtigt, diese neue Förderungsmaßnahme nicht nur auf die Lieferung von Ernährungsgütern zu beschränken, sondern auch hiermit die Lieferung von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln, insbesondere Saatgut, Pflanzenschutzmittel, Zuchtvieh und Düngemittel, zu verbinden. Durch Zulassung der Zahlung in Landeswährung werden darüber hinaus neue Hilfsmöglichkeiten erschlossen. Die Gegenwertmittel können für entwicklungspolitische Aufgaben verwendet werden, in erster Linie für Maßnahmen zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktions, Sozial und Agrarstruktur des Empfängerlandes.“

AfghanistanAfghanistan war in den 1960er-Jahren Schwerpunktland deutscher Entwicklungshilfe. Walter ScheelScheel, Walter berichtete begeistert von seinem Besuch in Afghanistan im November 196434, bei dem er auch das deutsche Engagement für die afghanische Provinz Paktia begründete: „Deutschland half Afghanistan schon nach dem Ersten Weltkrieg vor allem beim Aufbau des Schulwesens. Es errichtete die erste Oberschule, an der jahrzehntelang Deutsch Unterrichtssprache war. Viele Afghanen sind durch diese Schule gegangen und viele von ihnen haben dann in Deutschland studiert, so dass es kein Wunder ist, der deutschen Sprache auf Schritt und Tritt zu begegnen. Die deutsche Wirtschaft half schon damals bei der Verbesserung der wirtschaftlichen Infrastruktur und schickte Wirtschaftsberater. 1928 kam dann König Amanullah nach Deutschland. Für die Weimarer Republik war das ein ganz entscheidendes Ereignis, handelte es sich doch um den ersten Staatsbesuch eines ausländischen Staatsoberhauptes nach dem Ersten Weltkrieg. Es kam zum ersten Entwicklungskredit an AfghanistanAfghanistan. Weitere Deutsche kamen ins Land, auch Berater für Technische Hilfe. Sie sehen: Unsere entwicklungspolitischen Beziehungen zu AfghanistanAfghanistan haben eine lange Tradition, nur damals war das Wort Entwicklungshilfe noch unbekannt. Während meines Besuches haben wir etwas ganz Neues vereinbart, was ein Modellfall für unsere künftigen Hilfe schlechthin sein soll: „Wir wollen eine ganze Provinz entwickeln und dort den Schwerpunkt unserer Hilfe konzentrieren. Bisher lagen die verschiedenen deutschen Projekte oft räumlich weit auseinander, waren häufig nicht aufeinander abgestimmt und konnten deshalb keine optimale Wirkung entfalten. Künftig wollen wir ganze, aufeinander abgestimmte Projektgruppen regional konzentrieren: Bewässerung, landwirtschaftliche Entwicklung, Energie, Ausbildung, Erwachsenenbildung bis zur Handelshilfe und Industrialisierung sollen einander sinnvoll ergänzen. Modell einer solchen Regionalentwicklung soll die afghanische Provinz Paktia werden, eine Provinz, wo stolze, individualistische, Fremden gegenüber reservierte, nicht sehr integrationsfreundliche Stämme leben. Ein Experiment, das glücken kann; denn uns, den Deutschen gegenüber sind diese Stämme aufgeschlossen.“35

Weitere wichtige Partnerländer deutscher Entwicklungshilfe in den 1960er-Jahren waren

 in Asien: Iran, Korea, Malaysia, Indonesien,

 in Europa: Spanien, Portugal, Griechenland und die Türkei,

 im Nahen Osten: Vereinigte Arabische Republik, Irak, Israel, Marokko, Tunesien,

 in Lateinamerika: Brasilien, Chile, Mexiko,

 in Afrika: Togo, Ghana, Guinea.

Walter ScheelScheel, Walter hat sich auch nachhaltig für eine Einbeziehung der privaten Wirtschaft in die Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt. Besonders lag ihm eine ideologiefreie, pragmatische Zusammenarbeit von Staat und Privatwirtschaft am Herzen. „Die Einbeziehung privater Initiative gibt dem System der Entwicklungshilfe erst die notwendige Beweglichkeit und innere Dynamik, die sie benötigt. Ausschließlich staatliche Entwicklungshilfe hüben und drüben von der Planung bis zu Detailausführung, ohne Ergänzung durch privatwirtschaftliche Aktivität, bleibt so trocken und steril wie das dürftige Klima in einem staatlichen HOLaden der Ostzone. Die planmäßige Entwicklung von Verbundprojekten, wie sie bereits in einigen Fällen praktiziert werden, bietet Ansatzmöglichkeiten, staatliche und private Aktivität in den verschiedensten Kombinationen phantasievoll zu verbinden.“36 Folgerichtig hat sich Walter ScheelScheel, Walter 1963 für die Gründung der Deutschen Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit eingesetzt (1983 unbenannt in Deutsche Investitions und EntwicklungsgesellschaftDeutsche Investitions und Entwicklungsgesellschaft (DEG)), einer Institution, die die Zusammenarbeit zwischen deutschen Unternehmen und solchen in Entwicklungsländern in privatwirtschaftlicher Form fördert. Ein weiteres Herzensanliegen von ScheelScheel, Walter war das Entwicklungshilfesteuergesetz.37 Es wurde am 11. Dezember 1963 verabschiedet und hatte die Zielsetzung, durch steuerliche Vergünstigungen private Investitionen deutscher Unternehmen in Entwicklungsländern zu fördern.

Auch die Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Organisationennicht-staatliche Organisationen lag ScheelScheel, Walter am Herzen: Am 26. Juni 1964 hatte er zu einem Gedankenaustausch mit 75 der wichtigsten privaten Verbände und Organisationen eingeladen. Neben Abgeordneten aller Parteien des Bundestages und leitenden Beamten der Bundesministerien erschienen führende Persönlichkeiten aller freien gesellschaftlichen Gruppen, der Wirtschaft, der Kirchen, der Gewerkschaft, der Bildungseinrichtungen und der Wissenschaft.38 ScheelScheel, Walter: „Deutschlands Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern geht jeden von uns an. Der Aufbruch von zwei Drittel der Menschheit ist eine Herausforderung, die sich nicht allein an den Staat Deutschland richtet, sondern auch an das lebendige Gemeinwesen Deutschland. Wir können diese Herausforderung nur dann zu einer geschichtlichen Chance gestalten, wenn alle Bürger unserer res publica bereit sind, diese Herausforderung anzunehmen und ihr im Geist menschlicher Solidarität zu begegnen. Wir können die Aufgabe Entwicklungshilfe nur dann bewältigen, wenn sich neben dem Staat und neben der privaten, an der ökonomischen Rentabilität orientierten Wirtschaft auch der Bereich der freien, gemeinnützigen gesellschaftlichen Kräfte an dieser weltweiten Sozialarbeit gestaltend beteiligt, nämlich unsere Gewerkschaften, die Universitäten, die Kirchen, unsere Einrichtungen des Bildungs und Sozialwesens.“39 Und an anderer Stelle: „Wir, die staatlichen Stellen, werden förderungswürdige Eigeninitiative der privaten Träger sachlich und auch finanziell fördern, soweit das Aufkommen an eigenen Mitteln zur Durchführung der Vorhaben nicht ausreicht. In diesem Zusammenhang darf ich erwähnen, dass es gelungen ist, im Haushalt 1964 einen Titel „Förderung entwicklungspolitischer Vorhaben privater deutscher Träger in Entwicklungsländern“ zu schaffen. Wenn auch dieser Titel noch nicht allzu hoch dotiert ist, es ist ein erster wichtiger Schritt.“40 Dieser Titel ergänzte die bereits bestehende Zusammenarbeit mit den Kirchen, denen Zuschüsse für Projekte „nichtseelsorgerischer Art“41 gewährt wurden. Auch die Förderung der Arbeit der politischen Stiftungen ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen (beginnend mit FriedrichNaumannStiftungFriedrichNaumannStiftung und Friedrich-Ebert-StiftungFriedrich-Ebert-Stiftung und der CDUnahen Politischen Akademie EichholzPolitische Akademie Eichholz).42

 

Ein weiterer Meilenstein: In Anwesenheit KennedysKennedy, John F. wurde am 25. Juni 1963 in Anlehnung an das amerikanische Friedenskorps der Deutsche EntwicklungsdienstDeutscher Entwicklungsdienst gegründet.43 Organisationen, die bereits Erfahrungen in der Entsendung von freiwilligen Helfern hatten – so z.B. die verschiedenen freiwilligen Arbeitsorganisationen wie der Internationale Zivildienst oder die Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste – bildeten als Arbeitskreis „Lernen und Helfen in Übersee e. V.Lernen und Helfen in Übersee e. V.“ den einen Gesellschafter, die Bundesregierung, vertreten durch das Entwicklungsministerium, den anderen.

Vor über 60 Jahren hatte sich die Wissenschaft bereits dem Problem der Entwicklungsländer und des Entwicklungsprozesses zugewandt. In der Erkenntnis, dass auf dem Gebiet der Forschung und Ausbildung noch wesentliche Aufgaben bewältigt werden müssen, wurde am 16. Mai 1963 der Wissenschaftliche Beirat des BMZ ins Leben gerufen, der die Aufgabe hatte, das BMZ in grundsätzlichen methodischen Fragen der Entwicklungspolitik zu beraten.44 Darüber hinaus wurde in Berlin das Deutsche Institut für EntwicklungspolitikDeutsche Institut für Entwicklungspolitik gegründet.45 Bei der Gründungsfeier des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik erklärte Walter ScheelScheel, Walter am 2. März 1964 vor der Presse in Berlin:An diesem Institut soll nach einem festgelegten und von Wissenschaftlern erarbeiteten Plan jährlich eine beschränkte Zahl von Akademikern eine interdisziplinäre Ausbildung erhalten, die sie für eine Tätigkeit in Leitstellen der Entwicklungspolitik qualifiziert. Sie werden zusätzlich zu den Kenntnissen, die sie mitbringen, etwas über Statistik und Planungstechnik, über die nationalen und internationalen Organisationen der Entwicklungshilfe, über die Bedingungen und Voraussetzungen des wirtschaftlichen Wachstumsprozesses sowie nicht zuletzt über die kulturellen und soziologischen Verhältnisse in den Entwicklungsländern erfahren und lernen.“46

Wegen eines Streites über den Bundeshaushalt trat Walter ScheelScheel, Walter im Oktober 1966 gemeinsam mit den anderen FDPMinistern MendeMende, Erich (Vizekanzler und Gesamtdeutsche Fragen), BucherBucher, Ewald (Justiz) und DahlgrünDahlgrün, Rolf (Finanzen) zurück und löste damit eine Regierungskrise aus. Am 27. November 1966 einigten sich die Verhandlungskommissionen von CDU/CSU und SPD auf die Bildung einer großen Koalition.

Fazit: Walter ScheelScheel, Walter war davon überzeugt, dass die Entwicklungspolitik eine neue politische Aufgabe ist, analog der Auswärtigen, der Wirtschafts und der Finanzpolitik. Er hat diesen Standpunkt mit der auch von seinen politischen Gegnern gerühmten Lauterkeit, aber auch mit Leidenschaft gegen jeden Widerspruch verteidigt. ScheelScheel, Walter konnte sich der parlamentarischen Unterstützung sicher sein, vor allem auch der der Opposition.47 Wo immer eine neue Aufgabe zu entdecken war, ging das BMZ unter der Leitung von ScheelScheel, Walter an ihre Lösung, einem Siedler vergleichbar, der sich Stück für Stück unbestellten Bodens nutzbar macht und der gleichzeitig die sofort angemeldeten Ansprüche der starken Nachbarn abzuwehren weiß.

Scheels Entwicklungspolitik hatte einige interessante, häufig kontrovers diskutierte Elemente: Streuung der Entwicklungshilfe aufgrund der HallsteinDoktrin, Berücksichtigung außenwirtschaftlicher Interessen, Vorrang der bilateralen Hilfe, Konzentration auf Asien, die Einbindung der privaten Wirtschaft, die Initiierung der Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Gruppen, die Gründung des Deutschen Entwicklungsdienstes und des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik. ScheelScheel, Walter war jedoch nicht in der Lage, seine einzelnen konzeptionellen Elemente zu einer schlüssigen Strategie zusammenzufügen.

Eine Schwäche Scheels war, dass er die notwendigen Zeithorizonte falsch eingeschätzt hat, die für Entwicklung nötig sind. Er war viel zu optimistisch und glaubte sogar daran, dass Jahrzehnte übersprungen werden können: „Alle Maßnahmen der Ausbildung und Bildung, aber auch der Wirtschaftsentwicklung und der Strukturverbesserung dürfen nicht isoliert behandelt werden. Wir haben nicht die Zeit, die die traditionellen Industrieländer für ihre Entwicklung hatten. Wir können es uns nicht leisten, diese 70 Jahre, von denen ich in Bezug auf Nordamerika gesprochen habe, auch für die Entwicklungsländer als Ziel zu setzen. Wir müssen versuchen, einige Jahrzehnte zu überspringen.“48 Eine Fehleinschätzung, wie wir heute wissen.

Kritisch aus heutiger Sicht bleibt anzumerken, dass ScheelScheel, Walter zwei ehemalige Nationalsozialisten in leitender Stellung im BMZ beschäftigte. In den 1950er und 1960er-Jahren war dies in der öffentlichen Verwaltung nichts Außergewöhnliches. Friedrich Karl VialonVialon, Friedrich Karl war von 1962 bis Dezember 1966 Staatssekretär im BMZ. Er war 1933 der NSDAP beigetreten. Anfang Mai 1942 war er Leiter der Finanzabteilung (Vereinnahmung jüdischen Vermögens) im Reichskommissariat Ostland in Riga.49

Gustav Adolf SonnenholSonnenhol, Gustav Adolf war von 1962 bis 1968 Abteilungsleiter im BMZ. Sonnenhol trat 1931 in die NSDAP ein. 1968 bis 1971 war er Botschafter in Südafrika. Wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit lehnte Bundespräsident HeinemannHeinemann, Gustav Sonnenhols Berufung zum Staatssekretär im Außenministerium unter Walter ScheelScheel, Walter ab. Sonnenhol wurde stattdessen Botschafter in der Türkei.50

Willy BrandtBrandt, Willy hat ScheelScheel, Walter einen „Menschen mit viel Freundlichkeit“ genannt, aber sofort hinzugefügt, diese seine Freundlichkeit umschließe einen harten Kern.51 Scheels Geschick, seine Liebenswürdigkeit in Art und Umgang mit Härte und Durchsetzungswillen in der Sache zu verbinden52, kennzeichnen ihn als einen Minister, der die ersten Konturen der deutschen Entwicklungspolitik entwickelt hat. Thomas DehlerDehler, Thomas sagte über ScheelScheel, Walter: „Er hat eine Gabe, die Wahrheit so zu sagen, dass sie nicht verletzt, aber dennoch gesagt wird.“ Und Konrad AdenauerAdenauer, Konrad, nicht gerade Scheels politisches Vorbild, aber in vielerlei Hinsicht einer seiner politischen Ziehväter, ließ die Welt wissen: „De Herr ScheelScheel, Walter is ne jute Mann.“53

❋ Stimmen von Zeitzeugen: Harald HofmannHofmann, Harald, Winfried BöllBöll, Winfried, Prof. Peter MoltMolt, Peter, Dr. Martin GreiffGreiff, Martin

Harald HofmannHofmann, Harald

1961–1965 Persönlicher Referent des Ministers Walter ScheelScheel, Walter, später Ministerialdirigent und Leiter des Leitungsstabes im Auswärtigen Amt, in den Jahren 1977–1997 deutscher Botschafter in unterschiedlichen Ländern, in Kopenhagen (1977–1981), in Caracas (1981–1985), in Oslo (1985–1992), in Stockholm (1992–1997).

Aller Anfang ist schwer

Als ich im November 1961 nach Bonn kam, saßen ein paar Verwaltungsbeamte samt dem einzigen Fachmann Horst DumkeDumke, Horst in einer Baracke im Hof des Finanzministeriums, der Minister, zwei Sekretärinnen und ich im Bundeshaus in drei spartanischen Kemenaten, sog. MinisterRuheräumen. Dem standen Berge von Eingängen, auch solche mit abenteuerlichen Vorschlägen gegenüber. Der personelle Aufbau, ohne den ein Ministerium nicht existieren kann, verlief äußerst zäh. Ludwig ErhardErhard, Ludwig war strikt gegen das ganze Unternehmen, der Finanzminister meinte, neue Planstellen brauche man nicht, alle, die in anderen Ministerien Entwicklungshilfe bearbeiteten, sollten ihre Planstellen an das BMZ abgeben. Die verteidigten ihre Zuständigkeiten mit Zähnen und Klauen. Walter ScheelScheel, Walter, dem man nachsagt, er verbinde Heiterkeit mit Härte, meinte scherzhaft, angesichts der vor ihm verschanzten Divisionen des Wirtschaftsministeriums und des Auswärtigen Amtes, könne er sich nur über das Terrain bewegen, wenn er sich als Essenholer ausgäbe. Als er 1969 unter Willy BrandtBrandt, Willy Außenminister wurde, sorgte er mit dafür, dass das BMZ auch die Zuständigkeiten für die Kapitalhilfe bekam, die große Koalition hatte das nicht geschafft.

Winfried Böll (†)Böll, Winfried

Als Geschäftsführer der Carl-Duisberg-Gesellschaft wechselte er 1962 ins BMZ und war dort bis 1979 tätig, zuletzt als Abteilungsleiter.

Die freischaffenden Künstler

Im neuen Ministerium wurde ich Leiter einer Arbeitsgruppe. Im Februar 1962 wurden wir von Staatssekretär VialonVialon, Friedrich Karl zusammengerufen, der uns mitteilte, dass wir nur einen Tag Zeit hätten, den Haushaltsvoranschlag für das neue BMZ an den Finanzminister zu übersenden. Unser Problem war, dass wir im Organisationserlass des Bundeskanzlers kaum Zuständigkeiten zugewiesen bekommen hatten. Es gab aber einen Satz im Organisationerlass, der uns Hoffnung gab. Da hieß es nämlich: Für alle neuen Aufgaben der Entwicklungshilfe sei automatisch das neue Ministerium zuständig. VialonVialon, Friedrich Karl sagte dann, er bitte bis morgen um Vorlagen für neue Aufgaben. Ich habe dann in der Nacht sechs neue Aufgaben definiert:

 Förderung entwicklungswichtiger Vorhaben der christlichen Kirchen

 Errichtung eines neuen Jugenddienstes für Entwicklungsländer (der Deutsche Entwicklungsdienst)

 Entwicklungshilfe auf kulturellen Gebiet (später in Bildungshilfe umformuliert)

 Entwicklungshilfe auf sozialem Gebiet (Sozialstrukturhilfe)

 Weiterbildung von Fach und Führungskräften

 Weiterbildung von Regierungskräften in Entwicklungsländern.

Als wir die neuen Aufgaben in Angriff nahmen und mit viel Begeisterung konzeptionell durchdachten, stießen wir bei den alten Verwaltungsbeamten, die aus dem Finanz und Wirtschaftsministerium ins BMZ gestoßen waren, auf Spott. Man bezeichnete uns als „freischaffende Künstler“. Doch mit unserer Witterung für die Zukunft setzen wir uns durch.

Prof. Peter MoltMolt, Peter

1960–1966 Leiter der Politischen Akademie Eichholz, später in verschiedenen Positionen der Entwicklungszusammenarbeit tätig, u.a. als UNDP-Resident Representative in Togo und Burkina Faso, und Honorarprofessor für Entwicklungspolitik an der Universität Trier