Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik

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❋ Stimmen von Zeitzeugen: Manfred Kulessa, Herbert SahlmannSahlmann, Herbert

Manfred KulessaKulessa, Manfred

Geschäftsführer des Deutschen Entwicklungsdienstes 1969–1974, UNDP 1974–1988, UNKoordinator in China 1983–1988. Honorarkonsul des Königreichs Bhutan.

Weltinnenpolitik und Pietcong

Als der britische Diplomat D.J.M. Cornwell (John Le Carré) Erhard EpplerEppler, Erhard auf einer gemeinsamen EnglandReise kennenlernte, notierte er erstaunt, dass für diesen jungen Abgeordneten Politik zu 90 % aus Ideen und nur zu 10 % aus Beziehungen bestand, während doch bei den meisten Politikern dieses Verhältnis in der Realität eher umgekehrt zu sein pflegt. Das hinderte allerdings Willy BrandtBrandt, Willy nicht daran, dem schwäbischen Protestanten im bewegten Jahr 1968 unmittelbar nach der richtungsweisenden Weltkirchenkonferenz von UppsalaWeltkirchenkonferenz von Uppsala das BMZ anzuvertrauen.

Später hat EpplerEppler, Erhard über die begrenzte politische Unterstützung in diesem Amt geklagt, die ihm eigentlich nur von den MitteLinksGruppierungen in der SPD und allenfalls sporadisch aus der CDU zuteil wurde, z.B. von der unvergessenen Erika WolfWolf, Erika. Heute wissen wir, dass EpplerEppler, Erhard seiner Zeit voraus war. Dabei ist niemand klarer und entschiedener für eine Politik internationaler Solidarität eingetreten als er. Er tat dies in zahlreichen Büchern und Reden, auf Kirchentagen bis hin zu Gewerkschaftskongressen (z.B. in Oberhausen 1972, wo er sein Konzept von „Lebensqualität“ vorstellte) wie auf Parteiveranstaltungen und internationalen Konferenzen. In ungewöhnlicher Weise pflegte er den Meinungsaustausch mit dem MontagskreisMontagskreis junger bmz-beamter wie mit prominenten Gesinnungsgenossen, etwa dem Vietnam-geläuterten Robert McNamaraMcNamara, Robert, Staatsmännern wie NyerereNyerere und PalmePalme, Olof und Carl-Friedrich von Weizsäckervon Weizsäcker, Carl-Friedrich, den er damals für den Vorsitz des Deutschen EntwicklungsdienstesDeutscher Entwicklungsdienst gewinnen konnte.

Tatsächlich hat er anregend und motivierend auf eine ganze Generation entwicklungspolitisch engagierter Menschen in Staat, Kirche und Zivilgesellschaft gewirkt. Hierin liegt wohl seine besondere historische Leistung. Natürlich ging das nicht ohne Konfrontationen ab, und er nahm dabei auch einige Risiken auf sich. In Anlehnung an RosenstocksHuessysRosenstockHuessy Begriff der Friedenspiraten nannte er die Entwicklungshelfer gelegentlich „Friedenspiraten“ und lieferte damit Gegnern und Kritikern das rote Tuch, mit dem sie ihn in die linke Ecke zu verweisen suchten. Herbert WehnerWehner, Herbert, der ähnliche Angriffe selbst reichlich erfahren musste, bezeichnete EpplerEppler, Erhard und seine Gefolgsleute freundlichgrimmig als „Pietcong“.

Manfred KulessaKulessa, Manfred: Abgang Erhard EpplerEppler, Erhard (1974)

Im Bundestag hat dieser Lehrer

Mehr Kritiker als Verehrer.

Ob er wohl im Be-Em-Zette

Eine Kaderschmiede hätte,

fragte dreist die CDU

und sie schaute ungern zu,

traf er sich nach langer Reise

nicht im Beirat weiser Greise,

nein, im linken Montagskreise.

Statt der Ausschußveteranen

schult er Friedenspartisanen.

Manche wundern sich indessen:

Zelebriert der rote Messen?

Oder übt bei ihm man schon

Schritt für Schritt Revolution?

Bei der NATO ziehn darauf

erste Warnsignale auf:

„Herbert WehnerWehner, Herbert can’t be wrong,

he just called him ‚Pietcong‘.“

Bald wirkt mühsam nur sein Stück

fortschrittlicher Politik.

Selbst die Baracke, still und sacht,

hat sie ihm schon schwer gemacht,

wo im Keller, hurtig heiter,

sägen die Kanalarbeiter.

Selbst der Bundeskanzler SchmidtSchmidt, Helmut

kriegte davon etwas mit.

So, wer hätte das gedacht,

erodiert Etat und Macht.

Da hat EpplerEppler, Erhard Schluss gemacht.

Heißt das: Erhard, gute Nacht?

Nein, bei aller harten Kost

bietet die Erfahrung Trost.

Die Geschichte wird’s besorgen

und es gibt ein neues Morgen.

Denn so manches gute Werk

Wartet schon in Württemberg.

Herbert SahlmannSahlmann, Herbert

Persönlicher Referent und später Leiter des Ministerbüros von Erhard EpplerEppler, Erhard im BMZ, Geschäftsführer des Deutschen Entwicklungsdienstes (1980–1984). Vorstand Stiftung Nord-Süd-Brücken.

Klarer Denker und wertorientiertes Handeln

Am meisten beeindruckt haben mich Erhard EpplersEppler, Erhard Analyse und Formulierungsfähigkeiten und seine perspektivischen und ganzheitlichen Gedankenansätze.

So konnte er auf der Grundlage einer Faktensammlung des Ministeriums zu einem Thema in kurzer Vorbereitungszeit an Hand von 10 bis 20 handschriftlich von ihm erstellten Stichworten einen druckreifen einstündigen Vortrag halten, der mindestens eine wichtige Botschaft hatte. In wenigen Minuten formuliert er auch eine Presseerklärung, die knapp und klar und mit „Biss“ eine neue Idee oder eine wichtige Information „rüberbringt“.

Ein Beispiel: „Die Verbindung von Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit ist nicht nur in diesem Bericht, es ist auch in der politischen Wirklichkeit die Aufgabe Nr. Eins. Wir haben eine weltweite kollektive Verantwortung gegenüber den am wenigsten privilegierten Gruppen“ und er verwies auf den moralischen Imperativ, „der uns verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Gegenwart nicht zum Feind der Zukunft wird“, (Erhard EpplerEppler, Erhard in einer Presseinformation der DGVN vom 02.11.2011 anlässlich der Vorstellung des „UN-Berichtes über die menschliche Entwicklung 2011“).

Erhard EpplerEppler, Erhard lebt diesen moralischen Imperativ.

6 Entwicklungspolitik im Zeichen des Ölpreisschocks

Minister: Egon BahrBahr, Egon (1974–1976)


Egon Bahr * 1922 †2015

❋ Beschreibung und Wertung

BahrBahr, Egon wurde Nachfolger EpplersEppler, Erhard als Entwicklungsminister im Kabinett SchmidtSchmidt, Helmut. „Mit einer Mischung aus Zögern, Hochachtung und Faszination bin ich dem Drängen von Willy BrandtBrandt, Willy und Helmut SchmidtSchmidt, Helmut nachgekommen, Erhard EpplerEppler, Erhard im Amt des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu folgen. Das Zögern rührte aus der Sympathie mit dem Amtsinhaber, dessen politische Schwierigkeiten mit dem Bundeskanzler über die Anlässe seiner amtlichen Meinungsverschiedenheiten hinausgingen. Die Hochachtung galt dem prägenden Wirken eines Mannes, der aus dem Begriff der Weltinnenpolitik gesellschaftspolitische Folgerungen eines sehr reichen Landes, ethisch wie moralisch, gezogen und dieses Denken in die öffentliche Meinungsbildung eingeführt hatte, ohne die notwendige Unterstützung zu finden.“1

Dass Bundeskanzler SchmidtSchmidt, Helmut die langfristig bedrohliche Dimension der Entwicklungsländer unterschätzte, zeigte sich in der distanzierten Art, in der er BahrBahr, Egon ins Ministerium schickte. Er hatte BahrBahr, Egon um eine „unauffällige Amtsführung“ gebeten.2 „Mach, was du für richtig hältst, aber möglichst wenig Ärger.“3

Kern der BahrBahr, Egon’schen Entwicklungspolitik war eine Kooperation auf der Grundlage gleichberechtigter eigenständiger Partnerschaft. Die Parallelen zu seinem Ost-West-Konzept Wandel durch AnnäherungWandel durch Annäherung sind unverkennbar. „Die große Aufgaben, die die Welt vor sich hat, könnte man auch so formulieren: Wird es gelingen, die Erfahrungen der Entspannung zwischen Ost und West auf das Verhältnis zwischen Nord und Süd anzuwenden? Das bedeutet, wir sollten uns nicht vornehmen, Unterschiedlichkeiten zu leugnen oder gar Interessengegensätze, aber wir sollten auch die gemeinsamen Interessen sehen. Rivalität und Zusammenarbeit werden auch hier parallel laufen und wie wir wirklich hoffen, einer immer breiteren Zusammenarbeit Platz machen. Es ist nicht vordringlich, Systeme zu verändern, sondern die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Systemen zu organisieren.“4

BahrBahr, Egon setzte auf bilaterale Kooperation. Internationale Organisationen waren ihm suspekt. „Während der letzten 15 Jahre waren eineinhalb Dutzend internationale Organisationen in ein üppig blühendes Leben gerufen worden, ohne zu verhindern, dass die Probleme wuchsen. Sie sind bei allem guten Willen der Beschäftigten von sehr unterschiedlichem Nutzen und verbrauchen jedenfalls sehr viel Geld. Die meisten dieser internationalen Organisationen sind schon im Augenblick der Geburt der Unsterblichkeit nahe. Es sei denn, die Dritte Welt verschwindet.“5

Im Vordergrund der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit standen die Mittelmeerländer Türkei, Portugal, Griechenland, Israel und Zypern. Dabei ist insbesondere zu erwähnen, dass Griechenland nach dem Zusammenbruch der Militärdiktatur und der Wiederherstellung parlamentarischdemokratischer Verhältnisse erstmals Entwicklungshilfe gewährt wurde (Abkommen 6. November 1974), das gleiche gilt für Portugal nach dem Sturz Salazars (Abkommen 05. Dezember 1975).6 Weitere Schwerpunktregionen waren der Nahe und Mittlere Osten (Ägypten, Syrien, Jordanien, AR Jemen) sowie Südasien (Indien, Bangladesch, Sri Lanka, Nepal).7

 

Der Denktradition des Realismus verpflichtet, betonte BahrBahr, Egon verstärkt wirtschafts und rohstoffpolitische Eigeninteressen der Bundesrepublik mit der Folge, dass moralische Aspekte hinten angestellt wurden.8 Dadurch, dass etwa 80 % dessen, was an bilateralen entwicklungspolitischen Mitteln aufgewendet wurde, sich in Aufträgen für die deutsche Wirtschaft niederschlug, war in jener Phase Entwicklungspolitik auch innenpolitisch für die Erhaltung von Arbeitsplätzen bedeutsam.9 Zur besseren Verankerung der Entwicklungspolitik in der Öffentlichkeit wurde deshalb erstmals ein „Journalistenpreis EntwicklungspolitikJournalistenpreis Entwicklungspolitik vergeben.10

BahrBahr, Egon hatte schon früh die Prinzipien einer globalen Ordnungspolitik erkannt: „Die Globalisierung verlangt globale Mechanismen und globale Regeln. Die Vorstellung einer Welt, die ihre Entwicklung den Regeln des unvermeidbar gewinnorientierten Marktes überlässt, ist unmenschlich.“11

BahrBahr, Egon, kein Theoretiker, hatte kein Interesse daran, neue entwicklungspolitische Konzeptionen zu entwickeln. „Das Entwicklungskonzept, das unter Minister EpplerEppler, Erhard ausgearbeitet worden ist, ist vorzüglich. Es gibt keinen Grund, es zu ändern. Es bedarf allenfalls einer gewissen Ergänzung, nämlich in Bezug auf die Erdölländer.“12 Während der Amtszeit BahrsBahr, Egon hatten sich bedeutende Veränderungen im Verhältnis zwischen Nord und Süd, also zwischen Industrie und Entwicklungsländern vollzogen. Sie verliefen in einem atemberaubenden Tempo. Die Vervierfachung der Ölpreise hatte sowohl dem Norden wie dem Süden die Augen geöffnet. Der Dritten Welt wurde eine neue politische Tatsache bewusst: die Solidarität der OPECLänder.13 Diese praktizierten sie auch. Saudi-Arabien wurde zu einem größeren Geberland für Entwicklungshilfe als Großbritannien, in derselben kurzen Zeit hatte Kuwait Kanada als Geber überflügelt.14

Für die deutsche Entwicklungspolitik zog BahrBahr, Egon daraus Konsequenzen. Die Ölländer bekamen keine Kapitalhilfe mehr, sondern Technische Hilfetechnische Hilfe gegen Bezahlung nur noch gegen Bezahlung. Zügig wurden mit dem Irak, mit Saudi-Arabien und Libyen Abkommen über Technische Hilfe gegen Entgelt geschlossen.15 Doch BahrBahr, Egon ging weiter. In seiner monetär ausgerichteten entwicklungspolitischen Konzeption mussten der Entzug großer Geldmengen aus dem Geldkreislauf und ihre Anhäufung bei den Ölförderländern weltweit fatale Folge haben.16 Zur Lösung dieses Problems entwickelte BahrBahr, Egon die Idee des Ölgeld-RecyclingsÖlgeld-Recycling.17 Mit Ölgeld sollte Technische Hilfe zugunsten wirtschaftlich ärmerer Länder bezahlt werden. Aus dieser Idee ergab sich für BahrBahr, Egon die DreieckskooperationDreieckskooperation: Westliches Know-how, das Geld der Erdölländer, und beides sollte in den Staaten der Dritten Welt eingesetzt werden, insbesondere in der Landwirtschaft. Für das Entwicklungsland führe diese Kooperation zu einem nicht erwarteten wirtschaftlichen Fortschritt, der Ölförderstaat erlange ein Stück neue Erfahrung, das Technik liefernde Land erfahre einen positiven Arbeitsplatzeffekt, und insgesamt ergebe sich eine erleichternde Wirkung für die Welternährungssituation.18 Für BahrBahr, Egon war der Schlüssel die Förderung der Landwirtschaft. Wer genügend Lebensmittel produziere, um sie exportieren zu können, würde sich jede gewünschte Technik kaufen können. Hier schien BahrBahr, Egon besonders der Sudan geeignet.19 Der Sudan bot sich an, auf einem mehrere hunderte Kilometer breiten Streifen zwischen dem trockenen Norden und dem feuchten Süden in großem Maße Getreide zu erzeugen. Dort gelte es, mit finanzieller und technischer Hilfe Großanbauflächen anzulegen und zu bewirtschaften. Mit den Erträgen könne man den gesamten Mittleren und Nahen Osten versorgen. Die BahrBahr, Egon’schen Überlegungen der Dreieckskooperation kamen jedoch über Planungen nicht hinaus. Er war nur zwei Jahre im Amt.

BahrBahr, Egon war Pragmatiker. Das habe ich selber erfahren, als ich einen Leitfaden für die Erstellung von Länderhilfeprogrammen vorlegte, der ihm viel zu präzise war. Auch die Festlegung der Länderquoten, also der zweijährigen Entwicklungshilfemittelzuweisungen pro Land, wollte er nicht systematisch abgeleitet wissen, sondern pragmatisch – mehr aus dem Bauch heraus.

BahrBahr, Egon hat einige wenige Akzente gesetzt. Er setzte bei der Entwicklungspolitik auf „Wandel durch Annäherung“.20 Entwicklungspolitik wurde neben der West und Ostpolitik zur dritten Säule der deutschen Außenpolitik. BahrBahr, Egon betonte wirtschafts und rohstoffpolitische Eigeninteressen, die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit spielte bei ihm eine wichtige Rolle, multilaterale Entwicklungszusammenarbeit war ihm ein Graus. Seinen strategischen Ansatz der Dreieckskooperation konnte er nicht umsetzen, da er zu kurz im Amt war, denn er trat nach zwei Jahren 1976 zurück, da er Bundesgeschäftsführer der SPD wurde. Letztlich, so mein Eindruck, lag ihm Entwicklungspolitik nicht sehr am Herzen.

❋ Stimmen von Zeitzeugen: Prof. Uwe HoltzHoltz, Uwe, Karsten HinrichsHinrichs, Karsten, Jochen KennewegKenneweg, Jochen

Prof. Uwe HoltzHoltz, Uwe

Von 1974 bis 1994 Vorsitzender des AwZ und seit 1987 Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Bonn.

Ein Real- und wirkmächtiger Entspannungspolitiker in Nord-Süd-Fragen

Im Bundestagsausschuss für wirtschaftliche ZusammenarbeitAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit (AwZ) erlebte ich Egon BahrBahr, Egon als kompetenten Realpolitiker und souveränen Gesprächspartner. BahrBahr, Egon sah sich allerdings sowohl im AwZ als auch in der Öffentlichkeit harten Attacken seitens der CDU/CSU-Opposition, vor allem ihres entwicklungspolitischen Sprechers, ausgesetzt. So wurden ihm Traumtänzertum und Verrat an der Marktwirtschaft vorgeworfen, als er im Laufe der Verhandlungen über das neue Abkommen von Lomé zwischen der EG und 46 Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (1975) sowie anlässlich der 4. UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (1976) die Stabilisierung von RohstoffExporterlösen und Rohstoffabkommen befürwortete – übrigens im Einklang mit der Mehrheit des Deutschen Bundestages. Der Oppositionssprecher denunzierte die Aufnahme der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit dem sich demokratisierenden Portugal als Finanzierung eines Vorpostens Moskau.

Als Entwicklungsminister setzte BahrBahr, Egon vor allem auf die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit, die multilaterale Zusammenarbeit wollte er auf 30 % der Entwicklungsausgaben beschränkt sehen. Wir im AwZ haben immer für einen pragmatischen Ansatz geworben und strikte quantitative Vorgaben weder für die bi noch die multilaterale Zusammenarbeit für sinnvoll gehalten.

Oppositionspolitikern, die nach der Wiederaufnahme der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit mit Chile und damit dem PinochetRegimePinochetRegime (seit 1973 durch einen Militärputsch an der Macht) riefen, beschied BahrBahr, Egon überzeugend und apodiktisch: Länder, die über eine lange demokratische Tradition (wie Chile) verfügen und jetzt diktatorisch regiert sind, können nicht mit einer entwicklungspolitischen Unterstützung seitens der Bundesrepublik rechnen.

Die Anregung, einen Sitz des BMZ im BundessicherheitsratBundessicherheitsrat (besonders wegen der dort behandelten Rüstungsexporte) anzustreben, griff er während seiner Amtszeit nicht auf – wohl wegen des zu erwartenden Ärgers bei umstrittenen Exporten in Entwicklungsländer. (Ständiges Bohren und Insistieren führten erst 1998 mit der rotgrünen Bundesregierung zum Erfolg: Seitdem ist das BMZ Mitglied im Bundessicherheitsrat.)

Der wirkmächtige Entspannungspolitiker zwischen Ost und West dachte auch in seinem neuen Metier weit über den Tag hinaus, als er für eine „wirtschaftliche Entspannung“ zwischen Nord und Süd plädierte.

Karsten HinrichsHinrichs, Karsten

1974–78 Persönlicher Referent des Parlamentarischen Staatssekretärs BrückBrück, Alwin im BMZ, zuletzt 1999–2005 Leiter der Unterabteilung „Multilaterale und Europäische Entwicklungspolitik; Aktionsprogramm 2015“ im BMZ

Ein strategischer Denker

Die entwicklungspolitische Community war davon angetan, mit Egon BahrBahr, Egon wieder einen strategischen Denker als Minister zu haben. Seine ausgreifenden Lösungsvorschläge für die Probleme armer Länder faszinierten, sein „think big“ nötigte Respekt ab. Jedoch verbreiteten sich zur selben Zeit die Ideen von E. F. SchumacherSchumacher, E. F. aus seinem Bestseller „Small is Beautiful – a study of economics as if people mattered“ (1973), die zum Teil in offenbarem Gegensatz dazu standen. Die Widersprüche konnten in BahrsBahr, Egon kurzer Amtszeit nicht ausdiskutiert werden. Seine Amtsnachfolger kehrten aus vielerlei Gründen zum damaligen Mainstream zurück. BahrsBahr, Egon Idee einer DreieckskooperationDreieckskooperation wurde in der deutschen Entwicklungspolitik in begrenztem Maße wirksam und konnte Entwicklungseffekte erzielen. Sie blieb aber weit entfernt von einem weltweiten Ölgeld-RecyclingÖlgeld-Recycling in die Entwicklungsländer. Die multilaterale Gemeinschaft griff das Konzept des Recyclings auf und gründete 1977 den Internationalen Fonds für Landwirtschaftliche EntwicklungInternationaler Fonds für Landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD), der von Industrie und Ölländern zu gleichen Teilen alimentiert werden sollte (und in geringerem Umfang von einigen fortgeschrittenen Entwicklungsländern). Die Ölländer sind ihrem finanziellen Ziel nie nahegekommen, so dass IFAD nicht die erhoffte finanzielle Dynamik erreicht hat. Immerhin ist der Fonds eine respektable Fachorganisation geworden.

Jochen KennewegKenneweg, Jochen

Von 1972 bis 1975 im Referat Öffentlichkeitsarbeit des BMZ tätig, später 1995–2000 Leiter des Referats: Grundsätze und Verfahren der Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern und Regionen; 2000–2005 Leiter des Referats Südasien (Indien, Nepal, Sri Lanka).

Bahr’sche Triolen

Egon BahrBahr, Egon machte keinen Hehl daraus, dass die Entwicklungspolitik nicht eigentlich sein Metier war. Er hatte einen Auftrag, der war politisch wichtig, und die Aufgabe war vorübergehend. Das Ministerium war in ruhigeres Fahrwasser zu steuern, Konflikte innerhalb der Bundesregierung waren zu überwinden, Aufruhr im Umfeld des Ministeriums nach Möglichkeit zu dämpfen. Sein Interesse galt vornehmlich den Aspekten der Entwicklungspolitik, die außenpolitische Bezüge hatten, und der Frage, wie das BMZ für die öffentliche Wahrnehmung positioniert wurde. Entwicklungspolitische Konzeptionen im Detail und ihre theoretische Unterfütterung waren nachrangig.

Bald nach seinem Amtsantritt hatte BahrBahr, Egon einen Termin mit hochrangigen Vertretern der Kirchen und ihrer in der Entwicklungshilfe tätigen Organisationen, ein Termin, den BahrBahr, Egon sehr ernst nahm. Er würde dort auf Leute treffen, die mit Erhard EpplerEppler, Erhard gut gestanden und noch dabei waren, seinen Abgang und dessen Begleitumstände zu verarbeiten. Einen ersten Entwurf meiner Kollegin Redenschreiberin gab BahrBahr, Egon freundlich mit Änderungswünschen zurück, aber auch die überarbeitete Version wurde seinen Vorstellungen nicht gerecht. Er setzte sich, wie wir hörten, über das Wochenende hin und schrieb die Rede selbst. Als ich das Ergebnis lesen konnte, war ich fasziniert. Aufbau, Inhalt, Adressatenbezug – alles stimmte, auch die Bibelzitate saßen! Der Auftritt wurde ein voller Erfolg; die Szene war besänftigt.

Die Idee der DreieckskooperationDreieckskooperation wurde BMZ-intern vielfach sehr skeptisch gesehen. Etliche Beamte sahen darin eine abgehobene Idee, in höheren politischen Sphären entwickelt. Ein Vorgesetzter sprach im kleinen Kreise von den „BahrBahr, Egon’schen Triolen“. Mir kam die These eines gelehrten frühen BMZ-Kenners in den Sinn, der bei der Entwicklungspolitik zwei Ebenen unterschied: Auf der einen Ebene wird das Beabsichtigte öffentlich verkündet. Auf der anderen Ebene findet man, was faktisch geschieht. Die beiden Ebenen haben miteinander nichts zu tun.

 
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