Atomfieber

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Schutz vor Strahlenschäden

Die Strahlenforschung wurde nach dem Krieg als eine Schlüsseltechnologie betrachtet und dementsprechend mit Bundesgeldern in bis dahin unerreichtem Ausmass gefördert. Die SKA förderte Forschungen im Bereich der Atomphysik, die für den Bau von Atomwaffen und Atomreaktoren wichtig waren, und im Bereich der Strahlenmedizin und -biologie, die dem Schutz vor Strahlenschäden in einem künftigen Atomkrieg dienen sollten.65 Dabei kam es zu einer engen Verschränkung von Militär, Wissenschaft, Medizin und Industrie. Bereits während der konstituierenden Sitzung der SKA wollte Generalstabschef Louis de Montmollin von Paul Scherrer wissen, welche Schutzvorkehrungen die Armee «im Hinblick auf einen Angriffskrieg mit Atombomben» treffen müsse. Hans Frick, der Chef der Ausbildung der Schweizer Armee, beschäftigte demgegenüber die Frage, ob ein Gelände nach einer Atombombenexplosion «wegen einer allfälligen radioaktiven Strahlung» noch betretbar sei.66 Der Strahlenschutz war für die Schweizer Armee von zentraler Bedeutung, um einen künftigen Atomkrieg führen zu können. Auf Initiative von Alexander von Muralt, Professor für Physiologie an der Universität Bern und späterer Initiant und erster Präsident des Schweizerischen Nationalfonds, begann die SKA 1947 mit der Erforschung der biologischen Wirkungen von Strahlen. So schlug er vor, «dass nun auch die Probleme der durch die Uranmaschine und Atombombe hervorgerufenen Strahlenschädigungen vom medizinischen und biologischen Standpunkt aus in Angriff genommen werden sollten».67 Der Zweck der Strahlenforschung liege darin, «therapeutische Massnahmen gegen die durch die Bestrahlung durch eine A-Bombe auftretenden Körperschäden treffen zu können und wenn möglich, Vorräte von Heilmitteln zu schaffen».68 Der Bericht Wirkung der Atombombe auf den Menschen vom 2. Juni 1948 fasste das damals vorhandene Wissen zur Strahlenbiologie erstmals zusammen.69

An den Forschungen im Bereich der Strahlenmedizin und -biologie waren damals insbesondere die beiden Röntgeninstitute von Hans Rudolf Schinz am Kantonsspital Zürich und von Adolf Zuppinger am Inselspital Bern beteiligt. Letzteres konnte Ende Juli 1953 mit Geldern der SKA für ihre experimentelle Forschung einen Teilchenbeschleuniger kaufen, den von der BBC in Baden konstruierten «Betatron». Bis Ende der 1960er-Jahre verkaufte die BBC über 50 Betatron-Anlagen in zahlreiche Länder Europas, Amerikas und Asiens. Adolf Zuppinger schlug vor, Tierversuche durchzuführen, um die durch die radioaktive Strahlung verursachten biologischen Schäden genauer zu erforschen. Das US-Verteidigungsministerium unterstützte während des Kalten Kriegs bis in die 1960er-Jahre auch Menschenversuche. «Für die Schweiz finden sich bislang keinerlei Hinweise darauf, dass während des Kalten Kriegs wie in den USA aus militärischen Interessen gezielte Versuchsreihen mit Strahlen oder radioaktiven Substanzen stattfanden», schrieb die Historikerin Sibylle Marti, die sich eingehend mit der militärischen und zivilen Strahlenforschung in der Schweiz während des Kalten Kriegs beschäftigt hat.70

Ein weiteres wichtiges Forschungsinstitut war das 1949 gegründete Strahlenbiologische Laboratorium der Universität Zürich, das von 1950 bis 1989 von Hedi Fritz-Niggli geleitet wurde.71 Das Labor erforschte ebenfalls die Strahlengefährdung des Menschen. Anhand von Bestrahlungsversuchen mit Drosophila-Fliegen wurde die Entstehung von Mutationen bei Keimzellen untersucht. Wie Hedi Fritz-Niggli schrieb, war «es von grossem theoretischem und praktischem Interesse, die Wirkungen der kurzwelligen Strahlung auf die Zelle und das Erbmaterial abzuklären. Dies, um Richtlinien für eine Toleranzdosis zu geben, resp. die genetische Strahlengefährdung zu erkennen, damit prophylaktische Massnahmen getroffen werden können.»72 Die ursprünglichen militärischen Forschungsziele führten auch zu neuen diagnostischen und therapeutischen Anwendungen etwa im Bereich der Strahlenbehandlung von Krebskrankheiten. Die Radioisotope, die in der Krebsforschung zur Anwendung kamen, dienten in den 1950er-Jahren wiederum der Propaganda vom «friedlichen Atom» und förderten die gesellschaftliche Akzeptanz der zivilen Nutzung der Atomenergie.73

1956 wurde die Eidgenössische Kommission zur Überwachung der Radioaktivität (KUeR) geschaffen, um den durch die Atombombentests verursachten radioaktiven Fallout zu überwachen. Fortan war die KUeR für die Überwachung der Radioaktivität in der Luft, im Boden, in Lebensmitteln und im menschlichen Körper zuständig. Seit den späten 1950er-Jahren wurden dazu landesweit Messstationen aufgebaut. Ausgehend von den Empfehlungen der International Commission on Radiological Protection (ICRP) legte die KUeR zudem die Grenzwerte für die Abgabe radioaktiver Stoffe für AKWs und Spitäler in der Schweiz fest. 1963 trat die Strahlenschutzverordnung in Kraft. Zum Schutz der Bevölkerung schuf der Bundesrat mit einer Verordnung vom 9. September 1966 einen Alarmausschuss, der sich mit dem AC-Schutzdienst der Armee und dem Zivilschutz koordinierte. Mitte der 1960er-Jahre bewilligte das Parlament zudem die Errichtung einer neuen physikalischen Versuchsanstalt, des Schweizerischen Instituts für Nuklearforschung in Villigen an der Aare, das 1988 mit dem Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung (EIR) zum PSI fusionierte.

Kalter Krieg und Rüstungswettlauf

Der Abwurf der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki markierte 1945 zugleich das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Beginn des Kalten Kriegs. Ganze Generationen haben seither mit der Angst vor einem apokalyptischen Atomkrieg gelebt, der jederzeit ausbrechen könnte und innerhalb weniger Stunden einen Grossteil der Menschheit vernichten würde.74 Der ausser Kontrolle geratene Rüstungswettlauf zwischen den USA und der Sowjetunion schuf schliesslich die Möglichkeit, die gesamte Menschheit zu vernichten und den Planeten Erde für den Menschen für Zehntausende von Jahren unbewohnbar zu machen.

Ab Mitte des Zweiten Weltkriegs befürchtete Stalin, der Westen werde ihn mit «der Bombe» erpressen. 1942 ernannte er deshalb den russischen Atomphysiker Igor Kurtschatow zum wissenschaftlichen Leiter des sowjetischen Atombombenprogramms. Ab 1943 war Stalin durch sowjetische Spione, zu denen unter anderen der deutsche Atomphysiker Klaus Fuchs gehörte, über den Stand des «Manhattan-Projekts» informiert. Am 20. August 1945 ernannte Stalin zudem den gefürchteten Geheimdienstchef Lawrenti Beria zum Leiter des Atomprogramms. Unter seinem Kommando wurden ab 1946 durch Gulag-Häftlinge riesige «geheime Städte» und Atomlaboratorien wie Arsamas-16 (Sarow) und Tscheljabinsk-40 (später -65) bei Kyschtym aus dem Boden gestampft.

Ab dem Frühjahr 1945 fahndeten die Sowjets zudem im von ihnen besetzten Deutschland verstärkt nach Atomtechnik. Nach 1945 wurden Tausende deutsche Techniker und Wissenschaftler aus dem Bereich der Atomphysik, aber auch der Flugzeug- und Raketentechnik in die USA und in die Sowjetunion gebracht. Nachdem Igor Kurtschatow 1947 in einem Gutachten festgestellt hatte, dass es möglich sei, in zwei Jahren eine eigene Atombombe herzustellen, begann die Rote Armee im September 1947, in Kasachstan das neue Testgelände Semipalatinsk einzurichten, wo schliesslich am 29. August 1949 die erste sowjetische Atombombe gezündet wurde.

Der Koreakrieg von 1950 bis 1953 war der erste heisse Konflikt des Kalten Kriegs, bei dem es beinahe zu einem atomaren Schlagabtausch zwischen den USA und der Sowjetunion gekommen wäre. General Douglas MacArthur, der Oberbefehlshaber der UN-Truppen, setzte sich wiederholt vehement für eine atomare Bombardierung chinesischer Städte ein, bis schliesslich Präsident Harry S. Truman eine weitere militärische Eskalation des Konflikts stoppte. 1954 planten die USA während des Indochinakriegs erneut den Einsatz von Atomwaffen, um die Franzosen gegen die vietnamesische Unabhängigkeitsbewegung zu verteidigen.

Mit der Gründung der Nato 1949 und dem Warschauer Pakt 1955 formierten sich die Blöcke in Ost und West. Gleichzeitig begann auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs ein massiver Rüstungswettlauf, der eine gefährliche Eigendynamik entwickelte. Die finstere Absurdität des atomaren Wettrüstens führte dazu, dass vorerst nur die gegenseitige Abschreckung – das «Gleichgewicht des Schreckens» – den Ausbruch eines Dritten Weltkriegs, der zu einem globalen Atomkrieg geworden wäre, verhindern konnte. Die militärische Strategie der beiden Supermächte sah jeweils den massiven Einsatz von Atomwaffen vor.

Vor 1949 – noch bevor die Sowjetunion über Atombomben verfügte – gab es in den USA sogar Überlegungen, einen atomaren Präventivkrieg gegen sie zu führen. Ab 1951 liess auch Stalin die Strategie eines Atomkriegs entwickeln, bei der ein Präventivkrieg eine Option war. 1954 verkündeten die USA ihre ominöse Nuklearstrategie der «massiven Vergeltung» («massive retaliation»), die besagte, dass sogar ein begrenzter Angriff eines potenziellen Angreifers mit konventionellen Waffen mit Atombomben vergolten werden sollte. Umgekehrt war während des Kalten Kriegs auch für die Sowjetunion ein globaler Atomkrieg stets eine strategische Option.

Im atomaren Rüstungswettlauf erhöhte sich nicht nur die Anzahl der Bomben, sondern auch die Zerstörungskraft der Sprengköpfe. In den USA gelang unter der Leitung von Edward Teller am 1. November 1952 die Zündung der ersten amerikanischen Wasserstoffbombe, deren Sprengkraft tausendmal stärker war als die der Hiroshima-Bombe. Am 12. August 1953 folgte die Sowjetunion unter der Leitung von Igor Kurtschatow und Andrei Sacharow mit der Zündung ihrer ersten Wasserstoffbombe. Grossbritannien hatte am 3. Oktober 1952 ebenfalls seine erste Atombombe gezündet, und am 8. November 1957 folgte die erste Wasserstoffbombe.

 

Ab den 1950er-Jahren fanden in den USA und in der Sowjetunion Tausende Atombombentests statt. Die Tests waren vor allem eine Machtdemonstration der beiden Supermächte, die der gegenseitigen Abschreckung dienen sollte; gleichzeitig wurden die Tests aber auch zur Messung der Wirkung und damit zur Weiterentwicklung und Perfektionierung der Atomwaffen genutzt. Die USA testeten ihre Atombomben hauptsächlich in der Wüste von Nevada sowie im Pazifischen Ozean. Der grösste amerikanische Atombombentest, «Bravo», fand am 1. März 1954 auf dem Bikini-Atoll statt. Die radioaktive Verstrahlung eines japanischen Fischkutters sorgte weltweit, vor allem aber in Japan, für Empörung. Der grösste jemals durchgeführte Atombombentest war die Zündung der durch ein Team um Andrei Sacharow entwickelten sowjetischen Wasserstoffbombe «Zar», die am 30. Oktober 1961 auf dem Testgelände Nowaja Semlja im Arktischen Ozean explodierte. Deren Sprengkraft war mit rund 50 bis 60 Millionen Tonnen TNT rund 4000-mal so stark wie jene von «Little Boy», der Bombe, die über Hiroshima abgeworfen wurde.

Die Atombombentests hatten schwerwiegende Folgen für Mensch und Umwelt. Der radioaktive Fallout fiel direkt auf die bewohnten Gebiete rund um die Testgelände und verteilte sich über die Atmosphäre auf dem ganzen Globus, sodass die Strahlenbelastung in den 1950er-Jahren weltweit stark zunahm. Die Bedürfnisse der Bevölkerung in den meist spärlich besiedelten Regionen am Rande der Testorte wurden bewusst ignoriert. Gleichzeitig wurden die beteiligten Wissenschaftler und Soldaten oft fahrlässig und teilweise sogar vorsätzlich der radioaktiven Strahlung ausgesetzt. Ganze Bevölkerungsgruppen wurden umgesiedelt, vertrieben und als medizinische Versuchsobjekte missbraucht.75 Man geht heute davon aus, dass an den Spätfolgen der weltweit über 2100 Atombombentests über 200 000 Menschen gestorben sind.76 Die Strahlenopfer starben an Leukämie, Gehirntumoren und Schilddrüsenkrebs, die Fehlgeburten häuften sich, und die zur Welt gekommenen Kinder und Enkel wiesen vermehrt Missbildungen auf.

In der sowjetischen Atombombenfabrik Tscheljabinsk bei Kyschtym im Ural explodierte am 29. September 1957 in der kerntechnischen Anlage Majak ein Lager für hochaktive Abfälle aus der Plutoniumproduktion. Majak war die erste Anlage zur industriellen Herstellung von spaltbarem Material in der Sowjetunion. Bei dem bisher grössten jemals bekannt gewordenen militärischen Atomunfall wurden rund 250 000 Menschen radioaktiv verstrahlt. Der Wind verteilte die Strahlung bis 400 Kilometer nördlich von Majak. Aufgrund der Wetterverhältnisse konzentrierte sich die Verseuchung hauptsächlich auf den Südural, Europa blieb verschont. Die Sowjetunion konnte den Vorfall während 30 Jahren geheim halten. Majak ist heute der radioaktiv am stärksten verstrahlte Ort der Erde. Die dortige marode gewordene kerntechnische Anlage ist immer noch in Betrieb und wird weiterhin streng militärisch abgeschottet. Es werden dort weiterhin Radioisotope für die russische Atomwaffenproduktion produziert und abgebrannte Brennelemente, die teilweise auch aus dem Westen kommen, wieder aufbereitet.77

Die gigantische nukleare Aufrüstung erzeugte auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs eine permanente atomare Bedrohung. Der ständige Ausbau von immer stärkeren Atomwaffen schuf kein Gefühl der Sicherheit, sondern steigerte die Gefahr eines Atomkriegs und potenzierte damit die Angst vor der atomaren Katastrophe. Mit der ideologischen Teilung der Welt in Ost und West wurden die Fronten klar abgesteckt und die gegenseitigen Feindbilder zementiert. Sie wurden im Westen wie im Osten durch intensive Propaganda gepflegt und weiter verstärkt. Die angenommene Bedrohung durch die Gegenseite prägte dabei die rasante Dynamik der ideologischen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Auseinandersetzung.

Der Kalte Krieg war eine ideologische und machtpolitische Konfrontation der Weltanschauungen, die auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs als ein Kampf zwischen Gut und Böse angesehen wurde. In den USA machte sich insbesondere in der McCarthy-Ära von 1947 bis 1956 ein rabiater Antikommunismus breit. Der republikanische Senator Joseph McCarthy stand stellvertretend für die weitverbreitete antikommunistische Hysterie in der amerikanischen Gesellschaft, die überall und jederzeit eine kommunistische Unterwanderung befürchtete. McCarthy heizte die Stimmung kontinuierlich mit Beschuldigungen und Verschwörungstheorien weiter an. Die «Hexenjagd» gegen tatsächliche oder vermeintliche Kommunisten betraf zunehmend auch Bibliothekare, Lehrer, Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler. Einer der bekanntesten Wissenschaftler, der Ende 1953 in die Mühlen des von McCarthy geleiteten House Committee on Un-American Activities geriet, war der Atomphysiker J. Robert Oppenheimer, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Entwicklung einer amerikanischen Wasserstoffbombe kritisiert hatte und deshalb nun als ein Sicherheitsrisiko angesehen wurde.

Im ideologischen Kampf zwischen Ost und West stand die Schweiz während des Kalten Kriegs trotz der ständigen Beteuerung ihrer «Neutralität» ideologisch, politisch, wirtschaftlich und militärisch klar auf der Seite des Westens. Mit dem Hotz-Linder-Agreement vom Juli 1951 beugte sie sich dem Diktat der USA, das auf ein Verbot des Osthandels hinauslief.78 Der Antikommunismus wurde in der Schweiz während des Kalten Kriegs zur bürgerlichen Staatsideologie und damit zum festen Bestandteil der nationalen Kultur. Die USA wussten, dass der kommunistische Einfluss in der Schweiz vernachlässigbar war; die Sowjetunion ihrerseits wertete den Schweizer Antikommunismus als ein deutliches Zeichen der Zugehörigkeit zum Westen und zählte die Schweiz ab 1963 daher zum Kampfgebiet der Nato.79

Nach dem Ungarn-Aufstand 1956 erreichte der Antikommunismus in der Schweiz seinen Höhepunkt. Die sowjetische Niederschlagung des Freiheitskampfs löste damals in der Schweizer Bevölkerung eine Welle der Solidarität für Ungarn aus. Wie der Historiker Thomas Buomberger in seinem Buch Die Schweiz im Kalten Krieg 1945–1990 zeigte, war der Antikommunismus geprägt von der Vorstellung einer akuten oder schleichenden Gefahr aus dem Osten.80 Er schürte die Angst vor der «roten Gefahr» und vermittelte den Eindruck, dass sich die Schweiz zusammen mit dem Westen und den «unterdrückten» Völkern des Ostens in einem permanenten Abwehrkampf gegenüber dem aggressiven, expansiven und gottlosen Sowjetkommunismus befinden würde, der danach strebe, die Weltherrschaft zu erobern und alle freien Völker dieser Erde zu versklaven. In diesem in Schwarz-Weiss gemalten Weltbild des Kalten Kriegs war das eigene System gut, das der anderen Seite böse. Im Westen konnte das Gute im Menschen zu seiner vollen Entfaltung kommen. Der Kommunismus dagegen war die Inkarnation des Bösen.81 Das Feindbild des Kommunismus wurde auch gezielt zur Diskreditierung der politischen Gegner eingesetzt.82 Die Bedrohung aus dem Osten wurde zum Lebenselixier der Schweizer Innenpolitik.83 Mit dem Vorwurf des Kommunismus konnte jede Kritik im Keim erstickt werden. Die massive militärische Aufrüstung der Schweizer Armee wurde ebenso wie die Ausweitung des Staatsschutzes mit der kommunistischen Gefahr legitimiert.84

Die Doppelkrise Ungarn/Suez löste im Herbst 1956 in der Schweiz Hamsterkäufe von Nahrungsmitteln aus, die den vom Bundesrat ernannten Delegierten für wirtschaftliche Kriegsvorsorge dazu veranlassten, eine Propagandakampagne zur Anschaffung eines Notvorrats zu lancieren.85 Der Notvorrat wurde damit zu einem Teil der totalen Landesverteidigung. Wer keinen Notvorrat hatte, galt als suspekt und als unschweizerisch.86 Die Behörden schufen ein Klima ständiger Angst und Unsicherheit, indem sie unablässig auf die potenzielle Versorgungsknappheit hinwiesen. Die Ideologie der geistigen Landesverteidigung, die dieser Notvorratskampagne zugrunde lag, propagierte die Armee im Kalten Krieg als den «Kristallisationskern der ‹nationalen Identität› der Schweiz».87 Die Freiheit und Unabhängigkeit durch ständige Wehrbereitschaft und eigenständige Vorsorge prägten diese idealisierte Vorstellung der schweizerischen Identität.88

Nach der Suezkrise und dem Ungarn-Aufstand 1956 folgte ein Jahr später, 1957, der sogenannte Sputnikschock. In den 1950er-Jahren fand zwischen den USA und der Sowjetunion nicht nur ein nuklearer Rüstungswettlauf, sondern parallel dazu auch ein Wettlauf ins All statt. Beide Supermächte wollten dabei ihre technologische Überlegenheit beweisen. Als am 4. Oktober 1957 der sowjetische Satellit Sputnik erstmals eine Erdumlaufbahn erreichte, löste das im Westen einen Schock aus, da die Sowjetunion nun offenbar in der Lage war, die USA mit nuklearen Interkontinentalraketen zu erreichen. Der Weltraum wurde zum neuen Schlachtfeld des Kalten Kriegs. Am 3. November 1957 wurde die Hündin Laika als erstes Lebewesen und am 12. April 1961 Juri Gagarin als erster Mensch mit einer sowjetischen Rakete in den Weltraum geschickt. Die USA mussten erkennen, dass sie der Sowjetunion im Bereich der Raumfahrt unterlegen waren. Am 25. Mai 1961, nur eineinhalb Monate nach dem Start von Juri Gagarin, hielt der US-Präsident John F. Kennedy eine Rede, in der er das Ziel vorgab, noch im selben Jahrzehnt einen Menschen zum Mond und wieder zurück zu bringen. Im Zuge der NASA-Mission Apollo 11 fand dann am 21. Juli 1969 die erste Landung von Menschen auf dem Mond statt.

Die wissenschaftlich-technologische Konkurrenz wurde zur Überlebensfrage im Kalten Krieg.89 Für beide Supermächte gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder die Hegemonie oder den Untergang. Die technische Überlegenheit bedeutete mehr militärische Macht und entschied damit über Leben oder Tod. Nebst dem Bau von Atom- und Wasserstoffbomben gehörten Flugzeuge und Raketen sowie die Raumfahrt zu den militärischen Technologien, bei denen die beiden Supermächte miteinander konkurrierten. Daneben wurden auch Teile der konventionellen Waffensysteme atomar aufgerüstet: Bomberflotten, U-Boote, Minen, Artillerie, tragbare Raketenwerfer, Kurz- und Mittelstreckenraketen. Der Entwicklung der Interkontinentalraketen kam eine besondere Bedeutung zu, da ein zukünftiger Atomkrieg mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Raketenkrieg sein würde.