Sky-Navy 06 - Der letzte Pirat

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Sari: Sky-Navy #6
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Die blonde First-Fightenant Susan Horn war sein Erster Offizier und als Eins-O seine Stellvertreterin im Kommando. Anderson schätzte ihre Zuverlässigkeit und ihre Talente im Bett, wobei er wusste, dass er letztere Qualitäten mit diversen Männern und Frauen der Crew teilte. Es störte seine Eitelkeit nicht, denn auf diese Weise gelangte die hübsche Frau immer wieder an Informationen, von denen er als Captain auf offiziellem Wege nichts erfuhr.

Fightenant Clegg war ein dunkelhaariger Hüne. Er befehligte die Kampfabteilung der Glennrose. Ein guter Gardist, aber Anderson vermutete, dass der Mann ein wenig zu viel Ehrgeiz besaß. Er schien sich hervortun und bewähren zu wollen, um die Karriereleiter empor zu steigen. Er trat nach unten und zeigte sich nach oben hin dienstbeflissen. Anderson war ein Mann, der Härte und Disziplin zu schätzen wusste, aber Schikane konnte jeden guten Gardisten verderben. Es gab Offiziere, die sich derart unbeliebt machten, dass sie im Gefecht von hinten getroffen wurden. Clegg war immerhin brauchbar genug, so dass Anderson ihm dieses Schicksal möglichst ersparen wollte. Ondret war der Mann, der Clegg gelegentlich in Andersons Sinn ausbremste.

Prime-Sergeant Ondret fungierte in der offiziellen Besatzungsliste der Firma Richter als Lademeister, war aber zugleich ein sehr fähiger Regiments-Unteroffizier. Stämmig, wortkarg und immer bereit. Er war es, der für Disziplin sorgte und sie lieber mit seinen prankenartigen Fäusten, als mit der Neuro-Peitsche durchsetzte.

Sub-Sergeant Pfizer war fraglos der Spezialist an Bord, der über den Wert technischer Beute entschied. Ein hagerer Mann mit asketischen Gesichtszügen. Seine tief in den Höhlen liegenden Augen wirkten unheilvoll und düster. Ein kompetenter Mann mit wenig Humor.

Maschinen-Ingenieurin Tara hatte viele Liebhaber, jedoch nur eine Liebe: Die Maschinenanlage der Glennrose. Ihr unterstanden im Gefecht die Schadenkontrollteams.

Sloan war der Proviantmeister. Er jonglierte vorzüglich mit den verfügbaren Mitteln und schaffte es, die Verpflegung an Bord vielseitig und schmackhaft zu gestalten. Er leitete die Küche und schwang dort selbst gerne den Löffel. Sein Humor war gelegentlich ein wenig bissig, aber er hatte ein besonderes Vertrauensverhältnis zur Mannschaft. Gab es Unstimmigkeiten, so wandte man sich in der Regel an ihn, damit „die Suppe nicht nach oben kochte“ oder Ondret einschreiten musste.

Es gab noch eine Reihe von Sergeants und Corporals an Bord, die jedoch nicht zum kleinen Führungsstab des Schiffes gehörten.

Anderson, Horn und Tara trugen, wie die offizielle Besatzung, die roten Firmenoveralls. Dass die anderen die schwarzen Uniformen der Bruderschaft trugen, hatte seinen Sinn. Jeder, der eine solche Uniform trug wusste, dass er beim Besuch eines Raumhafens oder einer Station von der Bildfläche zu verschwinden hatte. Sie konnten nicht, wie die offiziellen „Firmenangestellten“, den Vergnügungsangeboten nachgehen, was hin und wider Murren hervorrief, auch wenn die Männer und Frauen die Notwendigkeit anerkannten. Ihre Entschädigung erfolgte, wenn das Schiff in einer Basis der schwarzen Bruderschaft ankerte.

Anderson hörte das leise Summen, als die Datei endlich eintraf und rief sie auf seinem Holoschirm auf. Er hatte diesen so eingestellt, dass die anderen nicht mitlesen konnten, denn er wollte sich erst sein eigenes Bild vom Inhalt der Nachricht machen. Der Funker behielt recht. Es war eine lange Nachricht und ihr Inhalt schwerwiegend. Skeet Anderson musste sich anstrengen, um äußerlich seine Ruhe zu bewahren.

Nachdem er die Nachricht nochmals gelesen hatte, musterte er unter halb geschlossenen Lidern die Anwesenden. Er wog die Konsequenzen der Informationen ab und wie die Besatzung darauf reagieren mochte. Es würde Probleme geben. Die entstanden immer, wenn man auf eine Gemeinschaft eingeschworen war, die es plötzlich nicht mehr gab. Auf jeden Fall durfte sein eigener Status nicht in Zweifel gezogen werden. Anderson zog unauffällig eine Schublade seines Schreibtisches auf und entnahm ihr sein liebstes antikes Stück: Eine alte Derringer-Pistole, die Bleiprojektile verschoss. Es war nicht einfach gewesen, die Munition für die kleine Waffe zu beschaffen, doch dafür ließ sie sich hervorragend unter der Manschette seines Overalls oder notfalls in der Handfläche verbergen.

„Die Nachricht, die wir über die Boje erhalten haben, ist von immenser Bedeutung für uns alle“, eröffnete er. Anderson erhob sich hinter seinem Schreibtisch, trat aber nicht in die Gruppe, sondern lehnte sich an die Kante des Möbels, da er von dort alle gleichzeitig im Blick behalten konnte. „Die Sky-Navy des Direktorats hat unsere Hauptbasis auf Hiveen-5 angegriffen. Unsere Kampfflotte wurde vernichtet oder aufgebracht und Hiveen von den Sky-Troopern des Feindes besetzt.“ Er sah das Erschrecken in den Gesichtern und fuhr mit harter Stimme fort. „Die Kreise der schwarzen Bruderschaft haben den Befehl, sich sofort aufzulösen. Alle Stützpunkte werden aufgegeben und geräumt, die Einrichtungen zerstört. Alle Kaperschiffe haben die Anweisung, sämtliche Aktivitäten mit sofortiger Wirkung einzustellen.“ Er warf einen Blick auf Kresser, der mit ausdruckslosem Gesicht dasaß. „Das gilt ebenso für alle Verbindungsleute und Agenten der Bruderschaft. Hinweise, die auf unsere Spur führen könnten, sind zu beseitigen.“ Ein erneuter Blick zu Kresser. „Das gilt auch für unzuverlässige Kontakte.“

In der Kabine herrschte betroffenes Schweigen, bis Kresser mit ganz ruhiger Stimme sprach. „Ich habe so etwas geahnt und keine losen Enden hinterlassen.“

Der Agent hatte also alle Verbindungsleute, die gefährlich werden konnten, umgebracht. Noch bevor der offizielle Befehl erfolgt war. Anderson bewunderte die Vorsicht und das Gespür des Agenten, andererseits hätte dieser sonst wohl auch nicht so lange überlebt.

Tara und Sloan sahen Kresser schockiert an. „Sie haben die Kontakte abgebrochen?“

„Und mich in die Registratur von Kelly´s Rest gehackt und dort alle Daten über die Glennrose gelöscht“, erklärte der Agent. Er sah Anderson lächelnd an. „Natürlich verschafft uns das nur einen Zeitaufschub. Beim nächsten Abgleich, mit dem Zentralregister des Direktorats auf dem Mars, werden die Dateien natürlich wieder hergestellt und wahrscheinlich gibt es auch ein paar Leute, die sich an die Besuche der Glennrose in der Freihandelszone erinnern können, aber jeder Zeitgewinn ist kostbar.“

„Dem stimme ich zu.“ Anderson erwiderte das Lächeln.

„Moment, was hat das zu bedeuten?“, fragte Proviantmeister Sloan.

„Das wir verschwinden müssen“, antwortete Anderson mit harter Stimme. „Und zwar schnell und endgültig.“

„Ich protestiere.“ Clegg war normalerweise nicht der Mann, der sich so weit aus dem Fenster lehnte und sich gegen eine Entscheidung des Captains stellte. „Selbst wenn Hiveen von der Sky-Navy genommen wurde, so bedeutet das ja nicht, dass alle Kreise und Stationen unserer Bruderschaft…“

„Die Befehle in der Nachricht sind eindeutig“, unterbrach Susan Horn.

„Und von wem wurden sie autorisiert?“, erregte sich Clegg.

„Eine solche Nachricht kann nur mit der Bestätigung eines Ersten der Kreise in eine Boje eingespeist werden“, wandte Ingenieurin Tara ein. „Welcher der Ersten das war, spielt keine Rolle.“

„Ach, und was sollen wir nun tun?“ Clegg sah die Anwesenden herausfordernd an. „Heißt das jetzt etwa, dass die Bruderschaft nicht mehr existiert?“

„Genau das“, bestätigte Skeet Anderson. „Sie ist aufgelöst und wir sind jetzt de facto Heimatlos und auf uns selber gestellt.“

„Also arbeiten wir künftig auf eigene Rechnung“, brummte Prime-Sergeant Ondret.

„Kann man so sagen.“ Anderson seufzte. „Wobei wir uns natürlich erst über unser künftiges Vorgehen im Klaren sein müssen. Wir werden unsere Aktivitäten im Raum vorläufig einstellen.“ Er straffte seine Haltung. „Es wäre zu gefährlich, die Aufmerksamkeit der Sky-Navy oder der Sky-Marshals zu erregen, indem weiterhin Schiffe verschwinden. Wir haben nun keine starke Organisation mehr im Rücken und auch keine Basis, zu der wir uns zurückziehen könnten. Wie ich schon erwähnte, sind wir auf uns alleine gestellt.“

„Nun, Sir, Sie sind sicherlich der Captain dieses Schiffes“, begann Clegg zögernd, „allerdings hat mich die Bruderschaft als kommandierender Offizier der Gardisten autorisiert. Da die Garde den weitaus größten Anteil der Besatzung…“

Clegg kam nicht weiter. Zwei Weichbleikugeln zerschmetterten seine Stirn. Teile der Schädeldecke, Blut und Hirnmasse spritzten über einen Teil der Polster und des Bodens.

„Es wäre höchst unangemessen, Zweifel an meiner Autorität zu hegen“, sagte Anderson mit ruhiger Stimme.

„Natürlich“, stimmte Ondret zu.

„Aber mussten Sie ihn gleich erschießen, Captain?“, seufzte Susan Horn.

„Nein, das musste ich nicht“, gab Anderson zu. „Aber in diesem Fall war es nützlich. Es lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wer das Sagen an Bord hat.“

„Leder und Wolle“, brummte Sloan. „Haben Sie eine Ahnung, Captain, wie schwer sich daraus solche Flecken entfernen lassen?“

Der Angesprochene fragte sich einen Moment, ob Sloan diese Bemerkung wirklich ernst meinte. Der hob beschwichtigend die Hände. „Wie Ondret schon sagte, es ist Ihr Schiff, Captain, und wir sind Ihre Besatzung.“

Die anderen nickten und vermieden es, die sterblichen Überreste anzusehen.

„Da Clegg´s Position vakant geworden ist, übertrage ich dessen Aufgaben an Prime-Sergeant Ondret. Ansonsten bleibt alles unverändert. Ondret, Sie sorgen mit Nachdruck dafür, dass die Gardisten bei der Stange bleiben. Machen Sie ihnen klar, dass es keine Alternative gibt. Das Direktorat wird jeden Einzelnen von uns über die Klinge springen lassen, wenn man unserer habhaft wird.“ Anderson steckte die Waffe, in deren Kammern noch zwei Schuss bereit waren, in die Tasche seines Overalls. Er unterdrückte einen Fluch, denn er hatte nicht an die Hitze des Metalls gedacht, die durch die Schüsse entstanden war. „Sie müssen sich über ein paar Dinge im Klaren sein: Wir waren Teil einer riesigen Organisation, in deren Schutz wir uns notfalls zurückziehen konnten. Diese Organisation existiert nicht mehr. Wir alle waren durch den Schwur auf unsere Gemeinschaft verbunden. Dieser Schwur ist nun hinfällig, denn es gibt die Gemeinschaft nicht mehr. Wir sind allein und wir müssen eine Lösung für unsere Probleme finden. Mister Kresser, ich gehe davon aus, dass die Sky-Marshals sich wohl um Richter Tradings kümmern werden.“

 

„Darauf können Sie Gift nehmen.“ Kresser lächelte, als er die Anspielung auf sein tödliches Handwerk sah. „Ich weiß, worauf Sie hinauswollen… Wir haben keine Möglichkeit mehr, uns in einer der Niederlassungen von Richter neu zu versorgen.“

„Da die Glennrose zudem offiziell ein Schiff von Richter Tradings ist, entfällt für uns auch die Möglichkeit, an einer Freihandelsstation anzulegen. Wenn in den Medien erst berichtet wird, dass Richter die Tarnung einer Piratenorganisation war, dann werden sich die Händler förmlich überschlagen, uns bei Sichtung an die Navy zu verraten.“ Anderson trommelte mit den Fingern auf die Kante des Schreibtisches. „Ich habe keinen Zweifel, dass wir es mit einem Navy-Kreuzer aufnehmen können, doch die Navy hat viele Kreuzer. Ein altes Sprichwort besagt, dass viele Hunde des Hasen Tod bedeuten.“

Proviantmeister Sloan nickte. „Wir brauchen einen Stützpunkt, Captain.“

Skeet Anderson sah in die Runde. „Genau das ist der Kern der Sache. Wir brauchen einen Stützpunkt, wo wir uns versorgen und unser Schiff äußerlich ein wenig verändern können. Und wo wir Zeit haben, Gras über die Sache wachsen zu lassen. Vorschläge?“

„Auf einem Handelsstützpunkt fänden wir alles, was wir auf absehbare Zeit benötigen“, schlug Ingenieurin Tara vor.

Susan Horn schüttelte prompt den Kopf. „Ein Handelsstützpunkt wird immer wieder von Schiffen angeflogen. Man würde uns ziemlich schnell auf die Spur kommen und dann hätten wir die Sky-Navy am Hals.“

„Wir könnten irgendwo landen, unser Schiff mit anderen Farben und einem neuen Logo versehen, und dann als harmloser Händler auf einer Kolonialwelt erscheinen“, meinte Sloan.

„Zu unsicher“, wandte Kresser ein. „Es gibt nicht viele Frachter mit der typischen Form der Glennrose, die für eine Atmosphärelandung geeignet sind. Alle Daten der Glennrose, zumindest die offiziell bekannten, befinden sich im zentralen Schiffsregister des Direktorats auf dem Mars. Das bedeutet, dass jeder Raumhafen und jede Station diese Daten mit dem nächsten Update wieder empfängt. Das Risiko, dass wir erkannt werden, ist zu hoch.“

„Trotzdem hat Mister Sloan nicht ganz Unrecht.“ Anderson strich unbewusst über sein Oberlippenbärtchen. „Eine Kolonie wäre ein gutes Versteck. Aber es müsste eine sehr kleine Kolonie sein, die wir mit unseren paar Leuten hundertprozentig kontrollieren können. Am Besten eine, die erst neu gegründet wurde und noch nicht in den interstellaren Handel eingebunden ist, weil sie noch keine Waren zu bieten hat.“

Susan Horn lachte leise. „Bei der derzeitigen Kolonisationswelle dürfte es kein Problem sein, so eine Kolonie zu finden. Seit der Einführung des Nullzeit-Antriebs gibt es doch jede Menge Spinner und Abenteurer, die sich eine eigene kleine Welt suchen.“

„Ausgezeichnet, Erste“, lobte Anderson. „Seien Sie doch so freundlich, und suchen Sie in unserer Datenbank nach einem geeigneten Objekt.“

Kapitel 2 Das Feld der Hoffnung

Greenland-Kolonie, Farm außerhalb der Hauptstadt Sanktum

Es gab immer wieder Menschen, die der Tatsache überdrüssig waren, wie sehr ihr Leben von der Technik bestimmt und von ihr abhängig war. Die es nicht schätzten, dass intelligente Haushaltsgeräte und andere Hilfsmittel über alle Einzelheiten ihres Privatlebens informiert waren und dies nutzten, um Dienstleistungen noch zielgerichteter an den Kunden zu bringen. Diese Menschen waren nicht unbedingt Technikverweigerer, doch sie standen ihr mit Skepsis gegenüber und fragten sich, ob grenzenloser Service denn unbedingt die Aufgabe des Privatlebens wert sei. Vor Beginn der interstellaren Raumfahrt war es nahezu unmöglich gewesen, sich der Allgegenwart der Technik zu entziehen, doch nun, im Zeitalter des Hiromata-Nullzeitantriebs, war dies anders.

Die Gruppe der sogenannten „Greener“ waren keineswegs Sektierer, welche Technik mit fanatischem Eifer verurteilten, doch sie wollten ein Leben führen, in dem sie selbst bestimmten, wie viel Technik sie zuließen. John Winkler, Begründer der Greener-Bewegung, konnte ein paar hundert Menschen für seine Idee begeistern, eine eigene Welt zu finden und zu besiedeln. Immer mehr bewohnbare Planeten und Monde wurden beim Direktorat registriert und den Greenern gelang es, die Rechte an einer kleinen erdähnlichen Welt zu erhalten. Man konnte nicht genug Geld aufbringen, um ein richtiges Kolonistenschiff zu erwerben, daher mieteten die Greener eines der für Nullzeit ausgerüsteten FLVs, die im Privatbesitz waren und die als Shuttles zwischen den Sternen hin und her eilten. Die „Fast Landing Vehicles“ waren für die Sky-Navy und ihre Sky-Trooper als schnelle Landungsboote entwickelt worden. Inzwischen waren viele aus dem Dienst ausgemustert und für zivile Zwecke umgerüstet worden. Eines dieser fünfzig Meter langen Raumboote brachte die Greener zu ihrer neuen Welt. Zwanzig Flüge waren erforderlich, um die neuen Kolonisten, ihre Ausrüstung und ihre Vorräte, auf die Oberfläche zu bringen. Mit dem letzten Pendelflug verschwand das FLV am Himmel und würde für lange Zeit das letzte Raumfahrzeug sein, welches die Greener zu Gesicht bekamen.

John Winkler und seine Gemeinschaft tauften ihre Welt auf den naheliegenden Namen „Greenland“ und die Stadt, die sie hier gründeten, „Sanktum“. Für sie alle sollte dies der Neubeginn einer selbstbestimmten Existenz sein, in der sie mit der Natur und nicht gegen sie leben würden.

Es war das sechste Jahr der Besiedelung und Farmer Bernd Rau ging mit langsamen Schritten zwischen den Furchen seines Ackers entlang. Er gehörte zu jenen Kolonisten, die etwas vom Ackerbau verstanden. Der Ursprung seiner Familie lag im ehemaligen Nationalstaat Europa auf der alten Erde, die man aufgrund der Umweltzerstörungen hatte verlassen müssen. Inzwischen erholte sich der geschundene Planet, aber die Menschheit fand ihre neue Heimat auf dem Mars und in fernen Sternensystemen. Es gab keine Bestrebungen die Erde erneut zu besiedeln. Doch das Wissen von der alten Erde war erhalten geblieben, vor allem in der Familie von Bernd Rau, dessen Vorfahren bis zuletzt die „Früchte der Erde“ aus den Krumen der Äcker geholt hatten. Aus Böden, die längst ausgelaugt waren und kaum noch Ertrag brachten.

Der Boden auf Greenland war fruchtbar. Bernd hatte ihn mit seinen eigenen Sinnen geprüft. Die dunkle Erde in der Hand gehalten, sie zwischen den Fingern zerkrümelt, daran gerochen und sie geschmeckt. Es war guter Boden, bestens geeignet um Feldfrüchte zu ziehen.

Die Greener begingen nicht den Fehler planetenfremde Arten einzuführen. Sie lebten die ersten Jahre von ihren mitgebrachten Vorräten und studierten währenddessen die Pflanzen- und Tierwelt der neuen Heimat. Der Planet war von einem Forschungsschiff des Direktorats kartiert und einem Wissenschaftlerteam untersucht worden. Bei dieser Expedition waren keine gefährlichen Krankheitserreger entdeckt worden, aber die Tier- und Pflanzenwelt hielten einige Gefahren bereit. Da jedoch atmosphärische Zusammensetzung und Luftdruck den menschlichen Erfordernissen entsprachen und man keine intelligenten Bewohner entdeckte, gab man den Planeten zur Besiedlung frei.

Die Greener mussten ihre neue Welt nun im Detail erkunden. Notgedrungen beschränkten sie sich zunächst auf einen relativ kleinen Bereich, denn ihre Mittel waren begrenzt. Vor allem galt es festzustellen, welche Pflanzen und Tiere nutzbar oder gefährlich waren. Auch wenn die Anhänger von John Winkler mit der Natur leben und möglichst wenig Technik benutzen wollten, so waren sie doch längst keine Narren. Sie besaßen ein kompaktes Hochleistungslabor, eine Reihe tragbarer Analysegeräte und neben diversen Werkzeugen auch zwei Dutzend wirksamer Waffen.

Die Greener lernten auf die harte Tour, dass die Beeren des Braan-Strauches sehr schmackhaft waren, die Berührung der Blätter hingegen eine üble allergische Reaktion auslöste. Die gefährlich aussehenden Scheck-Bären erwiesen sich als scheu und harmlos, die niedlichen Fellschleicher hingegen als gefährliche und angriffslustige Plage. Als mehrere Kinder von Rudeln angegriffen wurden, warfen die Siedler einen ihrer Grundsätze über Bord und rotteten die Tiere in der Umgebung von Sanktum ohne Erbarmen aus.

Eine dem Rind ähnliche Rasse erwies sich als Glücksfall. Die Tiere besaßen vier schlanke Vorderläufe und ein paar muskulöser Hinterbeine, dazu ein einzelnes Horn auf der Stirn, welches sich in sechs unregelmäßige Enden teilte, an denen man die einzelnen Individuen einer Gruppe gut unterscheiden konnte. Die Herdentiere ließen sich willig domestizieren, waren Lieferanten eines milchähnlichen Saftes, vorzügliche Zug- und Gespanntiere und lieferten, in den seltenen Fällen ihrer Schlachtung, ein vorzügliches Fleisch.

Der Schwerpunkt der Ernährung beruhte jedoch eindeutig auf pflanzlicher Basis und hier stießen die Greener auf ein unerwartetes Problem. Zwar gab es eine ganze Reihe guter Vitaminträger, doch es fehlte dem menschlichen Organismus ein Enzym, um sich diese Vitamine nutzbar zu machen. Das Labor lieferte ein Nahrungsergänzungsmittel, doch das konnte nur eine vorübergehende Lösung sein, denn die Kolonie sollte ja wachsen und die Kapazitäten zur künstlichen Herstellung des Enzyms waren beschränkt.

Bernd Rau hoffte zu der endgültigen Lösung beizutragen. In einer der wöchentlichen Versammlungen, die es in der Stadthalle der Siedlung gab, hatte Doktor Rickles erklärt, dass die Braunbeere das erforderliche Enzym beinhaltete, wenn auch in sehr bescheidenem Ausmaß. Diese Information rief gemischte Gefühle hervor. Erleichterung, dass es eine natürliche Quelle des Enzyms gab und zugleich Enttäuschung, denn ausgerechnet die Braunbeere hatte einen ausgeprägt widerlichen Geschmack.

Bernd hatte sich der ältesten Methode der Genmanipulation erinnert, die so viele Jahrhunderte auf der Erde praktiziert wurde: Das Pfropfen. Dabei wurde der Stamm einer Pflanze eingekerbt und der Trieb einer anderen an jene Stelle eingefügt, in der Hoffung, das beides miteinander verwuchs und ein Hybrid entstand, der Eigenschaften beider Pflanzen in sich vereinte. Auf der Erde waren so zahllose Obst- und Kartoffelsorten entstanden.

Bernd hatte vor zwei Jahren die Triebe von Braunbeeren mit jener Kartoffelsorte kombiniert, die auf Greenland heimisch war. Im vergangenen Jahr brachte er die erste kleine Ernte ein. Die von ihm benannte „Bertoffel“ war kein Genuss, löste beim Essen aber wenigstens keinen spontanen Brechreiz aus. Er war somit auf dem richtigen Weg und so hatte er bei der letzten Aussaat eine dritte Pflanze hinzugefügt.

Jetzt stand die diesjährige Ernte unmittelbar bevor und der Farmer inspizierte den Acker, auf dem seine Hoffnung beruhte, mit freudiger Erwartung und zugleich Skepsis. Bernd bückte sich und betastete die kleinen Erhebungen innerhalb einer der Furchen. Die Kolonie brauchte die Vitaminfrucht als wichtige Nahrungsergänzung und er wiederum brauchte die Einnahmen aus dem Verkauf. Vor einigen Tagen hatte er ein paar der ersten reifen Exemplare an das Labor der Stadt geschickt und rechnete jederzeit mit den Ergebnissen.

Er richtete sich seufzend auf und warf einen Rundblick über seine kleine Farm, die ein Stück außerhalb von Sanktum lag.

John Winkler hatte eine fast zweihundert Kilometer durchmessende Ebene zur Gründung von Sanktum ausgewählt. Es gab zwei große Flüsse und mehrere Bachläufe, ausgedehnte Wälder und weite Ebenen, die sich für Ackerbau und Viehzucht eigneten. Vor allem jedoch gab es ein ringförmiges Gebirge, mit nur wenigen Schluchten und Pässen, die eine Verbindung zum Rest des Planeten herstellten. Wahrscheinlich lag die Siedlung inmitten eines Vulkankraters, der vor Millionen von Jahren entstanden und inzwischen aufgefüllt war. Ein natürlicher Wall und Schutz, denn noch wusste man nicht genau, welche Gefahren die neue Welt zu bieten hatte. Die Stadt lag in der Nähe des westlichen Gebirgsrandes.

 

Bernd Rau hatte die Farm rund zwanzig Kilometer westlich von Sanktum angelegt. An einem ganz sanft ansteigenden Hang, der fast den gesamten Tag über Sonne garantierte. Bernd war dankbar für die Wahl der Lage der Stadt, denn mit vulkanischem Boden vermischte Erde war stets besonders fruchtbar.

Die Farm bestand aus dem kleinen Haus für die kleine Familie, einer großen Scheune für die Geräte und einem auf kurzen Säulen stehenden langgestreckten Silo für die eingebrachte Ernte. Wie auf vielen anderen Welten bewährte sich der „Hochbau“ auf Stelzen, der auf Greenland mit gebrannten Ziegeln durchgeführt wurde. Auf diese Weise wurden manche Nager und einige der teilweise faustgroßen Insekten von Greenland daran gehindert, sich an den Erträgen der Farm gütlich zu tun. Einen weiteren Schutz vor Schädlingen boten ausgerechnet die Beeren des Braan-Strauches oder vielmehr deren Saft. Vermied man den direkten Kontakt mit den allergieauslösenden Früchten und verrieb ihren Saft an den Ziegeln der stützenden Unterbauten, so wirkte dieser offensichtlich abschreckend.

Die Gebäude auf Greenland standen allesamt auf diesen kurzen Stützen und verfügten daher über keine Kellerräume. Auf den Ziegeln lag eine Platte aus Plas-Beton, über welcher dann der eigentliche Bau aus Holz errichtet war. Die einzigen Bauwerke mit Räumen zu ebener Erde waren bislang die Rettungs- und die Polizei-Wache der Constables. Vielleicht würde sich dies ändern, wenn man eine zuverlässige Abschreckung für alle Schädlinge entdeckt hatte.

Bernd Rau hatte, wie alle Siedler auf Greenland, großzügig und für die Zukunft geplant. Die Kolonie sollte wachsen und musste dies auch, sollte sie überlebensfähig sein. Knapp eintausend Menschen waren auf dem Planeten gelandet und innerhalb von nur fünf Jahren war ihre Zahl auf fünfzehnhundert angewachsen. Einige der Frauen waren schon während der Ankunft schwanger gewesen, doch die weiblichen Siedler waren, gegenüber den männlichen, noch immer deutlich in der Unterzahl. Die Gemeinschaft war sich daher früh darüber im Klaren gewesen, dass für die nähere Zukunft nur die Drei-Ehe in Frage kam. Die meisten Frauen hatten daher einen Erst- und Zweit-Ehemann. Bernd war der Erst-Ehemann seiner Frau Kara und daher im besonderen Maße für sie verantwortlich. Er genoss das Privileg sie als seine Frau bezeichnen zu können und den Alltag mit ihr zu verbringen, womit er dafür Sorge tragen musste, dass sie und ihre Kinder ein Zuhause und eine gute Versorgung besaßen. Bernd und Kara hatten einen gemeinsamen Sohn, Jake, und Kara war erneut schwanger, diesmal allerdings mit dem Kind des Zweit-Ehemannes Raul. Entsprechend war das Haus für künftige Kinder geplant und diesen das gesamte Dachgeschoss vorbehalten.

Die drei Gebäude standen im offenen Geviert, die Öffnung dem Tal und der Stadt zugewandt. Man konnte Sanktum nicht direkt sehen, da ein Waldstück dazwischen lag, aber jenseits der Bäume stiegen an einigen Stellen dünne Rauchfahnen empor. Viele Siedler kochten und heizten noch mit Holz, da es derzeit noch nicht genug Solar- und Windkraftanlagen gab. Die beiden Getreidemühlen am Ufer des kleinen Flusses, der an Sanktum vorbei floss, nutzten hingegen die Wasserkraft und speisten den überzähligen Strom in das Netz der Siedlung.

Bernd störte es nicht, dass Kara das Kind eines anderen Mannes unter dem Herzen trug. Es war eine absolute Notwendigkeit, denn ohne genetische Vielfalt würde es in der Kolonie rasch zu degenerativen Problemen kommen. Die Greenlander verfügten daher zusätzlich über eine genetische Bank mit einigen zehntausend Samenspenden, auf die man gegebenenfalls zurückgreifen konnte. Die meisten besaßen jedoch eine gewisse Affinität gegenüber künstlicher Befruchtung und bevorzugten, wohl auch aus gewissen angenehmeren Gründen, die natürliche Zeugung. Da die Gemeinschaft die Regeln hierfür schon auf dem Mars festgelegt hatte, gab es bislang keinerlei Unstimmigkeiten.

Der Farmer sah zur Veranda des Hauses hinüber. Kara, deren Bauch sich schon sichtlich rundete, hing dort Wäsche auf. Der siebzehnjährige Jake machte Handreichungen und wirkte ein wenig genervt. Bernd wusste dass sein Sohn sich mit einigen Freunden treffen wollte, doch die Arbeit auf der Farm und die Hausarbeit gingen vor. Wie ungeduldig Jake war, erkannte Bernd an der Tatsache, dass er seinen Gehgürtel bereits umgeschnallt hatte.

Kein Greenlander verließ das Haus ohne diesen breiten Gürtel, an dem sich ein Erste-Hilfe-Set, ein einfaches Funksprechgerät und eine nicht tödliche E-Pistole befanden. Letztere verschoss mit Hilfe von Luftdruck elektrisch geladene Kugeln. Die Elektro-Pistole benötigte einige wenige Sekunden um die Ladung aufzubauen. Versagte sie ihren Dient, dann blieb nur die Hoffnung, rechtzeitig ein schützendes Gebäude zu erreichen. In der Regel genügten sie, um die wenigen Raubtiere zu vertreiben, aber es hatte auch drei tödliche Angriffe gegeben. In solchen Fällen rückten die Jäcker und die Constabler der kleinen Polizeiwache aus, denn hatte ein Raubtier einmal begriffen, wie leicht sich ein Mensch töten ließ, dann wurde es zu einer großen Gefahr.

Insgesamt waren die Greenlander bislang glimpflich davongekommen. Krankheiten, Raubtiere und Unfälle hatten in den vergangenen fünf Jahren zu insgesamt siebenundfünfzig Todesopfern geführt. Jeder Einzelne war ein Verlust, aber die Eroberung einer neuen Welt verlief niemals ohne Opfer.

Bernd Rau gönnte sich die Zeit, Kara und Jake ein paar Minuten zu beobachten. Die letzten Jahre waren natürlich nicht leicht gewesen, aber keiner von ihnen hatte es bislang bereut, den Mars verlassen zu haben. Bernd war der festen Überzeugung, dass die moderne Technik die Gesellschaft entmenschlichte. In Mars-Central kannte doch kaum jemand seinen Nachbarn. Hier, auf Greenland, war das anders. Allerdings mochte sich das ändern wenn die Kolonie wuchs und immer mehr Menschen in ihr lebten. Irgendwann wurde man in jeder Masse anonym. Doch bis dahin würde es noch viele Jahrzehnte dauern. Auf Greenland kannte man sich und half sich gegenseitig. Morgen würden ein paar Siedler kommen und Bernd bei der Ernte helfen, ebenso wie er ihnen zur Hand ging, wenn ihre Felder so weit waren.

Bernd sah wie sein Sohn ans Funkgerät langte und ein kurzes Gespräch führte. Dann blickte Jake zu ihm herüber. „Bernd!“

Bernd Rau seufzte. Es war eine Folge der Familienpolitik auf Greenland, dass ein Kind seinen Vater niemals Vater nannte. Jedes Kind hatte nur eine Mutter, jedoch gleich mehrere Väter, um keinen der Ehemänner zu diskriminieren. Bernd mochte die Notwendigkeit akzeptieren, doch ein traditioneller Teil seiner Seele empfand einen leichten Schmerz, dass er für seinen leiblichen Sohn stets nur „Bernd“ sein würde. „Was gibt es, Jake? Probleme?“

Jeder Siedler besaß diese einfachen Funkgeräte, die nur zur Sprachübermittlung geeignet waren. Die Gemeinschaft hatte sich für ihre Anschaffung entschieden, da sie preiswert, robust und leicht zu reparieren waren. Die hochtechnischen Ressourcen in Sanktum waren knapp und nur wenigen vorbehalten.

Jake kam die Stufen der Veranda herab. „Frederic hat angerufen. Er hat einen Scheck-Bären in seiner Obstplantage. Einen alten Einzelgänger. Eine Pflückerin wurde angegriffen und schwer verletzt. Die Constables und Jäger sind schon auf dem Weg. Wir sollen die Augen offen halten. Der Bär ist in unsere Richtung gelaufen und er soll verletzt sein.“

„Verdammt.“ Bernds Gedanken überschlugen sich. „Ins Haus, sofort!“, rief er den beiden zu. Er sah dass Jake an seiner Elektro-Pistole fingerte. „Vergiss, die verdammte Pistole, Jake! Ein verletzter Scheck-Bär ist unberechenbar! Verschwindet ins Haus!“