Süßer die Schellen nie klingen!

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Der mittelalterliche Weihnachtsmarkt

„Aber nach Karlsruhe fahren wir heute nicht“, sagt Natalie, als ich sie in meine Pläne einweihe, „dann müssten wir ja wieder an der schrecklichen Stelle vorbei.“

„Aber nein“, kann ich sie beruhigen, „wir nehmen heute auch nicht den Zug. Ich würde sagen, wir fahren heute einfach mit dem Auto nach Sankt Wendel, dort ist ein mittelalterlicher Weihnachtsmarkt.“

Damit kann ich bei der ganzen Familie punkten. So fahren wir zusammen in das saarländische Städtchen, während die Schneeflocken weiter vom Himmel tanzen.

Auf dem wunderschönen Markt vergnügen wir uns vorzüglich. Da sind die mittelalterlich gekleideten Händler, die ganz außergewöhnliche Dinge, wie Langgürtel mit den passenden Taschen oder Schwerter und Dolche anbieten. Dann präsentieren sich auch Handwerker, welchen wir auf die Finger schauen können. In den vielen Mitmachwerkstätten schmiedet sich Maik sein eigenes Messer aus einem Stück Roheisen und Quenni filzt sich einen kleinen Weihnachtsmann. Es ist einfach schön, die Familie so happy zu sehen.

Nun bleiben wir vor der Bühne stehen, auf der mittelalterliche Musik geboten wird. Sehr beeindruckend, dass die Dudelsackbläser trotz der Kälte mit ihrem Kilt und nackten Knien am Musizieren sind.

Auf einem freien Platz, nur ein kleines Stück weiter, zeigt ein Zauberer sein Können. Schwuppdiwupp lässt er einen meiner Euros, was er allerdings Goldrandtaler nennt, in seiner Hand verschwinden, um ihn dann hinter Maiks Ohr wieder erscheinen zu lassen.

Als nächstes zieht uns ein Gaukler in seinen Bann. Sehr geschickt jongliert er mit drei Möhren, anschließend zeigt er allerhand Tricks mit leuchtenden Kugeln. Zum Schluss seiner Show schluckt er auch noch einen Säbel, wobei ihm Natalie nicht zuschauen kann, da sie Angst hat, er würde sich dabei verletzen.

Bei solch einer guten Unterhaltung vergessen wir total die Zeit und so ist es schon deutlich nach zweiundzwanzig Uhr, als wir wieder zum Auto laufen. Der Schneefall hat etwas nachgelassen und am Himmel kann man vereinzelt ein paar Sterne erkennen.

So fahren wir auf der A62 der Heimat entgegen. Bei Thaleischweiler-Fröschen verlassen wir die Autobahn, um über die L497 die ländliche Route zur B10 in Richtung Landau zu nehmen. Kaum bin ich von der Autobahn runter, haben wir die gewaltige Brücke vor uns, die wir soeben noch überfahren haben.

„Schau mal!“, ruft Maik plötzlich von der Rückbank. „Da fliegt ein Müllsack von der Brücke.“

Im gleichen Moment sehe ich auch etwas, das auf dem Boden aufschlägt. Allerdings war die Fallgeschwindigkeit für einen banalen Müllsack deutlich zu hoch. Instinktiv halte ich an, um nachzusehen, was dies war. Mein Bauchgefühl lässt mich meine Familie beschwören, auf jeden Fall im Auto sitzen zu bleiben. Ich lasse auch den Motor laufen, damit sie es schön warm haben.

Während ich die große Taschenlampe aus dem Kofferraum hole, damit ich nicht wie gestern mit dem Handy leuchten muss, spielt das Radio weiter unsere Twisted-Sister-Weihnachts-CD. Hinter einer Dornenhecke liegt ein großes Stück Brachland, auf dem man in der dünnen Schneedecke auch gleich den dunklen Fleck ausmachen kann. Schon von hier aus kann ich erkennen, dass es sich dabei keineswegs um eine Mülltüte handelt. Was da ein paar Meter von mir entfernt liegt, ist ein menschlicher Körper. Nun hole ich doch mein Handy heraus und wähle einfach die eins eins null. Ich will ja nicht schon wieder Timo aus seinem verdienten Feierabend holen und an den Anblick einer Leiche gewöhne ich mich allmählich auch, so traurig es klingt.

Da ich in meiner Laufbahn reichlich von diesen Notrufen entgegengenommen habe, gebe ich routiniert alles durch, was die Pirmasenser Kollegen wissen müssen. Nun schau ich mir den Leichnam etwas genauer an. Schon wieder ein Farbiger. Komisch, wieso finde ich nur farbige Selbstmörder? Bei diesem stehen die Gliedmaßen in alle erdenklichen Richtungen vom Körper ab. Sieht schon grauslich aus, so eine Leiche mit dem Bein gleich neben dem Ohr. Der Mann scheint nicht sehr groß gewesen zu sein, könnte aber auch sein, dass der Körper beim Aufprall zusammengestaucht wurde. Dies sind alles schon wieder Bilder, auf die ich getrost verzichten könnte.

Da ich hier nichts mehr ausrichten kann, gehe ich zum Auto zurück, in dem meine Kinder das Radio auf volle Lautstärke gedreht haben. »Let it snow« gröhlt Dee Snider, der Twisted Sister Sänger mit der blonden Mähne aus den Lautsprechern. »Lass es schneien«, denke ich mir auch, damit der grausige Anblick hinter der Hecke überdeckt wird. Ich weiß zwar nicht was, aber irgendetwas zieht mich wieder dorthin. Aus irgendeinem Grund muss ich noch einmal nachschauen und wie ich da stehe, muss ich feststellen, dass hier tatsächlich etwas nicht stimmt. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht. Nur, was da nicht stimmt, kann ich nicht sagen. Es wird mir hoffentlich noch einfallen. Vielleicht fällt es auch einem der Kollegen auf, die jetzt mit reichlich Tatütata angefahren kommen. Ich gehe zur Straße, um die Herren in Empfang zu nehmen.

Kaum bin ich beim Auto angekommen, steht auch schon Natalie an meiner Seite und fragt mich aufgebracht: „Dieter, was hat das denn schon wieder zu bedeuten?“

„Nichts was du wirklich wissen willst, mein Schatz“, gebe ich ihr wahrheitsgemäß zur Antwort, denn eins habe ich in meinem Leben gelernt, belüge niemals deine Frau.

„Nicht schon wieder?“, sagt diese mit entsetztem Blick.

„Doch schon wieder!“, erwidere ich meiner Gattin mit einem Nicken.

„Und was soll ich nun den Kindern erzählen?“, will sie nun wissen.

„Erzähle ihnen doch irgendwas, zum Beispiel, dass in dem Müllsack irgendein Giftmüll wäre oder so.“

Dee Snider singt inzwischen »Home for Christmas« und ich hoffe auch, dass ich noch vor Weihnachten zu Hause bin. Mir macht es zumindest keinen Spaß, täglich eine Leiche zu finden. Am besten, ich verlasse das Haus nicht mehr.

„Haben Sie den Leichnam entdeckt?“, spricht mich der erste uniformierte Beamte an, der umständlich aus einem Streifenwagen klettert.

„Ich wünsch Ihnen ebenfalls einen wunderschönen Abend“, sag ich provokativ, um den Kollegen auf seine Unfreundlichkeit aufmerksam zu machen. „Ja, ich habe die Polizei per Notruf alarmiert.“

„Und wo liegt der Kadaver?“, vergreift sich der Mann immer mehr im Ton. Das ist in meinen Augen ein Mensch wie jeder andere, nur, dass er eben tot ist. Ob man so jemanden auch als Kadaver bezeichnet, entzieht sich meiner Kenntnis, aber ich bin der Meinung, dass dieser Begriff ausschließlich für die Tierwelt bestimmt ist.

Nichtsdestotrotz führe ich die Herren am Dornenstrauch vorbei zum Fundort. Die Polizisten fangen auch gleich damit an, die Leiche nach Papieren abzutasten.

„Moment“, sage ich, „kommt da nicht erst einmal die Spurensicherung? Schließlich beinhaltet das Wort Selbstmord ja auch das Wort Mord.“

„Was sind denn Sie für ein Klugscheißer?“, meint der unfreundliche Mann von vorhin.

Nun hole ich meinen Dienstausweis aus der Tasche und sag wie automatisch: „Ich bin Kriminaloberkommissar Dieter Schlempert und ich verlange, dass hier zumindest alles ordentlich fotografiert wird.“

„Der Schlempert?“, blafft er mir entgegen. „Der von Neustadt? Mit Verlaub, aber Ihren Namen kann ich nicht mehr hören! Er hängt mir sogar zum Hals heraus, der Name. Bei uns auf der Dienststelle heißt es immerzu: »Warum läuft das beim Schlempert und bei uns nicht? Schlempert hinten, Schlempert vorne, Schlempert, Schlempert, Schlempert!« Mein Chef scheint ganz vernarrt in Sie zu sein.“ Nun wendet er sich seinen Kameraden zu und ruft: „Ihr habt gehört, was der Oberkommissar Schlempert gesagt hat, ihr macht jetzt erst einmal Bilder und das aus allen erdenklichen Richtungen!“ Nun dreht er sich wieder zu mir und meint: „Recht so, Herr Schlempert?“

„Schon viel besser! Habt ihr auch schon oben auf der Brücke an der Absprungstelle nachgeschaut, ob es da etwas zu sehen gibt?“

Abermals dreht sich der Mann seinen Kollegen zu und ruft: „Schuncke und Schmadke, ihr zwei fahrt mal hoch auf die Brücke und schaut, ob es da etwas zu sehen gibt.“

„Können Sie mir erklären, weshalb Sie ihren Job so lustlos ausführen?“, spreche ich jetzt den Mann direkt auf sein Fehlverhalten an.

„Lustlos?“, ist er nun verblüfft. „Ich hab einfach keinen Bock mehr, alle paar Tage hierherzufahren und einen Fleischberg zusammenzukratzen. In meinem nächsten Leben mach ich hier unter der Brücke ein Bestattungsunternehmen auf. Das wäre sozusagen eine Lizenz zum Gelddrucken.“

Dabei fällt mir doch gleich der Korbinian Jansen ein Straßenbauingenieur ein, der auch bei Annweiler eine gewaltige Hochtrasse bauen lassen möchte, um den B10-Ausbau so umweltverträglich, als nur möglich zu gestalten. Witzig dabei ist nur, dass ein Umweltverband, die »Initiative zum Erhalt vom Pfälzer Wald«, vor einem Suizid-Tourismus gewarnt hat. Dass es so etwas gibt, hatte ich bisher nicht geglaubt. Hier scheint es jedoch tatsächlich so etwas zu geben.

Dann hätten wir das auch geklärt. Wenn ich nun noch wüsste, was hier nicht zusammenpasst. Aber auch dies wird mir noch einfallen.

Nun, wo sich die Aufregung gelegt hat, beginne ich zu frieren. Zudem müssen die Kinder morgen zur Schule und da ist es nicht ratsam, dass sie nun kurz vor Mitternacht noch im Auto sitzen und mit Twisted Sister zusammen Weihnachtslieder grölen.

So vergewissere ich mich noch, dass die Leiche ordnungsgemäß bei der Pathologie untergebracht wird und trete dann den Heimweg an. Meine Kinder sind fröhlich, meine Frau besorgt und ich in Gedanken. Mit diesen unterschiedlichen Stimmungen kommen wir daheim an und klettern in unsere Betten.

 

Was stimmt hier nicht?

Tatsächlich scheine ich mich an entstellte Leichen zu gewöhnen. Zumindest habe ich die letzte Nacht gut geschlafen, ohne Alpträume zu haben. Gut, der Anblick der Leiche gestern Abend war ja auch nicht so unappetitlich, wie der von vorgestern. Allerdings, bei der gestrigen Leiche war etwas außergewöhnlich. Es gibt da etwas, das mich stört und mich nicht loslässt. Ich schaue mal im Netzwerk nach, ob der Kollege »Unfreundlich« schon einen Bericht verfasst hat. Das ist einer der Vorteile der modernen Zeit. Früher musste man noch Akten anfordern und sich dann hindurchkämpfen, heute geht so etwas mit ein paar Mausklicks.

Allerdings ist im polizeiinternen Netz noch nichts zu finden, was ja auch nicht verwunderlich ist, immerhin haben wir noch frühen Morgen und der Kollege wird sich sicher nicht in der Nacht noch an den Schreibkram gemacht haben.

So wende ich mich eben wieder der Einbruchserie zu. Insgesamt dreihundertachtzigtausend Euro Bargeld haben die drei inzwischen gestohlen. Dazu noch einmal den doppelten Wert an Schmuck und Edelmetall. Zusammen ist das ja schon eine satte Million. Fast täglich haben sie einen Überfall begangen, allerdings ohne erkennbares Muster, sodass wir bisher keine Präventivmaßnahmen ergreifen konnten.

Was allerdings auffällt, ist, dass die Überfälle vor drei Tagen aufgehört haben. Vielleicht ist es eine Gangsterbande, die nun weitergezogen ist. Oder sie machen einfach einmal ein paar Tage Urlaub. Kann ja schon sehr anstrengend sein, so ein Gangsterleben.

Dass sie in Rente gegangen sind, kann ich mir kaum vorstellen, denn die Beute, geteilt durch drei, das reicht noch nicht, um sich zur Ruhe zu setzen.

Ich lasse meine Leute noch einmal genau schauen, ob es nicht doch irgendein Muster gibt, nach dem die Bande vorgeht.

Ich selbst wähle mal wieder die Nummer von der Karlsruher Pathologie, obwohl ich mir dabei denken kann, dass der Hansi wieder einen blöden Spruch für mich auf den Lippen hat.

„Kräuterpastillen-Fabrik, Sie sprechen mit dem Hansi“, trällert er mir entgegen und ich verfluche den Tag, an dem die Telefone erfunden wurden, auf deren Display man sehen kann, wer gerade anruft.

„Mensch Hansi, du alter Kindskopf“, kommentiere ich seine blöde Art sich zu melden, „wirst du je erwachsen?“

„Ach der Oberkommissar Schlempert von der Neustadter Polizei, was verschafft mir die außerordentliche Ehre Ihres Anrufs?“, fragt er nun und kommt sich dabei auch noch komisch vor. Wahrscheinlich würde ich auch auf solch ein niederes Niveau sinken, wenn ich den ganzen Tag mit einem Haufen Leichen im Keller hocken würde.

„Ich habe dir gestern doch noch eine Leiche schicken lassen, kannst du mir zu der schon was sagen?“

„Ne Dieter, gestern kam keine rein, da musst du etwas verwechseln. Die letzte hast du mir vorgestern geschickt und die musste ich auch zuerst einmal zusammenpuzzeln.“

„Nicht der Mann vom Zug“, kläre ich nun den Hansi auf, „ich meine den, der gestern Abend bei Thaleischweiler-Fröschen von der Brücke gesprungen ist.“

„Thaleischweiler-Fröschen? Liegt das nicht bei Pirmasens? Das ist doch schon der Hinterwald“, und schon hat er wieder einen seiner Lachanfälle, „da bin ich nicht zuständig. Da musst du in Kaiserslautern nachfragen, die sind da zuständig.“

Kaiserslautern also. Ich bedanke mich vorerst bei Hansi und suche mir die Nummer der Kaiserslauterer Pathologie heraus.

Kaum gewählt kommt: „Pathologie Claus“, aus dem Hörer, ohne dass ich weiß, ob nun Claus der Vor- oder der Nachname meines Gesprächspartners ist.

„Grüß Sie Gott, Herr Claus“, sag ich mal, um die Form zu wahren und weiter komm ich nicht.

„Ja, Sie sind mir ja ein Spaßvogel“, tönt es nun empört aus der Hörmuschel, „ich habe hier den ganzen Keller voll von denen, die Gott bereits gegrüßt haben und das persönlich.“

Okay, meine Wortwahl war bei der Begrüßung wohl nicht die passendste, aber nun ist es eben draußen und so bleibt mir nichts anderes übrig, als weiterzusprechen: „Mein Name ist Dieter Schlempert von der Neustadter Polizei. Ich habe gestern die Leiche unter der Brücke gefunden.“

Wieder unterbricht mich Claus rüde: „Ach Ihnen habe ich den zu verdanken. Ich habe hier das halbe Kühlhaus voll von denen, die dort runtergesprungen sind. Vielen Danke dafür.“

Nun wird es mir aber zu bunt: „Hören Sie mal, Herr Claus, ich habe den Mann doch nur gefunden und nicht dort hinuntergestoßen. Ich hatte nur das Gefühl, dass irgendetwas nicht gestimmt hat und wollte deshalb mal nachfragen, ob Ihnen bei der Leiche etwas Außergewöhnliches aufgefallen ist.“

„Na, davon abgesehen, dass fast alle Knochen gebrochen sind und er ein schweres Schädeltrauma hat, war alles normal.“

Also, wenn die in Kaiserslautern alle so nett miteinander umgehen, bin ich froh, hier in Neustadt zu sein. Da ich nicht das Gefühl habe, mit dem Claus ein vernünftiges Gespräch führen zu können, leg ich nun einfach auf. Dann schicke ich eben ein Mail an den Hansi, soll er sich den Autopsiebericht zumailen lassen, um ihn nach Unregelmäßigkeiten zu durchforsten.

So, nun gehe ich runter ins Erdgeschoss und hole mir einen schönen Filterkaffee. Hier oben steht nur so eine moderne Pad-Maschine, aus der ich zwar aus zwölf verschiedenen Sorten mein Traumgetränk wählen kann, doch an den Filterkaffee von unten kommt keine der vielen Sorten ran.

„Ei gugge mo do, de Schlembert“ (Schau mal einer an, der Herr Dienststellenleiter ist ja auch anwesend), grölt mir munter ein mir wohlbekannter Handwerker entgegen. Den kenn ich bereits aus den Zeiten, als ich in Landau noch ein kleines Dreimannteam leitete. Um ganz präzise zu sein, es war ein Team mit zwei Männern und einer Frau. Das tut aber nun nichts zur Sache, auf jeden Fall hat er damals in der Polizeiwache ein solches Chaos angerichtet, dass das ganze Gebäude saniert werden musste. Nun steht er vor mir und möchte Konversation betreiben, was nicht ganz einfach ist, da er nur breitestes Pfälzisch redet und auch keine andere Sprache versteht.

„Was hoschen du schunn werrer bei uns se du?“ (Und welcher Umstand hat dich zu uns in die Dienststelle getrieben?), will ich wissen.

„Ah ehr hään doch unserm Lade de uffdrach gäwwe do än Uffzuch eisebaue.“ (In unsrer Firma ging ein Auftrag ein, hier einen Lift zu installieren.)

„Was Uffziech machen ehr ach, gäbs ach äbbes was ehr nid mache?“ (Selbst Lifte baut eure Firma ein? Gibt es denn eine Tätigkeit, der euer Haus nicht gewachsen ist?), bin ich verblüfft.

„Nä, nä mer machn alles meglich un ver Umegliches hämmer värzee Daach liwwerzeid“ (Den Möglichkeiten unseres Hauses sind keinerlei Grenzen gesetzt), gib er mir schlagfertig zurück und schüttelt sich vor Lachen. Bei der Gelegenheit fällt mir auf, dass sein Gebiss schon mehrere Lücken aufweist.

„Um wu widden dänne Uffzuch hiebaue?“ (Und wo ist der passende Ort um so einen Lift zu montieren?)

„Ah dess eschemo äh guudi Froch. Do hinn gehd äh mol ganix, wäschd, die Degge un die Wänd sinn all drachend“ (Im Innern des Gebäudes sehe ich keine Möglichkeit den Lift einzubauen, da wir ansonsten die statische Struktur des Grundgerüstes zu stark schwächen würden), mimt er nun den Fachmann.

„Un was mache mehr jezzart?“ (Hättest du mir denn noch eine Alternative anzubieten?), frag ich ein wenig verzweifelt. Es geht eben darum, das Gebäude behindertengerecht zu gestalten, um auch Laura in ihrem Rollstuhl zu ermöglichen, sich im Haus frei zu bewegen.

„Ah gans ähfach, denne häng ich dehr grad drause an die Fassad, do schderder nid un siet annoch scharf aus.“ (Ich würde eine Außenmontage empfehlen, was dem äußeren Erscheinungsbild des Gebäudes einen unvergleichlichen Touch verleihen würde.)

„Un wass muss de Schdeierzahler dodefor barabbe?“ (Und welche Kosten würden dann der Landesregierung auferlegt?)

„Ei jo, so achzich Mille wärd däs Ding schunn koschde, awwer däs brauchschd du jo nid aus deim Säggel se zahle“ (Mit achtzigtausend Euro ist der Lift auch schon bezahlt und es wird auch das schempertische Privatvermögen nicht belasten), und schon schüttelt sich der schmuddelige Kerl wieder vor Lachen.

„Achzichdausend Knibbel? Ich gläb dehr raasd de Blogger.“ (Liegt da sicher kein Irrtum vor? Dieser Preis kommt mir mehr als leicht erhöht vor.)

„Do kann ich doch nix devor, des Ding muss jo ach behinnerdegerächd sei.“ (Dass in einem öffentlichen Gebäude nur behindertengerechte Aufzüge erlaubt sind, ist Ihnen schon bekannt?)

„Un was esch annem behinnerdegerächde Fahrschduhl annerschder, wie an äm billiche?“ (Welche Anforderungen muss ein behindertengerechter Lift zusätzlich erfüllen?)

„Ah, do huggen die Knebb hald diefer und dann koschd des Ding hald ball des dobbelde.“ (Eine spezielle Bedieneinheit macht einen empfindlichen Preisunterschied.)

Die Erklärung reicht mir vollkommen. Dass sich hier die Hersteller auf die Kosten von Behinderten die Taschen füllen, ärgert mich ungemein. Nun hole ich endlich meinen Filterkaffe.

Als ich wieder im Büro bin, kann ich auf meinem Bildschirm das kleine Symbol erkennen, das mich über einen Maileingang informiert.

Der Absender ist ein Polizeiobermeister Scholl und der Anhang beinhaltet den Polizeibericht von dem gestrigen Brückensturz, samt einem Dutzend Bilder.

Die Bilder schaue ich mir zuerst an und schon wieder überkommt mich dieses Gefühl, dass da etwas nicht zusammenpasst.

Nun lese ich aufmerksam den Bericht. Am Fundort ist auch alles so beschrieben, wie ich es auch gestern vorgefunden habe. Interessant allerdings ist, dass der Springer mit dem Fahrrad gekommen wäre. Zumindest war am Absprungort eines abgestellt. Das passt doch auch nicht. Ich meine die A62 ist zwar auf der Brücke nur zweispurig ausgebaut, aber mit dem Fahrrad? Also mit dem Fahrrad, das kann ich mir nicht vorstellen. Vor allem bin ich fünf Minuten zuvor über die Brücke gefahren, da wäre mir doch sicher aufgefallen, wenn einer mit dem Fahrrad herumgekurvt wäre.

Aber ob das den Kollegen in Pirmasens ausreicht, um den Fall näher zu untersuchen? Ich versuche es einfach. Zum Glück steht die Durchwahl von dem Scholl im Bericht.

„Ja, Scholl, was gibt es?“, meldet sich der Kollege in der unfreundlichen Art, die ich schon gestern Abend erleben durfte.

„Die Polizeidienststelle Neustadt an der Weinstraße, hier spricht der Leiter Dieter Schlempert“, melde ich mich provokativ dienstlich, dass der nun auch einmal weiß, wie sich eine Begrüßung bei der Polizei anzuhören hat. Mein Gott, wenn das nur der Heuler erleben dürfte. »Na Schlempert, haben Sie nun auch mal gelernt, sich ordentlich zu melden«, würde dieser jetzt wohl sagen. Aber der ist zum Glück in der Nervenheilanstalt. „Ich hätte da ein paar Fragen zu Ihrem Bericht.“

„Was passt Ihnen denn jetzt schon wieder nicht?“, motzt der Polizeiobermeister weiter.

„Das Fahrrad. Ich meine, ich habe ein paar Minuten bevor der Mann geflogen kam die Brücke befahren. Denken Sie nicht, dass mir da ein Radfahrer aufgefallen wäre?“

„Es hat nun einmal da gestanden, was sollte ich da machen? Hätte ich es auch von der Brücke werfen sollen?“

„Ermittlungstechnisch untersuchen lassen“, motze ich nun zurück, „verpacken Sie es und geben es an die Spurensicherung weiter.“

Das sollte jetzt eine klare Ansage gewesen sein. In der Hoffnung, dass er sich auch daran hält, beende ich das Gespräch. Wenn das mit dem Scholl so weitergeht, muss ich mich doch einmal mit dem Pirmasenser Dienststellenleiter in Verbindung setzen.

Nun gibt es erst einen großen Schluck von dem guten Filterkaffee. Pfui Teufel, der ist natürlich inzwischen kalt.

„Hey Dieter“, macht mich nun Laura darauf aufmerksam, dass sie inzwischen mit ihrem Rollstuhl vor meinen Schreibtisch gerollt ist, „hast du nun so viel Langeweile, dass du auch noch die Fälle der Konkurrenz lösen willst?“

„Ach, mach ich das?“, fühle ich mich ertappt. „Aber es kann doch kein Zufall sein, dass sich zwei Farbige innerhalb von zwei Tagen vor meinen Augen umbringen.“

„Anscheinend kann das doch Zufall sein und nun kümmere dich bitte einmal um unseren Fall.“

Okay, sie hat ja recht, so grabe ich mich eben wieder in den Aktenberg. Immer wieder der graue Van, die hatten es noch nicht einmal nötig, das Auto zu wechseln. Nur die Kennzeichen waren jedes Mal andere, sofern die Nummern erkannt wurden. Alle gestohlen und alle seitdem nicht mehr aufgetaucht. Über den Hersteller des Vans haben wir auch keine genauen Angaben. Ein Zeuge meinte, dass es wohl ein Mercedes war, ein andrer glaubte einen Renault Espace gesehen zu haben. Der nächste meinte, dass es ein Ford gewesen sein könnte. Auf jeden Fall ein älteres Baujahr, darüber sind sich die Zeugen einig.

 

Aktiv war das Trio in Bad Dürkheim, in Weisenheim am Sand, in Landau sogar zweimal und so weiter. Sie haben ihre Opfer gewissenhaft ausgespäht und somit ganz gezielt zugeschlagen. Und zugeschlagen hatte auch immer der Größere, der auch gesprochen hat und dies ohne eine Spur von Rücksicht. Immerhin waren die Überfallenen alle schon jenseits der siebzig. Da sollte man ja schon mit etwas Feingefühl vorgehen, damit da keiner einen Herzinfarkt bekommt.

In einem Haus gab es sogar eine Videoüberwachung. Diese Aufnahme schaue ich mir noch einmal an, zum gefühlten einhundertsten Mal. Zu sehen sind die drei vermummten Gestalten, eine große und zwei kleine. Der Große haut dem Hausbesitzer eine rein und die beiden Kleinen schleppen den Wäschetrockner aus dem Haus. Nun schauen wir die Überwachungsvideos der Verkehrsüberwachungskameras der infrage kommenden Straßen durch. Aber auch da nichts. Jede Menge Mercedes, Fords und Renaults, aber nichts Auffälliges.

Das ist nicht meine Stärke, hier im Trüben zu fischen. Geduld ist sicher eine Tugend, aber sicher keine, die ich beherrsche. Ich glaube, dass dies meine Kollegen besser können als ich. Mir selbst würde es nun eher Spaß bereiten, wenn ganz überraschend das Telefon läutete, und welch eine Überraschung, just in diesem Moment läutet tatsächlich mein Telefon.

Nach einem kurzen Blick aufs Display nehme ich ab und schreie gleich: „Hansi, wenn du nun einen blöden Spruch loslässt, dann lege ich gleich wieder auf!“

„Dann leg doch auf!“, sagt er beleidigt. „Dann wirst du nie erfahren, was in dem Bericht von dem Claus aus Kaiserslautern steht.“

„Ist ja schon gut“, versuche ich den Piercingträger mit dem Irokesenschnitt zu besänftigen und beobachte dabei das Teelicht, das der Decoengel auf meinem Schreibtisch in den Händen hält: „Lass mal hören.“

„Na, so klingt das doch schon besser“, scheint meine Besänftigung Wirkung zu zeigen. Die Flamme des Teelichtes droht langsam abzusterben: „Wenn ich nun noch ein »bitte Hansi« vernehme, dann kann es auch schon losgehen.“

„Sag mal Hansi, hast du nun komplett ein Rad ab?“, bin ich empört, fest mit dem Blick zum Engel. Das nun winzig kleine Flämmchen hilft mir dabei, ruhig zu bleiben.

„Nanananana, das hört sich aber nicht so an, als wärst du scharf auf die brandheißen News aus der Pathologie.“

„Also bitte, liebster Hansi, lass mich an deinem Wissen teilhaben“, springe ich über meinen Schatten und mach mich hier komplett zum Affen. Laura und Timo können zumindest ihr Lachen nicht unterdrücken, weshalb ich ein »Psst« in ihre Richtung schicke. Inzwischen ist das Teelicht beinahe aus, ich sehe nur noch einen blauen Schein um den Docht.

„Das hast du aber schön gesagt, mein lieber Dieter. Dann lass ich dich an meinem Wissensstand teilhaben und der ist Nichts.“

„Wie nichts? Was nichts? Wieso nichts?“

„Na, eben nichts Auffälliges. Es ist alles so, wie es bei einem Mann, der von einer Brücke gestürzt ist, sein soll. Schweres Schädeltrauma und alle möglichen Knochenbrüche. Wie gesagt, nichts Außergewöhnliches.“

Dafür hab ich nun das Gelächter meiner Kollegen über mich ergehen lassen? Ich behalte fest den Docht meiner Kerze im Blick, damit ich hier nicht ausraste. „Hansi, ich bin mir ganz sicher, dass dort etwas nicht gestimmt hat und der Schlüssel liegt in der Leiche. Schau noch einmal genau nach, bitte!“, flehe ich den Leichenschnippler nun fast an, was Laura und Timo schon wieder ein hämisches Lachen ins Gesicht treibt.

„Dann sag mir einmal, wo ich wühlen soll? Ich habe die Leiche doch nicht hier, wie soll ich da etwas finden?“

„Das ist mir scheißegal, lass dir eben etwas einfallen!“, schreie ich viel zu laut und puste dabei die Kerze endgültig aus.

„Dieter, das geht nicht einfach so. Ich kann doch nicht zum Kollegen fahren und an seinen Leichen herumschnippeln.“

Von dem Docht meiner Kerze steigt nur noch ein dünnes Rauchfähnchen auf. Moment! Das Rauchfähnchen ist der Schlüssel: „Hansi, ich habe es!“

„Was hast du?“, will min Gesprächspartner jetzt wissen.

„Na das, was dort unter der Brücke nicht gestimmt hat. Ich habe es gefunden. Ich weiß nun, wonach du suchen musst.“

„Muss ich nun auch »bitte mein lieber Dieter« sagen oder klärst du mich freiwillig auf?“

„Es ist der Rauch. Bei der zweiten Leiche ist kein Dampf aufgestiegen, obwohl es saukalt war. Genau der hat gefehlt. Bei dem Toten am Tag zuvor haben die Eingeweide gedampft, egal wie weit sie auch verstreut waren. Aus jedem Fetzen ist der Nebel aufgestiegen und das war unter der Brücke nicht so. Ich sage dir, der war schon kalt. Der wurde schon tot dort hinuntergeworfen.“

„Das könnte ja schon sein. Lass mich mal etwas überprüfen. Ich rufe dich wieder an“, und schon hat Hansi das Gespräch beendet.