Süßer die Schellen nie klingen!

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Ein Rundgang durchs Haus

Um mich nicht schon wieder in die Berichte einarbeiten zu müssen, beschließe ich kurzerhand mal nach meinen anderen Abteilungen zu schauen. Immerhin bin ich hier ja Chef von einhundertachtunddreißig Menschen.

Zuerst schau ich einmal ins Büro von Yasmin Kalt und Helmut Glaser. Yasmin wird von jedem im Haus Yasi genannt und sie lebt in, sagen wir einmal, seltsamen Umständen. Yasi führt eine lesbische Beziehung mit vier Frauen zugleich und lebt mit diesen wiederum zusammen in einer Wohngemeinschaft. »Survival Kätz« nennt sich das Ganze und die Mädels verbindet eine grausame Kindheit, in der sie alle häuslicher Gewalt ausgesetzt waren. Yasi ist eine attraktive, junge Frau mit langem, schwarzem Haar und einem leichten asiatischen Touch, sehr quirlig und stets ein klein wenig übermotiviert.

Glaser hingegen ist das Gegenteil, also nicht so ganz, denn auch er ist motiviert, aber ansonsten besonnen und ein ruhender Pol, so wie es sich für einen Familienvater gehört.

In ihrem Büro angekommen, sitzen die beiden vor ihren Monitoren und erstellen Berichte vom Streifendienst. Auch sie haben einige von den Raubüberfällen aufgenommen, weshalb Yasi auch gleich zu erzählen beginnt.

„Ach Scheffe“, ein Wort, welches ich gar nicht mag, allerdings habe ich mich auch nie getraut, es ihr zu verbieten, „Sie wollen sicher Bescheid wissen, was uns bei der Überfallserie so alles aufgefallen ist. Also, da es alle reiche Säcke waren, die es erwischt hat, hatten die auch dementsprechend fette Anwesen. Alles mit großen Gärten und hohen Sichtschutzhecken. Da war es für die Täter ein leichtes, sich zu verstecken, um dann ungesehen zuzuschlagen. Ich persönlich glaube, dass die beiden Kleinen einen Sprachfehler haben oder einen Dialekt sprechen, der auffällig ist. Warum sonst sollen sie so verschwiegen sein? Auf jeden Fall werden ich und der Helmut uns weiter damit beschäftigen, sofern es unser Streifendienst zulässt.“

Das war nun eine Menge Information auf einmal, aber so ist sie eben, die Yasi. Kaum hat sie ihren Monolog beendet, meldet sich auch schon der Piepser an ihrem Gürtel, woraufhin sie auch schon nach ihrem Telefon greift und bei der Zentrale anruft. Ein paar »jajas« und »okays« später sagt sie zu Glaser: „Helmut, wir müssen los, da brennt ein Auto in der Sandgrube“, und schon sind die beiden verschwunden.

Ich hatte immerhin »Hallo« und »Tschüss« gesagt, soweit ist Helmut Glaser gar nicht gekommen, von ihm konnte ich keinen Laut vernehmen.

Ich gehe dann mal runter in unser Pressebüro, eine Einrichtung, für die ich viel Lob bekommen habe. Selbst der Innenminister war schon hier, um es zu besichtigen. Dabei habe ich nur zwei Streithähne, die mit der »Optimierung der inneren Abläufe« beschäftigt waren, mit einer neuen Aufgabe betraut. Die beiden haben sich aufgerafft und eine Presseabteilung aus dem Boden gestampft, um die mich andere Dienststellenleiter beneiden.

Im Büro treiben sich auch erwartungsgemäß einige Reporter herum und warten auf die nächsten brandheißen News, um sie dann gleich in ihr Notebook zu tippen, um diese dann anschließend an die jeweilige Redaktion zu schicken.

Kim Yang, unser chinesischer Fachmann für die neusten »asiatischen Studien«, sitzt an seinem Rechner und bearbeitet sämtliche Berichte, die aus den verschiedensten Abteilungen eingehen und Gerhard Treiber unterhält sich angeregt mit den Presseleuten.

Nun haben die Pressefuzzis auch mich bemerkt und lenken ihre gesamte Aufmerksamkeit auf mich.

„Herr Schlempert, welche Neuigkeiten gibt es zu den Überfällen? Was können Sie aktuell über die Täter sagen?“, fragt der Erste.

„Was ist an den Gerüchten dran, dass Sie in den letzten Tagen zwei Leichen aufgefunden haben?“, der Nächste.

Das lässt mich aufhorchen, woher beziehen diese Geier nur ihre Informationen?

„Eins nach dem anderen“, besänftige ich die Menge, „zu den Raubüberfällen kann ich nur sagen, dass wir jede gesicherte Information unmittelbar zur Pressestelle weiterleiten. Ich versichere Ihnen, wir werden weiterhin alles, was wir wissen, hierher weiterleiten.“

„Und was hat es mit den Leichen auf sich? Weshalb wurden wir darüber nicht informiert?“, bohrt der andere weiter nach.

„Das hat auch eine ganz einfache Erklärung“, gebe ich ruhig zurück. „Dass ich an den Fundorten anwesend war, ist reiner Zufall. Beide Fälle fallen aber nicht in unseren Zuständigkeitsbereich.“

„Was soll das heißen?“, lässt der Typ immer noch nicht locker.

„Das heißt, dass Sie Ihre Informationen bei den Dienststellen in Landau und Pirmasens einholen müssen.“

„Aber Sie waren doch vor Ort, da können Sie uns doch sicher auch davon berichten“, nervt der Pressefritze langsam aber sicher.

Dann lass ich ihn eben an meinem Wissen teilhaben: „Nach meinen Beobachtungen handelte es sich in beiden Fällen um einen Suizid, mehr weiß ich auch nicht. Wie Sie bereits sagten, habe ich die Leichen nur aufgefunden, mehr auch nicht.“

Bevor denen noch mehr blöde Fragen einfallen, dreh ich mich schnell um und eile die Treppe zum Keller hinab.

Auch unser Technikexperte Klaus Reuter hat es sich in seiner Werkstatt etwas weihnachtlich gemacht. In einer Ecke steht ein gezierter Weihnachtsbaum. Allerdings ist das kein üblicher Baum, so wie man ihn in diesen Tagen in jedem Schaufenster sieht, an dem von Klaus hängen anstatt Kugeln und Lametta, Schraubenschlüssel, Ersatzteile und Einbauanleitungen. Die letzteren hat er liebevoll zu Papiersternen gefaltet. An der Decke entlang baumeln Lichterketten, die ein ganz besonderes Licht auf unseren Rennwagen, den Fiat 128 3p Berlinetta werfen. Und den hat der Torben, ein Junge der uns im Herbst bei einer Amoklage ins Netzt gegangen ist, blitzblank poliert. Der Torben macht bei uns eine Art Praktikum, so als Resozialisierung kann man sagen. Sein Vater ist schon vor seiner Geburt abgehauen und seine Mutter sitzt mit ihrem Lebensgefährten in Haft. Die haben irgendwelche verbotene Videos gedreht und ins Netzt gestellt. Nun lebt der Junge in der jugendpsychologischen Abteilung des Pfalzinstituts und wurde von meinem Freund, dem Richter Eberhard Palanowski, sozusagen als Enkelsohn adoptiert. Heute ist er nicht hier, sicherlich wegen therapeutischer Maßnahmen in der Klinik.

Der Klaus dagegen ist wie immer schwer am Schuften. Seine Beine schauen wie so oft aus dem Fußraum von einem Zuffenhausener Sportwagen heraus.

Um ihn nicht wieder zu erschrecken, gehe ich zur Eingangstür zurück und klopfe an.

„Komm nur her, Dieter!“, höre ich seine Stimme aus dem Fußraum. „Heut hab ich dich kommen gehört.“

„Okay, und was macht mein Lieblingsschrauber denn heute?“ Ich will ja auch wissen, was in meinem Laden so läuft.

„Na, ich verpasse der Mühle das Standardprogramm. Steuergeräteoptimierung, Nebel- und Öl-Werfer, eine Fahrgastzellenpanzerung und eine dicke Bremse. Den bekommen die in Berlin bei der Regierung, weißt du?“

Jetzt weiß ich es. Eigentlich sollte ich diese Dienstleistung denen in Rechnung stellen, jeder nutzt aus, dass ich den besten Mechatroniker habe und das alles nur, weil mein Vorgänger, der Heuler, überall mit seiner Werkstatt geprahlt hat.

Der Klaus hat aber echt was drauf. Meinen Mini hat er so aussehen lassen, als wäre es die letzte Schleuder und dabei hat das Teil dreihundertachtzig und mit einem Booster kurzzeitig sogar vierhundertfünfzig PS. Dazu habe ich auch das Standardprogramm, nur ohne Panzerung, das würde den Mini zu schwer machen, was ich nicht wollte. Bei meinem sportlich angehauchten Fahrstil achtet man auf jedes Gramm. Zumindest beim Auto. Da mein Körper inzwischen auf stattliche einhundertzwanzig Kilo angewachsen ist, muss eben mein Wagen auf seine Linie achten. Aber ab morgen werde ich wieder Sport treiben. So oder so ähnlich sehen meine guten Vorsätze seit Monaten aus.

Da Klaus nun aus dem Fußraum geklettert kommt, versuche ich, als guter Chef, etwas Konversation zu betreiben: „Na du?“, sag ich. „Wie geht die Arbeit von der Hand?“

„Ach das wird doch von Tag zu Tag schlimmer“, schimpft er, was ich von ihm gar nicht gewohnt bin, „inzwischen muss ich alle relevanten Steuergeräte mit einer Bleihaut versehen, um sie vor Angriffen von Mikrowellen und Magneten zu schützen. Zudem bauen die Hersteller inzwischen so viel Müll in die Autos, dass für mein Zeug fast kein Platz mehr bleibt. Da werden die Karren so vollgestopft mit diesem Abgasentgiftungsscheiß, sind aber, wenn sie dann auf der Straße gemessen werden, trotzdem die größten Dreckschleudern. Da vergeht einem doch der ganze Spaß am Umbauen.“

„Ganz ruhig, Klaus“, versuche ich etwas Dampf aus dieser Unterhaltung zu nehmen, „wenn dir das alles hier zu viel wird, dann sollen die Berliner ihre Autos woanders umbauen lassen.“

„Ja, das habe ich doch schon versucht, aber die finden doch keinen. Na ja, der Torben hat da ein echtes Talent und gute Nerven, den werde ich wohl zu meinem Nachfolger ausbilden müssen.“

„Aber du weißt schon, dass der Junge zuerst einen Schulabschluss machen muss?“, werfe ich da mal ein.

„Ja und er ist da auch echt am Büffeln, das Opagetue vom Eberhard und die Arbeit hier in der Werkstatt tuen ihm echt gut.“

„Und dass er mir immer wieder Streiche spielt, gehört das auch zu dem Kapitel »tut ihm echt gut«?“

„Komm Dieter, jetzt sei doch nicht spießig, du weißt doch, was sich liebt, das neckt sich und dich liebt er eben am meisten.“

Na, das ist eine Liebe, auf die ich verzichten könnte! Also gut, ich hab ja auch einiges mit dem Jungen erlebt. Wir haben einmal zusammen Wäscheklammern von Balkonen geworfen. So als Wettkampf, ein Duell sozusagen.

 

Gut, das gehört nun nicht hierher. Also gehe ich doch lieber wieder nach oben. Timo, der auch mein offizieller Stellvertreter ist, nimmt mir es krumm, wenn ich mich, ohne mich abzumelden, zu lange im Haus herumtreibe. Im Treppenhaus treffe ich dann auch wieder auf unseren Handwerker, der am Boden kniet und mit einem Hämmerchen hier und da klopft.

„Was sellen des schunn werrer gäwwe?“ (Ich würde mich freuen, den Zweck dieser Tätigkeit zu erfahren), frage ich erstaunt.

„Ah wäschd, ich muss gugge wu genuch Madderial esch um die Dräächer vumm Ufzuch feschd zu mache“ (Ich ertaste die tragenden Strukturen, um später daran die statisch relevanten Teile des Außenlifts anzubringen), bekomme ich zur Antwort. Dann lass ich ihn mal machen.

In meinem Büro ist alles beim Alten, was bedeutet, dass Laura und Timo weiterhin in ihre Bildschirme vertieft sind. Timo schaut kurz auf, um mir zu sagen, dass Hansi auf einen Rückruf wartet. Wenn ich den Hansi anrufen soll, dann mach ich das eben.

„Schlempert, du Teufelskerl!“, legt er gleich los, bevor ich überhaupt zu Wort komme. „Wenn es um Mord geht, ist dein Riecher unübertroffen.“

„Jetzt bitte mal in einem Tempo, bei dem auch ich mitkomme“, trete ich auf die Bremse.

„Na, mit deiner Leiche, die bei Tahleischweiler-Fröschen. Ich habe den Claus von der Pathologie in Kaiserslautern noch einmal angerufen und die Gerinnungswerte von dem Toten überprüfen lassen, was prompt ein Volltreffer war. Der Mann war schon mindestens vierundzwanzig Stunden tot, bevor er von der Brücke gefallen wurde.“

„Hab ich dir nicht gesagt, dass da was nicht stimmt?“, freue ich mich. „Ich wusste doch gleich, dass da mehr dahinter steckt.“

„Na, da werden sich die Kollegen in Pirmasens aber freuen“, lacht Hansi, „jetzt haben die einen Mord an der Backe, den sie aufzuklären haben.“

Ach ja, da hat Hansi vollkommen recht. Das ist ja gar nicht mein Fall, da müssen sich die Pirmasenser Kollegen darum kümmern. Okay, dann lege ich wieder auf und kümmere mich um Raubüberfälle, Außenaufzüge, einen frustrieten Kfz-Mechatroniker und um die Presse.

Alles verkohlt

Lange hält die Ruhe allerdings nicht an, denn schon klingelt wieder mein Telefon: „Ja, Polizeiobermeister Scholl, Schlempert was fällt Ihnen denn ein, in unserem Teich zu fischen? Wissen Sie denn, was das für mich hier bedeutet? Wenn ich alleine an die Spurensicherung denke, die liegen mir dann gleich wieder in den Ohren, weil wir sie nicht gleich gestern Abend alarmiert haben. Was soll ich denn denen sagen?“

Am liebsten würde ich nun ein »Hab ich es nicht gleich gesagt« einwerfen, aber ich komm ja nicht zu Wort.

„Dann sind da noch die dummen Sprüche von meinem Chef, von wegen »der Schlempert hat den richtigen Riecher« und »ja, der Schlempert hat seinen Laden im Griff«. Hätten Sie das denn nicht einfach bei einem Selbstmord belassen können? Nein, Sie mussten sich ja wichtigmachen und ich habe nun den Salat! Vielen Dank auch“, und schon hat er aufgelegt. So liefen auch früher die Telefonate mit dem Heuler ab, als er noch mein Chef war.

Zum Verschnaufen bleibt mir keine Zeit, denn mein Telefon klingelt abermals.

„Ah Scheffe“, klar, es ist Yasi am anderen Ende, „ich weiß ja auch nicht genau, aber ich meine, dass Sie am besten einmal hierherkommen, glaube ich zumindest.“

„Wo soll ich denn hinkommen und was soll ich da?“, manchmal geht sie mir doch auf die Nerven, die Yasi.

„Ich weiß ja auch nicht, kommen Sie doch bitte in die Sandgrube, die in Richtung Lambrecht liegt, es wird besser sein so.“

Was soll ich jetzt schon wieder tun? Können die nicht einmal einen stinknormalen Fahrzeugbrand aufnehmen, ohne dass es gleich zur Chefsache wird?

Fünf Minuten später sitze ich eben im Auto und fahre dorthin. Wieso hat meine junge Kollegin nur so geheimnisvoll getan? Steckt da auch mehr dahinter? Sitzt vielleicht sogar eine verkohlte Leiche in dem Wrack?

Ich werde es gleich erfahren, denn schon bewege ich meinen Mini auf das Gelände der stillgelegten Sandgrube. Unten in der Grube kann ich gleich das schwarz verkohlte Auto erkennen, ein Ford Galaxy würde ich sagen. Außerdem stehen dort noch zwei Feuerwehrwagen, der Polizeibus von Yasi und Glaser und ein Abschleppwagen, dessen Fahrer allerdings keine Anstalten macht, das Wrack auf die Ladefläche zu ziehen. Um das Fahrzeug herum ist die dünne Schneeschicht geschmolzen. Das sieht von hier oben schon beeindruckend aus. Aber ich bin nicht hier, um ungewollte Sehenswürdigkeiten zu bestaunen, sondern um zu arbeiten. So befahre ich mit dem Mini den serpentinenartigen Weg nach unten. Auf dem Schnee und in den vereisten Pfützen bricht ab und an das Heck aus, was einen Heidenspaß macht. Allerdings bin ich nicht hier zum Spaß haben.

Einmal ausgestiegen, gehe ich zuerst zum verkohlten Auto, um zu schauen, ob sich tatsächlich eine Leiche darin befindet. Aber das Einzige, das ich finde, ist ein mordsmäßiger Gestank nach verkohltem, verbranntem Plastik.

„Frau Kalt“, werde ich förmlich, wie immer, wenn ich mich ärgere, „nennen Sie mir bitte doch nur einen Grund, warum ich hierherkommen sollte. Ich habe schon einmal ein verkohltes Auto gesehen! Etwas Sensationelles hat dieses hier nicht.“

„Aber Scheffe“, sagt sie ganz kleinlaut, „sehen Sie denn nicht, was ich meine?“

„Klären Sie mich auf!“, bleibe ich weiter bei meinem strengen Ton.

„Na, das ist doch ein Van und an der Heckklappe kann man auch noch erkennen, dass er dunkelgrau war. Also zumindest bevor er abgebrannt ist.“

Das war mein Stichwort: „Okay, alles abriegeln, die Spurensicherung muss hierher. Die Feuerwehr kann fahren, aber der Abschlepper bleibt hier. Wenn die Spurensicherung durch ist, dann kommt das Auto in die Dienststelle, damit es sich auch Klaus ansehen kann.“

„Ach zum Klausi, dacht ich es mir doch“, sagt der Fahrer des Abschleppwagens, als er auf mich zukommt.

Mir bleibt dabei fast das Herz stehen, denn es handelt sich dabei um Hans Groß, der hatte auch schon meinen Mini am Haken, nachdem ich ihn bei Annweiler in den Leitplanken verbogen hatte. Also den Mini und nicht den Hans Groß. Das an sich wäre ja kaum der Rede wert, wenn ich den Groß nicht zuvor mit einer viel zu kurz abgeschnittenen Latzhose unter dem Namen Friedhelm bei einem Psychologen getroffen hätte. Dort saß er und verspeiste einen Fisch. Nach der Fahrt mit dem Abschleppwagen von damals musste ich auch noch feststellen, dass er mit dem Klaus Reuter befreundet ist, weshalb ich mich bis zum heutigen Tag nicht für Details aus dem Privatleben von Klaus interessiere.

Ich versuche noch aus der Ferne einen Blick in den Galaxy zu erhaschen, aber ich kann nichts Verdächtiges erspähen. So bleibt mir auch nichts weiter übrig, als auf Martin Schneider und sein Team zu warten.

In der Zwischenzeit schenkt uns Hans einen Kaffee aus seiner Thermoskanne ein. Meiner schmeckt nach Fisch!

Glücklicherweise lässt die Spurensicherung nicht lange auf sich warten. Allerdings hat sich das Warten für mich nicht gelohnt. Der Martin lässt von seinen Leuten zwar das Gelände akribisch absuchen, doch die Fahrzeugreste schaut er sich kaum an. Klar, bei den frostigen Temperaturen untersucht er das Wrack lieber in der kuschelig warmen Werkstatt vom Klaus. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich auch schon eine ganze Weile in meinem kuschelig warmen Büro. Genau dort fahr ich nun auch hin, also ins Büro, um meine beiden Kollegen über Yasis Fund zu informieren.

Laura und Timo haben in der Zwischenzeit leider keine neuen Kenntnisse gewonnen. Unsere Überfallserie gleicht immer mehr der Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen. Wenn jetzt der Wagen auch noch ein Treffer ist, wird die Suche nach den Tätern trotz allem nicht einfacher, denn dann hätten wir noch nicht einmal mehr ein Fahrzeug, nach dem wir fahnden können.

Jetzt warten wir erst einmal ab, noch wissen wir ja nicht, was es mit dem Ford Galaxy auf sich hat. Wahrscheinlich handelt es sich nur um ein Fahrzeug, das Jugendlichen als Übungsobjekt in der alten Sandgrube gedient hat. Wir hatten als Kinder auch einen Klassenkameraden, dessen Eltern auch heute noch eine Autowerkstatt betreiben. Bei denen auf dem Abstellplatz durften wir auch die Karren, die zum Verschrotten waren, vollends verheizen. Da kam es auch vor, dass wir die Kisten so heiß geprügelt haben, dass diese Feuer fingen. Nur sind wir damals nicht einfach abgehauen, sondern haben die Kisten gelöscht, sodass es keinen Ärger gab. Wir wollten ja schließlich auch das nächste Auto kaputt fahren.

Als ich endlich den Hans Groß mit seinem Abschleppwagen auf den Hof der Dienststelle fahren sehe, hält mich nichts mehr hier oben im Büro. Schon eile ich in den Keller.

„Dieter, was hab ich dir denn angetan?“, jammert Klaus gleich los. „Nicht nur, dass mir der Job hier stinkt, nein jetzt stinkt mir auch noch der ausgebrannte Kasten die ganze Werkstatt aus.“

Upps, dicke Luft! Am besten ich verschwinde gleich wieder nach oben. Doch schon kommt mir der Hans entgegen und sagt: „Machen Sie sich nichts daraus, der hat nur seine übliche Feiertagsdepression. Die hat er alle Jahre wieder im Dezember. Ich fahre heute Abend bei ihm vorbei und dann ziehen wir beide die Gummistiefel an und ich schmeiße eine Runde Fisch, dann geht es dem Klausi gleich wieder besser.“

Na, das sind ja fröhliche Aussichten und Bilder, die ich nun wieder nicht aus dem Kopf bekommen werde.

Nachdem ich Martin genau erklärt habe, worum es mir bei diesem Wrack geht, erinnert er mich daran, dass ich heute ja pünktlich Feierabend machen wollte, da am Abend noch ein privater Termin anstehe.

Ach du grüne Neune, das hätte ich mal wieder glatt vergessen.

„Vielen herzlichen Dank, Martin und ich erwarte deinen Bericht“, und schon sause ich die Treppen wieder nach oben, um mich zu verabschieden. Heute darf mein Mini auf dem Heimweg mal wieder zeigen, was er drauf hat.

Welch ein Abend

Nun stehe ich schon geschlagene fünfzehn Minuten in Unterwäsche vor dem Spiegel und kann mich nicht entscheiden, was ich anziehen soll. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich mich für eine Frau halten. Was nun? Den Schwarzen mit dem weißen Hemd oder doch lieber den sandfarbenen Cord? Aber da habe ich keine passenden Schuhe dazu. Ach was, ich mache einen auf cool und locker, ziehe Jeans an und dazu ein kariertes Hemd. Jetzt noch einen lockeren Schal um den Hals und schon habe ich das passende Outfit gefunden.

Dann nehme ich noch die große Schüssel Spagettisalat unter den Arm, den ich vorhin noch gezaubert habe. Das ist ja keine große Sache, so nach meinem eigenen Rezept. Ein gutes Pfund Spagetti, dann feingeschnittene getrocknete Tomaten, ein halbes Pfund halbierte Cocktailtomaten und zwei in Würfel geschnittene Mozzarellas. Dazu Balsamico-Essig, Olivenöl, Salz, Pfeffer und zum Abrunden noch eine Ladung mediterrane Kräuter, schon ist er fertig, der schlempertsche Nudelsalat.

So, nun muss ich aber los. Susie und Chrissi habe zu diesem Anlass extra das Clubheim der Veilchenzüchter in Völkersweiler angemietet. Als ich eintreffe, sind die meisten schon da. Es sind auch erstaunlich viele gekommen. So um die zwanzig, würde ich sagen. Wenn man bedenkt, dass wir in unserer Klasse nur dreißig Schüler waren, dann ist es ein guter Schnitt. In diesem elitären Kreis feiern wir unser Klassentreffen zu Ehren des dreißigjährigen Jubiläums unseres Schulabschlusses.

Anfangs sitzen wir noch etwas verhalten um die große Tafel herum und gedenken der drei Klassenkameraden, die nicht mehr unter uns weilen.

Da ist zum ersten der Paul, der schon kurz nach unserem Schulabschluss mit seinem Moped tödlich verunglückt ist. Seinen Tod haben wir bei unseren bisherigen Treffen schon ausreichend besprochen. Dann ist da Rolf, der vor ein paar Jahren den Freitod gewählt hat. Eine Sache, die wir alle nicht verstehen können. Er war immer fröhlich und wollte alle um ihn herum zum Lachen bringen. »Klassenkasper« würde es wohl treffend beschreiben. Wir verarbeiten seinen Tod, indem wir die alten Geschichten von ihm erzählen. Als er zum Beispiel bei der Klassenfahrt die Schrauben vom Lehrerklo herausgedreht hat, was zur Folge hatte, das unser Lehrer samt der Schüssel umgekippt ist. Das war zwar eine Riesensauerei, aber lustig war es trotzdem. Auch hier auf der Party vermissen wir ihn. Gemeinsam sind wir der Meinung, dass, wenn Ralf hier wäre, die Stimmung schon am Kochen wäre. Zu guter Letzt ist vor wenigen Wochen der Hubert gestorben. Er ist der Erste von uns, der eines natürlichen Todes gestorben ist. Vermutlich ein Schlaganfall, aber ganz genau weiß es keiner von uns. Nun wird die Stimmung noch bedrückter, da wir unserer Vergänglichkeit bewusst werden. Immerhin sind wir ja nun alle kurz vor der Fünfzig. Um das leidige Thema loszuwerden, beschließen wir für unsere drei Kameraden eine Schweigeminute einzulegen, um dann endlich mit dem lustigen Teil des Abends zu beginnen.

 

Als erstes erzählt uns Franz Ulmer, der von uns nach wie vor Franzi genannt wird, voller Stolz, dass er inzwischen Opa geworden ist. Alle schauen sich begeistert die Handyfotos von dem kleinen Racker an. In mir löst es ein weiteres beklemmendes Gefühl aus. Opa, so alt sind wir inzwischen geworden. Egal, der Kleine ist wirklich zuckersüß. Ob mir meine Kinder auch schon bald solche Zwerge schenken werden?

Plötzlich kommt die ganze Meute auf mich zu sprechen:

„Na Schlempi“, so haben die mich schon zu Schulzeiten genannt, „was macht die Kunst? Über dich gibt es ja andauernd etwas in der Zeitung zu lesen. Du bist jetzt Oberbulle oder so etwas.“

„Ja schon“, versuche ich mich herauszureden, „aber da gibt es nichts Spannendes zu erzählen. Ist alles megalangweilig. Ich hocke fast nur an meinem Schreibtisch und delegiere.“

„Ja, ja, hockt am Schreibtisch und delegiert“, lacht Freddy gleich laut los. „Weißt du Schlempi, ich wohne in Gräfenhausen und habe genau mitbekommen, wie du damals den Mörder von unserem Ortsvorsteher gejagt und dann dingfest gemacht hast.“

„Na ja, so eine große Sache war das auch nicht damals“, spiele ich die Sache nun herunter. Immerhin hatte ich damals einen alten Kollegen ins Gefängnis gebracht.

„Ach ja“, wirft nun Susi ein, „und wie war das mit dem Doppelmord? Warst du nicht der, der das alles aufgeklärt hat und dabei noch so ne Art Menschenhändlerring ans Licht brachte? So hat es zumindest in allen Zeitungen gestanden.“

„Man soll doch nicht alles glauben, was in den Zeitungen steht“, versuche ich mich auch hier herauszuwinden.

„Und wie war das vor kurzem, als, wie war das nochmal …?“, sagt Schorsch und kratzt sich dabei am Kopf. „Das waren doch auch zwei Morde und ein Umweltskandal, was du aufgedeckt hast.“

„Mann, habt ihr denn nichts Besseres zu tun, als in der Zeitung herumzuschnüffeln? Ich mach doch auch nur einen Job, wie ihr alle. Schaut euch doch den Reginald an, der hat von seinem Vater die Autowerkstatt übernommen und muss sich um einige Angestellte kümmern, für die er verantwortlich ist. Wenn der Scheiße baut, dann sitzen die auf der Straße. Schaut mal, wenn ich rausfliege, dann macht eben ein anderer den Job.“ Hoffentlich habe ich es nun geschafft, die Aufmerksamkeit auf den Regi zu lenken, um nun wieder meine Ruhe zu haben.

Meine alten Kameraden nehmen glücklicherweise den Faden auf und der Reginald erzählt die alten Geschichten, als wir auf seinem Abstellplatz die Schrottautos verheizt haben. Dabei spiele ich zwar auch eine tragende Rolle, aber immerhin brauch ich nicht mehr vor allen zu reden. Das hab ich in der Schule schon nicht gerne gemacht und mache es auch jetzt nicht gerne. Auch heute noch steht mir der Schweiß auf der Stirn, wenn ich eine Pressekonferenz abhalten muss.

Langsam nimmt nun die Party auch an Fahrt auf und der Alkohol fließt in Strömen. Der Freddy beginnt nun, wie bei jeder anderen Gelegenheit, wenn er genug getrunken hat, sich an Chrissi heranzumachen. Regi stimmt das Autofahrerlied von der »Dorfcombo« an und Lilo kotzt sich über ihre misslungene Ehe aus.

„Das ich an so einem faulen Arsch hängen geblieben bin“, heult sie in die Runde.

Regi ist derweil beim Refrain angekommen: „Ich liebe meine Frau und die Kinder“, grölt er, „du weißt, ich lieb sie so sehr, aber ganz unter uns sag ich dir, dich lieb ich noch mehr.“ Damit meint er seinen alten Ford Capri, mit dem er in seiner Freizeit an historischen Rallyes teilnimmt. Das sind Veranstaltungen, bei denen es nicht so sehr auf Geschwindigkeit ankommt, sondern darum, eine gewisse Durchschnittsgeschwindigkeit einzuhalten. So werden die alten Wagen geschont, damit sie noch lange erhalten bleiben, um unser Herz zu erfreuen.

Lilo erklärt gerade, dass für sie keine Trennung in Frage kommt, da sie ja schließlich »ja« gesagt hat bei »bis der Tod euch scheidet«.

Oh weh, hoffentlich muss ich da nicht einmal ermitteln, wenn sie das mit dem »bis der Tod euch scheidet« wörtlich nimmt.

Da nun alle besoffen sind, würde ich mich gerne verabschieden. Aber die Klassenkameraden machen mir einen ordentlichen Strich durch die Rechnung. Schließlich bin ich ja der einzige Abstinenzler und habe deshalb die ehrenvolle Aufgabe, zu guter Letzt die Meute nach Hause zu fahren. Also werde ich der Letzte sein, der ins Bett kommt, wenn sich das ins Bett gehen bis dahin überhaupt noch lohnt.

Inzwischen zeigt Holger eine seiner berühmten Strippeinlagen, die ich nicht sehen möchte. Na ja, immerhin hat er seinen Körper, im Gegensatz zu mir, in Schuss gehalten. Er ist solariumgebräunt und hat von der Fußspitze bis zum Hals einen dreiköpfigen Drachen tätowiert.

Das ist der Moment, an dem Lilo aufhört zu weinen, um sich Holger an den Hals zu werfen. Aber da hat sie die Rechnung ohne ihn gemacht, denn der stößt sie rüde zurück. Na ja, sie ist eben nicht gerade solariumgebräunt und tätowiert, sagen wir einmal, sie ist eher der Typ Mauerblümchen. Ist ja auch kein Wunder, sie wird ja bekannterweise seit Jahren von ihrem Mann unterdrückt und somit konnte sich das Blümchen Lilo auch nicht entfalten. Apropos Wunder, mich wundert eigentlich, dass dieser nicht mitgekommen ist, um seine Lilo zu bewachen. Sicherlich späht er durch ein Fenster aus, was seine Frau hier so treibt. Lilo unterbricht meine Gedanken, indem sie erzählt, dass ihr Gatterich sich in einer Kur befindet, um mit den Problemen seines Alltags besser umgehen zu können. Klar, es ist ja auch ein harter Alltag, vor dem Fernsehen zu hocken und dabei die Frau zu schikanieren.

„Das ist gar nicht mehr so“, verteidigt sie ihn jetzt auch noch, „seit er die Playstation hat, schaut er gar nicht mehr so viel fern.“

Okay, mein Respekt, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das ein Fortschritt ist. Ich mache mir darüber auch keine weiteren Gedanken, da Lilo, was ihre Ehe angeht, ein hoffnungsloser Fall ist.

Regi singt inzwischen Mercedes-Benz von Janis Joplin. Da nun genug Alkohol in der Luft liegt und eh jeder das Lied kennt, wird unsere alte Klasse nun zum Chor der schrägen Töne. Allerdings ist Regi nun so glücklich, dass er Rotz und Wasser heult.

Ich muss schon zugeben, dass unser Klassentreffen ein voller Erfolg ist.

Inzwischen liegen die ersten Alkoholleichen in den Ecken, was allerdings nicht heißt, dass hier schon einer nach Hause möchte. Somit ist auch für mich noch nicht abzusehen, wann ich ins Bett komme. Und das an einem ganz normalen Dienstagabend im Dezember. Zumindest schneit es heute nicht, was es mir erleichtern sollte, die Meute nachher nach Hause zu karren.

Die Musik ist inzwischen auch leiser geworden, was wieder Unterhaltungen ermöglicht. Die Gerda hat neben mir Platz genommen. Gerda ist so eine, die man nicht wahrnimmt. Man hört sie nicht und man sieht sie auch nicht, so unauffällig ist sie. Auch damals zur Schulzeit hat sie niemand wirklich wahrgenommen.

„Hallo Dieter“, sagt sie nun mit ihrer zarten, kaum hörbaren Stimme.

„Na Gerda, wie ist es dir so ergangen?“, frag ich mehr aus Anstand als aus Interesse.

„Ach ja, du weißt ja“, wispert sie, „meine Eltern sind damals jung gestorben und seitdem habe ich den großen Hof am Hals. Ganz alleine, einen Mann habe ich doch auch nicht gefunden.“

Klar, wir haben damals schon gewitzelt, dass die Gerda wohl mit intakter Unschuld altern wird. Und wenn das so ist, möchte ich das auch ganz sicher nicht ändern. Allerdings muss ich zugeben, dass sie hier wohl das einzige menschliche Wesen ist, welches sich noch klar artikulieren kann, außer mir versteht sich.