Karl Barth

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An dem bereits erwähnten bespitzelten Meinungsaustausch, der nach dem in Berlin gehaltenen Vortrag „Reformation als Entscheidung“ am 30. Oktober 1934 im Hause von Gerhard Jacobi stattfand und schließlich bei der Entlassung Barths eine wesentliche Rolle spielte, hatte der Präsident des ‚Federal Council of the Churches of Christ in America‘ Charles S. McFarland teilgenommen. Barth hatte ihn bedrängt, dass die Ökumene nicht weiter nur Zuschauer in dem Konflikt bleiben dürfe, sondern sich dringend dazu durchringen solle, nicht nur die BK anzuerkennen, sondern eben auch den Kirchen die Anerkennung zu entziehen, die mit der Übernahme des Arierparagraphen rassistischen Bedingungen Eingang in ihr Selbstverständnis gewährt hatten. Barth hatte damit die auch von Bonhoeffer ausgesprochene Einschätzung zum Ausdruck gebracht, dass die Anerkennung der BK sich nicht vertrage mit einer gleichzeitigen Aufrechterhaltung normaler Beziehungen zur Deutschen Evangelischen Kirche (DEK). Das Sowohl-als-auch, das dann von der erst vorläufig in Genf konstituierten ökumenischen Bewegung zu vernehmen war, war für Barth ein deutliches Zeichen, dass von der Ökumene (noch) keine wirkliche Hilfe zu erwarten war. Für ihn war damit erwiesen, dass von der hier auf die Einheit der Kirche gerichteten Aufmerksamkeit nichts ausgehen werde, was für den Kampf um die wahre Kirche in Deutschland von irgendeiner besonderen Bedeutung sein könne. Damit sah er die ökumenische Bewegung insgesamt diskreditiert, zumal ihm bekanntlich durch die Glaubensbewegung der DC oder die ‚Jungreformatorische Bewegung‘ der Begriff der Bewegung ohnehin überaus suspekt war und blieb. In den verschiedenen partikularisierenden Selbstbezeichnungen dieser Bewegungen klinge immer ein eigenwilliger Ton mit, der sich mit den von der Kirche anzuschlagenden Tönen gerade nicht harmonisieren lasse. In aller Deutlichkeit konnte Barth sagen:

Wo das Bekenntnis ist, da ist die eine heilige Kirche im Kampf mit dem Irrtum, in welchem sie nicht unterliegen wird. Wo dagegen „Bewegungen“ sind, auch in bester Meinung und Absicht, da ist selber schon Irrtum und Sekte mindestens in größter Nähe. Der heilige Geist braucht keine „Bewegungen“. Und die allermeisten „Bewegungen“ hat wahrscheinlich der Teufel erfunden.132

Auch seinem Freund Adolf Willem Visser‘t Hooft gegenüber hielt Barth seine Vorbehalte gegenüber der Ökumene nicht zurück, wenn er beispielsweise von einem ‚christlichen Cirkus‘ sprach, bei dem eigentlich nichts herauskomme.133 Es war vor allem die Unverbindlichkeit sowohl des Zusammenschlusses als auch seiner Entschließungen, von denen er sich angesichts der tatsächlichen Bedrängnisse der Kirche, die in Deutschland ja nur in besonderer Deutlichkeit zutage traten, seine Zeit so wenig wie irgend möglich stehlen lassen wollte. Seine eigene Option für die Ökumene wird er in seinen bereits erwähnten Vorträgen im Juli 1935 in Genf erkennbar, in denen er den Ton auf eine überkonfessionelle Bekenntnisgemeinschaft legt, deren Beteiligte selbst durchaus ein unterschiedliches konfessionelles Profil haben können, die aber nach dem Vorbild von Barmen gemeinsam den Finger auf die notwendigen Unterscheidungen, Scheidungen und Entscheidungen legen. Mit den Trennungen und Spaltungen sei im Übrigen umzugehen, „wie man mit der eigenen und fremden Sünde umgeht. […] Man soll sie als Schuld verstehen, die wir selbst auf uns nehmen müssen, ohne uns selbst von ihr befreien zu können.“134 Eine Ökumene, die nicht selbst einen kirchlichen Anspruch erhebt, sondern sich lediglich als Moderatorin eines sich gegenseitig wahrnehmenden Gesprächs versteht, war in den Augen Barth ein Widerspruch in sich selbst, in dem keine belastbare theologische Perspektive zu finden sei. Der „heute notwendige und rechte Ausdruck des christlichen Glaubens“ könne allein in der Bekräftigung der Bekenntnisfront bestehen, in der in Deutschland das Sein der Kirche auf dem Spiel stehe.135

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in die nach der Sudetenkrise noch verbliebene Tschechei im März 1939, durch den sich Barths bereits angesichts des Münchener Abkommens geäußerte Prognose bestätigte, rief der Erzbischof von Canterbury Cosmo Gordon Lang zu entschlossenem Widerstand gegen Deutschland auf und wandte sich dabei auch an die internationale Christenheit. In einer daraufhin von führenden deutschen Kirchenrepräsentanten verlautbarten sogenannten Godesberger Erklärung vom 26. März 1939 wurde im Verweis auf die mit den Schöpfungsordnungen gegebenen Bindungen der Internationalismus der Kirchen gegeißelt, womit natürlich auch der inzwischen vorläufig konstituierte Ökumenische Rat der Kirchen attackiert werden sollte. Von mehreren Seiten – eben auch von Karl Barth – wurde Visser’t Hooft bedrängt, vernehmbar auf diesen Angriff zu reagieren, was dann auch im Mai nach der Überwindung von allerlei Hindernissen in einer konzertierten Aktion von Barth, William Temple, dem Erzbischof von York, und Visser’t Hooft geschah und den erwartbaren weiteren Protest der DEK – unerträgliche Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten – hervorrief. Dies Dokument entsprach mit all den in ihm verbliebenen Unschärfen der von Barth für die Ökumene eingeforderten Wahrnehmung des kirchlichen Wächteramtes in der Perspektive des Barmer Bekenntnisses, blieb aber ein von Einzelpersonen verantwortetes Dokument, während sich der ‚Vorläufige Ausschuss‘ des ÖRK weiterhin an seine bisher vertretene Linie hielt, alle Kräfte auf die Erhaltung des Friedens zu konzentrieren. Hier zeigte sich deutlich, was sich dann auch weiterhin bestätigen sollte, dass der ÖRK als ganzer über keine ausgewiesene und belastbare Wahrnehmung der politischen Verhältnisse in Europa verfügte. Innerhalb des Vorläufigen Ausschusses des ÖRK, der im Übrigen nicht autorisiert war, im Namen der Kirchen zu sprechen, herrschte keineswegs Einigkeit, was zusätzlich die Handlungsfähigkeit auf ein Minimum reduzierte. Es war das nicht beneidenswerte Los des Generalssekretärs, einerseits inhaltlich die Erwartungen Barths häufig durchaus nachvollziehen zu können und andererseits kein Mandat von den Instanzen zu bekommen, vor denen er sein Handeln zu verantworten hatte. Soweit es ging, folgte er dem Rat Barths, den Bereich seiner Kompetenz auch eigenständig zu definieren, aber immer wieder stieß er dabei schnell auf die ihm gesetzten Grenzen. Ihm war durchaus klar, dass der Krieg nun die Christen in all den betroffenen Ländern vor genau die Entscheidungsfrage stellt, die der BK in Barmen 1934 gestellt war. In einem Memorandum vom April 1940 schreibt er:

Genauso wie die Bekennende Kirche in Deutschland deutlich Stellung beziehen mußte, als der Nationalsozialismus ein nationales Problem wurde, so muß die Ökumenische Bewegung jetzt deutlich aussprechen, daß diese aggressive ‚Gegen-Kirche‘ ganz offensichtlich ein internationales Problem geworden ist.136

Doch alle Versuche, den Vorläufigen Ausschuss zu motivieren, in diese Richtung öffentlich tätig zu werden, scheiterten an der Mehrheit des Ausschusses – insbesondere den Skandinaviern –, die sich die immer noch für möglich gehaltene Option eines Arrangements mit Hitler unter keinen Umständen verbauen lassen wollten.

Das heißt allerdings nicht, dass Visser’t Hooft stets mit Barth übereinstimmte. In zwei Punkten gingen ihre Meinungen besonders weit auseinander. Einmal im Blick auf die von Barth ausgehende Anregung einer an Deutschland gerichteten Radiosendung für den absehbaren Fall des Ausbruchs des „eindeutig von Deutschland und Italien gewollten Krieges“ mit der Kernaussage,

daß der Krieg im Sinn der Christen aller Länder nicht gegen das deutsche Volk, sondern gegen dessen gemeingefährlich gewordenen Usurpatoren sich richte und daß wir die Frage an das Gewissen aller Christen in Deutschland zu stellen hätten, ob es nicht ihre Sache sei, zur Verhinderung dieses Krieges bzw. eines Sieges der Usurpatoren ihrerseits alles in ihren Kräften Stehende zu tun.137

Was Barth hier als eine ökumenische Konsequenz aus seiner Forderung des politischen Gottesdienstes der christlichen Gemeinde einforderte, stieß vor allem hinsichtlich der impliziten Aufforderung zur Sabotage auch bei Visser’t Hooft und dem gemeinsamen Freund Maury auf deutliche Ablehnung. Was für Barth schlicht ein konsequent zu Ende gedachter Zusammenhang war, der darauf ausgerichtet war, den Krieg so kurz wie irgend möglich zu halten, war für die Freunde ein zweiter Schritt, den sie allein den Deutschen selbst überlassen wollten. Für Barth war es dagegen ein halbherziges Unternehmen, wenn den Christen in Deutschland nicht deutlich gemacht werde, „daß sie nach unsrer ernstlichen Meinung nicht wohl Krieg für Hitler führen dürften.“ (95) Auch Helmut Gollwitzer hatte sich gegen diese Konsequenz ausgesprochen, auch wenn er seine Haltung später „als allzu taktisch“ bezeichnete, denn „die ohnehin schwer kämpfende Bekennende Kirche in Deutschland gerate damit in die unheilvolle Alternative, entweder als landesverräterisch verfolgt zu werden, oder sich gegen das Wort der Oekumene erklären zu müssen.“138 Es zeigt sich eine nicht einfach ausräumbare Verlegenheit, in der beide Seiten nachvollziehbare Gründe für ihre Haltung anführen konnten, die sich nicht mit dem Hinweis auf eine allzu kompromisslose Radikalität oder eine zaudernde Ängstlichkeit entkräften lassen.

Da sich die Genfer Ökumene immer wieder in der Situation befand, sich nicht eindeutig positionieren zu können – die jeweiligen Gründe waren nicht immer so plausibel wie in dem zuletzt skizzierten Fall –, sah sich Barth gedrängt, nun persönlich an die Stelle zu treten, an welcher er gern die Kirche – in diesem Fall eine sich als Kirche verstehende Ökumene – gesehen hätte. Er entschloss sich im Sinne der Visser’t Hooft nahegelegten Kompetenzanmaßung, nun „gewissermaßen auf eigene Faust meine ‚ökumenische Bewegung‘“ zu vollziehen.139 Und so wandte er sich in von ihm selbst als ökumenische Sendschreiben verstandenen Briefen an die Christen in Holland, Frankreich, England, Norwegen und die USA, um sie in der Blickrichtung des ökumenischen Bekenntnisses von Barmen in ihrem möglichst konsequent zu gestaltenden Widerstand gegen Deutschland zu ermutigen, was konkret hieß, den Krieg gegen Deutschland als einen gerechten Krieg (Verteidigungskrieg) nach Kräften zu unterstützen. Theologisch ging es ihm um die Durchsetzung einer politischen Ordnung, die sich mit einem Staat verträgt, der sich nicht über die nach Gottes Anordnung ihm zugewiesene Aufgabe, „nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen“ (Barmer Theologische Erklärung, 5. These), hinwegsetzt. Barth stand dabei die ökumenische Perspektive des politischen Gottesdienstes vor Augen, der sich unter den gegebenen Umständen jetzt zu konkretisieren habe.

 

Indem sich diese Sendschreiben an unterschiedliche Adressaten wandten, bemühte sich Barth, den unterschiedlichen Orientierungen und Umständen seiner Adressaten nach bestem Ermessen gerecht zu werden, was natürlich niemals vollkommen gelingen konnte. Die mit Barmen verbundene kategorische Abweisung aller natürlichen Theologie musste in England mit Widerspruch rechnen, wie sie von William Temple bereits 1934 in durchaus schroffer Form vorgetragen worden war,140 so dass sich Barth hier in seinem entscheidenden Punkt nicht wirklich verstanden wissen konnte. Bis heute wirken die Vorbehalte gegenüber Barth in der Church of England nach. Die Verständigung mit den reformierten Christen in den Niederlanden stand unter deutlich günstigeren Voraussetzungen. Sowohl in seinem Brief nach Frankreich als auch dem in die USA äußerte Barth auch freimütig seine Bedenken hinsichtlich der anhaltenden Enttäuschung über die Passivität der ökumenischen Bewegung, die nicht über die nötige kirchliche Autorisierung verfüge, um mit entsprechender Vollmacht öffentlich auftreten zu können – er verglich den ÖRK mit dem ebenfalls in Ohnmacht gehaltenen Völkerbund und erhoffte sich eine Aufwertung mit handlungsfähiger „geistlicher Macht“, die nicht zuletzt von Amerika ausgehen könnte.141

Zu dieser Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Krieges kam dann ein sehr grundsätzlicher zweiter Konflikt dazu zu einem Zeitpunkt, in dem dieser insofern in seine entscheidende Phase trat, als die Alliierten die Oberhand gewannen, so dass sich für Barth bereits das Ende des Krieges abzuzeichnen begann. Hier geriet Barth – diesmal überaus ernsthaft – in Konflikt mit Visser’t Hooft im Zusammenhang mit seinem 1943 im Blick auf die Neuordnung der Kirche nach dem Ende des Krieges ein erstes Mal artikulierten Vorstoß, die mit der Volkskirche genuin verknüpfte Säuglingstaufe zugunsten einer der Bekenntniskirche entsprechenden Entscheidungstaufe zu problematisieren.142 Für ihn hatte es sich erwiesen, dass es vor allem die volkskirchlichen Strukturen waren, die sich als unfähig erwiesen hatten, sich dem gesamtgesellschaftlichen Gleichschaltungssog wirksam entgegenzustellen. Barth startete seinen Angriff auf die überkommene Taufpraxis auf einer Studententagung der Schweizer theologischen Fakultäten in Gwatt. Er warf erbost Visser’t Hooft vor, in der von ihm geleiteten Diskussion eine unangemessene vermittelnde Position eingenommen zu haben, indem er besonders den Gegnern Gelegenheit zur Entfaltung gegeben habe, wodurch sich Visser’t Hooft mit einem „Abgrund von Mißtrauen“ konfrontiert und in seiner Integrität angriffen sah, was Barth wiederum nicht dazu brachte, mildere Töne anzuschlagen. Erst eine vermittelnde Intervention von Henriette Visser’t Hooft konnte verhindern, dass es zu einem offenen Zerwürfnis kam.143 Es wird durchaus deutlich, dass sich in diesem Konflikt bei Barth auch eine generelle Enttäuschung gegenüber der Ökumene Luft verschaffte, was in gewisser Weise den Falschen traf.

Jenseits dieses sehr persönlich ausgetragenen Konfliktes, in dem sich auch die Explosionskraft von Barths selbst eingestandenen ‚Lotzenzorns‘ zeigt (vgl. Kap. II.1, S. 45), begann mit der Wende im Krieg seit dem Herbst 1942 für Barth eine neue Herausforderung auch für die Ökumene in das Blickfeld zu rücken. Barth reagierte auf die deutlicher werdenden Erfolge der Alliierten mit einer sofortigen Veränderung der inhaltlichen Ausrichtung seiner Stellungnahmen. Ging es ihm bisher in seinen Briefen an die Christen in den von Deutschland bedrohten oder bereits unterworfenen Ländern um die Stärkung des Widerstandswillens gegen die Destruktionsmacht des Nationalsozialismus, so rückt nun bereits deutlich vor dem tatsächlichen Ende des Krieges die Frage des Neuaufbaus nach dem Krieg in das Zentrum seiner Äußerungen. Der eben angesprochene Vorstoß zur Revision der Taufpraxis gehört bereits in diesen Orientierungszusammenhang. Ohne eine monokausale Erklärung für sinnvoll zu halten, stand Barth vor Augen, dass es zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Ausbruch des zweiten zumindest eine verhängnisvolle Verbindungslinie gab, deren Hypothek einer sinnvollen politischen Entwicklung und Demokratisierung in Deutschland entgegengerichtet war. Es galt zu verhindern, dass nach dem Krieg wiederum ein heilloses Aufrechnen von unbezahlten und teilweise auch unbezahlbaren Rechnungen jeden vernünftigen Neuanfang unmöglich machte. Und so wandte sich Barth nicht nur an die Kirchen, sondern ebenso an die politischen Akteure hinsichtlich der von ihnen wahrzunehmenden Verantwortung. Sowohl einer Rachementalität der Alliierten galt es rechtzeitig entgegenzutreten wie auch allen Selbstentschuldigungsversuchen Deutschlands durch den gern angestrengten Versuch, sich durch den Verweis auf diese oder jene widrigen Umstände die Wahrnehmung der eigenen Verantwortung und Schuld möglichst vom Leib zu halten. Beides sollte sich als höchst notwendig erweisen. Dass er zugleich weiterhin nachhaltig tief enttäuscht war von der mangelhaften Wachsamkeit und dem ebenso geringen wie unentschlossenen Engagement der Ökumene, wird aus dem Vorwort der 1945 publizierten „Schweizer Stimme“ deutlich:

Sie haben geschlafen mit den Schlafenden. Sie haben geltend gemacht, daß der in Genf residierende Ökumenische Rat der nicht-römischen Kirchen erst „im Prozeß der Bildung“ begriffen sei und also noch keine Stimme habe. Und in dem allem waren sie noch zu Ende des Krieges nicht weiter als zur Zeit seines Anfangs. So haben sie nicht wiederkehrende geschichtliche Stunden, in denen sie priesterlich und prophetisch hätten reden müssen, versäumt. […] ich muß die Tatsache, daß diese Spitzen [sc. der Kirchen] jedenfalls diesmal gänzlich versagt haben, darum erwähnen, weil sie die Erklärung bildet für die auffallende und tief unbefriedigende Tatsache meines isolierten und durch keinen amtlichen Auftrag gedeckten Hervortretens.144

So bewusst Barth bisher die von ihm wahrgenommene Rolle ausdrücklich als die eines Stellvertreters für die Ökumene wahrgenommen hatte, so vorbehaltlos – wenn auch mit geschärfter Wachsamkeit – ließ er sich nach dem Krieg in die nun von der Ökumene ausgehenden Aktivitäten einbinden, einmal für ihre nicht konfliktfreie Zuwendung zu den deutschen Kirchen in der Gestalt der im August 1945 in Treysa begründeten EKD und zum anderen hinsichtlich der Vorbereitung der wegen des Krieges verschobenen Gründungsvollversammlung des ÖRK 1948 in Amsterdam.

Für Deutschland standen zwei Aspekte im Vordergrund. Im Blick auf die Siegermächte lag es Barth vor allem daran, dass Deutschland nun ein tragfähiger Weg in die Demokratie ermöglicht werde, der es wirksam gegenüber solchen Verirrungen wie dem Nationalsozialismus schützen sollte. Unmittelbar vor Kriegsende schreibt Barth für ein britisches Publikationsorgan:

Es wird nun […] alles darauf ankommen, daß die Sieger – bei denen ich angesichts des russischen Rätsels hier zunächst an die westlichen Sieger denke – den Besiegten durch die Art, in der sie ihre Gewalt in Deutschland ausüben, durch das Verhalten ihres Militärs, ihrer Verwaltungsbeamten und Gerichtspersonen, durch ihre Maßnahmen zur Durchführung der öffentlichen Ordnung und zur allmählichen Wiederherstellung des Verkehrs, der Wirtschaft, der Schulen und Kirchen, der sozialen und kulturellen Organisationen einen praktischen Anschauungsunterricht bieten hinsichtlich dessen, was man außerhalb Deutschlands und besonders im Westen unter Demokratie, Freiheit, Loyalität, Menschlichkeit, Weisheit, fair play, savoir vivre und unter männlicher Gerechtigkeit und Festigkeit versteht. Man kann sich darüber nicht klar genug sein, daß die übergroße Mehrzahl der deutschen Menschen das alles noch nie aus der Nähe gesehen, sondern, solange sie denken können, immer nur in unbeholfenen deutschen Nachahmungen oder in den feindseligen Verzerrungen der deutschen Propaganda kennen gelernt haben. (372)

Mit dem zweiten Aspekt wandte sich Barth an die Deutschen. Ihre Fähigkeit zu einem wirklichen Neuanfang sei in weitem Maße davon abhängig, inwieweit es nun gelingen werde, sich der ihnen zukommenden Verantwortung für die Katastrophe der jüngsten Geschichte zu stellen, indem sie sich möglichst genau die verschiedenen Aspekte ihres Versagens, ihrer Schuld und Desorientierung vor Augen führten, um dann auch die Chance zu haben, den bisher so blauäugig gegangenen abgründigen Weg verlassen und bewusst einen neuen verheißungsvolleren Weg einschlagen zu können. In diesem Aspekt konnte er sich nun auch mit der Ökumene verbunden wissen, die ein Zugehen auf die deutschen Kirchen von einem Eingeständnis ihrer Mitschuld bzw. einem Zeichen der Reue im Blick auf ihr Verhalten abhängig machte, was sie den deutschen Kirchenvertretern, die sich in dieser Frage bis in die Reihen der Bekennenden Kirche hinein sehr schwer taten, auch ausdrücklich zur Kenntnis brachte. Es ging Barth um eine nüchterne und augenöffnende Rechenschaftsablage über die eigene Beteiligung bzw. Blindheit, die nur erreicht werden konnte, wenn die Schuld nicht auf unbeeinflussbare Faktoren oder gar auf irgendwelche eigenmächtig agierende Dämonen abgeschoben wurde. Es kam schlicht darauf an, dass der eigene Anteil am Irrweg Deutschlands eingestanden wurde. Barth befand sich ganz und gar im Einvernehmen mit Visser’t Hooft, der seinerseits entsprechend appelliert hatte, als er am 28. September 1945 wohl bewusst niedrigschwellig an Niemöller schrieb, dass es nicht um solennes ‚Schuldbekenntnis‘ gehe, ebensowenig wie um eine theologische Erklärung,

aber bitte auch kein Hinweis auf Teufel und Dämonen, auf die allgemeine Erbsünde, auf die Schuld der Andern usf., nur klipp und klar und ohne Zutat und Einschränkung die Feststellung: wir Deutschen haben uns geirrt, daher das heutige Chaos, und wir Christen in Deutschland waren eben auch Deutsche! – Es bedarf heute einer Entgiftung und Reinigung, wenn die Teilnahme und Hilfe des christlichen Auslandes freudig, ernstlich und kräftig werden soll. […] Die Andern müssen zu hören bekommen, daß die Deutschen sich selber gegenüber distanziert haben.145

Dies hatte dann auch seine Bedeutung für den Neuanfang selbst: Ohne das Eingeständnis der eigenen Beteiligung an dem Versagen konnte es keine wirkliche Erneuerung geben. Alle Versuche der Selbstrechtfertigung standen in der Gefahr, als ein unbelehrtes Verharren in den alten Orientierungen verstanden zu werden, das dann auch unversehens die Schritte wieder in die alten Wege zurücklenken konnte. Unermüdlich warb Barth auf der einen Seite für eine entschlossene Zuwendung zu den Menschen in Deutschland, und ebenso unermüdlich wiederholte er in den verschiedensten Variationen, dass sich die Menschen in Deutschland ihrer Geschichte selbstkritisch zu stellen hätten. Schließlich verschloss sich die EKD der Bitte der Ökumene nicht und äußerte sich – wenn auch sehr zurückhaltend – am 18./19. Oktober 1945 in der Stuttgarter Schulderklärung (102). Damit machte sie den Weg für eine Rehabilitation in der Ökumene frei. Deutlicher als die Erklärung selbst waren in Stuttgart allerdings die Worte Niemöllers, die er den anwesenden Gästen aus der Ökumene als eine klar formulierte Verstehenshilfe für den Geist der Erklärung mitzugeben versuchte (97 f). Da jedoch die Vertreter der Ökumene dem problematischen Eindruck aufgesessen waren, dass die BK als solche in Deutschland für den Widerstand stehe, wurden diese selbstkritischen Töne wohl eher überhört. Weil die BK als Sprecherin der Schulderklärung aufs Ganze gesehen als integer galt, ist es auch einem so auffallend vorsichtigen Wort wie der Stuttgarter Schulderklärung geschenkt worden, die Barrieren zwischen der Ökumene und der EKD ausräumen zu können.

 

Im Februar 1946 beschloss der Vorläufige Ausschuss des ÖRK in seiner ersten Nachkriegstagung, im August 1948 in Amsterdam die verschobene Vollversammlung abzuhalten, auf der es dann endlich zur offiziellen Etablierung des ÖRK kommen sollte. Es mag mit den Resonanzen zusammenhängen, die Barth nach Kriegsende in diesem Bereich nun mit der Genfer Ökumene registrieren konnte, dass er sich nun auch in die Vorbereitung der Gründungsvollversammlung und dann auch – nach erneutem Zögern – zur Teilnahme und zur Übernahme des in das Generalthema einführenden Eröffnungsvortrags einbinden ließ.146 Er beteiligte sich an der Vorbereitungskommission I und sorgte dafür, dass in dem Vorbereitungsmaterial den Delegierten möglichst viel von der Ekklesiologie und den Erfahrungen der BK einschließlich ihrer bibeltheologischen Begründung an die Hand gegeben wurde. Auf einer Vorbereitungstagung im Château de Bossey bei Genf kam es zu einer anregenden Begegnung mit dem schwedischen Lutheraner Anders Nygren, in dem Barth erfreut ein anderes Luthertum traf, als es ihm von Deutschland in bedrückender Weise bekannt war:

Da wurde mir ein ganz anderer Luther vorgetragen. Da habe ich gesagt: das wäre ja fabelhaft, wenn das Luther wäre, aber was werden denn die in Deutschland dazu sagen? Seid ihr sicher, daß das der historische Luther ist? Und da hat man mir geantwortet, die deutsche Lutherforschung sei eine verirrte Angelegenheit, die hätten den richtigen Luther.147

Barth konnte sich überraschend mit Nygren sowohl auf eine angemessene Rezeption der Zwei-Reiche-Lehre als auch auf eine die Konfessionen relativierende und zugleich nicht überspringende Perspektive auf die Einheit der Kirche verständigen, auch wenn ihn der schriftliche Niederschlag dieser Verständigung dann schon wieder unbefriedigend erschien. Es war wohl insbesondere diese Erfahrung, die Barths Wahrnehmung der Ökumene positiv veränderte, so dass er sie nun auch als ein brauchbares Instrument für eine sinnvolle interkonfessionelle Verständigung anerkennen konnte. Freilich blieb Barths Urteil über die Ökumene weiterhin überaus schwankend, deutlich abhängig von den Möglichkeiten, die er gerade von ihr ausgehen sah bzw. denen sie an anderer Stelle im Wege stand. Ohne die besondere Beziehung, die Barth zu Visser’t Hooft hatte, wäre Barth mit seiner gewiss nicht besonders ausgeprägten Geduld wohl längst am Ende gewesen.

In seinem Eröffnungsreferat am 23. August 1948 zum Generalthema der Vollversammlung „Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan“ beschränkt sich Barth darauf, „einige Anmerkungen zum Ganzen“ zu machen.148 Dass er damit beginnt, erst einmal die Themenstellung gleichsam umzudrehen, weil die Unordnung der Welt allein von dem Heilsplan Gottes aus angemessen wahrgenommen genommen werden könne, gehört zu dem, womit für alle zu rechnen war, die auch nur ein wenig von Barths Theologie wussten. In einer nachträglichen Auseinandersetzung mit Richard Niebuhr über die fundamentaltheologische Differenz zwischen der angelsächsischen und der kontinentalen Theologie hebt er genau dies hervor, dass sich allein von Gottes Heilsplan aus überhaupt erst ermessen lasse, „in was die ‚Unordnung der Welt‘ eigentlich bestehen und was allenfalls gegen sie getan werden könne.“149 Barth liegt daran, möglichst gründlich den Weg zu versperren, auf dem der Eindruck hätte entstehen können, als stünde die Kirche mit dem Wissen um den Heilsplan Gottes der Unordnung der Welt gegenüber. Bei den von der Ökumene zu treffenden Verabredungen könne es in keinem Fall um einen ‚christlichen Marshall-Plan‘ gehen (138), sondern allein um die Bekräftigung des von der Kirche als dem Leib Christi zu erwartenden Zeugnisses, dass in Christus der Heilsplan Gottes bereits eine präsente Wirklichkeit ist, so dass sie der Welt die Freiheit anempfehlen könne, die der Psalm 37 in die Worte fasst: „Befiel dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen!“ (140)

Wir sollten den Gedanken gleich an diesem ersten Tag unserer Beratungen gänzlich fahren lassen, als ob die Sorge für die Kirche und die Welt unsere Sorge sein müsse. Beladen mit diesem Gedanken, würden wir nichts ausrichten, würden wir die Unordnung der Kirche und Welt nur noch vermehren können. Denn eben das ist schließlich die Wurzel und der Grund aller menschlichen Unordnung: die schreckliche, die gottlose, die lächerliche Meinung, als sei der Mensch der Atlas, dem das Himmelgewölbe zu tragen verordnet sei. (140)

Es liegt in der Konsequenz dieser Fundamentalaussage, wenn Barth die Mission möglichst deutlich von der Konkurrenz mit dem angeblich erst die Moderne beeinträchtigenden Säkularismus abrückt und damit jedem „Quantitätsdenken“, das sich von messbaren Erfolgen leiten lässt, eine grundsätzliche Absage erteilt (144).

Im Zusammenhang mit dem ökumenischen Aufbruch, der in dieser Versammlung angestoßen werden sollte, empfand Barth es als inkonsequent, für das Abendmahl auseinanderzugehen, um es getrennt zu feiern, anstatt in diesem Stadium „einer nicht mehr ganz bestehenden Trennung und einer noch nicht recht erreichten Einheit unserer Kirchen“ auf die Feier des Abendmahls zu verzichten, was dann gerade im Zusammenstehen den provisorischen und allemal unbefriedigenden Zustand des Verhältnisses der Kirchen zueinander tatsächlich hätte spürbar werden lassen (141).

Barth beschließt seinen Vortrag mit einer konkreten zeitgenössische Aufgabenzuweisung an die Ökumene, indem er den Zeugendienst der Kirche als einer bekennenden Kirche mit dem von ihr wahrzunehmenden politischen Wächteramt und dem sozialen Samariterdienst verknüpft, die sich als solche grundsätzlich nicht in den Dienst irgendeines Systems stellen – eine vergleichsweise milde Anspielung auf den Ost-West-Konflikt –, sondern allein als praktischer Ausdruck der zu bezeugenden christlichen Hoffnung recht verstanden werden können.

Neben der Mitarbeit in der Sektion I „Die Kirche in Gottes Heilsplan“ und – zusammen mit Martin Niemöller und Richard Niebuhr – in der Arbeitsgruppe „Leben und Arbeit der Frauen in der Kirche“, in der er sich aus unterschiedlichen Gründen nicht recht wohl fühlte, hielt Barth im Konvent der reformierten Delegierten ein zweites durchaus beachtenswertes Referat, in dem er den Reformierten in der Ökumene aufgrund ihrer Positionierung etwa in der Mitte des ökumenischen Spektrums zwischen den Orthodoxen auf der rechten und der Heilsarmee auf der linken Seite eine besondere integrative Rolle zumisst:

Ich erläutere ganz kurz: wir [sc. die Reformierten] haben es zur Rechten mit der Betonung der geschichtlichen Kontinuität der Kirche zu tun. Darum Bischofsamt mit apostolischer Sukzession, darum Tradition, Sakrament und Liturgie. Und wir haben es zur Linken zu tun mit dem Prinzip der souveränen Freiheit und Bewegung des Wortes und des Geistes. Wir Reformierten müssen notwendig um Beides wissen: um das „katholische“ und um das „protestantische“ (wir sagen lieber: das „evangelische“) Prinzip. Wir sind gewissermaßen von Haus aus katholische Protestanten und protestantische Katholiken, nicht das eine oder das andere. […] Gott schafft seine Kirche immer wieder neu. Daß wir, indem beides Wahrheit ist, die Leute zur Rechten und die zur Linken, jedenfalls die in unserer nächsten Nachbarschaft nicht mehr loslassen können, das versetzt uns ganz von selbst in die ökumenische Situation.150