Karl Barth

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Die hier angesprochene Selbstzwecklichkeit der Freiheit wäre allerdings missverstanden, wenn sie einen richtungslosen und somit leeren Freiheitsbegriff im Visier hätte, denn dieser gerät früher oder später ebenfalls genau in den benannten Widerspruch. Wenn Barth von einer durch Gott qualifizierten Freiheit spricht, grenzt er sich deutlich von einer Wahlfreiheit ab, in welcher der Mensch immer wieder wie Herkules am Scheideweg vor eine sein Schicksal entscheidende Wahl gestellt wird (KD III/1, 301). Ebenso ist es auch keine Freiheit, die uns gleichsam zur Wahl gestellt wird. Wo sich der Mensch vor die Frage gestellt sieht, sich für sie oder gegen sie entscheiden zu sollen, so als könne es auch eine andere jenseits von ihr geben, hat er sich bereits gegen sie gestellt (KD IV/1, 834), weil sie nicht als eine seiner Möglichkeiten in Erscheinung tritt, sondern als die wirkliche Wahrheit und die wahre Wirklichkeit Gottes, der nur in befreiter Anerkennung entsprochen werden kann (oder besser gesagt: der schlicht in befreiter Anerkennung entsprochen werden darf). Das macht ja erst die positive Qualifikation dieses Freiheitsverständnisses aus, dass mit der Freiheit nicht mehr das Schicksal des Menschen auf dem Spiel steht, was doch nur zeigen würde, dass sie nicht tatsächlich frei ist. Die Wahl ist nicht die entscheidende Signatur der Freiheit, zumal auch dem unfreien Menschen nicht einfach abgesprochen werden kann, dass er wählen könne.

Es lässt sich kaum sinnvoll als ein Ausdruck echter Freiheit ausgeben, dass sich der Mensch in seinem Eigensinn auch immer wieder vor die ihn gefährdende Möglichkeit gestellt sieht, dem Raum der von Gott eröffneten Freiheit den Rücken zu kehren in der doch so unbesonnenen Hoffnung, sich am Ende als Schmied des eigenen Glückes feiern zu können. Die Sünde ist nicht, wie es etwa vom emanzipatorischen Idealismus im 19. Jahrhundert gerne angenommen wurde, Ausdruck der Freiheit eines nun endlich zu sich findenden Menschen, sondern die ebenso misstrauische wie wohl auch ahnungslose Stilllegung der Freiheit, durch die er unweigerlich den Gesetzen der Selbstkonstitution verfällt, die ihm früher oder später seine tatsächliche Gefangenschaft vor Augen führen werden (KD IV/2, 559 f). Wenn die Freiheit im von Gott ermöglichten Vertrauen in seinen Bund begründet ist, kann sie nicht zugleich ausgerechnet auch noch für das gegen Gott gerichtete Misstrauen in Anspruch genommen werden. So wie sie in der Treue Gottes ihren Grund hat, kann sie auch nur in der darauf antwortenden Treue des Menschen gelebt werden; Barth spricht dann gern und regelmäßig vom freien Gehorsam, was sich heute nicht mehr ohne weiteres verständlich machen lässt, aber er hat dabei eben diese vertrauensvolle Treue zu Gott im Blick.

Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. IV.4.5.

11. Dogmatik und Ethik

These

Wie schon bei Calvin ist auch bei Barth die Perspektive der Theologie nicht nur auf die Rechtfertigung des Menschen und seines Lebens, sondern konsequent noch einen Schritt weiter auf deren Heiligung ausgerichtet. So wie es das ethische Versagen von Theologie und Kirche angesichts des Ersten Weltkriegs war, von dem sich Barth zu einer grundsätzlichen Neubesinnung der Theologie genötigt sah, so zielt seine theologische Arbeit stets auf die konkrete Gestalt des christlichen Lebens, d. h. Dogmatik und Ethik gehören für ihn immer unauflöslich zusammen.

Die genuine Verquickung von Dogmatik und Ethik gehört zu den Charakteristika seiner Theologie. Damit wird eine Fundamentalentscheidung seiner Theologie angesprochen, die unterschiedliche Orientierungsebenen hat, welche aber nicht auseinandergerissen werden dürfen.

Für das Verständnis der Dogmatik gilt, dass sie als kritisches Reflexionsorgan kirchlicher Praxis nicht nur ihre Aufgabenstellung aus dem Leben der Kirche bezieht, sondern auch mit ihren Resultaten und Perspektiven auf das Leben der Kirche im Horizont ihrer jeweiligen Lebensumstände und den aus ihnen resultierenden Versuchungen zielt. Indem das Leben der Kirche insbesondere in seiner verkündigenden Gestalt die Notwendigkeit einer kritischen Theologie herausfordert, bleibt es auch das christliche Leben, auf das sie mit ihren Bemühungen ausgerichtet ist. Die von Barth betonte Kontextualität der Theologie als die von ihr zu fordernde Pünktlichkeit („Bibel und Zeitung“) drängt sie einerseits zu einer erkennbaren Konkretheit, wie sie andererseits zugleich vor unangemessenen Generalisierungen warnt, die in der Regel mit unverbindlichen Abstraktionen verbunden sind. Wenn Barth entschlossen den bekennenden Aspekt der Kirche ins Zentrum rückt, wird dieser Lebens- und Verantwortungsaspekt unterstrichen.

Es ist vor allem die sachliche Umkehrung der lutherischen Grundunterscheidung von Gesetz und Evangelium, welche die pointierte Stoßrichtung Barths deutlich erkennbar macht. An die Stelle des lutherischen Gegensatzpaares tritt die als Komplementärfigur zu verstehende Horizontbestimmung der Theologie als Evangelium und Gesetz (Gebot). Dabei hebt Barth die Komplementarität von Inhalt und Form hervor, die wohl unterschieden, aber niemals voneinander getrennt werden können. So wie das Evangelium der Inhalt des Gesetzes ist, bleibt das Gesetz die Form des Evangeliums.19

Es kann deshalb auch nicht verwundern, wenn die Grundlegung der Ethik bereits in der für Barth besonders bedeutungsvollen Erwählungslehre reflektiert wird (KD II/2). Die Lebensrelevanz der Theologie zeigt sich darin, dass es in ihr keinen Inhalt gibt, dessen hinreichende Erfassung nicht auch in irgendeiner Weise den Bereich tangiert, der mit dem Begriff Ethik allerdings nur sehr unzureichend etikettiert wird. Barth übernimmt nicht einfach ein Konzept der Ethik, das er dann in seine Kirchliche Dogmatik implementiert, sondern er versieht seine dogmatischen Überlegungen von vornherein mit einer Reichweite, die bis in die Gestaltung des christlichen Lebens hineinreicht. Da es in allem, was die Theologie zu reflektieren hat, um Beziehungsverhältnisse Gottes zum Menschen geht, betrifft es auch immer zugleich die Beziehung des Menschen zu Gott ebenso wie die Beziehung zum Mitmenschen. Es geht also nicht um eine zweite Fragestellung, sondern allein um das Ausziehen der dogmatischen Reflexion bis hinein in das christliche Leben, wofür Barth dann die traditionelle Bezeichnung Ethik verwendet.

Von dieser fundamentaltheologischen Ebene bleibt die praktisch-theologische Ebene zu unterscheiden, wo es dann auch zu konkreten Entscheidungen und Stellungnahmen kommt, die für Barth auch stets eine wichtige Bedeutung gehabt haben.20 Viele seiner öffentlichen Stellungnahmen sind äußerst kontrovers aufgenommen worden. Gewiss sind sie ebenso wenig unfehlbar wie auch alle anderen Überlegungen und Zuspitzungen Barths, aber es bleibt wahrzunehmen, dass Barth nicht ohne Nachdruck darauf hingewiesen hat, dass er auch diese Äußerungen stets in einer unmittelbaren Beziehung zu dem verstanden wissen wollte, was ihn sonst in der Theologie bewegt und orientiert hat. Gewiss bleibt zwischen den theologischen Zuspitzungen und den politischen Konkretionen immer auch Hiatus, der schon durch die jeweils zu Rate gezogenen unterschiedlichen Informationsstände offenkundig wird. Insofern kann hier in den meisten Fällen nicht nur eine Option als die einzig richtige angesehen werden. Es bleibt aber zu beachten, dass Barth auch den politischen Bereich nicht als einen eigengesetzlichen Bereich gesehen hat, in dem dann auch andere Dynamiken zu akzeptieren seien. Vielmehr kann es in allen konkreten Lebensfragen keine anders orientierte Freiheit als die Freiheit des Glaubens mit ihren besonderen Orientierungen geben. Es kann schließlich nicht überraschend sein, dass es Barth in seinen Positionierungen in der Regel weniger um die Anwendung von bereits ausgefeilten ethischen Überlegungen, sondern um die Konsequenzen aus als fundamental apostrophierten dogmatischen Einsichten gegangen ist. Es war vor allem das Ernstnehmen der Auferstehung und damit der lebendigen Gegenwart Christi, auf die sich Barth nicht nur in seinen Ermutigungen zu einem entschlossenen Kampf gegen den Nationalsozialismus als unabweislichen Grund dafür berief, dass die Kirche nicht einfach unbeteiligt dem sich vor ihren Augen abspielenden Drama zusehen könne.

Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. II.7, IV.4.3, IV.5.7, V.3 u. V.6.

12. Ökumene und weltweite Solidarität

These

Auch wenn Barth die sich in seiner Zeit formierende ökumenische Bewegung mit nur kurzer Unterbrechung vor allem skeptisch beurteilte, kann nach seinem Verständnis rechte Theologie immer nur ökumenische Theologie, d. h. eine auf die ganze Gemeinde ausgerichtete Theologie sein. Barths Theologie ist dann auch insofern zu einem ökumenischen Ereignis geworden, als sie zu den wenigen Theologien gerechnet werden kann, die bis heute eine ökumenische Beachtung gefunden haben.

Aus dem reformatorischen Umfeld verfügt kaum eine andere Theologie des 20. Jahrhunderts über eine vergleichsweise hohe ökumenische Wahrnehmung und Anschlussfähigkeit wie die von Karl Barth. Vermutlich ist es allein Dietrich Bonhoeffer, dem eine vergleichbare Beachtung und Wirkung zugeschrieben werden kann. Das gilt auch hinsichtlich der unterschiedlichen Dimensionen, die mit dem Begriff der Ökumene verbunden sind. Grob gesprochen steht die Ökumene einerseits für die unterschiedlichen Ebenen zwischenkirchlicher und interkonfessioneller Verständigung und andererseits für die mit ihrer weltweiten Ausbreitung verbundene Verantwortung der Kirche. Zwar hat sich Barth nur sehr zurückhaltend zu der ökumenischen Bewegung verhalten und das Thema der Ökumene explizit nur wenig bearbeitet, aber faktisch kommt ihr sowohl im Blick auf die Dialog-Ökumene als auch die Verantwortungsökumene eine überaus große Bedeutung zu.21

 

Ein Grund für die hohe Akzeptanz, die Barths Theologie in der Ökumene genießt, mag gerade darin liegen, dass sie sich weder einem ökumenischen Programm verschreibt noch eine bestimmte ökumenische Vision verfolgt und sich damit weder in einer umstrittenen Gemengelage auf eine der gegeneinander stehenden Seiten schlägt noch einer bestimmten ökumenischen Stimmungslage zu entsprechen versucht. Es hat sich gezeigt, wie schnell sich in der Ökumene Stimmungslagen und damit ökumenische Bewertungen verändern können, so dass theologische Konzepte, die sich eng an die konkrete historische Bewegung der Ökumene anlehnen, eben auch ihrem Akzeptanzverlauf unterworfen sind.

Es hat sich gezeigt, dass die Theologien, die ausdrücklich ökumenisch sein wollen, wie etwa die von Jürgen Moltmann, oder die darüber hinaus sogar interreligiös perspektiviert sind, wie die von Hans-Martin Barth, vor allem das Gespräch in der eigenen Konfession anregen und bestenfalls noch diejenigen in den anderen Konfessionen erreichen, die aus der Perspektive ihrer jeweiligen eigenen Tradition heraus ebenfalls eine auf die Ökumene zentrierte Theologie vertreten. Jürgen Moltmann gehört zweifellos zu den weltweit am meisten wahrgenommenen Theologen, aber es sind vor allem die weit gestreuten verschiedenen reformatorischen theologischen Traditionen, die sich von ihm zu einer von ihrer eigenen Tradition ausgehenden ökumenischen Vision anregen lassen. Darin liegt zweifellos eine große ökumenische Kraft, von der aber abzuwarten bleibt, wieweit sie auch über die Verständigungsgewohnheiten der eigenen Konfessionsfamilie hinaus anregend sein kann. Erfahrungen aus Dialogen mit römisch-katholischen oder orthodoxen Theologen stimmen da eher skeptisch.

Die ökumenische Anschlussfähigkeit der Theologie Barths hat ihren Grund weder in einer kongenialen noch einer gesuchten Nähe zu den ökumenischen Aufbrüchen im 20. Jahrhundert. Vielmehr stand er unbeschadet verschiedener Einlassungen in das sich formierende Engagement des Ökumenischen Rates der Kirchen sowohl dem hier gewählten Ausgangspunkt als auch dem ins Auge gefassten Weg eher skeptisch bis ablehnend gegenüber. Ökumene kann nach seinem Verständnis nur das Resultat eines nach vorn blickenden Bekenntnisses, das die Kirche als Ausdruck der Antwort formuliert, zu der sich die Kirche in den Nöten der Gegenwart unter strikter Wahrung bzw. Wahrnehmung ihrer theologisch belastbar auszuweisenden Verantwortung vor Gott gedrängt sieht. Ein solches Bekenntnis stand Barth in der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 vor Augen. Alle seine Versuche, den ökumenischen Rat zu einer Unterstützung der mit diesem Bekenntnis annoncierten Positionierung der Kirche gegenüber der vom Nationalsozialismus ausgehenden Bedrohung zu bewegen, blieben weithin unerhört.

Auch wenn ihm eine unmittelbare ökumenische Resonanz zu dieser ihn zutiefst bewegenden Herausforderung versagt geblieben ist, so wurde doch die theologische Grundsätzlichkeit des hier bearbeiteten Konflikts auch außerhalb der unmittelbar beteiligten Kirchen bald anerkannt. Zudem wird Barth auch außerhalb der reformatorischen Tradition als ein Theologe wahrgenommen und dann auch akzeptiert, der sich im Horizont der gegenwärtig an die Theologie gestellten Anforderungen auf einer soliden Basis mit den großen Themen der Theologie beschäftigt, welche die Kirche in ihrer Geschichte immer wieder bewegt haben. Indem sich Barth kenntnisreich und achtsam auch mit den vorreformatorischen Auseinandersetzungen und Entscheidungen der Theologie auseinandersetzt, ergibt sich für das Gespräch mit der katholischen und der orthodoxen Tradition ein selten großer gemeinsamer Orientierungshorizont und Diskussionsraum. Da auch die anderen Traditionen nicht einfach wiederholen, was die Alte oder mittelalterliche Kirche gesagt hat, ist es in der Regel kein Problem, wenn Barth dann zu durchaus abweichenden eigenen Antworten kommt, die seine reformatorische Prägung erkennen lassen. Aber es wird offenkundig registriert, dass Barth nicht nur behauptet, sich an den gleichen Fragen abzuarbeiten, wie die Theologien anderer Konfessionen, sondern dies mit den Orientierungen und der Denkarbeit seiner Theologie auch unter Beweis stellt und damit zur Auseinandersetzung einlädt. In dieser Hinsicht ist das Ökumenische seiner Theologie die konstruktive und belastbare Aufmerksamkeit auf die ganze Tradition der Kirche. Theologie ist in dieser Wahrnehmung ökumenisch, wenn sie sich ebenso schlicht wie argumentationsbereit auf die der Kirche gemeinsame Tradition einlässt und nicht nur die eigene Tradition möglichst ökumenefähig zu machen versucht.

Wenn Barths Theologie zudem auch für die von der Ökumene wahrzunehmende Weltverantwortung eine hohe Anschlussfähigkeit mitbringt, so hat dies vor allem zwei Gründe. Einerseits liegt sie in der theologisch ausgewiesenen Widerstandsfähigkeit seiner Theologie gegenüber den Ansprüchen des Nationalsozialismus begründet, wie sie sich in besonderer Weise in der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 niedergeschlagen hat. Neben der dann leider erst später erfolgenden weltweiten Rezeption des Barmer Bekenntnisses ist es vor allem der von Barth hervorgehobene konfessorische Charakter der theologischen Existenz, der die Beachtung gilt: Theologie muss ihrem Wesen nach in dem Sinne bekennende Theologie sein, dass sie auf das heute zu sprechende Bekenntnis in Wort und Tat ausgerichtet ist. Und damit hebt Barth in seiner Theologie zugleich mit besonderem Akzent die vorbehaltlose Solidarität der Christen mit einer nüchtern wahrgenommenen Welt hervor. Diese Solidarität orientiert sich unabhängig von allen unterschiedlichen weltanschaulichen und ideologischen Prägungen an den Nöten der Menschen. In diesen Zusammenhang gehört nicht zuletzt die überraschende Rezeption, welche die Theologie Barths in der katholischen Theologie der Befreiung in Lateinamerika erfahren hat.

Bis heute allein geblieben ist Barth allerdings mit seinen bereits angedeuteten israeltheologischen Herausforderungen, vor die er die Kirche vor allem um Gottes willen gestellt sieht, nicht nur in ihrem Selbstverständnis als Volk Gottes, sondern auch hinsichtlich der über die Kirche hinausreichenden Treue Gottes zu seiner Erwählung. Wenn Barth die eine Gemeinde Jesu Christi als die aus Israel und Kirche bestehende Gemeinde versteht (KD II/2, § 34.1), bewegt er sich auf einer Ebene, von der aus alle bisherigen ökumenischen Orientierungen grundlegend neu zu orientieren wären.22

Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. II.6; IV.3.3.2

*

Auch wenn sich mühelos weitere Akzente der Theologie Barths benennen ließen, mag es im Zusammenhang dieser Einführung zunächst mit diesen zwölf Blitzlichtern sein Bewenden haben. Sowohl der Entdeckungshorizont als auch der Begründungshorizont für eine gründliche und selbstkritische Revision der gesamten Theologie sind ebenso erkennbar geworden wie die spezifischen erkenntnistheoretischen Prämissen, denen Barth eine die Selbstreferenz ihres Gegenstandes respektierende Theologie unterworfen sah. Theologie ist alles andere als eine selbstverständliche und routinisierbare Angelegenheit zur Reinerhaltung der christlichen Tradition. Vielmehr steht sie in der Verantwortung, immer wieder neu darüber Rechenschaft abzulegen, wie angemessenen zu antworten ist auf die heute ergehende Anrede Gottes, wie sie sich im je gegenwärtigen Hören auf das vom Zeugnis der Bibel bezeugte Wort Gottes vernehmbar macht. Wenn Barths Theologie als eine Theologie des Wortes Gottes bezeichnet wird, gilt die Aufmerksamkeit weder einem als besonders wichtig erkannten Bedarf des Menschen noch einer für den Erhalt der Kirche als förderlich oder gar rettend ausgewiesenen Perspektive, sondern sie verweist alle begründbaren Hoffnungen des Menschen und die zu lebenden Perspektiven der Kirche auf das lebendige Wort Gottes, in dem, wenn es ernsthaft als solches vernommen wird, auch für die Bedarfe des Menschen und die Perspektiven der Kirche ausreichend gesorgt ist.

Da sich die Theologie grundsätzlich mit ihren Einsichten weder am Ziel noch auch nur im vorläufigen Besitz der Wahrheit wissen kann, geht nichts mehr an Barth vorbei als der Vorwurf einer von ihm angestoßenen Neo-Orthodoxie. Vielmehr lässt sich umgekehrt die Wahrnehmung gut begründen, dass seine Theologie den meisten Problemwahrnehmungen der gegenwärtigen theologischen Diskurse durchaus noch voraus ist. Zweifellos ist uns der unmittelbare Zugang inzwischen erschwert, so dass wir ohne eine gewisse Historisierung nicht mehr auskommen. Das sind wir schon der von Barth selbst betonten Kontextualität seiner Theologie schuldig. Eine nähere Beschäftigung mit Barth wird dann aber auch schnell zeigen, dass das theologische Potenzial, das in dieser Theologie steckt, sich nicht in seiner historischen Bedeutung erschöpft, sondern in vielen der gegenwärtigen Problemkonstellationen immer noch eine erschließende und dann auch weiterführende sachliche Anregung bereitstellen könnte.23 Es ist bemerkenswerterweise vor allem die neuere theologische Diskussion in den Vereinigten Staaten von Amerika, die uns in dieser Entdeckung heute voranzugehen scheint.24

1Vgl. Pressel, Die Kriegspredigt 1914–1918; Missalla, „Gott mit uns“.

2Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 565.

3Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie [1922], 158.

4Diese Formulierung ist charakteristisch für Barth, Römerbrief (Zweite Fassung), 47, 59, 66, 76, 223, 435, 498, 522.

5Barth, Die neue Welt in der Bibel [1917], 335.

6Vgl. ebd., 322.

7Barth, Die Kirchliche Dogmatik [KD], Bd. I/1, 311 (Im Folgenden erscheinen die Belege aus der KD mit Band- und Seitenangabe im Text).

8Barth, Abschied, 497.

9Vgl. dazu seine Ausführungen über den dialektischen Weg in: Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 166–172.

10Diese nur teilweise berechtigte Unterscheidung wurde einführt von v. Balthasar, Karl Barth, 93 ff.

11Vgl. dazu auch kompakt Weinrich, Bund.

12Vgl. dazu Link, Theodizee.

13Vgl. dazu Wüthrich, Gott und das Nichtige.

14Vgl. dazu klassisch Pico della Mirandola, De hominis dignitate.

15Vgl. dazu Barth, Das christliche Leben, 56 f.

16Barth, Das Geschenk der Freiheit.

17Zu den Postulaten der reinen praktischen Vernunft vgl. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 140– 153 (= Originalausgabe 1797, 223–241).

18Vgl. dazu Weinrich, (Ver-) Bindungen der Freiheit.

 

19Vgl. Barth, Evangelium und Gesetz.

20Vgl. Barth, Offene Briefe (drei Bände).

21Vgl. Weinrich, Karl Barth und die Ökumene.

22Vgl. dazu Weinrich, Ökumene am Ende?, 149 ff.

23Vgl. dazu u. a. Fazakas/Árpád (Hg.), Ist die Theologie Karl Barths noch aktuell?

24Vgl. dazu Gockel, Jede Stunde neu anfangen.