Karl Barth

Текст
Автор:
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Viel radikaler als Barth hatte sich der thüringische Pfarrer Friedrich Gogarten unter dem Eindruck der Grundlagenkrise im Horizont des sinnlosen Wütens im Ersten Weltkriegs von seinen Lehrern losgesagt und diese mitsamt ihrer Wissenschaft auf den Friedhof verwiesen: „Das ist tot, worauf die Wissenschaft […] ihren Blick richtet und was sie begreifen kann. […] Ich will der Wissenschaft keinen Vorwurf machen. Nicht sie tötet. So stark ist sie nicht. Sie darf nur Totes angreifen.“ – So Gogarten in seinem Beitrag „Zwischen den Zeiten“ 1920 in der ‚Christlichen Welt‘.59 Auch wenn Barth Gogarten gegenüber eine niemals ganz überwundene Reserviertheit – insbesondere hinsichtlich seiner Bewertung der Geschichte – verspürte, kam es 1922 zusammen mit ihm, Georg Merz und Eduard Thurneysen zur Gründung einer Zeitschrift unter eben dem Titel von Gogartens radikalem Angriff auf die überkommene Theologie. Diese Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ wurde unter der glücklichen Schriftleitung von Merz für elf Jahre zum wichtigsten Organ der „Dialektischen Theologie“, die schon bald als eine eigene Richtung in den theologischen Auseinandersetzungen identifiziert wurde. Die meisten der ebenso lebhaft wie kontrovers diskutierten Vorträge, die Barth in den zwanziger Jahren neben der ihn in Atem haltenden Lehrtätigkeit hielt, wurden zunächst in dieser Zeitschrift publiziert. Zu denjenigen, die diese Zeitschrift im Wesentlichen geprägt und getragen haben, gehörte auch der von Barth geschätzte Schweizer Theologe Emil Brunner, der sich mit seiner Kampfschrift „Erlebnis, Erkenntnis und Glaube“ (1921) an die Seite Barths begeben hatte.

Die Arbeitsgemeinschaft mit Brunner erwies sich aber ebenso wie die mit Gogarten als durchaus vorbehaltlich, und Barth sah sich in seinen Thurneysen gegenüber immer wieder geäußerten Bedenken bestätigt, als es dann im Zusammenhang mit dem Erstarken des Nationalsozialismus mit beiden zu einem schmerzlichen Bruch und damit auch zu einem abrupten Ende der Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ kam.

Insgesamt bleibt zu fragen, ob die spezifische Pointe von Barths Interventionen von seinen temporären Mitstreitern tatsächlich verstanden wurde, sah sich Barth doch immer wieder allein auf sich selbst und seine Bemühungen um Verdeutlichung und tiefere Begründung zurückgeworfen. Die spätere Entwicklung lässt seine Distanz von beinahe all seinen Weggenossen deutlicher werden, so dass mit guten Gründen bereits der Konsens im Blick auf die Wahrnehmung der Krise in Frage gestellt werden kann. Möglicherweise verdankt Barth, wie bereits angedeutet wurde (vgl. Kap. I), die ihm zugewandte Aufmerksamkeit weniger der Wahrnehmung seiner stets mehrschichtigen Argumentation als vielmehr der allgemeinen Krisenstimmung nach dem katastrophalen Ausgang des Ersten Weltkriegs, die in einem abgründigen Kulturpessimismus allem Überkommenen und Bestehenden eine Absage erteilte und sich vor allem in der Negation erging. Die Rezeption Barths scheint mehr der vermuteten Entsprechung zur herrschenden Depression als dem gefolgt zu sein, was Barth mit seinen Überlegungen zu bedenken geben wollte.60 Niemals ging es ihm allein um das Nein. Spenglers „Untergang des Abendlandes“ stand er ganz und gar ablehnend gegenüber. Vielmehr war sein Impuls von einem nicht mehr erkennbaren bzw. einem verdrängten Ja getrieben, um dessen willen es vorläufig und entscheiden auch Nein zu sagen gelte, aber eben nicht schon als die Botschaft selbst, sondern bestenfalls als Ausdruck der mit ihr verbundenen Veränderungen und Zuspitzungen unserer Wahrnehmungen. Selbst auf dem Höhepunkt seiner Skepsis kann Barth 1919 formulieren:

Die Einsicht in die echte Transzendenz des göttlichen Ursprungs aller Dinge erlaubt, ja gebietet uns, immer auch das jeweilige Seiende und Bestehende als solches in Gott, in seinem Zusammenhang mit Gott zu begreifen. Der direkte, der schlichte, der methodische Weg führt uns notwendig zunächst nicht zu einer Verneinung, sondern zu einer Bejahung der Welt, wie sie ist. […] Nur aus dieser Bejahung kann sich dann die echte, die radikale Verneinung ergeben, die bei unseren Protestbewegungen offenbar gemeint ist.61

Nicht zuletzt die oben skizzierte Auseinandersetzung um seine Dogmatikvorlesung hatte in Barth den Wunsch gesteigert, aus der schlecht dotierten und von seinen Kollegen klein gehaltenen Stelle auf eine besser situierte Professur zu wechseln. In der regelmäßigen Korrespondenz mit Thurneysen, der wir viele lebhaft und ungeschminkt präsentierte Einblicke in Barths Wahrnehmungen des eignen Weges verdanken, bezeichnete er seine Kollegen als „Giftspritzer“ und „Beiß-Zangen“.62 Unterschiedliche Möglichkeiten eines Wechsels waren im Gespräch, darunter auch die Möglichkeit als Nachfolger Kutters die Pfarrstelle in der Zürcher Neumünstergemeinde zu übernehmen. Als ihn im Sommer 1925 die Absicht der evangelisch-theologischen Fakultät in Münster erreichte, ihn zum Professor für Dogmatik und Neues Testament zu berufen, zögerte er nicht lange und fand sich bereits im Oktober in Münster wieder, zunächst allein und ab März 1926 im neu erworbenen Haus in der Himmelreichallee mit der ganzen Familie. Bereits 1922 hatte die Fakultät Barth, der ohne einen akademischen Grad nach Göttingen berufen worden war, „wegen seiner mannigfachen Beiträge zur Revision der religiösen und theologischen Fragestellung“ mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet, was Barth in der schwierigen Göttinger Situation mit einer gewissen Genugtuung erfüllte und nun den Wechsel nach Münster beflügelt hatte.

In diese Zeit des Wechsels nach Münster fiel auch – zunächst in der Gestalt eines intensiven Briefwechsels – der Beginn der Beziehung zu Charlotte von Kirschbaum (1899–1975), derzeitig Krankenschwester in Krefeld, die Barth durch Georg Merz 1924 kennengelernt hatte. Diese schnell an Intensität zunehmende Beziehung wird Barths weiteres Leben in entscheidender Weise prägen – „eine große unerfüllterfüllte Liebesgeschichte“63 und zugleich eine intensive und produktive Arbeitsgemeinschaft, ohne die nach Barths eigenem Zeugnis sein Werk nicht das Ausmaß hätte annehmen können, das es schließlich angenommen hat. Die von Barth eingestandene Liebe zu Charlotte von Kirchbaum und sodann 1929 auch ihr Einzug in das Haus der Familie Barth führten nach belastenden Ungewissheiten schließlich aber nicht zur Scheidung von seiner Frau Nelly. Die Familie arrangierte sich unterschiedlich erfolgreich mit der schwierigen, alle Beteiligten immer wieder belastenden Konstellation, was nach außen zu mancher Irritation führte. „Lollo“ – wie sie bald nicht nur von Barth genannt wurde – stand mit all ihrer Arbeitskraft und mit wachsendem eigenem Verständnis nicht nur als Sekretärin, sondern auch als Rat gebende und wachsam kritische, selbständige Mitarbeiterin Barth bis 1964 zur Seite bis dahin, dass sie ihn in verschiedenen Zusammenhängen selbständig vertreten und ebenso selbständig einen nicht unwesentlichen Teil seiner Korrespondenz führte (vgl. Kap. II.7, S. 145).64

Im Sommer 1926 hielt Barth eine Vorlesung „Geschichte der protestantischen Theologie seit Schleiermacher“, in der er sich durchgängig darum bemühte, auch das jeweilige Recht und Wahrheitsmoment der dann schließlich doch im Ganzen als nicht tragfähig abgewiesenen Konzepte eigens zum Leuchten zu bringen. Mit dieser positiven Würdigung der Geschichte wandte sich Barth nicht zuletzt deutlich gegen die um sich greifende agitatorische Verdrossenheit, mit der es verbreitet üblich wurde, vor allem auf die liberalisierenden Impulse des letzten Jahrhunderts verächtlich einzuschlagen. Seine Neuzeitkritik hat sich nirgends an dem zeitgenössischen vor allem deutschen Antiliberalismus beteiligt. Im Blick auf Schleiermacher heißt es in der späteren Publikation dieser Vorlesung: „Wer von dem Glanz, der von dieser Erscheinung ausgegangen ist und noch ausgeht, nichts gemerkt hätte, – ja ich möchte fast sagen: wer ihm nie erlegen wäre, der mag in Ehren andere und vielleicht bessere Wege gehen, er sollte es aber unterlassen, gegen diesen Mann auch nur den Finger aufzuheben.“65 – Ebenfalls in die Münsteraner Zeit fällt nicht zuletzt eine bewusste und respektvolle Begegnung mit der katholischen Theologie – vor allem eine prägende Begegnung mit dem im Zusammenhang mit einer Lehrveranstaltung über Thomas von Aquin eingeladenen Münchener Jesuiten Erich Przywara (1889–1972)66 – ebenso wie mit dem eigenständigen Reformiertentum in den Niederlanden.

Vor allem aber war Barth fieberhaft mit der Überarbeitung seiner Göttinger Dogmatikvorlesung befasst, die ähnlich wie beim Römerbrief auf eine gänzliche Neufassung hinauslief, auch wenn die Disposition weithin erhalten blieb. Es war insbesondere die nun ins Zentrum gerückte Christologie, mit der Barth auch ausdrücklichen Anschluss an die altkirchliche Lehrentwicklung suchte, die der Rede vom Wort Gottes nun zu einer Differenzierung verhalf, die für seine spätere Theologie dann charakteristisch bleiben sollte.

Die Lehre vom Wort Gottes bekommt ihren Platz in den Prolegomena als dem Ort zugewiesen, wo mit einer charakteristischen Betonung in der neuzeitlichen Theologie die Voraussetzungen und der allgemeine Bedingungshorizont der Theologie als Wissenschaft erörtert werden. Nicht von allgemeinen Überlegungen über Vernunft und Glaube oder über das Wesen der Religion ist auszugehen, sondern von der Besonderheit des Wortes Gottes, das in seinen unterschiedlichen Gestalten der Theologie nicht nur ihren Gegenstand gibt, sondern ihr auch eine spezifische Form auferlegt, die mit der Charakterisierung als ‚dialektisch‘ nur teilweise erfasst wird. Es ist nicht das Methodische, auf das die Dialektik verweist, sondern die Diastase zwischen Gott und Mensch und die daraus resultierende Unzulänglichkeit und Vorläufigkeit aller theologischen Einsichten angesichts der prinzipiellen Unverfügbarkeit ihres Objektes.67 Das Wort Gottes als der sachliche Ausgangspunkt der Theologie muss zum Subjekt ihrer Erkenntnis werden – nur so kann es dann auch ihr Objekt sein. Alle Fixierungen, die hier vorgenommen werden, treten der Lebendigkeit des Wortes Gottes mehr in den Weg, als dass sie ihm tatsächlich auf die Sprünge zu helfen vermöchten. Der in den Sommerferien 1927 mit Unterstützung von Charlotte von Kirschbaum fertiggestellte erste Band einer auf mehrere Bände geplanten „Christlichen Dogmatik“ erscheint im Chr. Kaiser Verlag als das erste dogmatische Buch Barths. In dem Vorwort markiert er selbst die Veränderung, dass nun aus den bisherigen Randglossen eine neue Theologie geworden sei, die nun aber dem Korrektiv verpflichtet sei, mit dem er sich bisher zu Wort gemeldet habe. Als Theologe könne man nicht auf Dauer in der Prophetengebärde verharren, sondern müsse sich in der dem Menschen angemessenen irdischen Weise möglichst genau Rechenschaft von einem möglichst adäquaten Umgang mit dem seinerseits unverfügbaren Wort Gottes ablegen: „Ich war und bin ein gewöhnlicher Theologe, dem nicht das Wort Gottes, sondern bestenfalls eine ‚Lehre vom Wort Gottes‘ zur Verfügung steht.“68

 

Im Sommer 1928 und im Winter 1928/29 schloss Barth eine ihm verschiedentlich vorgehaltene Lücke, indem er eine Vorlesung über die Ethik hielt. Darin stellt er sich gegen die Aufteilung, dass die Dogmatik das Tun Gottes und die Ethik nun das Tun des Menschen bedenke. Vielmehr gehe es auch in der Ethik um das Wort Gottes, und zwar nicht unter dem Gesichtspunkt, dass nun der Mensch für sein Handeln dieses Wort in Anspruch nimmt, sondern unter dem, „daß dieses Wort Gottes […] den Menschen in ganz bestimmter Weise in Anspruch nimmt.“69

1929 erhielt Barth im Sommer einen Ruf nach Bonn, den er bald annahm. Im Frühjahr 1930 nahm er dort seine Lehrtätigkeit auf, womit auch für die Bonner Fakultät eine unvergleichliche Blütezeit begann, die allerdings nur gute vier Jahre währte. Viele Studierende wechselten nach Bonn, vor allem um Barth zu hören, so dass seine Lehrveranstaltungen hoffnungslos überfüllt waren. Für die unter dem Ansturm bereits doppelt durchgeführten Seminare (je 30 ordentliche Teilnehmer + 15 außerordentliche) wurden Aufnahmeprüfungen eingeführt, an der bis zu zwei Drittel der Bewerber scheiterten. Auch die Zahl katholischer und ausländischer Studierende wuchs. Es waren diese kurzen Jahre, in denen Barth die meisten seiner später bedeutenden Schüler wie Georg Eichholz, Walther Fürst, Helmut Gollwitzer, Walter Kreck oder Karl Gerhard Steck prägte. Ernst Wolf wurde 1931 mit Unterstützung Barths berufen. Karl Ludwig Schmidt und sein Assistent Emil Fuchs, vor allem aber sein ehemaliger Vikar und sozialistischer Kampfgenosse Fritz Lieb, Experte für russische Kirchengeschichte, gehörten zu dem sich weithin gedeihlich aufeinander beziehenden Lehrkörper der Fakultät, in der es auch möglich war, sich in einer Weise offen über politische Wahrnehmungen zu verständigen, wie es Barth in Deutschland bis dahin nicht erlebt hat. Barth hat im Rückblick die Bonner Zeit – nicht zuletzt aufgrund der noch zu beleuchtenden Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus, die es bald zu bestehen galt – als die wohl intensivste Zeit seines Lebens erlebt, an die er später gern zurückgedacht hat bis hin zu der dann aber schnell verworfenen Möglichkeit, nach dem Zusammenbruch im Zweiten Weltkrieg wieder an die Bonner Fakultät zurückzukehren. Auch sonst genoss Barth in Deutschland größte Aufmerksamkeit. Zu seinem Vortrag „Die Not der evangelischen Kirche“ im Januar 1931 kamen in Berlin 1400 Hörerinnen und Hörer in die Aula der Berliner Universität, und auch an anderen Orten hatte Barth einen ungewöhnlich regen Zulauf.

In dieser Zeit erschienen zwei wichtige Arbeiten Barths: Zunächst 1931 sein sogenanntes Anselmbuch „Fides quaerens intellectum“ („Glaube, der nach Verstehen sucht“), in dem er nach eigenem Zeugnis in Auseinandersetzung mit Anselm von Canterbury zu den für ihn dann später in der Kirchlichen Dogmatik (KD) bestimmenden Präzisierungen in der Bestimmung der Theologie und ihrer besonderen Denkform durchdringt.70 Später hat Barth von dem Buch gesagt, dass er es mit größter Liebe geschrieben habe, und hebt inhaltlich hervor:

Das positive Neue war dieses: ich hatte in diesen Jahren zu lernen, daß die christliche Lehre ausschließlich und folgerichtig und in allen ihren Aussagen direkt oder indirekt Lehre von Jesus Christus als von dem uns gesagten lebendigen Wort Gottes sein muß, um ihren Namen zu verdienen und um die christliche Kirche in der Welt zu erbauen, wie sie als christliche Kirche erbaut sein will.71

Während sich das Buch vor allem auf Kapitel zwei bis vier des „Proslogion“ konzentriert, in dem Anselm seinen berühmten ontologischen Gottesbeweis entfaltet, gibt der Titel eine häufig zitierte Wendung Anselms aus der Vorrede seines Proslogion wieder. Um bei der Vorrede Anselms zu bleiben, geht es um den überhaupt das Verstehen erst ermöglichenden Glauben: credo ut intelligam – ich glaube, damit ich verstehe. Es ist die mit der Glaubensverwiesenheit unseres Verstehens verbundene christologische Konzentration, die Barth den Blick auf den besonderen Charakter der theologischen Erkenntnis schärft, die ihn nun auch auf Schwächen der reformatorischen Theologie aufmerksam macht, so dass er sich gedrängt sieht, in der Konsequenz auch über diese hinsichtlich der Abwehr der natürlichen Theologie hinausgehen zu müssen (vgl. Kap. I.5; III.2).

So sah er sich genötigt, die 1927 erschienenen Prolegomena zur christlichen Dogmatik noch einmal gründlich zu überarbeiten, was sich dann auch in der Veränderung des Titels wiederspiegelt. 1932 erschien der erste Teilband der besagten „Kirchlichen Dogmatik“ (KD), dem theologischen Hauptwerk von Barth, von dessen geplanten fünf Bänden bis zu seinem Lebensende vier in dreizehn teilweise sehr umfänglichen Teilbänden veröffentlicht wurden (vgl. Kap. II.7). Zweifellos gehört die KD zu den bedeutendsten theologischen Werken der ganzen Kirchengeschichte. In seinem ersten Teilband seiner Prolegomena, in denen es „nicht um die vorher, sondern um die zuerst zu sagenden Dinge“ (KD I/1, 41) geht, fokussiert Barth die theologische Aufmerksamkeit auf das rechte Verständnis des Wortes Gottes, das als solches ganz und gar auf die lebendige Selbsterschließung des dreieinigen Gottes angewiesen bleibt. In vertiefender Weise wird bekräftigt, dass das Wort Gottes nicht das zu untersuchende Objekt der Theologie darstellt, sondern es kommt erst dann angemessen wahrgenommen, wenn es auch das Subjekt der Gotteserkenntnis bleibt, die ihrem Wesen nach die menschlichen Erkenntnismöglichkeiten übersteigt.

Die zeitgeschichtlichen Umstände erzwingen es, dass Barth sich in seiner Bonner Zeit in zahlreichen engagierten Beiträgen vor allem mit der Bestimmung der Kirche und des von ihr zu erwartenden Zeugnisses beschäftigte. Damit wird sein prägendes und wirkungsgeschichtlich bedeutsames Engagement im so genannten „Kirchenkampf“ angesprochen, der bereits vor 1933 seine Schatten vorauswirft. Ihm wird ein eigenes Kapitel gewidmet (vgl. Kap. II.5).

Im Juni 1935 wurde Barth aus sogleich zu erläuternden Gründen von dem zuständigen Reichsministerium in Ruhestand versetzt. Nur drei Tage später erreichte ihn der Ruf an die Universität Basel, dem er alsbald folgte und bereits am 8. Juli Deutschland verließ, nicht zuletzt mit dem Gefühl, dass die in die Krise geratene Bekennende Kirche sich ohnehin seiner Dienste nicht weiter bedienen werde. Ein letztes Mal vor 1945 kehrte Barth am 7. Oktober nach Deutschland zurück, um seinem wegen des ihm auferlegten Redeverbots von Karl Immer in Barmen verlesenen Vortrag „Evangelium und Gesetz“ beizuwohnen, der dann als sein Abschiedswort an die Christen in Deutschland empfunden wurde. Danach betrat er für die zehn kommenden Jahre deutschen Boden nicht mehr. Vor der Hand war es aber nicht Barths gegen die Gleichschaltung der Kirche in einer Reichskirche gerichtetes Engagement, das zu seiner Amtsenthebung führte, sondern seine negative Haltung zum gegenwärtigen Staat. Diese wurde durch seine Bedingung in die amtliche Aufmerksamkeit gerückt, den vom Staat eingeforderten Beamteneid auf den Führer nur zu leisten, wenn ihm der Zusatz „soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann“72 eingeräumt werde. Barth hat diese Bedingung schließlich fallen gelassen, nachdem sich die Kirche – nicht ohne deutliches Zögern – zur Eidesfrage erklärt hatte, dass ein unter Anrufung Gottes geleisteter Eid den Gehorsam gegenüber Gott grundsätzlich nicht suspendieren könne. Die Eidesfrage hatte damit ihre Brisanz verloren und wurde dann von der Behörde zunächst auch nicht weiterverfolgt. Der Vorwurf, dass Barth ein politisch unzuverlässiger Beamter sei, berief sich nun vor allem auf seine konsequente Unterlassung des angeordneten Hitlergrußes zu Beginn seiner Lehrveranstaltungen und verschiedene politische Äußerungen, die Barth während seiner Begegnung mit Mitgliedern des Pfarrernotbundes in Berlin am 30. Oktober 1933 im Hause des Pfarrers Gerhard Jacobi getan habe. Am 20. Dezember 1934 wurde er von der Kölner Dienststrafkammer aus dem Dienst entlassen unter Bewilligung der Hälfte des zustehenden Ruhegehalts für ein Jahr. In dem von Barth mit Unterstützung seines Rechtsanwalts Otto Bleibtreu angestrengten Berufungsverfahren wurde zwar in Berlin am 14. Juni 1935 das Kölner Urteil aufgehoben und in eine Geldstrafe umgewandelt, aber nur wenige Tage später wurde er vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust am 22. Juni unter Berufung auf § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in den Ruhestand versetzt73; ihm wurde vorgeworfen, dass sein problematisches Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat ihn als Lehrer der deutschen Jugend disqualifiziere – der nicht geleistete Beamteneid kam in diesem Zusammenhang erneut auf den Tisch.

Bereits am 10. Februar hatte sich Barth, der infolge des Kölner Urteils die Bonner Fakultät nicht mehr betreten durfte, auf einer Bibelfreizeit für Studenten der bekennenden Kirche in Godesberg von seinen Studentinnen und Studenten verabschiedet.74 Am 1. März 1935 wurde er zudem unter Redeverbot gestellt, so dass er sich auf beratende Tätigkeiten vor allem in der Bekennenden Kirche beschränken musste. Die Bemühungen um eine Stelle für Barth in der Schweiz waren zu diesem Zeitpunkt schon im Gange. Zugleich nahm er eine Einladung der Universität Utrecht an und hielt 16 Vorlesungen über „Hauptprobleme der Dogmatik“ anhand des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, die noch im gleichen Jahr im Chr. Kaiser Verlag unter dem Titel „Credo“ veröffentlicht wurden. Barth verließ Bonn äußerst ungern, aber es wurde durch die bereits 1934 vollzogenen (Karl Ludwig Schmidt, Fritz Lieb, Ernst Fuchs) und die nun folgenden Entlassungen (Helmut Gollwitzer, Ernst Wolf) deutlich, dass es auch um die Zerschlagung der ‚roten Fakultät‘ ging. Der gerade erst begonnene Aufschwung, den die Bonner Fakultät beflügelt hat, fand unversehens ein jähes Ende.

5.Karl Barth im Kirchenkampf

Nicht erst seit der Wahl Adolf Hitlers zum Reichskanzler beobachtete Barth die Entwicklung in Deutschland mit wachsender Skepsis. Die Verelendung großer Bevölkerungsteile durch die einschneidende Wirtschaftskrise brachte eine tiefe Verunsicherung mit sich. Längst hatte sich das politische Klima radikalisiert. Im September 1930 ging die NSDAP als stärkste Oppositionspartei aus der Wahl hervor, was zu einer weiteren Radikalisierung des öffentlichen Lebens führte, die sich immer wieder in heimtückisch organisiertem, agitatorischem Politterror vor allem vonseiten der „Braunhemden“ (SA) austobte. Die weithin ungeliebte Weimarer Republik war zunehmend einer tiefgreifenden Erosion ausgesetzt. Der Protestantismus hatte sich nicht zur Demokratie bekehren lassen, sondern favorisierte rückwärtsgewandte deutschnationale Einstellungen, wie sie vor allem von der demokratiekritischen Deutschnationalen Volkspartei vertreten wurden. Er profilierte sich nicht ohne vordergründigen Erfolg gegen die herrschenden politischen Verhältnisse. Davon waren auch die theologischen Fakultäten nicht ausgenommen, so dass Barth 1947 im Rückblick feststellen konnte:

 

[Insbesondere] fand ich die Professorenschaft, wie ich sie gesellschaftlich, in Sprechzimmern, Senatssitzungen und anderswo kennen lernte, mit wenigen Ausnahmen … gegenüber der armen Weimarer Republik – weit entfernt davon, daß man ihr auch nur eine faire Chance gegeben hätte – in der Haltung, die ich … nur mit dem Wort Sabotage bezeichnen kann […] Sie hat mit ihrer … mit der größten Selbstverständlichkeit vertretenen Geschichtsphilosophie die Hitlerei so kräftig vorbereitet, als es in ihrem Bereich nur geschehen konnte.75

Gleichzeitig sah Barth die Kirche sich am Ende der 1920er Jahre geradezu propagandistisch mit der zurückgewonnenen Stärke brüsten, in der sie sich besser als der Staat bewährt habe. Dieser plakative kirchenpolitische Triumphalismus brachte nun Barths bisher gepflegte Zurückhaltung ein erstes Mal zum Erliegen. Die mit der ungeliebten Weimarer Verfassung (Art. 137: „Es besteht keine Staatskirche.“) verbundene, weithin als Demütigung empfundene Schwächung sei nun überwunden.76 Barth zitiert den Herausgeber des ‚Kirchlichen Jahrbuchs‘ Johannes Schneider u. a. mit folgender Passage:

Gezeigt hat sich, daß der religiöse Gedanke doch tiefer in der deutschen Volksseele verwurzelt war, als nach außen hin in Erscheinung trat. Das heilige ‚Dennoch‘ hat sich durchgesetzt. Bewährt hat sich das, was wir die empirische Kirche nennen, sowohl in seiner Dauerkraft als auch in seiner Elastizität. Die Kirchenführung des letzten Jahrzehnts war ein Meisterstück – […] wir sind aus dem Engpaß heraus und sehen vor uns ein freies Feld.77

Barths Intervention tönt wie eine Explosion von bereits länger aufgestautem Verdruss: Wo die Kirche ein solches Selbstbewusstsein zur Schau trägt, da stoße man auf „die eigentliche, gefährliche Verschwörung gegen die Substanz der Kirche.“ (529) Wo die Kirche sich vor allem selber will und beginnt, sich selbst zu rühmen „wie eine Marktbude neben anderen“ (532), hat sie „glatt aufgehört, Kirche zu sein“ (532). Sie hat zugunsten einer „Ideologie des gehobenen Mittelstandes“ die zu ihrem Wesen gehörende Verlegenheit selbstzerstörerisch übertönt, in der sie nur unter dem Kreuz in der Anerkennung ihrer prinzipiellen Bedürftigkeit bittende Kirche sein kann.78 Die auf den ersten Blick recht erstaunliche Schroffheit des Einspruchs Barths wird erst verständlich, wenn registriert wird, dass Barth hier zunächst nur ein Ventil öffnete, durch das dann der ganze Druck entweicht, während er noch das andere Ventil geschlossen hält, hinter dem die flagranten völkischen und deutschnationalen Neigungen pressierten, unter denen sich die Kirche längst in problematischer Weise politisiert hatte. Barth sah die Kirche nicht nur ihr theologisches Fundament verspielen, sondern damit auch ihre spezifische Freiheit, ohne die ihr in den zu erwartenden Auseinandersetzungen das nötige Stehvermögen fehlen würde.

Doch auch in politischer Hinsicht begann Barth, zu Beginn der 1930er Jahre vorsichtig von seinem selbstauferlegten Schweigen abzurücken. Zwar hatte Barth seit 1926 neben der Schweizer auch die deutsche Staatsbürgerschaft, aber ganz bewusst hielt er sich zunächst weiterhin mit öffentlichen politischen Aussagen zurück. Später hat er eingeräumt, die Gefahr des Nationalsozialismus, der ihm selbst nur als absurd erschienen war, unterschätzt zu haben.79 Ihm lag daran, der entschlossen angegangenen theologischen Auseinandersetzung nicht durch politisch möglicherweise anstößige Positionierungen die notwendige Konzentration zu entziehen. Wäre erst einmal der Eindruck entstanden, dass er sich für eine politisch weithin als anrüchig eingeschätzte Position einsetze, wäre es wohl schnell dazu gekommen, ihn auch theologisch zu marginalisieren. Ganz ausschließen konnte er eine politische Diskreditierung freilich nicht, war doch seine Sympathie für die Sozialdemokratie durchaus bekannt, zumal er aus wachsendem Verdruss über den sich ausbreitenden nationalsozialistischen Ungeist und der mit ihm verbundenen Gefährdung der Demokratie am 1. Mai 1931 in die SPD eingetreten war. Schließlich verwandte er sich öffentlich für den verfemten religiösen Sozialisten Günther Dehn (1882–1970), der wegen seiner politischen Einstellung von deutschnationalen Studenten beginnend mit seinem Dienstantritt 1932 in Halle so sehr gemobbt worden war, dass er sich zur Beantragung eines Studienurlaubs gedrängt sah.80 Barth hatte bereits seinerseits in der Vergangenheit – schon in Göttingen – immer wieder die verbreitete Dominanz des Politischen zu spüren bekommen, so dass er hier eine besondere Vorsicht walten ließ. Aber die zunehmende unselige Vermischung von Politik und Kirche, in der das Politische das Bestimmende und die Kirche zwangsläufig die Kompromittierte waren, brachten Barth schließlich dazu, seine Zurückhaltung aufzugeben.

Es waren weniger die durchaus erfolgreich an die Öffentlichkeit drängenden, dem Nationalsozialismus treu ergebenen ‚Deutschen Christen‘ (DC), die Barths Unmut mobilisierten, sondern es waren vor allem die vermittelnden Kompromisse, die ihn besonders aufbrachten. Es sind die „vermeintlich Besseren unter den Deutschen Christen und alle diejenigen Kreise der Opposition, die bisher […] nicht grundsätzlich gekämpft haben“, von denen Barth in ihrer „unentschiedenen neuprotestantischen Mittelmäßigkeit“ eine größere Gefahr ausgehen sieht als „von dem früher oder später sicher zum Abwirtschaften verurteilten besonderen System der Deutschen Christen […].“81 Er witterte hier ein besonders gefährliches Verführungspotenzial, weil sie einen Weg propagierten, auf dem die Christen ohne eignen Identitätsverlust dem Nationalsozialismus grundsätzlich die Hand reichen könnten, ohne sich ihm ganz zu ergeben. Einigermaßen blauäugig werde in diesen Kreisen davon ausgegangen, dass die grundsätzliche Zustimmung zum Nationalsozialismus dann auch einen Raum schaffen könne, in dem wirksam die nötige Kritik geübt werden könne, um etwa die Auswüchse des Rassismus und der Expansionsgelüste zurückzuweisen. Doch Barth hielt dem entgegen, dass hier leichtsinnig verkannt werde, dass es sich beim Faschismus nicht um eine anpassungsfähige Weltanschauung, sondern um eine den ganzen Menschen erfassende Religion handele, die auch sein Privatleben in Beschlag nehme.

Der internationale Faschismus mit seinem „Rasse, Volk, Nation!“ ist, was er ist, genau in dem, was ihn von einer Weltanschauung unterscheidet und als Religion charakterisiert: in seinem dogmatisch fixierten Wissen um diese eine, die nationale Wirklichkeit, in seinem Appell an Gründe, die gar keine Gründe sind, in seinem Auftreten als unqualifizierte Macht, in seiner für uns alle, die wir vor 20 Jahren uns bildeten, so befremdlichen Unfreiheit und Ungeistigkeit. Wer nicht sieht, daß hier eine neue oder uralte Naturreligion am Werke ist, der wird mit seinem Zorn oder Gelächter über Gestalten wie Mussolini und Hitler nur danebengreifen können.82

Hier identifiziert Barth eine spezifische Differenz zwischen 1914, wo es um Weltanschauung gegangen sei, und dem nationalsozialistischen Frühling, wie er ihn 1931 wahrnahm. Zwar lasse auch diese Religion mit sich reden, aber sie werde sich niemals ihr Credo und den mit diesem Credo verbundenen Rigorismus ausreden lassen, so dass das „Christentum“ – Barth setzt es bewusst in Anführungszeichen – vor die Frage gestellt sei, „ob es sich denn selber verstanden hat?“ (153) Ähnliche den Glauben des Menschen ganz und gar in Anspruch nehmende Religionen sah er seinerzeit übrigens im (russischen) Kommunismus und – „weniger bewußt und aufdringlich und dafür mannigfaltiger in seiner Erscheinung“ (146) – im Amerikanismus. Nach Günther van Norden handelt es sich bei diesem Text „um einen der ersten Ideologievergleiche mit totalitätstheoretischem Ansatz überhaupt.“83

Es ist diese Einschätzung, die auch hinter dem vor allem gegen Gogarten gerichteten Abschied Barths von der Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ steht. Barth sah Gogarten der bereits benannten Illusion eines strategischen Kompromisses mit dem Nationalsozialismus aufsitzen, in dem vertretbare Zugeständnisse die Möglichkeit einer zähmenden Einflussnahme auf den Nationalsozialismus eröffnen sollten. Aber schon das zu unterbreitende Zugeständnis bedeutete für Barth eine Preisgabe des christlichen Bekenntnisses zugunsten des „Stapelschen Theologumenon, dass das Gesetz Gottes für uns identisch sei mit dem Nomos des deutschen Volkes“.84 Dabei stand der Name Wilhelm Stapel für die Theologisierung des ideologischen Zentralmotivs des Nationalsozialismus, in dem das Volkstum in das Zentrum der Lebensauffassung gerückt wurde.85 Auch wenn man sich fragen mag, wie es dazu kommen konnte, wurde in „Zwischen den Zeiten“ 1932 ein Vortrag von Gogarten unter dem Titel „Schöpfung und Volkstum“ abgedruckt, in dem das Volkstum und das mit ihm verbundene Gesetz als die vorzügliche Gabe Gottes präsentiert wurde: „Er, der ewige Schöpfer, ist das Subjekt des Willens, der in dem Gesetz des Volkstums, der in der lebendigen Sitte eines Volkes über die Menschen herrscht.“86 Nicht wir geben unserem Leben eine Gestalt (492), es hat sich vielmehr in „Hörigkeit“ der Bestimmung des Schöpfers zu fügen, so dass der Mensch zu realisieren habe, dass er nicht selbst, sondern seinem Volk gehöre (494). Mit einer solchen Theologie mochte Barth nicht einmal von Ferne in irgendeinen Kontakt gebracht werden, weil es da nichts mehr zu diskutieren gebe, denn die Voreingenommenheit für die aktuelle ‚Lage‘ werde bereits für die ‚Sache‘ der Theologie gehalten. Er gibt „Zwischen den Zeiten“ den Abschied, um nicht weiter befürchten zu müssen,