Karl Barth

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im nächsten Heft z. B. irgend eine sanft-kluge Verteidigung des Arierparagraphen auf Grund der Schöpfungsordnungen als einen immerhin auch möglichen Beitrag zur „biblisch reformatorischen Einsicht“ zu lesen zu bekommen. […] Ich meine, wahrhaft kirchlich hätte unsere Zeitschrift in der heutigen Zeit nur dann sein können, wenn sie sich als ein bescheidener aber nicht zu durchbrechender Damm gegen die deutsch-christliche Überschwemmung bewährt hätte.87

In den Deutschen Christen sieht er „die letzte, vollendetste und schlimmste Ausgeburt des neu-protestantischen Wesens“ (504), von dem er sich nun seit Jahren abzusetzen versuche, so dass jede Brücke, die nun zwischen seinem theologischen Neuaufbruch und dieser heillosen Anpassungsmentalität geschlagen werde, nur als eine Zurücknahme all der Einsichten verstanden werden könne, von denen er zumindest gehofft hatte, dass er sie mit seinen Weggefährten teilen würde. Barth hat immer wieder solche Situationen erlebt, in denen es darum gegangen ist, dass sich gemeinsam formulierte Einsichten zu bewähren hatten, und in denen er sich dann unversehens allein oder aber nur noch in einer sehr kleinen Schar von Aufrechten zurückgelassen fand, während sich gleichzeitig die Dinge genau in die Richtung bewegten, gegen die man sich zunächst selbst definiert hatte. Gogarten antwortete auf Barths Grenzziehung dann später (1937) mit einer „Streitschrift gegen Karl Barth“ unter dem Titel „Gericht oder Skepsis“ und rief die „deutsche Theologie“ zu einem Zeitpunkt dazu auf, sich aus „dem Bann“ der Theologie Barths zu befreien,88 an dem Barth längst aller ernsthaften Einflussmöglichkeiten auf die deutsche Diskussion beraubt war.

Kirchenpolitisch ging es nach der positiv aufgenommenen Regierungserklärung Hitlers vom 23. März 1933, in welcher den Kirchen die Wahrung der bestehenden Rechte zugesagt wurde, um die von großen Teilen der Kirche und mit anderem Akzent auch von Hitler gewünschte Gleichschaltung der Kirche zu einer Reichskirche. Der Dreiklang „Ein Volk, ein Reich, ein Führer!“ sollte nun durch „eine Reichskirche“ ergänzt werden, die aus der Zusammenführung der verschiedenen Landeskirchen hervorgehen sollte. Im Mai 1933 kam es unter dem Einfluss von Barth zu einer ersten bekenntnismäßigen „Theologischen Erklärung zur Gestalt der Kirche“, den sogenannten „Düsseldorfer Thesen“89, denen jedoch nur wenig Beachtung geschenkt wurde, wohl nicht zuletzt, weil sie reformierten Ursprungs waren. Die erste These zitiert ebenso schlicht wie pointiert die erste These des Berner Synodus von 1528:

Die heilige christliche Kirche, deren einiges Haupt Christus ist, ist aus dem Wort Gottes geboren; in demselben bleibt sie und hört nicht die Stimme eines Fremden.90

Barth hat in einer eigens dazu eingesetzten Arbeitsgemeinschaft mit Studierenden über diese Thesen diskutiert. Am 23. Juli 1933 bescherten dann die reichsrechtlich angeordneten Kirchenwahlen nicht zuletzt infolge ausdrücklicher Unterstützung durch Hitler persönlich, der sich am Vorabend über den Rundfunk an die Wähler wandte, den Deutschen Christen einen fulminanten Sieg.

Das war der kirchenpolitische Horizont, in dem sich Barth, von dem sich viele längst eine Stellungnahme zu den aktuellen Entwicklungen erwartet hatten, unmittelbar nach den Kirchenwahlen mit seinem zunächst als Beiheft zur Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ veröffentlichen Votum „Theologische Existenz heute!“ zu Worte meldete. Angesichts der allseitigen Beifallsbekundungen hinsichtlich der jüngsten politischen Veränderungen war Barth der Meinung, dass sein auffälliges Schweigen bereits als ein sprechender Kommentar zur Lage verstanden werden könne, und auch jetzt wolle er mehr zur Sache als zur Lage sprechen. In dieser vielbeachteten Schrift – Georges Casalis vergleicht sie mit den 95 Thesen Luthers im 16. Jahrhundert91 – verbindet Barth eine pointierte Diagnose der zeitgeschichtlichen Situation der Kirche mit einem entschiedenen Appell, dass sich die Kirche auf ihre besondere ‚Sache‘ zu besinnen habe, wenn sie es nicht aufgeben wolle, auch in Zukunft noch Kirche zu sein. Er sieht – wie er später formulierte – den Protestantismus, der sich „tatsächlich schon seit Jahrhunderten allerhand andern weniger ostentativen und aggressiven Fremdmächten allzu sehr ‚gleichgeschaltet‘ hatte“,92 wieder einmal – nun allerdings in nicht mehr überbietbarer Konsequenz – seiner Neigung erliegen, sich aus selbstvergessenen Opportunitätsmotiven seiner Umgebung anzupassen und damit selbst aufzugeben. Gegen die unablässigen und eilfertigen Anpassungsofferten an die neue politische Lage verweist Barth darauf, dass er sich mit seinen Bonner Studenten darum bemühe, „Theologie und nur Theologie zu treiben“ – „vielleicht in leise erhöhtem Ton, aber ohne direkt Bezugnahmen“.93 Gerade in seinem konsequent theologischen Charakter verstand er sein die Kirche ermahnendes Votum indirekt auch als eine politische Stellungnahme (281). In die Richtung der deutsch-christlichen Erfolge hält er mit seiner Einschätzung in keiner Weise zurück, indem er darauf verweist, dass diese Bewegung

den Stempel der Verkehrtheit so deutlich auf der Stirn trägt, daß in einer gesunden Kirche schon ein Konfirmand hätte merken müssen, daß er da weder mit dem lutherischen noch mit dem Heidelberger Katechismus in der Hand nur eine Stunde dabei und unter irgend einem Vorwand mittun könne. (334)

Aber: „Allein um der Abwehr der ‚Deutschen Christen‘ willen würde ich nicht das Wort ergriffen haben. […] wir haben auch dringendere und ernsthaftere Sorgen als die, die ‚Deutschen Christen‘ theologisch widerlegen und belehren zu wollen.“ (327, 330) Mehr als die DC irritierte Barth die einhellige Bereitschaft zur Kirchenreform im Sinne der oben erwähnten Gleichschaltung mit der solennen Installation eines Reichsbischofs, weil sie anstatt theologischen Orientierungen zu folgen, vorrangig politischen, bestenfalls aber kirchenpolitischen Motiven folge, ohne überhaupt nach den zu erwägenden theologischen Kriterien zu fragen – und dies auch noch aus vorauslaufendem Gehorsam. Spürbar aufgebracht fragt Barth:

Ist die theologische Verwilderung eigentlich schon so weit fortgeschritten im evangelischen Deutschland, dass man es nachgerade ohne Risiko wagen darf, ein beliebiges neues Dogma mir nichts dir nichts ohne Autorität nicht nur, sondern auch ohne den Schatten eines theologischen Beweises, nur weil es einem so passt und weil ja ohnehin Revolution ist, auszurufen und dass es sich dann ereignen kann, dass niemand […] nach dem theologischen Beweis auch nur fragt, sondern jedermann (in Revolutionszeiten ist ja zu theologischer Besinnung nicht die Zeit!) sich für überzeugt hält, dass es mit dem neuen Dogma wohl seine Richtigkeit haben werde? (313 f)

Die Situation muss als desaströs bezeichnet werden. In den Augen Barths zeigte sich hier einerseits die ungeschminkte Konsequenz des Neuprotestantismus und andererseits – vor allem in der Jungreformatorischen Bewegung – eine nicht weniger besinnungslose Reanimierung der zweigleisig orientierten konservativen Vermittlungstheologie.

Die eingestellte Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ wurde dann einerseits durch eine von Barth und Thurneysen herausgegebene Schriftenreihe ersetzt, die den Titel von Barths viel beachteter Zeitansage „Theologische Existenz heute“ bekam und in der Barth nun eine Zeit lang seine theologischen Vorträge publizierte, nicht ohne auch in den Vorworten die Gelegenheit zu nutzen, etwas zur jeweiligen Lage zu formulieren. Als dann im Spätsommer 1934 aufgrund einer Intervention der Behörden der Fortbestand der Reihe davon abhängig gemacht wurde, dass diese zeitkritischen Kommentierungen zu unterbleiben hätten, forderte Barth die Leser dazu auf, den Texten zum rechten Verständnis den Untertitel hinzuzufügen: „Zwischen den Zeilen“. Im Oktober 1936 wurde Barth dann die Mitwirkung an dieser Schriftenreihe ganz untersagt. Die Hefte 47 bis 64 (1939) wurden allein von Thurneysen herausgegeben, von da an wurde die Reihe bis zu ihrer Einstellung 1941 (Heft 77) von Karl Gerhard Steck betreut. Andererseits erschien unter der Schriftleitung von Ernst Wolf 1934 der erste Jahrgang der Zeitschrift „Evangelische Theologie“, deren Erscheinen allerdings bereits mit dem fünften Jahrgang ihr Ende fand bzw. bis 1946 unterbrochen werden musste.

Unbekümmert von Barths vehementem Widerspruch im Juli 1933 schien die Gleichschaltung der Kirche ihr Ziel zu erreichen. Im September 1933 wurde Ludwig Müller durch die in Wittenberg zusammengerufene Nationalsynode zum Reichsbischof gewählt. Doch für den radikalen Flügel der DC ging die inhaltliche Anpassung der Kirche an die Revolution des Nationalsozialismus noch nicht weit genug. Zum Gedenken an den 450. Geburtstag Luthers wurde unter dem Thema „Die völkische Sendung Luthers“ am 13. November im Berliner Sportpalast eine spektakuläre Massenveranstaltung inszeniert, die nun die Richtung anzeigen sollte, in der sich die Kirche zu bewegen habe, wenn sie sich auf der Höhe der Zeit bewegen wolle. Diese von 20 000 Teilnehmenden besuchte Veranstaltung geriet allerdings zu einem beispiellosen Skandal, insbesondere die Rede des Berliner DC-Gauobmanns Studienrat Dr. Reinhold Krause94 und die von der Versammlung zunächst begeistert verabschiedete Entschließung mit den Forderungen einer Befreiung „von allem Undeutschen in Gottesdienst und Bekenntnis, insbesondere vom Alten Testament und seiner jüdischen Lohnmoral“ und „der Verkündigung der von aller orientalischen Entstellung gereinigten schlichten Frohbotschaft und einer heldischen Jesus-Gestalt als Grundlage eines artgemäßen Christentums, in dem an die Stelle der zerbrochenen Knechtsseele der stolze Mensch tritt, der sich als Gotteskind dem Göttlichen in sich und in seinem Volke verpflichtet fühlt.“95 Inhaltlich wird deutlich, dass Barth nicht zu hoch greift, wenn er dem Tübinger Theologen Karl Fezer, der den Deutschen Christen angehörte, im Januar 1934 zurief: „Wir haben einen anderen Glauben, wir haben einen anderen Geist, wir haben einen anderen Gott“ – so Barth in einem der besagten Vorworte.96

 

Jenseits der Begeisterung im Sportpalast löste diese Veranstaltung eine allseitige Empörung aus, besonders auf der Seite der Evangelischen Kirche, und zwar bis in die Kreise der gemäßigteren DC hinein, aber auch in der NSDAP, die aufgrund des erkennbar werdenden grundsätzlichen Konfliktpotenzials nun einschließlich des Führers auf deutliche Distanz zu den DC gingen. Es kam zu Massenaustritten aus der ‚Glaubensbewegung‘. Der Bogen war nun derartig überspannt worden, dass die ganze Bewegung in Misskredit geriet. Ungewöhnlich offensiv, unüberhörbar gereizt und zugleich nur wenig hoffnungsvoll kommentiert Barth in einem Vorwort zu Heft 5 der Schriftenreihe „Theologische Existenz heute“ die Situation:

So wenig Erkenntnis war unter uns, dass es des groben Heidentums des Herrn Krause bedurfte, um den Sturm der Entrüstung zu entfesseln, die, wenn sie echt gewesen wäre, spätestens seit vergangenem Juni hätte losbrechen müssen. […] So wenig scheinen viele Hunderte von Pfarrern im vergangenen Sommer gewusst zu haben, was sie taten, als sie an der Spitze ihrer Gemeinden den Deutschen Christen beitraten, dass sie der Leitung ihrer „Bewegung“ (ihrer „Glaubensbewegung“!) die Gefolgschaft, kaum zugesagt, so schnell wieder versagen konnten, um morgen – wer weiß? – welcher anderen „Bewegung“ zu verfallen. […] Und so sehr sind wir, die wir nun doch mit so vielen „Bischöfen“ gesegnet sind, verlassen von jeder echten, eindeutigen, zuverlässigen Führung, dass man wohl fragen kann, ob die evangelische Kirche wohl je so sehr eine Herde ohne Hirten gewesen ist.97

Die Spannungen drohten zu einem Bekenntniskonflikt auszuwachsen, welcher der noch neuen Regierung an dieser Stelle ganz und gar nicht willkommen war. Ein wichtiges Element der Strategie Hitlers bereits 1920er Jahren war die konsequente Vermeidung des Anscheins, als bringe der Nationalsozialismus gleichsam auch eine neue Konfession mit sich, die sich in die Konkurrenz und dann eben auch in einen risikoreichen zermürbenden Konflikt mit den überkommenen Kirchen begeben wolle.98 Barths Einschätzung, dass sich die DC früher oder später selbst ihrer vollkommenen Abwegigkeit überführen würden, bestätigte sich schneller als erwartet. Der Reichsbischof legte seine Schirmherrschaft über die DC nieder und das in Wittenberg gebildete Geistliche Ministerium trat wenig später zurück. Der bereits im September gegründete Pfarrernotbund unter dem Berliner Pfarrer Martin Niemöller, der sich vor allem gegen die Übernahme des das staatliche Berufsbeamtentum betreffenden „Arierparagraphen“ in das Pfarrerdienstrecht der Kirche wandte, bekam großen Zulauf. Bereits kurz vor dem Sportpalastskandal war es zu einer Annäherung zwischen Barth und dem Pfarrernotbund gekommen im Zusammenhang mit seinem am 30. Oktober in Berlin gehaltenen Vortrag zum Thema „Reformation als Entscheidung“. Es war nicht zuletzt die aus Furcht vor einem tiefgreifenden Konflikt resultierende zwischenzeitliche Zurückhaltung des Staates, die der sich nun aus dem Pfarrernotbund heraus formierenden Bekennenden Kirche die nötige Atempause für ihre theologische Konstitution bis hin zur Bekenntnissynode Ende Mai 1934 in Wuppertal-Barmen verschaffte. In zahlreichen engagierten und in der Regel sehr gut besuchten Vorträgen vor allem über das Wesen der Kirche im Lichte der reformatorischen Tradition plädierte Barth leidenschaftlich für eine Rückgewinnung der theologischen Substanz, die eine Kirche überhaupt erst wieder zu einer Kirche machen könne. Dabei rückte er zunehmend auch das Verhältnis der Kirche zum Staat und den Dienst, den die Kirche dem Staat zu leisten habe, in den Blick, wobei sich Barth an der Phalanx einer konservativ interpretierten lutherischen Zwei-Reiche-Lehre abzuarbeiten hatte, hinter der sich der deutsche Untertanengeist gern zu verstecken pflegte.

Am 4. Januar 1934 tagte in Barmen die „Freie Synode“ von 167 reformierten Gemeinden, die sich eine von Barth verfasste „Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der Deutschen Evangelischen Kirche der Gegenwart“99 zu eigen machte, mit der die Kirche an ihre grundlegenden Orientierungen erinnert wird. Sie stellt sich gegen den die Kirche verwüstenden Irrtum, „daß neben Gottes Offenbarung, Gottes Gnade und Gottes Ehre auch eine berechtigte Eigenmächtigkeit des Menschen über die Botschaft und die Gestalt der Kirche […] zu bestimmen habe.“ (71) Die am nächsten Tag versammelte Hauptversammlung des Reformierten Bundes beschloss neben der Annahme dieser Erklärung zugleich die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft im Reformierten Bund mit einer Mitgliedschaft bei den DC.

Die Versuche des Reichsbischofs Müller, einzelne Landeskirchen gleichzuschalten, ließen allerdings auch in der angespannten Situation nicht nach. Die mit Unterstützung seines „Rechtswalters“ August Jäger gewaltstreichartige Eingliederung der württembergischen Landeskirche brachte dann das Fass zum Überlaufen, so dass sich auch hier eine Widerstandsfront zu formieren begann. Die am 22. April in Ulm von den Bischöfen Theophil Wurm (Württemberg) und Hans Meiser (Bayern) veranstaltete Protestversammlung beanspruchte in der von ihr abgegebenen Erklärung als die „rechtmäßige evangelische Kirche Deutschlands“ zu sprechen.100 Aus den überall anwachsenden Bekenntnisgruppen und ihren „Bruderräten“ konstituierte sich ein „Reichsbruderrat“ unter dem Vorsitz des westfälischen Präses Karl Koch, der gegenüber dem Reichsinnenministerium unter Berufung auf das kirchliche Notrecht den Anspruch der Bekennenden Kirche (BK) als legitime Repräsentantin der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) erhob. Zur öffentlichen Bekräftigung dieses Anspruchs wurde Ende Mai eine reichsweite Synode der BK in Barmen zusammengerufen, auf der 139 überaus verschiedene Vertreter aus 18 Landeskirchen zusammenkamen, um sich auf eine gemeinsame theologische Basis zu verständigen, auf die sich ihr Anspruch berufen konnte. Zur Vorbereitung der von dieser Reichssynode abzugebenden Erklärung war eilends ein kleiner unter konfessionellen Gesichtspunkten zusammengestellter Ausschuss beauftragt worden, einen Text vorzubereiten. Diesem gehörten Karl Barth für die Reformierten, Thomas Breit und Hans Asmussen für die lutherischen Kirchen an. Sie trafen sich am 16. Mai im Hotel „Baseler Hof“ in Frankfurt/M., wo es vor allem Barth war, der – wie es heißt, während des Mittagsschlafes der Lutheraner mit der Unterstützung durch einen starken Kaffee und 1–2 Brasil-Cigarren101 – dem Entwurf seine später nicht mehr einschneidend veränderte Gestalt gegeben hat. Im Nachhinein ist es von vielen als ein Wunder empfunden worden, dass die Synode einstimmig die sechs Thesen mit ihren Antithesen in Barmen verabschiedete. Zwar wurde bewusst lediglich von einer theologischen Erklärung und nicht von einem Bekenntnis gesprochen, aber in der Präambel heißt es deutlich genug:

Wir bekennen uns angesichts der die Kirche verwüstenden und damit auch die Freiheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der Deutschen Christen und der gegenwärtigen Reichskirchenregierung zu folgenden evangelischen Wahrheiten: […]102

Der Schlüssel zum Inhalt der ganzen Erklärung liegt in der ersten Wahrheit, die ganz und gar die Handschrift Barths trägt und der theologischen Akzentsetzung seines 1932 erschienen ersten Teilbandes der Kirchlichen Dogmatik (KD) entspricht:

[…] (Joh 14,6) […] Joh 10,1.9 Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen. (37)

Diese Formulierung deckt sich knapp und pointiert mit dem theologischen Anliegen, dem Barth seit dem Tambacher Vortrag in Theologie und Kirche Gehör zu schaffen versucht hatte. Erst die Wahrung der hier unterstrichenen Konzentration kann so etwas wie eine theologische Existenz konstituieren. Erst in der strikten Abweisung aller geschichtstheologischen Koalitionen finden Theologie und Kirche zu ihrer spezifischen Perspektive und Freiheit, die sie dann – gleichsam im Ernstfall – auch dazu ermächtigen, den an sie ergehenden Vereinnahmungs- und Gleichschaltungsversuchen entgegenzutreten. Für Barth war die Barmer Theologische Erklärung das entscheidende Schlüsselereignis für die notwendige Selbstbesinnung der Kirche, auf das er sich dann immer wieder in den unterschiedlichsten Zusammenhängen – insbesondere auch hinsichtlich der voranzutreibenden Ökumene – berufen hat.

Tatsächlich waren allerdings die in Barmen ausgesprochenen „Wahrheiten“ schon bald einer theologischen Kritik ausgesetzt, die sich nicht zuletzt gegen die Dominanz der Theologie Barths wandte. Bereits am 11. Juni erschien der in erster Linie von Werner Elert in Zusammenarbeit mit Paul Althaus verfasste „Ansbacher Ratschlag“, der sich gegen die Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz, gegen die Uminterpretation der Zwei-Reiche-Lehre und die Vernachlässigung der Ordnungstheologie in der Barmer Erklärung richtet, um zugleich auch ausdrücklich Gott für das Geschenk des Führers „als frommen und getreuen Oberherrn“ zu danken.103 Es war vor allem die klare Abweisung der natürlichen Theologie, wie sie in der Barmer Erklärung deutlich formuliert wird, die in gewisser Weise treffsicher attackiert wird, weil sie jeder Berufung auf das besondere Gebot der geschichtlichen Stunde ein radikale Absage erteilt und damit dem deutlichen Vermittlungsinteresse der Gegner entgegentritt.

Zugleich und durchaus bedeutsamer war die Barmer Erklärung der kirchenpolitischen Bewährung gegenüber der anhaltenden Gleichschaltungspolitik der Reichskirchenregierung ausgesetzt, ging es doch nun darum, den Widerstand gegen den aufgebauten Gleichschaltungsdruck zu konkretisieren. Indem mit der Abweisung der natürlichen Theologie theologisch implizit das konsequente Ernstnehmen des ersten Gebots unterstrichen wurde, stand zugleich die Frage zur Debatte, ob das Bekenntnis nicht auch über die Kirchenpolitik hinausgreife und unter den Bedingungen eines totalitären Staates per se auch eine politische Positionierung einschließe. Indem dieses Problem aber nicht diskutiert wurde, obwohl es offenkundig allseits präsent war, tauchten verbreitet Ersatzkonflikte auf, mit denen wohl daraufgesetzt wurde, den eigentlichen Konflikt mit seiner offensichtlichen Brisanz unbearbeitet lassen zu können. Um die kirchenpolitischen Konsequenzen aus der ersten Bekenntnissynode zu erörtern, wurde im Oktober in Berlin eine zweite Bekenntnissynode einberufen. Kurz vorher traf sich zur Vorbereitung der Synode in Oeynhausen eine Vorbereitungsgruppe, an der auch Barth beteiligt war. Barth schildert die sensiblen Umstände, unter denen es überhaupt nur möglich war, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen bzw. einen gemeinsamen Text zu formulieren:

[Das] immer wieder so uneinige Deutschland – auch das der Bekenntnissynode – zu einer solchen Sache zusammen zu bekommen, ist wirklich eine Aufgabe, der gegenüber Flöhe zu hüten einem wohl als leichter erscheinen könnte. Immer wieder galt es, hier gegen Ängstlichkeit, hier gegen Übermut, hier gegen pastorale Fülle, dort gegen sonstige Geschwätzigkeit, hier gegen politische, hier gegen klerikale Überbetonungen auf der Hut zu sein und Unglück zu verhindern und darüber zu wachen, daß nun wirklich etwas gesagt werde, mit dem auch etwas getan sei.104

 

Die Synode selbst, die nicht zuletzt infolge eines Hilferufes von Bischof Meiser (Bayern) nach Berlin-Dahlem einberufen wurde, war an sich ein Erfolg. Es wird beschlossen, sich unter Inanspruchnahme des Notrechts offiziell von der Reichskirche zu trennen und somit allein die Bekennende Kirche als rechtmäßige Kirche anzusehen. Doch unversehens nach der Synode begann die in Barmen konstituierte und Berlin bekräftigte Einmütigkeit zu erodieren. Als nach der Synode und gewiss im Wissen um die Beschlusslage der Synode staatlicherseits der Druck auf Meiser und Wurm (Württemberg) zurückgenommen wurde, distanzierten sich beide zusammen mit Marahrens (Hannover) nach einer Privataudienz bei Hitler von den Dahlemer Beschlüssen und desavouierten damit faktisch die Autorität des Reichsbruderrates. Für die Rettung der ‚Volkskirche‘ gelte es eine erkennbare Nähe zum Staat zu wahren – ein Argument, dem sich dann auch so entschiedene Gestalten wie Koch oder Joachim Beckmann nicht mehr entgegenstellten. Barth beklagte, dass die oberen Repräsentanten der Kirchen den in Sinne des Barmer Bekenntnisses Kämpfenden immer wieder in den Rücken fallen. Nach schwierigen Verhandlungen wurde schließlich unter dem Druck der Bischöfe eine „Vorläufige Kirchenleitung“ mit Marahrens an der Spitze und Koch als seinem Stellvertreter vonseiten des Reichsbruderrates gebildet, was dazu führte, dass Barth, Hermann Albert Hesse (Direktor des reformierten Predigerseminars in Wuppertal-Elberfeld und Moderator des Reformierten Bundes), Karl Immanuel Immer (Pfarrer in Wuppertal-Barmen) und Niemöller unter Protest dem Reichsbruderrat den Rücken kehrten, der sich dann von der damit verbundenen Schwächung nicht wieder tatsächlich erholt hat.

Zugleich nahm der Widerwillen gegenüber Barth – auch innerhalb der BK – zu, indem er zunehmend als „Störenfried“ gefürchtet wurde. Bischof Meiser machte dann auch ganz unverhohlen die Nicht-Teilnahme Barths zur Bedingung für seine Zustimmung zur Durchführung der dritten Bekenntnissynode im Juni 1935 in Augsburg. In einem Brief an Hesse vom 30. Juni sah Barth nun seine „wirklich nicht angenehme Funktion in diesem kirchlichen Raum als beendigt“105 an. Zwar blieb die BK weiter ein Faktor, der nicht einfach ignoriert werden konnte, aber sie blieb nun deutlich hinter den Ansprüchen zurück, für welche die Barmer Theologische Erklärung stand, so dass Barth zwar weiter mit einzelnen Vertretern der BK in Verbindung blieb, von ihr als ganzer aber kaum noch bemerkenswerte Impulse erwartete. Die kirchenleitenden Kreise waren vor allem an einer Vermittlung mit der Reichskirche interessiert, so dass Barth ihnen natürlich ein Dorn im Auge war. Schon in einem Brief vom 23. Nov. 1934 an Thurneysen verschaffte Barth seiner tiefen Enttäuschung über die jüngste Entwicklung in der BK Luft und zitierte Marahrens mit den Worten: „Sie werden doch auch der Meinung sein, daß die größte Gefahr für die D.E.K. augenblicklich Karl Barth ist“.106

Barths noch in diesem Jahr erfolgender Wechsel in die Schweiz nach Basel (vgl. Kap. II.4, S. 72f) wird von nicht wenigen Repräsentanten der Kirche mit einer deutlichen Erleichterung registriert worden sein. Zunehmend traf ihn der Unmut von kirchlichen Verantwortungsträgern, die seine theologische Entschlossenheit als eine Verhinderung des so dringend herbeigesehnten Arrangements mit dem Staat fürchteten. Dass sich die Kritik an Barth vor allem entweder auf konfessionalistische (er dränge die deutsche Kirche in calvinistisches Fahrwasser) oder nationalistische (als Schweizer habe er keine Beziehung zum deutschen Volkstum) Argumente verlegte, gibt zu erkennen, dass es offensichtlich nicht so leicht war, ihm substanziell theologisch entgegentreten zu können. Darin zeigte sich die recht unbequeme Verlegenheit, dass sich einerseits Barths theologische Positionen nicht einfach abweisen ließen, wenngleich andererseits die mit ihnen verbundenen Konsequenzen gescheut wurden, weil sie mit – teilweise durchaus überschätzten – Konflikten verbunden waren, die, soweit es irgend ging, vermieden werden sollten. Und so wurde in Barth vor allem ein theologisch rechthaberischer Unruhestifter gesehen, der ohne Rücksicht auf Verluste nur seinen dogmatischen Fixierungen folge und damit das Verhältnis von Kirche und Staat in eine schwer zu kalkulierende Unruhe versetze, welche von den Kirchenrepräsentanten als bedrohlich empfunden wurde. Im Rückblick wird man nicht zu weit gehen mit der Feststellung, dass es nicht zuletzt die Abkehr großer Teile der BK von Barth gewesen ist, die dann auch den staatlichen Behörden den Weg geebnet hat, ihre bisherige Zurückhaltung aufzugeben und Barth des Landes zu verweisen, ohne allzu großes Aufsehen befürchten zu müssen. Im Verweis auf zahlreiche Quellen kann Hans Prolingheuer pointiert von einer „Vertreibung“ Barths sprechen, an der Mitglieder der BK auch aktiv beteiligt gewesen waren.107 Obwohl ihn tatsächlich eine große Aufmerksamkeit begleitete, empfand Barth im Blick auf seine theologischen Anliegen eine zunehmende Einsamkeit, die sich dann auch in Schweiz wider Erwarten sogar noch verstärken sollte. Barth seinerseits kommentiert die BK kurz nach seinem Wechsel nach Basel:

Die uralte Bindung des Evangeliums an die menschliche Vernunft, der Kirche an den Staat hat sich auch in der Bekennenden Kirche in ihrer ganzen Gefährlichkeit erwiesen. Man kann und muß wohl dieser Bekennenden Kirche vorhalten, daß sie den Feind von ferne nicht in seiner eigentlichen Gefährlichkeit erkannt und ihm das die menschliche Lüge und Ungerechtigkeit richtende Wort Gottes von ferne nicht in der Unzweideutigkeit und Kraft entgegengehalten habe, wie es ihr als der Kirche Jesu Christis zukam. […] Wie ihr Kampf endigen wird? Es ist, auf das Menschliche gesehen, nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern sehr wahrscheinlich, daß er mit einem faulen Kompromiß endigen wird.108

Im Grunde beschreibt der Schluss des Zitats den Zustand, in dem sich die BK längst befand und von dem sie sich auch nicht mehr erholt hat. Deutlicher und für Barth seit seiner Rückkehr in die Schweiz ganz und gar charakteristisch formuliert er 1939:

Um was ging und geht es? Sehr einfach darum, daran festzuhalten und das ganz neu zu verstehen und zu praktizieren: daß Gott über allen Göttern ist und daß die Kirche in Volk und Gesellschaft und gegenüber dem Staat auf alle Fälle ihre eigene, durch die heilige Schrift bestimmte Aufgabe, Verkündigung und Ordnung hat. Aber es konnte nicht anders sein – obwohl viele in der Bekennenden Kirche dies bis heute nicht einsehen und wahrhaben wollen –, als daß eben dies im Raume des Nationalsozialismus nicht nur eine „religiöse“, nicht nur eine kirchenpolitische, sondern ipso facto auch eine politische Entscheidung bedeutet: die Entscheidung gegen einen Staat, der als totaler Staat eine andere Aufgabe, Verkündigung und Ordnung als seine eigene, einen anderen Gott als sich selbst nicht anerkennen kann und der darum, je mehr er sich entfaltete, um so mehr auch zur Unterdrückung der Kirche als solcher, um so mehr auch zur Beseitigung alles menschlichen Rechtes und aller menschlichen Freiheit auf allen Gebieten übergehen mußte.109

Freilich ließ Barth in Deutschland auch Freunde zurück, die weiter entschieden für die Optionen eintraten, für welche die sich formierende Bekennende Kirche in Barmen ihre Stimme erhoben hatte. Viele von ihnen fanden sich ein, als Barth bei seinem letzten Besuch in Deutschland vor dem Zusammenbruch 1945 sich in Wuppertal der Diskussion um den wegen des Redeverbots von Karl Immer verlesenen Vortrag „Evangelium und Gesetz“ stellte. Wie in kaum einem anderen Vortrag bringt Barth hier die für seine Position im Kirchenkampf grundlegenden systematischen Entscheidungen in einen prägnanten Zusammenhang, indem er pointiert die insbesondere für das Luthertum zentrale Grundunterscheidung von Gesetz und Evangelium umkehrt. Die Vorordnung des Gesetzes hatte in den Auseinandersetzungen der letzten Jahre die theologische Urteilskraft in einem Ausmaß desorientiert, dass Barth ganz grundsätzlich die Reihenfolge von Gesetz und Evangelium in Frage stellt, weil sie nicht sicherstellen kann, dass es sich bei dem zuerst thematisierten Gesetz um das Gesetz Gottes handelt, so dass auch mit einer entstellenden Perspektive auf das Evangelium zu rechnen sein wird, womit dann schließlich das Ganze in Frage steht: