Arena Zwei

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Bree stößt mich mit dem Ellbogen an „Ist es in Ordnung, wenn ich Penelope ein Stück von meinem Keks gebe?“ fragt sie.

„Und ich auch?” echot Rose.

„Klar ist es das,” sage ich so laut, dass Logan es hören kann. Er ist nicht der einzige, der hier etwas zu sagen hat, und wir können mit unserem Essen machen, was wir wollen.

Der Hund sitzt auf Roses Schoß und spitzt die Ohren, als würde sie jedes Wort verstehen. Es ist unglaublich. Ich habe noch nie ein so kluges Tier gesehen.

Brie lehnt sich vor um dem Hund ein Stück von ihrem Keks zu geben, aber ich stoppe ihre Hand.

„Warte mal,” sage ich. “Wenn du sie fütterst, sollte sie wenigstens einen Namen haben, findet ihr nicht?“

„Aber sie hat kein Halsband,” sagt Rose „ihr Name könnte praktisch alles sein“.

„Jetzt ist sie dein Hund,” sage ich. „Gib ihr einen neuen Namen”

Rose und Bree wechseln einen aufgeregten Blick.

„Wie sollen wir sie nennen?” fragt Bree.

„Wie wäre Penelope?” sagt Rose.

„Penelope!” schreit Bree “Mir gefällt das.”

„Mir auch,” sage ich.

„Penelope!” ruft Rose nach dem Hund.

Erstaunlicherweise dreht sich der Hund tatsächlich zu ihr um, als sie ihn ruft. Es sieht aus, als ob das schon immer ihr Name gewesen wäre.

Bree lächelt, streckt ihren Arm aus und füttert Penelope mit einem Stück Keks.

Penelope schnappt es ihr aus der Hand und verschlingt es in einem Bissen. Bree und Rose kichern hysterisch, und Rose füttert sie mit dem Rest ihres Kekses. Sie schnappt sich auch den, und dann füttere ich sie mit dem letzten Bissen von meinem Keks. Penelope schaut uns drei aufgeregt an, zittert und bellt dreimal.

Wir lachen alle. Für einen Moment hätte ich fast unsere Probleme vergessen.

Aber dann sehe ich etwas in der Ferne, über Brees Schulter hinweg.

„Da,“ sage ich zu Logan, gehe auf ihn zu und zeige nach links. „Dorthin müssen wir. Dreh hier!“

Ich entdecke die Halbinsel, auf der Ben und ich mit dem Motorrad losgefahren sind, über das Eis auf dem Hudson. Schon bei dem Gedanken zucke ich zusammen, was war das für eine verrückte Jagd! Es ist ein Wunder, dass ich noch lebe.

Logan prüft mit einem Blick über die Schulter, ob uns jemand folgt; dann geht er widerwillig vom Gas und dreht zur Seite, um uns zu der Bucht zu bringen. Ich schaue mich vorsichtig am Ufer um, als wir die Mündung der Halbinsel erreichen. Wir gleiten an ihr vorbei, während sie sich krümmt und ins Landesinnere übergeht. Wir sind jetzt sehr nah am Land und fahren an einem verfallenen Wasserturm vorbei.

Wir fahren weiter und gleiten bald an den Ruinen einer Stadt vorbei, bis zum Herzen der Stadt. Catskill. Überall ausgebrannte Gebäude, es sieht aus, als habe eine Bombe eingeschlagen. Wir stehen vorne im Boot, als wir langsam in die Bucht hineinfahren, immer weiter ins Landesinnere. Die Bucht wird schmaler, und das Ufer ist jetzt nur wenige Meter von uns entfernt. Jetzt sind wir jedem Hinterhalt ausgesetzt, und ich stelle fest wie ich unbewusst die Hand sinken lasse und auf meine Hüfte lege, auf mein Messer. Ich merke, dass Logan das gleiche macht.

Ich drehe mich über meine Schulter zu Ben um; aber er ist immer noch in einem nahezu katatonischen Zustand.

„Wo ist der Lieferwagen?" fragt Logan, mit scharfer Stimme. „Ich gehe nicht weit ins Landesinnere, das sage ich dir gleich. Wenn etwas passiert, müssen wir  zurück auf den Hudson und zwar schnell. Das hier ist eine tödliche Falle,“ sagt er und beäugt argwöhnisch das Ufer. Ich schaue auch, aber das Ufer ist leer, öde, eingefroren. Es ist kein Mensch in Sicht, soweit das Auge reicht. „Schau mal,“ sage ich und deute mit dem Finger. „Der verrostete Schuppen? Da drinnen steht er“.

Logan fährt uns weitere dreißig Meter oder so, dann dreht er auf der Höhe des Schuppens. Dort gibt es ein altes, bröckelndes Dock. Logan schafft es unser Boot soweit an Land zu bringen, bis es nur noch ein paar Fuß vom Ufer entfernt ist. Er würgt den Motor ab, packt den Anker und wirft ihn über Bord. Dann nimmt er ein Seil aus dem Boot, macht einen lockeren Knoten an einem Ende, und wirft es um einen der verrosteten Metallpfosten. Er trifft und zieht uns die ganze Strecke bis ans Dock, bis der Abstand so klein ist, dass wir auf das Dock steigen können.

„Steigen wir aus?" fragt Bree.

„Ich steige aus,“ sage ich. „Warte hier auf mich, im Boot. Es ist zu gefährlich für dich mitzukommen. Ich werde bald zurück sein, und ich werde Sascha begraben. Das verspreche ich. "

„Nein!" schreit sie. „Du hast mir versprochen, dass wir nie wieder getrennt sein werden. Du hast es versprochen! Du kannst mich hier nicht allein lassen! Das KANNST du nicht machen!"

„Ich lasse dich nicht allein,“ antworte ich, und es bricht mir das Herz. „Du bist hier mit Logan, Ben und Rose. Du bist vollkommen sicher, das verspreche ich.“

Aber Bree steht auf. Zu meiner Überraschung nimmt sie Anlauf und springt vom Bug auf das sandige Ufer. Dort landet sie mitten im Schnee.

Sie steht an Land, die Hände auf den Hüften, und starrt mich trotzig an.

„Wenn du gehst, gehe ich auch,“ sagt sie.

Ich atme tief ein und sehe, dass es ihr egal ist. Ich kenne sie, wenn sie so ist, dann meint sie es auch.

Sie wird zwar eine Belastung für mich sein, aber ich muss zugeben, ein Teil von mir ist froh, sie immer in Sichtweite zu haben. Und wenn ich versuche, sie davon abzubringen, verschwende ich nur noch mehr Zeit.

„Gut,“ sage ich. „Bleib einfach ganz nah bei mir, die ganze Zeit. Versprochen?“

Sie nickt. „Ich verspreche es."

„Ich habe Angst", sagt Rose und sieht Bree mit weit aufgerissenen Augen an. „Ich möchte das Boot nicht verlassen. Ich möchte hier bleiben, mit Penelope. Ist das okay? "

„Ich will, dass du genau das machst,“ sage ich zu ihr und weigere mich im Stillen sie auch noch mitzunehmen.

Dann wende ich mich an Ben, er dreht sich um, und meine Augen streifen seinen traurigen Blick. Bei seinem Gesichtsausdruck will ich schnell wegschauen, aber ich zwinge mich es nicht zu tun.

„Kommst  du?“ frage ich. Ich hoffe, er sagt ja. Ich bin verärgert über Logan, weil er hier bleibt, weil er mich im Stich lässt, und ich könnte wirklich Unterstützung gebrauchen.

Aber Ben, immer noch deutlich unter Schock, starrt nur zurück. Er schaut mich an, als würde er nicht verstehen.

Ich frage mich, ob er alles, was um ihn herum geschieht, überhaupt wahrnimmt.

Kommst du?" frage ich mit mehr Nachdruck. Ich habe keine Geduld für so was.

Langsam schüttelt er den Kopf, während er sich zurückzieht. Er steht wirklich neben sich, und ich versuche, ihm zu verzeihen – aber es ist schwer.

Ich drehe mich um, um von Board zu gehen und ans Ufer zu springen. Es fühlt sich gut an wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

„Warte!" Ich drehe mich um und sehe Logan vom Fahrersitz aufstehen.

„Ich wusste, dass so ein Mist wie das hier passieren würde", sagt er.

Er geht über das Boot und sammelt seine Sachen.

„Was machst du da?", frage ich.

„Was denkst denn du?“ fragt er „Ich lasse euch zwei nicht allein gehen“.

Mein Herz hüpft vor Erleichterung. Wenn es nur um mich ginge, würde ich mir nicht so viele Sorgen machen – aber ich bin begeistert, dass jetzt ein weiteres Augenpaar auf Bree aufpasst.

Er springt aus dem Boot und ans Ufer.

„Ich sage dir jetzt noch mal, was für eine dumme Idee das ist,“ sagt er, als er neben mir landet. "Wir sollten weiterfahren. Es wird bald Nacht. Der Hudson kann zufrieren. Wir könnten hier stecken bleiben. Ganz abgesehen von den Sklaventreibern. Du hast 90 Minuten, verstanden? 30 Minuten hin, 30 Minuten vor Ort und 30 Minuten zurück. Keine Ausnahmen, aus irgendwelchen Gründen. Ansonsten gehe ich ohne dich.“

Ich schaue ihn an, beeindruckt und dankbar.

„Abgemacht", sage ich.

Ich denke an das Opfer, das er gerade gemacht hat, und beginne anders über ihn zu denken. Hinter all seinem Gehabe merke ich, dass Logan mich wirklich mag. Und er ist nicht so egoistisch, wie ich dachte.

Als wir uns umdrehen um zu gehen, kommt ein weiterer Einwand vom Boot aus.

„Wartet!“ schreit Ben.

Ich drehe mich um und schaue.

„Ihr könnt mich hier doch nicht einfach allein lassen mit Rose. Was ist, wenn jemand kommt? Was soll ich dann tun?“

„Pass auf das Boot auf,“ sagt Logan und dreht sich wieder um um zugehen.

„Aber ich weiß überhaupt nicht, wie man das Boot fährt!" schreit Ben. „Und ich habe keine Waffen!"

Logan dreht sich wieder um, greift genervt nach unten, nimmt eine der Waffen aus dem Gurt an seinem Oberschenkel, und wirft sie zu Ben. Sie trifft ihn mit voller Kraft an der Brust, und er betastet sie ungeschickt.

„Vielleicht lernst du ja noch, wie man sie benutzt", spottet Logan, während er sich wieder abwendet.

Ich bekomme einen guten Blick auf Ben, der da steht und dabei so hilflos und ängstlich aussieht, wie er die Waffe hält, von der er kaum weiß, wie man sie bedient.

Er wirkt vollkommen überfordert.

Ich will ihn trösten. Ich würde ihm gerne sagen, dass bald alles wieder in Ordnung ist, dass wir bald zurück sind. Aber wie ich mich abwende und auf die große Bergkette vor uns schaue, bin ich mir zum ersten Mal nicht so sicher, ob wir das wirklich sein werden.

ZWEI

Wir gehen schnell durch den Schnee, ich schaue ängstlich zu, wie der Himmel dunkler wird und spüre den Zeitdruck. Ich werfe einen Blick über meine Schulter, sehe meine Fußspuren im Schnee. Hinter ihnen Ben und Rose, die in dem schaukelnden Boot stehen und uns mit großen Augen beobachten. Rose drückt Penelope, die genau so viel Angst hat. Penelope bellt. Ich fühle mich schlecht, weil wir die drei zurücklassen, aber ich weiß, dass es für unsere Mission notwendig ist. Ich weiß, dass wir Material und Lebensmittel finden können, die uns helfen werden, und ich fühle, dass wir einen ordentlichen Vorsprung zu den Sklaventreibern haben.

 

Ich eile zu dem verrosteten, schneebedeckten Schuppen, reiße seine schiefe Tür auf und bete, dass der Lieferwagen, den ich vor Jahren hier versteckt habe, noch da ist.

Es war ein alter, verrosteter Pickup, der in den letzten Zügen lag, mehr Schrott als Auto, mit nur etwa einem Achtel vollen Tank. Ich bin eines Tages über ihn gestolpert in einem Graben an der Route 23. Dann habe ich ihn hier versteckt, vorsichtig unten am Fluss, für den Fall, dass ich ihn einmal brauchen sollte. Ich erinnere mich wie erstaunt ich war, als er sich tatsächlich noch bewegen ließ.

Die Tür des Schuppens öffnet sich mit einem Knarren, und da steht er, so gut versteckt wie an dem Tag, als ich ihn beiseite geschafft habe, immer noch mit Heu bedeckt. Mein Herz springt vor Freude und Erleichterung. Ich mache einen Schritt nach vorne, fege das Heu herunter und bekomme kalte Hände, als ich das eiskalte Metall berühre. Ich gehe zur Rückseite der Scheune und öffne das Flügeltor, Licht flutet herein.

„Nettes Fahrgestell", sagt Logan, geht an mir vorbei und prüft es. „Bist du sicher, dass es fährt?“

„Nein", sage ich. „Aber mein Elternhaus ist gut zwanzig Meilen entfernt, und wir können wohl kaum wandern.“

Ich kann an seinem Ton hören, dass er wirklich nicht auf dieser Mission sein möchte, dass er zurück im Boot sein will und weiter flussaufwärts fahren will.

Ich setze mich auf den Fahrersitz und suche den Boden nach dem Schlüssel ab. Schließlich ertaste ich ihn, weit hinten versteckt. Ich stecke ihn in der Zündung, atme tief ein und schließe die Augen.

Bitte, Gott. Bitte!

Zunächst passiert nichts. Meine Zuversicht schwindet.

Aber ich den Schlüssel immer wieder umdrehe, immer weiter nach rechts, beginnt der Motor langsam zu zünden. Erst ist es nur ganz leiser Ton, wie eine sterbende Katze. Aber ich halte durch, drehe wieder und wieder, und schließlich wird das Geräusch stärker.

Komm schon, komm schon!

Schließlich springt der Motor knatternd und stöhnend an. Er keucht und pfeift  aus dem letzten Loch, aber er läuft.

Ich muss einfach lächeln vor lauter Erleichterung. Er funktioniert. Er funktioniert wirklich. Wir werden es bis zu meinem Elternhaus schaffen, meinen Hund begraben, Essen bekommen.

Ich habe das Gefühl, als ob Sascha zu uns herunterschaut, uns hilft. Vielleicht auch mein Vater.

Die Beifahrertür öffnet sich und Bree springt in den Wagen, sehr gespannt, und rutscht rüber auf den Sitz direkt neben mir. Dann steigt Logan neben ihr ein und schlägt die Tür zu, den Blick geradeaus gerichtet.

„Worauf wartest du noch?“ fragt er. „Die Zeit läuft."

„Das musst du mir nicht zu mir zweimal sagen", sage ich, ebenso kurz angebunden, zu ihm.

Ich legte einen Gang ein, trete aufs Gas, und wende aus dem Schuppen heraus in den Schnee und unter den Nachmittagshimmel. Zuerst bleiben die Räder im Schnee stecken, aber dann gebe ich mehr Gas, und wir stottern nach vorne.

Wir fahren und schleudern auf den abgefahrenen Reifen, über ein Feld. Es ist holprig, und wir werden immer wieder gut durchgeschüttelt. Aber wir kommen voran, und das ist alles, was für mich zählt.

Bald sind wir auf einer kleinen Landstraße. Ich bin so dankbar, dass der Schnee fast den ganzen Tag über geschmolzen ist, sonst würden wir es nie schaffen.

Wir nehmen Fahrt auf. Der Lieferwagen überrascht mich, er fährt ruhiger, nachdem er warm geworden ist. Wir fahren fast 60 Stundenkilometer, als wir die Route 23 in Richtung Westen nehmen. Ich gebe Gas bis wir über ein Schlagloch fahren, und ich es gleich bereue. Wir stöhnen alle, als wir unsere Köpfe anschlagen. Dann fahre ich langsamer. Es ist fast unmöglich die Schlaglöcher im Schnee zu sehen, und ich hatte vergessen, wie schlecht die Straßen geworden sind.

Es ist unheimlich, wieder auf dieser Straße zu sein, dorthin zurückzufahren, wo einst mein Zuhause war. Ich erinnere mich auch an die Straße, als wir die Sklaventreiber gejagt haben, die Erinnerungen kommen wieder hoch. Ich erinnere mich, wie ich sie mit dem Motorrad herunter gerast bin und dachte, ich müsste sterben. Und ich versuche diese Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen.

Als wir gehen, kommen wir an dem riesigen Baum vorbei, der umgefällt wurde und auf die Straße fiel. Jetzt ist er schneebedeckt. Ich erkenne ihn als den Baum, der gerade gefällt wurde, als ich weg musste. Jemand hatte ihn auf den Weg gekippt um die Sklaventreiber aufzuhalten, ein unbekannter Überlebenskünstler hier draußen, der auf uns aufpasst hat.

Ich frage mich, ob es jetzt noch andere Menschen hier draußen gibt, die überleben, vielleicht sogar uns beobachten. Ich schaue mich um, durchkämme den Wald mit meinen Augen, aber ich sehe keine Anzeichen.

Wir liegen gut in der Zeit, und zu meiner Erleichterung läuft nichts schief. Ich traue dem Frieden nicht. Es ist fast zu einfach. Ich schaue auf den Benzinstand und sehe, dass wir nicht viel verbraucht haben. Aber ich weiß nicht, wie genau die Anzeige ist und für einen Moment frage ich mich, ob wir auch genug Benzin haben, um wieder zurückzufahren. Ich frage mich, ob dieser Versuch nicht doch eine dumme Idee war.

Schließlich verlassen wir die Hauptstraße und bieten in eine enge, kurvige Landstraße, die uns nach oben in die Berge bringt, zu meinem Elternhaus.

Ich bin jetzt nervöser, als wir den Berg herauf kurven mit den steil abfallenden Klippen zu meiner Rechten. Ich schaue mich um und muss einfach feststellen, wie unglaublich schön der Blick ist, auf das komplette Gebirge von Catskill. Aber der Anstieg ist steil, und der Schnee ist höher, hier oben. Und ich weiß, dass der alte Rosthaufen mit einer falschen Drehung, einem ungünstigen Abrutschen, direkt über die Kante gehen kann.

Zu meiner Überraschung, liegt der Lieferwagen sicher auf der Straße, wie eine Bulldogge. Bald haben wir das Schlimmsten hinter uns, und als wir um eine Kurve fahren, sehe ich plötzlich unser ehemaliges Haus.

„Hey! Papas Haus!“ schreit Bree und setzt sich vor Aufregung auf.

Ich bin auch erleichtert, es zu sehen. Wir sind hier, und wir liegen gut in der Zeit.

„Siehst du,“ sage ich zu Logan, „das war doch nicht so schlimm."

Logan scheint allerdings nicht erleichtert zu sein, auf seinem Gesicht liegt ein nervöser Ausdruck.

„Wir haben es bis hierhin geschafft", schimpft er. „Noch haben wir es nicht zurück geschafft."

Typisch. Er weigert sich zuzugeben, dass er falsch lag.

Ich halte vor unserem Haus und sehe die alten Spuren der Sklaventreiber. Es bringt alle Erinnerungen zurück, die verzweifelte Angst, die ich fühlte, als sie Bree genommen hatten.

Ich lege einen Arm um ihre Schultern, drücke sie fest und bin entschlossen, sie nie wieder aus den Augen zu lassen. Ich mache den Motor aus, und wir alle springen aus dem Wagen und eilen auf das Haus zu.

„Tut mir leid, wenn alles durcheinander ist", sage ich zu Logan, als ich an ihm vorbei zur Haustür gehe. „Ich habe nicht mit Gästen gerechnet."

Trotz seiner schlechten Laune unterdrückt er ein Lächeln.

„Ha, ha", sagt er tonlos. „Soll ich meine Schuhe ausziehen?"

Er hat Sinn für Humor. Das überrascht mich.

Während ich die Tür öffne und eintrete, verliere ich meinen Sinn für Humor. Mein Herz bleibt stehen, als ich um mich schaue. Dort liegt Sascha, in ihrem getrockneten Blut, ihr Körper steif und gefroren. Nur ein paar Meter neben ihr liegt die Leiche des Sklaventreibers, der Sascha getötet hatte. Sein Körper ist ebenfalls gefroren und liegt ausgesteckt auf den Boden.

Ich schaue auf die Jacke, die ich trage -seine Jacke- die Kleider, die ich anhabe – seine Kleider -meine Stiefel -seine Stiefel, und das gibt mir ein seltsames Gefühl. Fast so, als wäre ich sein lebendiger Doppelgänger. Logan sieht zu mir und denkt das gleiche.

„Du hast nicht etwa seine Hose genommen?“ fragt er.

Ich schaue nach unten und erinnere mich, dass hatte ich es nicht getan. Das war zu viel.

Ich schüttle den Kopf.

„Dumm,“ sagt er.

Jetzt, wo er das sagt, merke ich, dass er Recht hat. Meine alten Jeans sind nass und kalt, und sie kleben an mir. Selbst wenn ich die Kleider nicht will, könnte Ben sie wollen. Es ist eine Schande sie zu verschwenden, immerhin sind sie vollkommen in Ordnung.

Ich höre unterdrückte Schreie und sehe Bree dort stehen und Sascha anschauen. Es bricht mir das Herz, ihr Gesicht so zu sehen, so zerknittert, während sie auf ihren ehemaligen Hund starrt.

Ich gehe zu ihr und lege einen Arm um sie.

„Es ist schon in Ordnung, Bree,“ sage ich. „Schau einfach weg.“

Ich küsse sie auf die Stirn und versuche sie wegzudrehen, aber sie schüttelt mich ab mit überraschender Kraft.

„Nein,“ sagt sie.

Sie geht nach vorne, kniet sich hin und umarmt Sascha auf dem Boden. Sie schlingt ihre Hände um ihren Nacken und küsst sie auf den Kopf.

Logan und ich tauschen einen Blick aus. Keiner von uns würde das tun.

„Wir haben keine Zeit,” sagt Logan. “Du musst sie begraben und einfach weiter machen.“

Ich knie mich neben sie und streichle Saschas Kopf.

„Alles ist in Ordnung, Bree. Sascha ist jetzt an einem besseren Ort. Sie ist glücklich, jetzt. Hörst Du mich?“ Aus ihren Augen rinnen Tränen, und sie steht auf, holt tief Luft und wischt sie mit dem Handrücken ab.

„Wir können sie nicht einfach so hier lassen“ sagt sie „wir müssen sie begraben.“

„Das werden wir,“ sage ich.

„Das können wir nicht,“ sagt Logan „der Boden ist gefroren“.

Ich stehe da und schaue Logan an, mehr verärgert als je zuvor. Besonders, weil ich merke, dass er Recht hat. Daran hätte ich denken sollen.

„Was schlägst du dann vor?“ frage ich.

„Das ist nicht mein Problem. Ich halte draußen Wache.“

Logan dreht sich um und geht nach draußen, wobei er die Haustüre hinter sich zuschlägt.

Ich wende mich wieder zu Bree und versuche schnell nachzudenken.

„Er hat recht,“ sage ich „wir haben keine Zeit um sie zu begraben“.

„NEIN!” heult sie. „Du hast es versprochen. Versprochen!”

Sie hat Recht. Ich habe es versprochen, aber ich habe die Sache nicht gründlich durchdacht. Der Gedanke, Sascha hier einfach so liegen zu lassen, bringt mich auch um. Aber ich kann auch nicht unsere Leben hier riskieren. Sascha hätte das nicht gewollt.

Ich habe eine Idee.

„Wie wäre es mit dem Fluss, Bree?”

Sie dreht sich um und schaut mich an.

„Wie wäre es, wenn wir ihr eine Wasserbestattung geben? Du weißt schon, so wie sie das für Soldaten machen, die einen ehrenvollen Tod gestorben sind.

„Welche Soldaten?“ fragt sie.

„Wenn Soldaten auf See sterben, werden sie manchmal im Meer beerdigt. Das ist eine ehrenvolle Bestattung. Sascha hat den Fluss geliebt. Ich bin sicher, sie wäre dort glücklich. Wir können sie mit nach unten nehmen und dort begraben. Ist das in Ordnung?“

Ich habe Herzklopfen, während ich auf ihre Antwort warte. Wir haben nicht mehr viel Zeit und ich weiß wie kompromisslos Bree sein kann, wenn ihr etwas wichtig ist.

Zu meiner Erleichterung nickt sie.

„In Ordnung,“ sagt sie „aber ich darf sie tragen.“

„Ich glaube sie ist zu schwer für dich.“

„Ich komme nicht mit, wenn ich sie nicht tragen darf,“ sagt sie, ihre Augen leuchten vor Entschlossenheit als sie vor mir steht, die Hände auf den Hüften. Ich kann an ihren Augen sehen, dass sie niemals nachgeben wird.

“Gut,” sage ich “du kannst sie tragen.”

Wir beide heben Sascha vom Boden auf, dann suche ich schnell das Haus ab nach allem, das wir für uns retten können. Ich eile zur Leiche des Sklaventreibers, ziehe ihm die Hose aus, und als ich das mache, fühle ich etwas in seiner Hosentasche. Ich bin glücklich überrascht, etwas Sperriges aus Metall zu finden. Ich ziehe ein kleines Springmesser heraus. Davon bin ich begeistert, und verstaue es in meiner Tasche.

Ich mache eine schnelle Besichtigung des restlichen Hauses, eilte von Zimmer zu Zimmer, auf der Suche nach allem, das nützlich sein könnte. Ich finde ein paar alte, leere Jutesäcke und nehme sie alle mit. Ich öffne einen von ihnen und werfe Brees Lieblingsbuch hinein „Der Baum, der sich nicht lumpen lies“ und meine Ausgabe von „Herr der Fliegen“. Ich laufe zu einem Schrank und packe alle restlichen Kerzen und Streichhölzer ein. Ich gehe durch die Küche und in die Garage, alle Türen stehen noch auf nach dem Angriff der Sklaventreiber. Ich hoffe sehr, dass sie sich nicht die Zeit genommen haben um sich in der Garage umzuschauen, etwa nach einer Werkzeugkiste. Ich habe sie gut versteckt, in einer Nische in der Mauer, und ich eile nach hinten. Zu meiner Erleichterung ist sie noch da. Sie ist zu schwer um die ganze Kiste zu tragen, also wühle ich sie durch und suche mir die Werkzeuge heraus, die uns die besten Dienste leisten werden. Ich nehme einen kleinen Hammer, einen Schraubenzieher, eine Schachtel mit Nägeln. Ich finde eine Taschenlampe mit Batterien. Ich teste sie, und sie funktioniert. Ich nehme eine kleine Zange mit und einen Schraubenschlüssel, schließe die Kiste und bin aufbruchsbereit. Als ich gehen will, springt mir etwas ins Auge, oben an der Wand. Es ist ein großes Seil,  ordentlich aufgerollt und gebündelt hängt es an einem Haken. Ich hatte es komplett vergessen. Vor Jahren hat unser Vater dieses Seil gekauft und zwischen zwei Bäumen aufgespannt. Er dachte wir könnten alle damit Spaß haben. Wir haben es einmal benutzt und danach nie wieder, und dann hängte er es in die Garage. Jetzt denke ich, während ich es anschaue, dass es vielleicht hilfreich für uns sein könnte. Ich springe auf die Werkzeugbank, strecke mich nach dem Seil aus, hole es herunter und lege es über meine eine Schulter, meinen Leinensack über die andere.

 

Ich eile aus der Garage und wieder zurück ins Haus, und dort steht Bree, hält Sascha in beiden Armen und sieht nach unten.

„Ich bin soweit,“ sagt sie.

Wir eilen aus der Haustür, Logan dreht sich um und sieht Sascha. Er schüttelt den Kopf.

„Wohin bringet ihr sie?“ fragt er.

„Der Fluss,“ sage ich.

Er schüttelt missbilligend den Kopf.

„Die Uhr läuft,“ sagt er. „Ihr habt noch 15 Minuten, bevor wir zurückfahren. Wo sind die Lebensmittel?“

„Hier nicht“ sage ich. „Dazu müssen wir höher gehen, zu einer Hütte, die ich gefunden habe. Das schaffen wir in 15 Minuten.“

Bree und ich gehen zum Lieferwagen und schmeißen das Seil und den Sack auf die Ladefläche. Ich behalte die leeren Säcke, denn ich weiß, dass ich sie brauchen werde um die Lebensmittel zu transportieren.

„Wofür ist die Leine?“ fragt Logan und stellt sich hinter uns. „Wir brauchen sie nicht“.

„Man kann nie wissen,“ sage ich.

Ich lege einen Arm um Bree, die immer noch Sascha anstarrt, drehe sie zur Seite und schaue den Berg entlang.

„Auf geht’s!“ sage ich zu Logan.

Widerstrebend dreht er sich um und geht mit uns los.

Wir drei wandern stetig nach oben, der Wind wird stärker, es ist kälter hier oben. Ich schaue besorgt zum Himmel: Es wird viel schneller dunkel als ich gedacht habe. Ich weiß, dass Logan recht hat: wir müssen zurück auf dem Wasser sein, bevor Einbruch der Nacht. Jetzt ist schon so ziemlich Sonnenuntergang, und ich werde immer besorgter. Aber ich weiß ganz genau, dass wir Essen brauchen.

Wir drei stapfen den Berghang herauf, und schließlich erreichen wir die obere Lichtung, als mir ein starker Windstoß ins Gesicht bläst. Es wird von Minute zu Minute kälter und dunkler.

Ich verfolge meine Schritte zu der Hütte zurück, der Schnee ist tief hier oben; ich fühle ihn durch meine Stiefel, während ich gehe. Ich sehe es, noch versteckt, mit Schnee bedeckt. So gut versteckt und anonym wie immer. Ich eile auf die Hütte zu und breche die kleine Tür auf. Logan und Bree stehen hinter mir.

„Guter Fund,“ sagt er, und zum ersten Mal höre ich Bewunderung in seiner Stimme. „Gut versteckt, es gefällt mir. Es ist so gut, dass ich fast gerne bleiben würde – wenn die Sklaventreiber nicht hinter uns her während und wir mit Lebensmitteln versorgt wären.“

„Ich weiß,“ sage ich und gehe in das kleine Haus.

„Es ist schön,“ sagt Bree „Ist das das Haus, in das wir einziehen werden?“

Ich drehe mich um und schaue sie an, dabei fühle ich mich schlecht und nicke.

„Ein anderes Mal, okay?“

Sie versteht das. Sie ist auch nicht scharf darauf, den Sklaventreibern zu begegnen.

Ich eile nach innen, öffne die Falltür und steige eine steile Leiter hinab. Es ist dunkel hier unten, und ich taste nach meinem Weg. Ich strecke einen Arm aus und fühle eine Reihe Gläser, es klirrt, als ich sie berühre. Die Einmachgläser. Ich verschwende keine Zeit, ziehe meine Säcke heraus und fülle sie so schnell ich kann mit Einmachgläsern.  Ich kann sie kaum entziffern, während meine Tasche schwer wird, aber ich erinnere mich, dass es Himbeermarmelade war, Brombeermarmelade, Gemüse, Gurken…ich mache den Sack so voll wie möglich, dann gebe ich ihn die Leiter hoch, zu Logan. Er nimmt ihn, und ich fülle drei weitere.

Ich räume die komplette Wand ab.

„Das reicht,“ sagt Logan „mehr können wir nicht schleppen, und es wird dunkel. Wir müssen gehen“.

Jetzt liegt etwas mehr Respekt in seiner Stimme. Klar, jetzt ist er beeindruckt wegen des Essenverstecks, und jetzt versteht er endlich, warum wir hierhin kommen mussten.

Er greift nach unten und bietet mir seine Hand, aber ich klettere die Leiter allein hoch, denn ich brauche seine Hilfe nicht und bin noch verstimmt während seiner Haltung vorhin.

Als ich wieder in der Hütte stehe, schnappe ich mir zwei der schweren Säcke, Logan nimmt die anderen. Wir drei eilen aus der Hütte und folgen unseren Schritten zurück nach unten über den steilen Pfad. Ein paar Minuten später sind wir zurück am Lieferwagen. Ich bin erleichtert, dass er noch alles da ist. Ich prüfe den Horizont und sehe keinerlei Leben auf dem Berg oder unten im entfernten Tal.

Wir steigen wieder in den Lieferwagen, ich drehe die Zündung und bin froh, als er anspringt und wir losfahren, die Straße herunter. Wir haben Essen, Vorräte, unseren Hund, und ich konnte mich von meinem Elternhaus verabschieden. Ich bin zufrieden, und ich fühle, dass Bree neben mir auch froh ist. Logan schaut aus dem Fenster und ist in seiner eigenen Welt. Aber ich kann nicht anders als zu glauben, dass auch er findet, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben.

*

Die Fahrt nach unten verläuft ohne Zwischenfälle, und zu meiner Überraschung sind die Bremsen des alten Lieferwagens ziemlich gut. An manchen Stellen, wo es wirklich steil ist, ist es mehr ein kontrolliertes Rutschen als ein Bremsen, aber nach ein paar Minuten haben wir das Schlimmste hinter uns, sind zurück auf der befestigten Route 23 und fahren nach Osten. Wir werden schneller, und zum ersten Mal in einer ganzen Weile bin ich optimistisch gestimmt. Wir haben ein paar wertvolle Werkzeuge und genug Essen für die nächsten Tage. Ich fühle mich gut, bestätigt, als wir die 23 herunterfahren, und es nur noch ein paar Minuten dauert, bis wir zurück auf dem Boot sein werden.

Und dann ändert sich alles.

Ich mache eine Vollbremsung als jemand aus dem Nirgendwo in die Mitte der Straße springt, hysterisch mit den Armen winkt und dabei unserem Weg blockiert. Er ist gerade mal fünfzig Meter von uns entfernt und ich muss hart bremsen, so dass unser Lieferwagen ins Rutschen kommt. „NICHT ANHALTEN!“ befiehlt Logan „fahr weiter!“ Er verwendet seine härteste Militärstimme.

Aber ich kann nicht auf ihn hören. Da ist ein Mann vor mir auf der Straße, hilflos, mit nur einer abgerissenen Jeans und einer ärmellosen Weste bekleidet in der eisigen Kälte. Er hat einen langen schwarzen Bart, wildes Haar und große, wirre, schwarze Augen. Er ist sehr dünn, es sieht aus als habe er seit Tagen nichts gegessen. Er trägt Pfeil und Bogen um seine Brust. Er ist ein Mensch, ein Überlebender, genau wie wir. So viel ist klar.

Er winkt verzweifelt mit den Armen, und ich kann ihn nicht überfahren. Ich kann es auch nicht ertragen einfach weiter zu fahren. Wir halten abrupt an, nur ein paar Meter von dem Mann entfernt. Er steht da mit wilden Augen, als hätte er nicht erwartet, dass wir wirklich anhalten.

Logan verschwendet keine Zeit, springt aus dem Wagen, beide Hände an seiner Pistole, die auf den Kopf des Mannes gerichtet ist.

“GEHEN SIE ZURÜCK!” schreit er.

Ich steige ebenfalls aus.

Der Mann hebt langsam seine Arme und schaut benommen, während er einige Schritte zurückgeht.

„Nicht schießen,“ fleht der Mann „Bitte! Ich bin genau wie ihr! Ich brauche Hilfe. Ihr könnt mich hier nicht einfach sterben lassen. Ich verhungere, ich habe seit Tagen nichts gegessen. Bitte nehmt mich mit. Bitte!

Seine Stimme bricht und ich sehe die Verzweiflung in seinem Gesicht. Ich weiß wie er sich fühlt. Es ist noch nicht lange her, und ich war genau wie er, ich musste mir jede Mahlzeit hier in den Bergen erbetteln. Viel besser ist es jetzt auch nicht.