Arena Zwei

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„Hier, nimm das!“ sagt der Mann und gibt uns seinen Bogen und Köcher mit Pfeilen „Das gehört euch, ich will euch nichts antun!“

„Bewege dich langsam,“ warnt Logan, immer noch misstrauisch.

Der Mann reicht vorsichtig nach vorne und gibt uns seine Waffe.

“Brooke, das nimmst du,” sagt Logan.

Ich mache einen Schritt nach vorne, nehme Pfeil und Bogen und werfe sie nach hinten auf den Lieferwagen.

„Seht ihr,“ sagt der Mann und beginnt zu lächeln „Ich bin keine Bedrohung. Ich möchte einfach mit euch kommen. Ihr könnte mich nicht einfach zurück- und sterben lassen.“

Langsam entspannt Logan seine Schutzhaltung und nimmt die Waffe ein bisschen tiefer, aber er hat immer noch ein waches Auge auf den Mann.

„Tut uns leid,” sagt Logan. „Wir können nicht noch jemanden durchfüttern.”

„Warte!” rufe ich Logan zu. „Du bist nicht allein hier. Du triffst nicht alle Entscheidungen“. Ich wende mich an den Mann „Wie heißt du?“ frage ich „wo kommst du her?“

Er schaut mich verzweifelt an.

“Ich heiße Rupert,” sagte er “Ich habe hier oben zwei Jahre lang überlebt. Ich habe dich und deine Schwester schon vorher gesehen. Ich habe versucht zu helfen, als die Sklaventreiber deine Schwester genommen haben, ich bin derjenige, der den Baum gefällt hat!“

Als er das sagt, bricht mein Herz. Er ist derjenige, der versucht hat uns zu helfen! Ich kann ihn einfach nicht hier lassen. Es wäre nicht richtig.

„Wir müssen ihn mitnehmen,“ sage ich zu Logan. „Wir finden schon noch Platz für einen mehr“

„Ich kenne ihn nicht,“ antwortet Logan „Außerdem haben wir nicht genug Lebensmittel.“

„Ich kann jagen,“ sagt der Mann „Ich habe Pfeil und Bogen“.

„Das hat dir hier oben ja sehr geholfen“ sagt Logan.

„Bitte,“ sagt Rupert „ich kann euch helfen. Bitte. Ich will nichts von eurem Essen.“

„Wir nehmen ihn mit,“ sage ich zu Logan.

„Nein, das machen wir nicht,“ entgegnet er. „Du kennst diesen Mann nicht. Du weißt überhaupt nichts über diesen Mann.“

„Ich weiß auch nicht viel über dich,“ sage ich zu Logan. Mein Ärger wird stärker. Ich hasse, dass er so zynisch sein kann, so vorsichtig. „Du bist nicht der einzige, der das Recht hat zu leben.“

„Wenn du ihn mitnimmst, gefährdest du uns alle” sagt er. „Nicht nur dich. Auch deine Schwester.“

„Als ich es das letzte Mal geprüft habe, waren wir zu dritt“ kommt Brees Stimme von hinten. Ich drehe mich um uns sehe, dass auch sie aus dem Lieferwagen gesprungen ist und hinter uns steht.

„Und das heißt, dass wir eine Demokratie sind. Meine Stimme zählt. Und ich stimme dafür, dass wir ihn mitnehmen. Wir können ihn nicht einfach zurück- und sterben lassen.“

Logan schüttelt den Kopf und sieht angewidert aus. Ohne ein weiteres Wort spannt er den Kiefer an, dreht sich um und steigt in den Lieferwagen.

Der Mann sieht mich mit einem großen Lächeln an, sein Gesicht wird von tausend Falten zerfurcht.

„Danke,“ flüstert er. „Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.“

„Beweg dich einfach, bevor er seine Meinung ändert,“ sage ich, während wir zurück zum Wagen gehen.

Als Rupert die Tür erreicht sagt Logan „du sitzt nicht bei uns vorne. Geh auf die Ladefläche.“

Bevor ich etwas einwenden kann, springt Rupert glücklich hinten auf, Bree und ich steigen ein, und wir fahren los.

Die Fahrt zurück zum Fluss ist nervenaufreibend. Während wir fahren, wird der Himmel dunkel. Ich schaue fortwährend der untergehenden Sonne zu, wie sie rot durch die Wolken blutet. Jede Sekunde wird es kälter, und der Schnee wird sogar härter, während wir fahren. An manchen Stellen wird er zu Eis und macht die Fahrt noch unsicherer. Die Benzinanzeige sinkt und blinkt rot, und obwohl wir nur noch eine Meile oder so vor uns haben, habe ich das Gefühl wir müssten um jeden Zentimeter kämpfen.

Ich spüre auch wie nervös Logan wegen unseres neuen Passagiers ist. Dabei ist es nur ein Unbekannter mehr, ein weiterer Mund, der gefüttert werden muss.

Während ich auf das Gas gehe, sporne ich den Lieferwagen im Stillen an weiterzufahren, den Himmel hell zu bleiben, den Schnee, nicht hart zu werden. Als ich beginne zu glauben, dass wir niemals ankommen, nehmen wir eine Kurve und ich sehe die Abzweigung. Ich biege in die enge Landstraße ein, die zum Fluss abfällt und versuche den Wagen davon zu überzeugen, dass er durchhält. Ich weiß, dass das Boot nur noch ein paar hundert Meter entfernt ist. Wir nehmen eine weitere Biegung, und während wir das tun, springt mein Herz vor Erleichterung als ich das Boot sehe. Es ist noch da, bewegt sich im Wasser auf und ab, und ich sehe Ben dort stehen. Er sieht nervös aus und sucht den Horizont nach uns ab.

„Unser Boot!“ ruft Bree aufgeregt.

Die Straße wird noch holpriger, als wir abwärts beschleunigen. Aber wir werden es schaffen. Ich bin durch und durch erleichtert.

Aber als ich zum Horizont schaue sehe ich in der Entfernung etwas, das meinen Mut sinken lässt. Ich kann es nicht glauben. Logan muss es zur selben Zeit gesehen haben.

„Verdammt noch mal,“ flüstert er.

In einiger Entfernung auf dem Hudson kommt ein Boot der Sklaventreiber – ein großes, schnittiges schwarzes Motorboot –  auf uns zu gerast. Es ist doppelt so groß wie unser Boot, und ich bin sicher, dass es viel besser ausgestattet ist. Was die Sache noch schlimmer macht ist ein weiteres Boot, das ich sehe, noch etwas weiter entfernt.

Logan hatte Recht. Sie waren viel näher als ich dachte.

Ich trete auf die Bremse und wir rutschen, bis wir etwa zehn Meter vom Ufer entfernt zum Stehen kommen. Ich schalte auf parken, öffne die Tür, springe heraus und will zum Boot rennen. Plötzlich stimmt etwas überhaupt nicht. Mir wird die Luft abgeschnitten und ich fühle einen Arm eng um meinen Hals. Ich fühle, dass ich nach hinten gezogen werde. Ich bekomme keine Luft mehr, sehe Sterne und habe keine Ahnung was los ist. Ist das ein Hinterhalt der Sklaventreiber?

„Nicht bewegen“ zischt eine Stimme an meinem Ohr. Ich fühle etwas scharfes, Kaltes an meiner Kehle, ein Messer. Erst dann merke ich, was passiert ist: Rupert, der Fremde. Er hat mich überfallen.

DREI

“RUNTER MIT DER WAFFE!” schreit Rupert “SOFORT!”

Logan steht ein paar Meter weit weg, die Pistole erhoben, und er zielt genau über meinen Kopf. Er hält sie in Position und ich kann sehen wie er abwägt, ob er den Mann in den Kopf schießen soll. Ich sehe, dass er es gerne möchte, aber er ist besorgt, dass er mich treffen könnte.

Ich merke, dass es dumm es von mir war den Mann mitzunehmen. Logan hatte die ganze Zeit über Recht. Ich hätte auf ihn hören sollen. Rupert hat uns die ganze Zeit nur benutzt, weil er unser Boot, unser Essen und unsere Vorräte für sich allein haben wollte.

„Schieß!“ rufe ich Logan zu. „Mach es!“

Ich vertraue Logan – ich weiß, dass er ein guter Schütze ist. Aber Rupert hält mich fest, und ich sehe, dass Logan zögert, nicht sicher ist. In diesem Moment sehe ich in Logans Augen wie viel  Angst er hat mich zu verlieren. Er sorgt sich also doch. Das tut er wirklich.

Langsam hält Logan die Pistole in der offenen Hand und legt sie sanft in den Schnee. Mein Herz sinkt.

„Lass sie gehen!“ schreit er.

„Erst das Essen!“ schreit Rupert zurück, sein heißer Atem an meinem Ohr. „Die Säcke, bring sie zu mir! Jetzt!“

Logan geht leise zur Rückseite des Lieferwagens, nimmt die vier schweren Säcke heraus und geht auf den Mann zu.

„Stelle sie auf den Boden!“ schreit Rupert „Langsam!“

Langsam stellt sie Logan auf den Boden.

In der Ferne höre ich den Motor der Sklaventreiber wimmern. Ich kann nicht glauben wie dumm ich war, alles geht schief, direkt vor meinen Augen.

Bree steigt aus dem Wagen.

„Lass meine Schwester gehen!“ schreit sie ihn an.

In diesem Moment habe ich Zukunft klar vor Augen. Ich weiß, was passieren wird. Rupert wird mir die Kehle aufschlitzen, dann wird er Logans Waffe nehmen und ihn und Bree töten. Danach Ben und Rose. Er wird unser Essen und unser Boot nehmen und einfach wegfahren.

Dass er mich tötet ist die eine Sache, aber Bree etwas zu tun ist eine andere. Das ist etwas, was ich nicht zulassen kann.

Plötzlich beiße ich zu. Bilder von meinem Vater gehen mir durch den Kopf, von seiner Zähigkeit, den Nahkampftechniken, in denen er mich ausgebildet hat. Druckpunkte, Schläge, Hebel. Wie man so ziemlich überall herauskommt. Wie man einen Mann mit einem einzigen Finger in die Knie zwingt. Und wie man seinen Hals von einem Messer befreit.

Ich wecke einen alten Reflex in mir und lasse meinen Körper übernehmen. Ich hebe meinen Ellenbogen ein paar Zentimeter nach oben und bringe ihn gerade zurück, genau auf seinen Solar Plexus.

Ich erziele eine eindeutige Wirkung, genau so, wo ich wollte. Sein Messer gräbt sich ein bisschen tiefer in meinen Hals ein, es ritzt die Haut auf und tut weh.

Aber gleichzeitig höre ich ihn nach Luft keuchen, und ich weiß, dass mein Schlag funktioniert hat.

Ich mache einen Schritt nach vorne, ziehe seinen Arm von meinem Hals, trete nach hinten und treffe ihn genau zwischen den Beinen. Er stolpert ein paar Schritte zurück und bricht im Schnee zusammen.

Ich hole tief Luft und keuche, mein Hals tut weh. Logan hechtet nach seiner Waffe.

Ich drehe mich um und sehe wie Rupert durchstartet und auf unser Boot zu rennt. Er macht drei große Schritte und springt genau in die Mitte des Bootes. Gleichzeitig schneidet er das Seil durch, mit dem das Boot am Ufer befestigt ist. Alles passiert schneller, als man blinzeln kann, ich kann kaum glauben, wie schnell er sich bewegt.

Ben steht da, benommen und verwirrt, weil er nicht weiß, wie er reagieren soll. Rupert dagegen zögert nicht: Er springt auf Ben zu und schlägt ihm fest mit der freien Hand ins Gesicht.

Ben kommt ins Stolpern und fällt. Noch bevor er aufstehen kann nimmt ihn Rupert in den Schwitzkasten und hält das Messer an seine Kehle.

 

Er dreht sich um und sieht zu uns herüber, dabei benutzt er Ben als menschliches Schutzschild. Im Boot kauert Rose und schreit, Penelope bellt wie verrückt.

„Wenn du auf mich schießt, tötest du ihn auch!“ schreit Rupert.

Logan hat seine Waffe wieder, er steht da und zielt auf ihn. Aber es ist kein einfacher Schuss. Das Boot treibt weiter vom Ufer weg, jetzt ist es gute fünfzehn Meter entfernt, und es bewegt sich stark auf und ab, auf den rauen Wellen. Logan hat einen Spielraum von etwa fünf Zentimetern um ihn zu treffen ohne Ben zu töten. Logan zögert und ich sehe, dass er das Risiko Ben zu töten nicht eingehen will, nicht mal für unser eigenes Überleben. Es ist eine Eigenschaft, die Vieles wieder gutmacht.

„Gib mir den Schlüssel!“ ruft Rupert Ben zu.

Ben, muss man zu seiner Ehre sagen, hat wenigstens eine Sache richtig gemacht, denn er muss den Schlüssel irgendwo versteckt haben, als er Rupert kommen sah. Ein kluger Zug.

In der Ferne tauchen plötzlich die Sklaventreiber auf, das Röhren ihrer Motoren wird lauter. Ich fühle eine tiefe Angst, Hilflosigkeit. Ich weiß nicht, was ich machen soll.

Unser Boot ist zu weit vom Ufer entfernt, um es jetzt zu erreichen. Und selbst wenn wir es könnten, würde Rupert wahrscheinlich Ben töten, noch während wir dabei sind. Penelope bellt und springt von Roses Arm, rennt über das Boot und schlägt ihre Zähne in Ruperts Wade. Er schreit und lässt Ben für einen Moment los. Ein Schuss knallt. Logan sah seine Chance und hat keine Zeit verschwendet.

Es ist ein sauberer Schuss, genau zwischen die Augen. Rupert starrt uns für einen Moment mit großen Augen an, als die Kugel in sein Gehirn dringt. Dann plumpst er nach hinten, zum Heck des Bootes, als wolle er sich hinsetzen, aber er kippt nach hinten über und landet mit einem Platsch im Wasser.

Es ist vorbei.

„Bring das Boot zurück zum Ufer!“ ruft Logan zu Ben „SOFORT!“

Ben, immer noch benommen, setzt sich in Bewegung. Er fischt den Schlüssel aus seiner Tasche, startete das Boot und steuert auf das Ufer zu. Ich nehme zwei der Säcke mit Lebensmitteln, Logan nimmt die anderen, und wir werfen sie auf das Boot, sobald es das Ufer erreicht hat. Ich schnappe mir Bree und hebe sie ins Boot, dann renne ich zurück zum Lieferwagen. Logan nimmt meine Säcke mit geretteten Vorräten, ich nehme Sascha. Dann erinnere ich mich, laufe zurück zum Wagen und nehme Ruperts Pfeil und Bogen. Ich bin die Letzte, die von Ufer ins Boot springt, als es schon beginnt wegzutreiben.

Logan übernimmt das Steuer, steigt aufs Gaspedal und zieht durch, um uns aus dem schmalen Kanal heraus zu steuern.

Wir rasen auf den Zufluss zum Hudson zu, er liegt ein paar hundert Meter vor uns. Am Horizont taucht das Boot der Sklaventreiber auf – schnittig, schwarz, gefährlich – und rast auf uns zu. Es ist vielleicht noch achthundert Meter entfernt. Das wird eng. Es sieht aus, als würden wir es kaum rechtzeitig aus dem Kanal schaffen, als hätten wir keine Chance zu entkommen. Sie werden direkt hinter uns sein.

Wir kommen genau in dem Moment auf den Hudson, als es dunkel wird. Und währenddessen kommen die Sklaventreiber voll in unser Sichtfeld. Sie befinden sich kaum ein paar Meter hinter uns, und sie holen schnell auf. Hinter ihnen, am Horizont, sehe ich das andere Boot, auch wenn es noch gut anderthalb Kilometer entfernt ist.

Ich bin sicher, dass Logan sagen würde das habe ich dir gesagt, wenn mehr Zeit wäre. Und er hätte Recht. Während mir diese Gedanken durch den Kopf gehen, fallen Schüsse. Kugeln pfeifen über uns, eine trifft das Boot an der Seite, das Holz zersplittert. Rose und Bree schreien auf.

„Runter mit euch!“ schreie ich.

Ich stürze mich auf Bree und Rose, schnappe sie und werfe sie zu Boden. Logan weicht nicht zurück, er fährt das Boot unbeirrt weiter. Er kurvt ein bisschen, aber er verliert die Kontrolle nicht. Er duckt sich, während er steuert und versucht den Kugeln auszuweichen. Außerdem versucht er den großen Eisbrocken auszuweichen, die sich zu formen beginnen.

Ich knie am Heck des Bootes, hebe den Kopf nur so hoch wie nötig und ziele mit meiner Pistole nach Soldatenart. Ich ziele auf den Fahrer und lasse ein paar Schüsse los.

Alle treffen daneben, aber wenigstens gelingt es mir, ihr Boot zum Schwanken zu bringen.

„Nimm du das Steuer!“ schreit Logan zu Ben.

Ben muss man zu Gute halten, dass er nicht zögert. Er eilt nach vorne und nimmt das Steuer, dabei gerät das Boot ins Schwanken.

Logan eilt zu mir und kniet sich neben mich.

Er schießt, seine Kugeln gehen knapp daneben oder streifen ihr Boot. Sie schießen zurück, und eine Kugel geht nur ein paar Zentimeter an meinem Kopf vorbei. Sie holen schnell auf. Durch eine weitere Kugel zersplittert ein großes Stück Holz hinten an unserem Boot.

„Sie zielen auf unseren Tank!“ schreit Logan „Schieß auf ihren!“

„Wo ist er denn“ schreie ich gegen das Röhren des Motors und die fliegenden Kugeln an.

„Hinten in ihrem Boot, auf der linken Seite!“ ruft er.

„Darauf kann ich nicht sauber zielen“ sage ich. „Nicht solange sie uns zugewandt sind“.

Dann habe ich eine Idee.

„Ben!“ rufe ich „Du musst sie zum Umdrehen bringen, wir brauchen einen sauberen Schuss auf ihren Benzintank!“

Ben zögert nicht. Ich habe kaum aufgehört zu sprechen, als er das Steuer hart herumreißt. Durch den Ruck falle ich seitwärts gegen das Boot.

Die Sklaventreiber drehen und versuchen uns zu folgen. Und dadurch liegt die Seite ihres Bootes direkt vor uns. Logan und ich knien uns hin und schießen einige Male. Zuerst geht unser Schusshagel vorbei.

Mach schon. Mach schon!

Ich denke an meinen Vater. Meine Hand wird ruhig, mein Atem tief, ich schieße ein weiteres Mal. Zu meiner Überraschung lande ich einen Volltreffer.

Plötzlich explodiert das Boot der Sklaventreiber. Ein halbes Dutzend Sklaventreiber gehen in Flammen auf und kreischen, als ihr Boot außer Kontrolle weiter rast. Ein paar Augenblicke später, zerschlägt es am Flussufer.

Es gibt eine weitere große Explosion. Dann sinkt ihr Boot schnell, und sollte jemand überlebt haben, wird er mit Sicherheit im Hudson ertrinken.

Ben dreht uns wieder flussaufwärts und steuert geradeaus. Langsam stehe ich auf und atme tief durch. Ich kann es kaum glauben. Wir haben sie getötet.

„Guter Schuss“ sagt Logan.

Aber wir haben keine Zeit, um uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Am Horizont ist das zweite Boot und holt auf. Ich bezweifle, dass wir beim zweiten Mal auch so viel Glück haben werden.

„Ich habe keine Munition mehr“ sage ich.

„Ich habe fast keine Munition mehr“ sagt Logan.

„Wir können es mit dem nächsten Boot nicht aufnehmen“ sage ich „und wir sind nicht schnell genug ihnen zu entkommen“

„Was schlägst du vor?“ fragt er.

„Wir müssen uns verstecken.“

Ich wende mich an Ben

„Du musst einen Unterschlupf für uns finden, und zwar sofort. Wir müssen dieses Boot verstecken. JETZT!

Ben gibt Gas und ich renne nach vorne, stehe neben ihm und suche den Fluss nach möglichen Verstecken ab. Vielleicht, wenn wir Glück haben, werden sie einfach an uns vorbei rasen.

Vielleicht allerdings, auch nicht.

VIER

Wir alle suchen verzweifelt den Horizont ab, und schließlich sehen wir auf der rechten Seite einen schmalen Zufluss. Er führt in den rostigen Kanal eines alten Schiffbahnhofs.

„Da, auf der rechten Seite!“ sage ich zu Ben

„Was ist, wenn sie uns sehen?“ fragt er. „Von dort kommen wir nicht weg. Wir werden festsitzen. Sie werden uns töten.“

„Dieses Risiko müssen wir eingehen,“ sage ich.

Ben wird schneller und macht eine scharfe Kurve in die schmale Einfahrt. Wir rasen an verrosteten Toren vorbei, durch eine schmale Einfahrt, zu einem alten, verrosteten Lagerhaus.

Während wir hereinfahren, macht er den Motor aus, dann dreht er nach links und versteckt uns hinter dem Ufer, als wir auf dem Wasser entlang dümpeln.

Ich betrachte die Heckwelle, die wir im Mondlicht verursacht haben und bete, dass sie sich schnell genug beruhigt, damit die Sklaventreiber keine Spur von uns haben.

Wir alle sitzen ängstlich in der Stille, dümpeln auf dem Wasser, schauen, warten. Das Röhren des Motors der Sklaventreiber wird lauter, und ich halte den Atem an.

Bitte, lieber Gott. Lass sie vorbei fahren.

Die Sekunden fühlen sich wie Stunden an.

Schließlich zischt das Boot an uns vorbei, ohne auch nur für eine Sekunde langsamer zu werden. Ich halte den Atem für mehr als zehn Sekunden an, bis das Geräusch des Motors verhallt. Ich bete, dass sie nicht zu uns zurückkommen. Sie kommen nicht zurück. Es funktioniert.

*

Fast eine Stunde ist verstrichen, seit wir hier herein gefahren sind, wir sitzen alle dicht zusammengedrängt und verängstigt in unserem Boot. Wir bewegen uns kaum, aus Angst entdeckt zu werden. Aber seit sie an uns vorbeigefahren sind, habe ich weder einen Ton gehört noch irgendeine Bewegung festgestellt. Ich frage mich, wohin sie gefahren sind. Rasen sie immer noch den Hudson herauf, in die Dunkelheit, denken sie immer noch, dass wir uns gleich hinter der nächsten Biegung befinden?

Oder sind sie klüger geworden, haben umgedreht und suchen nun die Ufer nach uns ab? Ich habe einfach das Gefühl, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie uns finden.

Aber während ich mich auf dem Boot ausstrecke, denke ich, dass wir alle anfangen uns zu entspannen, ein bisschen weniger vorsichtig zu sein. Wir sind hier gut versteckt, in diesem rostigen Gebäude, und selbst wenn sie umdrehen wüsste ich nicht, wie die Sklaventreiber uns hier sehen könnten.

Meine Beine und Füße sind vom langen Sitzen eingeschlafen, es ist viel kälter geworden und ich friere. Ich sehe, dass Bree und Rose mit den Zähnen klappern, dass sie ebenfalls frieren. Ich wünschte, ich hätte Decken oder Kleider, die ich ihnen geben könnte, oder irgendeine andere Art von Wärme. Ich wünschte, wir könnten ein Feuer machen, nicht nur wegen der Wärme, sondern auch um uns gegenseitig sehen zu können, um Trost in unseren Gesichtern zu finden. Aber ich weiß, dass das nicht zur Diskussion steht, es wäre viel zu riskant.

Ich sehe Ben dort sitzen, zusammengekauert und zitternd, und erinnere mich an die Hose, die ich mitgenommen habe. Ich stehe auf, das Boot beginnt zu schwanken, mache ein paar Schritte zu meinem Sack, greife hinein und ziehe sie heraus. Dann werfe ich sie zu Ben.

Sie landet auf seiner Brut, und er schaut verwirrt zu mir herüber.

„Die müsste passen“ sage ich „probier sie an“.

Er trägt abgerissene Jeans, voller Löcher, viel zu dünn und außerdem feucht durch das Wasser. Langsam bückt er sich und zieht seine Stiefel aus, dann zieht er die Lederhose über seine Jeans. Es sieht seltsam aus, die Militärhose des Sklaventreibers – aber wie ich erwartet hatte, passt sie perfekt.

Wortlos macht Ben den Reisverschluss zu und lehnt sich zurück, ich sehe Dankbarkeit in seinen Augen. Ich spüre, dass mich Logan anschaut, es fühlt sich an als sei er neidisch auf meine Freundschaft mit Ben. Er war schon immer so, seit er gesehen hat, wie mich Ben an der Penn Station geküsst hat. Es ist seltsam, aber ich kann es nicht ändern. Ich mag sie beide, auf unterschiedliche Arten. Ich habe noch nie zwei gegensätzlichere Leute getroffen, aber irgendwie erinnern sie mich gegenseitig an sich.

Ich gehe rüber zu Bree, sie zittert immer noch, zusammengekauert mit Rose, Penelope auf ihrem Schoß. Ich setze mich neben sie, lege einen Arm um sie und küsse sie auf die Stirn. Sie legt ihren Kopf an meine Schulter

„Es ist in Ordnung, Bree“ sage ich.

„Ich habe Hunger“ sagt sie mit einer leisen Stimme.

„Ich auch“ sagt Rose.

Penelope wimmert still, und ich weiß, dass sie auch hungrig ist. Sie ist klüger als alle Hunde, die ich je gesehen habe. Und tapfer trotz ihrem Zittern.

Ich kann kaum glauben, wie sie Rupert gebissen hat. Vielleicht wären wir alle nicht mehr hier, wenn wir sie nicht hätten. Ich beuge mich vor, streichle ihren Kopf, und sie leckt meine Hand.

Jetzt, als die beiden Essen erwähnen, merke ich, dass es eine gute Idee wäre. Ich habe schon viel zu lange versucht meinen quälenden Hunger zu unterdrücken.

„Du hast Recht“ sage ich „Lasst uns was essen“.

Sie schauen mich beide mit hoffnungs- und erwartungsvollen großen Augen an. Ich laufe über das Boot und greife in einen der Säcke. Ich nehme zwei große Marmeladegläser mit Himbeermarmelade heraus, schraube eins davon auf und gebe es Bree.

„Ihr zwei teilt euch dieses Glas“ sage ich zu ihnen „wir drei teilen uns das andere Glas“. Ich öffne das andere Glas und reiche es Logan. Er nimmt seinen Finger, holt einen ziemlichen Batzen aus dem Glas und steckt ihn in den Mund. Er atmet tief aus vor Zufriedenheit – auch er muss am Verhungern gewesen sein.

 

Ich halte das Glas zu Ben, er nimmt ebenfalls einen Finger voll, und dann löffle ich einen Finger voll in meinen eigenen Mund. Der Zucker gibt mir Energie, und die Himbeeren erfüllen meine Sinne, es ist sehr wahrscheinlich das Beste, das ich je gegessen habe. Ich weiß, dass es keine richtige Mahlzeit ist, aber es fühlt sich wie eine an.

Anscheinend bin ich jetzt für die Verteilung des Essens verantwortlich, also eile ich zu den Taschen, nehme den Rest unserer Kekse und gebe jedem einen, auch mir selbst. Ich schaue herüber und sehe wie Bree und Rose glücklich die Marmelade essen; nach jedem zweiten Fingervoll bekommt Penelope eine Ration. Sie leckt die Finger der Mädchen wie verrückt und jault dabei. Das arme Ding muss genauso hungrig sein wie wir.

„Du weißt, dass sie zurückkommen werden,“ kommt eine bekannte Stimme von der Seite. Ich drehe mich um, Logan lehnt sich zurück, säubert seine Waffe und schaut mich an.

„Du weißt das, stimmt’s?“ presst er heraus „wir sind hier leichte Beute“.

„Was schlägst du vor?“ frage ich.

Er zuckt mit den Schultern und schaut enttäuscht weg.

„Wir hätten nicht anhalten sollen. Wir hätten einfach weiterfahren sollen, wie ich gesagt habe“.

„Dafür ist es jetzt zu spät“ schieße ich irritiert zurück. „Hör auf dich zu beschweren“.

Langsam habe ich genug von seiner Trübsal und seinem Pessimismus auf Schritt und Tritt, ich habe genug von dem Machtkampf.

Ich habe keine Lust mehr auf ihn, obwohl ich ihn gleichzeitig sehr schätze.

„Keine unserer Möglichkeiten ist gut,“ sagt er. „Wenn wir heute Nacht flussaufwärts fahren, könnten wir sie treffen. Wir könnten unser Boot ruinieren, vielleicht durch das schwimmende Eis, vielleicht durch etwas anderes. Noch schlimmer, sie würden uns wahrscheinlich kriegen. Wenn wir erst am Morgen losfahren, können sie uns im Tageslicht sehen. Wir können zwar steuern, aber es kann gut sein, dass sie auf uns warten.“

„Dann lass uns morgens aufbrechen,“ sage ich. „Wir fahren im Morgengrauen los, fahren nach Norden und hoffen, dass sie umgedreht haben und nach Süden fahren.“

„Und was, wenn nicht?“ fragt er.

„Hast du irgendeine bessere Idee? Wir fahren los, weg von der Stadt, nicht in die Stadt. Außerdem liegt Kanada im Norden, oder?“

Er dreht sich um, schaut weg und seufzt.

„Wir könnten auch bleiben wo wir sind,“ sagt er. „Ein paar Tage abwarten. Sicher gehen, dass sie zuerst an uns vorbeigefahren sind“:

„Bei dem Wetter? Wenn wir keine Unterkunft finden, erfrieren wir. Und bis dann haben wir nichts mehr zu essen. Wir können nicht hierbleiben, wir müssen weiter fahren.“

„Ach so, jetzt willst du weiterfahren,“ sagt er.

Ich starre ihn an, er beginnt mir wirklich auf die Nerven zu gehen.

“Gut,” sagt er. “Dann lasst uns in der Morgendämmerung losfahren. In der Zwischenzeit müssen wir Wache stehen, wenn wir die Nacht hier verbringen. Im Schichtbetrieb. Ich fange an, dann du, dann Ben. Ihr schlaft jetzt. Keiner von uns hat bis jetzt geschlafen, und wir brauchen alle Schlaf. Abgemacht?“ fragt er und schaut mich und Ben an.

„Abgemacht“ sage ich. Er hat Recht.

Ben sagt nichts, er schaut noch um sich, verloren in seiner eignen Welt.

“Hey,” sagt Logan hart, lehnt sich zurück und tritt an seinen Fuß. „Ich rede mit dir. Abgemacht?“

Ben dreht sich langsam um und schaut ihn an, er sieht immer noch weggetreten aus, dann nickt er. Ich kann wirklich nicht sagen, ob er ihn gehört hat. Es tut mir so leid für Ben. Es ist so, als wäre er nicht ganz da. Der Kummer und die Schuldgefühle wegen seines Bruders fressen ihn auf. Ich kann mir noch nicht mal vorstellen, was er durchmacht.

„Gut,“ sagt Logan. Er prüft seine Munition, sichert seine Pistole und dann springt er vom Boot, auf das Dock neben uns. Das Boot schaukelt, aber es treibt nicht weg. Logan steht auf dem trockenen Dock und inspiziert unsere Umgebung. Er setzt sich auf einen Holzpfahl und starrt in die Dunkelheit. Die Waffe liegt auf seinem Schoß. Ich lasse mich neben Bree nieder und lege meine Arme um sie. Auch Rose kommt zu uns, und ich lege meinen Arm um beide.

„Ihr zwei müsst euch ausruhen. Wir haben morgen einen langen Tag vor uns,“ sage ich und wundere mich im Stillen, ob das unserer letzte Nacht auf Erden sein wird. „Erst muss ich mich um Sascha kümmern“ sagt Bree.

Sascha. Das hätte ich fast vergessen.

Ich sehe zu ihr herüber und sehe den gefrorenen Körper des Hundes auf der anderen Seite des Bootes. Ich kann kaum glauben, dass wir sie hierhin gebracht haben. Aber Bree ist ein loyales Herrchen. Bree steht auf, geht leise quer über das Boot und steht vor Sascha. Sie kniet sich nieder und streichelt ihren Kopf. Ihre Augen sind deutlich im Mondlicht zu sehen. Ich gehe zu ihr und knie mich neben sie. Ich streichle Sascha auch, ich werde ihr immer dankbar dafür sein, dass sie uns beschützt hat.

„Kann ich dir helfen sie zu begraben?“ frage ich.

Bree nickt, schaut leise nach unten, eine Träne rinnt über ihr Gesicht.

Zusammen heben wir Sascha auf, und lehnen uns mit ihr weit über das Boot hinaus. Dort halten wir beide sie, und keiner von uns möchte loslassen. Ich schaue in das eiskalte, dunkle Wasser des Hudsons unter uns, in die dümpelnden Wellen.

„Willst du irgendetwas sagen, bevor wir loslassen?“ frage ich.

Bree schaut nach unten und blinzelt die Tränen weg. Ihr Gesicht leuchtet im Mondlicht. Sie sieht aus wie ein Engel. „Sie war ein guter Hund. Sie hat mir das Leben gerettet. Ich hoffe, dass sie jetzt in einer besseren Welt ist. Ich hoffe, dass ich sie wieder sehe,“ sagt sie mit brechender Stimme.

Wir strecken uns weit aus und legen Sascha vorsichtig auf das Wasser. Mit einem leichten Platschen taucht ihr Körper ein. Dann treibt er für eine Sekunde oder zwei, bis er beginnt zu sinken. Die Strömungen des Hudson sind stark, und sie reißen den Hund schnell mit sich, auf das offene Wasser hinaus. Wir schauen zu, wie sie, halb unter Wasser, durch das Mondlicht treibt, immer weiter und weiter weg. Es bricht mir das Herz. Es erinnert mich daran, dass ich Bree fast für immer verloren hätte, während ich den Hudson herunter gespült worden wäre, genau wie Sascha.

*

Ich weiß nicht, wie viele Stunden vergangen sind. Jetzt ist es mitten in der Nacht, und ich liege im Boot, zusammengerollt bei Bree und Rose, denke nach und kann nicht schlafen. Keiner von uns hat ein Wort gesagt, seit wir Sascha ins Wasser gelegt haben. Wir alle sitzen einfach da in düsterer Stille, das Boot schaukelt sanft. Ein paar Meter entfernt sitzt Ben, in seiner eigenen Welt. Er scheint mehr tot als lebendig. Manchmal, wenn ich ihn anschaue, fühle ich mich als würde ich ein wandelndes Gespenst sehen. Es ist komisch: Wir sitzen hier alle zusammen und sind Welten voneinander entfernt.

Logan ist etwa zehn Meter entfernt, und hält pflichtbewusst Wache auf dem Pier, er schaut umher, die Waffe in der Hand. Ich kann ihn mir gut als Soldat vorstellen. Ich bin froh, dass er uns beschützt, und dass er die erste Schicht übernommen hat. Ich bin müde, meine Knochen sind erschöpft, und ich freue mich nicht gerade darauf die nächste Schicht zu übernehmen. Ich weiß, dass ich schlafen sollte, aber ich kann einfach nicht. Während ich hier liege und Bree in den Armen halte, jagen mir die Gedanken nur so durch den Kopf.

Ich denke wie vollkommen verrückt die Welt geworden ist. Ich kann kaum glauben, dass das alles echt ist. Es ist wie ein langer Alptraum, der einfach nicht enden will. Jedes Mal wenn ich denke, dass ich in Sicherheit bin, passiert wieder etwas. Wenn ich zurückdenke kann ich kaum glauben, dass ich fast von Rupert getötet worden wäre. Es war dumm von mir, Mitleid mit ihm zu haben, dumm, ihn mit uns fahren zu lassen. Ich kann immer noch nicht ganz verstehen, warum er ausgeflippt ist. Was war der Vorteil für ihn? Wollte er uns alle töten, unser Boot nehmen und verschwinden, nur um mehr Lebensmittel für sich selbst zu haben? Und wohin wäre er gegangen? War er einfach böse? Psychotisch? Oder war er ursprünglich ein guter Mann, der nach all den Jahren allein, hungrig und frierend durch geknallt ist? Ich möchte glauben, dass Letzteres der Fall ist, dass er tief innen drin ein guter Mann war, der nur durch die Umstände verrückt geworden ist. Ich hoffe es, aber man kann nie wissen.