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Ich schließe die Augen und denke daran, wie knapp ich dem Tod von der Schippe gesprungen bin, fühle das Metall des Messers an meiner Kehle. Nächstes Mal werde ich keinem vertrauen, für niemanden anhalten, keinem glauben.  Ich will alles tun, was ich kann, damit Bree, Rose, ich und die anderen überleben. Keine weiteren Zufälle, keine Risiken. Und wenn das heißt, hartherzig zu werden, dann ist es eben so.

Während ich zurückdenke, habe ich das Gefühl, dass jede Stunde auf dem Hudson ein Kampf um Leben und Tod war. Ich sehe nicht, wie wir es jemals bis Kanada schaffen können. Ich wäre erstaunt, wenn wir die nächsten paar Tage überleben, sogar die nächste paar Meilen auf dem Wasser. Ich weiß, dass unsere Chancen nicht gut stehen. Ich halte Bree fest im Arm, es könnte unsere letzte gemeinsame Nacht sein. Wenigstens werden wir kämpfend zu Grunde gehen, auf eigenen Füßen stehend, nicht als Sklaven oder Gefangene.

“Es war so unheimlich,” sagt Bree.

Ihre Stimme in der Dunkelheit schreckt mich auf. Sie ist so zart, am Anfang frage ich mich, ob sie überhaupt etwas gesagt hat. Sie hat stundenlang kein Wort gesagt, und ich dachte sie würde schlafen.

Ich drehe mich um und sehe, dass ihre Augen offen sind, angsterfüllt.

“Was war so unheimlich Bree?”

Sie schüttelt den Kopf und wartet einige Sekunden bevor sie spricht. Ich merke, dass sie sich gerade erinnert „Sie haben mich genommen. Ich war allein. Sie haben mich in einen Bus getan, dann auf ein Boot. Wir waren alle aneinander gekettet. Es war so kalt, und wir hatten alle solche Angst. Sie nahmen mich mit in das Haus, und du würdest nicht glauben, was ich gesehen habe. Was sie mit den anderen Mädchen gemacht haben. Ich kann immer noch ihre Schreie hören. Ich kriege sie einfach nicht aus meinem Kopf.“

Ihr Gesicht verzieht sich, und sie beginnt zu weinen.

Mein Herz zerbricht in tausend Stücke. Ich kann mir noch nicht einmal vorstellen, was sie durchgemacht hat. Ich möchte nicht, dass sie darüber nachdenkt. Ich habe das Gefühl, sie sei jetzt für immer durch Narben entstellt, und es ist meine Schuld.

Ich nehme sie fest in den Arm und küsse sie auf die Stirn.

„Shhh,” flüstere ich „Es ist alles in Ordnung. Das alles liegt jetzt hinter uns. Denk nicht mehr daran.“

Trotzdem weint sie weiter.

Bree vergräbt ihr Gesicht an meiner Brust. Ich wiege sie als sie weint und weint.

„Es tut mir so leid, meine Süße“ sage ich „es tut mir so leid.“

Ich wünschte, ich könnte das alles von ihr nehmen. Aber das kann ich nicht, es ist jetzt ein Teil von ihr. Ich wollte sie schon immer beschützen, vor allem. Und jetzt ist ihr Herz von Schrecken erfüllt.

Als ich sie wiege wünsche ich mir, wir wären irgendwo anders als hier. Ich wünschte, wir wären, wo wir früher einmal gewesen sind. Die Zeit zurückdrehen. Damals, als die Welt gut war. Zurück zu unseren Eltern. Aber das geht nicht. Wir sind hier. Und ich habe das Gefühl, dass alles nur noch schlimmer wird.

*

Ich wache auf und merke, dass bereits Tag ist. Ich weiß nicht, warum es schon so spät ist, oder wie es kommt, dass ich so lange geschlafen habe. Ich schaue mich auf dem Boot um und habe komplett die Orientierung verloren. Ich weiß nicht was los ist.

Unser Boot treibt jetzt in der Mitte des großen Flusses. Bree und ich sind die einzigen auf dem Boot. Ich weiß nicht wo die anderen sind und auch nicht, wie wir hierhin gekommen sind.

Wir stehen beide vorne im Boot und schauen auf den Horizont, und ich sehe drei Boote der Sklaventreiber direkt auf uns zu rasen.

Ich versuche etwas zu tun, aber meine Arme sind hinter dem Rücken zusammengebunden. Ich drehe mich um und sehe einige Sklaventreiber auf dem Boot, sehe dass sie mir Handschellen angelegt haben, mich festhalten. Ich kämpfe so gut ich kann, aber ich bin hilflos.

Eines der Sklaventreiber-Boote hält an, einer von ihnen kommt heraus, seine Maske bedeckt sein Gesicht, er betritt unser Boot und greift nach Bree. Sie versucht sich heraus zu winden, aber sie ist ihm nicht gewachsen. Er hebt sie mit einem Arm und trägt sie weg.

“BREE! NEIN!” schreie ich.

Ich ringe mit der ganzen Welt, aber es hilft nicht. Ich muss hier stehen und zuschauen, wie sie Bree, die tritt und schreit, in ihr Boot schleppen. Ihr Boot treibt mit der Strömung weg, Richtung Manhattan. Bald ist es kaum noch zu sehen.

Während ich zusehe, wie sich meine kleine Schwester weiter und weiter von mir entfernt weiß ich, dass es dieses Mal für immer ist.

Ich kreische, ein gespenstisches Kreischen, ich bettle und weine, damit meine Schwester zurück zu mir kommt.

Ich wache schweißgebadet auf, ich sitze kerzengerade, atme schwer, schaue mich um und versuche herauszufinden, was passiert ist.

Es war ein Traum. Ich schaue rüber und sehe Bree neben mir liegen, alle anderen im Boot schlafen. Es war alles nur ein Traum. Niemand ist gekommen, niemand hat Bree genommen.

Ich versuche meinen Atem zu beruhigen, mein Herz klopft immer noch. Ich setze mich hin und schaue in die Ferne. Die Morgendämmerung setzt ein, ein schwacher Silberstreifen am Horizont.

Ich schaue rüber zum Dock und sehe Ben Wache halten. Ich erinnere mich, wie Logan mich aufgeweckt hat, wie ich Wache gehalten habe, und wie ich anschließend Ben aufgeweckt und ihm die Waffe gegeben habe. Dann hat er meine Position eingenommen. Danach muss ich eingeschlafen sein.

Als ich zu Ben schaue sehe ich, dass er in sich zusammengesunken ist. Ich kann von hier im matten Licht der Morgendämmerung sehen, dass er auch schläft. Dabei sollte er Wache halten. Wir sind wehrlos. Plötzlich sehe ich Bewegung, Schatten in der Dunkelheit. Es sieht aus wie eine Gruppe von Menschen oder Tieren, die auf uns zukommen. Ich frage mich, ob ich meinen Augen trauen kann.

Aber dann beginnt mein Herz wie wild in meiner Brust zu schlagen und mein Mund wird trocken, denn es handelt sich nicht um einen Streich des Morgenlichts.

Wir sind nicht vorbereitet. Und jemand überfällt uns.

FÜNF

“BEN!” schreie ich und setze mich auf.

Aber es ist zu spät, sie greifen uns eine Sekunde später an.

Einer hat Ben übernommen und greift ihn an, während die zwei anderen Anlauf nehmen um direkt auf unser Boot zu springen.

Das Boot schaukelt gewaltig als die Männer landen.

Logan wacht auf, aber nicht schnell genug. Einer der Männer geht direkt auf ihn zu, das Messer gezogen, und will es ihm in die Brust stechen.

Meine Reflexe setzen ein. Ich greife nach hinten, nehme das Messer aus meinem Gürtel, beuge mich nach vorne und werde es. Das Messer rotiert in der Luft.

Ein perfekter Treffer! Das Messer steckt genau im Hals des Mannes, eine Sekunde, bevor er Logan erstechen kann. Er bricht leblos über ihm zusammen.

Logan setzt sich auf und wirft die Leiche von sich, sie landet platschend im Wasser. Zum Glück zieht er vorher geistesgegenwärtig mein Messer aus dem Hals.

Zwei weitere greifen mich an. Als es heller wird sehe ich, dass es sich nicht um Menschen handelt: Es sind Mutanten. Halb Mensch, halb ich weiß nicht was. Verstrahlt durch den Krieg. Verrückte. Das macht mir Angst: Diese Typen, anders als Rupert, sind extrem stark, extrem bösartig, und sie haben nichts zu verlieren.

Einer von ihnen eilt auf Bree und Rose zu, und das kann ich nicht zulassen. Ich springe auf ihn und werfe ihn zu Boden.

Wir landen beide hart, das Boot schaukelt wild. Ich sehe aus den Augenwinkeln, wie Logan auf den zweiten springt, fest mit ihm zusammenstößt und ihn dann über Bord wirft.

Wir haben zwei von ihnen gestoppt, aber ein dritter rennt auf uns zu.

Derjenige, den ich angreife, wirbelt mich herum und hält mich fest. Er sitzt auf mir, und er ist stark. Er holt nach hinten aus und schlägt mich fest ins Gesicht, ich fühle Stachel auf meiner Wange.

Ich denke schnell. Hebe ein Knie und ramme es ihm fest zwischen die Beine

Noch ein Volltreffer. Er stöhnt und sackt in sich zusammen. Währenddessen schlage ich ihm meinen Ellenbogen voll ins Gesicht. Es macht ein knackendes Geräusch, als sein Wangenknochen zerbricht, und dann bricht er zusammen.

Ich werfe ihn über Bord, ins Wasser. Das war ein dummer Zug. Ich hätte ihn zuerst ausziehen und seien Waffen nehmen sollen. Das Boot schaukelt wild, als der Körper über Bord geht.

Jetzt wende ich mich dem Letzten zu, Logan ebenfalls.

Aber keiner von uns ist schnell genug. Er rennt an uns vorbei, und aus irgendeinem Grund greift er direkt Bree an.

Penelope springt in die Luft und schlägt ihre Zähne knurrend in sein Handgelenk.

Er schüttelt sie wie eine Stoffpuppe und versucht sie loszuwerden. Penelope hält durch, aber schließlich schüttelt er sie so stark, dass sie durch das ganze Boot fliegt.

Noch bevor ich ihn erreichen kann, will er über Bree herfallen. Mein Herz bleibt stehen als ich sehe, dass ich nicht rechtzeitig da sein kann. Rose springt auf um Bree zu retten und stellt sich dem Angriff des Mannes in den Weg. Er hebt Rose hoch, beugt sich über sie und schlägt seine Zähne in ihren Arm. Rose lässt einen gespenstischen Schrei los, als er seine Zähne in ihr Fleisch schlägt. Es macht mich krank, ein schrecklicher Anblick, einer von denen, die man nie vergisst. Der Mann lehnt setzt ab und will sie noch einmal beißen – aber jetzt erwische ich ihn rechtzeitig. Ich ziehe das Ersatzmesser aus meiner Tasche, hole aus und will es werfen. Aber Logan kommt mir zuvor, zielt ruhig mit seiner Pistole und schießt.

Das Blut spritzt nach allen Seiten, als er den Hinterkopf des Mannes trifft. Er bricht auf dem Boot zusammen, Logan geht zu ihm und wirft seine Leiche über Bord.

Ich eile zu Rose, die hysterisch kreischt, und ich weiß nicht, wie ich sie trösten kann. Ich reiße ein Stück von meinem Hemd ab, wickle es um ihren stark blutenden Arm und versuche die Blutung zu stillen so gut ich kann.

 

Aus den Augenwinkeln sehe ich eine Bewegung, einer der Verrückten hält Ben am Boden auf dem Pier fest. Er holt aus, um Ben in den Hals zu beißen. Ich drehe mich um und werfe mein Messer. Es rotiert und bleibt im Nacken des Mannes hängen.  Sein Körper bewegt sich noch, als er zusammensackt. Ben setzt sich benommen auf.

„Komm zurück ins Boot!“ schreit Logan „SOFORT!“

Ich höre den Ärger in seiner Stimme, und ich fühle das gleiche. Ben war auf dem Wachposten, als er eingeschlafen ist. Er hat uns alle diesem Angriff ausgesetzt.

Ben stolpert zurück ins Boot, und gleichzeitig schneidet Logan das Seil, mit dem unser Boot befestigt ist, durch. Ich kümmere mich um Rose, die in meinen Armen jammert, Logan übernimmt das Steuer, startet das Boot und tritt aufs Gas.

In der Morgendämmerung fahren wir aus dem Kanal heraus. Logan hat recht loszufahren. Die Schüsse könnten jemanden in Alarmbereitschaft versetzt haben. Wer weiß wie viel Zeit uns jetzt noch bleibt.

Wir verlassen den Kanal bei Morgenröte und lassen ein paar treibende Leichen hinter uns. Unser Unterschlupf hat sich schnell in einen Ort des Schreckens verwandelt, und ich hoffe, dass ich ihn nie wieder sehen werde.

Wir fahren schnell in der Mitte des Hudson, das Boot springt auf und ab, als Logan aufs Gas tritt. Ich halte Wache, schaue in alle Richtungen nach Anzeichen von den Sklaventreibern. Wenn sie irgendwo in der Nähe sind, hier gibt es kein Versteck. Und die Schüsse, das Kreischen von Rose und das Röhren des Motors machen uns verdächtig.

Ich bete einfach, dass sie irgendwann in der Nacht aufgehört haben nach uns zu suchen und umgedreht sind, so dass sie jetzt weiter südlich sind, irgendwo hinter uns. Wenn nicht, fahren wir genau zu ihnen.

Und wenn wir richtig Glück haben, haben sie aufgegeben, und sind komplett umgedreht, zurück nach Manhattan. Aber da habe ich meine Zweifel, denn so viel Glück hatten wir noch nie.

Wie diese Verrückten. So ein Pech, dass wir gerade dort gehalten haben. Ich hatte Gerüchte gehört von raubenden Gangs aus Verrückten, die zu Kannibalen geworden sind, die überleben, indem sie andere essen, aber ich habe es nie geglaubt. Es fällt mir immer noch schwer zu glauben, dass es wahr ist.

Ich halte Rose fest im Arm, Blut sickert aus ihrer Wunde in meiner Hand, ich wiege sie, versuche sie zu trösten. Ihr improvisierter Verband ist schon so rot, dass ich ein neues Stück von meinem Hemd abreiße, um ihren Verband zu wechseln. Jetzt ist mein Bauch der eisigen Kälte ausgesetzt.

Es ist nicht unbedingt hygienisch, aber besser als nichts, und ich muss die Blutung irgendwie stoppen. Ich wünschte, wir hätten Medikamente, Antibiotika, wenigstens Schmerzmittel – irgendetwas, das ich ihr geben könnte. Als ich den durchtränkten Verband abnehme, sehe ich, dass ein Stück Fleisch aus ihrem Arm fehlt. Ich schaue weg, versuche nicht an die Schmerzen zu denken, die sie haben muss. Es ist schrecklich.

Penelope sitzt auf ihrem Schoß, winselt, schaut sie an, und es ist deutlich, dass sie auch helfen will. Bree wirkt wieder traumarisiert, hält ihre Hand, versucht sie zu beruhigen. Aber sie ist untröstlich. Ich wünschte leidenschaftlich, ich hätte Beruhigungsmittel – irgendwas. Und dann, plötzlich, fällt es mir ein: Die halb volle Falsche Champagner! Ich hole sie schnell, gebe sie ihr und sage „trink das!“

Rose weint hysterisch, schreit vor Qual und scheint mich nicht einmal zu erkennen. Ich halte die Flasche an ihre Lippen und sorge dafür, dass sie trinkt. Sie verschluckt sich, spuckt etwas aus, aber sie trinkt ein bisschen.

„Bitte Rose, trink. Es wird helfen.“

Ich halte die Flasche wieder an ihren Mund, und zwischen ihren Schreien nimmt sie ein paar weitere Schlucke. Auf der einen Seite fühle ich mich schlecht, weil ich einem kleinen Kind Alkohol gebe, auf der anderen hoffe ich, dass es hilft ihre Schmerzen zu betäuben, und ich weiß einfach nicht, was ich sonst machen soll.

„Ich habe Tabletten gefunden“ höre ich eine Stimme.

Es ist Ben, er steht hinter mir und sieht zum ersten Mal wach aus. Der Angriff auf Rose muss ihn herausgerissen haben, vielleicht weil er sich schuldig dafür fühlt, dass er bei der Wache eingeschlafen ist.

Er steht da  und hält eine kleine Dose mit Pillen. Ich schaue sie mir an. „Das habe ich drinnen im Handschuhfach gefunden“ sagt er „Ich weiß nicht, was es ist“. Ich schaue auf das Etikett: Ambien. Schlaftabletten. Die Sklaventreiber müssen es verstaut haben, damit sie schlafen können. Die Ironie der Geschichte: Sie halten andere nächtelang wach und nehmen selbst Schlaftabletten. Aber für Rose sind die Schlaftabletten perfekt, das ist genau das, was wir gebraucht haben.

Ich weiß nicht, wie viele ich ihr geben soll, aber ich muss sie beruhigen. Ich reiche ihr noch mal den Champagner, stelle sicher, dass sie auch schluckt, und dann gebe ich ihr zwei Tabletten. Den Rest stecke ich in meine Tasche, so dass sie nicht verloren gehen. Dann achte ich sorgfältig auf Rose.

Innerhalb von Minuten entwickeln der Alkohol und die Pillen ihre Wirkung. Langsam wird ihr Klagen zu einem Weinen, dann wird es leiser. Nach etwa zwanzig Minuten fallen ihr die Augen zu, und sie schläft in meinen Armen ein.

Ich warte weitere zehn Minuten um sicher zu gehen, dass sie wirklich schläft, dann schaue ich zu Bree. „Kannst Du sie nehmen?“ frage ich.

Bree kommt schnell zu mir, und langsam stehe ich auf und lege Rose in ihre Arme.

Ich stehe, meine Beine sind verkrampft, dann gehe ich auf dem Boot nach vorne, neben Logan. Wir fahren immer noch flussaufwärts, und als ich auf das Wasser schaue, gefällt mir das, was ich sehe, überhaupt nicht. Im Hudson beginnen sich kleine Eisbrocken zu bilden an diesem eiskalten Morgen. Ich kann hören, wie sie gegen das Boot schlagen. Das ist das Letzte, das wir brauchen.

Aber es bringt mich auf eine Idee. Ich lehne mich über das Boot, Wasser spritzt mir ins Gesicht, und tauche meine Hände in das kalte Wasser. Es tut weh, aber ich zwinge meine Hand durchzuhalten und versuche ein kleines Stück Eis zu schnappen, während wir fahren. Wir fahren zu schnell, und deshalb ist es sehr schwer, einen zu fangen. Ich verpasse sie immer um wenige Zentimeter. Endlich, nach einer Minute, habe ich einen. Ich nehme die Hand aus dem Wasser, sie zittert vor Kälte. Ich eile zu Bree und gebe ihr das Eis. Sie nimmt es mit weit geöffneten Augen. „Halt das“ sage ich. Ich nehme den anderen Verband, den blutigen, und wickle das Eis darin ein. Dann gebe ich ihn an Bree. „Halt das an ihre Wunde“.

Ich hoffe es hilft die Schmerzen zu betäuben, vielleicht kann es die Schwellung stoppen.

Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder dem Fluss zu und schaue mich nach allen Seiten um, während der Morgen immer heller wird. Wir rasen weiter und weiter nach Norden, und ich bin erleichtert, weil ich nirgendwo Anzeichen für Sklaventreiber sehe. Ich höre keine Motoren, mache keine Bewegungen an den Ufern aus. Eine unheilverkündende Stille. Warten sie schon auf uns?

Ich setze mich auf den Beifahrersitz neben Logan und schaue auf die Tankanzeige. Es ist nicht mal ein Viertel übrig. Das sieht nicht gut aus.

„Vielleicht sind sie gegangen,“ vermute ich. “Vielleicht sind sie umgekehrt, haben die Suche aufgegeben.“

„Zähl nicht darauf“ sagt er.

Wie auf ein Stichwort höre ich plötzlich einen Motor. Mein Herz bleibt stehen. Es ist ein Geräusch, dass ich auf der ganzen Welt erkennen würde: Ihr Motor.

Ich gehe zum Ende des Bootes und suche den Horizont ab: tatsächlich, da sind die Sklaventreiber, etwa anderthalb Kilometer entfernt. Sie rasen auf uns zu. Ich schaue ihnen zu und fühle mich hilflos.  Wir haben kaum noch Munition, sie sind gut ausgestattet und gut besetzt, mit jeder Menge Waffen und Munition. Wir haben keine Chance, wenn wir gegen sie kämpfen, und wir haben keine Chance zu entkommen: sie kommen uns schon näher. Außerdem können wir auch nicht versuchen uns zu verstecken.

Wir haben keine Wahl, außer ihnen gegenüber zu treten. Und das wäre ein verlorener Kampf. Es ist als würde ein Todesurteil auf uns zu rasen.

„Vielleicht sollten wir uns ergeben!“ schreit Ben und schaut ängstlich zurück.

„Niemals“ sage ich.

Ich kann mir nicht vorstellen, noch einmal ihre Gefangene zu sein.

„Wenn ich gehe, dann als toter Mann“ sagt Logan.

Ich versuche zu denken, zermartere meinen Kopf nach einer Lösung.

„Kannst du nicht schneller fahren?“ dränge ich Logan, als ich sehe wie sie aufholen

„Ich fahre so schnell ich kann!“ ruft er zurück, über den röhrenden Motor hinweg.

Mir fällt nichts ein, das wir sonst noch tun könnten. Rose ist jetzt wach, jammert wieder, und Penelope bellt. Ich fühle mich, als würde mich die ganze Welt im Stich lassen. Wenn ich nicht schnell denke, wenn mir keine Lösung einfällt, sind wir alle in zehn Minuten tot.

Ich suche das Boot mit den Augen ab, suche nach Waffen, nach allem, das ich benutzen könnte.

Mach schon. Mach schon.

Plötzlich sehe ich etwas und habe eine verrückte Idee. Sie ist so verrückt, dass sie sogar funktionieren könnte. Ohne zu zögern lege ich los. Ich renne über das Boot, auf das Seil zu, das ich aus dem Haus meiner Eltern mitgenommen habe und entwirre es.

„Hilf mir!“ rufe ich Ben zu.

Er eilt zu mir herüber und wir beginnen zusammen das hundert Meter lange Seil zu lösen und zu entwirren.

„Nimm du dieses Ende“ sage ich „Ich nehme das andere. Zieh das Seil gerade so gut du kannst, Schlaufe um Schlaufe.“

„Was macht ihr da?“ schreit Logan und schaut zu uns.

„Ich habe eine Idee.“ sage ich. Ich schaue direkt geradeaus und sehe, wie der Fluss schmäler wird. Es ist perfekt. Von einem Ufer zum anderen sind es höchstens hundert Meter. Ich schaue auf den ganzen Ballen Seil und schätze, dass er mindestens doppelt so lang ist. Wenn wir das Seil von einem Ufer zum anderen Ufer spannen können bevor sie bei uns sind, können wir sie damit schnappen, wie mit einem Stolperdraht. Es ist riskant, aber ich denke, dass es klappen könnte.“

„Wir haben keine Wahl“ sagt er „lass es uns machen!“

Endlich habe ich das Gefühl, dass er aufgehört hat sich immer zu widersetzen und Teil meines Teams ist.

„Du musst das Boot drehen, den ganzen Weg bis zum Ufer“ rufe ich, als wir mit dem Entwirren fertig sind.

Ich durchkämme den Horizont, untersuche die Ufer und schaue nach etwas, an dem wir das Seil festmachen können. Ich sehe einen rostigen Metallpfosten, fest im Ufer verankert, wo einmal ein Landungssteg war.

„Da!“ rufe ich Logan zu „Der Metallpfosten!“

Logan macht eine enge Drehung, tut das, worum ich ihn gebeten habe und fährt genau auf den Pfosten zu. Wenigstens jetzt, endlich, vertraut er meinem Urteil.

Ich renne auf dem Boot nach vorne, als Logan geschickt neben den Pfosten anhält. Ich nehme ein Ende des Seils, schlinge es mehrere Male um den Metallpfosten und mache einen engen Knoten. Ich zerre fest daran, um es zu testen, es ist sicher.

„Jetzt die andere Seite!“ rufe ich.

Logan tritt auf Gas, und wir hetzen direkt geradeaus, auf die andere Seite des Flusses. Während wir das machen, stoße ich Bree schnell weg von dem sich abwickelnden Seil, ich will nicht, dass sie sich weh tut.

Ich nehme das andere Ende des Seils, das sich wie verrückt abwickelt, damit es nicht über Bord geht. Wir kommen auf der anderen Seite an, und zum Glück ist das Seil lang genug, es bleibt sogar noch eine ganze Menge übrig. Als Logan anhält, schnappe ich mir das Ende des Seils und springe in den Sand, auf der Suche nach irgendetwas, um das Seil festzumachen. Ich sehe einen Baum, dicht am Wasser. Ich renne auf ihn zu und schlinge das Seil herum, dann ziehe ich es fest. Ich drehe mich um und sehe, wie das Seil aus dem Wasser kommt. Perfekt. Dann lockere ich es wieder, so dass das Seil fällt und auf der Wasseroberfläche liegen bleibt. Ich will nicht, dass die Sklaventreiber es sehen.

Ich springe zurück aufs Boot und halte das Seil lose. Es sind wahrscheinlich etwa 50 Meter übrig.

Ich werfe einen prüfenden Blick über meine Schulter und sehe dass die Sklaventreiber schnell aufholen, sie sind jetzt um die vierhundert Meter entfernt. Ich hoffe, dass sie nicht merken was ich vorhabe. Es sieht aus, als wären sie gerade weit genug entfernt um nichts zu sehen.

„Fahr vorwärts!“ rufe ich zu Logan „Aber langsam und nicht zu weit, nur etwa fünfzig Meter. Dann mach den Motor aus und lass das Boot anhalten, mitten auf dem freien Fluss.“

„Ausmachen?“ fragt Logan.

„Vertrau mir“ sage ich.

Er hört zu. Er bewegt uns langsam nach vorne, zurück in die Mitte des Hudson. Während er fährt, wickelt sich das übrige Seil auf dem Boot ab. Als es fast aufgebraucht ist rufe ich „STOPP!“

 

Logan macht den Motor aus, und es folgt eine unheimliche Stille. Wir sitzen alle zusammen, das Boot bewegt sich auf und ab und dreht herum. Wir schauen auf die nahenden Sklaventreiber, jetzt sind sie noch ein paar hundert Meter entfernt.

„Zieh deine Hose aus!“ rufe ich Ben zu.

Er schaut mich verwundert an.

„Sofort! Beeil Dich!“

Er zieht schnell die Lederhose, die ich ihm letzte Nacht gegeben habe, aus und gibt sie mir. Ich wickle sie mir eng um die Finger und benutze sie als Handschuh, so dass das Seil nicht meine Hände wund scheuert.

Schließlich merkt Logan, was ich vorhabe. Er eilt zu mir herüber, zieht seine Jacke aus, wickelt sie um seine Hände, und wir beide halten das lose Seil zusammen und warten.

Mir ist bang zumute, als wir auf den Horizont schauen. Sie kommen immer näher und näher, rasen auf uns mit Vollgas zu. Ich sehe, dass sie ihre Waffen ziehen, ich hoffe, sie merken nicht, dass wir etwas im Schilde führen.

„Ben, nimm die Hände hoch, als wolltest du dich ergeben!“

Ben macht einen Schritt nach vorne und hält die Hände über seinen Kopf. Es funktioniert. Die Sklaventreiber lassen ihre Waffen sinken und beginnen sich zu beraten.

Aber sie nehmen die Geschwindigkeit nicht zurück. Sie rasen direkt auf uns zu. Sie sehen das Seil nicht, das lose im Wasser liegt. Sie haben keine Ahnung.

Ich gerate ins Schwitzen, als sie immer näher zu meinem Seil kommen. Ich halte das lose Seil und zittere, Logan neben mir. Wir warten. Jetzt sind sie noch zwanzig Meter von dem Seil im Wasser entfernt.

Bitte merkt es nicht. Bitte nicht anhalten. Bitte.

Sie sind noch zehn Meter entfernt. Fünf.

Hier haben wir nur einen Versuch, und alles muss gleich perfekt funktionieren. Das Seil muss genau auf die richtige Höhe kommen.

„JETZT!“ schreie ich zu Logan.

Wir beide ziehen gleichzeitig an dem Seil.

Das Seil schnellt hoch, kommt aus dem Wasser in die Luft, etwa zwei Meter hoch. Das ist die perfekte Höhe.

Das Seil ist genau auf Brusthöhe der Sklaventreiber, die auf dem Boot stehen. Und es zeigt Wirkung: es mäht sie nieder, wobei ich ein starkes Zerren an dem Seile fühle. Wir halten es mit aller Kraft, und es mäht sie nieder.

Alle fünf von ihnen fliegen vom Boot und landen direkt im Wasser.

Das Boot rast für etwa fünfzig Meter allein weiter nach vorne, dann dreht es außer Kontrolle und zerbirst an einem großen, aufragenden Felsen.

Mit einem schrecklichen Aufprall bricht es in Stücke, dann geht es in Flammen auf.

Inzwischen treiben alle Sklaventreiber auf dem eiskalten Wasser und schlagen wild um sich.

Ich kann es kaum glauben. Es hat funktioniert. Es hat tatsächlich funktioniert.

Logan und ich schauen uns erstaunt an. Dann lassen wir langsam das Seil fallen. Logan eilt zurück ans Steuer, gibt Gas, und wir sind weg.

Ich höre die Schreie der Sklaventreiber hinter uns, wie sie im Wasser umher schlagen und nach Hilfe rufen, während wir uns entfernen. Ein Teil von mir fühlt sich schlecht. Aber ich habe meine Hausaufgaben gemacht – einmal zu viel.

Während wir losfahren geht die Sonne auf, und für das erste Mal in einer ganzen Weile beginne ich wieder mich zu entspannen. Es sind keine Boote mehr hinter uns. Zum ersten Mal, solange ich denken kann, fange ich an zu glauben, dass wir es wirklich schaffen könnten.

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