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Max Havelaar oder Die Kaffee-Versteigerungen der NiederländischenHandels-Gesellschaft

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Die Wohnungen der Beamten in den Binnenlanden stehen auf Grund und Boden, der den Gemeinden gehört, insofern man überhaupt in einem Lande, wo die Regierung sich alles zueignet, von Gemeinde Eigentum sprechen kann. Genug, daß die Grundstücke nicht dem amtlichen Bewohner gehören. Dieser würde, wenn das der Fall wäre, sich wohl in acht nehmen, ein Grundstück zu kaufen oder zu mieten, dessen Unterhaltung über seine Kraft ginge.

Wenn nun das Grundstück der angewiesenen Wohnung zu groß ist, um ordentlich instandgehalten zu werden, würde es, infolge des üppigen Pflanzenwuchses, in kurzer Zeit sich in eine Wildnis verwandeln. Und doch sieht man selten oder nie solch ein Grundstück in schlechtem Zustande; ja, der Reisende steht oft erstaunt über den prächtigen Park, der eine Adsistent-Residentenwohnung umgiebt. Kein Beamter in den Binnenlanden hat Einkommen genug, um sich die Arbeit gegen gehörige Bezahlung machen zu lassen, und da nun doch ein würdiges Aussehen für eine Wohnung des hohen Beamten nötig ist, damit das Volk, das so an Äußerlichkeiten hängt, nicht etwa darin einen Grund für geringere Achtung finde, entsteht die Frage, wie dies Ziel erreicht wird. Auf den meisten Plätzen haben die Beamten die Verfügung über einige Kettengänger, das heißt, anderswo verurteilte Missethäter; solche waren indessen aus politischen Gründen in Bantam nicht vorhanden. Aber auch auf Plätzen, wo man solche Verurteilte hat, ist deren Anzahl, wenn man die Arbeit schätzt, selten im Einklang mit der Tätigkeit, die nötig wäre, um ein großes Grundstück in Ordnung zu halten. Es müssen also andere Mittel gefunden werden, und die Aufrufung von Arbeitern zur Verrichtung von »Herrendienst« liegt nahe. Der Regent oder Demang, der solche Aufforderung empfängt, beeilt sich, ihr zu willfahren, denn er weiß sehr gut, daß es für den Beamten, der selber von seiner Gewalt Mißbrauch macht, später schwer fallen wird, ein inländisch Haupt zu bestrafen, wenn diese dasselbe thun, und so wird das Vergehen des einen zum Freibrief für die anderen.

Ich halte indessen dafür, daß ein solches Vergehen in manchen Fällen nicht allzu streng beurteilt werden darf, und vor allem nicht nach europäischen Begriffen. Das Volk selber würde es sonderbar finden, vielleicht aus Gewohnheit, wenn er immer und in allen Fällen sich streng an die Bestimmungen hielt, die die Zahl der für sein Grundstück bestimmten Herrendienstpflichtigen vorschreiben; denn es können Umstände eintreten, die in diesen Bestimmungen nicht vorgesehen waren.

Aber wenn erst einmal die Grenze des strikt Gesetzmäßigen überschritten ist, wird es schwer, den Punkt festzulegen, auf dem solches Überschreiten in verbrecherische Willkür übergehen würde, und vor allem ist große Vorsicht am Platze, wo man weiß, daß die Häupter bloß auf ein schlechtes Vorbild warten, um dann in vergrößertem Maßstabe nachzufolgen. Es giebt eine Erzählung von einem Könige, der nicht wollte, daß man die Bezahlung eines Körnchens Salz versäume, das er bei seiner einfachen Mahlzeit verzehrt hatte, als er das Land an der Spitze seines Heeres durchzog,  denn, sagte er, das wäre der Anfang eines Unrechts, das schließlich sein Reich vernichten würde. Mag dieser König nun Timoerleng, Noereddien oder Djengis-Khan geheißen haben, sicher ist die Fabel, oder wenn es keine Fabel ist, der Vorfall selbst asiatischen Ursprungs. Und wie man beim Betrachten von Deichen an die Möglichkeit von Hochwasser denken darf, muß man annehmen, daß wohl Neigung zu solchen Mißbräuchen besteht in dem Lande, wo solche Lektionen gegeben werden.

Die Leute, über die Havelaar gesetzmäßig verfügen durfte, konnten nur ein sehr kleines Teilchen des Grundstücks, in der unmittelbaren Nähe des Hauses, von Unkraut und Gebüsch freihalten. Das übrige war binnen wenigen Wochen eine Wildnis. Havelaar schrieb an den Residenten um Mittel, hier Abhilfe zu schaffen, sei es durch eine Gehaltszulage, sei es durch Vorstellung an die Regierung, Kettengänger in der Residentschaft Bantam arbeiten zu lassen, wie es auch anderswo geschah. Er empfing darauf eine abschlägige Antwort, mit der Bemerkung, daß er ja das Recht habe, die Personen, die von ihm von Polizei wegen zu »Arbeit am öffentlichen Wege« verurteilt wären, auf seinem Grundstück arbeiten zu lassen. Das wußte Havelaar wohl. Aber er hatte niemals, weder zu Rangkas-Betoeng, noch zu Amboina, noch zu Menado, noch zu Natal von diesem Rechte Gebrauch machen wollen. Es widerstand ihm, seinen Garten instandhalten zu lassen, zur Strafe für kleine Vergehungen, und mehrfach hatte er sich gefragt, wie die Regierung Bestimmungen konnte bestehen lassen, die den Beamten in Versuchung bringen konnten, kleine verzeihliche Fehler zu bestrafen nicht im Verhältnis zu dem Fehler selber, sondern im Hinblick auf den Zustand oder die Größe seines Gartens. Der Gedanke allein, daß der Bestrafte, selbst der, der zu Recht verurteilt wurde, meinen könnte, es sei Eigennutz bei dem Urteil im Spiele, veranlaßte ihn, wenn er strafen mußte, stets der sonst nicht sehr empfehlenswerten Einsperrung den Vorzug zu geben.

Und daher kam es, daß der kleine Max nicht im Garten spielen durfte, und daß auch Tine von den Blumen nicht so viel Vergnügen hatte, als sie sich am Tage ihrer Ankunft zu Rangkas-Betoeng vorstellte.

Es spricht von selbst, daß diese und ähnliche kleine Verdrießlichkeiten keinen Einfluß ausübten auf die Stimmung einer Familie, die so viel Anlage besaß, um sich ein glückliches Familienleben zu schaffen, und es war daher auch nicht diesen Kleinigkeiten zuzuschreiben, daß Havelaar manchmal mit bewölkter Stirn heimkam, wenn er fortgewesen war, oder wenn er diesen oder jenen, der ihn zu sprechen verlangte, angehört hatte. Wir haben aus seiner Ansprache an die Häupter gehört, daß er seine Pflicht thun wollte, daß er das Unrecht abstellen wollte, und ich hoffe, daß der Leser aus den Gesprächen, die ich mitteilte, ihn als einen Mann kennen gelernt hat, der wohl imstande war, etwas herauszufinden und zur Klarheit zu bringen, was für andere verborgen war oder im Dunkel lag. Es war wohl anzunehmen, daß nicht viel von dem, was in Lebak vorging, seiner Aufmerksamkeit entging. Auch sehen wir, daß er viele Jahre früher schon ein Auge auf den Bezirk gehabt hatte, sodaß er schon am ersten Tage, als Verbrugge mit ihm in der Pendoppo zusammentraf, wo unsere Geschichte anfängt, zeigen konnte, daß er in seinem neuen Wirkungskreis kein Fremder sei. Er hatte durch Nachforschung am Platze selbst vieles von dem bestätigt gefunden, was er früher vermutete, und vor allem aus dem Archiv war ihm klar geworden, daß dieser Landstrich wirklich in höchst traurigem Zustande war.

Aus den Briefen und Aufzeichnungen seines Vorgängers sah er, daß dieser dieselben Beobachtungen gemacht hatte. Die Briefe an die Häupter enthielten Verweis auf Verweis, Drohung auf Drohung, und man begriff schließlich sehr gut, daß dieser Beamte zuletzt gesagt haben konnte, er werde sich an die Regierung wenden, wenn diesem Stand der Dinge nicht ein Ende gemacht würde.

Als Verbrugge das Havelaar mitteilte, hatte dieser geantwortet, daß sein Vorgänger dann sehr verkehrt gehandelt haben würde, da der Adsistent-Resident von Lebak in keinem Falle den Residenten von Bantam übergehen durfte, und er hatte hinzugefügt, daß dies auch durch nichts gerechtfertigt sein könnte, da man doch nicht annehmen könne, daß dieser hohe Beamte für Erpressung und Unterdrückung Partei ergreifen könnte.

Solch Parteiergreifen war auch nicht anzunehmen, in dem Sinne nicht, wie Havelaar es meinte, nämlich als ob dem Residenten Vorteil oder Gewinn von diesen Vergehen zufiele. Indessen gab es wohl einen Grund, der ihn bewog, nur sehr ungern auf die Klagen von Havelaars Vorgänger Recht zu üben. Wir haben gesehen, wie dieser mehrfach mit dem Residenten über die herrschenden Mißbräuche gesprochen hatte, und wie ihm das wenig genutzt hatte. Es ist deshalb nicht ohne Belang, zu untersuchen, warum dieser, der, als Haupt der ganzen Residentschaft, ebenso sehr wie der Adsistent-Resident, ja noch mehr als dieser, dafür zu sorgen verpflichtet war, daß Recht geschähe, lieber den Gang des Rechts fortgesetzt hemmte.

Schon zu Serang, als Havelaar in seinem Hause weilte, hatte dieser über die Lebakschen Mißbräuche gesprochen; er hatte darauf zur Antwort bekommen: »daß das in größerem oder geringerem Maße überall so wäre.« Das konnte Havelaar nicht bestreiten; wer hätte je ein Land gesehen, wo nichts Verkehrtes geschähe? Aber er fand, daß das kein Grund wäre, um Mißbräuche, wo man sie vorfand, bestehen zu lassen,  vor allem nicht, wenn man dazu da ist, sie zu bekämpfen; und nach allem, was er überhaupt von Lebak wußte, konnte da gar keine Rede sein von »größerem oder geringerem«, sondern lediglich von einem sehr großen Maße … aber darauf hatte der Resident unter anderem die Antwort, »daß es im Bezirk Tjeringin, der auch zu Bantam gehörte, noch schlimmer sei«

Wenn man nun annimmt, wie man es annehmen kann, daß ein Resident von Erpressung und von willkürlicher Verfügung über die Bevölkerung keinen eigentlichen Vorteil hat, so drängt sich die Frage auf, was denn viele bewegt, im Gegensatz zu Eid und Pflicht, solche Mißbräuche zu dulden, ohne die Regierung davon zu benachrichtigen? Und wer darüber nachdenkt, muß es wohl sehr auffalend finden, daß man so kaltblütig das Vorhandensein dieser Mißbräuche anerkennt, als handle es sich um Dinge, die außer Bereich oder Befugnis liegen. Ich werde mich bemühen, die Ursachen davon zu entwickeln.

Das Überbringen schlechter Nachrichten ist schon im allgemeinen etwas Unangenehmes, und es scheint, als ob von dem üblen Eindruck, den sie machen, immer etwas an dem kleben bleibt, den das Los traf, sie zu überbringen. Wenn das allein schon für einige ein Grund sein könnte, um gegen besseres Wissen das Bestehen von etwas Ungünstigem zu leugnen, wie viel mehr wird das der Fall sein, wenn man Gefahr läuft, nicht nur sich die Ungnade auf den Hals zu laden, die das Schicksal aller Überbringer schlechter Nachrichten ist, sondern auch als die Ursache davon betrachtet zu werden.

 

Die Regierung von Niederländisch-Indien schreibt gern an ihren Meister in der Heimat, daß alles nach Wunsch geht. Die Residenten melden es gern an die Regierung. Die Adsistent-Residenten, die von ihren Kontroleuren beinahe nichts als günstige Berichte empfangen, senden ihrerseits wieder keine unangenehmen Nachrichten an die Residenten. So wird, in der offiziellen und schriftlichen Behandlung der Dinge, ein künstlicher Optimismus geschaffen, im Gegensatz nicht allein zur Wahrheit, sondern auch mit der eigenen Meinung der Optimisten selber, sobald sie dieselbe Sache mündlich behandeln,  ja im Gegensatz sogar mit ihren schriftlichen Berichten. Ich könnte viele Beispiele anführen von Berichten, die den günstigen Zustand einer Residentschaft bis in den Himmel erheben, und zu gleicher Zeit, wenn man die Ziffern ansieht, sich selbst Lügen strafen. Diese Beispiele könnten, wenn die Sache nicht so ernst wäre  der schließlichen Folgen halber  Anlaß zu Heiterkeit geben, und man steht verwundert über die Naivetät, mit der in solchen Fällen die größten Unwahrheiten aufrecht erhalten werden; wenn auch der Schreiber selbst, wenige Sätze vorher, die Waffen liefert, um die unwahren Angaben zu widerlegen. Ich will mich auf ein einziges Beispiel beschränken, das ich durch sehr viele vermehren könnte. Unter den Stücken, die vor mir liegen, finde ich den Jahresbericht einer Residentschaft. Der Resident rühmt den Handel, der da herrscht, und behauptet, daß überall die größte Wohlfahrt und Betriebsamkeit zu finden sei. Und ein klein wenig weiter, wo er über die geringen Mittel spricht, die ihm gegen die Schmuggler zu Gebote stehen, will er sofort den unangenehmen Eindruck beseitigen, der bei der Regierung entstehen würde, wenn sie erführe, daß viele Abgaben hinterzogen werden. »Nein«, sagte er, »deswegen keine Sorge In meiner Residentschaft wird wenig oder nichts eingeschmuggelt, denn  es ist hier so wenig Umsatz, daß keiner hier seine Kapitalien in den Handel stecken würde.«

Ich habe solch einen Bericht gelesen, der anfing mit den Worten: »Im abgelaufenen Jahre ist die Ruhe ruhig geblieben …« Solche Redensarten zeugen wohl von einer sehr ruhigen Beruhigung in betreff der Nachsicht der Regierung für die Leute, die ihr unangenehme Nachrichten erspart, oder wie der Ausdruck lautet: sie »nicht bemüht« mit verdrießlichen Berichten

Wo die Bevölkerung nicht zunimmt, liegt das an der Unrichtigkeit der früheren Volkszählungen. Wo die Steuern nicht steigen, will man durch niedrigen Anschlag den Landbau ermutigen, der sich gerade jetzt entwickeln soll, um später  am liebsten, wenn der Berichtschreiber selber nicht mehr da ist  erstaunliche Früchte zu tragen. Wo Unruhen stattgefunden haben, die nicht verborgen bleiben konnten, da war das das Werk von ein paar Übelgesinnten, die für die Zukunft nicht mehr zu fürchten sind, da ja allgemeine Zufriedenheit herrscht. Wo Mangel oder Hungersnot die Bevölkerung decimiert hat, war das eine Folge von Mißwachs, von Dürre, von Regen oder so etwas, aber nie von Mißregierung.

Die Nota von Havelaars Vorgänger, worin dieser »die Auswanderung des Volkes aus dem Distrikt von Parang-Koedjang dem weitgehenden Mißbrauch zuschreibt«, liegt vor mir. Diese Nota war inoffiziell und enthielt Punkte, über die dieser Beamte mit dem Residenten von Bantam sprechen wollte. Aber vergebens suchte Havelaar im Archiv nach einem Beweise, daß sein Vorgänger dieselbe Sache in einem öffentlichen Dienstschreiben ritterlich beim wahren Namen genannt habe.

Kurz, die offiziellen Berichte der Beamten an das Gouvernement, und daher auch die darauf gegründeten Rapporte an die Regierung im Mutterlande, sind zum größten und wichtigsten Teil unwahr.

Ich weiß, daß das eine schwere Beschuldigung ist, aber ich halte sie aufrecht und fühle mich in der Lage, sie zu beweisen. Wer über dieses ungeschminkte Äußere meiner Meinung bestürzt sein sollte, der bedenke, wie viele Millionen an Geld und wie viele Menschenleben England erspart geblieben wären, wenn man dort zeitig die Augen der Nation für den wahren Stand der Dinge in Britisch-Indien geöffnet hätte. Man bedenke, wie große Dankbarkeit man dem Manne schuldig gewesen wäre, der den Mut gehabt hätte, den Hiobsboten zu machen, bevor es zu spät wurde, das Falsche auf unblutige Weise wieder gut zu machen.

Ich sagte, meine Beschuldigung beweisen zu können. Ich werde, wo es nötig ist, zeigen, daß oftmals Hungersnot in Landschaften herrschte, die als Beispiele von Wohlfahrt angeführt wurden, und wo man die Bevölkerung als ruhig und zufrieden pries, behaupte ich, stand sie vielfach auf dem Punkte, in Wut auszubrechen. Es ist meine Absicht nicht, die Beweise in diesem Buche zu liefern: ich glaube aber, daß man dies Buch nicht aus der Hand legen wird, ohne zu glauben, daß diese Beweise bestehen.

Für den Augenblick beschränke ich mich auf ein einziges Beispiel, um den lächerlichen Optimismus, von dem ich sprach, zu zeigen; ein Beispiel, das von jedem, sei er mit indischen Dingen sehr oder gar nicht vertraut, verstanden werden muß.

Jeder Resident giebt monatlich eine Aufstellung über den Reis, der in seine Landschaft eingeführt oder von dort nach außerhalb verschickt worden ist. Bei diesen Aufstellungen ist der Verkehr in zwei Teilen aufgeführt, je nachdem er sich auf Java selbst beschränkt oder sich weiter erstreckt. Wenn man sich nun die Mengen Reis ansieht, die, nach diesen Aufstellungen, aus Residentschaften auf Java nach Residentschaften auf Java übergeführt sind, wird man finden, daß das viel Tausende Pikols mehr beträgt als den Reis, der, nach denselben Aufstellungen, in Residentschaften auf Java aus Residentschaften auf Java eingeführt ist.

Ich übergehe mit Stillschweigen, was man von der Kontrolle der Regierung denken soll, die solche Aufstellungen annimmt und veröffentlicht, will aber den Leser auf die Folgen dieser Fälschungen aufmerksam machen.

Die prozentweise Belohnung, welche europäische und inländische Beamte für die Produkte erhalten, die in Europa verkauft werden müssen, hatte den Reisbau so in den Hintergrund gestellt, daß in einigen Strecken eine Hungersnot geherrscht hat, die nicht vor den Angen der Nation weggegaukelt werden konnte. Ich habe schon gesagt, daß dann Vorschriften gegeben wurden, die Dinge nicht wieder so weit kommen zu lassen. Zu den vielen Ausflüssen dieser Vorschriften gehörten auch die von mir angeführten Ausstellungen über die Reis-Einfuhr und -Ausfuhr, damit die Regierung stets ein Auge haben könne auf die Ebbe und Flut dieses Lebensmittels. Ausfuhr aus einer Residentschaft beweist Wohlstand, Einfuhr Mangel.

Wenn man nun diese Aufstellungen untersucht und vergleicht, so ergiebt sich daraus, daß der Reis überall so im Überfluß vorhanden ist, daß alle Residentschaften zusammen mehr Reis ausführen, als in allen Residentschaften zusammen eingeführt wird. Ich wiederhole, daß es sich hier nicht um Ausfuhr über See handelt, welche besonders aufgeführt wird. Das Ergebnis ist also die ungereimte Behauptung, daß auf Java mehr Reis ist als Reis ist … Das ist doch Wohlstand

Ich sagte vorhin, daß die Sucht, niemals andere als gute Berichte an die Regierung zu schicken, ins Lächerliche fallen könnte, wenn nicht die Folgen von alledem so traurig wären. Welche Verbesserung des vielen Fehlerhaften ist dann zu hoffen, wenn von vornherein die Absicht besteht, alles in den Berichten zu verdrehen? Was ist von einem Volke zu erwarten, das, von Natur sanft und geduldig, seit Jahren, Jahren über Unterdrückung klagt, wenn es einen Residenten nach dem anderen mit Urlaub oder mit Pension abtreten sieht oder zu einem anderen Amte übergehen, ohne daß zur Erleichterung der Lasten, unter denen gebückt es daher geht, irgend etwas geschehe? Muß nicht die gebogene Feder endlich zurückschnellen? Muß nicht die so lange unterdrückte Unzufriedenheit  unterdrückt, damit man darin fortfahren könne, sie zu leugnen  endlich in Wut, in Verzweiflung, in Raserei übergehen? Liegt nicht eine Jacquerie am Ende dieses Weges?

Und wo werden dann die Beamten sein, die seit Jahren aufeinander folgten, ohne je auf den Gedanken zu kommen, daß es doch etwas Höheres giebt als »die Zufriedenheit des General-Gouverneurs«, etwas Höheres als »die Gunst der Regierung?« Wo werden sie stecken, die faulen Berichtschreiber, die mit ihren Lügen die Augen der Regierung verblendeten? Werden sie, die früher keinen Mut hatten, um auf dem Papier ein beherzt Wörtlein zu sprechen, dann zu den Waffen greifen, um die niederländischen Besitzungen für Nederlanden zu retten? Werden sie Nederlanden die Schätze zurückgeben, die es braucht, um den Aufruhr zu dämpfen, dem Umsturz zuvorzukommen? Werden sie endlich den Tausenden, die da fielen durch ihre Schuld, das Leben zurückgeben?

Und die Beamten, die Kontroleure und die Residenten sind nicht die Schuldigsten. Es ist die Regierung selber, die, mit unbegreiflicher Blindheit geschlagen, das Einsenden günstiger Berichte ermutigt, herausfordert und belohnt, und besonders ist das der Fall, wo es sich um die Bedrückung des Volkes durch inländische Häupter handelt.

Viele schreiben diese Rücksicht auf die Häupter der unedlen Berechnung zu, daß diese sich mit Glanz und Pracht umgeben müssen, um den Einfluß auf das Volk zu behalten, den die Regierung braucht, und daß sie zu diesem Zwecke eine viel größere Besoldung als jetzt empfangen müßten, wenn man ihnen nicht gestattete, das Fehlende durch unrechtmäßige Verfügung über Besitz und Arbeit des Volkes zu ergänzen. Jedenfalls entschließt sich die Regierung nur ungern, Bestimmungen zu erlassen, die den Javanen gegen Erpressung und Raub schützen. Meistens weiß man in unkontrollierbaren und oft aus der Luft gegriffenen »politischen Gründen« eine Ursache zu finden, um diesen oder jenen Regenten oder Häuptling zu schonen,  und es ist überall in Indien eine ausgemachte Sache, daß die Regierung lieber zehn Residenten wegjagt als einen Regenten. Auch die angeblichen politischen Gründe  wenn sie überhaupt auf irgend etwas beruhen  stützen sich gewöhnlich auf falsche Angaben, denn jeder Resident hat Interesse daran, den Einfluß seiner Regenten auf das Volk recht ins Licht zu setzen, um sich dahinter zu verstecken, wenn später einmal von zu großer Nachsicht gegen die Häupter die Rede sein sollte.

Ich übergehe nun die abscheuliche Heuchelei der menschenfreundlich lautenden Bestimmungen und der Eide, die den Javanen  auf dem Papier  vor Willkür schützen sollen, und ich bitte den Leser, sich zu erinnern, wie Havelaar beim Nachsprechen des Eides etwas Mißachtung zu erkennen gab,  um jetzt nur noch auf das Schwierige der Stellung des Mannes hinzuweisen, der sich ganz anders als durch eine ausgesprochene Formel an seine Pflicht gebunden erachtete.

Und für ihn war die Schwierigkeit sogar noch größer, als sie für viele andere gewesen wäre. Er war von sanfter Gemütsart, ganz im Gegensatz in seinem Verstande, den die Leser wohl als recht scharf kennen gelernt haben. Er hatte also nicht allein mit der Furcht vor Menschen zu kämpfen, oder mit der Sorge um seine Laufbahn oder Beförderung, auch nicht mit seinen Pflichten als Ehemann und Familienvater: er hatte einen Feind in seinem eigenen Herzen zu überwinden. Er konnte nicht Leid sehen, ohne zu leiden, und es würde mich zu weit führen, wenn ich die Beispiele anführen sollte, wie er immer, auch wenn er gekränkt oder beleidigt war, die Partei eines Gegners gegen sich selbst verteidigte. Er erzählte Duclari und Verbrugge, wie er in seiner Jugend im Duell mit dem Säbel etwas Verführerisches gefunden hatte; aber er erzählte ihnen nicht, daß er gewöhnlich in Thränen ausbrach, wenn er seinen Gegner verwundet hatte, und daß er seinen gewesenen Feind pflegte wie eine barmherzige Schwester, bis er genesen war. Ich hätte erzählen können, wie er zu Natal den Kettengänger, der auf ihn geschossen hatte, zu sich nahm, dem Manne freundlich zusprach, ihm zu essen gab und die Freiheit obendrein, weil er zu entdecken meinte, daß die Verbitterung dieses Verurteilten eine Folge eines anderswo gefällten zu strengen Urteils war. Die Sanftheit seines Gemüts wurde gewöhnlich bestritten oder lächerlich gefunden. Bestritten von denen, die sein Herz mit seinem Geist verglichen. Lächerlich gefunden von denen, die nicht begreifen konnten, wie ein vernünftiger Mensch sich Mühe gab, eine Fliege aus dem Spinngewebe zu retten. Verkannt wieder durch alle,  außer Tine  die ihn dann auf die »dummen Tiere« schimpfen hörten, und auf die »dumme Natur«, die solche Tiere schuf.

Noch einen Weg gab es, um ihn von dem Piedestal herunterzuholen, auf das seine Umgebung, mochte sie ihn lieben oder nicht, ihn stellen mußte. »Ja, ja, er ist geistreich, aber es ist Flüchtigkeit in seinem Geist … er ist verständig, aber er benutzt seinen Verstand nicht gut … ja, er ist gutherzig, aber … er kokettiert damit«

 

Für seinen Geist, seinen Verstand will ich nicht Partei ergreifen  aber sein Herz? Arme Fliegen, die er rettete, wenn er ganz allein war, wollt ihr dies Herz gegen den Vorwurf der Koketterie in Schutz nehmen?

Aber ihr seid davongeflogen und habt euch nicht um Havelaar bekümmert  ihr konntet nicht wissen, daß er einmal euer Zeugnis brauchen könnte.

War es Koketterie von Havelaar, als er zu Natal einem Hund  Sappho hieß das Tier  in die Flußmündung nachsprang, weil er fürchtete, daß das noch junge Tier vielleicht nicht so gut schwimmen könnte, um den dort sehr häufigen Haifischen zu entgehen? Ich finde solch Kokettieren mit Gutherzigkeit schwerer glaublich als die Gutherzigkeit selber.

Ich rufe euch, die ihr Havelaar gekannt habt  wenn ihr nicht vor Winterkälte oder Tod steif daliegt, wie die geretteten Fliegen, oder vertrocknet durch die Hitze, da drüben unter der Linie  gebt Zeugnis von seinem Herzen, alle, die ihr ihn gekannt habt Jetzt gerade rufe ich euch an mit Vertrauen, weil ihr nicht mehr nötig habt, nach der Stelle zu suchen, wo der Strick eingehakt werden muß, um ihn, von welch niedriger Höhe auch, herunterzureißen.

Inzwischen, möge es auch bunt erscheinen, will ich hier einigen Zeilen von seiner Hand Raum geben, die solche Zeugnisse vielleicht überflüssig machen.

Max war einmal weit, weit fort von Weib und Kind. Er hatte sie in Indien zurücklassen müssen und befand sich in Deutschland. Mit der schnellen Auffassung, die ich ihm zuerkenne, für die ich aber nicht eintreten will, wenn man sie antasten will, eignete er sich die Sprache des Landes an, in dem er einige Monate gelebt hatte. Hier sind die Zeilen, die zugleich die Innigkeit des Bandes zeigen, das ihn mit den Seinigen verband.

 
»Mein Kind, da schlägt die neunte Stunde, hör
Der Nachtwind säuselt und die Luft wird kühl,
Zu kühl für dich vielleicht, dein Stirnchen glüht:
Du hast den ganzen Tag so wild gespielt,
Du bist wohl müde, komm, dein Tikar harret.« -
– »Ach, Mutter, laß mich noch ein'n Augenblick;
Es ist so sanft zu ruhen hier – und dort,
Da drin auf meiner Matte schlaf' ich gleich,
Und weiß nicht einmal, was ich träumte, – hier
Kann ich doch gleich dir sagen, was ich träumte,
Und fragen, was mein Traum bedeutet – - hör',
Was war das?« -
– »'s war ein Klapper, der da fiel.« -
– »Thut das dem Klapper weh?« -
– »Ich glaube nicht,
Man sagt, die Frucht, der Stein hat kein Gefühl.« -
– »Doch eine Blume, fühlt die auch nicht?« -
– »Nein,
Man sagt, sie fühlt nicht.« -
– »Warum denn, Mutter,
Als gestern ich die Pukul-ampat brach,
Hast du gesagt: es thut der Blume weh« -
– »Mein Kind, die Pukul-ampat war so schön,
Du zogst die zarten Blättchen roh entzwei,
Das that mir für die arme Blume leid.
Wenn gleich die Blume selbst es nicht gefühlt,
Ich fühlt' es für die Blume, weil sie schön war.« -
– »Doch, Mutter, bist du auch schön?« -
– »Nein, mein Kind,
Ich glaube nicht.« -
– »Allein, du hast Gefühl?« -
– »Ja, Menschen haben's, doch nicht alle gleich.« -
– »Und kann dir etwas weh thun? Thut dir's weh,
Wenn dir im Schoß so schwer mein Köpfchen ruht?« -
– »Nein, das thut mir nicht so« -
– »Und, Mutter, ich,
Hab' ich Gefühl?« -
– »Gewiß, erinnere dich,
Wie du gestrauchelt einst, – an einem Stein
Dein Händchen hast verwundet und geweint.
Auch weintest du, als Sudin dir erzählte,
Daß auf den Hügeln dort ein Schäflein tief
In eine Schlucht hinunterfiel und starb;
Da hast du lang geweint, – das war Gefühl.« -
– »Doch, Mutter, ist Gefühl denn Schmerz?« -
– »Ja, oft,
Doch immer nicht, – bisweilen nicht Du weißt,
Wenn's Schwesterlein dir in die Haare greift
Und krähend dir's Gesichtchen nahe drückt,
Dann lachst du freudig, das ist auch Gefühl.« -
– »Und dann, mein Schwesterlein – es weint so oft -
Ist das vor Schmerz? – hat sie denn auch Gefühl?« -
– »Vielleicht, mein Kind, wir wissen's aber nicht,
Weil sie, so klein, es noch nicht sagen kann.« -
– »Doch, Mutter – - – höre, was war das?« -
– »Ein Hirsch,
Der sich verspätet im Gebüsch und jetzt
Mit Eile heimwärts kehrt und Ruhe sucht
Bei andern Hirschen, die ihm lieb sind.« -
– »Mutter,
Hat solch ein Hirsch ein Schwesterlein wie ich?
Und eine Mutter auch?« -
– »Ich weiß nicht, Kind.« -
– »Das würde traurig sein, wenn' nicht so wäre
Doch, Mutter, sieh, was schimmert dort im Strauch,
Sieh, wie es hüpft und tanzt – ist das ein Funken?« -
– »s' ist eine Feuerfliege.« -
– »Darf ich's fangen?« -
– »Du darfst es, doch das Flüglein ist so zart,
Du wirst gewiß ihm weh thun, und sobald
Du's mit den Fingern allzu roh berührt,
Ist's Tierchen krank, und stirbt und glänzt nicht mehr.« -
– »Das würde schade sein – ich fang' es nicht – -
Sieh, da verschwand es, – - nein, es kommt hierher, – -
Ich fang' es doch nicht – - wieder fliegt es fort,
Und freut sich, daß ich' nicht gefangen habe, – -
Da fliegt es – hoch – da oben – was ist das,
Sind das auch Feuerflieglein dort?« -
– »Das sind
Die Sterne.« -
– »Eins und zwei und zehn und tausend -
Wie viel denn sind wohl da?« -
– »Ich weiß es nicht;
Der Sterne Zahl hat niemand noch gezählt« -
– »Sag, Mutter, zählt auch Er die Sterne nicht?«
– »Nein, liebes Kind, auch Er nicht.« -
– »Ist das weit,
– Dort oben, wo die Sterne sind?« -
– »Sehr weit.« -
– »Doch haben diese Sterne auch Gefühl?
Und würden sie, wenn ich sie mit der Hand
Berührte, gleich ertranken und den Glanz
Verlieren, wie das Flieglein? – - Sieh, noch schwebt es -
Sag, würd' es auch den Sternen weh thun?« -
– »Nein,
Weh thut's den Sternen nicht – doch ist's zu weit
Für deine kleine Hand, du reichst so hoch nicht.« -
– »Kann Er die Sterne fangen mit der Hand?« -
– »Auch Er nicht, das kann niemand.« -
– »Das ist schade,
Ich gäb' so gern dir einen – - – wenn ich groß bin
Dann will ich so dich lieben, daß ich's kann.« -
Das Kind schlief ein und träumte von Gefühl,
Von Sternen, die es faßte mit der Hand. – - -
Die Mutter schlief noch lange nicht
Doch träumte
Auch sie und dacht' an den, der fern war – - -
 

Ja, auf die Gefahr, etwas bunt zu erscheinen, habe ich diese Zeilen hier eingefügt. Ich möchte keine Gelegenheit versäumen, den Mann zu zeigen, der in meiner Geschichte die Hauptrolle spielt, damit der Leser ihm Teilnahme schenke, wenn sich später dunkle Wolken über seinem Haupte zusammen ziehen.

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