Über uns die Sterne, zwischen uns die Liebe

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»Ständig.«

Er schloss die Tür und zog Mantel und Handschuhe aus, gefolgt von seiner Mütze. Seine Haare standen ihm zu Berge und ich vermutete, dass für meine dasselbe galt. Ich fuhr mir mit einer Hand über den Kopf und ging Richtung Küche.

»Ehm, danke für die Mütze«, sagte er. »Und die Handschuhe. Und für das Mittagessen gestern und dafür, dass du mir Pinguine gezeigt hast. Und fürs Abendessen jetzt, schätze ich.«

Ich lächelte ihm zu. »Kein Problem.« Ich öffnete den Kühlschrank. »Ich habe Mineralwasser, Bier, Tee, Kaffee…?«

»Oh, hm, Wasser reicht. Leitungswasser ist okay.«

Ich nahm zwei Flaschen Wasser und hielt ihm eine hin. Er brauchte nur drei lange Schritte, um sie zu nehmen, aber es war, als müsste er sich zwingen, sich mir zu nähern. Er nahm die Flasche und trat schnell einen Schritt zurück. »Danke.«

Gott, er hatte wirklich Angst, und ich konnte mir nicht einmal vorstellen, was es ihn gekostet hatte, Ja zu sagen und mit mir reinzukommen.

»Gern geschehen.« Ich trank von meinem Wasser, während ich ein paar Teller holte und das Abendessen vorbereitete, dann sagte ich: »Setz dich einfach irgendwohin.«

Er überraschte mich damit, dass er sich an den Tisch setzte. Ich hatte erwartet, dass sein Bedürfnis nach Abstand dafür sorgen würde, dass er das Sofa wählte, aber vielleicht lag es daran, dass er essen würde? Ich wusste es nicht. Er war ein Rätsel, so viel war sicher.

»Also, falls du dich fragst, warum ich dir helfe…«

»So was mache ich nicht«, unterbrach er rasch und mit gerunzelter Stirn. Er sprang von seinem Stuhl auf. »Ich meine, ja, ich bin schwul. Aber ich treibe es nicht gegen Gefallen oder Geld. Ich bin kein Stricher.«

Ich blinzelte mit einem Teller Pasta in der Hand, war wie betäubt. Ein Stricher? Glaubte er etwa, dass ich ihn für einen Stricher hielt? Der Gedanke war mir nicht einmal gekommen. »Was?«

Er erstarrte, dann trat er einen weiteren Schritt zurück. Ich war mir nicht sicher, wer von uns erschrockener war. »Ich sollte gehen.«

Kapitel Fünf

Aubrey

Mein Herz fühlte sich zu schwer für das Tempo an, in dem es schlug. Ich wollte nicht gehen. Patrick war seit Ewigkeiten der erste Mensch, mit dem ich mich unterhalten hatte, und ich hatte ihn für nett und aufrichtig gehalten. Er hatte mich zu den Pinguinen gebracht und geduldig gewartet, während ich die Sterne betrachtet hatte. Und für einen Moment auf dem Sims neben ihm, als er nicht wusste, dass ich ihn beobachtete, hatte er so traurig ausgesehen, als würde er das Gewicht der ganzen Welt auf den Schultern tragen.

Als wüsste er, wie sehr es wehtat.

Und für einen blödsinnigen Augenblick hatte ich geglaubt, dass er ein Freund sein könnte. Aber dann, als ich alles laut ausgesprochen hatte, was er für mich getan hatte – quasi eine Liste der Gefälligkeiten –, hatte ich begriffen, dass er etwas im Gegenzug erwarten könnte.

Ich wusste von der Sekunde an, als ich erklärt hatte, kein Stricher zu sein, dass ich alles falsch verstanden hatte. Denn sein Gesicht zeigte einen Ausdruck des Schocks, des Horrors. Erschüttert.

Ich hatte ihn beleidigt, als ich davon ausgegangen war, dass er so etwas wollte. Dass er mich dafür benutzen wollte.

Und ich hatte mich gerade als schwul geoutet.

Vielleicht hatte ihn das so erschüttert.

»Geh nicht«, sagte er und seine verletzte Miene bremste mich. Er stellte langsam den Teller auf den Tisch. »Das will ich nicht von dir«, flüsterte er. Er schluckte mühsam und seine Augen waren glasig. »Ich würde so etwas nie von dir verlangen.«

Ich stand mitten in seinem Wohnzimmer, nicht sicher, was ich tun sollte. Ich hatte das Gefühl, dass ich gehen sollte, aber sein gequältes Flüstern hielt mich auf. »Tut mir leid.«

»Himmel. Bitte entschuldige dich nicht.« Er zog den anderen Stuhl vom Tisch weg. »Bitte setz dich und iss. Es gibt keine Hintergedanken, Aubrey. Ich wollte nur sagen, dass ich nett zu dir bin, weil ich weiß, wie es ist, neu in der Stadt zu sein. So gut wie alle sind hier geboren und aufgewachsen, außer mir. Und nun du.« Dann kehrte er an den Ofen zurück und füllte einen weiteren Teller mit heißer Pasta, und Mann, sie roch so lecker.

Er nahm ein Stück Käse aus dem Kühlschrank. Und nicht irgendeinen Käse, sondern echten Parmesan. »Wenn du möchtest, dass ich dich nach Hause bringe, tue ich das. Aber bitte nimm was vom Essen mit.«

»Ist das italienischer Parmesan?«

Seine Lippen zuckten und er lächelte fast. »Natürlich.« Er ging zur Schublade und holte Besteck heraus, dann setzte er sich an den Tisch und legte eine Gabel und einen Löffel neben meinen Teller. »Ob es jetzt hilft oder nicht, ich bin auch schwul, Aubrey. Du hast diesen Teil von dir mit mir geteilt, da ist es nur fair, wenn ich genauso ehrlich zu dir bin.«

Ich wagte einen vorsichtigen Schritt vorwärts, dann einen weiteren, und setzte mich langsam hin. Ich kam mir dumm vor und fühlte mich schuldig. Also hatte meine Verkündung ihn nicht abgestoßen. Na, jedenfalls nicht der Teil mit dem Schwulsein. Patrick rieb etwas Käse auf einen kleinen Teller und ich musste irgendetwas sagen… Ich musste die Luft reinigen. Er war aus reiner Freundlichkeit nett zu mir gewesen, es war das Mindeste, was ich tun konnte.

»Ich habe einige Zeit in Melbourne verbracht«, sagte ich und überlegte mir genau, was ich nicht erzählen würde. »Ich habe in einer Art Hostel gewohnt und der Besitzer meinte, dass ich bleiben könnte, wenn ich ihm helfe, ein paar Sachen zu reparieren. Mir war nur nicht klar, dass er im Gegenzug gewisse Gefälligkeiten erwartete. Und danach habe ich ein paar Nächte auf der Straße verbracht und einige Männer haben mir Geld geboten für… Es wurde irgendwie erwartet, weißt du? Dass ich so verzweifelt war, dass ich alles für Geld tun würde. Aber das habe ich nicht. Ich meine, ich verurteile niemanden für die Entscheidungen, die er in Zeiten der Not fällt. Man muss tun, was nötig ist, stimmt's? Aber ich habe es nicht getan, egal, wie sehr ich bedrängt worden bin…«

Patrick legte stirnrunzelnd die Gabel ab. »Es tut mir leid, dass sie das getan haben. Es tut mir leid, dass du das durchmachen musstet.«

»Mir auch.« Ich seufzte. »Aber es war nicht alles schlecht. Einige Leute waren toll. Ich habe ein paar eigenartige Jobs gemacht und die Leute waren nett zu mir.«

»Aber du bist nicht lange in Melbourne geblieben?«

»Nein. Großstädte sind nichts für mich.«

Ich war mir sicher, dass es tausend Fragen gegeben hätte, die er mir nach dieser Offenbarung hätte stellen können, aber er schob mir einfach den Teller mit Käse hin und sagte: »Für mich auch nicht.«

Die Atmosphäre zwischen uns entspannte sich. Ich holte tief Luft und versuchte es mit einem angenehmeren Gesprächsthema. »Hadley scheint ein netter Ort zu sein«, sagte ich, während ich etwas Käse auf meiner Pasta verteilte. So, wie sie aussah, enthielt die Soße Zucchini, Aubergine und Tomaten, dazu eine Menge Gewürze. »Auch wenn ich mir vorstellen könnte, dass es so etwas wie eine Schwulenszene nicht gibt.«

Patrick schnaubte und schluckte einen Mundvoll Essen herunter. »Oh, nein.«

Ich nahm einen Löffel Pasta. »Oh mein Gott, das ist lecker«, sagte ich mit vollem Mund. Also schluckte ich und versuchte es erneut, dieses Mal mit Manieren. »Sorry. Das ist wirklich lecker. Hast du das alles selbst gemacht?«

Patrick lächelte warm. »Hab ich.«

»Tja, es ist sehr gut.« Ich schaffte es nicht einmal, verlegen zu sein. Ich war zu hungrig und das Essen war verdammt noch mal zu lecker.

»Ich freue mich, dass es dir schmeckt.« Er erwiderte meinen Blick und nach einer Weile deutete er mit seiner Gabel auf meinen Teller. »Möchtest du nicht weiteressen?«

Oh richtig. Ich war dabei hängen geblieben, ihn anzusehen. Ich langte zu und verschlang den ganzen Teller. Dabei bemühte ich mich, nicht zu schnell zu essen, damit er nicht den Eindruck gewann, dass ich am Verhungern war.

»Möchtest du eine zweite Portion?«, fragte er und schob seinen Teller von sich.

»Nein, danke.« Ich tätschelte meinen Bauch. »Kohlenhydrate. Puhhh.« Ich stieß die Luft aus. »Ich bin voll.«

Er lächelte auf jene warmherzige Weise, die seine Augen glänzen ließ. »Tja, ich bin froh, dass ich zu viel gemacht habe.«

Ich stand auf und nahm beide Teller. »Lass mich abwaschen.«

Patrick trat zu mir an die Spüle, aber nicht zu nah. »Das musst du nicht machen.«

»Ist nur fair.« Ich ließ heißes Wasser einlaufen und entdeckte das Spülmittel unter der Spüle. Patrick holte ein Geschirrtuch und nach ein paar Minuten hatten wir alles erledigt. Während wir Seite an Seite standen, ging mir auf, dass er gut roch, aber vor allen Dingen, dass ich mich in seiner Gegenwart behaglich fühlte, obwohl er deutlich größer war als ich. Er strahlte eine Aura von Trost und Wärme aus, die nichts mit dem Strickpullover zu tun hatte, den er trug.

»Danke«, sagte er, sobald wir fertig waren.

Ich lehnte mich mit dem Hintern gegen den Tresen und lächelte ihm zu. »Danke. Für alles.«

»Jederzeit.« Er faltete das Geschirrtuch ordentlich und legte es neben sich. Und bevor er noch etwas sagen konnte, marschierte Tabby in die Küche, stellte sich vor uns und streckte sich. Dann starrte sie Patrick an und miaute lauthals.

»Oh, hör auf zu nörgeln. Du hast genug Futter«, sagte Patrick zu ihr. Er verdrehte die Augen und hob sie hoch, um sie wie ein Baby in den Arm zu nehmen. Klar, sie war überhaupt nicht verwöhnt. Sie sah mit süffisanter Befriedigung zu mir herüber, als wollte sie sagen: Seine Aufmerksamkeit gehört ganz mir, nicht dir. Ich konnte nicht anders, als zu lächeln und sie zu streicheln. Sie rieb sich an meiner Hand. »Sie hat dich gut erzogen.«

 

Patrick lachte leise. »Ich weiß, ich bin ein Weichei. Aber sie leistet mir gute Gesellschaft.«

Mit meiner Hand über Tabby hinwegzufahren und dabei kaum spürbar über seine Brust zu streichen, fühlte sich merkwürdig persönlich an. Besonders in der Stille seines Hauses und wenn man bedachte, wie dicht ich neben ihm stand. Widerstrebend zog ich meine Hand zurück und trat einen Schritt nach hinten. Ich vermisste die Nähe sofort, war jedoch hingerissen, dass mein Herz auf gute Weise schneller schlug. So etwas hatte ich seit langer, langer Zeit nicht empfunden.

»Ich sollte vermutlich gehen«, murmelte ich.

Patrick sah mir direkt in die Augen und brachte mein Blut in Wallung. »Wenn du möchtest.«

Ich wollte nicht, aber länger zu bleiben, war zu riskant. Ich zwang mich, den Blickkontakt zu unterbrechen, ging hinüber zum Sofa, auf dem ich meinen Rucksack und meine Jacke gelassen hatte, und nahm beides an mich. »Ich kann laufen. Kein Problem.«

Er holte seine Schlüssel. »Bitte lass mich dich fahren. Ich habe dich abgeholt, da ist es nur richtig, dass ich dich nach Hause bringe.«

Wie bei einem Date.

Es hätte mich wirklich nur zehn oder fünfzehn Minuten gekostet zu laufen, aber ich mochte Patrick. Ich fühlte mich bei ihm sicher und er bot es an. »Okay.«

Sofort lächelte er. Dann setzte er Tabby behutsam auf den Sessel und kam zu mir, um seinen Mantel zu holen. Er kam mir recht nah, aber ich hatte den Eindruck, dass er merkte, dass ich nicht gern von Menschen bedrängt wurde. Daher ließ er mir so viel Platz wie möglich. Es gefiel mir, dass er mich lesen konnte, und es gefiel mir, dass er wollte, dass ich mich wohlfühlte. Anton hatte einen Scheiß darauf gegeben, was ich wollte…

Ich schüttelte jeden Gedanken an ihn ab und setzte meine neue Mütze auf, hielt die Handschuhe jedoch fest. Ich nahm meinen Rucksack und als ich zu Patrick aufsah, schenkte er mir ein Lächeln. »Fertig?« Mit nicht mehr als einem Nicken öffnete er die Tür und der bitterkalte Wind schlug uns draußen entgegen.

»Ist es in deinem Wohnwagen warm genug?«, fragte er, als wir zum Auto gingen.

»Ja, alles bestens.« War es eigentlich nicht, aber der kleine Heizlüfter und die Decken hielten mich nachts warm genug. Aber das erzählte ich ihm nicht. Es war mein Problem, nicht Patricks. Und überhaupt war ich schon schlechter untergekommen. Ich hatte einige kalte Nächte auf der Straße verbracht, im Vergleich dazu war der Wohnwagen ein Palast. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz, dankbar, dem Wind entkommen zu sein, und schnallte mich an. »Ich meine, er ist nicht riesig und vermutlich älter als ich, aber er ist sauber und trocken.«

Patrick legte seinen Sicherheitsgurt an und startete den Motor. Er drehte die Heizung auf und lächelte mir zu, als er zurücksetzte. Er musste eine Hand auf meine Rückenlehne legen, sodass er über die Schulter schauen konnte, und mein Bauch verkrampfte sich. Er berührte mich beinahe…

Der wirklich beängstigende Punkt war, dass ich es wollte. Es war so lange her, dass mich jemand berührt oder auch nur ein Gespräch mit mir geführt hatte. Vielleicht lag es daran: Meine Einsamkeit machte mich verzweifelt.

Ich hatte seit Ewigkeiten nicht gewollt, dass man mich auch nur ansah, geschweige denn berührte. Aber etwas in mir wollte sich an Patricks Brust lehnen und ihm erlauben, mich festzuhalten. Ich war mir sicher, dass sich diese langen, kräftigen Arme wie der Himmel anfühlen mussten…

»Aubrey?«

Ich warf ihm einen Blick zu. »Ja? Entschuldige.« Dann ging mir auf, dass wir bereits den Campingplatz erreicht hatten. »Oh.« Ich war mir sicher, dass die Enttäuschung in meiner Stimme nicht unbemerkt blieb.

Er grinste ein bisschen, also ja, er hatte es bemerkt. »Ich habe dich gefragt, ob du dir mal die Seebären anschauen möchtest? Sie gehen ein Stück südlich von hier an Land, also müssen wir den Wagen nehmen.«

»Oh, klar. Das würde mir sehr gefallen.«

Er atmete langsam aus und da fiel mir auf, dass er die Hände rang, als wäre er nervös. »Okay, dann suchen wir uns irgendwann einen Termin.«

Ich nickte. Kein Druck. Er war wirklich gut darin, mich nicht unter Druck zu setzen. »Klingt gut. Ich muss morgen damit anfangen, die sanitären Einrichtungen zu sanieren, und ich vermute, das wird ein paar Tage dauern.«

»Ich bin mir sicher, dass Frank nichts dagegen haben wird, wenn du dir einen Nachmittag freinimmst. Hier passiert nichts so richtig schnell, daher wird er es vermutlich nicht einmal bemerken.« Er sah aus dem Fenster, sodass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. »Und wenn du es ein oder zwei Tage hinauszögerst, musst du länger bleiben, stimmt's?«

Wollte er, dass ich länger blieb? Es klang jedenfalls sehr danach.

»Ich würde gern hierbleiben«, gab ich zu. Ich wollte einen Ort finden, an dem ich für immer bleiben konnte. Wieder einen Sinn für Normalität entwickeln und aufhören, über die Schulter zu schauen.

Ich hoffte, dass es eines Tages dazu kommen würde, auch wenn ich tief in meinem Innern wusste, dass es unmöglich war. Ich hatte mich für dieses Leben entschieden. Letztendlich war es allein meine Entscheidung gewesen wegzurennen. »Du hältst mich vermutlich für verrückt, weil ich das sage.«

Er drehte mir das Gesicht zu und sein Lächeln wirkte nun aufrichtiger. »Diese kleine Stadt ist nicht so übel. Sie liegt weit genug vom Rest der Welt entfernt, um perfekt zu sein.«

»Das ist irgendwie der Grund, warum ich sie mir ausgesucht habe«, sagte ich. Dann fiel mir auf, dass ich das vermutlich besser gelassen hätte.

Er nahm diesen winzigen Informationsfetzen und wieder verzichtete er darauf, weitere Fragen zu stellen, obwohl es die perfekte Gelegenheit gewesen wäre. »Gibt es irgendwelche Tage im Monat, die besser geeignet sind, um sich die Sterne anzuschauen? Nach Mondphasen oder so?«

Ich brauchte einen Moment, um das Thema zu wechseln. »Eh, ja. Neumond ist am besten geeignet, um sich die Sterne anzuschauen.«

»Also ganz ohne Mond.« Patrick dachte kurz darüber nach, dann verzog er das Gesicht. »Ergibt Sinn, schätze ich.«

Ich lachte leise. »Aber ehrlich gesagt ist jeder Zeitpunkt gut. Einige sind nur etwas besser als andere.«

»Nächste Woche ist Neumond«, sagte er.

»Und das weißt du auswendig?«

»Gezeitenkalender.«

»Oh, natürlich.« Ich verdrehte über mich selbst die Augen. »Hätte ich mir ja denken können.«

»Also, wie wäre es, wenn ich mir die Wettervorhersage anschaue? Wenn wir das Glück haben, dass es an Neumond klaren Himmel gibt, könnte ich mit dir auf die Galerie gehen.«

»Die Galerie?«

»An der Spitze des Leuchtturms.«

»Oh.« Bestimmt wurde ich rot. »Natürlich.«

Patrick lachte und mir fiel im Dämmerlicht auf, dass ein Grübchen seinen Bart beschattete, wenn er so lächelte. »Ich habe nicht erwartet, dass du dich mit den Begrifflichkeiten auskennst.«

»Du kannst sie mir beibringen«, sagte ich. »Wenn du mich nächste Woche mit nach oben nimmst.«

Wieder lächelte er und nickte. »Okay. Ich mache uns zum Abendessen ein Picknick und wir können oben essen. Du kannst dir die Sterne anschauen, solange du magst.«

»Das klingt… unglaublich. Danke.« Ich legte die Hand auf den Türgriff, um auszusteigen, hielt jedoch inne.

Ich war mir nicht sicher, was die Etikette verlangte. Er hatte mir Abendessen gemacht und mich nach Hause gefahren. Küsste ich ihn also auf die Wange? Ich wollte mich nicht über die Mittelkonsole lehnen, was sowieso schon unbequem gewesen wäre, nur damit er mich wegschubste oder etwas ähnlich Schreckliches tat. Also beließ ich es dabei zu sagen: »Danke noch mal, für das Abendessen und die Mütze. Und ich freu mich darauf, mir die Seebären anzuschauen. Und den Leuchtturm.«

»Ich auch«, erwiderte er. Doch dann sah er irgendwie traurig drein, sodass ich sehr froh war, dass ich nicht versucht hatte, ihn zu küssen.

»Ich seh dich demnächst.« Ich wartete nicht auf eine Antwort, öffnete einfach die Tür, schoss hinaus in den böigen Wind und rannte zu meinem Wohnwagen. Ich schloss auf, stieg schnell die Stufen hoch und zog die Tür hinter mir zu. Mein Herz raste.

Der vertraute, moderige Geruch von altem Bettzeug und Staub kam mir entgegen. Aber es war sauber. Ich hatte selbst geputzt, sobald ich den Wohnwagen das erste Mal betreten hatte. Er war trocken, das war keine Lüge gewesen, aber der Wind heulte draußen und die Kälte kroch durch die dünnen Wände und Fenster. Ich drehte den Heizlüfter auf und zog meine Jacke aus, hängte sie in den kleinen und einzigen Schrank. Meine Handschuhe legte ich auf den kleinen Tisch, behielt meine Mütze jedoch auf dem Kopf. Dank ihr war mir bereits wärmer.

Dank Patrick.

Oh Mann, der heutige Abend war interessant gewesen. Ich war nervös gewesen, bevor ich losgezogen war, aber er hatte mich bald beruhigt. Er war ein netter Kerl, sehr großzügig und freundlich und auf ebenso schroffe Weise gut aussehend wie die Küste, die er sein Zuhause nannte. Und er war schwul.

Nachdem ich mich geoutet und fatalerweise verkündet hatte, dass ich keinen Sex gegen Gefälligkeiten eintauschte, war er nicht beleidigt gewesen, nicht einmal kritisch. Seine einzige Sorge hatte mir gegolten. Er hatte nicht nachgebohrt, hatte mich nicht unter Druck gesetzt.

Aber in Patricks Augen lag eine untergründige Traurigkeit und obwohl ich wissen wollte, was dahintersteckte, würde ich ihn meinerseits nicht bedrängen.

Ich wartete, bis der Heizlüfter für eine erträgliche Temperatur gesorgt hatte, zog mich aus und schlüpfte ins Bett. Die Matratze war hart und ich musste quer liegen, um überhaupt ins Bett zu passen, aber es war ganz sicher besser als einige andere Orte, an denen ich übernachtet hatte.

Der Schlaf blieb mir eine Zeit lang verwehrt. Draußen heulte der Wind und meine Gedanken kehrten zu Patrick zurück. Ich stellte ihn mir in seinem warmen, kleinen Haus vor. Ich wettete, dass sein Bett groß, weich und gemütlich war und außerdem, dass er sich in eine Unmenge von Decken gekuschelt hatte.

Ich fragte mich, ob die Katze Tabby an seinem Fußende schlief und ob er nackt oder im Pyjama schlafen ging. Und auch, wenn es um mein Leben gegangen wäre: Ich konnte nicht sagen, was heißer gewesen wäre.

Die Tatsache, dass ich auch nur über diese Dinge nachdachte, hätte eine Alarmglocke in meinem Kopf schrillen lassen sollen. Es hätte mich dazu bringen sollen, so schnell wie möglich in die andere Richtung davonzustürmen. Aber das Einzige, was ich in meinem Kopf hörte und sah, waren sein warmes, leises Lachen und seine freundlichen Augen, wenn er lächelte. Und der einzige Ort, zu dem ich laufen wollte, war der, an dem er sich befand.

Ich stellte mir vor, bei ihm im Bett zu liegen. Ich stellte mir seine Wärme vor, seine starken Arme um mich. Das Haar auf seiner Brust würde weich sein und mich an der Nase kitzeln, wenn ich meinen Kopf in seine Armbeuge legte. Aber er würde mich eng an sich ziehen und mir den Rücken reiben und sanft sein. Er würde mich berühren, als hätte er Angst, dass ich zerbrechen könnte, und er würde niemals im Zorn seine Hand heben.

Gewärmt von allein diesen Gedanken schlief ich ein.

***

Den größten Teil der nächsten beiden Tage verbrachte ich damit, die sanitären Einrichtungen zu reparieren. In erster Linie machte ich sauber, entfernte zerbrochene Fliesen, ersetzte sie durch neue und reparierte sogar einen kaputten Wasserhahn. Ich entfernte einen Teil des verdächtig aussehenden Gitterwerks und ersetzte es mit Holzverkleidungen in dem Versuch, das Gebäude ins einundzwanzigste Jahrhundert zu bugsieren.

Wenn ich irgendjemandem aus meinem alten Leben erzählt hätte, wozu ich inzwischen fähig war, hätte man mich ausgelacht. Mein altes Ich – Ethan Hosking – konnte kaum unfallfrei eine Glühbirne wechseln. Nun arbeitete ich mit Akkubohrern und -sägen, führte einfache Klempner- und Zimmermannsarbeiten aus. Es war unglaublich, wozu ich in der Lage war, wenn ich keine andere Wahl hatte.

Ich hatte gerade am Gartenbeet angefangen, das sich an der Rückseite von Franks Haus entlangzog, als ich tiefes, donnerndes Gelächter hörte. Ich drehte mich um und stellte fest, dass Patrick sich mit Frank unterhielt und irgendetwas lustig fand. Ich setzte mich auf die Fersen und ließ mir einen Moment Zeit, um meinen Rücken zu dehnen. Ich spürte jeden verkrampften Muskel, als ich mich aufrichtete.

Patrick bemerkte mich und lächelte mir zu. Frank deutete mit einem verkrümmten Finger auf das Beet.

 

»Was hast du gegen meine Kräuter?«, fragte er mit einem Lächeln auf den Lippen. »Es hat mich Jahre gekostet, den Boden steinhart zu bekommen, und ausgerechnet jetzt, wo ich den Pflanzen endlich beigebracht habe, sich um sich selbst zu kümmern, reißt du sie raus.«

Besagte Pflanzen waren nichts anderes als Unkraut, Gras und Disteln. »Ich habe ja schon von Naturgärten gehört, aber das hier geht ein bisschen weit.«

Frank grinste und humpelte davon, sodass nur Patrick lächelnd zurückblieb. »Hey.«

Ich versuchte, sein Lächeln nicht zu breit zu erwidern. »Selber hey.«

»Warst fleißig, wie ich sehe«, meinte er und sah hinüber zum Waschhaus und den frisch geölten Holzpaneelen, die einen Gang zur Männerseite des Gebäudes bildeten. »Sieht gut aus.«

Ich wischte meine Hände ab. »Danke.«

»Du kannst also gut mit deinen Händen umgehen«, meinte er. Die Zweideutigkeit ließ seine Augen funkeln.

Ich spielte mit. »Unter anderem.«

Er grinste und schaute beiseite. Er sah heute besonders gut aus. Er trug marinefarbene Arbeitshosen und einen dunkelgrauen Wollpullover, der zu den grauen Stellen in seinem Bart passte. Mütze hatte er keine auf, sodass der Wind in seinem kurzen Haar spielte, aber der blaue Himmel betonte seine Augen. »Anscheinend sind die Seebären alle an Land gekommen. Die See ist heute ein bisschen rau.«

»Na, wenn der Wind irgendein Hinweis ist«, sagte ich. Dann erinnerte ich mich an seine Einladung. »Oh, sollten wir heute hinfahren?«

Er nickte. »Falls du hier zu tun hast, ist es nicht schlimm. Die Seebären kommen jeden Tag an Land, aber heute offenbar in größeren Mengen.«

»Nein, ich bin nicht zu beschäftigt.« Ich betrachtete den Garten. »Ein Tag mehr oder weniger macht hier keinen Unterschied, glaub mir.«

Patrick kam zu mir herüber und betrachtete das Beet. »Sieht nach einem hoffnungslosen Fall aus.«

»Nee, das wird schon. Braucht nur ein bisschen liebevolle Aufmerksamkeit.«

Er nickte langsam. »Ja. Wie alle Dinge, schätze ich.«

Ich suchte seinen Blick. Ich war mir ziemlich sicher, dass er von mir sprach. Oder vielleicht von sich selbst. »Ja, denke schon.«

»Also? Sollen wir uns heute die Seebären anschauen? Oder ein anderes Mal?«

»Heute. Aber ich bin noch nicht fertig.«

Er zuckte die Schultern. »Schon in Ordnung. Ich warte. Ich kann in einer Stunde oder so wiederkommen und…«

Gott, er sagte das, als wäre es keine große Sache.

Patrick ist nicht Anton.

»Gib mir einen Moment, um mich fertig zu machen.« Ich lief zum Waschhaus, wusch mir die Hände und die Arme, so weit es mir die Ärmel erlaubten. Dann schrubbte ich mir Gesicht und Hals und spülte Schmutz und Schweiß ab. Es war zwei Uhr. Ich hatte bereits einen ganzen Arbeitstag hinter mir, hatte nur zwischendurch schnell ein Sandwich und einen Apfel gegessen. Also kroch ich in meinen Wohnwagen, wechselte das Hemd, frischte mein Deo auf, stürzte ein Glas Wasser herunter, zog den Pulli über, schnappte mir meine Mütze, Handschuhe und Jacke und zog die Tür hinter mir zu.

Patrick wartete an seinen Wagen gelehnt und er lächelte, als er mich sah. »Fertig?«

»Ja. Entschuldige, dass ich dich habe warten lassen.«

»Kein Problem. Du hast keine zwei Minuten gebraucht.« Er setzte sich hinters Steuer und ich war froh, der Kälte entrinnen zu können, als ich neben ihm Platz nahm.

Es kümmerte ihn nicht einmal, dass ich ihn hatte warten lassen. Ganz anders als Anton.

»Mein Gott, der Wind ist heute heftig«, sagte ich.

Patrick passte sofort die Lüftung an, sodass der Luftstrom auf mich gerichtet war, dann drehte er die Heizung auf. »Ist dir warm genug?«

Ich wollte nicht, dass er sich um mich sorgte, aber irgendwie gefiel es mir, dass er es tat. »Ja, danke.«

Er lenkte den Wagen auf die Küstenstraße, bog links ab und folgte dem Küstenverlauf nach Süden. Genau wie Patrick gesagt hatte, war das Meer von einem bewegten, trüben Grau mit weißen Schaumkronen. Es sah kalt, rau und gefährlich aus. Kein Wunder, dass sich die Seebären nicht darin aufhielten. »Himmel. Ist gerade nicht so hübsch dort draußen.«

Patrick lachte. »Ja, sie hat heute Hummeln im Hintern.«

Das ließ mich lächeln. »Fahren die Boote bei dem Wetter raus? Du hast erwähnt, dass Cassys Dad Fischer ist.«

Patricks Kiefer spannte sich an und seine Augen verengten sich. »Ja. Nicht von Hadley aus. Die Felsenriffe machen das unmöglich. Die Fischerboote legen nördlich von hier an, näher an Stokes Bay. Oder weiter im Süden, Richtung Vivonne Bay. Aber ja, an den meisten Tagen fahren sie raus. Es muss schlimmer kommen als das hier, um sie zu bremsen.«

Nun, ich hatte in den vier Jahren, die ich mit Anton zusammengelebt hatte, viel gelernt. Körperliche Reaktionen sagten immer mehr als Worte. Ich hatte gelernt, dass Anton mir sagen konnte, dass er mich liebte, mir sagen konnte, dass es ihm leidtat und er mir nie wieder wehtun würde, aber die Kälte seiner Augen oder der Zug um seinen Mund sagten das Gegenteil.

Patrick konnte den ganzen Tag lang über die stürmische See und Fischerboote reden, aber es schmerzte ihn, es zu tun. In seinen Gewässern zeigte sich ein Strudel, ein Unterton, der die ruhige Oberfläche Lügen strafte.

Und nach all den Jahren, in denen ich so gelebt hatte, war ich Experte darin, das Thema zu wechseln, um einer Konfrontation oder einem Gespräch, für das ich nicht bereit war, aus dem Weg zu gehen. »Also, diese Seehunde… Zu welcher Art gehören sie?«

Patrick stieß erleichtert die Luft aus, so sehr er es auch zu verbergen versuchte. Dann stürzte er sich in eine Beschreibung von Seebären und -löwen, erklärte ihre Wanderbewegungen, ihr Fortpflanzungsverhalten und ihre Ernährungsgewohnheiten. »Die meisten Touristen werden sich auf den Weg zur Seal Bay machen, weil sie besser zugänglich ist«, sagte er. »Daher werden wir uns nördlich von ihr halten, damit wir einen etwas privateren Ausblick haben.«

Er bog auf einen Trampelpfad von einer Straße ein und folgte ihr ein paar Minuten, bevor er in einer Sackgasse anhielt. »Das ist der Zugang, den die Ranger und Naturschutzstudenten benutzen«, erklärte er. Dann grinste er mich an. »Bereit?«

Ich nickte und wir stiegen aus. Bereit, mir die Seebären anzusehen, ja. Bereit für den beißenden Wind? Nicht so sehr. »Heilige Scheiße«, murmelte ich, während ich mir Handschuhe und Mütze überzog.

Patrick tat dasselbe. »Ja, so ist es leider.« Er deutete auf einen sandigen Pfad, der sich durch niedriges Buschwerk wand. »Dort entlang.«

Ich folgte ihm durch einen Teppich widerstandsfähiger Vegetation, nicht höher als unsere Knie. Genau genommen gab es an der Südwestküste kaum Bäume. Und angesichts der Stärke und Temperatur des Windes wunderte mich das nicht. Es wirkte, als würde sich in diesem Teil der Insel alles – Pflanzen, Tiere, Menschen – hinkauern, um sich zu schützen.

Doch bald drang das Geräusch ankommender Wellen durch den heulenden Wind. Als wir die Kante des Bewuchses erreichten, begann Patrick, die Felsen hinunterzuklettern, die auf die kleine Ausbuchtung eines Sandstrands mit großen, flachen Felsbrocken trafen; abgenutzt vom Meer und der Zeit. Er fand einen Felsen, der groß genug für uns beide war, und setzte sich. Mit einem Lächeln lud er mich ein, es ihm nachzutun. Der Platz war bedingt vom Wind geschützt, aber nicht sehr, auch wenn es nicht wirklich darauf ankam – denn vor uns befand sich eine Gruppe Seebären.

»Wow«, sagte ich und setzte mich neben ihn. Unsere Schultern berührten sich, aber es schien ihn nicht zu stören.

Der kleine Strand und die umliegenden Felsen waren übersät von fellbedeckten Gestalten. Einige hielten den Kopf in die Höhe, um einen Anflug von Sonnenschein zu erhaschen, aber die meisten hatten sich einfach irgendwo fallen lassen. »Es sieht aus, als hätte die Flut ein einziges Durcheinander aus Pelzkugeln hinterlassen.«