Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses

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4.5 Sprache als Kommunikationsmittel

Philon sieht Adam als den Urheber der Kommunikation an. Er muss der „ἀρχὴ τοῦ διαλέγεσθαι“1 (Grund der mündlichen Verständigung) sein, da er die Namen geschaffen hat, die für eine gemeinsame Verständigung notwendig sind. Der in Adam gelegte Grundstein der Kommunikation ist für alle Zeiten vorhanden. Ausgehend von Conf § 9–13 können verschiedene Komponenten der Kommunikationsfunktion von Sprache sichtbar werden.

Vorab einige Bemerkungen zum Kommunikationsbegriff: Der Begriff stellt die latinisierte Form der griechischen Lexeme ἀνακοίνωσις bzw. κοινωνία dar und umfasst die Bedeutungen von Verkehr, Gemeinschaft, Austausch oder Mitteilung. Bereits in der antiken Rhetorik handelt es sich um einen Terminus technicus.2 Der antike Kommunikationsbegriff ist umfassend. Unter Kommunikation werden Reisen und Handelsgeschäfte, Bank- und Briefverkehr, aber auch Schulen, Mysterienkulte, Vereine und Synagogen subsumiert.3 Die Theorie von der Sprache als Kommunikationsmittel ist in der Stoa verankert. Die Stoiker sehen Sprache als Erzeugnis des λόγος, der durch die Wörter ein Verständigungsmittel schafft, das für das Zusammenleben von Menschen erforderlich und nützlich ist.4 Lewandowski definiert Kommunikation auf der Basis der gegenwärtigen Linguistik analog als „[z]wischenmenschliche Verständigung, reflexives sprachliches Handeln, intentionales Mitteilen von Zeichen“5. Im Folgenden wird untersucht, wie diese Verständigung zwischen Menschen für Philon aussieht und welche Auswirkungen und Ziele sie haben kann.

In Conf § 9 beginnt Philon mit der Beschreibung einer ‚negativen’ Kommunikationsfunktion von Sprache: Kommunikation unter Menschen kann zu schlechten Taten führen. Deshalb wurde – so versteht man doch im Allgemeinen den Text „Turmbau zu Babel“ – die Sprachgemeinschaft aufgelöst. Ab Conf § 10 wird diese ‚negative‘ Funktion widerlegt. Das gelingt Philon, indem er den Standpunkt der Gegner ausführlich darstellt: Nicht Sprache führt zu Übeln, sondern die schlechten Neigungen der Seele. Die These wird damit begründet, dass ja nicht nur durch Sprache Schlechtes entstehen kann, sondern auch durch Mimik und Gestik.6 Philon geht im weiteren Verlauf der Argumentation nicht auf diese Formen der Verständigung ein, sondern konzentriert sich auf die Sprache. Wer sich der Sprache bedient, kann seinen Willen kundtun. Somit kann Sprache als Mittel zur Meinungsäußerung verwendet werden. Die Willensbekundung eines Einzelnen kann in ein Gespräch münden, wenn eine weitere Person auf die Aussage der ersten reagiert. Sprache ermöglicht die Äußerung von Meinungen und damit eine Kommunikationssituation, an welcher verschiedene Gesprächspartner teilnehmen können. In den Gesprächen können Menschen in einen Austausch über gemeinsam Erlebtes treten. Gesprächsgegenstand können gemeinsame Handlungen und Erfahrungen der Vergangenheit und der Gegenwart sowie Erwartungen oder Pläne der Zukunft sein.7 Es entsteht dadurch die Möglichkeit, anderen Personen etwas über die eigene Persönlichkeit, vergangene oder gegenwärtige Stimmungen und Erlebnisse mitzuteilen, indem man diesen Erlebnissen durch Sprache Ausdruck verleiht. Philon beschreibt in Conf § 7 die Fabel von der Gleichsprachigkeit der Tiere, die der Erzählung des Turmbaus zu Babel ähneln soll. Die Tiere verständigen sich über ἡδονή8 und ἀηδία. Dies gilt analog für die Menschen. Indem sie Freude, aber auch Unangenehmes miteinander teilen, bringen sie durch Sprache Emotionen9 zum Ausdruck.10 Sprache schafft also eine Kommunikationssituation, die einen Austausch über Erlebtes, auch über Emotionen, ermöglicht.11 Wenn sich eine bestimmte Personengruppe über gemeinsam Erlebtes verständigt, erlangt sie Kenntnisse und Erfahrungen, die sie verbindet und über die sie in ihrem weiteren Zusammenleben verfügen kann. Jan Assmann unterscheidet zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis. Im sog. kulturellen Gedächtnis werden Erinnerungen gespeichert, die nicht der faktisch stattgefundenen Geschichte entsprechen, sondern hauptsächlich Mythen beinhalten und häufig einen religiösen und sakralen Charakter haben.12 Das kommunikative Gedächtnis „umfaßt Erinnerungen, die sich auf die rezente Vergangenheit beziehen. Es sind Erinnerungen, die der Mensch mit seinen Zeitgenossen teilt.“13 Dies geschieht hauptsächlich in alltäglichen Kommunikationssituationen und in einem informelleren Rahmen als es für die Tradition der Inhalte des kulturellen Gedächtnisses der Fall ist.14 Das kommunikative Gedächtnis ermöglicht Aussagen über die Vergangenheit, insbesondere „Geschichtserfahrungen im Rahmen indiv[idueller] Biographien“ 15. „Otte spricht davon, dass die Sprache (…) die Seinsauslegung der Väter zur Geltung [bringt]“16. Dies erklärt Philon anhand der Therapeuten und Essener. Sprache ist für die Essener das Element, das sie mit ihren Vätern und deren Tradition verbindet und zugleich dasjenige, das sie zum heutigen Verstehen führt.17 Die Therapeuten werden durch ihre Gesetze zur Erkenntnis des (Gottes-)Seins geführt. Diese Erkenntnis bedingt ihre Lebensführung, die Philon als ideale Gemeinschaft bezeichnet. Die Essener hingegen werden von den Gesetzen zur idealen Gemeinschaft geleitet und erlangen auf diese Weise Gotteserkenntnis. Die beiden Wege unterscheiden sich nur in geringen Nuancen, letztlich wird hier mit dem Prinzip des hermeneutischen Zirkels gearbeitet. Das Gesetz führt in der Gegenwart zur idealen Lebensgemeinschaft, die Lebensgemeinschaft wiederum zum richtigen Gesetzesverständnis und dieses zu einer richtigen Wirklichkeitsauffassung.18 So hat Kommunikation die Funktion, eine Verbindungslinie zur Vergangenheit herzustellen und Traditionen älterer Generationen zu bewahren und weiterzugeben.19 Lewandowski bezeichnet diesen Aspekt der Kommunikationsfunktion als „Übertragung und Verarbeitung von Information“20. In der Weitergabe von bestimmten Informationen wird die Relevanz der Kommunikation über Vergangenes für die Gegenwart aufgezeigt. Es entsteht ein gemeinsamer Wissenfundus, an dem durch ständige Kommunikation ‚weitergebaut’ werden muss, damit er für das Zusammenleben fruchtbar gemacht werden kann. Kweta betont gerade die Weiterentwicklung, die durch Kommunikation entsteht:

[D]as Verständnis von Sprache [kann] sich wandeln, weil sich das Verständnis der Dinge wandeln kann, so daß ursprünglich in der Sprache Bewahrtes dem Bewußtsein nicht mehr gegenwärtig ist und das Bewußtsein eine veränderte, modifizierte Auffassung des ursprünglich in der Sprache Bewahrten mit der Sprache verbindet und mit ihr gegenwärtig machen will.21

Eine solche Veränderung ergibt sich immer durch den Menschen, indem er sich in sprachlichen Äußerungen artikuliert.22 Otte spricht bezüglich dieser Funktion der Sprache von der Verständigung über das Sein.23 Sprache wird zum Ausleger des Seins,24 indem sich Menschen in einen Austausch über all das, was Teil ihres Lebens ist, begeben. Sprache nimmt dabei die Stellung eines ἑρμηνεύς ein: Sie trägt zum Verstehen des Seins bei und ist so im Sprachmodus Heideggers „Lichtung des Seins“25. Die Kommunikationsfunktion der Sprache besteht somit nicht nur in einem Austausch, der eine bloße Verarbeitung von Erlebtem mit sich bringt, sondern ermöglicht Realitätsbewältigung,26 eröffnet einen neuen Zugang zur eigenen Persönlichkeit, zum Verstehen der Welt und bereitet letztlich auch den Weg zur Gotteserfahrung.

Die Kommunikation zwischen Menschen hat weitere Wirkungen. Zum einen bewirkt die Verständigung zwischen Personen Trost:

ὅς γε, κἂν σφαλῇ πείρας ἐν οἷς διανοεῖται ἢ ἔργῳ ἐπεξέρχεται, [ἢ] ἐπὶ τὸ τρίτον ἀφικνεῖται βοήθημα, παρηγορίαν. φάρμακον γὰρ ὡς τραυμάτων, καὶ ψυχῆς παθῶν ὁ λόγος ἐστὶ σωτήριον (…). (Som I § 112)

Denn wenn sie [die Sprache] bei dem Unternehmen scheitert, das sie beabsichtigt oder durch die Tat ausführt, kommt sie auf das dritte Hilfsmittel: den Trost. Denn wie eine Arznei für Wunden, so ist die Sprache ein Heilmittel für Leiden der Seele (…). (Som I § 112)

Sprache wird so zum Heilmittel für seelisches Leiden.27 Mit der παρηγορία bringt die Kommunikation eine weitere Funktion mit sich, die den Austausch von gemeinsam Erlebten zugleich zu einem Verarbeitungsprozess macht.

Zum anderen wird in Conf § 12 ein praktischer Aspekt der Kommunikation deutlich, die Abwehr von Gefahren durch frühzeitige Verständigung. Dieser Aspekt steht in engem Zusammenhang mit der Sprache als Element, das eine Gemeinschaft konstituiert.28 Es wird betont, dass die Menschen durch nichts so sehr vor Übeln geschützt werden als durch die gemeinsame Sprache.29 Ist man der Sprache der Fremden nicht mächtig, kann es zu Angriffen kommen, die nicht abgewehrt werden können; die Kenntnis der Sprache hingegen ermöglicht die Abwehr solcher Vorhaben, da man die angreifenden Personen verstehen und darauf reagieren kann, indem man sich gegenseitig verständigt und Maßnahmen zur Abwehr ergreift. Sprache wird hier beschrieben als Kommunikationsmittel zur Vermeidung schlechter Taten. Nach Som I kann Sprache ihre Funktion außerdem als Verteidigungsmittel in verbalen Auseinandersetzungen erfüllen, beispielsweise in Streitgesprächen mit den Sophisten.30 Philon bezeichnet die Sprache in Som I § 103 als Verteidigungswaffe (ὅπλον ἀμυντήριον), die gegen Aufrührer eingesetzt werden kann. Da das Wort seinsgemäß und echt ist, kann es nur in einer Art und Weise verstanden werden. Auch die Sophisten werden die Echtheit des Wortes und das dahinter verborgene Sein erkennen, wenn sie es als solches annehmen.31 An dieser Stelle ist besonders auf die Voraussetzung der Eindeutigkeit der Sprache hinzuweisen. Sie gilt letztlich für die gesamte Kommunikationsfunktion; nur wenn Sprache eindeutig und klar ist, kann eine wahre und sinnvolle Kommunikation stattfinden.32 Das Wort der Sophisten kann mit den Ziegeln zum Bau der Stadt Babel verglichen werden. Durch das Feuer werden die Ziegel hart, dementsprechend stabilisieren sich die Untugenden in der Sprache. So wie der Ziegel hart und damit der Turm gebaut wird, entstehen auch die schlechten Tugenden. Die Turmbauer tragen dazu bei, die Gerechtigkeit und die Tugend zu verderben. Es besteht aber trotzdem Hoffnung:33

 

τὸ δ’ ὁμόφωνον καὶ ὁμόγλωττον οὐκ ἐν τοῖς ὀνόμασι καὶ ῥήμασι μᾶλλον ἢ ἐν τῇ τῶν ἀδίκων πράξεων κοινωνίᾳ βουλόμενος ὁ φαῦλος ἐπιδείξασθαι πόλιν ἄρχεται καὶ πύργον (…) κακίᾳ κατασκευάζειν, καὶ τοὺς θιασώτας πάντας παρακαλεῖ τοῦ ἔργου μετασχεῖν τὴν ἁρμόττουσαν προευτρεπισαμένους ὕλην· ‚ἴτε’ γάρ φησι ‚πλινθεύσωμεν πλίνθους καὶ ὀπτήσωμεν αὐτὰς πυρί’ (Gen. 11,3), ἴσον τῷ νῦν ἐστιν ἡμῖν συμπεφορημένα καὶ συγκεχυμένα τὰ πάντα τῆς ψυχῆς, ὡς ἐναργῆ τύπον μηδένα μηδενὸς εἴδους προφαίνεσθαι. ἐπεὶ δὲ (…) ἡ ἄσφαλτος εἰς πηλὸν μετέβαλεν, οὐκ ἀθυμητέον· ἐλπὶς γάρ, ἐλπὶς τὰ βέβαια τῆς κακίας ἐρείσματα κράτει θεοῦ διακοπῆναι. (Conf § 83f.104)

Da aber der Schlechte will, daß die Gleichsprachigkeit und Gleichzüngigkeit nicht sowohl in den Namen und Worten als in der Gemeinsamkeit der rechtswidrigen Handlungen zutage trete, fängt er an, eine Stadt und einen Turm (…) der Schlechtigkeit zu errichten und ruft zur Beteiligung am Werke sämtliche Genossen herbei, die das entsprechende Material wohl vorbereiten sollen. ‚Wohlan’, – heißt es nämlich –‚ wir wollen Ziegel machen und sie im Feuer brennen’ (1 Mos. 11,3); das besagt soviel als: jetzt sind sämtliche Teile unserer Seele durcheinander gewürfelt und geschüttet, sodaß kein einziger Zug irgendwelche Form klar hervortritt. Da aber (…) das Harz in Lehm sich verwandelt, darf man nicht den Mut verlieren: denn die Hoffnung, (ja) Hoffnung (ist alsdann vorhanden), daß die starken Festungen der Schlechtigkeit durch Gottes Macht zerstört werden. (Conf § 83f.104)

Philon zieht eine Verbindung von der Sprache als Kommunikationsmittel zur Ethik. Er stellt die in der LXX kanonisierten Texte nicht ausschließlich in ihrem Literalsinn dar.34 Hinzukommen muss nach Philon ein ethischer Sinn. Damit wird nochmals deutlich, dass Philon im Diskurs der frühen Kaiserzeit zu verorten ist, in dem Texte einen Beitrag zur Ethik leisten sollen. Der philonische Umgang mit den Texten der LXX ist „klassische Kanonhermeneutik in dem Sinn, dass sie ihre kanonischen Texte für die leitenden Paradigmen ihrer jeweiligen Gegenwart aussagekräftig macht“35. Die Schrift, die Philon in seinen Traktaten im Blick hat und die er in seinen Kommentaren den Menschen aktualisieren will, ist die LXX. Sie enthält, wie andere kanonisierte Texte, „überzeitliche Sinnpotentiale, die mit Hilfe hermeneutischer Regelwerke für jede Gegenwart neu erschlossen werden können“36. Dazu trägt Philon mit seiner allegorischen Auslegung der LXX bei, indem er den Menschen überzeitliche Normen kommuniziert und auf einer ethischen Ebene für die Gegenwart aktualisiert.37

Neben dem auf den Menschen bezogenen Kommunikationsakt findet sich bei Philon eine Art der Kommunikation, die auf Gott ausgerichtet ist. Sie wird im Kapitel zu Sprache und Gott untersucht.

Zusammenfassung:

In Conf § 9–13 können nahezu alle Funktionen von Sprache im Bereich der Kommunikation verortet werden. Die Kommunikationsfunktion der Sprache impliziert verschiedene Komponenten: Kommunikation entsteht in individueller Meinungsäußerung, aber auch in Gesprächssituationen mit mehreren Gesprächspartnern, in denen ein Austausch über Erlebtes und über Emotionen erfolgen kann. Dieser kann in einen Verarbeitungsprozess münden. Ein weiterer Aspekt, der durch die Kommunikation der Menschen entsteht, ist der Trost. Hier fungiert Sprache als Heilmittel für seelisches Leiden. Kommunikation ermöglicht ferner die Weitergabe von Tradition und schlägt damit eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart und wirkt in die Zukunft hinein, dabei ist v.a. der Fokus, den Philon auf die Ethik richtet, von Bedeutung. Die Verständigung über Erkenntnisse älterer Generationen trägt zum Verstehen der Welt bei. Sprache als Kommunikation, verstanden als zwischenmenschliche Verständigung in all ihren Facetten und Auswirkungen, ist Funktion und Aufgabe zugleich.

4.6 Sprache als Kennzeichen einer Gemeinschaft und eines Sicherheitsgefühls

Die Kommunikationsfunktion der Sprache ist eng verbunden mit der Funktion der Sprache als Ausdruck und Merkmal einer Gemeinschaft, denn Sprache als Kommunikation ist eine „besondere und zugleich fundamentale Form sozialer Interaktion“1. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl kann dadurch entstehen, dass eine bestimmte Anzahl von Menschen die gleiche Sprache spricht. Eine gemeinsame Sprache fungiert als Element, das eine Gesellschaft bzw. Kultur konstituiert. Philon greift das nicht nur in Conf § 10 ff auf, wenn er die Argumentation seiner Gegner nachzeichnet, sondern verdeutlicht es erneut in Conf § 150:

‚ἰδοὺ γένος ἓν καὶ χεῖλος ἓν πάντων’ (Gen. 11,5), ἴσον τῷ ἰδοὺ μία οἰκειότης καὶ συγγένεια, καὶ πάλιν ἁρμονία καὶ συμφωνία ἡ αὐτὴ πάντων ὁμοῦ (…). (Conf § 150)

‚Siehe, ein Volk ist es, und eine Sprache haben sie alle’ (1. Mos. 11,5), was soviel heißt als: eine Sippengemeinschaft, sowie eine harmonische Übereinstimmung bilden sie allesamt (…). (Conf § 150)

Sprache wird als Gemeinschaft begründendes Element beschrieben. Das Erlernen einer fremden Sprache führt dazu, dass Menschen sich in einem (neuen) Personen-/Kulturkreis zugehörig fühlen; ist eine Person mit den Begriffen einer bestimmten Sprache vertraut, entsteht dadurch ein Merkmal der κοινωνία. Das Lexem steht nur selten im Zusammenhang mit Sprache. Philon gebraucht es auch, um die Beziehung zwischen Gott und dem Glaubenden zum Ausdruck zu bringen. Das zeigt sich in VitMos I:

οὐχὶ καὶ μείζονος τῆς πρὸς τὸν πατέρα τῶν ὅλων καὶ ποιητὴν κοινωνίας ἀπέλαυσε προσρήσεως τῆς αὐτῆς ἀξιωθείς; ὠνομάσθη γὰρ ὅλου τοῦ ἔθνους θεὸς καὶ βασιλεύς. (VitMos I § 158)

Genoss er nicht die erhabene Gemeinschaft mit dem Vater und Schöpfer des Alls und wurde er nicht dergleichen Benennung gewürdigt? Er wurde ja des ganzen Volkes Gott und König genannt. (VitMos I § 158)

Diese Verwendung widerspricht dem Sprachgebrauch der LXX. Mit der Wortgruppe κοινων- wird dort hauptsächlich das hebräische חבר‏‎ (binden) wiedergegeben. Es bezieht sich auf das Verhältnis von Einzelpersonen (und gelegentlich Götzen), nie auf das zwischen Mensch und Gott. Der Mensch wird als עבד‏‎ (Diener) gedacht, was ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Gott und dem Glaubenden widerspiegelt. Es entspricht dem griechischen Denken, wenn Philon durch κοινωνία ein nahes Verhältnis des Menschen zu Gott zum Ausdruck bringt.2 Besonders deutlich wird diese Form der Gemeinschaft in kultischen Handlungen wie beispielsweise dem Opfermahl.3 In der Stoa wird κοινωνία im Gegensatz zur LXX als Bezeichnung für die Beziehung des Menschen zu Gott verwendet. Weiterhin dient das Lexem dazu, das Verhältnis zwischen Menschen zu charakterisieren.4 Auch Philon gebraucht diese Verwendung des Lexems, insbesondere für die Lebensform der Essener, die er als κοινωνία bezeichnet.5 Die zweite Bedeutung der Wortgruppe κοινων- zeigt vor allem das Interesse der Griechen: Das Individuum wird als solches wahrgenommen, ist jedoch primär auf die Gemeinschaft und deren Wohl ausgerichtet. Thematisiert werden in diesem Zusammenhang häufig Besitzverhältnisse.6 Platon spricht sich für eine Lebensform aus, in der es keinen Privatbesitz gibt.7 Tatsächlich bleibt diese Forderung eine Theorie, die kaum in die Praxis umgesetzt wird. Eine Ausnahme bilden die Pythagoreer und die Essener, deren asketisches Leben einen vollkommenen Verzicht auf Privateigentum voraussetzt. Dies ist nur ein Grund, weshalb Philon die Gemeinschaft der Essener außerordentlich lobt.8 Auch bei den Therapeuten kann eine besondere Hochschätzung der κοινωνία festgestellt werden.9 Philon verwendet κοινωνία hauptsächlich in letzterem Verständnis, zur Thematisierung der Beziehung zwischen Menschen.10 Er beschreibt sie im Zusammenhang mit der Abhandlung der Menschenliebe am Beispiel des Lebens Moses:

τὴν δ’ εὐσεβείας συγγενεστάτην καὶ ἀδελφὴν καὶ δίδυμον ὄντως ἑξῆς ἐπισκεπτέον φιλανθρωπίαν, ἧς ἐρασθεὶς ὡς οὐκ οἶδ’ εἴ τις ἕτερος ὁ προφήτης τῶν νόμων – ὁδὸν γὰρ οἷα λεωφόρον ἄγουσαν ἐφ’ ὁσιότητα ταύτην ἠπίστατο – τοὺς ὑπ’ αὐτὸν ἅπαντας ἤλειφε καὶ συνεκρότει πρὸς κοινωνίαν, παράδειγμα καλὸν ὥσπερ γραφὴν ἀρχέτυπον στηλιτεύσας τὸν ἴδιον βίον. (Virt § 51)

Der Frömmigkeit ganz nahe verwandt und geradezu Zwillingsschwester von ihr ist die Menschenliebe, die wir nunmehr betrachten müssen. Diese schätzte der prophetische Gesetzgeber wie kaum ein anderer, denn er wusste, dass sie wie ein gebahnter Weg zur Frömmigkeit führt; deshalb sucht er alle seine Untergebenen zur Betätigung des Gemeinsinns anzuleiten und zu ermuntern und schilderte als herrliches Beispiel wie ein Mustergemälde sein eigenes Leben. (Virt § 51)

Philon bestimmt die κοινωνία als erstrebenswert und setzt sie in direkten Zusammenhang mit der φιλανθρωπία. Der gestärkte Sinn für die Gemeinschaft führt dazu, sich dem Nächsten gegenüber angemessen zu verhalten. Philon beschreibt die κοινωνία demnach als anzustrebende Komponente des menschlichen Lebens, die im Zusammenhang mit der Menschenliebe Frömmigkeit hervorbringen und stärken kann. Wenn das Bewusstsein, in einer Gemeinschaft zu leben, dazu führt, dass unter den Menschen, die sich als Teil dieser κοινωνία verstehen, die Nächstenliebe und die Frömmigkeit zunehmen, erscheint es sinnvoll, alles, was diese κοινωνία konstituiert, zu fördern. Conf ist der einzige Traktat, in dem sich eine Verbindung von κοινωνία und Sprache finden lässt.11 Nur in Conf § 13 wird Sprache als „οὐ βραχὺ γνώρισμα κοινωνίας“ beschrieben. Eine gemeinsame Sprache kann offensichtlich Kennzeichen einer solchen κοινωνία sein, wie sie eben geschildert wurde. Der Sprache wird an dieser Stelle eine besonders wichtige Funktion zugeschrieben, wenn sie ein Merkmal dafür ist, dass sich Menschen als Teil einer festen Gemeinschaft fühlen, über welche eine Verbesserung des menschlichen Zusammenlebens erwirkt werden kann. Die Qualität des Miteinanderlebens kann erhöht werden, indem ein Bewusstsein für das Allgemeinwohl entsteht und indem das Verständnis, Teil eines Ganzen zu sein, gefördert wird.

Auch die κοινωνία bestimmt Philon in Virt § 84 neben Milde, Güte oder Großherzigkeit als Tugend und zählt sie zu den schönsten Dingen, die der Mensch besitzt.

Κοινωνία ist demnach kein Lexem, das eine beliebige Gemeinschaft bezeichnet; es erhält einmal durch seine Charakterisierung als Tugend,12 die es anzustreben gilt, besonderen Nachdruck. Weiterhin kann es eine besonders starke Verbundenheit betonen, was sich u.a. an der Verwendung des Lexems für die Gottesbeziehung des Menschen zeigt.13 Erfasst man das Lexem κοινωνία in seinem semantischen Spektrum, so wird deutlich, dass Philon der Gemeinschaft einen sehr hohen Stellenwert zuschreibt. Sprache ist Kennzeichen einer solchen Gemeinschaft und kann dazu beitragen, dass unter den Menschen über die gemeinsame Sprache ein Zusammengehörigkeitsgefühl hervorgerufen wird, das sich letztlich auf die Verbesserung des Zusammenlebens auswirkt bzw. auswirken soll.14 Diese kann auch dadurch entstehen, dass der λόγος nach All III § 140 selbst Inhaber der Tugenden der Wahrheit und der Weisheit ist. Kommt der λόγος als λόγος προφορικός zum Ausdruck, gehen diese Tugenden auf die Sprache über.15 Die beiden Tugenden wiederum wirken ordnend auf das Gemüt (θυμός), das wie die Sprache an sich zu den alogischen Teilen der Seele gehört. Dadurch gewinnen auch die alogischen Teile an Ordnung und wirken so auf den Menschen in seiner Gesamtheit.16 Sprache hat demnach eine ordnende Funktion für den Menschen. Hiermit kann eine äußerst positive Funktion der Sprache formuliert werden, die Philon gleichzeitig mit einer Einschränkung versieht: Nur in den Augenblicken, in denen sich Menschen Gott zuwenden, wird der Logos diese ordnende Funktion auf das Gemüt ausüben.17

Innerhalb der κοινωνία, die mindestens durch eine gemeinsame Sprache konstituiert ist, kann neben dem Zusammengehörigkeitsgefühl und der Wertschätzung, dass eine Person die Sprache einer andern Sippe gelernt hat, das Gefühl von Sicherheit entstehen. Philon gibt das in Conf § 13 mit dem Ausdruck „ἀφ’ ἧς τὸ ἀδεὲς εἰς τὸ μηδὲν ἀνήκεστον παθεῖν ἔοικε πεπορίσθαι“ wieder. Allein die gemeinsame Sprache hat die Kraft, eine Personengruppe so stark zu machen, dass sie sich in einer Umgebung geborgen fühlt. Eine vertraute Umgebung schafft Sicherheit. Diese entsteht in einer Sprachgemeinschaft, weil man sich über die vom Einzelnen wahrgenommene Wirklichkeit verständigen und so in einen ständigen Austausch treten kann. Dadurch, dass Sprache den Austausch innerhalb einer Gruppe, die die gleiche Sprache spricht, ermöglicht, verbinden sich die Kommunikationsfunktion und die Funktion der Sprache, ein Zusammengehörigkeitsgefühl hervorzurufen. Dies scheint nach Philon unabhängig davon zu sein, ob es sich bei der Sprache um die Muttersprache oder um einen Zweitspracherwerb handelt.

 
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