Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses

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3. Von der antiken Sprachphilosophie über Philon zu Paulus: Begründung der Vorgehensweise

Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem Beginn und der Entwicklung sprachphilosophischer Fragestellungen. Es ist erforderlich, weil „die Verflechtung des Christentums in die allgemeine Geschichte“ zu berücksichtigen ist und weil „die Aufgabe seiner Erforschung und Wertung nur von dem großen Zusammenhang der Gesamtgeschichte“1 her in Angriff genommen werden kann, wie Ernst Troeltsch in seinem epochalen Aufsatz über die Methoden der Theologie formuliert hat. Was für den gesamtgeschichtlichen Zusammenhang und das Christentum allgemein gilt, trifft auch für Paulus und für einzelne thematische Aspekte, wie den der Sprache, zu. Weil sich die Theologie und die Philosophie gegenseitig beeinflusst haben, stellt sich mit Schnelle die Frage, „ob einzelne ntl. Autoren wie Paulus und Johannes gezielt an philosophisch-religiösen Diskursen teilnahmen“ und ob „sie bewusst Schlüsselbegriffe der antiken Philosophie in ihre Argumentation [integrierten], um so gezielt Anschlussfähigkeit herzustellen“2. In diesen Fragen geht es nicht um

passive Vorgänge wie traditions- bzw. religionsgeschichtliche Beeinflussungen, sondern [um] aktive Prozesse: die Übernahme philosophischer Begriffe und Ideen, die Integration philosophischer Themen in die eigene Argumentation, die Teilnahme an umfassenden philosophisch-theologischen Diskursen.3

Die Auseinandersetzung mit den theoretischen Überlegungen zur Sprache, die sich in der antiken Umwelt entwickelt haben und im ersten nachchristlichen Jahrhundert vorhanden sind, liefert also die Voraussetzung dafür, das Spezifische des paulinischen Sprachverständnisses herausstellen zu können. Nur wenn man die antiken sprachphilosophischen Begriffe und Ideen berücksichtigt, kann aufgezeigt werden, wo Paulus an bereits erarbeitete Sprachvorstellungen anknüpft, welche Fragestellungen er nicht aufgreift oder wo er eigene, neue Positionen formuliert. Damit diese Einordnung erfolgen kann, ist es notwendig, die Entwicklung der antiken Sprachphilosophie mit ihren wichtigsten Frage- und Problemstellungen darzulegen. Ernst Troeltsch fasst dies unter dem Kriterium der Kritik zusammen: Die ntl. Texte unterliegen vorerst der „historischen Kritik“, weil „jede Einzeltatsache unsicher“4 ist.5 Damit Aussagen an Wahrscheinlichkeit gewinnen, muss „die Erklärung und Darstellung vom Gesamtzusammenhang ausgehen“, denn „nur vom Gesamtzusammenhang aus kann ein Urteil über das Christentum gewonnen werden“6. Dieser Gesamtzusammenhang, von dem aus sich das paulinische Sprachverständnis erhellen lässt, ist zum einen die antike Sprachphilosophie, zum anderen das frühjüdische Sprachverständnis Philons. Weil „[j]eder Moment und jedes Gebilde der Geschichte (…) nur im Zusammenhang mit anderen und schließlich mit dem Ganzen gedacht werden kann“7, ist es unerlässlich, zu versuchen, dieses Ganze auch für einen bestimmten Themenkomplex zu erfassen. Indem die zentralen Entwicklungen und Fragestellungen der antiken Sprachphilosophie aufgezeigt werden, wird versucht, den allgemeinen Rahmen für die Auseinandersetzung mit Sprache zu erschließen, obgleich dies nie vollständig geschehen kann. Das paulinische Sprachverständnis soll also nicht isoliert betrachtet werden, sondern im Kontext der wichtigsten sprachphilosophischen Fragestellungen der Antike. Zugleich ist es dabei notwendig, sich auf die zentralen Autoren und Entwicklungen zu beschränken.8 Neben der Kritik führt Troeltsch zwei weitere Kriterien an, die zum historischen Verstehen beitragen:9 Analogie und Korrelation. Durch Analogien können die Wahrscheinlichkeiten einzelner Aussagen erhöht werden; indem nach Analogien gesucht wird, wird die Kritik bzw. der Unsicherheitsfaktor historischen Verstehens ernst genommen und der Versuch unternommen, den Faktor der Unwahrscheinlichkeit zu verringern.10 Für die vorliegende Untersuchung ist nach Analogien in zwei Richtungen zu fragen: Zum einen nach Analogien in philosophischen, profangriechischen Texten, die sich theoretisch mit dem Thema Sprache auseinandersetzen, zum anderen in den Texten Philons, die Analogien für den jüdisch-hellenistischen Kontext ermöglichen; beide sind nach thematischen und begrifflichen Analogien zum paulinischen Sprachverständnis zu befragen, um dieses besser verstehen und einordnen zu können. Damit einher geht die dritte von Troeltsch geforderte Kategorie, die Korrelation: Es gibt keine „Erscheinungen des geistesgeschichtlichen Lebens, wo keine Veränderung an einem Punkte eintreten kann ohne vorausgegangene und folgende Aenderung an einem anderen, so daß alles Geschehen in einem beständigen korrelativen Zusammenhange steht“11. Das heißt nicht, dass nichts Neues entstehen kann, sondern allein, dass geschichtliche, philosophische, kulturelle und religiöse Ereignisse dort, wo neue Gedankengänge entwickelt werden, zum besseren Verständnis dieser beitragen können, weil sie der „Wechselwirkung aller Erscheinungen des geistesgeschichtlichen Lebens“12 unterliegen. Vor dem Hintergrund der profangriechischen sprachphilosophischen Entwicklungen und Fragestellungen kann eine Einordnung des paulinischen Sprachverständnisses in den antik-philosophischen Sprachdiskurs vorgenommen werden. Der Vergleich mit Philon präzisiert diese Einordnung, indem der kulturelle und religiöse Rahmen mit dem hellenistischen Judentum exakter abgegrenzt werden kann.

Dieser Rahmen stellt die erste von zwei wesentlichen Gemeinsamkeiten zwischen Philon und Paulus dar, die die Grundlage dafür bilden, weshalb gerade philonische Texte als zusätzlicher und vergleichender Bezugsrahmen gewählt wurden. Wenn also abschließend das paulinische Sprachverständnis mit dem philonischen verglichen werden soll, ist es unumgänglich, das Verhältnis der beiden Autoren und ihrer Texte zu reflektieren. Der Versuch einer solchen Standortbestimmung wurde 2003 auf dem I. Internationalen Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum in Eisenach und Jena unternommen.13

Philon selbst kannte die Jesusbewegung mit großer Sicherheit nicht. Ob die ntl. Schriftsteller Philon bewusst wahrgenommen haben, kann nicht abschließend geklärt werden, bleibt aber unwahrscheinlich.14 Einzig die Möglichkeit, dass der Jude Apollos philonische Ideen und Konzepte in Korinth verbreitet hat, erscheint möglich.15 In der aktuellen Forschung wird Philon eigenständig und unabhängig von den ntl. Schriften behandelt. Das wirkt der Philoninterpretation der Alten Kirche entgegen, die die Schriften „als Kronzeugen für die eigene, christliche Theologie heranzog und (…) zur Erklärung des Alten und Neuen Testaments gebrauchte“16. Die Untersuchung zu Philon und Paulus soll nicht im Sinn eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines Ableitungsmodells vorgenommen werden – das gilt auch in Bezug auf die zeitgenössische Philosophie17 –, sondern von zwei Seiten Bedeutung erlangen und einer wechselseitigen Erhellung dienen: Die Ergebnisse der Philonuntersuchungen können dazu beitragen, die ntl. Texte besser zu verstehen und ihren kulturellen und religiösen Rahmen aufzuzeigen, gleichzeitig sollen von den ntl. Schriften Impulse für das Verständnis der Texte des Diaspora-Judentums ausgehen.18

Philon und Paulus teilen zwei Gemeinsamkeiten: Die erste liegt, wie bereits angesprochen, im hellenistischen Judentum als kulturell-religiösem Kontext. Philon, eine knappe Generation vor Paulus geboren, lebte wie der Apostel selbst in der antiken Welt des ersten nachchristlichen Jahrhunderts; Philon ist ein Autor, „den wir als Persönlichkeit fassen können“, und deshalb schlussfolgert Pohlenz richtig, wenn er schreibt, dass darin „seine geistesgeschichtliche Bedeutung“19 liegt. Philon und Paulus stammen aus dem Diasporajudentum. Dies liefert ihre kleinste gemeinsame Schnittmenge. Zudem wird auch für Paulus vermutet, dass er von der hellenistischen Philosophie beeinflusst ist. Wie weit diese aufgegriffen, bearbeitet, neu gedacht oder gar nicht bedacht wird, kann der Vergleich zeigen. Dabei liegt in der Tatsache, dass uns eine Vielzahl der philonischen Schriften erhalten ist, ihre besondere Relevanz. Die philonische Argumentation umfasst in der Regel mehrere Bereiche und Ebenen;20 so wird in den Texten ein breites Spektrum von jüdisch-hellenistischem Gedankengut sichtbar, das auch als geistiger Horizont für die Texte des frühen Christentums gilt.21 Die größere Textbasis bei Philon erlaubt es, mehrere Faktoren zu berücksichtigen, als es für das Corpus Paulinum überhaupt möglich ist. Das wird sich auch bei der Erarbeitung der Sprachverständnisse zeigen. Die Verwendung gemeinsamen Gedankenguts ist auf eine indirekte Linie zurückzuführen, da beide im gleichen geistigen Milieu verortet werden können;22 dennoch ist keine direkte Linie zwischen paulinischen und philonischen Texten herzustellen, ebenso wie eine literarische Abhängigkeit abzulehnen ist.23 Auch die Ziele, derentwegen die jeweiligen Texte verfasst wurden, sind unterschiedlicher Art. Philon schreibt apologetische Schriften, um das Judentum nach außen zu verteidigen und zu repräsentieren. Die allegorischen Traktate, zu dem auch Conf zu zählen ist, sind primär für ein ausgewähltes, gebildetes jüdisches Publikum verfasst,24 nicht als Briefe, sondern gezielt als literarische Texte. Paulus hingegen schreibt Briefe an die von ihm gegründeten christlichen Gemeinden. Er ist in erster Linie Missionar, in diesem Zusammenhang aber argumentiert er auch theologisch und begründet seine Argumentationen mit Rückgriff auf die atl. Schriften.25

Im Bezug auf die Schrift liegt ihre zweite Gemeinsamkeit.26 Für Philon zeigt sich dies besonders in den allegorischen Schriften, aber auch darüber hinaus ist die Schrift für Philon Hauptbezugstext. Runia hat vermutlich nicht Unrecht, wenn er sagt, dass Philon sich selbst in erster Linie als Kommentator gesehen hat und sich durch diesen Blick ein wesentlicher Zugang zu den philonischen Texten eröffnet.27 Auch in der Untersuchung zum Sprachverständnis wird sich deutlich zeigen, dass Philon in der Tradition der Schrifterklärung steht; so stellt beispielsweise der Genesistext über den Turmbau zu Babel den Rahmen für den Traktat Conf. Das philosophische Interesse Philons ist damit nicht abzuwerten, aber es erlangt nicht dieselbe Autorität wie die Schrift; Philon benutzt die Philosophie dazu, die atl. Schriften zu erklären. Auch das frühe Christentum war „weder eine ‚schriftlose’ oder gar illiterate Gruppierung“, auch sie „hatten die Schrift, die sie reichlich benutzten und als interpretierende – und neu interpretierte – Grundlage ihrer eigenen Religion verwendeten“28. Dies gilt auch für Paulus: Er zitiert aus verschiedensten Teilen der Schrift,29 greift z.B. in 1 Kor 14,21 auf Jesaja zurück. In 1 Kor wird aber noch an weiteren Textstellen ersichtlich, dass Paulus davon ausgeht, dass die Gemeinde mit den Inhalten der Schrift vertraut ist. Er spielt in 1 Kor auf Aspekte der Schöpfungs- oder Exoduserzählung, auf Regeln und Verbote der Tora oder auf allgemeine jüdische Praktiken oder jüdisches Gedankengut an, ohne sie näher zu erklären.30 Für eine große Anzahl an direkten oder indirekten Zitaten gilt aber, dass sie, auch ohne dass die atl. Kontexte offengelegt werden, verständlich sind.31 Paulus untermauert seine eigene Argumentation durch Schriftzitate; dabei hat die Schrift nicht nur „als – hoch geschätztes – Gesetz des Mose“ Autorität, „sondern als Prophezeiung des Kommens Jesu“32. Paulus verleiht auch seinen eigenen Texten Autorität, indem er der Schrift eine solche zuspricht und sie in seinen Briefen zitiert.33 Paulus greift die Schrift auch auf, ohne sie als Zitat kenntlich zu machen, oder er modifiziert den Wortlaut;34 dann sind die Zitate als solche für die Korinther – sofern sie die Originalstellen nicht dezidiert kannten – nicht erkenntlich.35 Wie Paulus die Schrift interpretiert und einsetzt, gibt also nicht nur Auskunft über sein Schriftverständnis, sondern auch über sein eigenes Denken. 36 Indem Paulus lediglich aus jüdischen Schriften und nicht aus der Profangräzität zitiert, wird die Bedeutung ersterer für Paulus deutlich.37

 

Mit dem jüdischen Hintergrund und dem Bezug auf die Schrift weisen Philon und Paulus zwei Gemeinsamkeiten auf, die die profangriechischen Autoren nicht bieten können. Es ergibt sich daraus nicht nur der Nutzen, dass die philonischen und paulinischen Texte in ihren Besonderheiten näher erklärt werden können, sondern sogar eine Notwendigkeit,

[d]enn erst wenn auch das Neue Testament als eine in großen Teilen jüdische Schriftensammlung selbstverständlicher Teil der Beschäftigung mit dem Frühjudentum38 ist, kann von der Überwindung der alten, religiös bedingten Gegensätze in der Erforschung dieser sensiblen Zeitepoche um die Zeitenwende gesprochen werden.39

Die Perspektive auf das Thema ‚Sprache’ ist also insgesamt eine historische. Die historisch-kritische Exegese stellt den methodischen Rahmen der Arbeit dar; sie wird v.a. durch die historische Linguistik in Form der linguistischen Semantik unterstützt. So liegt ein Schwerpunkt dieser Arbeit auf der semantischen Analyse verschiedener Lexeme, die in 1 Kor 14 vorkommen (u.a. χάρισμα, πνεῦμα, νοῦς, δύναμις, προφητεία, γλῶσσα, φωνή, σημεῖον, διδαχή oder οἰκοδομή). Diese Analyse kann dazu beitragen, das paulinische Sprachverständnis als eigenständigen Beitrag zu charakterisieren, ebenso aber mit den antiken Begriffen und Fragestellungen zu vergleichen. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Analyse der Struktur der Texte, um zu sehen, wie Paulus bei der argumentativen Entfaltung seines Sprachverständnisses vorgeht.

Leitendes Ziel dieser Untersuchung ist es, das paulinische Verständnis von Sprache anhand von 1 Kor 14 herauszuarbeiten. Dieses entwickelt sich seinerseits im Rahmen des antiken Sprachdiskurses, der in besonderer Deutlichkeit von der griechischen Philosophie einerseits und frühjüdischen Positionen andererseits abgebildet wird. Ein zweites Ziel ist es daher, das paulinische Verständnis als qualifizierten Beitrag im frühkaiserzeitlichen Diskurs über Sprache zu werten und in diesem Diskurs als eigene Stimme zu positionieren.

Die Bedeutung der Untersuchung für die neutestamentliche Wissenschaft liegt damit zu allererst im Bereich der Paulusforschung. Das christliche Verständnis von Sprache wird an seinem Beginn erfasst, indem das erste schriftliche Zeugnis, 1 Kor 14, thematisch untersucht wird. Das Sprachverständnis des Paulus wird sich als eine wichtige Komponente seiner Geisttheologie erweisen. Die Einbeziehung der antiken Sprachphilosophie schafft dabei einen ebenso weiten wie genauen Interpretationsrahmen, der die Herausarbeitung der Schwerpunkte und Eigenarten des paulinischen Umgangs mit dem Thema Sprache und seine historische und sachliche Kontextualisierung ermöglicht.

Daraus ergibt sich die Gliederung der Arbeit: Sie führt zunächst in die wichtigen sprachphilosophischen Fragestellungen der Antike ein und untersucht nachfolgend das Sprachverständnis Philons. Im Anschluss daran wird das paulinische Sprachverständnis erarbeitet. In einem letzten Teil erfolgt der Vergleich zwischen Paulus und der antiken Sprachphilosophie bzw. Philon, der in das abschließende Resümee mündet. Dieses zeigt die positiven und negativen Analogien zwischen Paulus und den profangriechischen und den frühjüdischen Texten auf und positioniert das paulinische Sprachverständnis im antiken Sprachdiskurs. Abschließend wird thematisiert, inwiefern die Ergebnisse einen Beitrag zum intellektuellen Profil des Paulus liefern können.

II. Die Entwicklung der Sprachphilosophie von ihren Anfängen bis zur Stoa: Eine Einführung in die zentralen Fragestellungen und Autoren der antiken Sprachphilosophie
1. Vorbemerkungen

Das folgende Kapitel gibt eine Einführung in die sprachphilosophische Entwicklung von ihren Anfängen bis zur Stoa und liefert damit einen Überblick über repräsentative Stationen der antiken Sprachphilosophie.1 Die Darstellung erfolgt in einem zeitgeschichtlichen Ablauf anhand der Autoren. Dabei werden die leitenden Fragestellungen der antiken Sprachphilosophie und ihre Vertreter benannt. Berücksichtigt werden Heraklit, Parmenides, Platon, Aristoteles und die Stoa. Erst vor diesem Hintergrund kann das philonische und paulinische Sprachverständnis untersucht und das jeweilige Spezifikum ausgemacht werden; ebenso ist es erst im Anschluss daran möglich, beide Autoren im Rahmen der antiken Sprachverständnisse zu verorten.

Die Darstellung liefert themenzentrierte Einzelinterpretationen, d.h. die jeweiligen zentralen sprachphilosophischen Termini und die Hauptthematik zu Sprache werden vorgestellt und um das Verhältnis von ‚Name’ und ‚Sache’ zentriert, das einen Schlüssel zum Verständnis der griechischen Sprachphilosophie darstellt. Zudem werden hierdurch Grundlinien der Sprachauffassungen von Philon und Paulus erschlossen. Auf eine literarhistorische Einordnung, Nennung und Charakterisierung der literarischen Gattungen sowie eine zeitgeschichtliche Einordnung, Motiv- und Problemgeschichte der einzelnen Schriften der behandelten Autoren muss in diesem Zusammenhang verzichtet werden.

2. Die magisch-mythische Sprachauffassung und die Anfänge sprachphilosophischen Denkens

Eine Vorstufe der Sprachphilosophie stellt die mythisch-magische Sprachauffassung dar.1 Ihr Merkmal ist, dass das Wort/der Name und die Sache/Wirklichkeit als Einheit gedacht wird. Das ist v.a. im frühgriechischen Epos bei Homer und Hesiod zu finden.2 So zeigt Homer in der Odyssee, dass Sprache Wirklichkeit abbilden kann, wenn er einen guten Sänger dahingehend beschreibt, dass dieser so erzählen kann, als sei man selbst dabei gewesen.3 „Weil der Mythos durch Sprache Wirklichkeit setzt, kann diese Wirklichkeit mit der Sprache noch gar nicht in Konflikt geraten, kann der Name die Sache noch völlig beherrschen.“4 Es wird also noch nicht das Verhältnis von Name und Sache reflektiert, weil „der Name die Sache nicht bezeichnet, sondern ist“5. Nennen und Existieren werden gleichgesetzt.6 Im 7. Jh. v. Chr. beginnt in der griechischsprachigen Welt ein Umdenken: Die griechischen Philosophen setzen sich kritisch mit dem Mythos auseinander, weil sie „die überlieferten religiösen Riten und Göttervorstellungen [als] unwahr und unsittlich“7 empfinden. Die Welt des Menschen ist nicht mehr die des Mythos, sondern die, die durch die Sinne erfahren wird. Das mythische Denken wird somit vom logischen abgelöst. Diese Auffassung hat nicht nur auf das Verständnis der Weltwirklichkeit Auswirkungen, sondern auch auf das der Sprache: Sie erhält die Aufgabe, die mit den Sinnen wahrgenommene Wirklichkeit zu beschreiben. Die veränderte Wirklichkeitsauffassung bedingt, dass Name und Objekt nicht mehr identifiziert, aber als unmittelbar aufeinander bezogene Relationen verstanden werden.8 Die Reflexion über Sprache und über das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit beginnt also dort, wo Sprache ihre Selbstverständlichkeit verliert und Mythen angezweifelt werden.9

Die griechische Philosophie kennt anfangs kein Wort für Sprache, dennoch entwickelt sich eine intensive Auseinandersetzung mit verschiedenen Aspekten, die Teil einer Sprache sind.10 Im λόγος findet sich ein Begriff, der die Trennung dieser Einheit von Wort/Name und Sache/Wirklichkeit ermöglicht und damit auch die Unterscheidung zwischen Vernunft bzw. Denken und Sprache. In der Vernunft liegt eine Einheit von Wort und Sache vor, in der Sprache auf Grund der Verschiedenheit der Namen eine Vielfalt. Durch die Erkenntnis von Letzterem entsteht gegenüber dem mythischen Denken ein neuer Ansatz: Namen können als veränderbare Zeichen nicht die wahre Wirklichkeit enthalten. Dies führte zu einer Abwertung der Sprache als erkenntnisermöglichendem Medium. Als solches gilt nun die Vernunft.11

3. Die Vorsokratiker Heraklit und Parmenides

In den Fragmenten Heraklits (ca. 550–480 v. Chr.) finden sich erstmals sprachphilosophische Fragestellungen.1 Eine Sprachphilosophie im eigentlichen Sinn kann nicht rekonstruiert werden, aber sprachphilosophisches Denken, das sich von der mythischen Sprachauffassung abwendet, beginnt.2 Im Zentrum des sprachphilosophischen Denkens Heraklits stehen zwei Aspekte: Erstens der aufgekommene λόγος-Begriff und sein Bezug zur Sprache, zweitens die Frage, wie zuverlässig ein Name die Wirklichkeit wiedergibt.3 Mit dem λόγος-Begriff umfasst Heraklit sowohl den Bereich der Sprache als auch den des Denkens und der Wirklichkeit;4 er ist ein „Titel für den Gesamtbezug von Sein, Denken, Sprechen und Handeln“5. Für Heraklit ist der λόγος „ein Ordnungsprinzip, das die Wirklichkeit strukturiert und analog dazu das Denken und die Sprache“6. Zwischen Wirklichkeit und Sprache besteht also keine Identifikation, sondern eine Analogie. Wird der λόγος in der Heraklit-Forschung unterschiedlich interpretiert, so ist auf jeden Fall der enge Bezug zwischen λόγος und Sprache zu betonen: „Die Frage nach dem Wesen der Sprache (Sprachphilosophie) ist in ihrem historischen Beginn gekoppelt an die Frage nach der Wahrheit des Seins (Ontologie).“7 Diese Wahrheit versucht Heraklit durch den λόγος zu fassen. Deshalb kann für Heraklit nichts gesagt werden, was nicht ist.8 Die Wahrheit alles Seienden hat ihren Grund im λόγος. Dieser hat sowohl eine objektive als auch eine subjektive Seite, d.h. er bezieht sich sowohl auf die ‚echte’ Wirklichkeit, auf das „objektive Weltgesetz“, als auch auf die vom Menschen wahrgenommene Wirklichkeit, die „subjektive Rede des Philosophen“9. „Für die Rede über diese Wirklichkeit bedeutet dies aber, daß sie, wenn sie wahr sein will, nach ebendemselben Verhältnis strukturiert sein muß wie die Wirklichkeit selbst“10. Zwischen Wirklichkeit und Sprache besteht also ein enger Zusammenhang. Die Wirklichkeit kann den Menschen durch die Sprache erschlossen werden, weil der λόγος nach Fragment B1 gehört werden kann. Die Struktur der Wirklichkeit zeigt sich in Gegensätzen. Das gilt also analog auch für die Sprache und den Zusammenhang von Name und Ding; dies wird im Bogenfragment deutlich:11

τῶι οὖν τόξωι ὄνομα βίος, ἔργον δὲ θάνατος. (Heraklit, Fragm. B48, DK I, 161)

Des Bogens Name also ist Leben (…), sein Werk aber Tod. (Heraklit, Fragm. B48, DK I, 161)

Heraklit zeigt einerseits, dass ein Bogen zwei antithetische Aspekte in sich vereint: „[Z]zum einen die todbringende Wirkung, zum anderen seinen Namen, der ‚Leben’ bedeutet.“12 Andererseits expliziert Heraklit einen weiteren Gegensatz: Das Lexem βιός wird in der epischen Literatur für Bogen verwendet; βίος heißt aber auch Leben. Ein Name kann also zwei Dinge bezeichnen und nimmt damit nicht zwingend auf das Bezug, was er aussagt.13 Damit zeichnet sich bei Heraklit bereits ein Problembewusstsein dafür ab, dass Sprache trügerisch sein kann, weil im Namen, d.h. in der Benennung, keine Eindeutigkeit besteht.14 Die meisten Menschen bleiben im Bereich der Meinungen und des Scheins (δόξα), weil sie sich weder auf das rechte Reden noch auf das rechte Hören verstehen.15 Sie verstehen den λόγος nicht und begnügen sich mit dem Schein, statt sich der Wahrheit zu nähern. Nichtsdestotrotz bleibt Heraklit im Wesentlichen der archaischen Auffassung, dass Name und Objekt unmittelbar miteinander korrelieren, treu.16

 

In der Forschung gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, woher die Sprache nach Heraklit ihre Legitimation erhält. Es wurde versucht, ihn einer Position im φύσει-θέσει/νόμῳ-Streit eindeutig zuzuordnen. Demnach beruht die Richtigkeit der Namen einmal auf einer natürlichen Zuordnung von Wort und Sache (φύσει), einmal auf einer vom Menschen gesetzten (θέσει). Lersch17, Di Cesare18 und Leiss19 vertreten die Ansicht, dass die heraklitischen Fragmente mit der φύσει-These einhergehen. Grund für diese Annahme liefert auch der Kratylosdialog Platons, in welchem Kratylos, ein Schüler Heraklits, die These von der natürlichen Sprachentstehung vertritt.20 Heraklit kann aber keiner der beiden Positionen explizit zugeordnet werden,21 weil er die Differenzierung, ob die Richtigkeit von Namen als φύσει oder θέσει zu bestimmen ist, noch nicht in der Form im Blick hat, wie sie sich im weiteren Verlauf des sprachphilosophischen Denkens entwickelt.22

Als Gegenspieler zu Heraklit wird häufig Parmenides (ca. 540–470 v. Chr.) genannt.23 Dies ist vor allem der Fall, wenn man Heraklit der φύσει-Theorie zuordnet. Beide Denker weisen jedoch mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede auf und sind fest im Denken der archaischen Logik verwurzelt. Parmenides nimmt einen untrennbaren Zusammenhang von Denken, Sprechen und Sein an, wonach das Nichtseiende weder gedacht noch gesagt werden kann, „οὔτε γὰρ ἂν γνοίης τό γε μὴ ἐὸν – οὐ γὰρ ἀνυστόν – οὔτε φράσαις“24 (denn weder erkennen könntest du das Nichtseiende – das ist ja unausführbar – noch aussprechen). Er ist der erste, der das Sein mit einem Namen versieht und es als τὸ ὄν bezeichnet.25 Das τὸ ὄν ist der Ort des Denkens. Im Denken ist das Sein bereits ‚als Gesagtes’ vorhanden: „οὐ γὰρ ἄνευ τοῦ ἐόντος, ἐν ὧι πεφατισμένον ἐστιν, εὑρήσεις τὸ νοεῖν“26 (denn nicht ohne das Seiende, in dem es als Ausgesprochenes ist, kannst du das Denken antreffen). Das Gesagte impliziert für Parmenides Wirklichkeit, weil er eine Wesenszusammengehörigkeit von Denken und Wahrheit annimmt, auf die sich der Mensch einlässt, wenn er spricht.27 Für Parmenides besteht in der Tradition des archaischen Denkens ein unanzweifelbarer Zusammenhang zwischen Wort und Sache.28 Dieser entsteht durch Übereinkunft;29 dennoch versteht Parmenides die Namen nicht als willkürliche Setzung; die Namen stammen zwar vom Menschen, sind aber dennoch keine „revidierbare Konvention, wohl aber etwas, was überhaupt zu Lasten des Menschen geht, im Unterschied zu dem, was jeglichem menschlichen Tun vorgegeben ist“30. Auch hier tritt die Unterscheidung zwischen φύσει und θέσει nicht derart deutlich hervor, wie dies in der Folgezeit der Fall ist. Es kann für Parmenides kein Gegensatz zwischen den beiden Theorien ausgemacht werden, da er die Theorie, dass die richtige Zuordnung von Wort und Sache aus einem natürlichen Zusammenhang resultiert, nicht einmal aufgreift.31

Dem engen Zusammenhang von Name und Sache steht der Doxa-Teil des parmenidischen Lehrgedichts gegenüber.32 Der philosophischen Erkenntnis der Wahrheit sind auch bei Parmenides die Meinungen entgegengesetzt.33 Er warnt, ebenso wie Heraklit, davor, sich von den gesprochenen Worten täuschen zu lassen. Da die Namen auf einer Festsetzung beruhen, kommt in ihnen δόξα zum Tragen. In der δόξα ist das Werden manifestiert, dem Parmenides einen großen Stellenwert beimisst. Alle Sterblichen nehmen dieses Werden wahr, beispielsweise wenn der Tag zur Nacht wird. Der Mensch aber macht einen Fehler bei der Benennung von Phänomenen des Werdens: Er hätte nicht zwischen Tag und Nacht unterscheiden und zwei Namen ausmachen dürfen, sondern nur einen, weil es sich um das eine, um τὸ ὄν, handelt. Die Menschen haben aber nicht Sein und Nichtsein – welches sowieso unmöglich zu denken und zu sprechen ist34 – unterschieden, sondern zwischen Licht und Nacht, deshalb entsteht δόξα, während sich in der ἀλήθεια die tatsächliche Unterscheidung zwischen Sein (ὄν) und Nichtsein (μὴ ἐόν) widerspiegelt.35 Indem also der Einheit des Seins als dem Objekt der Erkenntnis eine Vielfalt von Namen entgegenstellt wird, entsteht δόξα36.

Heraklit und Parmenides thematisieren Sprache als Wort, d.h. die eben behandelte Frage nach dem Verhältnis von Wort und Gegenstand. Die Beziehung zwischen einzelnen Wörtern als Satz ist dagegen noch nicht Gegenstand des archaischen Denkens.37 Hauptsächlich thematisieren Heraklit und Parmenides jedoch Sprache im Allgemeinen, d.h. „als eine Form des Universums, die dieselbe Struktur wie die übrigen Formen des Universums (…) aufweist (…) oder nicht aufweist“38. Ein Bewusstsein für diese unterschiedlichen Fragestellungen tritt erst in platonischer Zeit ein.39

Zusammenfassung:

Im Mittelpunkt der Sprachphilosophie von Heraklit und Parmenides steht der λόγος-Begriff. Der von Heraklit und Parmenides angenommene Zusammenhang von Wirklichkeit/Sein, Denken und Sprache bestimmt die weiteren sprachphilosophischen Überlegungen. Er durchbricht das magisch-mythische Einheitsdenken von Wort und Sache, indem durch die Einführung des λόγος-Begriffs Sprache mit Denken und Vernunft verbunden und in Bezug zueinander gesetzt wird. Zwischen Sprache und Wirklichkeit besteht für diese Philosophen ein unmittelbarer Zusammenhang. So ergibt sich für Heraklit und Parmenides zwar keine Einheit von Name und Sache, aber ein unmittelbarer Bezug beider Komponenten. Allerdings weist Heraklit bereits darauf hin, dass der Bezug von Name und Objekt auseinanderfallen kann; auch Parmenides weist auf trügerische Namen hin, die nicht die Einheit des Seins wiedergeben. Ob die Sprache ihre Begründung φύσει oder θέσει erhält, lässt sich bei Heraklit nicht abschließend klären, für Parmenides ist letzteres anzunehmen. Insgesamt werden bei Heraklit und Parmenides sprachphilosophische Überlegungen angestoßen, die im weiteren Verlauf der Philosophiegeschichte eine wichtige Rolle spielen und ausführlich diskutiert werden.