Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses

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4. Platon

Es ist fraglich, ob bei Platon (428/427–348/347 v. Chr.) bereits von Sprachphilosophie als einer eigenen philosophischen Disziplin gesprochen werden kann. Sprache ist aber ein wichtiges Thema in den Dialogen Platons: Der platonische Sokrates und dessen Dialogpartner diskutieren über den Ursprung, die Funktion und die Legitimation von Sprache sowie über das Wesen des Zeichens und über das Verhältnis von Denken, Sprechen und Sein.1 Die Auseinandersetzung mit diesen sprachphilosophischen Aufgaben bringt das Hauptanliegen Platons mit sich, die Ermittlung und Vermittlung von Erkenntnis.2 Die Thematisierung von Sprache hat bei Platon eine grundlegende Bedeutung, die darüber stattfindenden Reflexionen können als „Leitfaden seines Philosophierens“3 angesehen werden,4 da Platon einen direkten Bezug zwischen einem Missverhältnis zur Sprache und einem Missverhalten zur Wahrheit und zu den Mitmenschen herstellt.5 Ohne Sprache ist Philosophie für Platon undenkbar.6

Im Folgenden werden anhand ausgewählter Schriften die wichtigsten sprachphilosophischen Fragstellungen und Ansichten Platons dargestellt: (1) Im Kratylosdialog wird das Verhältnis von Name und Ding diskutiert. (2) Im Theaitetos und Sophistes wird der Zusammenhang von Sprache und Erkenntnis erörtert. Ebenso wird Sprache als Satz thematisiert. (3) Im Phaidros und dem Siebten Brief ist eine Sprachskepsis auszumachen, zugleich tritt das λόγος-Verständnis Platons hervor. (4) Abschließend wird ein kurzer Blick auf die Rezeption der platonischen Fragestellungen geworfen.

(1) Die wichtigste Auseinandersetzung Platons mit sprachphilosophischen Fragen findet sich im Kratylos7, „dem ersten zusammenhängend überlieferten sprachphilosophischen Text der griechischen Literatur“8. Es handelt sich um ein Streitgespräch zwischen Kratylos und Hermogenes9 um die Richtigkeit von Namen, in das Sokrates verwickelt wird. Was das eigentliche Thema des Dialogs ist, ist in der Forschung umstritten. Es werden der Ursprung der Sprache, die kommunikative und wissensvermittelnde Funktion der Sprache oder die Etymologien als zentraler Inhalt herausgestellt.10 Um den Dialog richtig einordnen zu können, ist vorab in Erinnerung zu rufen, dass ὄνομα im Griechischen nicht nur Eigennamen bezeichnet, sondern allgemein ein Wort.11

Die Einheit von Wort und Sache, die im mythisch-magischen Denken vorliegt, wird im Kratylos durch einen Bezug zwischen Wort und Sache ersetzt.12 Angestoßen durch die Annahme der Naturphilosophen und Atomisten, dass Sprache keinen „Bezug zur physikalischen Wirklichkeit“13 besitze, wurde die direkte Beziehung von Wort und Gegenstand in Frage gestellt. Das Problem diskutiert Platon im Krat. Verstärkt wurden die Zweifel an einer naturgegebenen Beziehung von Wort und Sache durch die Rhetorik der Sophisten, die versuchten, ihre Ziele durch die Uneindeutigkeit von sprachlichen Äußerungen voranzubringen. Dem strebt Platon entgegen, wobei sich bei dem Versuch seiner Problemlösung immer eine enge Verbindung zu seiner Gesamtphilosophie (Erkenntnistheorie, Ontologie,…) zeigt.14 Im Dialog selbst entfalten Kratylos und Hermogenes ihre Positionen bezüglich der Richtigkeit von Namen. Kratylos vertritt die These, dass es für alle Dinge von Natur aus richtige Namen gibt:15

Κρατύλος φησὶν ὅδε, ὦ Σώκρατες, ὀνόματος ὀρθότητα εἶναι ἑκάστῳ τῶν ὄντων φύσει πεφυκυῖαν, καὶ οὐ τοῦτο εἶναι ὄνομα ὃ ἄν τινες συνθέμενοι καλεῖν καλῶσι, τῆς αὑτῶν φωνῆς μόριον ἐπιφθεγγόμενοι, ἀλλὰ ὀρθότητά τινα τῶν ὀνομάτων πεφυκέναι καὶ Ἕλλησι καὶ βαρβάροις τὴν αὐτὴν ἅπασιν. (Krat. 383a-b)

Kratylos hier, o Sokrates, behauptet, jegliches Ding habe seine von Natur ihm zukommende richtige Benennung, und nicht das sei ein Name, wie einige unter sich ausgemacht haben etwas zu nennen, indem sie es mit einem Teil ihrer besonderen Sprache anrufen; sondern es gebe eine natürliche Richtigkeit der Wörter, für Hellenen und Barbaren insgesamt die nämliche. (Krat. 383a-b)

Hermogenes stellt sich gegen diese Ansicht und spricht sich dafür aus, dass alle Namen in Übereinkunft getroffen werden und hierdurch ihre Richtigkeit erhalten:

καὶ μὴν ἔγωγε, ὦ Σώκρατες, πολλάκις δὴ καὶ τούτῳ διαλεχθεὶς καὶ ἄλλοις πολλοῖς, οὐ δύναμαι πεισθῆναι ὡς ἄλλη τις ὀρθότης ὀνόματος ἢ συνθήκη καὶ ὁμολογία. (…) οὐ γὰρ φύσει ἑκάστῳ πεφυκέναι ὄνομα οὐδὲν οὐδενί, ἀλλὰ νόμῳ καὶ ἔθει τῶν ἐθισάντων τε καὶ καλούντων. (Krat. 384c-d)

Ich meinesteils, Sokrates, habe schon oft mit diesem und vielen anderen darüber gesprochen und kann mich nicht überzeugen, daß es eine andere Richtigkeit der Worte gibt, als die sich auf Vertrag und Übereinkunft gründet. (…) Kein Name eines Dinges gehört ihm von Natur, sondern durch Anordnung und Gewohnheit derer, welche die Wörter zur Gewohnheit machen und gebrauchen. (Krat. 384c-d)

Durch menschliche Vereinbarung (συνθήκῃ) werden also Namen gebildet. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass das im Krat. diskutierte Problem nicht historisch, sondern systematisch zu verstehen ist: Es geht nicht darum, zu erörtern, ob Namen von Natur aus oder durch menschliche Übereinkunft entstanden sind, sondern darum, „ob der Namengeber bei seinem Geschäft völlig willkürlich verfahren konnte oder sich an einer naturgegebenen Richtigkeit zu orientieren hatte“16.

Von Sokrates schließlich werden beide Thesen zugespitzt und kritisiert. Aus dieser verschärften Darstellung der Theorien ergibt sich, dass es ausschließlich richtige Namen geben kann. Die zugespitzte Position, die Sokrates Kratylos abringt, besteht darin, dass es für alle Dinge nur einen richtigen Namen geben kann, weil lediglich der Begriff, der einen Gegenstand bezeichnet, als Name gewertet werden kann. Alle anderen Lautgebilde sind nichtsaussagend.17 Die These des Hermogenes wird verschärft, indem dieser sich zur Äußerung verleiten lässt, dass jeder Mensch für sich selbst Namen festlegen kann, die dadurch ihre Richtigkeit erlangen.18

Beide Thesen erweisen sich deshalb als unzureichend, weil eine Theorie gesucht wird, nach der es sowohl richtige als auch falsche Namen geben kann.19 Deshalb wohl lässt Platon Sokrates beide Theorien ad absurdum führen. Er vergleicht die radikalisierte Position des Hermogenes mit handwerklichem Tun wie Weben oder Bohren. Wenn von solchen Tätigkeiten ein ordentliches Ergebnis erwartet wird, können sie nicht willkürlich ausgeführt werden, sondern müssen ihrer Sache gemäß angegangen werden. Dies gilt analog für die ὀνόματα. Soll Sprache sachgerecht sein, müssen auch die Gegenstände, mit denen Sprache arbeitet – analog zu Weberladen oder Bohrern – sachgerecht sein: Die Wörter. Das Wort wird von Sokrates deshalb als belehrendes/informierendes und wesensunterscheidendes Werkzeug (ὄργανον) bestimmt.20 Es erfordert vom νομοθέτης/ὀνοματουργός eine besondere Fähigkeit, ein solches entstehen zu lassen, die nur sehr selten vorkommt.21 Indem das Wort als Werkzeug bestimmt wird, stellt Platon erstmals den Aspekt der Pragmatik von Sprache heraus. Der Dialog läuft darauf hinaus, dass nur eine Verbindung beider Theorien sinnvoll ist, weil sowohl die Kommunikation als auch der Seinsbezug zu den wichtigsten Funktionen der Sprache gehören.22 Sokrates analysiert Namen im Folgenden etymologisch und gelangt zu dem Ergebnis, dass es Wörter gibt, die nicht weiter analysiert werden können, z.B. unzusammengesetzte Wörter (= die ersten Wörter, Stammwörter).23 Man gelangt zu einer neuen Analogie, wenn man nicht der vereinfachten Annahme folgen will, dass dies barbarische oder besonders alte Wörter sind: Stumme können sich durch Gestik und Mimik mitteilen, indem sie Dinge nachahmen; dementsprechend muss auch eine Nachahmung von Dingen durch die Stimme und den Mund möglich sein. Entscheidend für diese Nachahmungsprozesse ist, das echte Sein/Wesen der Dinge abzubilden und nicht nur Äußerlichkeiten nachzuahmen.24 Der Bezug zwischen Sein und Sprache wird deutlich herausgestellt. Gegen Ende des Dialogs, wenn Kratylos im Gespräch mit Sokrates zugeben muss, dass eine vollkommene Nachahmung eines Gegenstandes unmöglich ist, da der Gegenstand sonst doppelt vorhanden sein müsste und keine Nachahmung mehr darstellt, wird deutlich, dass eine Verbindung der Theorien von Kratylos und Hermogenes notwendig ist.25 Kratylos muss eingestehen, dass es bessere und schlechtere Namen geben muss, weil Nachahmung selbst besser oder schlechter sein kann. Von dieser Einsicht ausgehend, wird die Notwendigkeit der Verbindung beider Modelle sichtbar, da Kommunikation durch Sprache, wenn es unterschiedlich ‚gut’ gebildete Namen gibt, nicht vollkommen ohne Vereinbarung möglich ist.26 Beide Theorien bieten für Platon eine unzureichende Erklärung, da sie allein jeweils nur eine der beiden Funktionen von Sprache konkret in den Blick nehmen und die andere vernachlässigen: Die These des Hermogenes eignet sich, um den kommunikativen Aspekt der Sprache zu erklären, ermöglicht aber keinen Bezug zwischen Name und Sache; die These des Kratylos rückt diesen Zusammenhang in den Mittelpunkt, vernachlässigt dabei aber die kommunikative Funktion.27 Eine Möglichkeit der Vermittlung zwischen beiden Theorien entsteht durch die Ideenlehre Platons.28 Wörter sind demnach Abbilder der Ideen, nicht die Dinge selbst. Das Wort hat einen Bezug zum echten Sein und zur Wahrheit, weil Ideen nach Platon das eigentlich Seiende sind. Der Namensgeber hat bei der Bildung der Namen also zunächst die Idee vor Augen. 29 Mit der Lehre von den Ideen entsteht ein dreiteiliges Modell von Wort, Sache und Idee. Platon hat stets das Verhältnis von ὄνομα als Lautgestalt und dem Gegenstand (πρᾶγμα) im Blick.30 Der Bildner der Namen gibt die Idee in der konkreten Lautgestalt wieder. Eine Unterscheidung zwischen Lautgestalt und Zeicheninhalt, wie sie bei Aristoteles deutlich hervortreten wird, ist für Platon nicht anzunehmen. Auch wenn er gelegentlich den Inhalt des sprachlichen Zeichens mitbedenkt, zeigt sich kein Bewusstsein für diese Unterscheidung.31

 

Platon greift in seinen sprachphilosophischen Überlegungen das Modell auf, das bei Heraklit im Mittelpunkt steht, indem er sich der Sprache im Allgemeinen zuwendet. Im Kratylos wird bezüglich der Sprache vorrangig auf der Ebene der einzelnen Wörter argumentiert, auf welcher das Verhältnis von Wort und Gegenstand reflektiert wird. Platon lässt Sokrates neben der Wortebene auch immer wieder auf der Satzebene diskutieren. Es kann letztlich nicht geklärt werden, ob Platon den Satz im Kratylos noch als bloße Aneinanderreihung von Wörtern versteht (akkumulatives Satzmodell) versteht oder ob er, wie es sich anschließend für Tht. und Soph. zeigen wird, bereits von einem weiter entwickelten Modell ausgeht, das dem Satz einen Wahr- oder Falschheitsgehalt zurechnet.32

Auch die Frage nach der Entstehung und Legitimation der Sprache wird im Krat. aufgeworfen:

Σωκράτης: Τίνα οὖν τρόπον φῶμεν αὐτοὺς εἰδότας θέσθαι ἢ νομοθέτας εἶναι, πρὶν καὶ ὁτιοῦν ὄνομα κεῖσθαί τε καὶ ἐκείνους εἰδέναι, εἴπερ μὴ ἔστι τὰ πράγματα μαθεῖν ἀλλ᾽ ἢ ἐκ τῶν ὀνομάτων;

Κρατύλος: Οἶμαι μὲν ἐγὼ τὸν ἀληθέστατον λόγον περὶ τούτων εἶναι, ὦ Σώκρατες, μείζω τινὰ δύναμιν εἶναι ἢ ἀνθρωπείαν τὴν θεμένην τὰ πρῶτα ὀνόματα τοῖς πράγμασιν, ὥστε ἀναγκαῖον εἶναι αὐτὰ ὀρθῶς ἔχειν. (Krat. 438b-c)

Sokrates: Auf welche Weise also konnten wohl jene nach Erkenntnis Wörter festsetzen oder wortbildende Gesetzgeber sein, ehe überhaupt noch irgendeine Benennung vorhanden und ihnen bekannt war, wenn es nicht möglich ist, zur Erkenntnis der Dinge anders zu gelangen als durch die Wörter?

Kratylos: Ich bin daher der Meinung, Sokrates, die wichtigste Erklärung hierüber werde sein, daß es eine größere als menschliche Kraft gewesen, welche den Dingen die ersten Namen beigelegt, und daß sie eben deshalb notwendig richtig sind. (Krat. 438b-c)

Die größere Macht wird von Kratylos nicht weiter erläutert. Bei Philon und Paulus findet sich diese näher bestimmt.33

(2) Theaitetos behandelt die Frage, was Wissen (ἐπιστήμη) ist.34 Gegen Ende des Dialogs wird die These aufgestellt, dass Wissen wahre Meinung sei, die mit einer Erklärung (λόγος) verbunden ist:

ἔφη δὲ τὴν μὲν μετὰ λόγου ἀληθῆ δόξαν ἐπιστήμην εἶναι, τὴν δὲ ἄλογον ἐκτος ἐπιστήμης· καὶ ὧν μὲν μή ἐστι λόγος, οὐκ ἐπιστητὰ εἶναι, οὑτωσὶ καὶ ὀνομάζων, ἃ δ᾽ ἔχει, ἐπιστητά. (Tht. 201c-d)

Er sagte nämlich, die mit ihrer Erklärung verbundene richtige Vorstellung wäre Erkenntnis, die unerklärbare dagegen läge außerhalb der Erkenntnis. Und wovon es keine Erklärung gebe, das sei auch nicht erkennbar, und so benannte er dies auch, wovon es aber eine gebe, das sei erkennbar. (Tht. 201c-d)

Daran schließt sich eine Bestimmung des λόγος-Begriffs an. Erklärbar, und damit auch erkennbar, ist nur etwas Zusammengesetztes. So sind beispielsweise die ersten beiden Buchstaben des Namens ‚Sokrates’, also ‚s’ und ‚o’ nur nennbar, nicht erklärbar. Die erste Silbe ‚So’ hingegen ist erklärbar, nämlich als die beiden Einzelbuchstaben.35 In der Verknüpfung von Buchstaben als Namen und in der Verbindung von mehreren Namen liegt die Erklärbarkeit der Sprache. Platon ist damit bei der Auffassung von der Sprache als Satz angekommen.36 Von Sokrates schließlich wird die Ansicht, dass der Mensch ein Wissen von zusammengesetzten Dingen erwerben kann, als nicht haltbar ausgewiesen. Er selbst bietet drei Möglichkeiten für die Begriffsbestimmung von λόγος: Erstens ist der λόγος eine Äußerung von etwas Gedachtem. Diese Äußerung wird durch die Stimme und mit Hilfe der Wörter ermöglicht. In diesem Zusammenhang führt Platon erstmals die Unterscheidung von ὀνόματα (Substantiven) und ῥήματα (Verben) ein.37 Zweitens kann unter dem Lexem ein Ganzes verstanden werden, das aus einzelnen Teilen besteht, und drittens bestimmt Sokrates den λόγος als Angabe eines Merkmals, durch das sich das zu Erklärende von allen anderen unterscheiden lässt. Keine der Definitionen kann den λόγος zufriedenstellend erläutern, weshalb der Tht. noch keine Begriffsbestimmung zulässt.38 Dies ermöglicht Platon erst im Soph.,39 wonach eine sinnvolle Rede entsteht, indem Wörter miteinander verknüpft werden.40

Der Verbindung einzelner Wörter geht eine Verbindung der Ideen voraus.41 Auch der Satz wird als eine solche Verknüpfung angesehen und zwar nicht allein als eine Verknüpfung von ὀνόματα, wie dies für den Tht. gilt, sondern von ὀνόματα und ῥήματα. Der Fokus liegt auf der Verbindung beider Wortklassen, da die Aneinanderfügung von Wörtern derselben Wortart keinen Sinn ergibt:

Ξένος: Οὐκοῦν ἐξ ὀνομάτων μὲν μόνων συνεχῶς λεγομένων οὐκ ἔστι ποτὲ λόγος, οὐδ᾽ αὖ ῥημάτων χωρὶς ὀνομάτων λεχθέντων. (…)

Θεαίτητος: Πῶς;

Ξένος: Οἷον «βαδίζει» «τρέχει» «καθεύδει», καὶ τἆλλα ὅσα πράξεις σημαίνει ῥήματα, κἂν πάντα τις ἐφεξῆς αὔτ᾽ εἴπῃ, λόγον οὐδέν τι μᾶλλον ἀπεργάζεται.

Θεαίτητος: Πῶς γάρ;

Ξένος: Οὐκοῦν καὶ πάλιν ὅταν λέγηται «λέων» «ἔλαφος» «ἵππος», ὅσα τε ὀνόματα τῶν τὰς πράξεις αὖ πραττόντων ὠνομάσθη, καὶ κατὰ ταύτην δὴ τὴν συνέχειαν οὐδείς πω συνέστη λόγος· οὐδεμίαν γὰρ οὔτε οὕτως οὔτ᾽ ἐκείνως πρᾶξιν οὐδ᾽ ἀπραξίαν οὐδὲ οὐσίαν ὄντος οὐδὲ μὴ ὄντος δηλοῖ τὰ φωνηθέντα, πρὶν ἄν τις τοῖς ὀνόμασι τὰ ῥήματα κεράσῃ. Τότε δ᾽ ἥρμοσέν τε καὶ λόγος ἐγένετο εὐθὺς ἡ πρώτη συμπλοκή, σχεδὸν τῶν λόγων ὁ πρῶτός τε καὶ σμικρότατος. (Soph. 262a-c)

Fremder: Und nicht wahr aus Hauptwörtern allein, hintereinander ausgesprochen, entsteht niemals eine Rede oder ein Satz, und ebensowenig auch aus Zeitwörtern, die ohne Hauptwörter ausgesprochen werden? (…)

Theaitetos: Wieso?

Fremder: Wie etwa geht, läuft, schläft, und so auch die andern Zeitwörter, welche Handlungen andeuten, und wenn man sie auch alle hintereinander hersagte, brächte man doch keine Rede zustande.

Theaitetos: Wie sollte man auch!

Fremder: Und ebenso wiederum, wenn gesagt wird, Löwe, Hirsch, Pferd und mit was für Benennungen sonst was Handlungen verrichtet, pflegt benannt zu werden, auch aus der Folge kann sich nie eine Rede bilden. Denn weder auf diese noch auf jene Weise kann das Ausgesprochene weder eine Handlung noch eine Nichthandlung noch ein Wesen eines Seienden oder Nichtseienden darstellen, bis jemand mit den Hauptwörtern die Zeitwörter vermischt. Dann aber fügen sie sich, und gleich ihre erste Verknüpfung wird eine Rede oder ein Satz, wohl der erste und kleinste von allen. (Soph. 262a-c)

So erfährt der λόγος als Satz bei Platon eine Definition. Hinzu kommen die Bestimmungen, dass der λόγος sich auf etwas Seiendes beziehen muss und Wahrheit enthält, die durch die Verbindung der einzelnen Ideen garantiert sein muss.42 So enthält der Satz „Θεαίτητος (…) πέτεται“43 keine Wahrheit, weil die Idee des Fliegens mit dem Menschen Theaitetos nicht kompatibel ist, im Gegensatz zur Aussage „Θεαίτητος κάθηται“44. Damit liefert Platon eine Wesensbestimmung des λόγος und ein Kriterium, um die Wahrheit eines Satzes zu überprüfen.45 Wahrheit wird jetzt als Eigenschaft des λόγος bestimmt, nicht mehr als die des Namens. Wahrheit und Falschheit der Sprache wird nicht mehr mit den einzelnen Wörtern gleichgesetzt, sondern mit dem Satz bzw. der Satzaussage.46 Mit der Erkenntnis, dass durch eine sprachliche Äußerung überhaupt etwas Falsches ausgesagt werden kann, ist das sprachphilosophische Denken der Vorsokratiker, die dies bestritten haben, überwunden.47 Nach deren Ansicht müssen Namen zwar nicht die ‚echte’ Wirklichkeit wiedergeben, sie geben aber mindestens die subjektive Wirklichkeit wieder, keine dezidiert falsche, wie dies im platonischen Denken möglich ist.

Im Tht. und im Soph. wird die Verbindung von Denken und Sprechen betont.48 Beide Komponenten können nicht voneinander getrennt werden, weil sie ihrem Wesen nach zusammengehören, denn das Denken ist der innere Dialog der Seele mit sich selbst.49

(3) Im Phaidros50 wird eine Sprachskepsis ersichtlich. Vor allem gegen Sprache in schriftlicher Form erhebt der platonische Sokrates erhebliche Zweifel:

Δεινὸν γάρ που, ὦ Φαῖδρε, τοῦτ᾽ ἔχει γραφή, καὶ ὡς ἀληθῶς ὅμοιον ζωγραφίᾳ. Καὶ γὰρ τὰ ἐκείνης ἔκγονα ἕστηκε μὲν ὡς ζῶντα· ἐὰν δ᾽ ἀνέρῃ τι, σεμνῶς πάνυ σιγᾷ. Ταὐτὸν δὲ καὶ οἱ λόγοι· δόξαις μὲν ἂν ὥς τι φρονοῦντας αὐτοὺς λέγειν· ἐὰν δέ τι ἔρῃ τῶν λεγομένων βουλόμενος μαθεῖν, ἕν τι σημαίνει μόνον ταὐτὸν ἀεί. Ὅταν δὲ ἅπαξ γραφῇ, κυλινδεῖται μὲν πανταχοῦ πᾶς λόγος ὁμοίως παρὰ τοῖς ἐπαΐουσιν, ὡς δ᾽ αὕτως παρ᾽ οἷς οὐδὲν προσήκει, καὶ οὐκ ἐπίσταται λέγειν οἷς δεῖ γε καὶ μή. (Phaidr. 275d-e)

Denn das, Phaidros, ist offenbar das Ärgerliche bei der Schrift und macht sie in der Tat vergleichbar der Malerei: Auch die Erzeugnisse der Malerei nämlich stehen da, als wären sie lebendig; fragst du sie aber etwas, so schweigen sie in aller Majestät. Und genauso ist es mit den geschriebenen Texten: Du könntest meinen, sie sprechen, als hätten sie Verstand; fragst du aber nach etwas von dem, was sie sagen, weil du es verstehen willst, so erzählt der Text immer nur ein und dasselbe. Und ist er erst einmal geschrieben, treibt jeder Text sich überall herum und zwar in gleicher Weise bei denen, die ihn verstehen, wie bei denen, für die er nicht paßt, und er weiß nicht, zu wem er reden soll und zu wem nicht. (Phaidr. 275d-e)51

Es sollten deshalb nur Überlegungen schriftlich aufgezeichnet werden, wenn sie der eigenen Erinnerung als „ὑπόμνημα“52 dienen. Als Kommunikations- und Informationsmittel kann lediglich der mündliche Dialog ernst genommen werden.53 Während Platon im Kratylos die Ansicht kritisiert, dass man Erkenntnis allein durch Wörter gewinnen kann, richtet sich seine Skepsis im Phaidr. auch auf eine mögliche Erkenntnisvermittlung durch geschriebene Sprache.54 Noch höher gewertet als der Dialog wird das Denken (νοεῖν), das Platon als „λόγον ὃν αὐτὴ πρὸς αὑτὴν ἡ ψυχή διεξέρχεται περὶ ὧν ἂν σκοπῇ“55 (eine Rede, welche die Seele bei sich selbst durchgeht über dasjenige, was sie erforschen will) versteht.

Der Siebte Brief56 formuliert die Kritik gegenüber der Sprache noch expliziter, indem Platon ein fünfstufiges Erkenntnismodell erläutert. Die ersten drei Stufen der Erkenntnis einer Sache sind für Platon ὄνομα (Name), λόγος (Erklärung) und εἴδωλον (Abbild). Die vierte Stufe ist ἐπιστήμη (Wissen), also die Erkenntnis an sich;57 unter der fünften Stufe ist der Gegenstand der Erkenntnis, also die ἰδέα (Idee) zu verstehen. Die einzige Möglichkeit, zur Erkenntnis zu gelangen, ist der Durchgang durch die ersten Stufen, da dies bei weisen Menschen zu einer plötzlichen Erkenntnis der Idee des Gegenstandes führen kann. Wer in einem Gespräch jedoch auf die Idee verweist, der wird sich nach Platons Ansicht lächerlich machen, weil die unfähigen Menschen solches nicht verstehen.58 Sie werden nicht durch den Durchgang der ersten Erkenntnisstufen an Einsicht gewinnen, auch nicht durch die Hilfe von sprachlichen Mitteln, denn die Idee kann nicht in Worten (und keinesfalls in der Schrift) erfasst werden.59 Damit ist die Sprachskepsis Platons nicht mehr nur auf die schriftliche Sprache bezogen, sondern richtet sich auch auf gesprochene Worte. Auch sie werden als Mittel, um zur Erkenntnis zu verhelfen, in Frage gestellt, da das Wort nicht geeignet ist, um das Sein einer Sache hervorzubringen.60 Platon spricht der Sprache trotz seiner Kritik aber nicht jeglichen Nutzen ab. Er ist gewillt, Möglichkeiten zu benennen, wie die Defizite bezüglich der Erkenntnis durch Sprache behoben werden können: So nennt er beispielsweise ein dauerhaftes Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler, eine enge Beziehung des Rezipienten mit der behandelten Sache oder Frage-Antwort-Spiele, die zu gegenseitiger Widerlegung führen können.61 Der λόγος dient bei Platon als sicheres Erkenntnismittel, nicht die mündliche oder schriftliche Sprache;62 deshalb spielt er in den platonischen Dialogen eine bedeutende Rolle.63 Er ermöglicht es den Menschen weiterhin, Gegenstände nicht direkt betrachten zu müssen, sondern das Wesen der Dinge im λόγος erblicken zu können.64 Es wurde bereits im Soph. deutlich, dass der λόγος einen Wahrheitsanspruch besitzt. Aus diesem Grund kommt ihm bei der philosophischen Wahrheitssuche eine zentrale Rolle zu, und von daher versteht sich der Philosoph als Freund des λόγος.65 In ihm ist der Zusammenhang von Sprachen und Denken verankert, den Platon als wechselseitig zu vollziehenden Prozess sieht, der zur Erkenntnis führt.66 Um diese und um die Kommunikation darüber geht es dem platonischen Sokrates, nicht um den Sieg in einem Gespräch. Der λόγος ermöglicht es Menschen, ihr Wissen freizusetzen und mitzuteilen. Dies alles wird nicht im Monolog, sondern vorrangig im Dialog erreicht; deshalb ist der mündliche Dialog für den platonischen Sokrates das ausschlagende Mittel, um zur Erkenntnis zu gelangen.67 Die Dialogpartner erinnern (ἀνάμνησις) sich während eines Dialogs gegenseitig an ihr ‚Ideenwissen’.68 Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass die Gesprächspartner mit Begriffen arbeiten, die sie verstehen.69 Übereinstimmung ist also als wichtiger Bestandteil des λόγος zu werten.70

 

(4) Die Fragestellungen und Problemaufrisse, die Platon in seinen Dialogen bietet, haben das sprachphilosophische Denken der Folgezeit maßgeblich beeinflusst. Die Theorien der natürlichen und konventionellen Entstehung von Sprache werden in hellenistischer Zeit unter den Begriffen der Analogie und der Anomalie wieder aufgegriffen. Die Anomalisten sehen den Zusammenhang von Bezeichnendem und Bezeichnetem, der bei Platon nicht im Blick ist, als naturgegeben an, während die Analogisten die Ansicht vertreten, dass dieser Zusammenhang auf Konventionen beruht.71 In der mittelalterlichen Scholastik wird die Diskussion erneut aufgegriffen. Erst Ferdinand de Saussure schafft mit der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens ein neues Paradigma.72 Das Interesse an den Etymologien des Krat. blieb kontinuierlich erhalten. Die Etymologien werden von der Stoa an bis ins 19. Jh. hinein thematisiert und bearbeitet.73 Für die weitere sprachphilosophische/sprachwissenschaftliche Arbeit ist auch das von Platon angelegte Semiotikmodell bedeutend. Die Unterscheidung zwischen Referenz und Bedeutung eines Wortes greift beispielsweise Gottlob Frege auf, die Differenzierung zwischen äußerer Lautgestalt und innerer Wortform spiegelt sich in den Theorien von Ferdinand de Saussure und Noam Chomsky wieder, die Vorstellung von der Sprache als Werkzeug findet sich im Organonmodell Karl Bühlers. Das im Soph. entwickelte Satzmodell Platons wird die Grundlage der entstehenden Grammatiken. Es wird erstmals von Augustin aufgegriffen und weiterentwickelt.74

Zusammenfassung:

Platon überwindet das Denken, dass zwischen Wort und Sache eine Einheit besteht, wie Heraklit dies annahm. Für Platon bildet das Wort nicht mehr direkt den Gegenstand ab. Der Bezug zwischen Wort und Sache wird durch die neu eingeführte Komponente der Idee hergestellt. Die Namen sind demnach keine Abbilder der realen Dinge, sondern der Ideen. Dadurch entsteht das dreiteilige Modell von Wort, Sache und Idee. Die Ideenlehre wird in Krat. angedeutet, ist dort aber noch nicht vollständig entfaltet. Im Krat. setzt sich Platon intensiv mit der Verhältnisbestimmung von Wort und Sache und der Frage auseinander, ob die Sprache ihre Legitimation von Natur aus (φύσει) oder durch Konvention/Übereinkunft (ὁμολογία/συνθήκῃ) erhalten hat. Dabei ist in vorplatonischer Zeit und bei Platon selbst noch nicht von dem Gegensatz φύσει-θέσει die Rede, der φύσει-These werden die eben genannten Termini gegenüber gestellt.75 Eine eindeutige Position kann für Platon nicht ausgemacht werden.76 Dies spielt insofern keine Rolle, als der Dialog – auch ohne zu einer Entscheidung für oder gegen eine Theorie zu kommen – wichtige Einblicke in das sprachphilosophische Denken und die zentrale Fragestellungen gibt.

Sprache erfährt aber eine Abwertung, weil die Erkenntnis dem Bereich der Logik zugeordnet wird, und auch die Erkenntnisfunktion wird ihr abgesprochen.77 Die ἰδέα wird zum Gegenstand der Erkenntnis. Die Sprache selbst kann erst einen Bezug zur Erkenntnis gewinnen, wenn in ihr eine Idee zum Ausdruck gebracht wird. Als direktes Erkenntnismittel aber fungiert bei Platon der λόγος.78 Für den λόγος selbst wird ein enger Zusammenhang von Denken und Sprechen angenommen, der in einem Prozess zur Erkenntnis führen kann. Die These des Parmenides, dass es Nichtseiendes nicht geben kann, wird widerlegt, weil der λόγος Seiendes mit Nichtseiendem verbinden kann; auch ein falscher Aussagegehalt einer sprachlichen Äußerung wird nun als möglich angesehen.79 Die Ansicht Heraklits, dass eine Notwendigkeit besteht, nach der alles in Bewegung ist, wird entkräftet; wenn dem so wäre, könnte aufgrund von wechselnden Wortbedeutungen keine Kommunikation erfolgen. Weil dies aber der Fall ist, muss es „Fixpunkte“80 geben. Als einen solchen bestimmt Platon den λόγος.

Während der Fokus im Krat. auf dem Verhältnis von Wort und Sache liegt, verändert Platon im Tht. und Soph. den Blickwinkel. Sprache wird nicht mehr nur als Wort wahrgenommen, sondern auch auf Satzebene thematisiert. Der λόγος wird im Soph. als Satz bestimmt, der durch die Verbindung einzelner Ideen Wahrheit hervorbringen kann. Es wird also nicht mehr einzelnen Wörtern ein Wahrheitsgehalt zugesprochen, sondern Sätzen. Als Neuerung Platons gegenüber Heraklit und Parmenides ist zu sehen, dass Wörter auch einen falschen Aussagegehalt haben können.