Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses

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(3) Das zweite Teilgebiet der stoischen Sprachphilosophie (‚Περὶ σημεινομένον’) beschäftigt sich mit dem, was wir heute die Inhaltsseite des sprachlichen Zeichens bzw. das Bezeichnete nennen. Hinter dieser Thematik steht die Frage, wie der Bezug zwischen Wort und Objekt zu denken ist. Die Stoiker knüpfen diesbezüglich an die Sichtweise von Aristoteles an, der den Bezug zwischen Wort und Ding durch die παθήματα τῆς ψυχῆς vermittelt sieht. Die Stoiker sind bemüht, die aristotelische Ansicht zu differenzieren und näher zu bestimmen. Sie benutzen hierzu den Begriff λέκτον, der das Bezeichnete charakterisiert:44

σημεινόμενον δὲ αὐτὸ τὸ πρᾶγμα τὸ ὑπ’ αὐτῆς δηλούμενον καὶ οὗ ἡμεῖς μὲν ἀντιλαμβανόμεθα τῇ ἡμετέρᾳ παρυφισταμένου διανοίᾳ, οἱ δὲ βάρβαροι οὐκ ἐπαΐουσι καίπερ τῆς φωνῆς ἀκούοντες∙ (…) ἓν δὲ ἀσώματον, ὥσπερ τὸ σημαινόμενον πρᾶγμα, καὶ λεκτόν (…). (S. Emp., Adv. Math. VIII,12; FDS 67)

Die Bedeutung [das Bezeichnete] ist eben die Sache, auf die durch den Laut hingewiesen wird und die wir begreifen, da sie in Abhängigkeit von unserem Denken existiert, die aber fremdsprachige Leute nicht verstehen, so sehr sie auch den Laut hören; (…) eines [von Bezeichnetem, Bezeichnendem und dem Objekt selbst] hingegen ist unkörperlich, nämlich die bezeichnete Sache, und zwar ein Lekton (…). (S. Emp., Adv. Math. VIII,12; FDS 67)

Das Bezeichnete definieren die Stoiker als unkörperlich, im Gegensatz zum eigentlichen Objekt und dem Bezeichnendem. Umberto Eco fasst prägnant zusammen, wie das λέκτον im stoischen Sinn zu fassen ist:

Bei den Stoikern ist der Inhalt keine Empfindung der Seele, kein geistiges Bild, keine Wahrnehmung, kein Gedanke oder keine Idee mehr, wie er es bei ihren Vorgängern war. Er ist weder eine Idee im platonischen Sinne, denn die Stoiker haben eine materialistische Metaphysik, noch eine Idee im psychologischen Sinne, da selbst in diesem Fall der Inhalt ein Körper wäre, eine physische Tatsache, eine Veränderung der Seele (die ebenfalls ein Körper ist), ein Siegel, das dem Geist aufgedrückt wird. Stattdessen schlagen die Stoiker vor, daß der Inhalt etwas Unkörperliches sei.45

Das λέκτον ist an den λόγος gekoppelt und zwar an den λόγος in seinem zweifachen Verständnis; d.h. unter λέκτον ist die Vorstellung zu sehen, die vom Denken erfasst wird und die zugleich an die sprachlichen Äußerung gebunden ist.46 Der Aspekt der Vorstellung wird in der stoischen Lehre durch die Komponente der φαντασία verdeutlicht:

λεκτὸν δὲ ὑπάρχειν φασὶ τὸ κατὰ λογικὴν φαντασίαν ὑφιστάμενον· λογικὴν δὲ εἶναι φαντασίαν καθ’ ἣν τὸ φαντασθὲν ἔστι λόγῳ παραστῆσαι. (S. Emp., Adv. Math. VIII,70; SVF II,187)

Sie (die Stoiker) sagen, daß ein ›Sagbares‹ (Lekton) dasjenige ist, was in Übereinstimmung mit einer vernünftigen Vorstellung subsistiert; und eine vernünftige Vorstellung ist diejenige, in der es möglich ist, den Inhalt der Vorstellung sprachlich zu präsentieren. (S. Emp., Adv. Math. VIII,70; Long/Sedley, 33C)

Mit der φαντασία wird ein Element eingeführt, das den Unterschied zur aristotelischen Sprachphilosophie zeigt und deutlich macht, dass das λέκτον aus einer rationalen Vorstellung entspringt. Eine solche liegt dann vor, wenn die φαντασία in einer sprachlichen Äußerung wiedergegeben werden kann bzw. wird. Das λέκτον ist dabei nicht mit der Vorstellung gleichzusetzen, da diese auch entstehen kann, ohne dass es zu einer sprachlichen Äußerung kommt.47 „Das lektón ‚existiert’ gleichsam zwischen dem Gedanken (…) und der Sache selbst.“48 Deshalb ist es mit ‚Gesagtem’ oder ‚Sagbarem’ zu übersetzen. Es ist als Mittlerelement zwischen dem Objekt und dem Gedanken zu sehen und dabei nicht an eine bestimmte Lautgestalt gebunden, aber an die Sprache im Allgemeinen.49 Mit dem Begriff λέκτον bringen die Stoiker das zum Ausdruck, was wir heute mit dem Terminus Bedeutung bezeichnen.50 An dieser Stelle sei angemerkt, dass es auch nach stoischer Lehre Laute gibt, die keine Bedeutung haben. Laute können also σημαντικός sein oder nicht. Ist letzteres der Fall, so handelt es sich um unsinnige Wörter wie beispielsweise βλίτυρι.51

Unvollständige λεκτά sind die Bezeichnung für die Flexionslehre, hierzu gehören Subjekt und Verb. Ein vollständiges λέκτον liegt vor, wenn „abgerundete Sinneinheiten“52 vorhanden sind, wie dies für Aussagesätze, Entscheidungsfragen oder Aufforderungen der Fall ist.53 Auch wenn die Stoiker den verschiedenen Satzarten großes Interesse beimessen, liegt ihr Fokus doch auf dem Aussagesatz.54

Der Begriff λέκτον, seine exakte Bestimmung und seine Bedeutung für die stoische und die nachfolgende Sprachphilosophie ist umstritten. Die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten und Gewichtungen des Begriffs können an dieser Stelle nicht im Einzelnen wiedergegeben werden.55 Im Wesentlichen sind für die Wirkung der stoischen Sprachphilosophie und das Verständnis des Begriffs λέκτον in der Forschung zwei Positionen auszumachen, die anhand von Umberto Eco und Klaus Oehler gezeigt werden können.56 Eco spricht sich dafür aus, dass die stoische Sprachphilosophie eine bedeutende Rolle für die modernen sprachwissenschaftlichen Theorien hat:

Sie [die Stoiker] scheinen die Triade [des sprachlichen Zeichens] zu reproduzieren, die Platon und Aristoteles vorschlugen, aber sie überarbeiteten sie mit einer theoretischen Feinheit, die vielen von denen fehlt, die ein solches semantisches Dreieck heutzutage wiederentdeckt haben. (…) Die Stoiker [gehen] viel weiter als ihre Vorgänger und entdecken die provisorische und labile Natur der Zeichenfunktion (derselbe Inhalt kann mit einem Ausdruck aus einer anderen Sprache ein Wort bilden).57

Problematisch an dieser Sichtweise ist, dass in den stoischen Fragmenten das gefunden werden kann, was man in ihnen zu finden gewillt ist.58 Oehler vertritt die zweite Position und schätzt die Wirkung der stoischen Lehre für die moderne Sprachwissenschaft als gering ein. Seiner Einsicht nach zeigt die Sprachphilosophie der Stoa gegenüber der platonischen und aristotelischen keinen wesentlichen Unterschied:

Dasselbe Schema findet sich schon bei Platon und Aristoteles. Es ist die ontologische Dreiteilung von πρᾶγμα (εἶδος), νόημα und ὄνομα. Das stoische λέκτον ist also gleichbedeutend mit dem νόημα (…). [D]as sind drei Elemente in der stoischen Logik, die auch schon bei Platon und Aristoteles begrifflich fixiert sind. Es kann also auch nicht die Rede davon sein, daß diese Betrachtungsweise (…) bei Aristoteles ‚vorbereitet’ wird: [S]ie ist bei Platon und Aristoteles schon längst da (…).59

Unter Umständen kann man mit Hennigfeld schlussfolgern:

Es liegt nahe, die Wahrheit in der Mitte zu suchen: Die Stoiker antizipieren zwar nicht moderne Sprach- und Satztheorien; sie gehen jedoch über Aristoteles (und Platon) hinaus, was sich zumindest an der Terminologie belegen läßt. Damit ist allerdings nicht viel gewonnen.60

Nicht viel gewonnen deshalb, weil das Verständnis des λέκτον für die Stoa letztlich nur unbefriedigend bestimmt werden kann. Die eindeutigen Aussagen über λέκτον müssen begrenzt bleiben, weil der Begriff innerhalb der Stoa vielfältig verwendet wird.

Zusammenfassung:

Die Stoa macht die Sprachphilosophie zum zentralen Untersuchungsgegenstand der Philosophie. Wichtigster Ansatzpunkt ist die von Aristoteles vorgenommene Unterscheidung des sprachlichen Zeichens in eine Ausdrucks- und Inhaltsseite. Sie wird von der Stoa aufgenommen und konkretisiert. Die φωνή als Ausdrucksseite wird zum Bezeichnenden, wenn mit ihrer Hilfe ein Laut erzeugt wird. Die Laute können unartikuliert oder artikuliert sein und werden für körperlich erklärt. Die artikulierten Laute sind die Laute des Menschen, die eng an den λόγος gebunden sind. Neben der Bestimmung des Wesens der Sprache gehört der Aufbau der Sprache zu der Ausdrucksseite des sprachlichen Zeichens. Hier folgen die Stoiker den ihnen bereits bekannten Einteilungen in Buchstaben, Silben, Wörter, Sätze und Texte. Was die Wortarten betrifft, so fügt Antipater von Tarsos (200–129 v. Chr.) das Adverb hinzu, Chrysipp (276–204 v. Chr.) teilt das Substantiv in Eigennamen und Appellative.

Während bei Aristoteles drei Komponenten der Sprache unterschieden werden, die Dinge (πρᾶγμα), die Eindrücke in der Seele hinterlassen (παθήματα τῆς ψυχῆς) und das Wort (ὄνομα), kommt bei den Stoikern das λέκτον als viertes Element hinzu. Die aristotelischen παθήματα τῆς ψυχῆς zerfallen in eine „‚psychische’ und eine ‚ideelle’ Komponente“61. Das λέκτον zeigt uns das reale Ding an, wenn wir das im Lautbild dargestellte Objekt gleichzeitig denken. Damit wird aber auch deutlich, dass es unkörperlich sein muss, im Gegensatz zur Stimme und dem Objekt selbst.62 Der Laut weist auf das λέκτον hin, welches wir jedoch erst verstehen können, wenn in unserem Denken (λόγος) der Bezug zum konkreten Objekt hergestellt wird. Das λέκτον ist folglich eng an den λόγος gebunden. Es existiert zwischen dem Gedanken und der Sache, ist aber anders als die platonische Idee direkt an die sprachliche Äußerung gekoppelt. Durch die Trennung von Ausdrucksseite und Bedeutung und die differenzierte Ausgestaltung letzterer erfährt die Sprache eine Abwertung. Da eine stimmliche Äußerung nicht mehr direkt auf das Objekt verweist, sondern auf das abstrakte λέκτον, zerfallen „die einheitlichen Leistungen der Sprache (…), wenn den Bedeutungen ein eigener ontologischer Status zugesprochen wird“63.

Die Stoa entwickelt ihre Position bezüglich der φύσει-θέσει-Theorien in Auseinandersetzung mit den Skeptikern und den Epikureern. Im Gegensatz zur stoischen Sprachphilosophie hat die der Epikureer für die weitere sprachwissenschaftliche Entwicklung nur eine geringe Bedeutung.64 Die Stoa nimmt in der Diskussion letztlich eine Mittelposition ein: Die Wörter gelten als vom Menschen gesetzt; die namengebenden Menschen orientieren sich bei der Setzung jedoch an der φύσις der Dinge und zwar in Form der Nachahmung.

 

7. Zusammenfassung der zentralen Fragestellungen

1 Die Entwicklung, die in der Sprachphilosophie vonstattengeht, betrifft die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Erscheinungsformen von Sprache, mit der ein sich wandelndes λόγος-Verständnis einhergeht.Bei den Vorsokratikern wird Sprache (λόγος) auf einer allgemeinen Ebene behandelt. Dies hat sich deutlich bei Heraklit gezeigt, der eine Analogie zwischen den Strukturen der Sprache, des Denkens und der Weltwirklichkeit annimmt. Sprache wird also als eine allgemeine „Erscheinungsform des Universums“1 gesehen. Sprache hat einen Wahrheitscharakter, wenn zwischen den drei Komponenten eine Analogie vorliegt; wird diese Analogie bezweifelt, verliert Sprache ihren Wert als Erkenntnismittel. Für Heraklit und Parmenides ist dies noch nicht anzunehmen, bei Platon zeigt sich eine Sensibilität für das Problem, was dazu führt, dass die Sprache als Mittel der Erkenntnis hinterfragt wird.Neben einer allgemeinen Ebene, auf der Sprache thematisiert wird, entwickelt sich v.a. bei Platon das Modell von der Sprache als Satz: Nicht mehr einzelnen Wörtern wird ein Wahrheitsgehalt zugeschrieben, sondern Sätzen. Besteht zwischen dem ausgesagten Satz und dem tatsächlichen Sachverhalt eine Analogie, so kann der Satz als ἀληθές bestimmt werden; liegt diese nicht vor, so ist die Aussage ψεῦδος. Heraklit hat die Kategorie der Wahrheit oder Falschheit von Sätzen noch nicht im Blick. Aristoteles fokussiert sich auf diese Erscheinungsform der Sprache und widmet sich weniger der Sprache im Allgemeinen und der Sprache als Wort. Er schreibt nur den Sätzen einen Wahrheits- oder Falschheitsgehalt zu.Wird die Sprache hauptsächlich auf Wortebene behandelt, so wird thematisiert, ob ein Wort das Objekt, das es bezeichnet, wiedergibt bzw. ihm entspricht.

2 Die zuletzt genannte Erscheinungsform der Sprache wird zu einer Angelegenheit, die die antike Sprachphilosophie fortwährend beschäftigt. Die Diskussion beinhaltet zum einen die Frage, ob das Verhältnis zwischen Wort und Sache als natürlich oder nicht-natürlich zu bestimmen ist. Die unterschiedlichen Ansichten werden im sog. φύσει-θέσει-Streit ausgetragen, den Coseriu in drei Phasen unterteilt, die in der vorangegangenen Bearbeitung bereits erläutert wurden und lediglich noch einmal kurz zusammengefasst werden sollen. In einer ersten Phase, die die vorplatonische Zeit beschreibt, wird der noch nicht immer als solcher wahrgenommene oder benannte Gegensatz mit den Begriffen φύσει-νόμῳ/ὁμολογίᾳ ausgedrückt. Platon spricht von συνθήκῃ. In diesem Stadium geht es um die Frage nach der Richtigkeit der Namen: Ist der Zusammenhang von Wort und Gegenstand als natürlich zu bestimmen, so dass es keine andere Möglichkeit gibt, das Ding zu bezeichnen? Die Antwort auf die Frage fällt einmal positiv aus, indem das Verhältnis von Wort und Gegenstand als natürlich bestimmt wird, einmal negativ, indem es als ‚durch Gesetz oder Übereinkunft vermittelt’ angesehen wird. Platon setzt neue Akzente, indem er, um das Verhältnis zwischen Wort und Sache zu bestimmen, die Idee einführt. Die nächste Phase, maßgeblich von Aristoteles geprägt, arbeitet mit den Begriffen φύσει und κατὰ συνθήκην. Sie verschiebt die Fragestellung dahingehend, dass nicht mehr nach der Verhältnisbestimmung von Lautgestalt und Gegenstand gefragt wird, sondern nach dem Verhältnis von der Gesamtheit des sprachlichen Zeichens und der Sache. Dies wird erst durch die von Aristoteles eingeführte Unterscheidung des sprachlichen Zeichens in die Ausdrucks- und Inhaltsseite möglich. Die eigentliche Streifrage gerät mit Aristoteles aus dem Blickfeld. In nacharistotelischer Zeit wird dem φύσει-Begriff der θέσει-Begriff gegenüber gestellt. Auch hier wandelt sich die Fragestellung. Es geht nicht mehr allein um die Richtigkeit der Namen, sondern auch um die Entstehung der verschiedenen Sprachen. Die Vertreter der θέσει-These begründen ihre Theorie damit, dass dieselben Dinge in unterschiedlichen Sprachen andere Namen erhalten haben.Neben der Frage, wodurch die Zuordnung von Wort und Sache ihre Legitimation erhält, wird diskutiert, wie dieser Bezug zwischen Wort und Objekt zu denken ist. Die Vorsokratiker denken eine Einheit von Name und Sache, ein Bezug wird nicht reflektiert. Platon nimmt einen Bezug beider Komponenten an und schaltet zwischen diese die Idee. Aristoteles gliedert den Namen in Ausdrucks- und Inhaltsseite und setzt erst den gesamtsprachlichen Ausdruck in Verbindung zum Objekt.

Für die weitere Entwicklung der Sprachphilosophie ist von besonderer Bedeutung: (1) Der λόγος-Begriff, der die Möglichkeit eröffnet, zwischen Sprache und Vernunft/Denken zu unterscheiden; damit entsteht das Bewusstsein, dass Zeichen veränderlich sind und Sprache deshalb nicht der Wirklichkeit entspricht, wie dies anfänglich von Parmenides und Heraklit angenommen wird; (2) der Werkzeugcharakter der Sprache, den Platon herausstellt und den Karl Bühler in seinem Organonmodell aufgreift; (3) die Unterscheidung des sprachlichen Zeichens in eine Ausdrucks- und Inhaltsseite, die Aristoteles gezielt herausarbeitet und die Ferdinand de Saussure mit den Begriffen des Signifikats und Signifikanten aufnimmt.2

III. Das Sprachverständnis Philons von Alexandria unter besonderer Berücksichtigung des Traktats De confusione linguarum
1. Vorbemerkungen

Das Kapitel beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Schrift De confusione linguarum, in der Philon Fragen des Sprachverständnisses behandelt. Nach einer kurzen Einführung in die Forschungsliteratur zum philonischen Sprachverständnis erfolgt eine kritische Analyse von De confusione linguarum § 9–13. Sie beinhaltet eine Einordnung in das Gesamtwerk Philons, die Darstellung, warum Philon sich in diesem Traktat zur Auseinandersetzung mit dem Thema Sprache gezwungen sieht, eine Übersetzung der angegebenen Verse sowie eine Nachzeichnung der Argumentation. Daran schließt sich die Untersuchung des philonischen Sprachverständnisses an, die weitere Traktate heranzieht und folgende Leitfragen analysiert: Wie ist die Entstehung von Sprache zu denken? Wie funktioniert Sprache, welche Relationen zwischen Wort und Sache können ausgemacht werden? Welche Funktionen, Aufgaben und Ziele hat Sprache? Wo werden Grenzen von Sprache deutlich? Der vorliegende Teil der Arbeit konzentriert sich auf das philonische Sprachverständnis. Dabei muss weitgehend auf Fragen nach der Person Philons, seiner Herkunft, der Entstehung, Kategorisierung und Echtheit der Schriften, der allegorischen Auslegungsmethode, etc. verzichtet werden.1 Am Ende der Ausführungen wird das philonische Sprachverständnis im Rahmen der antiken Sprachphilosophie positioniert.2

2. Einführung in die Forschungsliteratur zum philonischen Sprachverständnis

Für Philon liegen zur Sprache wenige Aufsätze und Monographien vor. Zunächst werden die beiden Monographien von Klaus Otte und Gertraut Kweta vorgestellt, anschließend werden die kleineren Beiträge in chronologischer Reihenfolge behandelt.

Ziel Klaus Ottes ist es, „unter Anwendung eines Analogieschlusses zwischen den Zeitgenossen Philo und Paulus das Sprachverständnis des letzteren zu ermitteln und auf diesem Wege zum Verständnis der Hermeneutik des Paulus beizutragen“1. Der angestrebte (problematische) Analogieschluss wird nicht unternommen; Otte thematisiert, wie letztlich auch der Titel nahe legt, nur die Sprachauffassung Philons. In einem ersten ausführlichen Kapitel behandelt Otte den Zusammenhang von Sprachauffassung und Weltverständnis. Er betont, dass das philonische Sprachverständnis in einem Zusammenhang mit der Auslegung des Seins steht.2 Im Anschluss an die Darstellung dieses Zusammenhangs stellt Otte die Sprachtheorie, die Anthropologie und die Kosmologie Philons dar. In den Analysen will er die Abhängigkeit von der Erkenntnistheorie Philons zeigen, welche im dritten Kapitel zusammen mit der Logologie als Grundlage der Hermeneutik dargestellt wird.3

Den Traktat De confusione linguarum bezieht Otte in seine Arbeit nicht mit ein. Insgesamt ist die Arbeit, wie Kweta richtig feststellt, sprachhermeneutisch überzogen.4 Dies wird dem Denken Philons nicht gerecht. Dennoch arbeitet Otte wichtige Aspekte des philonischen Sprachverständnisses heraus und zeigt den Zusammenhang von Sprache zur Logoslehre und zur Erkenntnistheorie auf.

Gertraut Kweta widmet sich in ihrer äußerst komplexen Untersuchung nicht nur dem Phänomen der Sprache im engeren Sinne, sondern benutzt das Thema, wie Otte, als Schlüssel für eine Darstellung der philonischen Kosmologie, Anthropologie, Theologie sowie der Erkenntnislehre. Dem Thema der Sprache im engeren Sinne sind lediglich Paragraph 3 und 4 im dritten Kapitel („Ursprung und Aufgabe der Sprache und die darein verschlungenen Probleme“) gewidmet.5 Ein wichtiges Verdienst von Kwetas Arbeit liegt darin, dass sie einige klassische Probleme der antiken Sprachphilosophie, nämlich vor allem die Frage nach dem Ursprung der Sprache und die Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit (Abbildproblematik), darstellt. Die Auseinandersetzung mit dieser Arbeit ist von besonderem Interesse, weil Kweta sich umfassend mit den einzelnen Teilen der philonischen Philosophie befasst und diese Aspekte in die Erarbeitung des Sprachverständnisses einbezieht.6 Kwetas Ansatz ist theoretisch/sprachphilosophisch, weniger textbezogen. Auffallend ist, dass sie nur in geringem Umfang auf den Traktat Conf eingeht, von welchem ausgehend das philonische Sprachverständnis hier erarbeitet werden soll.

David Winston beschäftigt sich in seinem Aufsatz „Aspects of Philo’s Linguistic Theory“7 mit der philonischen Theorie von der Entstehung der Sprache. Dabei liegt sein Fokus auf der Entstehung der Namen. Ausführlich behandelt er Adam und Mose in ihrer Funktion als Namengeber,8 worauf noch näher einzugehen sein wird, u.a. weil Winston im Zuge dieser Ausführungen auf die Perikope der Sprachverwirrung und auf die philonische Auslegung in Conf zu sprechen kommt9.

Maren R. Niehoff betrachtet in ihrem Aufsatz „What is in a Name? Philo’s Mystical Philosophy of Language“10 den mystischen Aspekt der Sprache bei Philon und geht folgender Fragestellung Philons nach: Wie kann ein Name tatsächlich die Substanz einer Idee oder eines Dinges wiedergeben? Sie untersucht dazu drei Allegorien, derer sich Philon bedient und die er auf den Schnittpunkt zwischen Name und Idee prüft: Die Allegorie des Wassers,11 des Lichts12 und der Dichtung,13 die Philon nutzt, um die Beziehung zwischen Sprache und Idee zu verdeutlichen. Sie versucht herauszustellen, in welchem Verhältnis für Philon ein Name und die Substanz der Dinge stehen; im Weitesten soll dadurch auch das Verhältnis von Gott als Quelle der Sprache und der stimmlichen Äußerung des Menschen im konkreten Wort bestimmt werden. Hierfür übernimmt der menschliche Geist eine Mittlerfunktion, indem er bestimmte Vorstellungen und Erkenntnisse in Worte fasst. Niehoff widmet sich in einem einführenden Teil den Kennzeichen der göttlichen und menschlichen Sprache und setzt sich, ähnlich wie Winston, ausführlich mit der Entstehung und Bedeutung der Namen auseinander.14 Abschließend fasst Niehoff ihre Ergebnisse prägnant zusammen: „Being a Divine emanation, language structures the universe and contains the essence of all things.”15 Sprache ermöglicht von daher immer einen konkreten Bezug zu Gott und der Welt, ebenso wie einen Einblick in beide Bereiche. Sprache steht deshalb im Zusammenhang mit der Erkenntnis des Menschen.16

David Robertson widmet sich in seiner Monographie „Word and Meaning in Ancient Alexandria. Theories of Language from Philo to Plotinus”17 Sprachtheorien zwischen 50 v. Chr. und 300 n. Chr., die einen Bezug zu Alexandria haben. Er sieht die Notwendigkeit, die antike Philosophie stärker in Bezug zu den Kirchenvätern zu setzen. Robertson stellt das Sprachverständnis von Philon, Clemens, Origenes und Plotin dar. Er verweist des Öfteren auf Kweta, die Monographie Ottes bleibt unberücksichtigt. Es geht Robertson nicht um die Fragen nach Ursprung und Funktion von Sprache. Er untersucht das Verhältnis von sinnlich wahrnehmbarer Wirklichkeit und mit dem Verstand wahrzunehmender Wirklichkeit. Anschließend setzt er sich mit dem philonischen Verständnis von λόγος und νοῦς auseinander.18

Damit liegen zum philonischen Sprachverständnis Untersuchungen vor, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen: Sprache als Seiendes, Namen, Entstehung oder Erkenntnis. In der folgenden Untersuchung können die jeweiligen Schwerpunkte der bereits vorhandenen wissenschaftlichen Literatur eingebracht werden; es soll nun versucht werden, das Sprachverständnis Philons anhand der Leitfragen eigenständig zu bearbeiten, systematisiert darzustellen und Philon im Rahmen der antiken Sprachphilosophie zu positionieren.