Natascha

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Ohne den Blick von dem jungen Mädchen zu nehmen, knurrt Natascha:

»Los Nicki. Nimm sie dir.«

»Was?«, ruft er entsetzt.

»Dein Blick hat mehr gesagt, als tausend Worte«, antwortet sie.

»Du willst sie, also nimm sie dir.«

»Sag mal, spinnst du jetzt völlig?« Nicki ist aufgebracht.

»Was meinst du mit nimm sie dir? Soll ich sie etwa …«

Ohne den Lauf der Waffe zu senken, sieht Natascha ihren Gefährten an.

»Du sagtest doch, einige deiner Wünsche seien noch nicht erfüllt. Ich denke, einer wartet hier auf dich. Also: Nimm sie dir, ich passe auf, dass euch niemand stört.«

Nicki fährt sich mit der Hand über das Gesicht.

»Du willst zugucken, wie ich mich an dem Mädchen vergehe? Hab ich das richtig kapiert?«

Natascha zuckt mit den Schultern.

»Wenn du schlau bist, tötest du sie hinterher«, sie grinst breit, »oder mittendrin. Das liegt ganz bei dir.«

Schnell wird sie wieder ernst.

»Jetzt mach endlich, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«

Mit einem gemeinen Lächeln fügt sie hinzu:

»Oder brauchst du ein längeres Vorspiel?«

»Nein«, knurrt Nicki und wendet sich wieder dem Mädchen zu. Die drängt sich wimmernd gegen den Mustang.

Nicki reißt sie hoch, zieht sie halb um das Auto und wirft sie mit Schwung auf die Motorhaube.

Die Kleine stöhnt vor Schmerz laut auf.

Sie hat einen rosa Minirock an, es kracht laut, als Nicki ihn zerreißt. Ebenso fliegen die Fetzen ihres schwarzen Shirts hinterher. Sie liegt jetzt nackt vor ihm, windet sich, versucht zu fliehen. Eine rasche Handbewegung und sie wird zurück auf die Haube des Mustangs geschleudert.

Mit halb geschlossenen Augen öffnet er seinen Gürtel, die Hose rutscht die Beine herunter, fällt locker um seine Knöchel. Es klimpert leise, als irgendetwas darin aneinander schlägt.

Nicki beugt sich vor, umfasst ihre Handgelenke, stützt sich so ab und hält sie gleichzeitig an Ort und Stelle fest.

Sie kann nun nicht mehr weg, das Schicksal des jungen Mädchens ist besiegelt.

Nicki wirft Natascha einen wütenden Blick zu.

»Hast du dir das so in etwa gedacht?«, knurrt er leise.

Die Vampirin fährt sich mit der Zunge über die Lippen, ihre schwarzen Augen lüstern auf das Pärchen gerichtet.

»So ungefähr«, haucht sie, »aber da fehlt noch etwas. Mach weiter.«

»Ganz wie ihr befielt, Herrin«, knurrt der Vampir und stößt zu.

Das Mädchen kreischt panisch, immer wieder.

Irgendwann, Nickis Atem wird schneller, keuchender, flüstert Natascha:

»Bring es zu Ende. Jetzt!«

Sein Kopf schnellt nach vorne, er schlägt dem nur noch flehenden, weinenden Mädchen seine spitzen Zähne in den Hals.

Sie bäumt sich auf, fast so, als wollte sie ihm näher sein, als habe sie Spaß an der ganzen Prozedur.

Nicki knurrt an ihrem Hals laut auf, wirft den Kopf in den Nacken und schickt ein wütendes Gebrüll in den dunklen Nachthimmel.

Natascha prescht vor, packt ihn an seinen kurzen Haaren, reißt Nickis Kopf herum und küsst ihn auf den blutverschmierten Mund.

Er erwidert ihren Kuss, wild und gierig versinkt er in ihrem Geschmack, taucht hinab in ihre Welt.

»Töte sie, Nicki«, haucht Natascha, als sich ihre Lippen voneinander lösen.

»Bring sie um … für mich.«

Nicki wirft einen Blick auf die Blondine, sie ist bereits mehr tot als lebendig. Aus der großen Halswunde fließt unaufhaltsam Blut, ihre Haut hat die Farbe frischer Milch angenommen. Der Atem geht nur noch stoßweise, langsam und röchelnd. Das Mädchen ist zu keiner Gegenwehr mehr bereit oder fähig, sie hat sich ihrem Schicksal hingegeben.

Er zieht sich zurück und zerrt seine Hose hoch. Leise knurrend schließt er seinen Gürtel, hebt den Kopf und sieht Natascha an.

Sein Blick ist wütend, aber auch verletzt und gekränkt.

»Du willst, dass sie stirbt?«, zischt er, lässt ihr keine Chance auf eine Antwort.

»Dann mach es selbst.«

Er dreht sich um und geht mit festen Schritten die ausgetretenen Stufen empor.

»Nicki …«, ruft Natascha ihm herrisch hinterher, er reagiert nicht. Sie kreischt ein weiteres Mal, aber auch dieser Ruf geht ins Leere.

Krachend schließt sich hinter dem dunkelhaarigen Vampir die Türe. Er hat ihren Befehl nicht ausgeführt, sich ihr widersetzt.

Natascha ballt die kleinen Hände zu Fäusten.

»Na warte«, ihre Stimme ist heiser und gepresst vor Zorn.

»Das wirst du mir büßen.«

Mit dem Fuß stößt sie das arme Mädchen von der Motorhaube, sie rutscht über das Metall und prallt stöhnend auf den Boden.

Natascha richtet den Lauf ihrer Waffe auf die Blondine.

»Nein, bitte … nicht«, krächzt sie und hält abwehrend ihre Hände hoch. Ihr Blick ist flehend, aber er trifft nur auf eine dunkle Wand. Eine undurchdringliche Schwärze, in der kein Mitleid für Ihresgleichen existiert, keine Barmherzigkeit zu erwarten ist.

Die Vampirin drückt den Abzug durch, die MP spuckt eine tödliche Salve aus. Das Mädchen zuckt wild, als die Kugeln sie treffen.

Dann ist alles still.

»Na also geht doch.« Natascha dreht sich um, legt den Lauf der Maschinenpistole über ihre Schulter und geht zurück in das Haus der Bande von Vampiren, die jetzt zu ihr gehören.

*

Sie essen und trinken sich satt an den Überresten der Menschen. Immer wieder albern die Vampire herum, legen sich Fleischfetzen auf den Körper, binden sich ausgerissene Mädchenhaare um oder versuchen einen abgeschlagenen Kopf auf der Stirn zu balancieren. Sie feiern ausgelassen eine blutige Party, auch der Alkohol fließt reichlich. Das gesamte Haus erzittert, die Vampire grölen und rufen lautstark.

Natascha hat sich mit dem bulligen Vampir, dem ehemaligen Anführer der Bande, in eine ruhige Ecke zurückgezogen.

Sie breitet auf dem einzig sauberen Tisch einen Stadtplan der Gegend aus. Ihr Blick geht kurz zu dem Vampir, der vor ihr sitzt und wie erstarrt auf den Plan sieht.

»Sag mal, wie heißt du denn nun wirklich?«, die Vampirin lächelt schief.

Der Kerl räuspert sich umständlich.

»Mein Name ist Collin«, er grinst verlegen, »der ist mir eben tatsächlich nicht mehr eingefallen.«

Natascha zuckt mit den Schultern.

»So etwas geschieht, wenn man in die Finsternis blickt.«

»Ja«, knurrt Collin, »das war echt … nun ja, ich möchte es nicht noch einmal mitmachen. Ich hab mich gefühlt wie …«

»Keine Sorge, Junge«, unterbricht Natascha ihn, »das wirst du auch nicht.«

Collin atmet sichtbar auf.

»Und nun zur Sache«, die kleine Schwarzhaarige deutet auf den Plan, der vor ihnen liegt.

»Sag mir, wo sich der Hohe Rat der Vampire im Moment aufhält.«

Schelmisch grinsend beugt sich Collin zu ihr herüber.

»Wie kommst du darauf, dass ausgerechnet ich das wissen könnte?«

Sie lehnt sich entspannt in ihrem Stuhl zurück, ein selbstgefälliges Grinsen auf ihrem schmalen Gesicht.

»Ich weiß es eben. Und jetzt raus mit der Sprache, sonst zwingst du mich zu einer Lüge.«

»Hä?«, Collin hebt fragend die Augenbrauen.

»Ich sagte eben erst, dass du nicht mehr in die Finsternis blicken brauchst … Sollte das eine Lüge gewesen sein?«

Der bullige Vampir schluckt trocken, sein weißes Gesicht wird noch eine Spur heller.

»Alles, bloß das nicht.« Er tippt ein paar Mal mitten auf den Stadtplan.

»Der Hohe Rat tagt meist in den unterirdischen Gewölben des Rathauses. Aber zurzeit befindet er sich …«

Collins Finger kreist über dem Papier, so als suche er die genaue Stelle.

»Hier«, er hält die Fingerspitze auf den Plan gedrückt. Natascha beugt sich vor, um die genaue Stelle zu erkennen und sich zu merken.

»Alles klar, bei Tagesanbruch geht’s los.«

Natascha lehnt sich entspannt im Stuhl zurück, nimmt sich ein Glas, das mit frischem Blut gefüllt ist, das Blut eines der Opfer hier.

Ihre schwarzen Augen fixieren Collin, es dauert einige Sekunden, dann wird der stämmige Vampir unruhig. Ihm ist nicht wohl dabei, diese düstere Verdammnis, die in ihrem Blick liegt, es schreit geradezu nach Tod und Verderben.

»Was ist?«, fragt er und zwingt sich dazu freundlich zu bleiben.

»Deine Männer«, flüstert Natascha, »kann man sich auf sie verlassen?«

Collin dreht sich um, betrachtet die Vampire, die nach wie vor ausgelassen in dem alten Haus herumtanzen.

»Sie standen immer loyal und wie eine Wand hinter mir. Ich denke, jetzt werden sie dir ebenso treu ergeben folgen. Vor allem …«, der Blutsauger gerät ins Stocken, als er wieder in Nataschas Blick zu ertrinken droht.

»Ja? …Vor allem …?«, hilft sie ihm auf die Sprünge.

Er schluckt trocken.

»N-Nichts. E-Es ist schon okay.« Collin will sich erheben, er muss dringend etwas trinken.

Natascha packt ihn am Handgelenk, zerrt den Vampir zurück auf seinen Stuhl, als wenn es nichts wäre.

»Vor allem …Was?«, zischt sie gefährlich leise, »sprich, oder ich reiße dir den Kopf ab und verfüttere ihn an Stevy, der steht auf so was.«

Collin wirft einen flüchtigen Seitenblick auf den großen Vampir, der gerade das austretende Blut aus einem abgerissenen Bein trinkt. Ben, Mikka und Nicki stehen um ihn herum und feuern ihn an:

»Los, alles auf einmal, Junge … Du schaffst das … Trink, trink, trink.«

»Ich werde nicht noch einmal fragen«, knurrt die Vampirin und drückt Collins Handgelenk noch fester zusammen. Es beginnt bereits leise zu knirschen, nicht mehr lange und sein Gelenk wird mit einem lauten Krachen brechen.

 

»Schon gut«, murmelt er und versucht ihre Hand abzustreifen. Aber sie lässt nicht locker.

Der Vampir holt tief Luft, warum zum Teufel kann ich mein Maul nicht halten, denkt er bissig.

Laut sagt er:

»Es war nicht so gemeint, Natascha. Aber … du musst zugeben … wir folgen dir, wegen … nun ja, weil du die Dunkelheit in uns erweckt hast. Nicht …«

Collin streicht sich über den Nacken, er befürchtet, wenn er ihr die Wahrheit sagt, dass seine Sekunden, die er auf der Erde verweilen darf, gezählt sind.

»Sprich weiter!«, knurrt sie.

»Lass mich zuerst los.«

Er versucht, in seiner Stimme den Befehlston von früher mitschwingen zu lassen, fast gelingt es ihm.

Aus zusammengekniffenen Augen betrachtet Natascha ihn. Er hält ihrem Blick stand.

Das stumme Duell dauert nur Sekunden, aber Collin erscheint es wie Stunden, Tage, gar Jahre, in denen über sein Dasein entschieden wird.

Langsam löst die Vampirin den eisenharten Griff um sein Gelenk.

Rasch zieht er die Hand an seinen Körper, reibt sich über die schmerzende Stelle.

»Rede. Jetzt!«, ihre Wut ist fast spürbar.

»Die Jungs sind mir gefolgt, weil sie mich respektierten«, beginnt Collin und hat das unbestimmte Gefühl, selbst sein Schicksal besiegelt zu haben.

»Sie fürchteten mich nicht. Die Kerle wussten, dass sie mir vertrauen konnten. Bei dir hingegen ist es eher die Angst, die sie … und auch mich, antreibt. Ich denke, du wirst nicht einen hier finden, der sein Leben für dich opfern würde. Freiwillig, meine ich. Nicht, weil du es ihm befiehlst und ihn mit deinen toten Augen ansiehst.«

Zitternd atmet Collin ein, er hat echte Angst, wie wird diese Ausgeburt der Hölle reagieren? Tötet sie ihn, oder hat er wenigstens einmal in seinem Dasein Glück.

Natascha lehnt sich nach vorne, gegen die Tischplatte, verbirgt ihre Hände darunter.

»Du denkst also, sie hören nicht auf mich?«

»Doch schon. Aber nur, wenn du sie mit … mit deinem Blick bannst.«

Natascha lacht trocken auf.

»Was bin ich? Ein Hypnotiseur?«

Collin zuckt mit den Schultern.

»So in etwa.«

»Wer ist deine rechte Hand?«, fragt Natascha leise, »oder war es, bevor ich kam.«

Der Vampir sieht sie verwirrt an.

»Max«, krächzt er, »der war immer mein Vertreter.«

»Ruf ihn!«, zischt die Schwarzhaarige, ohne Collin aus den Augen zu lassen.

»Max«, erklingt seine Stimme laut durch das Haus. »Komm mal her.«

Es dauert nicht lange und ein junger Vampir mit schwarzen Haaren steht vor ihrem Tisch.

»Was gibt’s?«

»Max?«, fragt Natascha ohne Collin aus den Augen zu lassen.

»Hmm?«, brummt der Junge.

Die Vampirin deutet auf ihren Gegenüber.

»Töte ihn!«

»Was?«, rufen Collin und Max gleichzeitig.

»Du sollst deinen ehemaligen Boss umbringen. Was ist daran nicht zu verstehen?«

Langsam, mit äußerster Vorsicht erhebt sich Collin, sein Blick zuckt zwischen Natascha und Max hin und her.

»Du bist völlig wahnsinnig.«

Natascha grinst nur boshaft.

»Was ist denn hier los?«

Nicki steht mit verschränkten Armen vor ihnen, sieht einen nach dem anderen an.

»Was zieht ihr hier für eine Nummer ab?«

Die Augen der kleinen Schwarzhaarigen lösen sich widerstrebt von Collins, wandern zu Nicki.

»Meine Herrschaft scheint zu bröckeln. Ich wollte nur sehen, ob sich plötzlich jeder hier widersetzt.«

Natascha steht auf, durchquert den blutbesudelten Raum. Mit einem Ruck öffnet sie die Türe und schlägt sie hinter sich krachend ins Schloss.

Collin lässt sich aufatmend zurück auf den Stuhl sinken, stützt die Arme auf und schlägt sich die Hände vor das Gesicht.

»Was zum Teufel war denn los?« Nicki tippt Max auf die Schulter. Der junge Vampir antwortet leise:

»Sie wollte das ich ihn töten«, dabei zeigt er auf Collin, seine Fingerspitze zittert leicht. Sogleich zieht er die Hand zurück. Mit großen Augen sieht er zu Nicki.

»Sie hat den Verstand verloren. Stimmt’s?«

Der alte Vampir, der in seinem Dasein schon so viel gesehen hat, zuckt mit den Schultern.

»Ganz normal ist sie wohl nicht mehr. Aber wer kann das schon von sich selbst behaupten.« Nicki lächelt flüchtig.

»Hättest du es denn getan?«

Auf Max’ fragenden Gesichtsausdruck hin, fährt er fort:

»Deinen Boss getötet, hättest du es gemacht?«

Der Junge scheint einen Moment nachzudenken, bevor er antwortet:

»Nein. Verdammt, ich … ich weiß es nicht. Ich war nur froh, dass du so plötzlich erschienen bist.«

»Ja«, knurrt Nicki und wird mit einem Mal so wütend, wie noch nie zuvor, in seinem langen Dasein.

»Ich bin wohl der Retter der Blutsauger.«

Er dreht sich auf dem Absatz um, geht in Richtung Ausgang.

*

Nickis Erwachen:

Tief atme ich die kühle Morgenluft ein, der Sonnenaufgang ist nicht mehr fern, ich kann ihn schon riechen.

Natascha sitzt auf der Motorhaube des Mustangs, ihr zarter Rücken mir zugewendet. Tief atme ich die frische Luft ein, bevor ich die Holzstufen herunter und auf sie zu gehen, meinem Schicksal entgegen.

Dem toten Mädchen, das vor dem Wagen auf dem Boden liegt, würdige ich nur einen flüchtigen Blick. Ich weiß nicht mehr, warum ich mich weigerte, sie zu töten. Vielleicht hat das schwarzhaarige Biest mich mit ihrem Befehl verletzt.

Dabei ist es noch nicht lange her, da habe ich alles genauso erledigt. Mädchen und Frauen geschändet, nur zu meinem eigenen Vergnügen und um mein vor Begierde strotzendes Monster in mir ruhigzustellen. Die Befriedigung, die mir ihre zarten, zerbrechlichen Körper verschafften, konnte nur durch einen Biss in ihr Fleisch gesteigert werden. Es war mir gleich, wohin ich meine Zähne schlug, lediglich ihr Blut stillte meine Gelüste. Weitaus bestialischer, als es heute geschehen ist, habe ich mich früher der Weiber angenommen.

Ich bin eine fleischgewordene Bestie, ein Mörder und Vergewaltiger. Dennoch ist es mir unerklärlich, wieso ich es nicht übers Herz brachte, das junge Mädchen zu töten. Ich weiß nur, dass ich mich weigerte und hinterher fühlte ich mich gut, besser denn je.

Nachdenklich betrachte ich Nataschas Rückenansicht.

Seit ich meine Zähne in ihr totes Fleisch versenkte und sie mich ebenso biss, kommt es mir vor, als könnte ich nicht mehr selbstständig denken. Sie hat scheinbar alles in mir ausgelöscht, jede Eigenständigkeit. Aber jetzt ist es so, als erwache ich aus einem tiefen, komatösen Schlaf. Mit einem Mal kann ich erkennen, was sie in Wirklichkeit ist: eine überaus böse Erscheinung.

Ich mochte sie, liebte sie vielleicht sogar. Aber all das wird verdrängt, von einem enormen Hassgefühl, das gerade mit tödlicher Langsamkeit meine Eingeweide hochkriecht.

Von meinen Empfindungen überrascht, schnappe ich keuchend nach Luft, meine Hände ballen sich wieder und wieder zu stahlharten Fäusten.

»Bist du ein Freund oder mein Feind?«, fragt Natascha mit einem hämischen Unterton.

Ich zwinge mich dazu, meine Stimme ruhig klingen zu lassen.

»Was bist du für … mich?«

Geschmeidig springt die Vampirin von dem Wagen herunter, geht lässig auf mich zu.

»Sieh mich an, Nicki«, haucht sie, als sie dicht vor mir steht. Aber ich presse die Lider zusammen und schüttele stumm den Kopf. Ich will sie nicht ansehen, zu groß ist meine Furcht erneut in ihre dunklen Tiefen hinabzustürzen. Ich werde es nicht noch einmal zulassen, dass sie meinen Verstand umnebelt und mich meiner eigenen Entscheidungen beraubt.

Sie seufzt leise.

»Es ist eine Schande. Ich will euch die Freiheit schenken, Ruhm, Ehre und alles Blut dieser Stadt. Und was tut ihr …?«

Trotz meiner Angst öffne ich vorsichtig ein Auge. Natascha steht einige Meter von mir entfernt, die Arme gen Himmel gerichtet. Die MP-5 schlägt leise gegen ihre Gürtelschnalle, verursacht ein klickendes Geräusch, das einzige hier draußen.

»Ihr tretet mein Geschenk mit Füssen«, nimmt sie ihren eigenen Dialog wieder auf, »ihr verachtet mich und gehorcht meinen Befehlen nicht mehr. Was soll das alles?«

Ihr Blick bohrt sich in Meinen. Erschrocken schnappe ich nach Luft, aber es ist bereits zu spät. Ich kann meine Augen nicht mehr schließen, schaffe es nicht sie aus meinen Gedanken zu verbannen.

Nataschas gesamte Macht fließt, einem blutigen Strom gleich, durch meinen alten, toten Körper und versucht meinen Willen zu brechen.

Ich spüre, wie meine Beine nachgeben, wie ich langsam auf die Knie sinke. Dennoch kann ich nichts dagegen unternehmen. Die Arme hängen schlaff an meinem Körper herab, unsere Blicke fest ineinander verschlungen. Ich habe nichts, das ich ihrer Macht entgegensetzen kann. Ihre Augen scheinen Funken zu sprühen, gemein und siegessicher leuchten sie.

»Du hast keine Chance gegen mich, Nicki«, krächzt sie und schnaubt verächtlich.

»Du bist kein bisschen besser, als dein Bruder. Ihr seid beide verfluchte Mistkerle gewesen.«

Erstaunt hebe ich meine Brauen.

»G-Gewesen?«, hauche ich verwundert.

»Ja!«, kreischt die Vampirin und reißt ihre MP hoch.

»Ihr zwei seid Vergangenheit …«

Natascha stützt die Maschinenpistole in ihre Hüfte, gleich wird sie den Abzug durchdrücken und mich in die ewige Verdammnis schicken. Fassungslos starre ich in die schwarze Mündung. Sie will mich wirklich umbringen, schießt es mir durch den Kopf. Sie will mein langes Dasein beenden. Plötzlich fühle ich, dass es der richtige Weg ist, ich schätze, ich habe es verdient.

Ich lege den Kopf zurück, schließe die Augen und breite meine Arme aus.

Völlig entspannt denke ich: Meine kleine Schönheit, ich bin bereit.

»Du kannst jetzt abdrücken«, wispere ich.

Aber da geschieht etwas Merkwürdiges.

*

Kaum schließt sich die Türe hinter Nicki, fällt Max schnaufend auf den freien Stuhl.

»Oh, verdammt«, brummt er und zuckt erschrocken zusammen, da Collin die Hände von seinem Gesicht herunter nimmt und sie krachend auf die Tischplatte schlägt.

»Du hättest mich wirklich kaltgestellt?«, fragt er grollend und zieht düster die Brauen zusammen.

»Nein. Verflucht … Collin … ich … ich.«

Max’ Augen zucken ängstlich hin und her.

»Versteh mich doch, ich …«

Der bullige Vampir schüttelt den Kopf.

»Ich kapiere überhaupt nichts mehr. Scheinbar habe ich irgendwo den Faden meines Daseins verloren«, er lacht trocken und völlig humorlos auf.

»Es ist fast so, als erwache ich gerade aus einem tiefen Traum … aus einem verdammten Albtraum.«

Max beugt sich über den Tisch, greift nach Collins Arm.

»Wir müssen etwas tun. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Hexe uns so beherrscht.«

Energisch befreit sich Collins aus der stählernen Umklammerung.

»Denk nicht mal daran«, zischt er leise.

»Nicht alle sind so wie Nicki, ihr Gefolge ist bereits groß und es wird noch größer werden.«

Max’ Gesicht überzieht ein bitterböses Grinsen.

»Nicht, wenn wir es verhindern.«

»Was hast du vor?«, haucht Collin.

Der Junge zuckt überheblich mit den schmalen Schultern.

»Die Frage ist doch nur, ob du dabei bist oder nicht.«

Sein ehemaliger Boss schluckt trocken, beginnt zu sprechen. Als nur ein heiseres Krächzen seinen Mund verlässt, räuspert er sich einige Male umständlich, bevor er erneut beginnt.

»Ich bin dabei, Junge. Was immer du auch vorhast.«

Max trägt weiter sein überhebliches Grinsen auf dem Gesicht. Er steht auf, ruft einige seiner Freunde zu sich. Leise teilt er ihnen etwas mit. Collin beobachtet nur ihren Gesichtsausdruck, der von erstaunt über fassungslos zu wütend reicht.

Nataschas Jungs, Mikka, Ben und Stevy werden auf das geheime Getuschel aufmerksam. Düster blicken sie zu der kleinen Gruppe herüber.

Collin springt von seinem Stuhl hoch. Max hat ihn um seine Hilfe gebeten, das ist nun seine Chance, er sollte sie ergreifen.

Lauthals brüllt er quer durch den großen Raum.

»He Stevy.«

Der Angesprochene wollte gerade auf die Vampire zugehen, er will wissen, was sie so Geheimnisvolles zu besprechen haben. Stevys Kopf ruckt herum, auch Mikka und Ben fixieren den ehemaligen Boss der Vampirhorde.

 

»Leihst du mir dein Bübchen mal aus?«, damit zeigt Collin mit dem Finger auf Mikka.

»Ich wollte es schon immer mal mit einem Vampirkerl machen.«

Deutlich steht es Stevy ins Gesicht geschrieben, er versteht nicht, was Collin von ihm will.

Als dieser jedoch noch einen Satz hinterher schiebt, verdunkelt sich Stevys Gesicht.

»Oder erzählst du mir, wie das so ist, mit einem Jungen?«

»Du Schweinehund!«, brüllt Stevy und setzt zum Angriff an.

Collin versucht gar nicht erst auszuweichen, er erwartet den massigen Vampir mit einem hämischen Grinsen auf dem Gesicht.

Stevy rammt ihm seinen Kopf in den Bauch, Collin hält sich an dessen Hose fest. Gemeinsam werden die zwei Blutsauger durch das Fenster hinter ihnen geschleudert. Es kracht und zersplittert unter ihrem Gewicht. Wie eine Kanonenkugel schießen sie hindurch und landen vor der Baracke auf dem Boden. Stevy sitzt auf dem ehemaligen Boss der Gang, drückt dessen Kehle zu.

»Ich bin nicht …«, beginnt er gerade. Stoppt abrupt, als er bemerkt, das Collin nach rechts blickt und seine Augen immer größer werden.

Stevy sieht in die gleiche Richtung, sein Blick streift die blutüberströmte Leiche der Blondine, schwenkt weiter zu der kleinen Schwarzhaarigen. Sie hält ihre MP-5 in der Hand, der pure Wahnsinn wütet in ihrem Blick. Die Mündung fest auf Nicki gerichtet, der vor ihr auf dem Boden kniet und wirkt, als habe er den Verstand verloren.

»Was zum Teu…«, beginnt Natascha gerade, als mit einem ohrenbetäubenden Lärm die Türe auffliegt. Es liegt solch eine Wucht dahinter, dass die provisorische Platte, die als Türe dient, gegen die Hauswand kracht und fast in ihre Bestandteile zerlegt wird. Holzsplitter und Lackreste fliegen umher, Staub liegt in der Luft. Die Vampire, die so plötzlich in dem schwarzen Rechteck erscheinen, werden beinahe verdeckt von den umherschwirrenden Überresten.

Als sich die Aufregung und der Dreck ein wenig gelegt haben, taucht auf Max’ Gesicht erneut dieses bitterböse Grinsen auf.

Er hält ein Schrotgewehr in den Händen, die abgesägte Mündung auf Natascha gerichtet.

»Verschwinde hier, Hexe. Wir wollen weder dich noch deine Finsternis.«

»Darüber habt ihr nicht zu bestimmen«, kreischt die Vampirin zurück, zieht ihre Waffe an die Schulter und drückt den Abzug durch.

Das Laute tack, tack, tack, lässt die Vampire zusammenzucken. Nicki wirft sich auf den Boden, die Arme schützend über dem Kopf. Max betätigt noch den Abzug seiner Schrotflinte, bevor etliche Kugeln sich in seinen Leib bohren. Mit einem Aufschrei fällt er nach hinten, gegen seine Mitstreiter, die daraufhin alle zurück in die Baracke stürzen.

Aber auch Natascha wird getroffen, die Schrotmunition reißt ihren Bauch auf, Blut quillt unaufhörlich aus der großen Wunde. Sie presst eine Hand dagegen, ihr schmaler Körper scheint zusammenzuklappen. Hasserfüllt ist der Blick, den sie den Vampiren zuwirft.

»Ich wollte euch die Freiheit schenken, aber ihr seid wohl lieber Gefangene …«

Nicki hebt den Kopf, sieht sie von unten her an.

»Verschwinde besser, Schätzchen. Es ist nicht der Zeitpunkt, große Reden zu schwingen. Geh.«

»Das … das werdet ihr mir büßen«, krächzt sie, legt sich den Tragegurt der MP um und verlässt stolpernd das Gelände.

*

Die Bauchwunde verheilt rasch, aber ihre Wut wird nur größer, je länger sie darüber nachdenkt. Was wollte sie nicht alles erreichen. Zusammen mit den Blutsaugern dieser Stadt hatte sie vor den Hohen Rat zu stürzen, selbst die Macht an sich zu reißen … es wäre ein Leichtes geworden.

Warum nur haben diese Idioten plötzlich ein Gewissen?

Es war Stevy, der mich ablenkte, als er mit Collin durch die Fensterscheibe flog. Warum war es ausgerechnet mein zweitbester Mann.

Ich hätte dieses Bübchen Max sofort abknallen sollen, das war mein Fehler, damit so lange zu warten.

Und Nicki erst … Die Vampirin ballt voller Wut ihre Hände zu Fäusten, knirscht mit den Zähnen. Wieso er? Er hätte meine rechte Hand werden können, alle Blondinen in dieser Stadt würden ihm gehören, wieso war er nur so … so menschlich?

Die schwarzhaarige Vampirin strafft die Schultern, geht langsam an den vielen schmalen Gassen entlang, die allesamt hinauf in die Stadt führen.

Natascha aber will die letzte Gasse nehmen, um wieder in die City zu gelangen, mit dieser Entscheidung besiegelt sich ihr Schicksal.

*

Ansgar:

Ich kann sie schon riechen, atme ihren Duft tief ein, filtere ihn aus den anderen stinkenden Gerüchen die mich umgeben heraus. Da ist er endlich wieder. Mir scheint, als sei es eine Ewigkeit her, dass ich ihn zuletzt gerochen habe. Sie kommt in meine Richtung, gleich wird sie die Gasse entlanggehen, in der ich stehe und auf sie warte.

Ihre Schritte sind schleppend, als trage sie eine schwere Last auf ihren Schultern. Eng presse ich mich gegen die raue Hausmauer, ich will nicht, dass sie mich zu früh entdeckt.

Langsam geht sie an mir vorbei, ihre Augen stur geradeaus gerichtet, sie sieht nicht in meine Richtung. Ich kann nur einen flüchtigen Blick in ihr Gesicht und auf ihre Gestalt werfen. Aber das alleine reicht aus, um Eiswasser durch meinen Körper fließen zu lassen. Ein Gefühl, als müsse ich nach Luft schnappen, wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Zum ersten Mal bin ich froh, tot zu sein.

Ich trete aus meiner Deckung heraus, stelle mich breitbeinig mitten in die schmale Gasse.

»Natascha«, rufe ich laut und versuche das schmerzende Gefühl in mir zu ignorieren.

Sie bleibt abrupt stehen, die Arme baumeln an ihrem zierlichen Körper herab.

Ansgar …? Höre ich sie fragen und bin mir nicht sicher, ob sie es nur gedacht, oder gesagt hat.

Aber das kann doch nicht sein, wir waren eine Zeit lang getrennt, ich kann nicht mehr ihre Gedanken hören.

Das glaube ich nicht, erklingt es leise in meinem Kopf. Ich bin so entsetzt, dass ich fast vergesse, warum ich hier bin.

Zögernd und viel zu langsam dreht sie sich um. Das Gefühlschaos in mir drin ist unbeschreiblich.

Ich liebe sie, das weiß ich genau. Aber die Vampirin Natascha liebe ich und nicht dieses … dieses Ding da vor mir. Sie ist nicht das Mädchen, das mit mir einst die Augen der engen Verbundenheit teilte, deren Gedanken ich hören, sogar spüren konnte. Der Blutsauger in der engen Gasse ist nichts von alle dem.

Was da vor mir steht, ist mein Feind, mein persönlicher Untergang, etwas, das ich unbedingt vernichten muss … töten will.

Ein überaus hämisches und gemeines Grinsen breitet sich auf ihrem sonst so hübschen Gesicht aus. Dazu funkeln mich ihre schwarzen Augen an, als wollten sie mich durchbohren.

»Ansgar, was für eine … hm … nette Überraschung.«

Ihre Stimme ist fast nicht wiederzuerkennen, sie klingt, als käme sie direkt aus den Tiefen der Hölle. Obendrein höre ich ihre wahren Gedanken, die sich in die Windungen meines Gehirns einfressen, wie Säure.

Was zum Teufel macht er denn hier?

Ich bin so überrascht, dass ich mich nicht entschließen kann, welcher Stimme ich antworte. Ihre dunklen Augen blicken fragend, als ich nach einigen Sekunden immer noch nichts sage.

Ich hatte mir das alles so leicht vorgestellt. Sie treffen, sie töten und zurück in die Hölle fahren. Aber meine Pläne, meine Absichten werden mit einer solchen Wucht aus meinem Kopf gespült, als hätte sie ein Tsunami getroffen. Ich kann mich nicht entschließen, wie ich vorgehe, was soll ich sagen, oder tun.

Das schwarzhaarige Biest kommt mir zuvor.

»Sprichst du nicht mehr mit mir?«, fragt sie krächzend und zuckt einen Wimpernschlag später mit den Schultern.

»Dann kann ich auch wieder gehen. Hat mich gefreut, dich zu treffen.« Gleichzeitig höre ich in meinem Kopf:

Was für ein Idiot. Steht da mit offenem Mund und kriegt kein Wort raus.

Mein Mund klappt hörbar zu, ich habe nicht bemerkt, dass ich sie wie ein Tölpel anstarrte.

Natascha dreht sich langsam um, sie will wirklich gehen.

Plötzlich packt mich die Wut, ich bin über tausend Jahre alt, noch niemals hat mich jemand Idiot genannt, na ja, die wenigen, die es wagten, sind einen qualvollen Tod gestorben. Aber das kann und werde ich mir nicht gefallen lassen.

»Was ist mit dir geschehen?«, brülle ich sie an. Meine Stimme prallt von den eng beieinanderstehenden Hauswänden ab und kommt hundertfach zu uns zurück.

Wir lauschen beide dem verklingenden Echo.

»Nichts«, ruft sie zurück.

Ich bin versucht, sie einfach ihrer Wege ziehen zu lassen. Ich könnte mich jetzt umdrehen und den Dingen ihren Lauf lassen. Aber darum bin ich nicht hier, aus dem Grund hat mich der Teufel nicht zurück in die Welt geschickt.