Natascha

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Aber in dem Laden könnten auch noch andere Vampire sein, die Ausschau nach blutigem Nachschub halten. Ihr feiner, dünner Geruch könnte mir entgehen. Das war alles sehr riskant. Ich konnte mich tatsächlich nicht entscheiden. Über mir grollte abermals der Donner und ein heller Blitz durchzuckte die Nacht. Ich schloss meine Augen und ballte die Hände zu Fäusten. Es hatte alles keinen Sinn. Die Mädchen waren da drin, ich konnte nicht, ohne ein völlig idiotisches Risiko einzugehen, da rein. Bei dem Donnerwetter könnte Justin aufwachen und mich, trotz meiner Warnung, in Joshs Laden suchen. Somit hatte ich wieder zwei neue Probleme. Justin könnte mich an Frank verpfeifen, oder noch schlimmer, Josh würde über Justin herfallen. Ich verdrehte die Augen, immer wieder etwas Neues, nie lief mal was glatt.

Ein Donnerknall, scheinbar frisch aus der Hölle entsprungen, ließ mich zusammenfahren. Der nahm mir die Entscheidung ab. Ich musste zurück, das hier hatte keinen Sinn. Wenn Frank davon Wind bekommt, bin ich geliefert. Ich will ihn und den Clan zwar sowieso verlassen, aber es war mehr in meinem Sinne, wenn das auf eine, für alle Seiten, angenehme Weise geschehen würde.

Fast schon körperliche Schmerzen bereitete es mir, mich umzudrehen, und diese süße Köstlichkeit ziehen zu lassen. Ich werde später versuchen, ihren Geruch wieder zu finden, sie wird mir gehören, es ist nur eine Frage der Zeit.

Ich lief, zu den Hinterhöfen zurück, durch Joshs Hintertür betrat ich seinen Hexenladen.

Es roch jetzt anders hier, frischer, süßer und eindeutig viel besser. Zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, hatten seinen Laden betreten und schauten sich interessiert und auch ein bisschen verwundert um. Josh stand in einiger Entfernung und beobachtete sie. Als ich um den Tresen herumging, wendete er den Kopf und nickte mir kurz zu. Ich blickte durch das große Fenster und sah Justin in meinem Mustang noch schlafen. Über uns grummelte immer noch das Gewitter. Der hat aber einen tiefen Schlaf, dachte ich, und war erleichtert. Da zog mich Josh ganz plötzlich am Arm hinter seinen Tresen.

»Und?«, fragte er mich flüsternd.

Ich schüttelte den Kopf. »Zu riskant, hab sie ziehen lassen.« Ich blickte ihn an und war leicht irritiert. Er hat normalerweise blaue Augen, ein schönes dunkles Blau. Aber jetzt waren sie fast gelb, ähnlich einem Raubtier. Was hatte ihn bloß so erregt, fragte ich mich und bemerkte gleichzeitig, dass auch sein Atem schneller ging.

»Was sagst du zu den zwei Süßen?«, dabei zeigte er mit dem Daumen hinter sich, in Richtung der Menschen in seinem Laden. Er grinste mich an und ich sah, dass seine Zähne schon im Blutrausch waren.

»Ich teile auch mit dir, willst du das Weib?«

Ich blickte zu den Beiden und zog ihren Duft in die Nase ein. Süß, blumig, recht köstlich. Nicht so toll wie eines der Mädchen von eben, aber besser als völlig leer auszugehen.

Ich lächelte Josh frech an und spürte gleichzeitig, wie meine Zähne ein Eigenleben führten.

»Klar, ich bin dabei.«

Seine Augen strahlten.

Blitzschnell war er an seiner Eingangstür und verschloss sie. Die Beiden hatten davon nichts mitbekommen. Sie unterhielten sich leise miteinander. Die Fenster musste Josh nicht tarnen, da es getönte Scheiben waren, man konnte von außen nicht sehen, was sich im Inneren abspielte.

Josh lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür. Seine ganze Haltung verriet die Anspannung, seine Gier war ihm an den Augen abzulesen. Ein leises Knurren erklang aus seinem Inneren.

Auch mir erging es nicht anders. Wie schnell sich das Blatt doch wendete. Eben jagte ich noch einem köstlichen Mädchenduft hinterher, in der nächsten Sekunde musste ich sie wieder ziehen lassen. Nun bescherte mir das Schicksal diese zwei Blutsäcke, geradewegs vor meine Reißzähne und ohne, dass ich dafür einen Finger krumm machte.

Auch mich hatte das Jagdfieber gepackt, Gier und Verlangen stiegen in mir hoch, der ganze Ärger der vergangenen Stunden war mit einem Blinzeln meiner Raubtieraugen vergessen.

Mit einem Blick, der unsere Absichten sofort verriet, fixierten Josh und ich die zwei unschuldigen Menschen.

Die Blutsäcke konnten nichts dafür, sie waren nur am falschen Ort und zu einer völlig falschen Zeit. Jedenfalls aus ihrer Sicht.

Aus meiner Sicht war ich ihnen dankbar, da ich heute Nacht doch noch zu meinem Vergnügen kam.

In diesem Moment spürten die Beiden, wahrscheinlich unbewusst, die Bedrohung und wollten verschwinden. Josh aber versperrte die Tür. Sie standen ihm gegenüber und zeigten auf ihn. »Machen Sie bitte die Weg frei«, sagt der Mann zu Josh.

Uha, Ausländer, dachte ich und musste grinsen, die vermisst so schnell keiner. In unserer Stadt geht immer mal der Eine oder Andere verloren, das fällt kaum auf.

Josh lächelte den Mann nur stumm an. Die Frau drängte sich näher an ihren Begleiter heran, der nochmals Josh ansprach:

»Bitte, lassen Sie gehen uns«, in seiner Stimme war ein leichter Anflug von Panik hörbar.

Ich ging langsam ein paar Schritte auf die Touristen zu. Die Frau bemerkte mich als Erster und drehte sich hastig zu mir um. Auch ich lächelte und entblößte dabei meine langen Eckzähne. Ein erschrecktes Keuchen drang aus ihrem Mund, das ihren Mann veranlasste, sich ruckartig um zudrehen. Seine Augen wurden immer größer,

»Das … das … nicht sein … darf … «, stammelte er verstört. Er ließ seine Frau los und hob seine Hände vor das Gesicht.

Darauf hatte Josh nur gewartet. Er packte den Mann von hinten und schoss mit ihm an mir vorbei in Richtung Tresen, sodass meine Haare mir nur so um den Kopf flogen.

Jetzt stand ich der Menschenfrau alleine gegenüber. Sie hatte ihre Hände zu Fäusten geballt und presste sie an den Mund. Ihre Augen wurden immer größer und größer.

Irgendwann werden sie ihr aus den Höhlen treten, dachte ich kurz. Ich musste mich ein bisschen beeilen, sonst erklang gleich ihr markerschütternder Schrei durch die ganze Stadt. Ich sah ihr an, dass sie kurz davor war, los zu kreischen.

Mit einem Satz war ich bei ihr, schlug ihre Hände weg und presste meinerseits die Hand auf ihren Mund. Ich umrundete sie halb und stand jetzt hinter ihr. Ich drückte sie gegen meine Schulter, den anderen Arm legte ich um ihren Bauch. Jetzt war sie mir sicher, sie konnte nicht mehr entwischen. Mein inneres Monster kreischte und jaulte, ich wusste, es wollte nur, dass dieses Feuer gelöscht wird. Gelöscht mit ihrem Blut.

Ihr Hals lag vor mir, ich brauchte nur noch zu zubeißen. Mit den Augen verfolgte ich die Adern unter ihrer Haut, wie köstlich das Blut daher schoss und wie es rauschte, das war Musik in meinen Ohren.

Ich schlug ihr meine Zähne in den schönen Hals und sofort floss ihr süßes Blut meine Kehle hinunter.

Das Monster war augenblicklich still, es trank ihr Blut mit mir zusammen, es ernährte sich von dem köstlichen Lebenssaft.

Ich leerte die Frau fast vollständig, erst dann ließ ich von ihr ab. Die zwei kleinen Verletzungen verheilten durch meinen Speichel sofort.

Ich konnte nicht mehr. Ich ließ sie einfach fallen, schleppte mich mit schweren Schritten zur Theke und ließ meinen Kopf auf die Glasplatte sinken. Ich war völlig fertig und musste mich kurz erholen. Meine Zähne kehrten wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück. Ich legte meine Wange auf die kühle Auflage der Theke. Tausend Bilder schossen mir durch den Kopf: Frank, die Blondine von gestern Nacht, Justin, der Mieter aus der Tiefgarage, die Mädchen in ihrem Auto und Josh.

Ich hob meinen Kopf und lauschte. Wo ist eigentlich Josh, fragte ich mich, wohin war er mit dem Blutsack verschwunden.

In dem Moment kam Josh aus seiner Kellertür. Seine Augen waren wieder so blau wie immer, die Zähne normal und seine Haut war leicht rosig.

»Hat Spaß gemacht«, er lächelte mich an und wischte sich mit der Hand über den Mund.

»Und … hat’s geschmeckt?«, dabei sah er mich fragend an und kam langsam näher. Ich antwortete ihm nicht.

Er strich mir die Haare über meine Schultern zurück.

»Hat meine Süße eine Grenze überschritten? Hat sie etwa den Kodex mit Füßen getreten?«

Er lächelte ironisch, umarmte mich und flüsterte mir ins Ohr: »Hast du etwa Frank in den Hintern getreten?«

Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Einerseits ärgerte mich seine Aussage, vor allem auf die Art, wie er es sagte. Auf der anderen Seite wusste ich genau, dass er Recht hatte. Ich hatte Frank in den Hintern getreten und ich hatte den Kodex missachtet. Aber … ich horchte in mich hinein, störte mich das wirklich, würde es mich daran hindern es noch mal zu tun?

Nein, wahrscheinlich werde ich genauso wieder handeln, vielleicht schon in ein paar Stunden. Wenn ich Glück habe.

Darum antwortete ich Josh:

»Es ist alles okay, er kommt darüber hinweg.«

Diesmal schob ich Josh auf Armeslänge von mir weg, und blickte ihn ernst an. »Was machen wir mit den Leichen?«

»Keine Sorge, ich kümmere mich darum.«

Er presste mich wieder fest an seine Brust. Ich atmete diesen eigenartigen Geruch ein und erinnerte mich plötzlich an Justin.

Verflixt, dachte ich, den hatte ich ganz vergessen. Ob er immer noch schläft? Ich löste mich von Josh und ging in Richtung Eingangstür. Unterwegs machte ich einen großen Schritt über die auf dem Boden liegende Frau. Sie war jetzt tot und leer, ohne Geruch und Geschmack, sie interessierte mich nicht mehr.

Mit einem Blick aus der Glasscheibe stellte ich fest, dass Justin wirklich immer noch schlief, er hatte sich nur auf die andere Seite gedreht.

Ich blickte wieder zu Josh, der gerade die Tote vom Boden aufhob und in Richtung Keller trug. Ich wusste nicht, was er mit ihr machen wird, ich verschwendete aber auch keinen weiteren Gedanken darauf.

 

Als Josh wieder in seinem Laden, hinter dem Tresen, stand, sagte ich zu ihm: »Ich muss jetzt gehen, Josh«, ich sah ihn an, »danke … für alles, wir sehen uns.«

»Ja, aber warte nicht zu lange mit deinem nächsten Besuch.«

»Okay, bis dann«, murmelte ich, schloss die Tür auf und stand wieder draußen auf dem Gehsteig. Es waren keine Fußgänger mehr unterwegs, gänzlich unbelebt war die Straße.

Ich ging zu meinem Mustang, öffnete leise die Türe, setzte mich und knallte sie mit Wucht wieder zu.

Justin riss den Kopf hoch und murmelte etwas Unverständliches.

Er reckte und streckte sich ausgiebig.

»Na, du Murmeltier, ausgeschlafen?« fragte ich ihn leichthin.

»Ja, ich glaube. Wie spät ist es?« er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Oh, halb eins schon, da habe ich ja lange geschlafen.« Er hielt sich die Hände vor sein Gesicht und atmete prustend aus.

»Und du, hattest du auch ein paar nette Stunden?«, fragte er mich. Ich musste grinsen und dachte an die nette Ausländerin.

»Ja, es hat sich gelohnt.«

Ich startete den Wagen und warf einen letzten Blick auf Joshs Hexenladen. Keine Angst Josh, du wirst mich schon bald wiedersehen, vielleicht schneller als du denkst.

Ich konnte diesen verdammten Auftrag nicht mehr erledigen. Zum Einen hatte ich überhaupt keinen Durst mehr, zum Anderen fühlte ich immer noch Joshs brennenden Blick auf mir, wusste ich doch genau, was er von mir erwartete.

Außerdem wollte ich einfach frei sein.

Mitten in meine Gedanken hinein klingelte mein Handy. Ich klappte es auf, es war Frank.

»Ja?«, fragte ich knurrend.

»Tascha? Ich bin’s. Vergiss den Auftrag, ich habe etwas anderes für dich.«

»W-Was ist los?«, ich war mehr als verwundert, noch nie wurde ein Auftrag abgebrochen und so kurz vorher schon gar nicht.

»Nichts«, Franks Stimme klang unverbindlich, »ein anderer erledigt das.«

»Aha«, murmelte ich und warf Justin einen kurzen Seitenblick zu, er sah mich fragend an.

»Komm gegen Morgen zu mir«, fuhr Frank fort, »dann erkläre ich dir alles.«

»Ist gut«, ich wollte gerade auflegen, als Frank rief:

»Ach, Tascha?«

»Ja?«

»Lebt er noch?«, seine Stimme war scharf.

Ich musste einfach grinsen. »Ja, ja, nur keine Sorge, Frank. Auch wenn er selbst nicht gerade dazu beiträgt.«

Am anderen Ende der Leitung hörte ich ihn aufseufzen. »Gut«, dann ein Klicken, er hatte aufgelegt.

»Was ist los?«, fragte Justin, als ich immer noch grinsend mein Handy wieder wegsteckte.

»Unser Auftrag wurde abgeblasen, wir fahren zu mir, da ruhen wir uns noch ein bisschen aus. Morgen früh geht’s zu Frank.«

Ich sah, wie Justin die Stirn in Falten legte und tief Luft holte.

»Hör mal«, begann er zögernd, »wir können auch in meine Wohnung, sie ist hier ganz in der Nähe.«

»Ich wollte eigentlich eine Runde duschen«, wendete ich ein.

Er lachte kurz. »Das kannst du auch bei mir.«

Nachdenklich sah ich ihn von der Seite her an. »Warum nicht«, murmelte ich nach einer Weile und parkte meinen Mustang in einer Seitenstraße.

Wir stiegen aus und gingen zu Fuß weiter.

Seine Wohnung war wirklich nicht weit weg. Er wohnte im obersten Stock, in einem kleinen Geschäftshaus. Als wir eintraten, umgab uns angenehme Dunkelheit. Justins Hände tasteten nach dem Lichtschalter. Ich legte meine Hand auf seine und schüttelte den Kopf.

»Lass es ruhig so«, sagte ich leise. Er sah mich an, seine Hand war ganz warm und meine, wie immer eiskalt.

Es war eine kleine Wohnung, mit einer riesigen Fensterfront im Wohnzimmer. Justin verschwand sofort in seinem Schlafzimmer. Er kam wieder, mit dem Arm voller, größtenteils schwarzer, Klamotten, die er auf sein Sofa warf.

»Die hat meine Schwester da gelassen, sie hat mal kurz hier gewohnt«, sagte er leise, »fühl dich ganz wie zu Hause, hier findest du bestimmt was für dich zum Anziehen.«

Ich wühlte den Klamottenberg durch und fand wirklich eine schwarze Hose und ein T-Shirt, die mir passen könnten.

Justin zeigte mir sein kleines Bad. »Hier ist alles was du brauchst. Ich mach mir nur schnell was zu essen«, murmelte er und ließ mich alleine.

Ich zog mich aus und stellte mich unter das heiße Wasser. Das tat wirklich gut. An die Wand gestützt ließ ich das Wasser auf meinen Nacken und die Schultern prasseln.

Ich wusste nicht, wie lange ich schon einweichte, aber es kam mir unendlich vor. Langsam drehte ich das Wasser aus, trocknete mich ab und probierte die Sachen an, sie passten perfekt.

Das passiert mir bei meiner Figur nicht oft.

Ich ging wieder in das kleine Wohnzimmer. Justin hatte das Licht in der Küche angelassen und zusätzlich auf dem Couchtisch eine Kerze angezündet. Sie tauchte das Wohnzimmer in ein diffuses, flackerndes Schattenmeer.

Er stand mit nacktem Oberkörper vor dem großen Panoramafenster, hatte ein Glas in der Hand und starrte auf die Lichter der Stadt unter uns.

»Ich hoffe«, begann ich, »ich hab dir nicht das ganze heiße Wasser weggenommen.«

»Ist schon okay.« murmelte er geistesabwesend und starrte weiter in die Lichter, fast wie hypnotisiert.

Ich atmete durch die Nase ein, es roch nach Staub, Rauch, Whisky und… Justin.

Ich stellte mich neben ihn und warf auch einen Blick auf die beleuchtete Stadt, es sah wirklich wunderschön aus.

Ich blickte erneut zu Justin und bemerkte, wie er die Zähne aufeinander biss, wie seine Kiefer sich verhärteten. Was ging bloß in dem Jungen vor, überlegte ich. Er sah so verbissen aus, als tobte ein Kampf in ihm. Als stellte er sich selbst ein paar Fragen, auf die er die Antworten vielleicht nicht hören wollte.

»Kann ich dir eine Frage stellen?«, begann er auch prompt, seine Stimme klang rau, sein Blick noch auf die Lichter gerichtet.

»Klar, nur zu«, meinte ich gezwungen fröhlich.

»Warum dauert die Verwandlung eigentlich so lange? Kann man das nicht beschleunigen?«, er richtete seine Augen auf mich und sah mich gespannt an.

Auf so eine Frage war ich nicht gefasst. Ich wunderte mich insgeheim, dass Frank ihm das nicht schon längst erklärt hatte, warum er ihn nicht informierte.

»Die Antwort ist eigentlich ganz einfach«, ich sah Justin direkt an, auch um seine Reaktion zu beobachten.

»Die Verwandlung dauert so lange, weil man nur dann einigermaßen sicher sein kann, dass der angehende Vampir seinen ursprünglichen Charakter behält. Dass er nicht zu einem blutrünstigen, mordlüsternen Monster mutiert. Sich in die Gesellschaft einfügt, ohne pausenlos über unschuldige Menschen herzufallen und uns Anderen damit alle in Gefahr bringt.«

Justin schob angestrengt seine Augenbrauen zusammen.

»Aber es gibt noch einen anderen Weg.« Das war keine Frage, er stellte es einfach fest.

Jetzt verengten sich meine Augen, ich war mir unsicher, ob er das wissen musste und fragte mich zum wiederholten Mal, warum Frank ihn nicht schon längst darüber informiert hatte.

»Ja-a, aber das ist kein guter Weg«, ich presste die Lippen aufeinander.

»Bitte, sag es mir, ich möchte es wissen.« Er atmete ein, als ich keine Antwort gab.

»Bitte, Tascha«, es klang sehr eindringlich.

»Es bereitet einem Schmerzen«, begann ich und blickte Justin scharf an, »außerdem kann man sich nie sicher sein, ob es auch funktioniert.« Ich überlegte kurz, ob Justin schon bereit war, für den Rest.

»Der Vampir saugt das gesamte Blut aus. Alles was drin ist. Dann muss es sehr schnell gehen, da der Gebissene ja eigentlich schon tot ist. Der Vampir beißt sich selbst und gibt dem Toten einen Teil seines Blutes zu trinken. Nicht immer klappt es, man muss den richtigen Zeitpunkt treffen, bevor er ganz gegangen ist, sonst war alles umsonst. Wenn es aber funktioniert hat, kommt das nächste Problem.«

Ich stockte kurz, Justin hing an meinen Lippen und folgte gespannt meiner Erklärung.

»Ja?«, fragte er kurz, seine Stimme war nur ein Hauch.

»Der Charakter, die Seele, das was den Menschen ausmacht, seine Einzigartigkeit, ist raus. Dafür bekommt er sozusagen ein Gemisch vom Vampir wieder. Das ist aber das eigentliche Problem. Der Charakter, die Eigenschaften vom Vampir werden übertragen und heraus kommt dann meist ein Vampirneuling, den man nicht gebrauchen kann, der, wie ich eben schon sagte, mordlüstern und gefährlich ist. Der uns alle in Gefahr bringt.« Damit schloss ich meine Erklärung und sah Justin gespannt an. Er schluckte.

»Aber es kann auch klappen? Ich meine, es kann auch alles Gut werden, oder?«, fragte er drängend.

»Ja, kann sein, aber ich habe noch von keinem wirklich positiven Bericht gehört. Warum interessiert dich das so?«

»Nur so«, antwortete er fast schon gelangweilt und blickte wieder auf die Lichter der Stadt.

Als er seinen Kopf drehte bemerkte ich eine Narbe an seiner Schulter, direkt am Halsansatz. Die war mir vorhin gar nicht aufgefallen. Ich hob meine Hand und strich vorsichtig mit dem Daumen darüber. Sie war noch ziemlich frisch und rau. Er stöhnte kurz auf und bewegte die Schultern, als wenn ihm ein Schauer den Rücken herunter lief.

»Entschuldige«, murmelte ich, und zog meine Hand schnell zurück. Ich wusste, was den Schauer auslöste, mein eiskalte Haut auf seiner warmen Schulter.

»Nein«, sagte Justin, sah mich an und nahm meine Hand am Handgelenk.

»Bitte, mach weiter, das war ein schönes Gefühl.« Er legte meine Hand behutsam zurück auf seine Schulter.

»Bitte«, flüsterte er erneut.

Ich strich wieder mit dem Daumen über die lange Narbe, diesmal sah ich ihm direkt in die Augen dabei. Ein unergründlicher Ausdruck lag darin verborgen. Ich hatte schon bemerkt, dass er schöne Augen hat. Es war mir aber noch nicht aufgefallen, dass sie so unergründlich, so tief waren.

Unsere Blicke waren ineinander verschlungen.

Langsam näherte er sich, zögernd. Seine Hand, die das Glas hielt, legte sich um meine Taille und zog mich in seine Richtung. Ich kam ihm näher, ich ließ es einfach zu. Ich war gespannt und verlor mich ein bisschen in seinen unergründlichen, schönen Augen.

Wir waren nur ein paar Zentimeter voneinander entfernt. Sein Mund näherte sich langsam meinem Gesicht. Die freie Hand strich über meinen Arm, zeichnete die Schulter nach und fuhr den Hals entlang. Seine Hand war ganz warm und brannte beinahe auf meiner Haut. Er strich mir weiter über die Wange und über mein Haar. Weiterhin sah ich ihn wie gebannt an. Ich konnte nichts denken und war wie abgeschaltet.

Ganz langsam zog mir sein köstlicher Geruch in die Nase, ich wagte es nicht, tief einzuatmen.

Dann trafen sich unsere Lippen, er stöhnte erneut kurz auf, ich hörte sein Blut schneller durch seinen Körper rauschen, als er seine Hand in meinem Haar vergrub. Unsere Lippen öffneten sich leicht. Ich begann, den Kuss zu erwidern.

Meine Hand streichelte seinen Rücken hinunter und ich bemerkte, wie ihm erneut ein Schauer über den Rücken lief. Auch ich stöhnte kurz auf und zog dabei, die mich umgebende Luft und somit seinen Duft in mich ein.

Das war ein Fehler.

Plötzlich änderte sich die Situation schlagartig.

Ich spürte noch, wie meine Zähne sich verselbstständigten, schon lag Justin am Boden und ich über ihm.

Mein Verlangen, meine Gier, meine Lust hatten mich so sehr im Griff, dass ich nicht darüber nachdachte und nur noch ein Ziel vor Augen hatte: Ich wollte meine Zähne in seinen schönen Hals schlagen, in sein warmes pulsierendes Fleisch eindringen, sein Blut in mich aufnehmen. Trinken und ihn töten.

Das Glas, das ihm aus der Hand gefallen war, rollte geräuschvoll über den Boden. Die Luft war erfüllt vom stechenden Geruch des billigen Whiskys.

Er stemmte sich mit beiden Händen an meinen Schultern ab und ich hörte ihn wie aus weiter Ferne brüllen:

»Tascha! Es … es tut mir leid.«

Ich hörte ihn. Tatsächlich drang seine Stimme bis zu mir durch. Einen kurzen Moment zögerte ich noch, ich roch seine Angst, seine Furcht und … sein Verlangen. Es roch herrlich, einfach köstlich. Aber seine Augen waren immer noch unergründlich, unendliche tiefe Brunnen.

Langsam kehrte ich in die Wirklichkeit zurück, tauchte auf, aus meinem Strudel der Gier.

 

Mit einem letzten Blick auf seinen Hals, seine helle Haut und das darunter pulsierende Blut, erhob ich mich, streckte ihm die Hand entgegen um ihn hochzuziehen. Er sah auf meine Hand, nur zögernd packte er sie. Als er wieder vor mir stand, ging er einen Schritt zurück, wie um einen Sicherheitsabstand einzuhalten.

»Mir tut es auch leid, Justin«, sagte ich leise und blickte in sein Gesicht. Er schluckte kurz und nickte leicht.

Die Stille wurde jäh unterbrochen von der Türklingel. Wir rissen gleichzeitig unsere Köpfe herum. Ich fragte ihn misstrauisch:

»Erwartest du noch jemanden?«

»Nein«, antwortete er und war scheinbar genauso erstaunt. Zögernd ging er zu seiner Wohnungstür.

Jetzt erkannte ich den nächtlichen Besucher, sein Geruch hatte ihn verraten: Frank. Was wollte der denn hier, um diese Uhrzeit.

Justin öffnete die Tür und sah überrascht aus als Frank ihn mit einem Lächeln begrüßte.

»Hallo, Junge, ich sah das Licht und …« Es schien, als zögerte er nur kurz, als er mich bemerkte.

»Tascha, das ist gut, das ich dich auch hier treffe.«

Justin schloss die Tür wieder und murmelte:

»Ich geh dann mal unter die Dusche«, damit verschwand er im Bad.

Ich blickte zu Frank

»Was machst du hier?«, fragte er mich scharf

Ich lachte kurz auf. »Das Gleiche könnte ich dich fragen.«

»Das geht dich nun wirklich nichts an«, gab er streng zurück und presste die Lippen aufeinander

»Gleichfalls«, erwiderte ich trotzig und setzte mich auf Justins Sofa.

Natürlich kam er gleich zum Punkt:

»Ich habe heute keine guten Nachrichten über dich gehört, Tascha. Du hast ein Halbblut übel zugerichtet, er hat geblutet. Geblutet in einem Raum voller Vampire. Hast du eigentlich eine Vorstellung davon, was mit ihm geschehen ist?« Frank legte eine Pause ein.

Arrogant betrachtete ich meine Fingernägel.

»Nö«, sagte ich kühl. Ich hatte keine Lust ihm Rechenschaft abzulegen.

»Es war ein Schlachtfeld«, fuhr Frank fort, »sie sind natürlich alle über ihn hergefallen und haben ihn getötet. Sein Herr wird darüber nicht sehr erfreut sein.«

Ich erhob mich und ging auf Frank zu.

»Er war ein Dreckskerl, außerdem hat er Justin angegriffen und mich hat er geschlagen, so was kann ich mir ja wohl nicht gefallen lassen. Du hast doch selber gesagt, dass ich auf dein kleines Halbblut Acht geben soll.« Langsam wurde ich wütend.

»Ja, das schon, aber es war nicht darin eingeschlossen, das du das Halbblut von Michael töten solltest.« Er blickte mich grimmig an.

Der Idiot gehörte also zu Michael. Na ja, überlegte ich, er wird sich jemand Neues besorgen, er hat sowieso immer einige zur Auswahl, alles solche Mistkerle wie den letzten. Vielleicht zieht ein Mistkerl einfach automatisch andere Mistkerle an.

»Nun«, begann Frank abermals, »wir werden sehen, wie das weitergeht.« Erneut eine kurze Pause, in der Frank mich aufmerksam musterte.

»Übrigens habe ich deinen Kindermörder zur Strecke gebracht, den, den du … übergangen hattest.«

Ja, den ich gegen das süße Blondinchen eintauschte. Ich musste grinsen. »Danke schön.«

»Ich übernehme alle, die du entwischen lässt, Tascha alle. Und ich erledige meine Arbeit sehr gründlich wie du weißt.« Er sprach sehr eindringlich und ich sah ihn misstrauisch an.

In diesem Augenblick kam Justin aus dem Badezimmer.

Franks und auch meine Nasenflügel bebten leicht. Justin roch einfach verlockend. Er duftete so verführerisch und ich musste meine ganze Willenskraft aufbringen, um nicht wie ein Tier über ihn herzufallen.

Auch Frank sah leicht gereizt aus. Justin stand noch nahe der Badezimmertür und blickte uns unsicher an.

»Justin, es ist Zeit für deine nächste Stufe.« Frank drängte ihn wieder zurück ins Badezimmer und hinter beiden schloss sich knallend die Tür.

Ich seufzte, und setzte mich wieder auf das Sofa. Ich wusste, was nun in dem kleinen Badezimmer geschah. Frank würde Justin beißen, ihn wieder ein Stück näher an ein Dasein wie das Unsere bringen. Ich wusste immer noch nicht, ob Justin dafür bereit war, ob er letzten Endes ein guter Vampir werden würde. Noch ist er ein guter Junge, ein guter Mensch, aber wird er diese Eigenschaften auch als Vampir besitzen? Wird er dann noch derselbe sein?

Frank kam wieder aus dem Bad und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, eine unbewusste aber eindeutige Geste.

Aus seiner Jackentasche zog er einen verknitterten braunen Umschlag, den er mir zuwarf.

»Hier, ich habe zufällig deinen nächsten Auftrag dabei.«

Ich fing den Umschlag auf und warf ihn sofort uninteressiert auf den kleinen Tisch neben dem Sofa. Trotzig sah ich in Franks Gesicht, ich wartete nur auf ein falsches Wort von ihm. Ich war bereit, es jetzt und hier zu einer Entscheidung kommen zu lassen.

Er aber ignorierte scheinbar mein Verhalten und ging zur Wohnungstür, den Griff schon in der Hand drehte er sich noch mal halb zu mir um.

»Wir sehen uns, Tascha«, dann war er draußen.

Ich saß abwartend auf dem Sofa.

Wo bleibt denn Justin, fragte ich mich und stemmte mich aus dem bequemen Sitz hoch um im Badezimmer nach dem Rechten zu sehen.

Frank hatte die Tür nur angelehnt gelassen, ich zog sie auf und knallte sie augenblicklich wieder zu, um mich mit der Stirn dagegen zu lehnen.

Tief atmet ich ein und aus. Der Geruch aus dem kleinen Raum hatte mich tief getroffen. Es war ein Gemisch von frischen, lieblichen Blut, Angst, Wut, Gier, Lust und über dem ganzen schwebte der Duft von Justin.

Das war zu viel für meine Beherrschung. Aber trotz der Schnelligkeit meiner Bewegung hatte ich Justin auf dem Boden liegend gesehen.

»Justin«, rief ich durch die geschlossene Tür, »ist alles in Ordnung?«

Ich erhielt keine Antwort, ich hatte es mir gedacht. Ich hielt meinen Atem an und machte die Tür auf.

Da lag er, auf den kalten Fliesen. Sein Oberkörper war noch nackt, nur mit Jeans bekleidet. Das Gesicht war ganz entspannt aber seine Haut war kalkweiß. An seinem Hals prangten zwei kleine Einstichstellen, die immer noch nachbluteten. Ich verstand nicht, wieso Frank sie nicht verschlossen hatte, so konnte es leicht passieren, dass Justin verblutete. Ich kniete mich zu ihm und hob seinen Kopf auf meinen Schoß.

»Justin«, leicht schlug ich ihm auf die Wangen. »Justin, wach auf, los.«

Seine Augenlider flatterten, dann schlug er die Augen auf und blickte mich aus diesen Brunnen der Unendlichkeit an.

»Was ist passiert?«, fragte er leise nuschelnd.

»Frank ist dir passiert«, antwortete ich grimmig, »er hat vergessen die Wunden zu verschließen, hast du irgendwo Verbandszeug? Dann kann ich die Blutung stoppen, du verlierst eindeutig zu viel Blut.« Ich sah ihn fragend an.

»Kannst … kannst du das nicht machen?«, seine Augen fielen ihm zu. »Ich meine darüber … wie auch immer … und alles ist wieder gut?« Seine Stimme war nur ein leises Murmeln. Er schlug die Augen wieder auf und blickte mich an. Unergründlich, in diesen Augen könnte man sich tatsächlich verlieren und es würde einem noch nicht einmal auffallen. Ich löste mühsam meinen Blick und betrachtete die zwei Einstichstellen, aus denen sein köstlich, duftender Lebenssaft unermüdlich heraustrat. Es wäre keine gute Idee, jetzt von seinem Blut zu kosten.

»Justin, ich … « begann ich zögernd und überlegte, wie ich es ihm sagen sollte.

»Ich glaube, das wäre nicht gut für dich, ich kann mich nicht so gut beherrschen. Ich … könnte vielleicht nicht wieder aufhören.« Ich presste die Lippen aufeinander und ärgerte mich über mich selbst.

»Bitte, Tascha«, er machte eine Pause und leckte sich über die Lippen, »ich vertraue dir.« Damit legte er mir sanft seine Hand auf den Unterarm, eine Berührung, leicht wie eine Feder. Ich schloss die Augen und atmete tief durch den Mund ein. Dann schluckte ich meine Befürchtungen, meine Angst herunter und öffnete meine Augen wieder.

Er sah mich immer noch an. Langsam und zögerlich hob ich seinen Oberkörper zu mir hoch und beugte gleichzeitig meinen Kopf zu ihm herunter. Immer näher kam ich seinem Blut, immer intensiver wurde sein Geruch, immer schlimmer spürte ich die Gier in mir aufsteigen. Ich bemerkte, wie meine Zähne wieder zu Dolchen werden wollten. Krampfhaft versuchte ich diesen Zustand niederzukämpfen. Ich schloss meine Augen erneut, vor seinem allzu köstlichen Blut. Langsam umschloss mein Mund seine Wunden am Hals, Justin stöhnte leicht und zuckte kurz zusammen.