Natascha

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Es war nun nicht mehr weit. Langsam wurde ich unruhig, ich war seit meiner Verwandlung und meinem tragischen Tod nicht mehr hier. Den Weg kannte ich noch genau: Es waren nur noch zwei Straßen, allesamt ungepflastert und staubig, in einen holperigen Weg einbiegen und dann das Dritte Haus.

Ich hing meinen Gedanken nach, das war der Grund, warum Justin sie zuerst sah. Vielleicht hätte alles ein anders Ende genommen, wenn ich nicht so eine Träumerin wäre. Wer weiß das schon.

Vor mir, mitten auf der staubigen Straße standen zwei Gestalten, zwei Vampire, Thomas und Elisabeth. Beide stemmten ihre Fäuste in die Seite und fixierten uns wütend und … hungrig.

Bei einem Menschen würde man instinktiv versuchen auszuweichen. Aber diese beiden da, waren schon tot. Das Einzige, das passieren konnte, war, dass ich mir den Lack an meinem Mustang verkratzte.

Meine Hände umfassten das Lenkrad ein wenig fester, die Knöchel an meiner Hand traten weiß hervor. Mein Mund war zu einer harten Linie gepresst. Neben mir krallte sich Justin an seinem Sitz fest und stieß ein erschrecktes Keuchen aus. Ohne den Kopf zu wenden flüsterte ich ihm zu:

»Schnall dich ab. Wenn ich den Wagen wende, springst du raus und läufst weg. Versteck dich, ich werde dich schon finden.« Ein kurzer Blick zu ihm, hatte er mich verstanden? Er löste seinen Gurt, ich fuhr weiter, genau auf die beiden Vampire zu. Kurz bevor der Aufschlag erfolge, sah ich nur Beine fliegen. Sie sprangen über meinen Mustang, das war zu erwarten.

Ich fuhr ein Stück weiter, zog die Handbremse und machte eine halbe Drehung.

»Jetzt, raus hier«, flüsterte ich Justin zu. Er sprang aus dem Auto. Kaum, das sein Körper den Boden berührte, war er auch schon wieder auf den Beinen und rannte geduckt in den Wald neben uns. Durch den Schwung der Drehung schloss sich die Tür von selbst wieder. Ich gab Gas, ließ die Kupplung kommen, trat aber weiterhin fest auf die Bremse. Eine riesige Staubwolke breitete sich hinter meinen durchdrehenden Rädern aus. Kleine Steine und Dreck wurden nach hinten geschleudert. Ich hoffte, ich verschaffte Justin so ein wenig Deckung.

Ich vollendete die Drehung und stand den Vampiren gegenüber. Erneut fuhr ich genau auf sie zu. Ich überlegte kurz, ob sie Justins Flucht bemerkt haben, oder ob sie dachten, er kauert ängstlich im Fußraum. Hatten sie die Zeit seinen Geruch zu suchen?

Beide kamen auf mich zugerannt, mein Blick ging rastlos zwischen Thomas und Elisabeth hin und her.

»Sie oder Er? Sie oder Er? Sie oder Er?« Ich konnte mich nicht entscheiden, wen ich von beiden überfahren sollte. Da sah ich, wie Thomas Elisabeth ein kurzes Zeichen in Richtung Wald gab. Sie hatten Justins Rückzug also bemerkt. Meine Entscheidung war gefallen, ich riss das Lenkrad herum und eine Sekunde später schlug Elisabeths Körper wie eine Bombe in meinen Wagen ein. Sie hatte einen Moment nicht aufgepasst und nach Thomas’ Zeichen den Blick kurz auf den Wald gerichtet. Ich hüpfte auf und ab in meinem Sitz, als ich Elisabeth überrollte. Ich konnte mir unmöglich ein Lachen verkneifen und spürte, wie mein ganzes Gesicht vor Freude strahlte.

Natürlich hatte ich sie damit nicht vernichtet, dazu gehörte schon ein wenig mehr. Sie müsste ihren Kopf verlieren. Im wahrsten Sinne, des Wortes.

Im Rückspiegel sah ich sie auch schon wieder aufstehen. Thomas war bei ihr, packte sie am Arm und redete auf sie ein. Sie schüttelte kurz den Kopf und rannte dann in die Richtung, in der Justin im Wald verschwand.

Ich vollführte erneut eine Drehung mit dem Wagen und stand Thomas alleine gegenüber. Ich überlegte, wie ich weiter vorgehen sollte.

Ich stellte den Motor ab und stieg aus. Immer Thomas im Blick, der etwa hundert Meter von mir entfernt stand und mich lauernd beobachtete.

Langsam ging ich zum Kofferraum, öffnete ihn und holte meine Machete heraus.

Ich bekam sie vor ein paar Jahren von Frank geschenkt. Er hatte sie seinerzeit von einem der kubanischen Sklaven erhalten, um mit ihnen bei den Aufständen in den Zuckerkolonien zu kämpfen. Das musste so ungefähr im 18. Jahrhundert gewesen sein. Hatte bestimmt Spaß gemacht.

Ich betrachtete die schöne glänzende Machete und tippte mit meinem Finger auf die Spitze. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich Thomas weiterhin.

Rasch drehte ich mich um und rannte in den Wald. In die entgegengesetzte Richtung, in die Justin und Elisabeth verschwunden waren. Ich wollte Thomas von Justins Spur ablenken, ihn beschäftigen. Mit einem Vampir würde Justin vielleicht alleine fertig, aber bei zwei von der Sorte … Keine Chance.

Natürlich rannte Thomas hinter mir her.

Keine halbe Minute später stand ich auf einer kleinen Lichtung. Die Sonne schien noch sehr schräg herein, es war erst acht Uhr morgens, und es war wunderschön hier.

Ein guter Platz zum Sterben.

Thomas war mir dicht auf den Fersen. Mitten auf der Lichtung drehte ich mich um und erwartete ihn.

Am Rande der Lichtung stoppte Thomas. Er griff mit einer Hand über seine Schulter und zog nun seinerseits eine Waffe. Es war ein Schwert, aber ein ganz Besonderes.

Er erzählte mir früher schon Geschichten über diese Waffe. Es war ein sogenanntes Richtschwert und wurde ausschließlich zur Enthauptung von Verurteilten benutzt. Nicht schwer zu erraten, woher es kam und wie es in Thomas’ Besitz gelangte.

Auch nicht schwer zu erraten, was er jetzt damit vorhatte.

Er hielt sein Schwert mit beiden Händen über seinen Kopf und kam auf mich zugerannt. Ich stellte mich in Position und erwartete ihn. Es erklang ein hohes, kreischendes Geräusch, als unsere Waffen zusammenprallten. Ich drückte ihn mit aller Kraft wieder von mir weg. Er stand mir gegenüber, mit erhobenem Schwert. Auch ich hob mit einer Hand meine Machete an. So umkreisten wir uns, ganz langsam.

»Hallo Tom«, sagte ich und fixierte sein Gesicht, um auf jede Bewegung von ihm, sofort zu reagieren.

»Lust auf ein bisschen Sterben?«, meine Stimme hatte einen ironischen Unterton.

»Tascha, schade, dass wir uns auf diese Weise wiedertreffen. Wir hätten Freunde werden können. Aber jetzt …« Thomas lächelte grausam, »muss ich dich leider töten. So leid es mir tut und dann werde ich mich um deinen Menschenfreund kümmern.«

Wir umkreisten uns immer noch. Langsam, abwartend und lauernd. Wie zwei Raubtiere.

»Hat Frank dich geschickt?«

»Nein«, antwortete er, »er hat mich beauftragt deinen Sohn zu töten. Aber ich dachte mir schon, dass wir uns hier treffen.«

Ich machte blitzschnell einen Schritt nach vorne und schlug seitlich meine Machete zu seinem Körper. Er parierte und führt seinerseits einen Hieb zur anderen Seite aus. Meine Waffe hielt das Schwert auf. Wir sprangen gleichzeitig einen Schritt zurück um unsere abwartenden Umkreisungen wieder aufzunehmen.

Wieder und wieder wagte ich einen Vorstoß. Jedes Mal parierte er meine Schläge. Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, ich suchte nach einem Ausweg. Nach einer Lösung, wie ich Thomas ausschalten konnte und zwar schnell.

Plötzlich bemerkte ich eine kleine Bewegung zwischen den Bäumen. Nur eine Lidschlaglänge hatte ich mich davon ablenken lassen. Das war genau die Schwäche, auf die Thomas wartete, um mir sein Richtschwert in die Seite zu rammen.

Eine Flut des Schmerzes überrollte mich, vor meinen Augen explodierten kleine Kreise. Die Machete entglitt meinen Händen. Ich ließ mich auf die Knie fallen, presste meine Hand auf die Wunde und war erstaunt, wie tief ich in meinen Körper fassen konnte. Thomas hatte nicht mit voller Wucht zugeschlagen und ich hatte mich währenddessen ein paar rettende Zentimeter zur Seite bewegt. Eine überaus verzweifelte Reaktion.

Thomas stand erneut mit erhobenem Schwert in Position. Ich kämpfte noch mit den Schmerzen. Jetzt hätte er ein leichtes Spiel mit mir. Er könnte mir den Kopf abschlagen und mein verdammtes Dasein mit einem Schlag beenden. Aber er blieb fair und wartete.

Lauerte darauf, dass ich mich erholte. Da trat plötzlich die Bewegung, die ich eben bemerkt hatte, aus dem Wald und auf die Lichtung.

Es war Elisabeth mit Justin. Sie hatte ihn am Kragen gepackt und zerrte ihn hinter sich her. Justin sah schwer angeschlagen aus, er blutete aus verschiedenen Wunden, die auf seinem ganzen Körper verteilt waren.

Bei seinem Anblick verkrampfte sich etwas in meinem Körper. Ich sah, wie Elisabeth, Justin auf die Lichtung schleuderte. Er rappelte sich schnell in eine hockende Position hoch, kaum dass er auf dem weichen Boden landete. Er sah mich an, verschlang meine Augen mit seinem Blick.

»Es tut mir leid.«, hörte ich ihn leise sagen.

Thomas richtete sich auf, steckte sein Schwert in den weichen Boden und ging gemächlich zu Justin.

»Lass ihn in Ruhe, Tom«, presste ich zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Ich warne dich!«

Langsam richtete ich mich auf und zuckte zusammen, als eine neue Schmerzwelle meinen Körper überrollte. Die Wunde war sehr tief, mein Körper musste sie von innen her heilen, das konnte ein bisschen dauern.

Noch bevor ich richtig stand, war Elisabeth auch schon bei mir. Sie riss mir die Arme auf den Rücken und stemmte sich mit ihrem Knie dagegen. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, da die Schmerzen aus meiner Seite mich immer noch lähmten. Ich spürte zwar schon, wie mein Körper den Heilungsprozess begann, aber ohne frisches Blut, das ich trinken könnte, dauerte das Ganze ohnehin noch länger.

Thomas hatte Justin erreicht und riss ihn an den Haaren hoch. Er stöhnte auf, ohne seinen Blick von mir abzuwenden. Seine schönen Augen sahen mich immer noch wie um Verzeihung bittend an.

 

Ich konnte es kaum ertragen.

Thomas sah zwischen Justin und mir hin und her. Dann wendete er sich mir zu. Er hielt das Halbblut immer noch bei den Haaren gepackt:

»Ihr zwei seid ja ein schönes Pärchen, wahre Gefährten der Nacht.« Thomas lachte laut auf, auch Elisabeth, in meinem Rücken, gackerte wie ein Huhn.

Abrupt stoppte Thomas sein Lachen und blickte mich grimmig an. »Und wann sterbt ihr?«, er wendete seinen Blick zum Himmel, »am hellen Tag!«

Ich sah noch, wie seine Zähne zu Dolchen wurden, dann hatte er sie Justin auch schon in den Hals geschlagen.

Justins Gesicht verzerrte sich zu einer Maske des Schmerzes. Ich sah sein Blut spritzen, jedes Mal, wenn Thomas erneut zubiss. Voller Schrecken erkannte ich, dass Thomas ihn nicht aussaugen wollte, er wollte ihn zerkauen, ihn zerfleischen, er würde ihn töten.

Immer wieder sah ich Justins Blut spritzen, roch es, atmete seinen Duft ein.

Plötzlich war es da, das Monster in mir, ich hörte mich brüllen. Laut und stark, unmenschlich und voller Wut.

Die Kraft war wieder da, ich bückte mich und schleuderte Elisabeth über mich hinweg. Sie schlug einen halben Salto, ließ meine Arme aber nicht los. So vollführte auch ich einen halben Salto und landete mit meinem Rücken krachend auf ihrem Oberkörper. Unter mir hörte ich die Knochen knacken und Rippen brechen. Das würde ihr nicht viel ausmachen, nur ein bisschen Schmerzen zufügen. Wie auf Kommando brüllte Elisabeth unter mir laut auf.

Endlich ließ sie meine Arme los. Schnell ergriff ich meine Machete, die neben uns im Gras lag.

Ich war frei und schoss auf Thomas zu. Das Ganze hatte nur ein paar Sekunden gedauert und Thomas war bei Justin in einen regelrechten Blutrausch verfallen, so konnte er nicht mehr zeitnah reagieren. Meine Chancen standen gut.

Mitten im Lauf hob ich vom Boden ab und traf Thomas mit meinen Füssen an der Brust, das schleuderte ihn einige Meter nach hinten. Justin fiel in sich zusammen. Ich beachtete ihn nicht, hatte nur Augen für Thomas, auf den ich langsam zuging.

Meine Sinne waren aufs äußerste gespannt. So nahm ich das Geräusch hinter mir wahr, beinahe, noch ehe es erklang.

Es war eine einzige, fließende Bewegung: Mich umdrehen, die Machete anheben und Elisabeth damit den Kopf abschlagen. Ohne in meiner Drehung innezuhalten stand ich Thomas auch schon wieder gegenüber und ging weiter auf ihn zu.

Erst war sein Blick erstaunt, dann sah ich die Wut, die grenzenlose Wut über den Tod seiner Gefährtin.

Erneut hallte ein schier unmenschliches Gebrüll über die Lichtung. Diesmal nicht von mir, sondern aus Thomas’ Mund. Er stand vor mir, riss seine Arme in die Höhe und brüllte seine Wut in den Himmel.

Ich bin keine besonders gute Kämpferin, sonst hätte Thomas mich wohl nicht erwischen können. Mir fehlte einfach die Übung aus den letzten Jahrhunderten, die viele Vampire genossen.

Aber vor allem bin ich keine faire Kämpferin. Wie Thomas mich eben meinem Schmerz überließ, obwohl es die Gelegenheit für ihn war, das zeichnet einen fairen und gerechten Kämpfer aus.

Ich bin nicht so, ich nutze jede Chance, ich bin ein Schweinehund.

So stieß ich dem, immer noch himmelwärts brüllenden Thomas, im vollen Lauf meine Machete tief zwischen die Rippen. Sein Gebrüll ging in ein Ächzen über und sein Oberkörper klappte nach vorne. Ich zog die Machete aus seinem schon lange toten Körper, hob sie an und ließ sie auf seinen, nun frei liegenden Nacken, niedersausen.

»Ich hatte dich gewarnt«, brüllte ich ihn an.

Sein abgetrennter Kopf flog mindestens sechs Meter weit, ehe er auf der Lichtung liegen blieb, wie ein vergessener Fußball. Erst Sekunden später fiel sein, nun wirklich toter Körper, in sich zusammen.

Ich atmete stoßweise aus, ließ die Machete achtlos fallen. Dann hob ich meine Hände zum Himmel und ließ ein lautes Brüllen erklingen.

Ein Siegesgebrüll.

Die zwei toten Körper, die über die Lichtung verstreut waren und die abgetrennten Köpfe fingen, wie aus dem Nichts, Feuer. Sie brannten, nun waren sie endgültig vernichtet.

Es war vollbracht, ich kam siegreich aus der Geschichte heraus.

Jetzt lag noch eine schwere Aufgabe vor mir. Ich ließ meine Arme kraftlos sinken, drehte mich um und betrachtete den einzigen herumliegenden Körper, der nicht brannte:

Justin.

Lebte er noch? Ich lauschte. Ja, ich konnte sein Blut rauschen hören.

Er atmete unregelmäßig, Thomas hatte ihn schwer verletzt.

Justins Geruch wehte über die Lichtung, hüllte mich ein. Überall um mich herum roch es nach seinem Blut, nach Angst und Verzweiflung … und nach Tod.

Langsam ging ich auf Justin zu, je näher ich kam, umso stärker roch ich die Verzweiflung und die Angst. Als ich über ihm stand merkte ich mit einem Mal, dass der Geruch nicht von ihm stammte.

Er kam von mir und es strömte aus jeder Pore meines kalten Körpers.

Ich roch nach Verzweiflung und Angst.

Ich war verzweifelt, ich hatte Angst, sogar sehr große Angst.

Entscheidungen

Langsam fiel ich auf die Knie vor Justins blutenden Körper. Er atmete noch, auch sein Blut hörte ich rauschen, wenn auch schon leiser. Sein Herz machte einige Stolpergeräusche, dann schlug es wieder regelmäßig, aber sehr schwach.

Ich strich vorsichtig eine Haarsträhne aus seiner Stirn. Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte. Ich blickte ihn einfach nur an.

Thomas hatte ihn übel zugerichtet, am ganzen Oberkörper hatte er Bisswunden. Die schlimmste war an seinem Hals, unermüdlich trat Blut aus der Wunde. Es sah so aus, als hatte Thomas vor, ihn aufzufressen. Die Wunden waren alle zu tief, um von mir geheilt zu werden. Außerdem hatte er schon zu viel Blut verloren. Seine eigenen Selbstheilungskräfte werden erst voll entwickelt sein, wenn er ein Vampir war.

Erneut fragte ich mich, was ich machen konnte, wie es jetzt weiterging. Er murmelte etwas Unverständliches und öffnete endlich die Augen. Ich sah in seine tiefen Brunnen, die für mich keine mehr waren.

»Justin«, ich musste einfach lächeln, »na, wieder unter den Lebenden?«

Er lächelte flüchtig zurück, aber vor Schmerzen verzog er das Gesicht und schloss krampfhaft die Augen.

Als er sie wieder öffnete, lag bereits ein leichter Schleier über dem schönen Braun seiner Augen.

»Wie schlimm?«, fragte er gepresst, ich konnte sehen und riechen, wie ihn eine erneute Schmerzenswelle erfasste.

»Du siehst …« Was solle ich sagen? Dass er aussah wie durch den Fleischwolf gedreht? Dass er auf jeden Fall sterben würde? Dass er aber noch qualvollere Schmerzen ertragen musste, bis er endlich erlöst würde? Sollte ich ihm das wirklich sagen? Oder sollte ich ihn einfach anlügen und ihm beruhigend zureden bis … bis zu seinem Ende? Mein innerer Kampf dauerte an.

Seine blutverschmierte Hand schoss vor und ergriff meinen Unterarm. Ich war ein bisschen erschrocken, von der Bewegung und das sie so erstaunlich kraftvoll war.

»Tascha«, er suchte meinen Blick, versuchte mich mit seinen Augen fest zunageln.

»Werde ich das hier überleben?«, sein Blick war ohne Furcht, er kannte die Wahrheit bereits.

Mein Mund war ausgetrocknet und meine Stimme wie ein Reibeisen.

»Ich fürchte … nein.«

Ich blickte in seine Augen und erkannte in diesem Moment die Wahrheit.

Ich würde ihm nicht nur mein Leben anvertrauen, ich vertraute ihm mein ganzes Dasein an, alles was ich war, alles was ich ausmachte, würde ich in seine Hände legen.

Diese Erkenntnis riss mich fast um.

Ohne ihn würde ich nur noch eine Leere fühlen, ich wollte nicht, dass er stirbt, dass er mich verlässt.

»Justin«, fragte ich ihn ganz ruhig, mein Entschluss war gefasst.

»Möchtest du sterben?«

»Nein, Tascha, jetzt nicht mehr.« Seine blutige Hand griff nach meiner kalten. Er drückte sie kurz, dann lag sie schlaff da.

»Ich liebe dich«, hauchte er und hob seine Hand an, um mir über die Wange zu streichen. Auf halbem Weg verließ ihn die Kraft und er ließ den Arm einfach fallen. Kurz bevor ihm durch den Aufprall eine erneute Schmerzenswelle durchzucken konnte, fing ich den Arm auf und drückte seine Hand an meine Wange. Ich küsste seinen Handrücken und sah ihm erneut in die Augen.

»Ich will nicht, dass du mich verlässt«, wisperte ich.

Justin lächelte ein wenig und schloss die Augen.

»Auf Wiedersehen, Tascha«, murmelte er und war schon fast nicht mehr zu verstehen.

»Ich muss jetzt gehen, mein kleiner Liebling.«

»NEIN! Bleib bei mir!« Ich brüllte wie ein Tier, packte seine Schultern, schüttelte ihn durch und machte mir keine Gedanken über Schmerzen, die er haben könnte. Er musste sich unbedingt meine Überlegungen bis zum Schluss anhören. Außerdem wollte ich eine Antwort haben. Er riss seine Augen auf, sie flatterten, er wollte sie wieder schließen, aber das ließ ich nicht zu.

»Justin, bleib bei mir, bitte«, nochmals schüttelte ich ihn durch. Jetzt zeigte es Wirkung. Er blickte mich fast klar an, nur noch der dünne Schleier lag über seinen Augen.

»Justin, ich kann dich … verwandeln, wenn du das willst.« Seine Augen wurden größer.

»Aber du sagtest doch, dass es …«, er leckte sich über die Lippen und suchte wahrscheinlich nach den richtigen Worten, »…dass es nicht sicher ist. Dass ich auch als Monster wiederkommen kann.« Sein Blick war eine einzige Frage.

»Justin, ich werde aufpassen, dir geschieht nichts. Außerdem könntest du nie böse sein, nicht so richtig.« Ich lächelte ihn an und strich erneut diese Haarsträhne aus seiner Stirn. Justin fielen die Augen zu.

Aber ich musste jetzt eine Antwort haben, ich konnte das nicht tun, ohne sein Einverständnis. Ich fasste ihn leicht an der Schulter und beugte mich ganz nah zu seinem Ohr.

»Justin. Möchtest du gerne für immer bei mir bleiben? Möchtest du …«, ich holte tief Luft, »willst du ein Vampir werden, ein Geschöpf der Nacht?«

Gespannt sah ich ihn an. Er musste mir einfach eine Antwort darauf geben. Er öffnete die Augen und sein Blick ging fieberhaft hin und her, als dachte er scharf nach, dann sah er mich an.

»Ja, das möchte ich.« Seine Stimme klang sehr fest und entschlossen, er war also bei klarem Verstand. Das machte es mir leichter, hinterher, wenn seine Vorwürfe kamen, Und sie werden kommen, dessen war ich mir sicher.

Ich nahm ihn hoch und hielt meine Wange an seine gedrückt. Ganz schlaff hing er in meinem Arm. Ich küsste ihn auf die Wange und ging langsam tiefer. Küssend näherte sich mein Mund seinem Hals. Der unversehrten Halsseite. Ich atmete seinen Geruch ein, strich mit der Nase über seine Halsseite, küsste ihn genau auf die Stelle, an der unter der weichen Haut seine Ader pulsierte. Ich merkte, wie er schluckte.

»Versuch mir zu verzeihen.«

Das war der letzte Satz, den Justin in seinem menschlichen Leben hörte. Meine Zähne schlugen sich durch seine zarte, fast durchscheinende Haut. Kurz bäumte er sich in meinen Armen auf und stöhnte. Ich trank sein Blut, saugte es schnell in mich hinein. Ich musste mich konzentrieren, genau darauf achten, wann ich aufzuhören hatte. Es musste alles schnell gehen. Sehr schnell, sonst war Justin verloren und das für immer. Wenn ich einen Fehler machte und er sich in ein blutrünstiges, mordendes Monster verwandelte, würde er noch heute als dritte Fackel auf dieser schönen Lichtung enden.

Ich spürte genau, wie er in meinen Armen starb, wie der letzte Rest Leben aus ihm herauslief. Gleich war nichts mehr in ihm. Keine Seele, keine Persönlichkeit, kein Lachen … kein Leben.

All das hatte ich ihm weggenommen, hatte es in mich aufgesaugt.

Ich war bereit, ihm alles zurückzugeben. Gemischt mit meiner Persönlichkeit, meinem Lachen, meiner Seele.

Ich war fertig und legte Justin auf den weichen Boden. Sein Gesicht war schneeweiß, kein Atemzug bewegte seinen Brustkorb.

Er war tot, wirklich tot.

Ich hob meinen Unterarm an die Zähne, betrachtete Justins Gesicht, er sah so friedlich aus, so glücklich.

Ich zögerte kurz, sollte ich hier Schluss machen, sollte ich ihm seinen Frieden lassen?

Nein, auch er hatte sich für diesen Weg entschieden, darum wollte ich auch so dringend eine Antwort von ihm. Damit ich es ruhigen Gewissens verantworten konnte. Vor allem vor mir, dass ich ihn zu ewiger Verdammnis zwang. Ihn in ein Geschöpf der Nacht verwandelte.

 

Kräftig biss ich in mein Handgelenk, direkt über den Pulsadern. Sofort sprudelte mir Blut entgegen. Ich hielt die offene Wunde an seinen Mund, drückte seine Lippen und Zähne auseinander und zwang ihm so mein Blut auf.

Es wird sich in seinem Mund sammeln und in seinen Magen laufen. Dort wird es seine Arbeit verrichten, oder auch nicht, wenn ich zu lange zögerte und den richtigen Zeitpunkt verpasste.

Es lag nun nicht mehr in meiner Macht. Alles, was ich konnte, habe ich getan. Nun konnte ich nur noch abwarten.

Ich zog meine Hand zurück, verschloss die Wunde und hob Justin hoch, trug ihn wie ein kleines Kind. Er hing schlaff in meinen Armen.

Ich trug ihn in den Wald hinein.

Unter einem Baum ins trockene Moos legte ich ihn ab, lief zurück zu der Lichtung, nahm das Richtschwert und meine Machete an mich. Ohne einen Blick auf die noch glimmenden Vampire zu werfen, ging ich wieder zu Justin, setzte mich zu ihm unter den Baum und bettete seinen Kopf auf meinen Schoß.

Jetzt begann das Warten.

Das Warten auf die Verwandlung und welches Ende sie nehmen würde.

Ich war erschöpft, völlig erledigt. Was stand mir heute Nacht noch bevor? Wie wird diese Nacht enden? Ich lehnte mich an den rauen Stamm des Baumes und wartete.

Es war bereits Nachmittag, als Justins Körper anfing zu zucken. In regelmäßigen Abständen durchlief ihn eine neue Schmerzenswelle. Ganz langsam verschlossen sich die Wunden, die seinen Körper überdeckten. Ab und zu stöhnte er leise. Gespannt beobachtete ich sein Gesicht.

Immerhin schien die Verwandlung funktioniert zu haben, ich habe ihn aus dem Reich der Toten geholt, wohin ich ihn zuerst schickte. Jetzt kam es nur noch darauf an, wie er zurückkehrte. Wie würde er sein, was für ein Vampir würde er werden?

Kurz vor Sonnenuntergang, die Schatten waren schon sehr lang geworden, öffnete er plötzlich seine Augen. Sie waren immer noch braun.

Ich war erstaunt, ich hatte mit gelben, raubtierartigen Augen gerechnet. Er starrte an mir vorbei in die Baumkrone hoch. Langsam glitt sein Blick den Stamm herunter, bis er in meinem Gesicht anhielt. Unwillkürlich musste ich schlucken, so durchdringend hatte er mich noch nie angesehen. Sein Gesicht war angespannt. Unverwandt starrte er mich an. Ich musste irgendetwas zu ihm sagen, ich musste diese Stille, diese gespannte, gefährliche Stille durchbrechen. Krampfhaft suchte ich nach einem sinnvollen Satz in meinem Kopf.

»Na, wieder unter den Lebenden?«

Was anderes fiel mir auf die Schnelle nicht ein. Meine Stimme sollte fröhlich klingen, aber sie klang ängstlich. Sein Blick war nachdenklich auf mich gerichtet, als wenn er überlegen musste, wer ich war und ob er mich schon einmal gesehen hatte.

Dann, endlich schien er mich zu erkennen und sein Gesicht entspannte sich, sein Mund verzog sich zu einem Lächeln und, was das Schönste war, seine Augen lachten mit.

»Ja, mir geht’s ganz gut.« Er richtete sich auf und sein Oberkörper schwankte noch ein bisschen. Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, mit dem Erfolg, das sie nach allen Richtungen abstanden. Dann blickte er mich an.

»Und wie geht es dir?«

»Jetzt gut.« Ich grinste ihn an, ich konnte einfach nicht anders, »jetzt geht es mir richtig gut.« Ich fing an zu lachen, lachte aus vollem Hals. Ich hielt mir den Bauch vor lauter Gelächter, so erleichtert war ich. Die ganze Anspannung der letzten paar Stunden, als ich über seinen, in der Verwandlung befundenen Körper, wachte, war wie weggeblasen.

Es schien geklappt zu haben, er war kein … böser Junge geworden, kein Monster, er roch sogar fast noch genau wie vorher.

Ich konnte einfach nicht anders, ich umarmte ihn und hielt ihn leise lachend fest. Er erwiderte meine Umarmung, wenn sich auch auf seinem Gesicht Erstaunen über meinen Ausbruch breit machte.

Justin seufzte. »Du bist das Beste, das ich je erlebt habe«, er blickte mich an, seine Augen strahlten. »Es hat sich gelohnt, dafür zu sterben.«

»Justin«, flüsterte ich und lehnte mich an ihn. »Ich bin so froh, dass es dir gut geht.« Ich strich mit meiner Wange über seine Halsseite, atmete seinen Duft ein.

Er griff mit seiner Hand in meine Haare. Dann legte er seine kühlen Hände rechts und links an mein Gesicht, augenblicklich hatte ich das Gefühl, als stünde ich in Flammen, er blickte mir tief in die Augen.

»Tascha, Liebes, du hast Großartiges vollbracht. Du hast mich gerettet. Ich liebe dich.«

Er näherte sich meinem Gesicht und unsere kalten Lippen berührten sich.

Es war ein ganz anderes Gefühl als das letzte Mal, da floss noch Blut durch seine Adern, er war noch menschlich, lebendig.

Ich näherte mich ihm heftig und erwiderte den Kuss.

Wir ließen uns gemeinsam auf das weiche Moos sinken. Er zog mich auf sich drauf. Ich ließ es nur zu gerne zu.

Irgendwann trennten sich unsere Lippen. Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und lauschte seinem Atem darin. Nur das Atmen, sonst hörte ich nichts. Es hörte sich gut an, kein verlockendes, rauschendes Blut, kein Herzschlag mehr. Nur noch sein Geruch, der mich einhüllte und mich verführte.

Wir lagen eine Zeitlang einfach so da und hingen unseren Gedanken nach. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und eine tröstliche Dunkelheit hüllte uns beide ein.

Mit einem Schlag wurde mir wieder bewusst, warum ich eigentlich hier war und was ich noch zu erledigen hatte. Schnell erhob ich mich und klopfte mir den Staub aus der Hose.

Justin lag noch auf dem Boden und blickte mich von unten her an. Ich hielt ihm meine ausgestreckte Hand hin, um ihm aufzuhelfen.

Die Dunkelheit hüllte uns ein wie ein Mantel, verbarg uns. Wir hatten über zwölf Stunden Zeit verloren, ich hoffte dass es noch nicht zu spät war, um meinen Sohn zu retten.

»Komm jetzt«, murmelte Justin und nahm meine Hand

Wir lächelten uns an, in dieser ungewöhnlich schwarzen Nacht. Ich schloss kurz meine Augen und atmete tief den Geruch ein. Die satte, köstliche Sommernacht, der Wald, und Justin. Meine Augen strahlten bestimmt, als ich sie wieder öffnete.

»Los jetzt«, sagte ich und wir rannten los.

Es war herrlich, wir liefen durch die Nacht, waren gleich schnell und lachten uns immer wieder zu.

Rasch ließen wir den Wald hinter uns, vorbei an meinem einsam geparkten Mustang und rannten auf mein altes Haus zu.

Kurz davor hielt ich an, Justin neben mir auch. Es war merkwürdig, das Haus, die Umgebung, alles war mir so vertraut und doch auf eine eigenartige Weise völlig fremd. Ich versuchte den Geruch von Dennis aufzunehmen, er war nur in kleinen Spuren vorhanden. Geruchsfetzen, die immer wieder an meiner Nase vorbei wehten.

Ich befürchtete, dass Dennis nicht zu Hause war. Aber wo konnte er nur sein, dieser kleine Verbrecher, wo trieb er sich herum? Ich sah Justin an und zuckte mit den Schultern.

»Ich glaube, er ist nicht mehr hier«, flüsterte ich ihm zu. Er legte seine glatte Stirn in Falten.

»Was meinst du, wo er jetzt ist? Wo können wir nach ihm suchen?« In seiner Stimme schwang Ratlosigkeit mit.

Ich überlegte blitzschnell, in meinem Kopf tauchten Bilder auf, von vor zwei Jahren, als ich mir Dennis zur Brust nahm. Eine Kneipe, ein Hinterhof, ein Gesicht, sein Freund, eine Straße, eine Adresse in der Stadt.

»Ich weiß, wo ein Freund von ihm wohnt, vielleicht sind die beiden ja immer noch befreundet und er ist jetzt bei ihm?« Zweifelnd sah ich Justin an, ich wusste im Moment nicht weiter.

»Ja, okay wir werden sehen.« Abrupt drehte er sich um und rannte schon zurück zu meinem Wagen. Ich war erstaunt, gewöhnte mich erst langsam an den veränderten Justin.

Kurz vor dem Mustang hatte ich ihn eingeholt.

Zweifel stieg in mir auf, was hatte ich eigentlich genau vor, wenn wir Dennis finden würden? Ihn entführen? Ihn verstecken? Vor wem denn genau? Wen wird Frank zu Dennis’, und wahrscheinlich unserer, Hinrichtung schicken? Oder kam er wohlmöglich selber? Fragte ich mich grimmig.

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