Natascha

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»Nein, ich habe da andere Methoden. Gänzlich andere.«

Schlagartig veränderten sich seine Augen, sie wurden blutrot, es war so, als wenn der Ring sich erweiterte, und das Feuer in der Mitte erstickte oder verdrängt hatte. Ich sah noch, wie seine Zähne lang und spitz wurden, dann lag ich schon mitsamt meinem Sessel auf dem Boden.

Ich war erschrocken, er war so schnell, dass selbst meine Augen ihn nicht registrieren konnten. Er kniete über mir, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Seine Finger waren in meine verschränkt, er nagelte mich auf dem Boden fest. Ich konnte mich überhaupt nicht mehr rühren. Erschrocken blickte ich ihn an, diese roten Augen, es sah aus, wie Lava die träge dahin floss, zähflüssig im Kreis rotierte.

Seine Nase strich ganz knapp über mein Gesicht, er atmete meinen Geruch ein. Es war mir unangenehm, ich hatte das Gefühl, als läge ich nackt vor ihm, als würde er mich ab riechen.

Es war so anders, wenn Josh mich fast in sich einsaugte, das war mir noch nie peinlich, aber bei ihm hatte ich kein gutes Gefühl dabei.

»Hm, du duftest ja wirklich gut, so anders.« Er strich mit der Nase über mein Ohr, weiter bis zum Hals.

Ich hatte Angst, wirkliche Angst. So hatte ich mich noch nie gefühlt, ich stellte mir vor, dass sich meine Beute auch so fühlen musste. Mit dem Wissen in sich, dass es gleich vorbei war, dass man gleich sterben musste.

Er strich mit seinen Lippen über meinen Hals, sie waren eiskalt, kälter, als ich es je für möglichhielt.

Er atmete aus und sein eisiger Atem traf meine feinen Nackenhaare, ein Schaudern durchfloss mich, wenn ich könnte, würde ich eine Gänsehaut bekommen.

Seine Stimme war ganz ruhig »Mal sehen, ob du auch so gut schmeckst.«

Dann spürte ich seine Zähne, wie sie sich in meinen Hals schlugen.

Ich schnappte nach Luft, es tat weh, aber nicht sehr. Es war eher das Gefühl, als er mein Blut in sich einsaugte, das mich fast wahnsinnig machte. Ich hörte ihn schlucken und spürte, wie mein Blut aus meinem Körper floss, hinaus gesaugt wurde, mit einer ungeheuren Kraft.

Seine Finger waren noch mit meinen verschränkt, seine Hände fassten ein bisschen fester zu. Ich schloss die Augen und wartete auf den Tod. Erwartete, dass ich meinen Frieden finden würde, erhoffte, dass ich gleich erlöst war.

Nach unendlichen Minuten lösten sich seine Lippen zögernd von meinem Hals, er fuhr mit der Zunge kurz über die Einstichstellen und ich spürte deutlich, wie sie sich augenblicklich verschlossen. Ich lag noch halb auf dem Sessel, halb auf dem Boden und hatte meine Augen geschlossen.

Er wollte sich erheben, aber unsere Finger waren noch ineinander verkrallt und ich öffnete meine nicht. Er versuchte es einmal und noch mal, aber er kam nicht von mir los. Ich öffnete meine Augen und blickte ihn an. Seine Augen sahen wieder so aus wie eben, ganz normal, mit dem feinen roten Rand, damit die braune Lava nicht heraus floss.

»Was…?«, begann ich, aber meine Stimme war nur ein Krächzen, ich schwieg.

»Ich habe dir gesagt, dass ich andere Methoden habe.« Sein Blick war … ja unergründlich, aber nicht so schmerzhaft wie bei dem letzten Vampir mit solchen Augen.

Es tat nicht so weh, wie bei Justin. Hier konnte man nicht in den grausamen Tiefen versinken, er würde es nicht zulassen, er würde es gar nicht wollen.

Ich öffnete meine Finger, ließ ihn frei. Ansgar stand auf und zog mich am Arm mit hoch. Dann stellte er den Sessel wieder aufrecht hin. Ich stand immer noch wie betäubt neben ihm, in meinem Kopf drehte sich alles, ich sah Bilder, jede Menge Bilder. Aber auf keinem dieser Bilder war Justin zu sehen, oder Dennis, es war, als hätte es die Beiden nie gegeben.

Ansgar nahm mich am Arm, zog mich zum Sessel und drückte mich an den Schultern herunter, damit ich mich setzte.

Ich bekam kaum etwas davon mit, so sehr war ich mit meinen Gedanken beschäftigt, wo waren die verflixten Bilder? Es war so, als wenn ich ein altes Fotoalbum durchblätterte und es fehlten plötzlich auf einer Seite ein paar Bilder. Ich wusste, dass sie letztens noch da waren, konnte mich aber nicht mehr genau an sie erinnern. Es war verwirrend.

Ansgar hielt mir ein großes Glas, voll mit warmem Blut vor das Gesicht.

»Trink das, es wird dich wieder auf die Beine bringen.« Ich nahm ihm das Glas ab und trank es in drei langen Zügen leer. Sofort breitete sich eine prickelnde Wärme in mir aus, es ging mir tatsächlich besser. Ich holte tief Luft.

»Kannst du mir jetzt mal erklären, was das sollte?«, fragte ich aufgebracht. »Du kannst doch nicht einfach so über mich herfallen und mich aussaugen. Verdammt, ein Vampir saugt keinen anderen aus, wir … wir schmecken nicht.«

Ich kam mir total dämlich vor, als hätte ich zu einem Monster gesagt: Friss mich bloß nicht, ich schmecke scheußlich.

Ansgar grinste mich an.

»Normalerweise hast du natürlich Recht, aber für mich schmecken auch Vampire nicht schlecht. Ich bin anders, als all die Anderen, die du kennst.« Als hätte ich das noch nicht selber bemerkt.

»Außerdem«, fuhr er fort, »außerdem habe ich dich nicht ausgesaugt, wie du das nennst, ich habe mir Informationen und Erinnerungen von dir geholt. Sie werden dir eine Zeit lang fehlen, aber du wirst dich wieder an sie erinnern, nur keine Sorge.«

Also hatte er meine Bilder geklaut. Mir meine Erinnerungen praktisch ausgesaugt, sie würden aber wiederkommen, hatte er gesagt.

»Ich weiß nicht ob ich das will«, hauchte ich.

»Ob du was willst?«, er schien leicht irritiert.

»Ob ich will, dass die Erinnerungen wiederkommen.«

Ich blickte ihn an. »Ich würde mich ohne sie wohler fühlen.« Ansgar lachte über das ganze Gesicht, er sah hübsch aus, richtig nett.

Fast könnte ich vergessen, dass er vor einer Minute noch mit Feuer und Lava in den Augen und riesigen Zähnen über mich herfiel um mir mein Blut zu nehmen.

Aber nur fast.

»Dann sag mir Bescheid, ich kann sie dir jederzeit gerne wieder nehmen.« Schon spürte ich erneut seine Lippen an meinem Hals. Ich erstarrte.

Er war in einer, für mich, vollkommen unsichtbaren, Bewegung aufgesprungen, zu mir gekommen und streichelte in der gleichen Sekunde mit seinen Lippen über meinen Hals.

Wie machte er das nur?

»Du schmeckst noch köstlicher, als du riechst, wie ist das nur möglich?«, hauchte er an meinem Hals. Wieder löste sein eisiger Atem in mir ein Schaudern aus. Aber, es war anders als eben, ich war nicht vor Angst und Schreck gelähmt, ich wusste jetzt, dass er mich nicht töten wollte.

Der Gedanke, dass es jemanden gab, der mir meine schmerzlichen Erinnerungen nehmen konnte, war tröstlich für mich. Vielleicht gab es doch noch ein Leben danach, ein Dasein ohne Schmerzen, ohne Erinnerungen.

Der Gedanke daran ließ mich lächeln. Ich schloss die Augen und genoss seine kalten Lippen auf meiner Haut. Er stockte und blickte mich mit zusammengekniffenen Augen an.

»Du hast keine Angst.« Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage.

»Warum?«, er schien wirklich verblüfft zu sein.

Ich blickte ihn an. »Du kannst mir meine Erinnerungen nehmen, du kannst nur ein Traum sein, ein Wunschtraum, Also brauche ich keine Angst zu haben.« Ich schloss meine Augen wieder und drehte den Kopf zur Seite. Mein Hals lag vor ihm, nackt und ungeschützt.

»Mach weiter, das war schön«, murmelte ich.

Zuerst passierte gar nichts, ich wollte gerade meine Augen öffnen, um zu sehen, ob er überhaupt noch da war, da spürte ich ihn wieder. Seine Nase strich über meine Wange, über mein Ohr, er atmete leicht aus. Das kitzelte und ein weiterer Schauer lief mir den Rücken runter. Ein sanftes Stöhnen kam aus meinem Mund, ich fühlte die Lust in mir hochsteigen, mein ganzer Körper kribbelte, mein Blut schoss durch meine Adern. Seine eisigen Lippen berührten meinen Hals, strichen hoch und wieder runter, küssten meine kalte Haut, mein Blut rauschte noch schneller.

Seine Hand strich über meine Schulter, über meine andere Halsseite, den Nacken hoch und vergrub sich in meinen Haaren. Er gab mit der Hand ein bisschen Druck, als wenn er mich hin zu seinen Zähnen drücken wollte, damit ich nicht mehr weg konnte. Als wenn ich flüchten wollte, ich erwartete doch seine Zähne, ich wollte, dass er mich biss, wollte, dass er mir meine Erinnerungen nahm.

Ich spürte plötzlich, wie seine Zähne wuchsen, ich kniff meine Augen fester zusammen und erwartete den Schmerz. Er stöhnte an meinem Hals, atmete schneller, aber er biss nicht zu.

Dann lehnte er seine Stirn gegen meine Schläfe, ich hörte und spürte seine Erregung, seinen Atem und sein Blut, das in ihm kochte und viel zu schnell durch seinen toten Körper rauschte.

»Ich werde dir nicht deine … Erinnerungen nehmen«, flüsterte er in mein Ohr, seine Stimme klang zornig.

Abrupt stand er auf und ging auf meine Küche zu. Wortlos nahm er sich noch eine Konserve aus dem Kühlschrank, goss es in ein Glas und erwärmte es in der Mikrowelle.

Ich beobachtete seine Bewegungen und sah in sein Gesicht, es war verkniffen und grimmig, die Brauen düster über den glühenden Lava-Augen zusammengezogen. Als das Blut erwärmt war, trank er gierig ein paar Schlucke, stellte das Glas weg und stützte sich mit beiden Händen an der Arbeitsplatte ab. Er murmelte irgendetwas in sich hinein, ich konnte ihn nicht verstehen. Wie benommen saß ich weiterhin in meinem Sessel und beobachtete ihn. Ich wollte ihn fragen, was los ist, wollte zu ihm gehen, aber ich war wie gelähmt, ich konnte noch nicht einmal meinen Finger heben.

Trotzdem zuckte ich vor Schreck zusammen, als er die Hände zu Fäusten ballte und auf die Arbeitsplatte krachen ließ, sodass die ganze Küche bebte und die Gläser in den Schränken klirrten. Er blickte mich an, seine Augen glühten kurz, dann war der begrenzende Rand wieder da, der die Lava zurückhielt.

 

»Weiß irgendjemand, wo die Beiden zu finden sind?«

Ich konnte ihn nur verständnislos anschauen, für ein paar Sekunden wusste ich wirklich nicht, von wem die Rede war. Dann dämmerte es mir, Justin und Dennis, ich zwinkerte einmal und da war sie wieder, meine Erinnerung, alle Bilder waren zurück, ich schloss gequält meine Augen.

Verdammter Vampir, dachte ich, du hättest mir ruhig ein paar Stunden ohne die verdammten Bilder gönnen können.

»Josh könnte vielleicht etwas wissen, er weiß eigentlich immer, was sich so bei uns tut.« Ich öffnete die Augen wieder und sah seine Hand vor mir. Er war so lautlos, so schnell, erneut fragte ich mich, wie so etwas möglich war.

Ich ergriff seine Hand und er zog mich aus dem Sessel hoch.

»Josh? Den aus dem Buchladen?«

Ich nickte kurz.

»Den kenne ich, der ist in Ordnung. Komm, wir gehen zu ihm.« Er zog mich einfach mit, ich hatte keine Chance.

Er löschte im Vorbeigehen das Licht im Wohnzimmer und zog mich mit zur Eingangstür. Fast schubste er mich in das dunkle Treppenhaus und zog die Tür hinter sich zu. Da fiel mir etwas ein.

»Ich habe meinen Helm vergessen, den brauche ich.« Ansgar hielt mich zurück.

»Nein, du fährst mit mir. Mein Wagen steht unten.«

Er steuerte auf den Aufzug zu, und drückte den Knopf. Aufzug fahren, dachte ich, das bin ich auch schon seit Jahren nicht mehr, nur gut, dass er nach nichts riecht, so ist es besser auszuhalten.

Als sich die Türen öffneten, zog er mich grob mit in die kleine Kabine.

»Du kannst mich loslassen, ich komme auch freiwillig mit.« Ich versuchte mich von seiner stählernen Hand zu befreien.

»Nicht«, sagte er leise, »bitte lass es so, ich muss mich irgendwo festhalten.«

»Warum? Kippst du sonst um?«

Ich verstand ganz und gar nicht was er meinte.

»Nein!«, schon klebte ich wieder an der Wand und fühlte seinen Körper an meinen gepresst.

»Weil ich sonst über dich herfalle«, flüsterte er, gab mich aber sofort wieder frei.

»Also lass es bitte so.«

»In Ordnung«, antwortete ich langsam.

Er schloss seine Augen. »Es ist gleich wieder vorbei, nur noch einen Moment.«

»Tja, Aufzüge sind der Teufel für unsere Art. Ich weiß schon, warum ich immer die Treppe gehe.« Ich lächelte ein bisschen, er blickte mich fragend an, dann grinste auch er.

»Das nächste Mal weiß ich Bescheid.«

Wir kamen endlich in der Tiefgarage an und wie ich es vermutet hatte, steuerte er auf den schicken Bentley zu. Kurz vor dem Auto ließ er meinen Arm los.

»Er ist offen«, sagte er knapp, ich stieg ein.

Gelbes Leder erwartete mich, herrlich weich waren die Sitze, ich versank nahezu in ihnen. Der ganze Wagen strömte einen köstlichen Geruch aus, ich fühlte mich schlagartig geborgen und wohl. Genüsslich schloss ich die Augen. Meine Nasenflügel bebten leicht, schon spürte ich Ansgars Lippen abermals an meinem Hals.

»Du riechst besser, viel besser«, hauchte er.

Ich blickte ihn erstaunt an, aber er ließ per Knopfdruck den Motor anspringen und ich fragte mich schon, ob ich das alles nur geträumt hatte.

Ansgar drehte sich in seinem Sitz halb um, damit er rückwärts ausparken konnte. Dabei warf er mir einen gierigen, hungrigen Blick zu. Er ließ seine Augenbrauen zweimal in die Höhe schnellen, ich senkte meine Augen, musste aber trotzdem grinsen.

Sanft wie ein Kätzchen schnurrte der Bentley, als Ansgar ihn aus der Garage fuhr, in Richtung Innenstadt, zu Joshs Hexenladen.

Genüsslich seufzte ich auf, schmiegte mich an die Lederpolster und zog den mich umgebenden Geruch ein. Wenn ich noch besser roch, dann wunderte es mich, dass Ansgar mich nicht auffraß. Das war ja kaum auszuhalten.

Er starrte auf die immer noch dunklen Straßen, dann warf er mir einen schnellen Seitenblick zu.

»Was ist?«, fragte er neugierig.

Ich schmiegte mich wiederum in die Polster, saugte den Geruch ein und schloss die Augen.

»Danke, Ansgar. Für alles … bisher«, sagte ich leise.

Ich meinte es auch genauso, ich war ihm dankbar für ein paar Minuten ohne meine schmerzhaften Erinnerungen.

Ich war mir nicht sicher, aber hatte er gerade meine Hand berührt, sie ganz leicht wie eine Feder gestreichelt? Ich wollte meine Augen nicht öffnen, so lächelte ich nur.

Leise summte der Wagen vor sich hin.

Viel zu schnell kamen wir bei Joshs Laden an, ich konnte stundenlang in den Polstern verbringen und diesen köstlichen Duft einatmen.

Als das Schnurren des Wagens plötzlich aufhörte, blickte ich auf und seufzte. Nur ungern stieg ich aus, den Türgriff schon in der Hand, sah ich wie Ansgar mich anlächelte. Ich fühlte mich ertappt und schob meine Augenbrauen zusammen.

»Was ist?«, fragte ich ihn etwas gereizt.

»Vielleicht kannst du mich jetzt besser verstehen«, er sah mich fragend an.

Ich dachte darüber nach. Wenn er um so vieles besser als dieser Wagen riechen würde, und ich natürlich auch noch zehnmal stärker wäre als er, also ich hätte ihn aufgefressen. Somit konnte ich es nur seiner Beherrschung verdanken, dass ich überhaupt noch existierte.

Ich grinste ihn an und spielte mit dem Gedanken, ihn ein bisschen zu reizen. Aber kaum war der Gedanke in meinem Kopf geformt, da war Ansgar auch schon weg. Ich sah noch seine Tür zufallen, im selben Augenblick öffnete sich meine Seite. Wie konnte man nur so schnell sein.

Er stand ungeduldig auf dem Gehweg und hielt mir die Tür auf. Ich stieg aus und lächelte immer noch frech. Da packte er grob meinen Arm und hielt mich fest.

»Fordere mich niemals heraus. Fordere niemals meine Beherrschung heraus. Es könnte dein letzter Gedanke gewesen sein.«

Seine Stimme war schneidend, ich hatte ihn verstanden und nickte kurz.

Er ließ meinen Arm wieder los.

»Gut. Komm, wir gehen rein, er weiß, dass wir kommen.«

Ich überlegte, und kam zu der Erkenntnis, dass mein Begleiter wohl meine Gedanken lesen konnte. Das war ja fürchterlich, von nun an musste ich besser auf mich aufpassen.

Das helle, zarte Glöckchen ertönte und wir tauchten ein, in eine andere Welt.

Josh stand, wie immer, hinter seinem Tresen und grinste uns an. Ich war nach wie vor befangen, von meiner neuen Erkenntnis, grinste aber tapfer zurück.

Josh kam hinter seinem Tresen hervor und ich wollte ihm gerade Ansgar vorstellen, da kam er mir zuvor.

»Ansgar, wie schön, Euch hier zu sehen.« Josh ergriff seine hingestreckte Hand und umfasste mit der anderen seinen Unterarm. Ansgar machte es ihm gleich.

Ich war erstaunt, noch mehr, als ich bemerkte, wie Josh seine Augen niederschlug. Mein alter Freund zeigte Ehrfurcht vor dem Anzugträger, am liebsten mochte ich laut auflachen, ich konnte mich gerade noch zurückhalten.

Ansgar blickte sich in dem Hexenladen um.

»Ihr habt eine hübsche Sammlung zusammengetragen«, er lächelte leicht. Josh quittierte das Kompliment mit einem leichten Kopfnicken. Es fehlte nur noch, das Josh jetzt einen Knicks machte. Ich musste mich abwenden, um nicht lauthals loszulachen.

Plötzlich fiel mir ein, dass ich eben noch die Erkenntnis hatte, dass mein Begleiter vielleicht meine Gedanken lesen konnte. Schnell vertrieb ich die Gefühle aus meinem Kopf und sah Ansgar prüfend an.

Der hatte gerade seinen Kopf weit in den Nacken gelegt und betrachtete einen Traumfänger, der über ihm hing.

Er warf mir einen Seitenblick zu, zwinkerte mit einem Auge und lächelte mich wissend an.

Ich hatte genug und drehte mich um. So ein Mistkerl, dachte ich, ja, das kannst du ruhig hören, rief ich in Gedanken, du bist ein Mistkerl.

Aber nicht doch, junge Dame, säuselte eine Stimme in meinem Kopf, wer wird denn solche Ausdrücke benutzen.

Ich erstarrte in der Bewegung, war das wirklich in meinem Kopf, oder hatte da einer laut mit mir gesprochen?

Natürlich bin ich in deinem Kopf, du Dummerchen. Ich drehte mich schnell um und starrte Ansgar an, es war seine Stimme, dessen war ich mir ganz sicher.

Er aber unterhielt sich leise mit Josh und beachtete mich gar nicht. Aber die Stimme war immer noch da.

Ich kann weit mehr, als du für möglich hältst, ich kann nicht nur deine Gedanken lesen, ich kann mich auch in deinen Kopf einklinken und mit dir reden. Immerhin habe ich dein Blut getrunken, solange es in meinem Körper kreist, kenne ich alle deine Gedanken und Gefühle. Auch kann ich mit dir reden und brauche dich noch nicht einmal dabei anzuschauen. So wie jetzt. Mein hübsches Püppchen. Es folgte ein leises Lachen. Ich war entsetzt, dann versuchte ich schnell an nichts zu denken, an gar nichts.

Na, sagte ich in Gedanken, wie gefällt dir das? Dieses nette Nichts. Meine Stimme in Gedanken wurde flehend. Bleib bitte aus meinem Kopf, ich bin es nicht gewohnt, meine Gefühle mit jemanden zu teilen, ich möchte, dass sie weiterhin mir gehören, mir alleine. Hörst du? …Hallo?

Hm, du riechst so gut. Würdest du es mir sehr übel nehmen, wenn ich jetzt und hier, vor allen Augen über dich herfalle?

Ja, erwiderte ich brüsk in Gedanken, du sollst aus meinem Kopf verschwinden. Raus da!

Keine Chance, Natascha. Aber ich könnte dir deine Erinnerungen nehmen, du wärst für eine kurze Zeit wieder frei. Ich bin auch sehr vorsichtig, versuche dir nicht weh zu tun, jedenfalls nicht so sehr. Ich würde erst mit meinen Lippen deinen Hals hoch streichen, dich dann aufs Ohr küssen, mein kalter Atem würde dich kitzeln. Langsam streicheln meine Lippen deinen Hals herunter …

»Hör sofort auf damit, Verdammt noch mal.« Es hallte laut in Joshs Laden, als ich die Worte herausschrie. Ansgar und Josh blickten mich erstaunt an, aber die Stimme in meinem Kopf war ruhig, zum Glück.

»Natascha, was ist los?« Josh warf mir einen Blick zu, als zweifelte er an meinem Geisteszustand. Ansgar, neben ihm hob nur eine Augenbraue. Am liebsten würde ich ihn schlagen, aber ich würde mir nur weh tun, man schlägt nicht auf Steine ein, das bringt nichts.

Tz, tz, tz, machte die Stimme wieder.

Du kannst mich mal, dachte ich, drehte mich um und ging zu Joshs Konservenvorrat.

Gerne! Hier, oder lieber später wieder bei dir? Die Stimme, Ansgars Stimme, klang verführerisch und lockend. Aber ich war so wütend, dass ich widerstand.

Gar nicht, rief ich in Gedanken, Mistkerl, setzte ich hinzu. Ich schnappte mir eine Dose Konservenblut und ging wutschnaubend nach draußen in den Hinterhof.

Hier standen noch die Stühle um den Tisch herum. Ich setzte mich und riss die Dose auf.

Nicht mal warm gemacht hatte ich mir das Blut, ich wollte nur raus, nur weg von Ansgar mit seiner Stimme in meinem Kopf und Josh, der scheinbar an meiner geistigen Verfassung zweifelte.

Genervt schloss ich meine Augen und atmete tief durch. Dann setzte ich die Dose an und trank sie in langen Schlucken leer.

Brr, kaltes Blut war einfach entsetzlich. Da konnte man sich auch in einem Leichenschauhaus über die Toten hermachen. Trotzdem breitete sich Wärme in mir aus, wenn auch nicht so tröstlich wie sonst.

Ich zerdrückte mit der Hand die Dose und legte sie auf den Tisch.

Welche Schandtaten habe ich nur in diesem und im letzten Leben begannen, überlegte ich. Erst verliebe ich mich in ein Monster, das mich anschließend lieber tot als lebendig sehen würde, dann kommt dieser Anzugträger aus irgendeinem der vorherigen Jahrhunderte daher, beißt mich einfach ungefragt und geht dann nicht mehr aus meinem Kopf raus. Es ist zum aus der Haut fahren.

Halb erwartete ich, dass die Stimme in meinem Kopf mir entweder recht gab, oder mir widersprach, aber es blieb still. Wie angenehm. Vielleicht ist mein Blut ja schon raus aus seinem Körper, dachte ich fröhlich.

Aber keineswegs, mein Püppchen, ich muss dich nur sehen können und die Entfernung darf nicht so groß sein, das ist alles.

Ich zuckte kurz zusammen und sah zur Tür, die in Joshs Laden führte. Durch den Glasausschnitt konnte ich Ansgar sehen, der mich anlächelte.

Josh machte gerade die Tür auf und sagte.

»Kommt, wir setzen uns, es ist noch eine schöne Nacht. Wollt ihr etwas trinken?«

 

»Nein, danke für das Angebot, aber ich muss noch kurz weg.« Zu mir gewandt sagte er: »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, ich komme dich auch in einer Stunde wieder abholen.« Dabei sah Ansgar mich fragend an.

»Nein, geh nur, ich komme schon zurecht.« Mistkerl, fügte ich in Gedanken hinzu.

Ego sum, qui sum, erklang seine Stimme erneut in meinem Kopf.

Häh? fragte ich in Gedanken zurück.

Du wirst schon noch dahinter kommen. Ich beeil mich.

Laut sagte er: »Danke, auf bald. Josh, dir danke ich auch.« Er verließ uns mit einem Kopfnicken.

Ego sum, qui sum, überlegte ich, was soll das denn heißen? Mein Latein war furchtbar eingerostet und ich fing an, die Wörter zu zerlegen, aber ich kam nicht drauf. Josh unterbrach mal wieder meine Gedankengänge.

»Also, wenn ich vorher gewusst hätte, dass sie Ansgar schicken, dann hätte ich mir keine Sorgen um dich gemacht, meine Süße.«

»Wieso?«, fragte ich misstrauisch und zog meine Augenbrauen zusammen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie noch einen Schlimmeren schicken könnten, oder dass es den überhaupt gab.

»Na, weil es Ansgar ist«, Josh blickte mich vorwurfsvoll an.

»Ansgar eben, das ist der, der sich um die Seele sorgt. Ich dachte, du hättest schon von ihm gehört.«

Ich überlegte: also von wegen, Ansgar heißt Speer Gottes, ich wusste doch, dass das nicht stimmt. In Wahrheit heißt es der sich um die Seele sorgt. So ein verlogener Mistkerl.

»Nein, Josh, ich habe noch nichts von ihm gehört. Du weißt doch, dass Frank mir nicht viel erzählt hat, vor allem nicht über den hohen Rat.« Da kam mir eine Idee.

»Hör mal, Josh, wenn du so gut Latein kannst, was heißt denn dann: Ego sum, qui sum?«, gespannt blickte ich ihn an. Josh runzelte die Stirn und dachte nach.

»Ich glaube es heißt so viel wie: ich bin der, der ich bin. Oder so ähnlich, nagele mich bitte nicht darauf fest. Wo hast du das denn gehört?« In meinem Kopf, dachte ich flüchtig, laut sagte ich: »Ist nicht so wichtig, ich wollte es nur gerne wissen. Was macht denn jetzt dieser Ansgar im hohen Rat genau? Und warum bist du so froh, dass sie ihn geschickt haben.«

»Kannst du ihn etwa nicht leiden?«

Ich dachte kurz an seine Lava-Augen und die blitzenden Zähne. »Doch, er ist schon okay.« Solange er aus meinem Schädel bleibt, setzte ich in Gedanken hinzu.

»Ansgar ist, wie der Name schon sagt, der, der sich um die Seele sorgt. Das heißt, er steht immer mehr auf der Seite der Angeklagten. Mit ihm hast du nichts zu befürchten, das kann nur gut ausgehen. Er wird dem hohen Rat deine Fassung der Geschichte mitteilen, sie werden seinen Worten Glauben schenken und dich in Zukunft wohl in Ruhe lassen.«

Josh beugte sich über den Tisch und legte seine Hand auf meine.

»Hey, meine Süße, das ist doch klasse, warum machst du nur so ein Gesicht?«

»Was ist mit meinem Blut? Wie will er dem Rat mitteilen, wie mein Blut beschaffen ist, ob es nun verseucht ist oder nicht? Ob ich eine Trägerin des bösen Blutes bin. Das wollten die doch wissen. Was meinst du, wie er zu dem Wissen kommt.« Ich war richtiggehend wütend. Nur meine Geschichte erzählen, sicher Josh, du weißt ja auch nicht, was ich die letzte Stunde mitgemacht habe. Du weißt ja auch nichts von meiner Angst.

Josh blickte an mir vorbei und bemerkte meine unterdrückte Wut nicht.

»Tja, das weiß ich auch nicht so genau. Die Methoden, die dem Rat zur Verfügung stehen, kennen meistens nur die Angeklagten selbst und die schweigen dazu.«

Ich kann mir auch denken warum, setzte ich in Gedanken hinzu, lehnte mich in meinem Stuhl weit zurück und blickte in den Sternenhimmel.

»Ach Josh, was habe ich nur verbrochen. Manchmal wünsche ich mir, wieder ein Mensch zu sein, dann hätte ich nicht solche Probleme am Hals.«

Am Hals, welche Ironie, dachte ich grimmig.

»Dann gäbe es andere Probleme. Natascha, das ist keine Lösung. Du musst aus dem, das dir zur Verfügung steht, immer das Beste machen.«

»Und was habe ich, das mir zur Verfügung steht, damit ich das Beste daraus machen kann?«

»Nun ja, in erster Linie hast du mal mich.«

Ich legte meinen Kopf wieder in den Nacken und betrachtete die Sterne.

»Ach, Josh, das hatten wir erst. Du weißt, dass ich mich auf keine Beziehung mehr einlassen werde. Ich scheue das Risiko und ich werde mich nicht mehr verlieben. Basta!«, ich sah Josh herausfordernd an.

»So meinte ich das ja auch gar nicht. Ich meinte als Freund, als Verbündeten. Jeanie steht auch hinter dir. Und das Beste kommt doch noch, du hast Ansgar. Da kann gar nichts mehr schief gehen.«

Ansgar, dachte ich wütend, derselbe Ansgar, der mich vor einer Stunde beinahe aufgefressen hat. Obwohl … Ein teuflischer Plan schoss durch mein Gehirn. Vielleicht konnte er mir doch helfen. Möglicherweise, wenn ich mutig genug war und wenn ich meine Gedanken im Zaum hielt. Und wenn er …seine Beherrschung bereit war, zu verlieren.

Dann könnte es klappen. Dann könnte ich für immer und ewig meine Gedanken verlieren. Was hatte ich schon Großartiges, an das es sich zu erinnern lohnte. Fast nur schmerzende, schlimme Gedanken. Ich wäre wie neugeboren, ich könnte neu anfangen. Ich musste mich nur zuerst vergewissern.

»Josh, hast du schon mal davon gehört, dass es Vampire gibt, die anderen Vampiren ein bisschen Blut aussaugen, ihnen Erinnerungen nehmen und dann ihre Gedanken lesen können?«, ich sah ihn gespannt an.

»Ja, die gibt’s wohl wirklich, ich habe davon gehört, aber noch keinen persönlich getroffen. Ich weiß auch nicht, ob ich das zulassen würde.« Er runzelte die Stirn.

»Wie ist denn das, wenn der eine Vampir den anderen komplett aussaugt, ich meine … sterben kann der ja wohl nicht daran, oder?«

Jetzt war mir ein bisschen mulmig zumute, ahnte Josh etwas?

»Nein, sterben kann er daran wohl nicht, aber … ich kann mir nicht vorstellen, dass es gut ist. Der Blutverlust würde den Vampir natürlich enorm schwächen, auch seine Erinnerungen, die wären mit dem Blut ja auch weg. Er wäre ein Nichts, wahrscheinlich zu blöd um sich neues Blut zu besorgen, dann würde er allerdings irgendwann sterben.«

Josh lachte leise vor sich hin.

»Aber das würde ja auch keiner tun. Weder einen bis zum Letzten aussaugen, noch das zulassen.« Er blickte mich neugierig an.

»Warum willst du das wissen? Wie kommst du drauf?«

Wie immer, wollte Josh alles ganz genau wissen. Das war der Preis für die Antwort.

»Ich …weiß nicht. Ich hab’s wohl irgendwo…«

In dem Moment ging die Tür auf und Ansgar stand wieder in Joshs kleinen Hinterhof. Er hatte mich gerettet, vor einer Antwort gerettet. Ich versuchte schnell an nichts zu denken, mein Kopf musste leer sein, damit meine Gedanken mich nicht verrieten.

»Ich hoffe, ich habe euch nicht zu lange warten lassen. Ich bin mir meiner Unhöflichkeit durchaus bewusst, aber es war sehr wichtig.«

»Schon gut, möchtet Ihr jetzt etwas zu trinken und Euch setzen?«, damit zeigte Josh auf den letzten freien Stuhl.

»Nochmals muss ich leider Euer großzügiges Angebot ablehnen. Aber ich möchte Natascha jetzt nach Hause bringen und mich dann ein wenig ausruhen.«

»Das war das Stichwort«, ich sah Josh mit hochgezogenen Brauen an und erhob mich aus dem Stuhl. Gemeinsam gingen wir zurück in den Laden. Josh küsste mich auf beide Wangen, das hatte er schon lange nicht mehr gemacht, ich war ganz verwundert. Ansgar und er reichten sich auch zum Abschied die Hände, genauso, wie zur Begrüßung. Diesmal verspürte ich keinen Lachanfall mehr, ich versuchte krampfhaft an nichts zu denken.

Wir standen auf dem Gehsteig und Ansgar hielt mir die Wagentür auf. »Danke«, murmelte ich und stieg ein. Wiederum umfing mich dieser köstliche Geruch, dieser satte, saubere Duft. Ich atmete tief ein.

Ansgar saß neben mir und startete den Motor, leise schnurrte das Kätzchen, dann fuhr er in meine Richtung, an den Stadtrand. Es wurde langsam hell, die Sonne ging gleich auf. Ich wusste nicht, womit ich dieses Stille, dieses Schweigen zwischen uns, durchbrechen sollte, ob ich es überhaupt sollte.

»Wo warst du denn eben?«, fragte ich irgendwann in die Stille hinein.