Natascha

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Nicht so wichtig, nur irgendwo.« Er blickte weiter stur geradeaus, auf die immer heller werdende Straße.

Dann eben nicht, dachte ich, da schlug ich mir innerlich auch schon auf den Mund, er konnte doch meine Gedanken hören. Wie unvorsichtig ich war. Es kam keine gedachte Antwort von ihm. Vielleicht ging das ja auch nicht mehr, vielleicht war mein Blut ja weg.

»Kannst du jetzt nicht mehr meine Gedanken lesen?«

Er grinste mich an. »Wieso, hast du gerade an etwas Schönes gedacht?«

»Nein, ich …habe dir nur in Gedanken eine Antwort gegeben und habe eigentlich deine Stimme erwartet.«

Ich senkte den Blick, das war ja echt peinlich.

Schon bog er in meine Tiefgarage ein und hielt vor dem Aufzug an. Ich sah mich ein wenig erstaunt um.

»Kommst du nicht mit hoch? Ich dachte du wolltest dich ein wenig ausruhen, das kannst du auch oben bei mir machen.«

Ich versuchte verzweifelt meine Endtäuschung zu verbergen, schließlich hatte ich noch etwas vor.

»Ich dachte nicht, dass du das wolltest«, er sah mich mit seinen glühenden Augen an.

»Doch …doch, warum nicht. Immerhin hast du mir ein Angebot gemacht, das ich, nach reiflicher Überlegung, nicht abschlagen kann und auch nicht will.«

»Ganz wie du willst«, er fuhr seinen Bentley auf einen Besucherparkplatz und das schnurrende Kätzchen war stumm.

Nur das Ticken des Motors war zu hören, wir blieben sitzen. Ich war mir nicht sicher, ob ich Ansgar anschauen sollte, konnte er nun meine Gedanken lesen, oder nicht, er hatte mir noch keine Antwort darauf gegeben.

»Willst du nicht aussteigen?«, seine Stimme war leise und sanft.

»Ja«, kaum stand ich neben dem Bentley, war Ansgar auch schon neben mir.

»Darf ich bitten?«, damit hielt er mir seinen Arm hin. Ich musste lächeln, hakte mich aber bei ihm ein, so gingen wir langsam in Richtung Aufzüge.

Der Eingang zum Treppenhaus war zwar genau daneben, aber Ansgar steuerte unbeirrt auf die Aufzugtür zu.

Er stand davor und drückte den Knopf, grinsend sagte ich:

»Du willst dir das noch mal antun? Schon wieder Aufzug fahren?«

»Ich quäle mich eben sehr gerne«, ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er den Kopf hob, konnte ich das Feuer kurz auflodern sehen. Der rote Rand schien zu pulsieren, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er sich ausdehnen sollte, das Feuer verschlang, oder ob er die Lava weiterhin zurückhielt.

Ich runzelte die Stirn, quälen, dachte ich verächtlich, Qualen sind dazu da, dass man sie beendet, nicht erträgt. Laut sagte ich:

»Das musst du doch nicht, wir können die Treppe gehen, kein Problem.« Ich wollte ihn am Arm zum Treppenhaus ziehen, aber es half nichts, er rührte sich nicht von der Stelle. Ich gab genervt auf. Er blickte mich an und legte seinen Arm um meine Schultern.

»Es ist schon in Ordnung, ich stelle nur meine Willenskraft auf die Probe«, er küsste mich aufs Haar.

Da fiel mir der Lateinische Spruch von eben wieder ein.

»Ego sum, qui sum, ich weiß jetzt, was das bedeutet: Ich bin der, der ich bin. Stimmt das so in etwa?« Er war noch in meine Haare vergraben und nickte nur brummend.

Endlich ging die Aufzugtür auf, wir stiegen ein. Er drückte das Stockwerk, dann drehte er sich zu mir um und nahm mich in seine kalten, steinharten Arme.

Der Geruch nach Nichts war überwältigend. Ich war es nicht gewohnt, als Vampir lebte man mit seinem Geruchssinn, wie ein Tier war man davon abhängig, aber ein Nichts zu riechen, das war wirklich seltsam. Ich überlegte kurz, ob ich mein Vorhaben aufgeben sollte. Hier entstand vielleicht gerade eine Situation, an die ich mich später gerne zurück erinnern würde. An seine Brust gelehnt seufzte ich kurz auf. Nein, dachte ich, ich werde es als Preis betrachten, als Preis für meine Erinnerungslosigkeit, für meine Leere.

Er legte seine Finger unter mein Kinn und drückte meinen Kopf hoch, damit ich ihn ansah. Und was ich da sah, verschlug mir die Sprache. Die rote Lava war zurückgekehrt, sie floss träge im Kreis, immer wieder loderte ein kleines Feuer mitten in der Lava auf. Sein Blick war hungrig, gierig und … allwissend.

Ich starrte ihn mit offenem Mund an.

Seine Stimme schien von überall her zukommen, nur nicht aus seinem Mund,

»Ego sum, qui sum, ich bin der, der ich bin. Aber ich bin nicht derjenige, der dir dein Leben nehmen wird. Ich weiß, was du vorhast, aber es wird nicht so geschehen.«

Verdammt, dachte ich, er hat mich durchschaut. Dann spürte ich seine eisigen Lippen auf meinen, er küsste mich, ganz selbstverständlich.

Ich zog vor Überraschung kurz meinen Atem ein und mit ihm seinen Geruch, plötzlich hatte er einen Geruch, ein Wohlgeruch, so köstlich, so überwältigend, tausendmal besser, als er seinem Wagen anhaftete.

Mein Blut geriet augenblicklich in Wallung, schlimmer noch, es kochte, es rauschte, beinahe war es schon schmerzhaft. Ich keuchte und schloss meine Lippen um seinen Mund, damit nur kein Duftmolekül daneben strömte, damit ich alles in mich einsaugen konnte.

Es war das Köstlichste und Beste, das ich je gerochen hatte, es war eine Erinnerung wert.

Hinter mir gingen, mit einem quietschenden Geräusch, die Aufzugtüren auf, dann explodierte die Welt um mich herum, mit einem lauten Knall.

Ich kann fliegen, dachte ich noch, dann prallte ich gegen die Wand im Aufzug. Etwas Schweres, Hartes traf mich am Rücken und presst mir jede noch in mir befindliche Atemluft aus den Lungen. Um mich herum war eine irre Hitze, alles schien zu brennen, selbst die Luft. Ein hohles Knarren und Krachen war zu hören, dann ein Geräusch, wie ein Peitschenschlag, und ein schnelles Surren, ich spürte, wie es abwärts ging. Die Lichter im Aufzug waren scheinbar ausgegangen, ich konnte nichts erkennen, bis mir auffiel, dass ich die Augen zukniff. Ich riss sie auf und sah, dass die Aufzugtür weg war, es war nur noch ein gähnendes Loch an ihrer Stelle, an der in rasender Geschwindigkeit die Stockwerke vorbeizischten. Ein hohes metallisches Geräusch erklang. Als mir schlagartig klar wurde, dass der Aufzug abgestürzte, schloss ich schnell wieder meine Augen und erwartete den Aufschlag. Keine Lidschlaglänge später, prallte der Aufzug ungebremst in der Tiefgarage auf. Es krachte fürchterlich, alles bebte und wackelte um mich herum, Staub flog durch die Luft, hüllte mich ein. Beton und Metallteile flogen um mich herum und landen genau vor meine Nase. Das schwere, harte Ding lag immer noch auf mir drauf, es umhüllte mich nicht komplett, meine Beine lagen noch frei. Ich spürte den Schmerz, als etwas meinen Unterschenkel durchschlug. Ich schrie kurz auf und das harte Ding um mich herum, zog sich noch fester zusammen, erdrückte mich fast. Der Schmerz, in meinem Bein, schoss durch meinen Körper, strahlte bis in meinem Kopf und ließ vor meinen geschlossenen Augen kleine bunte Kreise explodieren. Plötzlich war es um mich herum still, nur noch ein leichtes, metallisches Kratzen war zu hören.

Ich biss die Zähne aufeinander, der Schmerz in meinem Bein war mörderisch.

Es wird alles wieder gut, ich verspreche es dir.

Ich riss meine Augen wieder auf. Ansgar, dachte ich in die Stille hinein. Die Schmerzen wurden augenblicklich zu einem entfernten Pochen. Ansgar, wo bist du? Ich versuchte die Umgebung zu erkennen, aber vor lauter Staub und Rauch war kaum etwas zu sehen.

Ich bin direkt vor dir. Ein leises Lachen ertönte. Ich blickte geradeaus und tatsächlich sah ich sein Gesicht, kaum fünf Zentimeter von meinem entfernt.

Er war das Ding, das mich umklammert hatte. Er hatte auch die Teile des Aufzugswracks von mir abgehalten. Der ganze zertrümmerte Fahrstuhlschacht dürfte jetzt wohl auf seinem Rücken lasten. Mit seinem Körper hatte er einen schützenden Wall aus Stein um mich herum und über mir gebaut, damit mir nicht so viel geschah.

»Danke schön«, flüsterte ich und dachte: Du hast mir mein Leben gerettet, Ansgar. Danke.

Verzeih mir, Natascha, ich hätte das alles voraus sehen müssen, ich hätte sie zumindest riechen müssen, seine Stimme in meinem Kopf klang traurig und ein bisschen verzweifelt. Es tut mir entsetzlich leid, ich war… abgelenkt, mit meinen Gedanken und Instinkten woanders, das wird nie wieder vorkommen. Ich verspreche es dir, nie wieder.

Ich blickte ihn an, sah in seine braunen Augen, wo die Lava träge und langsam im Kreis floss, dort, wo das Feuer in seinen Pupillen loderte.

»Schade«, murmelte ich. Langsam überzog ein Lächeln sein ganzes Gesicht. Das Feuer war kurz verschwunden, dann loderte es abermals auf.

»Wir müssen jetzt erst mal hier raus. Ich mache dir Platz und du versuchst unter dem Schutt hervor zu kriechen. Der Ausgang ist hinter uns, die Türen sind weg, also kommst du wohl irgendwie raus.« Er stemmte sich hoch und Schutt prasselte um mich herum zu Boden. Metallisches Knirschen und Quietschen war zu hören, dann war mein Körper wieder frei. Ich versuchte mein verletztes Bein unter Ansgar hervor zu ziehen, es schmerzte. Ich drehte mich um, kroch und krabbelte über den Schutthaufen in Richtung Ausgang. Durch eine schmale Lücke fiel das Neonlicht aus der Tiefgarage, ich zwängte mich durch und hüpfte auf einem Bein ein paar Schritte, bevor ich wieder zu Boden gerissen wurde. Mit einem Rums, fiel der Aufzugsschacht erneut in sich zusammen. Staub und Dreck wirbelte auf und hüllte alles ein. Ansgar hatte den Schuttberg angehoben und schneller als dieser wieder in sich zusammenfallen konnte, war er durch die Lücke nach draußen gerannt und hatte mich mit umgerissen.

Ich spürte, wie ich vom Boden abhob und erneut durch die Luft flog. Als ich die Augen öffnete, sah ich, dass Ansgar mich trug, er schleppte mich zu seinem Auto. Wie ein Bündel warf er mich auf den Beifahrersitz, war fast im selben Augenblick neben mir und startete schon den Bentley. Mit einer irren Geschwindigkeit raste er aus der Tiefgarage heraus und über die Straßen.

 

Ich betrachtete mein Bein, im Unterschenkel war ein Loch, ich konnte hindurch gucken und sah dahinter das Muster vom Teppich, der im Fußraum lag. Fast mochte ich meinen Finger hindurch stecken, nur um zu sehen, ob es auch die Wirklichkeit war, oder ob ich das nur wieder fantasiere. Schon streckte ich meine Hand aus.

»Lass es, es wird gleich wieder verheilt sein«, seine Stimme klang laut in der Stille des Wagens. Ich schreckte ein bisschen zusammen und sah ihn an. Sein ganzer Anzug war hellgrau, vor Betonstaub, das Jackett teilweise zerrissen und alles war besprenkelt mit Blutstropfen. Er blickte stur geradeaus, da bemerkte ich die tiefe Wunde, an seiner rechten Halsseite. Erschrocken streckte ich meine Hand danach aus.

»Du bist verletzt, du hättest beinahe…« Deinen Kopf verloren, dachte ich den Satz zu Ende.

Ja, ich weiß, es ist aber nicht passiert, erklang seine Stimme in meinem Kopf. Ich ließ mich wieder in den Sitz fallen. Wohin fahren wir jetzt? Fragte ich in Gedanken. Es war angenehm, nicht reden zu müssen, man konnte sich daran gewöhnen.

Ich bringe dich zu Josh, da bist du erst mal in Sicherheit. Er kann dich verarzten und eine Runde duschen könnte uns auch nicht schaden, außerdem hat Josh bestimmt ein paar Klamotten für uns übrig. Er machte eine kurze Pause. Dann werden wir weitersehen, er presste die Lippen zusammen und starrte auf die Straße.

Wer war das? Wie ist das passiert? Du hast eben noch gesagt, du hättest sie riechen müssen? In Gedanken bombardierte ich ihn mit meinen Fragen, ich bekam aber keine Antworten.

In meinem Kopf trat Stille ein, ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen sollte. Sie fehlte mir, seine tröstliche Stimme. Seufzend presste ich mich in die Polster und atmete den köstlichen Geruch ein. Den Geruch, der Ähnlichkeit mit seinem hatte, eben als er mich im Aufzug küsste.

Wir schossen durch Joshs Eingangstür und das arme Glöckchen klingelte heiser und fast panisch über uns. Ansgar hatte seine Arme um mich gelegt und hielt mich an seine Seite gepresst, sodass meine Füße den Boden nicht berührten. Wir waren so schnell, das Josh unser Kommen nicht bemerkte.

Erst als wir durch die Tür fast in seinen Laden fielen, ruckte sein Kopf hoch. Seine Augen wurden größer, als er uns erblickte. »Was ist denn mit euch passiert?«, fragt er verwundert und kam auf uns zu.

»Später«, brummte Ansgar, »kümmert Euch erst mal um das hier«, dabei zeigte er auf mein Bein. Joshs Augen wurden noch größer und er nahm mich Ansgar ab. Ich legte meinen Arm um seine Schultern und bewegte mich hüpfend, auf einem Bein, zu seiner Theke. Dort hob er mich an den Hüften hoch und setzte mich auf die Glasplatte.

Ansgar ging zu Joshs Kühlschrank und nahm sich drei Dosen, stellte drei Gläser vor sich und schüttete das Blut hinein. Als er es in der Mikrowelle erwärmte, stützte er seine Hände auf die Kante der Tischplatte und senkte den Kopf zwischen die ausgestreckten Arme.

Ein tiefes Schnaufen war zu hören, dann ein Knurren, dunkel und bedrohlich, mir lief es kalt den Rücken herunter. Ich blickte Josh an, der noch mit meinem Bein beschäftigt war, doch ich sah nur, wie er die Augenbrauen zusammenschob und leicht den Kopf hin und her bewegte. Lieber jetzt nichts sagen, hieß das wohl.

»A-a-ah, verdammt, das tut weh«, kreischte ich, Josh hielt ein etwa drei Zentimeter langes Metallrohr hoch. Er hatte es aus dem Loch in meinem Unterschenkel gezogen.

Ich sah noch, wie sich die Tür zum Hinterhof schloss, Ansgar war weg.

»Er gibt sich die Schuld dafür«, sagte Josh heiser und verbindend mein Bein mit einem Mullverband.

»Warum nur?«, ich verstand es nicht, »er kann doch nichts dafür.«

»In seinen Augen wohl schon, er hat sich nicht genug um dich gesorgt, nicht genug aufgepasst. Ich weiß es auch nicht genau, die alten Vampire sind sehr schwer zu durchschauen. Sie haben schon zu viel mitgemacht, so viel gesehen und erlebt, das hat sie verändert. Sie sind nicht mehr so wie wir, sie sind anders.« Josh erhob sich und betrachtete mein Bein mit dem weißen Verband.

»Das müsste fürs Erste langen, jetzt trinkst du mal was Anständiges und in ein paar Minuten ist es schon verheilt. Dann kannst du duschen gehen, wenn du willst, im Keller ist eine, neue Klamotten habe ich bestimmt auch noch für dich.«

»Was ist mit Ansgar?«, fragte ich vorsichtig.

»Der wird sich schon wieder beruhigen, lass ihm nur etwas Zeit. Ich gehe in den Keller und suche was zum Anziehen für dich raus, bin gleich wieder da.«

»Okay, danke schön Josh. Das ist ein guter Verband«, ich grinste ihn an, er zuckte mit den Schultern.

»Dann waren die vergangenen Kriege doch zu was nütze«, er lachte leise und ging in den Keller.

Ich hüpfte von der Theke und stellte mich probehalber auf mein Bein, es ging, bald konnte ich wieder normal gehen.

Ich nahm zwei Gläser aus der Mikrowelle und humpelte in Richtung Hintertür. Durch den Glasausschnitt konnte ich Ansgar im Stuhl sitzen sehen, er hatte die Hände vor sein Gesicht geschlagen und die Ellenbogen auf den Tisch gestützt. Ich mochte ihm meine Gedanken schicken, ihn trösten, irgendetwas sagen, aber ich wusste nicht, ob das funktionierte, er sagte doch, er musste mich sehen dafür.

Lass mich bitte allein, es ging also auch so.

Nein, dachte ich, es ist nicht deine Schuld, wer immer das war, hat umsichtig gehandelt, wer hätte das denn ahnen können?

Ansgar schob zwei Finger auseinander und linste mit einem Auge durch die Lücke.

Über tausend Jahre Vampirdasein und ich vernachlässige meine Instinkte, werfe meine Beherrschung über Bord, breche meinen Kodex und alles, an das ich glaube, wegen ein paar Sekunden mit einer kleinen Schwarzhaarigen. Wer, glaubst du, ist wohl an dem Chaos schuld. Sein Auge glühte zwischen den Fingern hindurch.

Na, die kleine Schwarzhaarige, natürlich, sagte ich ihm in Gedanken. Er atmete prustend aus, nahm die Hände vom Gesicht und schüttelte den Kopf. Dann ließ er ihn auf die Arme sinken. Ich hatte genug und stieß die Tür auf, setzte mich ihm gegenüber und schob das volle Glas zu ihm hin.

»Trink was, dann geht’s dir gleich besser.«

»Hm-m«, ich sah seine Nasenflügel beben, mit einer viel zu schnellen Bewegung hielt er sich das Glas unter die Nase und atmete tief ein. Dann trank er es in zwei langen Schlucken leer und stellte es geräuschvoll zurück auf den Tisch.

»Und, besser?«, fragte ich interessiert.

»Nein«, er schluckte kurz und starrte vor sich hin, »ich werde den hohen Rat bitten, jemand anderen zu dir zu schicken. Ich kann dich nicht beschützen, ich kann mich in deiner Nähe nicht konzentrieren, ich bin immer abgelenkt, du lenkst mich ab.«

Er sah mich an und der feine rote Rand schien sich wieder auszudehnen, er wollte das Feuer verdrängen, wollte alles beherrschen.

»Keine Angst, ich werde dem Anderen meinen Wissensstand mitteilen, es besteht keine Notwendigkeit, dass du nochmals …gebissen wirst.« Er stand auf.

Mistkerl, schickte ich ihm in Gedanken.

Ego sum, qui sum, erklang es in meinem Kopf, dann war er weg.

Ich hörte ihn im Laden mit Josh sprechen, ich konnte mich nicht bewegen, ich wollte nur noch hier sitzen und gar nichts mehr tun. Nach einiger Zeit schloss ich meine Augen, ich überlegte, ob ich mich in die rote Wolke meiner Erinnerung flüchten sollte, entschied mich aber dagegen, zu viel Schmerzhaftes erwartete mich dort.

Als ich nach, mir erschien es wie Stunden, meine Augen wieder öffnete, sah ich das grinsende Gesicht von Josh vor mir.

»Wie schaffst du das nur immer wieder?«, fragte er leise.

»Wie schaffe ich was?«, ich blickte wohl eher verständnislos.

»Da kommt ein tausend Jahre alter Vampir daher, der schon so ziemlich alles gesehen, geschmeckt und gerochen hat, und Zack…«, Josh schnippte kurz mit den Fingern, »hast du ihn eingelullt, er vergisst alles und ist total verknallt in dich.«

Josh schüttelte den Kopf, »wie machst du das bloß?«

»Glaub es mir, nicht absichtlich.«

Aber jetzt war er weg und ich wusste nicht, wen sie als nächstes schicken werden. Falls ich bis dahin überhaupt noch auf dieser Erde wandelte. Ohne Ansgar wäre ich heute zu einem Häufchen Asche geworden, wer weiß, was die sich als nächstes ausdenken.

»Josh, weißt du wer das heute war? Hat Ansgar irgendetwas zu dir gesagt?«

»Er brauchte mir nichts zu sagen, ich weiß auch so, wer dafür verantwortlich ist. Das waren Justin und Dennis.«

Ganz plötzlich sah ich wieder braune Augen vor mir, die sich langsam in Raubtieraugen verwandelten und blitzende Zähne.

»Die Beiden habe eine Gruppe Vampire um sich versammelt und nichts Gutes im Sinn. Sie nennen sich die Vernichter und ziehen mordend durch die Stadt. Aus meinen Quellen habe ich erfahren, dass ihr eigentliches Ziel der hohe Rat ist, sie wollen den Rat stürzen um wieder ein Leben ohne Regeln und ohne den Packt zu haben. Die Obrigkeit sucht natürlich fieberhaft nach ihnen. Die Vernichter haben schon viele Anhänger, alles böse und niederträchtige Vampire. Der Anschlag heute aber war wohl nur eine ganz persönliche Rache, ich schätze von Justin selbst.«

»Was habe ich dem schon entgegenzusetzen«, murmelte ich und wickelte mir den Verband langsam ab.

»Zurzeit nichts, da gebe ich dir recht, aber du bleibst erst einmal bei mir, hier kann dir so schnell nichts passieren.«

Ich betrachtete mein Bein, die Wunde war vollständig verheilt.

Ich stand auf. »Kann ich jetzt duschen gehen?«

»Ja, ich hab dir Klamotten hingelegt, vielleicht passen sie ja.«

»Danke«, murmelte ich und verschwand unter die heiße Dusche.

Während das Wasser auf mich niederprasselte dachte ich nach. Wenn ich hier bliebe, brachte ich Josh in Gefahr. Das ging nicht.

Ich konnte nirgendwo hin, meine Wohnung war ein einziger Trümmerhaufen, außerdem würde die Polizei dort sein, das konnte ich gar nicht gebrauchen. Zu sonst jemanden kam nicht in Frage, ich zog eine Todesfahne hinter mir her, jeder, der mit mir in Berührung kam war akut gefährdet.

Ich hatte nur eine Chance, ich stellte mich dem hohen Rat, erzählte, was ich über Justin und Dennis wusste, sie konnten mich vielleicht als Köder benutzen, so kamen sie an die Beiden besser heran.

Nicht nur Justin wollte mich tot sehen, Dennis war auch ganz scharf darauf. Er würde es sich sicher nicht entgehen lassen, wenn er mich auf einem Tablett serviert bekam.

Ich drehte die Dusche ab.

Das heiße Wasser konnte meine innere Kälte nicht erwärmen, ich befürchtete, dass gar nichts mehr das vermag.

Mein Entschluss war gefasst, ich musste zum hohen Rat. Langsam zog ich mich an und überlegte, wo ich den bloß finden konnte. Aber da fiel mir jemand ein, der das genau wusste: Jeanie.

Sie arbeitete für die Obrigkeit und hatte Kenntnis davon, wo der hohe Rat zu finden war. Ich konnte nur nicht zu ihr hin. Aber telefonieren konnte ich noch. Schnell angelte ich mein Handy aus der Hosentasche und klappte es auf.

Sie stand in meinem Telefonbuch und ich wählte sie an.

»Ja«, sie klang wie ich, wenn ich an mein Telefon ging, äußerst misstrauisch.

»Eh, hi, Jeanie, hier ist Natascha. Ich wollte dich gerne was fragen…«

Ich stockte kurz und überlegte, wie ich meine Frage formulieren sollte, möglichst auch noch so, dass sie nicht sofort alles Josh weitererzählte.

»Oh, hallo Natascha«, sagte sie gerade.

»Weißt du wo ich den hohen Rat finden kann?« Ich kniff die Augen zusammen, wie blöd war das denn? Noch direkter ging es schon gar nicht mehr.

»Ja, klar, die hohen Mitglieder des Rates halten jeden Donnerstagabend um acht Uhr eine Versammlung ab, im Keller, unter dem Rathaus, in der Innenstadt, kennst du das?«

»Ja, das kenne ich.«

Ein unterirdisches Gewölbe, mit schier endlos langen Gängen, in dem sich sogar eine riesige Halle befinden sollte, so die Erzählungen. Ich kannte den Eingang, den hatte Frank mir vor Jahren mal gezeigt. Sollte er nicht gewusst haben, dass dort der hohe Rat tagt?

»Danke Jeanie, du hast mir sehr geholfen.«

»Keine Ursache«, gab sie munter zurück. Wie praktisch, sie stellte keine lästigen Fragen, wie Josh es jetzt getan hätte, wie überaus praktisch. Trotzdem musste ich noch etwas hinzu fügen: »Und Jeanie, kein Wort zu irgendjemandem, ja?«

 

»Nein, mein Mund ist versiegelt«, sie lachte kurz, »Bis bald.« Es klickte, sie hatte aufgelegt.

Hoffentlich erzählte sie wirklich nichts weiter, ich verdrehte die Augen zur Decke. Das Risiko musste ich eingehen. Ich blickte auf mein Handy um die Uhrzeit abzulesen, noch drei Stunden Zeit, denn wie es der Zufall wollte, war heute Donnerstag. Also funktionierte das Ganze ohne Zeitverzögerung. Jetzt musste ich mich nur noch an Josh vorbei schleichen und irgendwie hier raus kommen.

Ich wusste nur noch nicht wie.

Da klopfte es an die Tür, ich zuckte zusammen.

»Natascha?«, rief Josh durch die geschlossene Tür.

»Ja?«

»Ich habe ganz vergessen, ich muss heute Abend noch mal weg. Kannst du ein paar Stunden alleine auf dich aufpassen?«

»Ja, klar, kein Problem, schließt du den Laden ab?«

»Ich habe schon ein Schild raus gehangen, komme um 21 Uhr wieder. Also mach dir keine Sorgen, du musst keine Kundschaft bedienen.«

Darum ging es mir gar nicht, aber das der Laden offen bliebe, wenn ich mich auch davon stahl, das wäre mir nicht recht gewesen.

»Prima«, gab ich zur Antwort.

»Kann ich dich noch mal umarmen und mich verabschieden von dir?« Ich biss die Zähne zusammen und blickte an mir runter, ich war komplett angezogen.

»Tut mir leid, Josh, ich bin noch nackt und nass.«

Meine Lüge brannte mir in der Seele, man lügt keine Freunde an, ich schloss die Augen und versuchte nicht daran zu denken.

»In Ordnung, dann aber später, ich muss jetzt los. Mach dir einen gemütlichen Abend, genug Konserven sind noch im Kühlschrank. Auf bald.«

»Ja, bis später dann«, meine Stimme klang gequält und ich hoffte inständig, dass Josh es nicht hörte.

Seine Schritte entfernten sich.

Ich blickte in den Spiegel über dem Waschbecken, er war völlig beschlagen.

Ich hob meine Hand und wischte einen kleinen Bereich frei, genug um mir selber in die Augen zu blicken. Was ich sah, ließ meine Hand in der Bewegung erstarren und mich packte das nackte Entsetzen.

Meine Augen brannten, sie standen in Flammen, das war mein erster Gedanke. Schnell kniff ich sie ein paar Mal zu, keine Schmerzen, also kein echtes Feuer. Langsam und vorsichtig öffnete ich sie wieder und blickte mich erneut im Spiegel an.

Wo mal meine Iris war, befand sich jetzt ein Feuerstrudel, ein brennender Strudel aus Feuer. Das harmlose, nette Braun mit den goldenen Flitterstücken war verschwunden. Tief in dem Feuer, sozusagen im Kern des Strudels, sah man ganz klein die Pupillen, sie waren leuchtend rot. Das Feuer drehte sich immer wieder um die eigene Achse, ich starrte fasziniert darauf.

Das gab es doch nicht, ich schüttelte meinen Kopf. Bei Vampiren kannte ich nur gelbe Raubtieraugen, mit schmalen länglichen Schlitzen als Pupillen.

Gut, bei Ansgar nicht, ich sah seine roten Augen vor mir, in denen die rote Lava heiß und glühend vor sich hin floss, aber das war was anderes, er war eben anders, viel älter und er gehörte dem hohen Rat an, die waren wohl alle anders als wir.

Wie kam ich nur zu diesen feurigen Augen und welchen Sinn hatten sie?

Ich hatte genug und wendete mich ab. Dann musste ich eben mit Feuerbällen herumlaufen, den hohen Rat würde es schon nicht stören, die sahen bestimmt alle merkwürdig aus.

Ich ging aus dem Keller in Joshs Laden. Düster war es, er hatte die Lichter ausgeschaltet. Ich ging zu seiner Hintertür und überlegte einen kurzen Augenblick, was ich denn machte, wenn er die Tür auch abgeschlossen hatte, ein Fenster zertrümmern? Aber die Hintertür war offen, ich ging raus und verschloss die Tür hinter mir.

Ich machte mich auf den Weg, weit war es zum Glück nicht.

Unterwegs ließ ich mir durch den Kopf gehen, was ich alles über den hohen Rat wusste, es war wirklich sehr wenig.

Ich wusste, dass der hohe Rat aus acht Mitgliedern bestand vier Männer und vier Frauen, sie bildeten sozusagen den Kopf, dann kamen die Vertrauten und Abgesandten, wozu wohl auch Ansgar zählte. Was blieb, war eigentlich nur noch das Fußvolk, sprich der Rest der Vampire, also mich eingeschlossen.

Die Mitglieder des hohen Rates waren allesamt alt, nicht bloß dreihundert, vierhundert Jahre, sondern irre alt. Eintausend Jahre und mehr. Den höchsten und mächtigsten der acht nannte man Alarich das bedeutete: über alles mächtig. Dann kam Falk, er repräsentierte Stärke und Klugheit. Ihm folgte Conrad, der Kühne im Rat, zuletzt war da noch Oberon, das bedeutete Herrscher überirdischer Wesen.

Bei den Frauen war Sarah, die Fürstin, mit Alarich gleichgestellt, neben ihr Lea, die Löwenstarke, Eleonore, die Barmherzige und Asta, die Auferstandene.

Eine schöne Bande von Vampiren, die mir wahrscheinlich sehr wenig Verständnis entgegen brachten. Ob Ansgar ihnen meine Vergangenheit schon berichtet hatte?

Was tat ich eigentlich? Ich begab mich zu den Löwen, um mich von ihnen, den Tigern zum Fraße vorwerfen zu lassen. Würde mein Plan auch aufgehen? Werden sie Justin und Dennis fassen können, mit mir als Köder?

Wollte ich das eigentlich auch? Ich stutzte kurz, wie war das? Ob ich das auch wollte? Natürlich wollte ich, dass die Beiden gefasst wurden, immerhin wollten die mich umbringen. Außerdem ermordeten sie Unschuldige und hatten es auf den hohen Rat abgesehen, somit auch auf Ansgar.

Es war, als wären in meinem Kopf zwei Stimmen vor mir zu hören, eine die Justin bluten, die Dennis am Boden sehen wollte und eine, die sich lieber von Justin töten lassen würde, als selbst einzugreifen. Die immer noch das Gute in ihm sah und nicht das mordende Monster.

Eine völlig Verrückte.

Ich war innerlich hin und her gerissen, ich konnte mich nicht konzentrieren. Für eine Jagd hatte ich aber keine Zeit. Außerdem hatte ich heute schon so viel Blut getrunken, wie schon lange nicht mehr.

Ich musste in mich gehen, mich sammeln. Mir fiel auch sofort ein, wo ich hin könnte, es war nicht weit.

Ich blickte mich rasch um, ob mich jemand beobachtete. Dann rannte ich los, in Richtung Stadtmauer, auf die hohen Zinnen. Da wollte ich hinauf und den Nachtwind um mich wehen lassen. Da oben konnte ich wieder klar denken und würde den für mich richtigen Weg gleich wissen.

Nach der Sache im letzten Sommer, war ich oft hier oben. Hielt Ausschau nach meinem nächsten Opfer und dachte nach. Nur über die Vergangenheit, die Zukunft interessierte mich nicht sonderlich.

Ich existierte, tötete, trank Blut und irgendwann würde ich sterben, so sah meine Zukunft für mich aus.

Und wie sah sie jetzt aus?

Ich stellte meine Füße eng nebeneinander auf das bröckelige Gestein der alten Mauer, breitete meine Arme aus und legte den Kopf in den Nacken. Der Wind pfiff um mich herum und versuchte mich von den Zinnen zu stoßen. Er zerrte an meinen Sachen und wehte über meine kalte Haut.

Langsam tauchte ich ein, in mein Innerstes und vergaß alles um mich herum.

Wie immer kamen erst die Bilder, hunderte von Bildern. Von Dennis, als er noch ein kleiner Junge war und ich noch ein Mensch.

Von Justin, als Franks Halbblut, das Bild, wie er in seinem Badezimmer blutend vor mir lag. Dann immer wieder, in Einzelbildern, wie ich ihn in einen Vampir verwandelte, ihn zum Monster machte. Die nächsten Bilder von Justin zeigten nur noch seine Augen, braune, schöne und böse Raubtieraugen. Im Hintergrund hörte ich andauernd das Geräusch, das entstand, als er mir mit einer raschen Bewegung das Genick brach und ich sah seine Gestalt, die mich im Staub achtlos liegen ließ und von mir weg ging.

Ich erhielt keine eindeutige Antwort, aus meinem Innersten, nur zwei Stimmen, die sich um eine Antwort stritten. Die völlig verrückte Stimme, die in Justin noch den lieben Kerl sah und die, die ihn lieber tot als alles andere haben wollte.