Natascha

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Ich gab es auf und sprang von den Zinnen. Ich konnte keine Entscheidung treffen, heute noch nicht.

Aber ich war dennoch bereit für den hohen Rat, ich würde mich ihnen als Köder zu Verfügung stellen, dann sah ich weiter.

Ich war mit einem Mal vor dem großen Rathaus, ging um die Ecke, hinter das Haus und stand vor einer Tür, es war offen, die Klinke ließ sich leicht herunter drücken. Ich holte tief Luft und ließ die Tür aufschwingen. Dann ging ich hinein.

Ich musste einen dunklen, engen Flur entlang und stieß abermals auf eine Tür, sie war aus Holz und wirkte alt und verwittert.

Kein Türgriff zu sehen, nur ein großer Ring in der Mitte. Auch sie stieß ich auf.

Sie quietschte ein bisschen, ganz so, wie man das aus Horrorfilmen kannte. Ich musste grinsen, tolle Tricks haben die hier, dachte ich, mal sehen, was als Nächstes kam.

Vor mir führte eine schmale Treppe in die dunkle Tiefe, sie bestand aus sehr alten Steinen, die bereits sehr abgetreten waren. Ich ging sie herunter, langsam, ich hatte einen Kloß im Hals und fühlte Angst in mir aufsteigen.

Als ich endlich nach, mindestens hundert Stufen, unten ankam, stand ich in einer kleinen Halle, die Decke von Säulen getragen. Die Wände der Halle reich mit Mosaik verziert. An ihrem Ende sah ich eine hölzerne Doppeltür und davor standen zwei Burschen. Sie blickten mich entgeistert an. Ich ging auf sie zu, immer düsterer zogen sich ihre Brauen zusammen, je näher ich kam.

Zwei Meter vor ihnen hielt ich an, sie hatten tatsächlich Schwerter in ihren Händen. Ich sah mir die Vampire genauer an, sie wirkten zwar nicht, als konnten sie mit ihren Waffen auch umgehen, aber man wusste ja nie, darum blieb ich freundlich.

»Guten Abend, die Herren«, ich schenkte ihnen einen verführerischen Augenaufschlag, »wärt ihr bitte so freundlich und meldet mich dem hohen Rat? Ich habe eine Aussage, vielmehr einen Vorschlag zu machen, der von äußerster Wichtigkeit ist.«

Die Zwei tauschten einen verwunderten Blick aus.

»Kommt mit«, sagte einer von ihnen, wahrscheinlich der Wortführer.

Sie zogen die Doppeltür auf und ich stand in einem kleinen Vorraum mit Stühlen. Auch hier wurde die Decke von Säulen gestützt und alles war ebenso mit Mosaik verziert. Durch die Säulen hindurch, konnte ich in eine riesige Halle sehen.

Auf der linken Seite stand ein großes Podest, es war stufenförmig angeordnet und der hohe Rat saß dort, nach Rang und Stellung geordnet. Alle trugen einen braunen Umhang, ähnlich einer Ordenstracht.

Auf der rechten Seite waren, wie in einem Stadion, Sitzreihen aufgestellt. Nach hinten immer höher werdend und halb rund.

Auf ihnen saßen Vampire, jede Menge Vampire. Ein paar Gesichter kamen mir bekannt vor, aber die meisten kannte ich nicht.

Der Wächter deutete mir an, hier zu warten, er ging hinter das Podium und stieg eine Treppe hoch, zum obersten Ratsmitglied, ich dachte, das war Alarich.

Ich besah mir die anderen, die auf dem Podium saßen.

Plötzlich bemerkte ich jemanden, der daneben stand. Er hatte die Beine leicht gespreizt, die Arme hinter dem Rücken verschränkt und blickte stur geradeaus. Er trug eine weiße Tunika und weiße Hosen.

Ansgar, dachte ich und hoffte, dass er mich nicht hören konnte. Ich sah, wie sich sein Körper straffte, er blickte vor sich auf den Boden.

Natascha? Bist du das? Seine Stimme in meinem Kopf klang erstaunt und ich glaubte auch, ein bisschen erfreut. Aber sofort schlug die Stimmung um und er wurde wütend.

Was machst du hier? Josh wusste nicht, das du kommen würdest …

Inzwischen hatte der Wächter, Alarich erreicht und ihm meine Bitte vorgetragen. Alarich teilte es den Anderen mit und ein Stimmgemurmel entstand auf dem Podium.

»ANSGAR!« Die Stimme von Alarich durchschnitt die Luft und unterbrach Ansgars Stimme in meinem Kopf.

Er drehte sich um und ging zu seinem Obersten, ebenfalls die Treppe hinter dem Podium hoch. Er beugte sich zu ihm und Alarich flüsterte in sein Ohr.

Ich konnte nichts von der Unterhaltung verstehen, so betrachtete ich nur Ansgars Züge und wie sie sich in Sekundenbruchteilen veränderten. Mal zogen sich seine Augenbrauen düster zusammen, dann schüttelte er schnell mit dem Kopf, schlug die Augen nieder, nickte. Nur das letzte Wort konnte ich verstehen, vielmehr von seinen Lippen ablesen: Ja, Herr.

Ansgar ging langsam die Treppe wieder herunter und kam in meine Richtung. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt und blickte mit leicht gesenktem Kopf, düster an mir vorbei, in seinen Augen konnte ich eine wahre Feuersbrunst erkennen.

Als er bei mir war, packte er mich am Arm und zog mich zurück, durch die Doppeltür und in die kleine Halle.

Dort schleuderte er mich unsanft gegen die Wand.

»Was zum Teufel machst du hier? Du weißt genau, dass der Rat noch hinter dir her ist, egal was ich denen erzählt habe. Also, was tust du hier.« Ich stand mit dem Rücken an die Wand gelehnt und starrte zu Boden. Ich wusste nicht genau, was ich ihm sagen sollte.

»ANTWORTE!«, brüllte er. Seine Stimme dröhnte in meinen Ohren und prallte hundertfach von den Wänden und der Decke in der kleinen Halle ab. Fast erwartete ich, dass die Säulen umstürzten und alles in sich zusammen krachte.

Ich blickte ihn an und sah, wie er zurück zuckte. Sofort war seine Stimme in meinem Kopf, sie klang sanft und besorgt:

Was ist mit deinen Augen geschehen? Was hast du gemacht?

Ich habe geduscht und dann sahen sie so aus, dachte ich kurz. Laut sagte ich: »Ich weiß es nicht, Ansgar. Sie sahen einfach plötzlich … so aus.«

»Das sind die Augen der desperatio, der Verzweiflung. Wusstest du das?«, sagte er leise.

»Nein.« Verzweiflung, dachte ich, ich bin doch gar nicht verzweifelt. Vielleicht eher Zweigespalten. Flüchtig dachte ich an die unterschiedlichen Stimmen in mir, die sich nicht einigen konnten. Scheinbar nicht flüchtig genug, ich hatte wieder einmal die Tatsache vergessen, dass Ansgar meine Gedanken liest.

Das ist nicht dein Ernst. Es klang fassungslos, dann drehte er sich um und ging mit auf dem Rücken verschränkten Armen durch die kleine Halle. Den Kopf hielt er gesenkt, die Augen geschlossen. Seine Lippen bewegten sich, aber ich konnte ihn nicht verstehen. Ich starrte ihn nur an und wusste weder, was ich sagen, noch was ich denken sollte.

Ganz plötzlich war er bei mir und drückte mich mit seinem Körper gegen die Wand. Er sah mich an, das Feuer in seinen Augen loderte, flackerte immer wieder auf, der rote, feine Rand um die Iris pulsierte, als konnte er sich nicht entscheiden.

»Ich kann dir nicht mehr helfen, Natascha«, flüsterte er,

Du musst tun, was du tun musst.

»Ich kann dich nicht zurückhalten«,

Ich habe keine Macht über dich.

»Ich habe versagt.«

Der schnelle Wechsel zwischen seinen gesprochenen Worten und seiner Stimme in meinem Kopf machten mich nervös.

Ich habe verloren, alles verloren.

»Nein«, schnell legte ich ihm meine Finger über den Mund und hoffte, damit auch die Stimme in meinem Kopf zu stoppen.

»Du hast nichts verloren, alles ist noch da. Du hast auch nicht versagt, du hast dein Bestes getan.«

Du bist der, der du bist, schon vergessen? Schickte ich ihm in Gedanken nach. Er lächelte ein bisschen und das Feuer der Pupillen war kurz verschwunden. Er umarmte mich mit seinen kalten Armen und drückte mich an sich. Auch ich schlang meine Arme um ihn.

»Natascha, warum bist du so verzweifelt, das sogar das Feuer der desperatio in dir brennt?«

»Ich weiß es nicht«, ich wusste es wirklich nicht, nicht bewusst, ich ahnte etwas, aber genau wusste ich es nicht.

»Du lässt mir keine andere Wahl.« Seine Stimme klang verzweifelt, und bevor ich noch reagieren konnte, schlug er mir seine Zähne in den Hals.

Ich zuckte zusammen und stöhnte auf. Da war es wieder, dieses Gefühl, wenn er mein Blut saugte, das mich fast an den Rand des Wahnsinns trieb.

Die Zeit dehnte sich aus, ich sah Feuer vor meinen Augen, alles verzehrendes Feuer. Als Ansgar von mir abließ und die Wunden verschloss, ging das Feuer langsam aus, es brannte nieder.

Ich zwinkerte ein paar Mal, dabei rutschte ich langsam an der Wand nach unten, bis ich auf dem Boden saß. Ansgar hatte mich losgelassen und war gegangen, ich sah gerade noch die Doppeltüren zufallen.

Mein Kopf war leer, eine totale Leere, ich sah mich verwundert um und wusste nicht, wo ich mich befand und was ich hier wollte.

Die Doppeltür flog auf und Ansgar kam auf mich zu. Er packte mich am Arm und zerrte mich auf die Beine. Dann ging er mit mir die Treppen hoch. Er riss mich einfach mit. Ich stolperte ständig, ich blickte nach unten und überlegte, wozu die zwei dünnen Dinger da waren, die sich ständig bewegten.

Beine, schoss es mir durch den Kopf, das sind meine Beine und ich kann sie bewegen.

Wir waren oben angekommen, er zog mich durch die hölzerne Tür, den Gang entlang und dann durch den Ausgang. Wir standen im Freien. Tief atmete ich die süße Nachtluft ein.

»Du kannst mich jetzt wieder loslassen«, ich runzelte meine Stirn, »ich kann alleine gehen.«

»Nein, kommt nicht in Frage«, grollte er zurück.

Warum ist er nur so wütend, fragte ich mich, was habe ich getan, oder gesagt? Ich durchforstete mein Gehirn nach Erinnerungsfetzen, aber es herrschte weiterhin eine dumpfe Leere da drin.

Ansgar zog und zerrte mich hinter sich her. Mittlerweile stolperte ich nicht mehr so viel, da ich mich wieder erinnern konnte, wie man die Beine benutzte.

 

Er hielt erst an, als wir bei Joshs Hinterhof ankamen, er stieß mich noch durch die Türe, dann ließ er mich endlich los.

Ich rieb mir den Arm, es schmerzte etwas. Ansgar holte eine Konserve aus dem Kühlschrank, goss sie in ein Glas und erwärmte sie. Das Licht der Mikrowelle fiel auf ihn und ich beobachtete fasziniert den Teller, der sich unaufhörlich drehte. Mir war, als hätte ich das noch nie gesehen, als wäre das völlig neu für mich. Das leise Pling der Mikro erschreckte mich ein bisschen.

Ansgar nahm das Glas heraus und reichte es mir.

»Nein, danke, ich habe keinen Durst«, sagte ich und hob abwehrend die Hände.

»Trink es bitte.«

»Nein, wirklich ich …«

TRINK! Die Stimme in meinem Kopf dröhnte wie hundert Kirchenglocken. Ich hielt mir die Ohren zu, ich musste meinen Kopf festhalten, sonst explodierte er. Langsam öffnete ich wieder die Augen, die ich vor lauter Angst zusammengekniffen hatte. Er hielt mir erneut das Glas hin, diesmal nahm ich es an mich, ich mochte nie wieder diese laute Stimme in meinem Kopf hören.

Ich nippte kurz, dann stürzte ich das Blut in einem Schluck herunter. Sofort breitete sich eine herrliche Wärme in mir aus und mit ihr kamen die Erinnerung zurück, die Erkenntnis, wer und was ich war und an die vergangenen Stunden. Meine Augen wurden immer größer, je mehr ich mich erinnerte. Ich musste mich an der Theke festhalten, um nicht umzukippen. Ansgar stand hinter dem Tresen und beobachtete mich, er lächelte, das Feuer war verschwunden, nur der rote Rand pulsierte noch leicht.

»Geht’s wieder?«, fragte er irgendwann.

»Ich glaube schon«, meine Stimme war ein einziges Krächzen.

»Komm mit, du musst dich ausruhen«, er packte erneut meinen Arm und zerrte mich zur Kellertür.

Wir gingen den Gang entlang, am Ende öffnete Ansgar eine Tür und wir standen in Joshs Schlafzimmer. Jedenfalls dachte ich, dass es das Schlafzimmer von Josh war, nur wusste ich nicht, was er damit wollte, da er genauso, wie alle anderen Vampire, nicht schlief.

Keine Sorge, es ist nur sein Gästezimmer. Ansgars Stimme klang amüsiert. Dann warf er mich auf das weiche Doppelbett, ich versank fast in der Daunendecke.

Ich federte noch ein bisschen auf und ab, da lag Ansgar auch schon neben mir, zog mich zu sich heran, umarmte mich mit einem Arm und blickte zur Decke.

Ich lag auf seiner Schulter, nur wenige Zentimeter von seinem Hals entfernt. Ich starrte auf seine reine, weiße Haut und sah das Blut darunter pulsieren, ich zog die Luft durch die Nase ein, dann erinnerte ich mich, dass er ja nach nichts roch. Außer, man küsste ihn, dann war sein Geruch überwältigend. Vielleicht, wenn ich ganz nah ranging, vielleicht roch ich dann doch etwas.

Ich rückte ein bisschen näher an ihn heran. Er starrte weiterhin zur Decke, legte nur seinen Arm etwas enger um mich. Ich war ganz nah bei ihm und an seinem Hals, ich hörte das Blut unter der Haut rauschen, ich schloss meine Augen und bewegte meinen Kopf noch näher zu ihm hin. Meine Lippen berührten ganz leicht seinen Hals, ich küsste ihn auf die kalte Haut.

Lust durchschoss mich, umso mehr, als ich ihn aufstöhnen hörte. Ich fuhr mit den Lippen über seinen Hals, spürte die Muskeln darunter zucken, hörte sein Blut noch schneller rauschen. Sein Arm zog mich näher zu sich hin, dann drehte er sich blitzschnell auf die Seite und sah mich an. Blickte mich an, mit diesen hungrigen Augen, in denen das Feuer loderte und die braune Farbe sich träge im Kreis drehte, der Rand pulsierte heftig.

Plötzlich fühlte ich seine Lippen auf meinen, ich stöhnte auf und umarmte ihn, drängte mich noch näher zu ihm hin.

Da war er wieder, dieser köstliche Duft, tief saugte ich ihn in mich ein. Seine Hände schienen überall auf meinem Körper zu sein, er wühlte in meinen Haaren, strich über meinen Rücken, krallte die Finger in mein Fleisch und schien mich nie wieder loslassen zu wollen.

Es war ein zu schönes Gefühl, ein reines Gefühl, nur die pure Lust zu verspüren, ohne schmerzliche Gefühle. Ich ließ mich einfach fallen, genoss seine Berührungen, seine Küsse, seinen Geruch, ohne an irgendetwas dabei zu denken. Mein ganzer Körper, auch mein Kopf, waren nur erfüllt mit Lust. Ich ließ es zu, nur zu gerne.

Er drehte mich plötzlich herum und lag auf mir, unsere Hände waren ineinander verschränkt. Seine Lippen lösten sich von meinen, aber nur um meine Wangen, mein Ohr und meinen Hals zu küssen und zu streicheln.

Er atmete schneller, sein Blut rauschte in einem irren Tempo durch seinen Körper, ich konnte es hören, auch mein eigenes Blut hörte ich. Er stöhnte kurz an meinem Ohr und pustete dabei seinen kalten Atem auf meine Haut.

Ein unheimlicher Schauer jagte durch meinen Körper, ich stöhnte laut auf.

Plötzlich hörte ich wieder seine Stimme in meinem Kopf:

Du weißt, dass das hier nicht sein darf.

Ja, ich weiß, mach bitte weiter. Ich zog ihm meine Fingernägel über den Rücken nach unten. Er warf den Kopf in den Nacken, bäumte sich auf und ich sah seine Zähne blitzen, sie waren lang und spitz. Dann hörte ich sein Stöhnen, ein Knurren. Ein anderes Geräusch, wie ich es bereits von ihm kannte, eher wie ein Löwengebrüll.

Ganz plötzlich stand er vor dem Bett.

Ich spürte kurz noch seinen festen, harten Körper auf mir, dann war auch das Gefühl weg.

Er blickte mich mit zusammengekniffenen Augen an.

Noch mal… sein Atem ging viel zu schnell, du weißt, dass das hier nicht sein darf. Erklang es in meinem Kopf, seine Stimme war wütend.

Ich atmete prustend aus und drehte mich auf die Seite. Ich wollte ihm keine Antwort geben, noch nicht einmal eine denken.

»Ich soll mich ausruhen, hast du eben noch gesagt. Das werde ich jetzt auch tun.«

Ich zog die zerwühlte Decke über mich und beschloss ihn zu ignorieren. Genervt schloss ich die Augen und versuchte an nichts zu denken. Versuchte mich zu beruhigen und meine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Das Bett bewegte sich leicht, er legte sich zu mir, auf die Decke, nicht so nah wie eben noch. Trotzdem konnte ich ihn spüren und ein Schaudern durchlief mich erneut. Sofort rückte er ein wenig ab von mir.

»Verzeih mir«, flüsterte er, »ich wollte nicht so weit gehen. Ich… ich hätte mich nicht mehr lange beherrschen können. Es tut mir wirklich leid.« Er schluckte kurz, »Bitte …«

Da gibt es nichts zu verzeihen, ich schickte ihm meine Antwort in Gedanken, ich hatte keine Lust zu reden, meine Stimme würde mich verraten. Immer noch brannte mein ganzer Körper, eine kleine Berührung von ihm würde mein Feuer neu entfachen, es wieder auflodern, mich lichterloh brennen lassen und dann könnte ich mich wahrscheinlich nicht mehr beherrschen.

Da gibt es nichts zu verzeihen, dachte ich nochmals, du hast wahrscheinlich recht.

Er berührte ganz sachte meine Schulter unter der Decke.

Danke, lass uns jetzt ein bisschen ausruhen.

Er legte locker seinen Arm um meine Mitte, das konnte ich aushalten.

So in die Decke geschmiegt erwartete ich die rote Wolke der Erinnerungen, vielleicht konnte ich die letzten Minuten noch einmal erleben, in meiner Fantasie.

Ich wünschte es mir.

Erschrocken riss ich meine Augen auf, es klopfte an die Tür.

Ich spürte, wie Ansgar aufstand und zur Tür ging, vorsichtig öffnete er sie und zog sie hinter sich genauso leise wieder zu. Stimmengemurmel war zu hören, Joshs Stimme wütend und eindringlich, Ansgars beruhigend und beschwichtigend

Ich verdrehte die Augen, Josh, mein Aufpasser, er stellte sich an wie mein Vater. Ich grinste in mich hinein, ich konnte ihm ruhigen Gewissen sagen: Es ist nichts passiert, Daddy.

Die Tür ging wieder auf, Ansgar schlüpfte hindurch und legte sich zu mir. Ich brummte ein bisschen, als er seinen Arm um mich legte und mich aufs Ohr küsste.

»Steh auf, Josh will mit uns reden.«

Nein, ich hab gerade so schön geträumt, antwortete ich in Gedanken.

Du kannst nicht träumen, schon vergessen? Er küsste mich erneut aufs Ohr.

»Es war eine Mischung aus Erinnerung und Wunschträumen, willst du sie sehen?«, flüsterte ich verführerisch.

»Ja, zeig sie mir«, hauchte er in mein Ohr.

Ich schloss die Augen und erinnerte mich in Gedanken wieder an den Traum von eben. Es war ein Gemisch aus der Erinnerung, wie wir zwei übereinander herfielen und einem Wunschtraum, der nicht mit seinem Rückzug endete.

Am Ende atmeten wir beide ein bisschen schneller und ich spürte, wie er näher an mich heranrücken wollte. Diesmal beendete ich die Sache und stand einfach auf.

Miststück, hörte ich ihn in Gedanken, aber er grinste mich an.

Ego sum, qui sum, schickte ich zurück und lächelte ebenfalls.

Ich ging aus dem Zimmer und durch die Kellertür wieder in den Buchladen.

Josh stand wie immer hinter seinem Tresen, er blickte mich nicht sehr freundlich an.

Vor ihm stand ein gut gefülltes Glas mit warmem Blut, ich starrte drauf und konnte nichts dafür, aber mir lief das Wasser im Mund zusammen. Langsam schob Josh es in meine Richtung. »Nimm ruhig.«

»Danke, Josh.« Ich stürzte das Blut herunter und fühlte mich fast augenblicklich gut, richtig gut.

»Das habe ich gebraucht«, ich stellte das Glas wieder ab und schloss kurz die Augen.

»Das ist wohl nicht das Einzige, das du brauchst«, knurrte Josh. Ich öffnete meine Augen wieder und sah ihn düster an. Er sah wütend aus.

»Was willst du damit sagen?«, auch ich fühlte Wut in mir hochsteigen.

»Wie war das noch mal, du willst keine Beziehung mehr eingehen und dich nicht verlieben, weil du das Risiko scheust? Aber kaum kommt einer vom Rat und schon wirfst du dich ihm an den Hals. Wie soll ich das den finden?«

Ich antwortete ihm nicht, ich überlegte. Beziehung, Liebe, ich hab mich ihm an den Hals geworfen? Nun ja, Ansgar hatte eigentlich damit angefangen, nur aus anderen Gründen.

Aber zwei Worte, die Josh gesagt hatte, zogen mich magisch an: Beziehung und Liebe, vielmehr verlieben. War ich in Ansgar verliebt? Ging ich mit ihm eine Beziehung ein? Würde ich mit ihm eine Beziehung eingehen? Selbst in meinen Gedanken war ich kurz sprachlos.

»Nun?« Josh klang ungeduldig, ich hob meine Hand.

»Ich überlege noch.«

Aber dafür brauchte ich ein bisschen mehr Zeit und die hatte ich jetzt nicht.

»Du bekommst heute noch keine Antwort von mir, das muss ich mir erst noch durch den Kopf gehen lassen.«

Josh zog die Augenbrauen hoch, bis in seine blonden Haare, der Mund blieb ihm offen stehen.

»Was?«

»Du hast mich schon verstanden.« Ich presste die Lippen aufeinander und war ein bisschen wütend auf ihn. Eigentlich ging ihn die ganze Sache nichts an, aber er ist mein bester Freund und sorgte sich um mich, ein wenig konnte ich ihn auch verstehen.

Auch ich möchte bald eine Antwort haben, flüsterte es in meinem Kopf. Ich drehte mich um und Ansgar schloss gerade die Kellertür, er sah mich an, Bitte.

Auch du wirst warten müssen, dachte ich und drehte mich wieder um, zu Josh. Laut sagte ich:

»Also Josh, du wolltest mit uns reden? Um was geht es?«

Josh straffte sich und setzte eine unbeteiligte Miene auf.

»Ansgar wird es ja schon wissen, ich wollte dir nur sagen, wie sich der hohe Rat entschieden hat.« Er legte eine kurze Pause ein, die ich zu einer Frage nutzte.

»Woher weißt du das denn«, ich schob meine Augenbrauen zusammen, »warst du auch heute Abend da?« Ich hatte ihn nicht gesehen.

Josh ist einer der Bewahrer, Natascha. Vielmehr der Kopf der Bewahrer der Nacht, in der Rangfolge kommt er direkt hinter mir.

Mir blieb der Mund offen stehen, das gibt es doch nicht, dachte ich.

Doch, mein Püppchen.

Nenn mich nicht Püppchen, das klingt furchtbar.

In Ordnung, dann meine mellila?

Heißt das nicht Püppchen auf Latein?

Nicht ganz, es heißt Honigpüppchen, gefällt dir das besser?

Ach, scher dich zum Teufel, schickte ich ihm in Gedanken

Da bin ich doch schon. In meinem Kopf hörte ich in lachen.

Ich verdrehte die Augen und versuchte mich wieder auf Joshs Worte zu konzentrieren.

»Und wie hat der Rat nun entschieden, Josh?«

 

»Er nimmt dein Angebot an. Es ist ein Tauschgeschäft, du lieferst ihnen Justin und Dennis und bekommst dafür dein Leben geschenkt.«

Josh sah mich grimmig an. »Das ist ein sehr gefährlicher Tausch, Natascha. Bist du dir sicher, dass du das auch willst?«

In meinem Kopf hörte ich gleichzeitig Ansgar flüstern:

Hm-m, du riechst so gut. Sollen wir nicht lieber wieder ins Bett verschwinden und uns noch ein bisschen …ausruhen?

»Nein …eh ich meine ja. Ja, natürlich bin ich mir sicher, dass ich das will, Josh.«

Ich drehte mich um und knurrte Ansgar kurz an.

Lass das gefälligst sein, du machst mich ganz durcheinander, schickte ich ihm grollend in Gedanken.

Gern geschehen, ich hörte ihn kichern.

Ich schloss kurz die Augen und schickte ihm einen kleinen Ausschnitt aus meinem Wunschtraum von eben. Hinter mir hörte ich ihn kurz keuchen. Ich lächelte breit, mein war die Rache. Ich wendete mich wieder Josh zu. »Wie sieht denn der Plan aus?«

»Eigentlich ganz einfach, sie werden versuchen dich zu erwischen, wenn du am wenigsten dran denkst. Bei einer Jagd. Sie werden dir eine Beute schicken, auf die du nicht verzichten kannst und dann werden sie zuschlagen.«

Abermals runzelte ich meine Stirn. »Woher weißt du das alles?«

Josh zögerte. »Wir haben einen Spitzel in ihre Gruppe einschleusen können.«

»Ist er auch zuverlässig, kann man ihm trauen?« Ansgars Stimme war schneidend. Josh blickte auf und sagte zu ihm:

»Er ist ein proditor, ein Verräter, nein, man kann ihm nicht trauen, aber er ist das Einzige was wir haben.«

»Gut«, sagte ich, »Wann?«

»Noch heute Nacht«, Josh drehte sich um und blickte auf eine seiner fünf Uhren, die alle nebeneinander hingen, eine schöner als die andere. »In genau vier Stunden, um zwei Uhr.«

»Gut«, sagte ich abermals, »und wie?«

»Sie wird an deiner Nase vorbei spazieren, wahrscheinlich kommt sie hier in den Laden, oder geht nur daran vorbei, das weiß ich nicht genau.«

»Gut«, ich drehte mich um und ging in Richtung Kellertür,

»ich werde mich so lange noch ausruhen, ich will in vier Stunden fit sein … und durstig.«

Zurück in Joshs Gästezimmer legte ich mich auf das Bett und versuchte krampfhaft an nichts zu denken, aber es ging nicht. Ich hatte Angst, ich fürchtete mich. Ich konnte mich nur nicht entscheiden, wovor genau. War es die Tatsache, dass Justin oder Dennis mich versuchen werden zu töten, oder dass ich einen von ihnen wiedersah?

Ich wartete auf die tröstliche Wolke, aber sie kam nicht. Ich setzte mich im Bett auf und zog meine Knie an.

Leise ging die Tür auf, Ansgar stand vor dem Bett und blickte auf mich herunter.

Josh hat nur Angst um dich, du musst nicht wütend auf ihn sein, hörte ich ihn in meinem Kopf.

»Ich weiß«, seufzte ich, drehte den Kopf zur Seite und legte meine Wange auf die Knie.

»Hast du Angst?«, in seiner Stimme lag Neugierde.

Ich blickte ihn nur an.

»Du hast wieder die Augen der desperatio, der Verzweiflung« Schneller als ich es registrieren konnte, lag er neben mir und streichelte meinen Arm.

»Meine süße mellila, wie kann ich dir nur helfen? Was kann ich tun, damit die Verzweiflung aus dir verschwindet.«

Seine Stimme war wie Honig, zuckersüß, zäh und klebrig.

Mir lief ein Schauer den Rücken runter. Ich versank fast in seine Augen, das Feuer loderte, der begrenzende Ring pulsierte heftig. Ich legte mich zurück auf das Bett und schickte ihm meine Gedanken: Du könntest mir meinen Wunschtraum erfüllen, mein Geliebter.

Ich hatte den Satz noch nicht ganz zu Ende gedacht, da kniete er auch schon über mir. Seine Finger in meine verschränkt, starrte er in mein Gesicht. Seine Augen waren ein einziger Lavastrom, unterbrochen, von kleinen Feuerstößen, die immer wieder kurz aufloderten.

Ich werde dich wahrscheinlich dabei beißen. Hörte ich ihn in meinem Kopf sagen. Das macht nichts, dachte ich und schloss meine Augen, daran bin ich inzwischen gewöhnt.

Er beugte sich herunter zu mir und küsste mich. Als seine eisigen Lippen meine berührten, bäumte mein Oberkörper sich auf um ihm noch näher zu kommen. Ich saugte seinen Geruch in mich ein, ließ mich von meinen Gefühlen tragen, von meiner Gier und Lust überrollen.

Auch Ansgar ließ sich gehen, schien seine Beherrschung zu verlieren. Aus seinem Inneren hörte ich immer wieder ein Knurren, ab und zu unterbrochen von diesem Löwengebrüll, das ich schon mal hörte. Ich hatte keine Angst davor, eher ganz im Gegenteil.

Unsere Hände flogen nur so über unsere Körper, tasteten uns ab, streichelten uns, verkrallten sich in unser kaltes Fleisch.

Plötzlich wurde sein Brüllen lauter, wilder, dann spürte ich seine Zähne, wie sie durch meine Haut drangen, in meinem Hals versanken.

Laut stöhnte ich auf, mein Körper bäumte sich ihm entgegen, um noch näher bei ihm zu sein.

Ich war nur wenige Zentimeter von seinem Hals entfernt. Ohne darüber nachzudenken, schlug ich meine Zähne in seine reine, weiße Haut. Er riss seinen Kopf in den Nacken und brüllte kurz. Von seinen langen Zähnen sah ich Blut spritzen, mein Blut. Dann versenkte er sie wieder in meinen Hals.

Es war ein unheimliches Gefühl, sein Blut zu trinken, es wärmte mich nicht, es war kalt.

Aber mich durchströmte dennoch ein warmes Gefühl, ein mächtiges Gefühl. Es war so, als konnte ich plötzlich seine Gedanken lesen, wusste was er weiß, roch, was er je gerochen hatte und schmeckte, was er je geschmeckt hatte.

Es war so, als wusste ich alles von ihm – auch dass er mich liebte.

Keuchend sank ich zurück auf das Kissen, blickte auf seinen Hals und sah, dass sich die Wunden schon von selbst geschlossen hatten. Auch er ließ von mir ab, aber nicht ohne die Einstichstellen, wieder zu verschließen.

Er legte sich auf den Rücken, sein Atem ging immer noch zu schnell. Seine Augen waren geschlossen, er schluckte einmal. Ich legte meinen Kopf auf seine nackte Brust und hörte seinen Atem, sein Blut rauschte. Er strich mir übers Haar. Es war ein schöner Moment, ein vertrauter Augenblick, ich mochte ihn nicht zerstören. Also versuchte ich an nichts zu denken, damit seine Stimme nicht in meinem Kopf erklang. Aber ich konnte es nicht ganz verhindern, ich dachte gerade, wie angenehm seine regelmäßigen Atemzüge auf mich wirkten, da hörte ich auch schon seine Stimme in mir: Dum spiro spero, solange ich atme, hoffe ich.

Ich drehte meinen Kopf um ihn anzuschauen

Auf was hoffst du denn? Fragte ich in Gedanken. Er hielt immer noch die Augen geschlossen.

Frieden, Vernunft, Vertrauen, Gerechtigkeit und Liebe.

Er öffnete seine Augen, sie hatten sich verändert, das Feuer in der Mitte war weg, es war nur noch die schwarze Pupille zu sehen. Die braune Lava floss noch langsam im Kreis darum herum, begrenzt von dem feinen, dünnen Ring aus roter Glut.

Frieden, Vernunft, Vertrauen, Gerechtigkeit und Liebe, sprach ich seine Hoffnungen in Gedanken nach. Darauf lohnt es sich zu hoffen, ein Leben lang zu hoffen.

Bist du ohne Hoffnung?

Sein Gesicht war völlig entspannt.

Nein, dachte ich, ich habe andere Hoffnungen, wir unterscheiden uns von einander.

Aber nicht sehr, sag mir deine Hoffnungen.

Ich hoffe auf eine gute Beute,

Ah, spe praedea adductus, unterbrach er mich.

Ein glückliches Leben, Gerechtigkeit und Liebe, darauf hoffe ich auch.

Siehst du, so unähnlich sind wir uns gar nicht. Er lächelte leicht.

Heute Nacht hoffe ich vor allem auf den Sieg.

Vae victis, wehe den Besiegten.

Ansgar? Ich mochte immer noch nicht sprechen, ich wollte diese Stille nicht zerstören.

Hm-m? Brummte er in meinem Kopf

Sind meine Augen wieder normal? Ich meine, sehen sie wieder normal aus, ohne diese … diese desperatio, ohne die Verzweiflung?

»Ja«, seine Stimme klang laut, in der Stille des Zimmers.

Ich legte meinen Kopf erneut auf seine Brust.

»Ich danke dir.«

Te amo hörte ich ihn in meinem Kopf flüstern. Wieder strich er mir übers Haar.

Ich schloss meine Augen und genoss seine sachten Berührungen. Irgendwann schlief ich ein.

Als ich sie wieder öffnete umgab mich eine vollkommene Dunkelheit. Ich merkte, dass ich alleine war. Ansgar war gegangen, ich wusste nicht wann. Ich seufzte tief und lang.