Natascha

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Die Hände, vergraben in seiner leichten Jacke, entfernte er sich zwei Schritte, dann blieb er stehen.

Sofort drohte der Kloß meinen Hals zu sprengen und die kalte Hand mein Herz zu zerquetschen.

Frank machte sich nicht die Mühe sich umzudrehen.

»Denk an meine Worte, ich habe dich gewarnt.«

Zu keiner Antwort fähig, konnte ich nur stumm nicken. Das genügte ihm scheinbar und er schlenderte über die Brücke, in Richtung der reichen Seite.

Mit einem zittrigen Seufzer fiel auch die Furcht von mir ab, was blieb, war nur Wut und Hass, auf ihn und mich selbst.

Darauf, dass ich mich nicht beherrschen konnte und das ich mich damals dem Clan anschloss. Wenn ich das nicht getan hätte, wäre ich jetzt ein freier Vampir, ich könnte tun und lassen was immer ich wollte. Niemandem müsste ich Rechenschaft ablegen, keiner würde mich fortwährend ausfragen.

Was gut und richtig, oder falsch und schlecht wäre, müsste ich selbst entscheiden.

Mein bester Freund, Josh, lebt genau nach diesen Prinzipien.

Meine Faust schlug gegen das Geländer. Genau diesen Freund werde ich jetzt aufsuchen. Ich sehnte mich nach einem freundlichen Gesicht, nach einem frechen Grinsen, nach jemandem, der mich verstand.

Ich ging über die Brücke, dem Sonnenaufgang entgegen.

Joshs Buchladen war von der Sorte: 24 Stunden geöffnet und hier bekommen Sie alles. Ein regelrechter Hexenladen war das und er lag im östlichen, dem ärmeren Teil unserer Stadt.

Ich machte mich auf den Weg.

Mein Wagen, ein 66er Mustang Convertible, stand noch bei mir zuhause in der Tiefgarage, so ging ich den ganzen Weg, zu Josh’ Hexenladen, zu Fuß.

Die Sonne war schon ein gutes Stück den Himmel hinaufgeklettert, als ich endlich vor Joshs Buchladen ankam.

Nur gut, dass uns Geschöpfe der Nacht die Helligkeit nichts ausmacht, dass wir nicht, wie in den unzähligen, lächerlichen Büchern und Filmen über uns, einfach zu Staub zerfallen.

Es bedarf schon einiger Anstrengungen, um einen Vampir, von diesem Dasein, ins nächste zu schicken.

Uns den Kopf abschlagen, das ist schon mal eine sehr gute und zuverlässige Möglichkeit. Feuer ist auch sehr effektiv.

Ein Genickbruch lähmt uns nur, für die Zeit, die unsere toten Körper brauchen, um die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Alle anderen Wunden verschließen sich innerhalb kürzester Zeit, Schmerzen können wir sehr gut ertragen.

Wir essen nicht, wir trinken nicht, es sei denn, es handelt sich um Blut, möglichst frisch aus der Vene.

Alternativ kann es auch aus der Konserve kommen.

Eine kleine Firma im östlichen Teil der Stadt spezialisierte sich darauf. Sie bezogen das Blut von verschiedenen Orten, Blutbanken, freiwillige Spender und wer weiß noch, woher.

Sie füllten es in schmale Konservenbüchsen, ähnlich einer Limo-Dose, ab und verkauften es an die Vampire in der Gegend.

Der Erlös aus dem Verkauf ging fast vollständig an den hohen Rat der Vampire, der Abfüller erhielt nur einen verschwindend geringen Teil für seine Arbeit.

Der hohe Rat aber gab das Geld an uns weiter, hat man je einen armen Vampir getroffen? Wir sind immer flüssig.

Je mehr Konservenblut wir konsumierten, umso mehr Geld konnte der Rat an uns verteilen.

So war allen geholfen: Den Menschen, da nicht mehr so viele von ihnen getötet wurden, und den Vampiren, sie brauchen nicht mehr jagen und es drohte keine Aufdeckung unserer Geheimnisse.

Somit waren alle glücklich, wenn auch die Blutsäcke, ohne etwas davon zu ahnen.

In Gedanken versunken betrachtete ich das Geschäft von außen. Die beiden Fenster, links und rechts der Eingangstür, waren verdunkelt. Es war nicht möglich, einen Blick in das Innere zu werfen.

Josh hatte auch keine Waren in den Fenstern ausgestellt, nur über der Tür prangte eine rote Leuchtreklame. Joshs Buchladen stand in verschnörkelter Neonschrift an der Wand. Tag und Nacht leuchtete sie, seit ich Josh kannte, erhellten die fünfzehn Zeichen den Eingangsbereich und tauchten ihn in ein schauriges, blutiges Licht.

So auch heute, schmunzelnd, über die Tatsache, dass man sich auf Josh scheinbar immer verlassen konnte, stieg ich die drei ausgetretenen Steinstufen empor und stieß die Tür zu seinem Laden auf.

Ein zartes Glöckchen ertönte, ein Schock für die Nase erwartete mich hinter der Tür.

Es roch nach … Nichts.

Das stimmte nicht ganz, es hing natürlich ein Geruch in der Luft, aber der war so gut wie Nichts wert.

Es roch nach Staub, trockener Luft und dem pergamentartigen Geruch eines Vampirs.

Josh stand hinter dem Verkaufstresen, auf seine Ellenbogen gestützt und blickte mir freundlich entgegen.

Josh gehörte noch nie zum Clan und wird es auch nie. Er und Frank konnten sich nicht leiden, es bestand sogar so etwas wie eine Todfeindschaft zwischen ihnen.

Gut für mich, so konnte ich mit Josh über Dinge sprechen, die nicht für die Ohren meines Mentors bestimmt waren.

»Hallo Natascha, schön dich zu sehen.« Josh grinste breit und sah, wie immer, einfach wunderschön aus.

»Was führt dich in mein Geschäft?«

Er kam hinter seinem Tresen hervor, trat an mich heran und umarmte mich. Abermals atmete ich diesen eigenartigen Papiergeruch ein.

Eigentlich müsste ich genauso riechen, wusste jedoch, dass es nicht so war.

Wie zur Bestätigung hielt Josh mich auf Armeslänge fest und blickte mich an.

»Du duftest immer noch genau so gut wie früher. Daran hat sich nichts geändert.« Er drückte mich wieder an sich.

»Das ist sehr schön.«

Ich hörte ihn seufzen und spürte, wie er tief einatmete.

Ich kannte Josh noch aus meiner Halbblutzeit, meistens traf ich ihn im Desmodus, ich war aber auch hin und wieder hier bei ihm im Buchladen. Niemals erzählte ich Frank davon.

Josh war ungefähr im gleichen Alter wie ich. Natürlich im menschlichen Alter, nicht das Alter als Vampir, da dürfte er mir so um die dreihundertachtzig Jahre voraus haben.

Er wollte mich damals immer von Frank weg locken, erzählte mir die schlimmsten Schandtaten über ihn. Sein Leben als freier Vampir versuchte er mir schmackhaft zu machen. Damals war ich aber noch von Frank abhängig und auch so fasziniert von ihm, dass ich nie auf Josh hörte.

Jetzt sah die ganze Sache anders aus, derzeitig beneidete ich ihn um sein Leben ohne Regeln.

Ich befreite mich sanft aus Joshs Umarmung und sah mich in seinem kleinen Geschäft um.

Ehrfurchtsvoll bestaunte ich jedes Stück in diesem regelrechten Hexenladen. Auch, da ich wusste, wie stolz Josh auf seine Sachen war. Zuerst erschlug einen die Vielfalt der Dinge nahezu, aber man gewöhnte sich daran.

Eine Wand von Joshs Laden nahm ein überdimensionales Regal ein, vollgestopft mit Büchern. Romane, Geschichten, Gedichte, Reiseführer, Hexenbücher und Bücher über Liebe, Tod und auch Vampire. Teils Neue, aber auch so alte Bücher, dass man meinen könnte, Josh hätte sie selbst aus den vergangenen Jahrhunderten seines Daseins mitgebracht.

Die Decke hing mit unzähligen Traumfängern und Lampions voll. Überall standen kleine, verzierte Tischchen, aus verschiedenen Zeitepochen. Waffen hingen an den Wänden verstreut. Gewehre, Pistolen, Schwerter und Säbel. Dazwischen, an goldenen Kordeln immer wieder Bilder und kleine Wandteppiche.

Überall stand, lag und hing etwas. Es war einem schlicht unmöglich, hier etwas Bestimmtes zu finden.

Wenn man nach was speziellen suchte, war es ratsam, Josh zu fragen, er kannte jeden seiner Gegenstände und auch die dazugehörigen Geschichten.

Fast schon zärtlich dirigierte Josh mich zu zwei altmodischen und abgewetzten Sesseln.

»Was kann ich denn für meine Süße tun?«, fragte er mit seidenweicher Stimme.

Lächelnd betrachtete ich ihn, seine blonden, zerzausten Haare, die blauen Augen, sein feines, glattes Gesicht. Er war eine wirklich hübsche Ausgabe eines Blutsaugers.

Sein Blick wurde intensiver, das Blau eine Spur dunkler. Verlegen fixierte ich einen Punkt vor mir, auf dem, mit alten Perserteppichen bedeckten, Boden. Ich wusste, dass Josh ein bisschen verliebt war, in mich, ich wusste es, da er es mir irgendwann, in einer schwachen Stunde, gestand.

Ich erwiderte seine Gefühle nicht, für mich war er nur der beste Freund, den man haben konnte. Das alles machte unser Verhältnis zu einer komplizierten und manchmal peinlichen Sache.

Sich seiner Wirkung auf mich voll bewusst, setzte er sich mir gegenüber in den Sessel. Völlig entspannt lehnte er sich, mit einem frechen Grinsen auf den Lippen, zurück.

»Nun sag endlich, was kann ich für dich tun, Natascha?« Wieder diese seidenweiche Stimme, die mich erschauern ließ.

»Eigentlich nichts Besonderes«, antwortete ich und lächelte schief.

Joshs selbstgefälliges und wissendes Grinsen machte mich wütend, aber ich beherrschte mich.

»Du kommst also den weiten Weg hier in meinen bescheidenen Laden, um … was? Nichts zu wollen?« Ein verächtliches Schnauben kam aus seinem Mund.

»Das mag glauben, wer will«, umständlich stemmte er sich aus dem Sessel, »ich jedenfalls nicht.«

»Warte Josh«, beeilte ich mich zu erwidern, »ich will schon was von dir. Aber …«, erneut starrte ich betreten zu Boden.

»Aber?«, fragte er gedehnt.

Ich sah ihn von unten her an. »Aber es ist nichts Wichtiges. Ich war nur auf der Suche nach einem freundlichen Gesicht und vielleicht ein paar netten Worten.« Ich seufzte. »Nettere als ich die letzten Stunden gehört habe.«

Josh hob fragend eine Augenbraue, bis sie fast in seinen blonden Haaren verschwand.

 

Leise erzählte ich ihm von den vergangenen Stunden. Meiner verbotenen Jagd und meinem Treffen mit Frank.

Als ich meine kurze Geschichte beendete, seufzte Josh auf und nahm zart meine schmale Hand in seine.

»Warum tust du dir das nur an?«, fragte er und zeichnete dabei die feinen Linien auf meinem Handrücken nach.

»W-Was meinst du?«

»Na ja, die Jagd ist unsere Leidenschaft, wir sind wie Raubtiere, die werden auch unzufrieden mit der Zeit, wenn man sie nur mit totem Fleisch ernährt.«

Fragend sah ich Josh in die leuchtend blauen Augen.

»Du willst jagen, Süße. Das liegt dir im Blut. Du möchtest kein schlechtes Gewissen haben. Tja, und dann noch Frank, dieser verdammte Bastard, der meint alles beherrschen zu können und der Clan, mit seinen mehr als zweifelhaften Aufgaben. Das alles meinte ich. Also, ich frage nochmals: Warum zum Teufel tust du dir das alles an.«

»Ich … ich … ich weiß es nicht«, erwiderte ich zögernd.

»Das dachte ich mir schon«, murmelte Josh und lachte kurz.

»Bist du einen Vertrag mit Frank eingegangen?«, er sah mich lauernd an, »oder hast du einen Pakt mit dem Mistkerl geschlossen?«

Energisch schüttelte ich mit dem Kopf. »Nein. Nein natürlich nicht. Josh, wofür hältst du mich?«

»Es war nur ‘ne Frage«, seine Stimme ging in ein entschuldigendes Gemurmel über.

Ganz plötzlich strafften sich seine Schultern, mit einem Ruck stand er auf, in derselben Sekunde riss er mich aus dem Sessel hoch in seine Arme. Ich war viel zu erschrocken und erstaunt, dass ich zu einer Gegenwehr bereit wäre.

Seine kalten Arme lagen eng um meinen Körper, dicht an meinem Ohr hauchte er:

»Natascha, Süße, willst du nicht bei mir bleiben? Wir könnten Gefährten werden. Pfeif doch auf die ganze Kodex Sache. Bei mir … mit mir gäbe es ein Leben ohne die verdammten Regeln. Du könntest jagen wen und wann du willst. Es wäre auch ein Leben ohne schlechtes Gewissen.«

Ich lehnte meine Wange gegen seine eiskalte Schulter und dachte über seine Worte nach. Während Josh mir sacht übers Haar streichelte, kreisten meine Gedanken um die Möglichkeiten, die er mir soeben offenbarte.

Mit seinen kurzen Worten, öffnete er mir eine Welt, nach der ich mich insgeheim schon lange sehnte.

Ein Dasein ohne Regeln, ohne den Kodex und vor allem … ohne Frank.

»Bekomme ich noch eine Antwort, bevor ich alt und grau bin und am Krückstock gehe?« Joshs Stimme klang amüsiert, aber es schwang auch ein angespannter Ton darin.

Ich kicherte. »Sicher doch. Ich war nur in Gedanken versunken.« Sanft drückte ich ihn von mir und setzte mich behutsam zurück in den Sessel.

Er nahm mir gegenüber Platz. »Und deine Gedanken ergaben … Was?«

Ich holte tief Luft.

»Du hast völlig recht Josh. Die Zeit ist reif für Veränderungen. Aber ich werde, wenn ich erst den Clan verlassen habe, die Stadt wechseln müssen. Sie … ER wird hinter mir her sein und er wird verdammt wütend sein.«

»Das kommt überhaupt nicht in Frage.« Vertrauensvoll legte mir Josh seine Hand aufs Knie. »Du wirst am besten hier bei mir bleiben, nur hier bist du sicher. Ich werde dich beschützen.«

Was er sagte, flößte mir Vertrauen ein, ich war tatsächlich bereit Frank und den Clan zu verlassen, um ein Dasein in Freiheit zu führen. Ich konnte es selbst nicht richtig glauben.

»Aber es geht noch nicht sofort«, sagte ich leise und beschwor sofort einen säuerlichen Gesichtsausdruck bei ihm hervor.

Ich beeilte mich weiter zusprechen.

»Ich werde noch einen Auftrag erledigen.«

Joshs Miene hellte sich wieder ein wenig auf.

»Einen?«, fragte er misstrauisch.

»Ja, nur einen einzigen. Ich verspreche es dir.«

»Nun gut, wenn es sich wirklich nur um einen Auftrag handelt, meine Süße.« Er stand auf und lächelte auf mich herab.

»So lange kann ich wohl noch warten, schließlich hoffe ich schon sehr lange auf eine Änderung deiner Sichtweise der Dinge.« Er drehte sich um und ging in Richtung seiner Theke.

Verwirrt erhob ich mich.

»D-Du wartest? W-wie lange denn sch-schon?«

»Willst du was trinken?« Er überhörte meine Frage und goss stattdessen Konservenblut in zwei Gläser.

»Nein danke. Beantworte bitte meine Frage, Josh.«

Er stand mit dem Rücken zu mir, aber ich sah, wie er in der Bewegung verharrte. Er drehte sich nicht um, als er leise meinte:

»Schon lange, Natascha. Schon verdammt lange.«

Josh stellte ein mit Blut gefülltes Glas in die Mikrowelle und schaltete sie ein, dann trafen sich unsere Blicke.

»Eigentlich schon, solange wir uns kennen.«

Ich schluckte und wusste keine Antwort darauf.

»Willst du wirklich nichts?«, fragte er lakonisch und zeigte auf die noch laufende Mikro.

Ich schüttelte mit dem Kopf. »Danke Josh, aber ich hatte schon genug.«

Ein schiefes Grinsen erschien auf seinem Gesicht.

»Genug von … Was?«

Ich holte tief Luft. »Von allem. Und jetzt muss ich gehen. Heute Abend ist ein Treffen und da sollte ich ausgeruht sein.«

»Wie du meinst«, murmelte er und nahm das erwärmte Blut aus der Mikrowelle. Genüsslich hielt er es sich unter die Nase. Mit geschlossenen Augen zog er den Geruch des Blutes ein.

Ich spürte, wie sich mein Mund schmerzhaft zusammen zog, jetzt war es wirklich an der Zeit diesen Ort zu verlassen.

»Auf bald, Josh«, hauchte ich und drehte mich brüsk um.

»Bis bald… hoffe ich doch. Ich werde auf dich warten, meine Süße.«

Seine Worte kreisten in meinem Kopf. Den ganzen Weg, bis zu mir nach Hause, konnte ich an nichts anderes mehr denken, als nur an Joshs letzte Worte.

Bei mir angekommen, widerstand ich der Versuchung, mir eine Dose Blut zu erwärmen, ich wollte einfach so lange wie möglich damit warten. Zu köstlich war das echte, solange es noch in meinem Körper kreiste, schüttete ich keine gepanschte Blutmixtur darauf.

Ich wohnte in einem der vielen Hochhäuser, fast am Ende der Stadt. Im Obersten Stockwerk befand sich ein kleines Appartement mit großer Dachterrasse. Es bestand nur aus einem Zimmer: Dem Wohnzimmer.

Da wir Vampire nicht schlafen, benötigte ich auch kein Bett, falls ich das Bedürfnis hatte mich auszuruhen, legte ich mich einfach auf mein kleines Sofa. Ein Esstisch war ebenso wenig nötig, wie eine voll ausgestattete Küche. Eine kleine Küchenzeile mit Mikrowelle, ein Kühlschrank und Platz für ein paar Gläser genügten völlig für meine Bedürfnisse. In meinem winzigen Badezimmer war gerade Platz für eine Dusche und das Waschbecken, die Toilette diente mir nur als Sitzplatz.

Schwer plumpste ich auf das Sofa, warf einen Blick aus den großen Fenstern und dachte nach.

Ich bewohnte zwar den östlichen Teil der Stadt, aber meine Terrasse ging nach Westen hinaus, der untergehenden Sonne entgegen. So konnte ich nicht nur sehen, wie die Dunkelheit herauf kroch, auch den Fluss, die Brücke und den Bezirk der Reichen konnte ich ausmachen.

Ich überlegte, ob das wirklich so eine gute Idee war, mich nach dem nächsten Auftrag von Frank und dem Clan zu trennen. Was würde mich erwarten? Konnte ich wirklich hier in der Stadt bleiben, wie es mir Josh versicherte? Das kam vielleicht darauf an, wie ich mich vom Clan trennte, im Guten, oder im Schlechten. Wir werden sehen.

Ich lehnte meinen Kopf seufzend gegen die Lehne und schloss die Augen.

Als ich sie wieder öffnete und einen erneuten Blick aus meiner Terrassentür warf, stellte ich verwundert fest, dass ich die Sonne sah. Es musste also später Nachmittag sein.

Ich hatte mich den gesamten Tag ausgeruht, ohne die kleinste Störung.

Ich duschte ausgiebig und zog mich an.

Um achtzehn Uhr machte ich mich auf, zu Franks Haus. Er wohnte sehr weit draußen, außerhalb der Stadt. Das hieß, dass ich mein Auto nehmen musste.

Ich ging durch das Treppenhaus in die Tiefgarage,

Aufzüge machten mich nervös.

In ihnen konzentrierte sich die Luft, der Geruch der Menschen konnte nicht entweichen. Er stand förmlich in dem kleinen Raum, füllte ihn komplett aus, und war für mich kaum auszuhalten, besonders wenn der Geruchsträger noch mit mir zusammen eingeschlossen war. Auch wenn die Fahrt nur wenige Sekunden dauerte, konnte es für das Menschlein bedeuten, dass meine Zähne das Letzte war, was er in seinem Leben zu sehen und zu spüren bekam.

Um dieser schier unausweichlichen Tat aus dem Wege zu gehen, benutzte ich die Treppe.

In der Tiefgarage stank es nach Gummi, Benzin und Bremsstaub. Aber noch einige andere Gerüche mischten sich unter die Vorherrschenden.

Menschliche Gerüche, nach Hektik, Schweiß, Angst, und Streit.

Tief atmete ich ein und ging gelassen zu meinem Parkplatz mit der bezeichnenden Nummer 666.

Mein 66er Mustang stand neben einem anderen Wagen, aus dem, genau in dem Moment, einer der Mieter ausstieg. Ausgerechnet.

Das Verdeck war von meiner letzten Spritztour noch offen, somit konnte ich mich nicht schnell in meinem Wagen verschanzen. Es war aber auch zu bedauerlich.

Als ich an meinem Parkplatz ankam, stand der Mensch noch immer neben seinem Auto und sah zu mir herüber. Ich würdigte ihn keines Blickes, starrte stattdessen auf den roten Lack meines Flitzers, der matt in der Neonbeleuchtung glänzte.

Der Kerl umrundete meinen Wagen, kam schnellen Schrittes auf mich zu und sagte mit einer netten leisen Stimme.

»Entschuldigen Sie bitte, mein Name ist Ralph und Sie müssen Natascha sein.« Dabei streckte er mir seine Hand entgegen.

»Sie wohnen über mir«, setzte er lächelnd hinzu.

Ich blickte auf seine Hand und sah sein Blut durch die Adern pulsieren.

Unwillkürlich leckte ich mir über die Lippen, ergriff dennoch seine Hand und drückte sie flüchtig.

»Ja, kann sein«, gab ich zurück und schenkte ihm einen verlockenden Augenaufschlag.

»Ich hoffe, ich bin nicht zu laut und störe Sie und … «

Ein schneller Blick zu seinem Wagen, der sich als regelrechte Familienkutsche entpuppte. » … ihre Familie nicht. Ich bin leider ein Nachtmensch.«

Er ließ meine Hand los.

Schade. Zu gerne hätte ich ihn an mich gerissen und meine Zähne in seinen hübschen Hals versenkt. Für den Bruchteil einer Sekunde erwägte ich dieses Szenario, aber nur um es genauso schnell wieder zu verwerfen.

»Nein«, meinte er und wurde sichtlich verlegen.

»Ich lebe alleine … k-keine Familie. Den großen Wagen fahre ich nur, weil er mir … na ja, gefällt.«

Er wand sich förmlich vor Verlegenheit und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

»Und, nein, Sie sind nicht laut, ehrlich gesagt höre ich Sie gar nicht. Ich weiß nur das Sie über mir wohnen, von der letzten Versammlung, da … Sie waren zwar nicht da … aber … ich … eh …« Er geriet mit seiner Erklärung ins Trudeln, es war einfach zu köstlich.

Ich hörte mein helles Lachen von den Wänden und der niedrigen Decke der Tiefgarage abprallen

»Es ist schon gut«, beruhigte ich ihn, immer noch lachend. »Vielleicht begegnen wir uns ja noch einmal wieder, dann können Sie versuchen den Satz zu vollenden.«

Vor mich hin kichernd ging ich zu meinem Mustang und öffnete die Tür.

Ich warf einen letzten Blick zurück.

Er stand hinter meinem Wagen, die eine Hand in der Hosentasche, die andere schüchtern zu einem letzten Gruß erhoben.

»Na dann, auf Wiedersehen, bis zum nächsten Mal«, sagte er leise. Ich nickte ihm zu, schwang mich auf den Sitz und startete den Mustang. Der satte, tiefe Sound des 4,7 Liter, V8 Motors verursachte mir, wie immer, eine kurzes Kribbeln und meine Nackenhaare stellten sich auf.

Ich griff nach meiner Sonnenbrille und setzte sie auf, draußen schien noch kräftig die Sonne.

Als ich kurz in den Rückspiegel sah, stand der Kerl immer noch hinter meinem Wagen, die Hand zum Gruß erhoben.

Menschlein, dachte ich bei mir, wenn du jetzt nicht verschwindest, kann ich für nichts mehr garantieren. Dann wird dein Blut fließen, so oder so.

Ich drehte mich in meinem Sitz nach ihm um, schob meine Sonnenbrille in die Haare, blickte ihn an und hob fragend die Hand.

Er verstand und erwachte aus seiner Starre.

»O-oh«, hauchte er und trat endlich beiseite.