Natascha

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Das Halbblut



Ich fuhr meinen Roten aus der Parklücke, in Richtung Ausfahrt.



Endlich raus aus diesem stickigen Loch von Tiefgarage, wo sich der Geruch viel zu lange hielt. Wo er in einer brutalen Konzentration an den Wänden und der Decke wie eine Nebelschwade entlang schwebte.



Ich machte ein paar lange Atemzüge als ich endlich auf der Straße dahin fuhr, saugte die schöne und noch sehr warme Luft in mich ein.



Als ich bei Franks Haus ankam waren es noch zehn Minuten bis zur vereinbarten Zeit. Ich war also fast pünktlich. Es stand noch kein anderer Wagen hier.



Ich parkte auf meinem Stammplatz, vor Franks Haus. Es gab keine unmittelbare Nachbarschaft und somit auch keine neugierigen Nasen, die sich an den Fenstern plattdrückten.




Langsam stieg ich die Stufen zur Eingangstür empor und klingelte. Frank öffnete mir fast augenblicklich, als hätte er hinter der Tür gelauert. Er begrüßte mich mit einer seidenweichen Stimme, die fast alle Vampire beherrschen.



»Tascha, wie schön das du da bist, komm bitte herein.«



Kaum wagte ich einen Schritt in seinen Flur, traf es mich auch schon wie eine Ohrfeige. Dieser alte Geruch, die anderen waren also schon da.



Erst kurz vor der Tür zum Wohnzimmer bemerkte ich, dass etwas anders war.



Ein feiner, leichter Duft, der sich nur ganz schwach von dem alten, pergamentartigen Geruch der Vampire abhob. Ich blickte Frank an und sagte grinsend.



»Oh, du hast Horsd’œuvre für uns?«



»Nein«, meinte er und seine Stimme wurde hart. »Lass die Finger und Zähne bei dir, Tascha, ich warne dich!«



Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse.



Frank stieß die Tür zum Wohnzimmer auf und ließ mich vorgehen.



Kaum einer beachtete mich, nur Thomas nickte mir kurz zu. Ich platzierte mich neben dem großen, offenen Kamin, den Frank tatsächlich anfeuerte. Die pure Nostalgie, im Hochsommer. Langsam wanderte mein Blick im Raum umher.



Fast tausend Jahre Vampirdasein saßen hier zusammen.



In der Mitte des Raumes stand ein kleiner niedriger Tisch und um ihn herum, im Halbkreis aufgestellt, sechs gemütliche Sessel die alle, bis auf einen, besetzt waren, mit Vampiren.



Ganz rechts saß Michael. Er war dreißig Jahre lang schon ein Vampir, bevor er 1774 offiziell starb. Er war ein evangelischer Geistlicher und Vampirforscher. Er tat viel für unsere Art und lenkte die Blutsäcke von unserer, früher doch sehr deutlichen Spur, ab. Er war damals auch einer der Vampire im hohen Rat, die zu jener Zeit die Clans der Vampire ins Leben riefen.



Neben ihm saß Richard der erst kurz vor seinem eigentlichen Tod 1812 verwandelt wurde. Auch ein ehemaliger Vampirforscher.



Dann kam Thomas, von dem ich wusste, das er 1724 in dem Dorf Kisolova in Bosnien die Vampirepidemien anführte, und ein regelrechtes Gemetzel unter den Einwohnern verursachte. Er war ganz nett und nicht so überheblich wie die anderen zwei.



Neben ihm saß Elisabeth, eine rothaarige Schönheit mit makelloser, weißer Haut, sie unterhielt sich angeregt mit Thomas. Von ihr wusste ich nicht viel, aber sie war mit Sicherheit auch aus dem 18. Jahrhundert.



Und schließlich Jeanie, das Teufelsweib. Ein echt fieser Blutsauger, dem

ich

 noch nicht einmal im Dunklen begegnen mochte. Sie war die Spionin der

Obrigkeit

 und dachte, keiner wüsste es. Natürlich wusste jeder davon und somit wurde sie gemieden wie die Pest. Wer mochte sich schon für jedes seiner Worte an höherer Stelle rechtfertigen müssen.



Der Sessel neben ihr war leer und ich bedauerte, dass ich nicht noch früher von zu Hause losgefahren war, dann hätte ich mir einen Platz in dieser Riege der Vampire aussuchen können. Ich hätte mich bestimmt nicht freiwillig neben

Spionin Pestbeule

 gesetzt.



Franks Sessel stand an der Wand, gegenüber dem Halbkreis, und in dem Sessel neben Frank saß … ein Mensch.



Ein junger Kerl, von vielleicht fünfundzwanzig, ziemlich schlaksig, mit braunen, zerzausten Haaren und braunen Augen, die unruhig hin und her blickten.



Frank mutete uns ganz schon was zu. Ich zog die Luft durch die Nase ein



Nein, dachte ich und verdrehte die Augen zur Decke, er ist ein verdammtes

Halbblut

.



Ich sah Frank fragend in die Augen, der mir gerade eines seiner schönen Kristallgläser reichte. Darin bewegte sich sacht eine dunkelrote Flüssigkeit.



»Danke«, murmelte ich und deutete mit dem Kinn in Halbbluts Richtung. »Was soll das?«, flüsterte ich.



»Beruhige dich, das wirst du schon sehen«, gab er leise zurück. »Setz’ dich bitte.«



Ich verzog erneut das Gesicht und nahm Platz neben

Spionin Pestbeule

. Dabei rückte ich in dem Sessel so weit von ihr weg wie es nur ging. Wer weiß, vielleicht hatte sie ja eine ansteckende Krankheit. Um mich abzulenken roch ich an dem Glas, das Frank mir gereicht hatte.



Hm, eine Konserve, dachte ich und stellte das Glas unberührt auf dem kleinen Tisch ab. Mit Sicherheit würde ich jetzt auf mein kleines Blondinchen kein Blut aus der Konserve kippen. So nötig hatte ich es auch wieder nicht.



Alle anderen Gläser waren bereits geleert und standen auf dem Tisch. Es sah merkwürdig aus, dass mein Glas als Einziges noch voll war. So nahm ich es wieder in die Hand und ließ meinen Finger sachte auf dem Rand des Glases gleiten.



Dabei blickte ich mir das Halbblut näher an.



Recht hübsch war er, nette Augen, unauffällig zog ich die Luft aus seiner Richtung ein. Roch herrlich der Junge, geradezu irre köstlich. Ich merkte, wie sich mein Mund zusammenzog und meine Zähne ihr Eigenleben aufnahmen. Erschrocken schloss ich meine Augen und kämpfte gegen die Empfindung an.



Dieses unheimliche Gefühl, sofort aufzuspringen und dem Jüngling meine Zähne in den Hals zu schlagen, um seinen köstlichen Duft in mich aufzusaugen.



Als hätte er meine Gedanken erraten räusperte sich Frank umständlich. Ich öffnete meine Augen und sah seinen Blick auf mir ruhen. Ich wich ihm aus und sah zum Kamin, in das Feuer.



Er räusperte sich erneut und blickte die anderen Vampire, einer nach dem anderen, an. Sein Glas war bereits geleert, dennoch hielt er es in seiner Hand



»Meine lieben Freunde«, seine Stimme faszinierte mich immer wieder aufs Neue.



»Uns steht wieder mal eine große Jagd bevor. Einige Individuen haben sich zusammengeschlossen und ein schändliches Verbrechen verübt.«



Ich ahnte, worauf er anspielte. Es war letzte Woche in allen Zeitungen: Ein mörderisches Blutbad, das ganz harmlos mit einem einfachen Bankraub und ein bisschen Geiselnahme ihren Anfang nahm. Nichts Besonderes eigentlich, aber irgendwann lief alles aus dem Ruder und die Bankräuber töteten ihre Geiseln einer nach dem anderen. In dem ganzen Chaos gelang es tatsächlich allen Tätern zu fliehen. Wie genau die das angestellt haben, war allen ein Rätsel.



Wie ich mir dachte, erzählte Frank gerade die ganze Story.



»Es sind derer vier Täter, die wir jetzt endlich ausmachten. Sie hatten sich mit der Beute getrennt, somit war es schwerer für uns, sie zu finden, es hat ein wenig gedauert.«



Na ja, eine Woche fand ich nicht lange, vor allem da die örtlichen Behörden immer noch vollkommen im Dunklen tappten.



»Michael wird einen übernehmen und Richard einen. Ich werde euch die nötigen Instruktionen gleich noch schriftlich übergeben.« Beide Angesprochenen nickten leicht mit ihren Köpfen.



»Tom und Elisabeth, ihr werdet zusammenarbeiten und euch über den dritten Bankräuber hermachen.«



Beide blickten erst sich gegenseitig und dann Frank erstaunt an. Zusammenarbeit, so etwas war schon lange nicht mehr vorgekommen. Aber sie würden gehorchen, wie wir alle. Franks Wort galt.



»Tascha«, ich zwinkerte kurz und holte schon mal tief Luft, um zu protestieren, falls Frank vorhatte mich mit Pestbeule Jeanie zusammen arbeiten zulassen.



»Du nimmst Justin mit.« Er deutete auf das Halbblut, der angespannt in dem Sessel neben ihm saß.



»Du wirst ihm jede Frage beantworten, erklärst ihm alles«, Frank blickte mir eindringlich in die Augen. »Zeigst ihm alles was er wissen muss, und … du beherrschst dich!« Sein Blick war starr und kalt.



»Klar, kein Problem«, antwortete ich ihm, »wo hast du die Unterlagen für mich?«



Plötzlich wollte ich so schnell wie möglich hier raus. Ich wollte die Luft draußen einatmen, hier drinnen war es zu stickig. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Was natürlich irrational war, da wir eigentlich gar nicht atmen müssen, es ist nur noch eine Art Reflex. Vampire können die Luft auch einfach anhalten, aber es ist ein zu seltsames Gefühl.



Ich stellte mein, immer noch volles Glas, geräuschvoll auf dem Tisch ab, stand auf und schnappte mir den braunen Umschlag, den Frank mir hinhielt.



Mit einem Blick auf das Halbblut sagte ich zu ihm:



»Ich warte im Auto auf dich.«



Dann drehte ich mich um und ging mit schnellen Schritten aus dem Raum.



Als ich die Haustür hinter mir schloss, musste ich mich dagegen lehnen und kurz durchatmen. Es war immer noch sehr warm draußen, aber alles war besser als diese abgestandene Luft in Franks Wohnzimmer, mit diesem alten, dumpfen Geruch, gepaart mit dem süßen, menschlichen.



Ich ging zu meinem Auto und wedelte mir mit dem Umschlag ein wenig Luft zu.



Die Sonne ging bald unter, dann umschlang uns wieder diese dunkle, satte Nacht.



Ich setzte mich in meinen Wagen und öffnete den Umschlag, um mir anzusehen, wer diese schöne Nacht nicht überlebt.



Alexej hieß er, 1980 geboren. Und heute wird sein letzter Tag sein, dachte ich fröhlich.

 



Es folgten die üblichen Schandtaten von Alexej und eine Beschreibung seiner Person. Es lag noch ein Foto bei und ein kleiner handgeschriebener Zettel, auf dem die Adresse und Uhrzeit stand. Seine Todeszeit: zwei Uhr morgens.



Schon wieder zwei Uhr, überlegte ich, und hoffte, dass das kein schlechtes Omen sei. Der Kinderschänder von gestern sollte um die gleiche Zeit den Tod finden.



Außerdem befand sich noch ein kleines Stückchen Stoff in dem Umschlag, meine Geruchsprobe. Ich roch an dem Fetzen, der aussah als stammte es von einer Jeans. Der Geruch, den ich einatmete, ja, in mich einsaugte, war nicht schlecht. Natürlich nicht so gut, wie Blondie von gestern, aber auch nicht schlecht. Leicht harzig, nach Nüssen, Holz und ein bisschen blumig. Aber so, das einem das Wasser im Mund zusammen lief.



Zum wiederholten Male wunderte ich mich darüber, wie die Oberen des Clan an diese detaillierten Informationen und an die Geruchsprobe kamen. Es gab immer noch einige Informationen, die mir Frank in meiner Halbblutzeit vorenthielt.



»Wo bleibt denn dieser Justin?«, sagte ich laut, »ich kann ja nicht die ganze Nacht hier vertrödeln.«



Genau in diesem Augenblick ging die Haustür auf und Frank trat, mit Justin zusammen, hinaus.



Ich sah, wie Justin mit weit aufgerissenen Augen hektisch auf Frank einredete. Ich lauschte.



»Ich will nicht mit ihr fahren, Frank. Hast du nicht gesehen, wie sie mich anstarrte da drin, mit ihren hungrigen Augen. Sie hat auch als einzige dieses Blut nicht getrunken, warum?« Seine Stimme überschlug sich fast vor Furcht.



»Frank, ich werde diese Nacht nicht überleben, wenn du mich mit ihr zusammen in dieses Auto steckst. Ich …«



»Jetzt hör schon auf«, unterbrach Frank ihn wütend und mit einem schnellen Seitenblick auf meinen Mustang. »Schließlich kann sie dich hören. Sie wird dir schon nichts tun. Ich vertraue ihr … und das solltest du auch. Du kannst viel von ihr lernen. Nun geh’ schon. Tascha wartet und eine Frau sollte man nicht warten lassen«, fügte er schmunzelnd hinzu.



Ich verdrehte die Augen gen Himmel



Was für eine Memme dieser Kerl, dachte ich bei mir.



Laut sagte ich: »Wenn du jetzt nicht bald einsteigst, fahre ich ohne dich. Komm, die Nacht ist noch jung und ich hab’ noch viel vor.« Dabei ließ ich zweimal kurz meine Augenbrauen in die Höhe schnellen und grinste überheblich. Selbst auf die Entfernung sah ich, wie Justin angestrengt schluckte.



Mit gesenktem Kopf kam er langsam auf mein Auto zu, er war jetzt schon kreidebleich. Als ich kurz zu Frank blickte, sah ich, dass er den Mund verzog und sich mit dem Finger langsam über den Hals fuhr. Ein altbekanntes Zeichen. Ich durfte dem Jungen nichts zu leide tun, sonst war ich dran.



Ich lächelte flüchtig.



Justin stieg endlich ein und schnallte sich blitzartig an. Dabei rückte er in seinem Sitz so weit von mir weg, wie es eben ging. Er war immer noch kreidebleich und stank nach Angst.



»Willkommen an Bord«, sagte ich freundlich, erntete aber nur ein gemurmeltes »Danke.«



Er senkte den Kopf wieder.



Na, das konnte ja heiter werden.



Ich seufzte und lenkte meinen Mustang in Richtung Stadt.




Langsam wurde es dämmrig, die Luft roch anders, nach Nacht, nach Dunkelheit, nach Sicherheit, nach Tod und Verderben … Das roch gut.



Unter mir rollten die Reifen gleichmäßig dahin und brachten mich immer näher an mein nächstes Opfer heran.



Wie wird es diesmal werden?



Wie wird es sein, meine Zähne in seinen Hals zu schlagen?



Wie wird sein warmes süßes Blut wohl schmecken?



Als wir in der Stadt ankamen, war es schon fast dunkel. Justin entspannte sich die ganze Fahrt über nicht. Er presste sich in seinen Sitz. Ich fragte mich, wie weit seine Verwandlung schon fortgeschritten war. Ich kann zwar besser riechen als ein Hund, aber den genauen Stand seiner Verwandlung wusste selbst ich nicht. Ich wusste nur, dass er noch kein Blut geschmeckt hatte. Also fragte ich ihn danach. Er schreckte kurz zusammen, als meine Stimme so plötzlich die Stille zerriss. Er antwortete mir aber erstaunlich ruhig und gelassen.



»Ich bin schon recht schnell«, er überlegte kurz, »und ich kann gut hören und riechen.«



Das war ja schon mal was. Somit stand er mir heute Nacht wenigstens nicht im Weg.



Obwohl ich die Antwort schon kannte, fragte ich ihn nach der Blutsaugersache.



»Hast du auch schon anderes Blut geschmeckt?«



»N-Nein«, antwortete er zögerlich.



Umso besser, dachte ich, dann gehört dieser Alexej heute Nacht mir ganz alleine. Ich konnte mein Glück kaum fassen.



Ich dachte darüber nach, was wir in den nächsten Stunden anstellen könnten. Da ich den Ort und die genaue Zeit kannte, hatte es keinen Sinn früher zuzuschlagen.



Ich überlegte, ob ich mit meinem Schüler eine Kleinigkeit trinken sollte. Mir fiel ein, wohin ich mit ihm gehen könnte. Wo er in Sicherheit vor anderen Vampiren war und andere Menschen vor mir nichts zu befürchten hatten.



»Justin, es ist noch früh, wir gehen einen Trinken bis die Zeit reif ist«, sagte ich und sah ihn an. »Was sagst du dazu?«



Er blickte unsicher zurück, seine Augen verengten sich zu Schlitzen.



»Von mir aus«, meinte er gedehnt. Er hatte schöne Augen.



»Was ist los, vertraust du mir etwa nicht?« Er gab mir keine Antwort, warf mir nur einen verärgerten Seitenblick zu. Ich grinste vor mich hin.



Am Stadtrand befindet sich das Vergnügungsviertel und mittendrin gibt es eine Bar mit dem bezeichnenden Namen

Desmodus

. (

Desmodus draculae ist der lateinische Name für


eine, bereits ausgestorbene, Riesenvampirfledermaus Art

)



In unseren Kreisen ist sie ein beliebter und bekannter Treffpunkt für Vampire und auch Halbblüter. Oberste Regel in diesem Etablissement: Hier wird Nichts und Niemand gebissen. Aber es gibt erstklassiges Konservenblut zu trinken und auch noch ein paar andere Köstlichkeiten.



Ich parkte etwas abseits vom

Desmodus

, da mein Wagen bekannt war und nicht jeder wissen musste, dass ich mich hier amüsierte, vor allem Frank nicht.



Einen Türsteher gab es nicht, dafür eine verschlossene Tür mit Klingel und Videoüberwachung.



Gelobt sei das Computerzeitalter.



»Wer begehrt Einlass?«, dröhnte es über die Gegensprechanlage, als Antwort auf mein doppeltes Klingelzeichen.



Schnell blickte ich die Straße rauf und runter, auf der Suche nach neugierigen Zuhörern, ehe ich antwortete:



»Ein Vampir mit Halbblut im Schlepptau.«



Statt einer Antwort summte es kurz und wir traten ein.



Im Foyer war es kalt



»Tascha«, begrüßte mich dröhnend der Herr und Meister über Klingel und Tür. »Lange nicht gesehen, das ist ja schön, dass du uns noch mal besuchst. Wie ich sehe«, meinte er mit einem Blick auf Justin, »züchtest du dir eine neue Dienerschaft heran.«



»Nein, der gehört Frank. Ich führe ihn nur ein bisschen Gassi.« Ich grinste breit.



»Ich habe einen Auftrag heute Nacht, aber die Zeit ist noch nicht reif. So habe ich gedacht, wir nehmen einen kleinen Drink. Welche Umgebung könnte passender sein als das

Desmodus

 um ein junges Halbblut in unsere Welt einzuführen.«



»Da hast du recht, Tascha, na dann immer rein mit euch, viel Vergnügen. Und nicht vergessen: hier wird Nichts und Niemand gebissen!«



»Schon klar.«



Wir gingen durch die Doppeltür und befanden uns mit einem Mal in einer anderen Welt. Der Geruch, der uns entgegenschlug war wirklich atemberaubend. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass es Justin auch nicht anders erging. Er war erstaunt, mehr als das, eher schon hypnotisiert und augenblicklich berauscht.



Für das erste Mal hielt er sich aber erstaunlich gut.



Diese Geruchsvielfalt war kaum auszuhalten.



Es roch vorherrschend nach Blut, sehr viel Blut, dann dieser süße, feine Duft der Halbblüter und der staubige, alte Geruch der Vampire.



Ich war schon oft hier und bin trotzdem jedes Mal wieder aufs Neue berauscht von diesen verschiedenen Gerüchen.



Der Laden war nicht sehr groß. Es gab nur etwa zehn Tische mit je drei Stühlen, eine kleine Tanzfläche, aber dafür eine schier endlos lange Theke. Hinter der, wie immer, drei Barkeeper ihren Dienst verrichteten.



Ich ging mit Justin im Schlepptau in Richtung Theke.



»Was möchtest du trinken?«, fragte ich ihn.



»W-Was trinkt man denn hier so?«, gab er zögernd zurück



»Na ja, ich weiß schon was

ich

 trinke, du kannst dir bestellen, was immer du möchtest. Eigentlich gibt es hier alles. Also, was darf es sein?«



»Eh, … ich hätte gerne ein Bier.«



Ich wartete an der Theke auf die Bedienung und blickte mich um. Ganz gut gefüllt heute Abend, fast alle Tische waren besetzt. Überall stand Konservenblut herum. Mal wieder mehr Vampire als Halbblute hier.



Ich sah jede Menge bekannte Gesichter unter den Vampiren. Früher, in meiner aufregenden Halbblutzeit, war ich oft mit Frank hier.



Es hatte schon was für sich, wenn man von einem der Oberen des Clans beschützt wurde. Auch wenn, laut der Tradition des

Desmodus‘,

 hier Nichts und Niemand gebissen wird, gab es immer den einen oder anderen Blutrünstigen, der sich nicht an die Regeln hielt.



Die Bedienung kam, eine Vampirin, und fragte nach meinen Wünschen



»Ein Bier und was Leckeres«, gab ich meine Bestellung auf.



»Tascha, ich hab dich gar nicht erkannt. Komm lass dich drücken.« Sie umarmte mich ungeschickt über die Theke hinweg und drückte mir rechts und links einen Kuss auf die Wange.



»Mädchen. Gut siehst du wieder aus.

Wie

 geht es dir?« Es klang so, als interessierte sie das wirklich.



»Gut, Bea, alles bestens. Und bei dir?«



»Prima. Und wer ist das? Gehört der etwa zu dir?«, fragte sie mit einer Kopfbewegung in Justins Richtung.



»Das ist Justin, er gehört zu Frank und ich zeige ihm heute nur ein wenig die Stadt.«



»Aha. Ich bringe euch dann mal eure Getränke.«



Es dauerte nicht lange und sie kam mit einem eiskalten Bier für Justin und einer handwarmen Konserve für mich, wieder.



»Wohl bekomms.«



»Dank dir, Bea«.



Das ist schon was, Blut in Dosen. Es ist natürlich nicht mit dem Original, frisch aus der Vene, zu vergleichen, aber es kommt dem schon recht nahe.



Als ich noch über mein Dosenblut nachdachte, hatte Justin neben mir sein Bier schon in einem Zug geleert.



Gerade stellte er das Glas geräuschvoll auf die Theke. Wie aufs Stichwort erschien auch schon Bea, hob sein Glas an und fragte ob er noch Nachschub möchte.



So ging es ein paar Bierchen weiter und ich fragte mich, ob Justin wohl vorhatte sich hier und jetzt zu betrinken.



Ich war immer noch bei meiner ersten Konserve und hatte diese noch nicht mal halb leer.



Ich beugte mich zu ihm hin und flüsterte ihm eindringlich ins Ohr:



»Du erinnerst dich bitte, dass wir heute noch was vorhaben!«



»Ja, sicher. Ich hab nur Angst, ich könnte den Geschmack von Bier vergessen. Na ja, du weißt schon, wenn ich außer diesem Zeugs«, damit deutete er mit dem Finger auf meine Konserve, »nichts anderes mehr vertrage.«



Entschuldigend lächelte er mir zu und schlug die Augen nieder. »Aber erzähl das bitte nicht Frank.«



Er sah mich an, mit diesem bittenden Hundeblick, ich musste lachen



»So ganz scheinst du ja noch nicht bereit zu sein«, stellte ich amüsiert fest.



»Doch, doch«, entgegnete er und wechselte schnell das Thema. »Gibt es hier auch ein Klo? Ich müsste da mal.«



Ich nickte in die Richtung.



»Geradeaus hinter den Billardtischen rechts, ist ausgeschildert.«



Er ging davon und schwankte ein bisschen. Aber nur ein wenig, man bemerkte es kaum.



Fünf Minuten später kam er mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht wieder. Ich legte meine Stirn in Falten und sah ihn fragend an.



»Hast du was Lustiges gesehen, auf dem Klo?«



»Nein«, erwiderte er und lachte kurz. »Ich wusste ja gar nicht, dass die Mädchen hier so heiß sind.«



Irritiert blickte ich ihn an.



Da braute sich das Unheil auch schon zusammen.



Unruhe entstand bei den Billardtischen und ich sah mehrere Kerle, wie sie sich aufgeregt unterhielten. Einer deutete in unsere Richtung.



»Justin, was hast du getan?«, fragte ich ihn leise.



»Nichts, ein Mädchen ist kurz vor den Klos über mich hergefallen. Ich konnte mich noch nicht einmal wehren. Aber es war trotzdem ganz nett.« Er grinste über das ganze Gesicht wie eine zufriedene Katze.

 



Ich verdrehte meine Augen zur Decke.



Na toll, dachte ich noch, da stürmte einer der Kerle, ein wahrer Riese, auch schon auf uns zu, packte Justin am Kragen und hob ihn hoch, als wenn es gar nichts wäre.



Ich kannte ihn, ein Halbblut, aber kurz vor seiner endgültigen Verwandlung, so auch schon mit großen Kräften ausgestattet. Er gehörte zu der Sorte, die man auch dann nicht leiden konnte, wenn sie Vampire waren. Sie gehörten nie zum eigentlichen Clan dazu, schwammen immer gegen den Strom und waren eine echte Plage. Blutgierig und mordlüstern.



»Du Mistkerl«, brüllte der Riese Justin an, »du hast mein Mädchen angebaggert und abgeknutscht. Dafür wirst du jetzt bezahlen.« Er holte mit seiner Faust zu einem Schlag aus, der Justin sämtliche Knochen im Leib brechen wird.



Das konnte ich natürlich nicht zulassen, also ging ich dazwischen.



»Hey, beruhig dich mal! Lass ihn los, wir reden darüber. Ich wette, es handelt sich hier um ein blödes Missverständnis.«



Der Riese blickte mich wütend an.



»Ich

will

 mich aber nicht beruhigen«, brüllte er lauthals und schlug mit der Faust, mit der er eben noch auf Justin eindreschen wollte, gegen meine Schulter.



Jeden anderen hätte es jetzt drei Meter nach hinten geschleudert. Aber ich blieb stehen und ehe ich darüber nachdenken konnte, hatte ich diesem widerlichen Riesen meine Faust auf die Nase geboxt.



Das Blut spritzte nur so nach allen Seiten, überall sah man Köpfe herumfahren.



Die Köpfe der Vampire.



Frisches Blut ist immer gefragt und erregt schnell die Aufmerksamkeit. Aber was ich wollte, hatte ich erreicht, der Riese ließ Justin los und nicht nur das, er packte sich mit beiden Händen an die Nase und sank auf die Knie.



Blut lief zwischen seinen Fingern hindurch und tropfte auf seine Beine. Ich starrte fasziniert darauf, wie die Tropfen sich auf seiner Hose zu immer größeren Seen formten.



»Die Schlampe hat mir die Nase gebrochen«, erklang es dumpf hinter den vorgehaltenen Händen.



»Zum Reden hat er wohl jetzt keine Lust mehr.« Justin zog sein Hemd wieder glatt.



»Wir gehen«, herrschte ich ihn an, »sofort!«



Ich warf einen Geldschein auf unseren Platz und wir traten den Rückzug an.



Das war ja keine reife Leistung. Ich hatte zwar keinen gebissen, aber Blut, frisches, pulsierendes Blut, floss dennoch.



Ich bemerkte, dass uns keiner beachtete auf dem Weg zur Tür. Alle Blicke hingen an dem riesigen Kerl, der nun gar nicht mehr so riesig aussah, wie er auf dem kalten Boden kniete und sich die Hände vor das Gesicht hielt. Unaufhörlich quoll Blut hervor und tropfte auf sein Hemd und die Hose



Wenn der nicht aufpasste, war

er

 bald das Opfer.



In einem Raum voll mit Vampiren spontan eine Blutung zu haben, war überhaupt nicht ratsam für die eigene Gesundheit.



Auf dem Weg zum Ausgang, packte Bea mich am Arm.



»Du weißt, das war Mist«, zischte sie heiser und war mit einem Mal überhaupt nicht mehr so nett, wie eben noch, »Das hat ein Nachspiel.« Ihre Augen funkelten wütend.



Ich riss mich los und rannte zum Ausgang. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Justin neben mir war.



Guter Junge. Das Foyer war zum Glück wie leergefegt. Vielleicht wollte der Herr über Klingel und Tür auch nachsehen, was da drinnen die Aufmerksamkeit der Vampire auf sich zog.



Schnell waren wir auf der Straße und bei meinem Mustang angekommen.



Wundert mich, dass uns keiner folgte, dachte ich und startete den Motor. Mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr ich wieder in Richtung Innenstadt.



Jetzt endlich kam die Wut.



»Verdammt«, ich schlug mit der flachen Hand auf mein Lenkrad.



»Verdammt, verdammt, verdammt«, jedes Mal schlug ich erneut zu.



Neben mir fing Justin unkontrolliert an zu kichern.



Ich starrte ihn wütend an. Gerne hätte ich ihm einen Schlag auf den Hinterkopf verpasst, befürchtete aber, ihm dabei das Genick zu brechen, zu groß war meine Wut.



Justin kicherte nur noch lauter, er lachte glucksend, er prustete und lachte jetzt aus vollem Hals.



Das war einfach zu viel für mich. Ich fuhr meinen Wagen rechts ran, hielt mit quietschenden Reifen an und fiel mit einem Bärengebrüll regelrecht über ihn her.



Ich presste ihn mit meinem Körper an die Beifahrertür und packte ihn an den Haaren.



»Du verfluchter Blutsack«, schrie ich ihn an, »das geht auf dein verdammtes Konto. Das war allein deine Schuld. Nicht nur, dass ich mich nicht mehr da sehen lassen kann, was soll ich bitte Frank erzählen? Hä, schon eine Idee?« Erstaunt bemerkte ich, dass meine Zähne zu spitzen Dolchen wuchsen. Merkwürdig, das passierte sonst nur, wenn ich im Blutrausch war und noch nie nur so, aus Wut.



Diese neue Erkenntnis machte mich gleich noch wütender.



Ich packte ihn am Hemdkragen und schüttelte ihn kurz. Sein Kopf knallte gegen das Seitenfenster und seine Zähne klappern aufeinander.



»Bei meinem Glück sind alle Vampire im Desmodus über den Riesen hergefallen. Man wird mir die Schuld geben«, brüllte ich weiter, »hörst du, …

mir



Wenigstens erreichte ich, dass er aufhörte zu lachen. Dafür wurden seine Augen immer größer. Er versuchte von mir abzurücken, was er natürlich nicht schaffte. So konnte er nur seinen Kopf von mir weg drehen und die Augen zukneifen.



Ich war nur wenige Zentimeter von seinem Hals entfernt, es wäre ein Leichtes für mich gewesen, jetzt zu zubeißen und sein süßes Blut zu genießen. Nur so, weil ich gerade so wütend war.



Ich starrte auf seinen Hals, sah sein Blut durch die Adern pulsieren, hörte das Rauschen, es klang wie leise Musik in meinen Ohren.



Ich war ganz kurz davor, meinem Blutdurst nachzugeben … und auf die Konsequenzen zu pfeifen.



Die Sekunden dehnten sich aus, ich hatte keinerlei Zeitgefühl mehr, alles drehte sich nur noch um die eine Sache, ich wollte ihn töten.



Sein plötzliches, erschrecktes Keuchen weckte mich auf. Ich zwinkerte einmal und war wieder in der Wirklichkeit angelangt.



Angewidert stieß ich ihn am Kragen zurück und rutschte zurück auf meinen Sitz.



Meine Zähne wurden kleiner, ich konnte es ganz deutlich fühlen, ich drehte meinen Kopf hin und her um wieder klar zu werden.



Fast, dachte ich grimmig, fast …



Mit einem Seitenblick auf Justin sagte ich leise:



»Diesmal hat dich dein Keuchen gerettet, ich hoffe, du hast fürs nächste Mal auch schon eine passende Unterbrechung parat.«



Er zog sein Hemd glatt, das zweite Mal heute bereits.



Er antwortete mir nicht, ich hatte allerdings auch nichts erwartet.



Ich startete den Wagen und fuhr langsam wieder auf die dunkle Straße, unserem eigentlichen Ziel entgegen.



Ich war immer noch wütend, auf mich und auf Justin. Ein Blick auf die Uhr in meinem Wagen verriet mir, dass es noch vier Stunden bis zur Vernichtung von Alexej waren. Wie angenehm wäre es gewesen, die Zeit im Desmodus zu verbringen. Aber Justin musste ja das Unheil anziehen, wie der Honig die Bienen.



Wie es diesem widerwärtigen Halbblut jetzt in dem Raum voller Vampire wohl erging, fragte ich mich. Fielen sie über ihn her und töteten ihn, oder zügelten sie ihr Verlangen und verschlossen die gierigen Raubtieraugen vor dem sachte dahin tröpfelnden Blut?



Ich werde es bestimmt in Kürze erfahren, dachte ich grimmig. Frank wird es mir unter die Nase reiben.



Dieser Vorfall wird nicht spurlos an mir vorüber gehen.



Erneut spürte ich die Wut hoch kriechen, ich wollte sie nicht zulassen, aber sie war da und ließ sich nicht mehr verscheuchen.



So konnte ich mich nicht genug auf meinen Auftrag konzentrieren. Außerdem hatte der Geruch von Justin und die bloße Ahnung davon, wie sein Blut unter der warmen Haut dahin floss, in mir ein irres Verlangen ausgelöst. Das musste erst gestillt werden, bevor ich mich auf so eine unbefriedigende und banale Sache, wie die Jagd nach einem Verbrecher einließ.



Ich überlegte, wie ich Justin loswerde, er sollte nicht dabei sein. Rasch warf ich ihm einen Blick zu, er sah müde aus, vielleicht könnte er im Wagen etwas schlafen, während ich … mich abreagierte.



Wie aus dem Nichts traf es mich, schon wieder so ein süßer, köstlicher Geruch, ein Duft der sofort das Feuer in mir entfachte. Es war, als ob das nette Blondinchen von ges