Natascha

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Woher zum Teufel, kommt bloß dieser Geruch? Fragte ich mich und nahm die Augen zur Hilfe.

Drei Wagen vor uns fuhr ein kleines Cabriolet, in ihm saßen drei Mädchen, junge Frauen, von vielleicht 20 Jahren. Sie hielten die Arme in die Höhe und ihr Lachen klang bis zu uns herüber. Eindeutig war eine von ihnen die Quelle dieses Wohlgeruchs.

Wie stelle ich es nur geschickt an, überlegte ich, dass Justin nichts an Frank weitererzählt.

Ich könnte ihn ohnmächtig schlagen, oder ihn töten, dann wäre er auch aus dem Weg. Vor lauter Verlangen konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Ich fuhr mir mit beiden Händen durch das Gesicht und anschließend durchs Haar.

Alles Blödsinn, überlegte ich weiter, es musste noch einen anderen Weg geben, einen harmlosen, einen der mir auch später noch erlaubt, Frank wieder unter die Augen zu treten.

Da sah ich plötzlich Joshs Buchladen. Das ist die Idee, dachte ich bei mir, er kann mir helfen und so gleichzeitig beweisen, ob er es wirklich ernst meinte.

Vor dem Laden war ein Parkplatz, ich lenkte den Mustang hinein und stellte den Motor ab. Die Mädchen in ihrem Wagen fuhren lachend weiter, das ist nicht schlimm, den Geruch werde ich überall wiederfinden.

Justin schreckte hoch, erstaunt sah er mich an.

»Wo sind wir, ist es schon soweit?«, fragte er murmelnd.

»Nein, es ist noch massenhaft Zeit. Aber du bist müde und ich kann dich nur dabei haben, wenn du ausgeruht bist. Darum wirst du hier im Wagen eine Runde schlafen und ich gehe kurz zu Josh rein«, damit zeigte ich auf den Hexenladen, »und halte mit ihm ein kleines Schwätzchen.«

Lächelnd blickte ich Justin an, seine Augen waren schon ganz glasig, vor Müdigkeit.

»Du bleibst im Wagen«, fuhr ich fort, »komm besser nicht rein. Josh ist ein Vampir und bei ihm weiß man nie, wie … hungrig er gerade ist.«

Und du riechst einfach zu gut, fügte ich in Gedanken hinzu.

»In Ordnung«, er lehnte seinen Kopf an die Kopfstützen und schloss seine Augen, »bis später.«

Ein letztes Mal blickte ich sehnsüchtig auf seinen weißen, reinen Hals.

Ich stieg aus und atmete den nur noch leicht vorhandenen Geruch des Mädchens ein, dann betrat ich den Hexenladen.

Das Glöckchen über der Tür verriet mein Eintreten. Josh stand in seiner gewohnten Haltung hinter dem Verkaufstresen, der Laden war leer.

Josh grinste mich frech an. »So schnell hatte ich nicht mit dir gerechnet.«

Ich blieb ernst. »Ich bin aus einem anderen Grund hier, Josh.« Er hob seine Augenbrauen fragend in die Höhe, bis sie fast in den blonden Haaren verschwand. Dann warf er einen flüchtigen Blick an mir vorbei, durch sein Fenster, auf die Straße hinaus.

»Wie ich sehe, hast du einen … Begleiter.« Er runzelte kurz die Stirn. »Wie kann man nur in deiner Gegenwart schlafen. Wie kann man es nur wagen, man verpasst so viele kostbare Augenblicke mit dir.« Er schüttelte leicht den Kopf.

»Oder ist er etwa dein Nachtmahl?« Joshs Augen strahlten mich wissend an.

»Nein, er ist Franks Halbblut. Ich soll nur auf ihn aufpassen«, erklärte ich ihm leise.

»Im Moment bin ich froh, dass er schläft. Ich hab‘ nämlich noch was vor«, dabei sah ich Josh bedeutungsvoll in die Augen.

Er ist ein Vampir vom richtigen Schlag, er verstand sofort, was ich meine.

»Oh«, seine Augen wurden ein bisschen größer und er richtete sich auf, »du willst gegen die Regeln verstoßen.«

Das breite Grinsen auf seinem Gesicht passte eigentlich gar nicht zu seiner Feststellung.

»Nun ja, ich bin immer noch ein Mitglied des Clan«, ich straffte meinen Körper, »es liegt noch ein Auftrag vor mir, Josh. Ich habe es versprochen … denk daran.«

Lachend winkte er ab. »Ja, ja, Süße. Was kann ich denn für dich tun?«

Ich antwortete nicht sofort, ich dachte darüber nach, wie es wirklich werden könnte, wenn ich in Joshs Lager wechselte.

Er beugte sich weit über die Theke und flüsterte heiser.

»Sag es mir nur, soll ich diesen Blutsack da draußen von der Bildfläche verschwinden lassen, damit du freie Bahn hast?« Josh sah mich fragend an.

»Nein«, ich kreischte fast, »nein, bloß nicht. Mit dem werde ich schon selber fertig. Ich brauche nur deinen Hinterausgang, mehr nicht. Nur … deinen Hinterausgang, damit ich ungesehen verschwinden kann.«

»Okay und wann kommst du wieder, damit dieser Blutsack vor meinem Geschäft verschwindet. Er vergrault mir die Kundschaft.« Josh sah ein wenig enttäuscht aus.

»Zwei bis drei Stunden, mehr brauche ich nicht.«

Hoffe ich, setzte ich in Gedanken hinzu. Ich wusste genau, dass ich nicht eher von der Kleinen lassen konnte, bis ich sie erwische. Rendezvous mit Alexej hin oder her.

»Kein Problem, meine Süße.« Er ging um seine Theke herum und kam gelassen auf mich zu.

Dabei fiel mir ein, das Josh der einzige ist, der mich Natascha und meine Süße nennt. Das machte sonst keiner, jedenfalls würde es derjenige nicht zweimal hintereinander schaffen.

»Ich habe Zeit«, sagte er leise und seufzte, »sehr viel Zeit.«

Er umarmte mich kurz und drückt mir einen Kuss auf die Stirn.

»Du musst jetzt gehen, Natascha. Komm schnell wieder, bitte.« Seine Stimme war wie Honig, zähflüssig, klebrig und sehr süß.

»Ja. Passt du für mich so lange auf Justin auf? Und …«, ich hob spielerisch den Zeigefinger und setzte eine ernste Miene auf, »…keine Dummheiten, lass den armen Jungen leben, wenigstens so lange, bis ich ihn mir kralle.«

Ich grinste ihn frech an.

»Riecht er gut?« Josh zog eine Augenbraue hoch in seine blonden Haare.

Ich verdrehte die Augen. »Du glaubst gar nicht, wie gut. Lange kann ich nicht mit ihm zusammen sein, ohne auf seinen Hals zu starren.« Ich hielt meine Hände neben mein Gesicht und ließ sie wie Raubtierkrallen aussehen.

»Grr. Das macht mich ganz irre.«

Josh lachte kurz auf.

Frustriert ließ ich die Hände sinken, zuckte mit den Schultern und sah ihn an.

»Ich muss jetzt gehen. Vielen Dank für alles. Ich bin bald wieder da.«

»Auf bald, Natascha«, er gab mir den Weg frei.

Schnell lief ich durch den Hinterausgang und befand mich in einem quadratischen Hinterhof. Hier sind die Höfe alle miteinander verbunden. Es wird mir ein leichtes sein, wieder auf die Straße, weit vor meinem Mustang mit dem schlafenden Justin, zu gelangen. Um den Geruch wieder zu finden, diesen herrlichen, köstlichen, betörenden Duft.

Um ihn in mich aufzusaugen.

Um wieder einmal gegen die Regeln zu verstoßen.

Ich lief durch die Hinterhöfe in Richtung Straße. Zwischen zwei kleineren Geschäften kam ich weit vor dem Mustang wieder raus. Die Stadt war noch sehr belebt. Einige Fußgänger waren unterwegs, die mich misstrauisch beäugten, als ich zwischen den Geschäften heraus schoss.

Ich beachtete sie gar nicht, ging in Richtung Norden, wohin der süße Duft entschwand.

Immer wieder zog ich vorsichtig eine Nase voll Luft ein. Die Mädchen waren nicht sehr weit gefahren, denn der Duft hing noch dick und schwer in der Luft. Plötzlich sah ich das kleine Cabrio, es stand auf einem Parkplatz, vor der größten Diskothek hier in der Stadt, ein richtiger In-Laden.

Sie waren bestimmt noch nicht hineingegangen, überlegte ich, da der Geruch viel zu intensiv war.

Plötzlich hörte ich ihr Lachen wieder, es schallte quer über den Parkplatz bis zu mir. Ein herrliches, perlendes und köstliches Lachen.

Ohne den wundervollen Geruch, der dieses Lachen unterstrich, hätte es wahrscheinlich dumm, hysterisch und quakend für mich geklungen, wie sich das Lachen der Menschen eben anhört, aber zusammen mit dem Duft … Eine Komposition, die meine Nervenenden vibrieren ließ.

Plötzlich sah ich die Mädchen, sie hatten sich neben die Disco verzogen und standen dicht beisammen. Ich überlegte, welche von ihnen so betörend duftete und wie ich sie voneinander trennen konnte.

In diesem Moment war das Schicksal scheinbar gegen mich.

Es donnerte, ein Gewitter zog auf. Hoffentlich fängt es nicht an zu regnen, dachte ich, sonst ertrinkt Justin in meinem Mustang.

Die Mädchen blickten ängstlich zum Himmel und kicherten unsicher. Sie machten sich auf den Weg. Grimmig verfolgte ich sie mit meinem Blick, wie sie zum Eingang gingen und in der Disco verschwanden.

»Verdammt«, zischte ich, »hier draußen wäre es ein Leichtes gewesen. Da drinnen, zwischen all den anderen Blutsäcken, kann ich mich nicht so bewegen, wie ich gerne möchte. Das wird ein Problem.«

Ich muss also auch da rein, oder ich blase die ganze Aktion ab. Ich überlegte gründlich und wägte die verschiedenen Möglichkeiten ab. Der Geruch zog mich magisch an und hatte natürlich die höchste Priorität.

Aber in dem Laden könnten auch noch andere Vampire sein, die Ausschau nach blutigem Nachschub halten. Ihr feiner, dünner Geruch könnte mir entgehen. Das war alles sehr riskant. Ich konnte mich tatsächlich nicht entscheiden. Über mir grollte abermals der Donner und ein heller Blitz durchzuckte die Nacht. Ich schloss meine Augen und ballte die Hände zu Fäusten. Es hatte alles keinen Sinn. Die Mädchen waren da drin, ich konnte nicht, ohne ein völlig idiotisches Risiko einzugehen, da rein. Bei dem Donnerwetter könnte Justin aufwachen und mich, trotz meiner Warnung, in Joshs Laden suchen. Somit hatte ich wieder zwei neue Probleme. Justin könnte mich an Frank verpfeifen, oder noch schlimmer, Josh würde über Justin herfallen. Ich verdrehte die Augen, immer wieder etwas Neues, nie lief mal was glatt.

Ein Donnerknall, scheinbar frisch aus der Hölle entsprungen, ließ mich zusammenfahren. Der nahm mir die Entscheidung ab. Ich musste zurück, das hier hatte keinen Sinn. Wenn Frank davon Wind bekommt, bin ich geliefert. Ich will ihn und den Clan zwar sowieso verlassen, aber es war mehr in meinem Sinne, wenn das auf eine, für alle Seiten, angenehme Weise geschehen würde.

 

Fast schon körperliche Schmerzen bereitete es mir, mich umzudrehen, und diese süße Köstlichkeit ziehen zu lassen. Ich werde später versuchen, ihren Geruch wieder zu finden, sie wird mir gehören, es ist nur eine Frage der Zeit.

Ich lief, zu den Hinterhöfen zurück, durch Joshs Hintertür betrat ich seinen Hexenladen.

Es roch jetzt anders hier, frischer, süßer und eindeutig viel besser. Zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, hatten seinen Laden betreten und schauten sich interessiert und auch ein bisschen verwundert um. Josh stand in einiger Entfernung und beobachtete sie. Als ich um den Tresen herumging, wendete er den Kopf und nickte mir kurz zu. Ich blickte durch das große Fenster und sah Justin in meinem Mustang noch schlafen. Über uns grummelte immer noch das Gewitter. Der hat aber einen tiefen Schlaf, dachte ich, und war erleichtert. Da zog mich Josh ganz plötzlich am Arm hinter seinen Tresen.

»Und?«, fragte er mich flüsternd.

Ich schüttelte den Kopf. »Zu riskant, hab sie ziehen lassen.« Ich blickte ihn an und war leicht irritiert. Er hat normalerweise blaue Augen, ein schönes dunkles Blau. Aber jetzt waren sie fast gelb, ähnlich einem Raubtier. Was hatte ihn bloß so erregt, fragte ich mich und bemerkte gleichzeitig, dass auch sein Atem schneller ging.

»Was sagst du zu den zwei Süßen?«, dabei zeigte er mit dem Daumen hinter sich, in Richtung der Menschen in seinem Laden. Er grinste mich an und ich sah, dass seine Zähne schon im Blutrausch waren.

»Ich teile auch mit dir, willst du das Weib?«

Ich blickte zu den Beiden und zog ihren Duft in die Nase ein. Süß, blumig, recht köstlich. Nicht so toll wie eines der Mädchen von eben, aber besser als völlig leer auszugehen.

Ich lächelte Josh frech an und spürte gleichzeitig, wie meine Zähne ein Eigenleben führten.

»Klar, ich bin dabei.«

Seine Augen strahlten.

Blitzschnell war er an seiner Eingangstür und verschloss sie. Die Beiden hatten davon nichts mitbekommen. Sie unterhielten sich leise miteinander. Die Fenster musste Josh nicht tarnen, da es getönte Scheiben waren, man konnte von außen nicht sehen, was sich im Inneren abspielte.

Josh lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür. Seine ganze Haltung verriet die Anspannung, seine Gier war ihm an den Augen abzulesen. Ein leises Knurren erklang aus seinem Inneren.

Auch mir erging es nicht anders. Wie schnell sich das Blatt doch wendete. Eben jagte ich noch einem köstlichen Mädchenduft hinterher, in der nächsten Sekunde musste ich sie wieder ziehen lassen. Nun bescherte mir das Schicksal diese zwei Blutsäcke, geradewegs vor meine Reißzähne und ohne, dass ich dafür einen Finger krumm machte.

Auch mich hatte das Jagdfieber gepackt, Gier und Verlangen stiegen in mir hoch, der ganze Ärger der vergangenen Stunden war mit einem Blinzeln meiner Raubtieraugen vergessen.

Mit einem Blick, der unsere Absichten sofort verriet, fixierten Josh und ich die zwei unschuldigen Menschen.

Die Blutsäcke konnten nichts dafür, sie waren nur am falschen Ort und zu einer völlig falschen Zeit. Jedenfalls aus ihrer Sicht.

Aus meiner Sicht war ich ihnen dankbar, da ich heute Nacht doch noch zu meinem Vergnügen kam.

In diesem Moment spürten die Beiden, wahrscheinlich unbewusst, die Bedrohung und wollten verschwinden. Josh aber versperrte die Tür. Sie standen ihm gegenüber und zeigten auf ihn. »Machen Sie bitte die Weg frei«, sagt der Mann zu Josh.

Uha, Ausländer, dachte ich und musste grinsen, die vermisst so schnell keiner. In unserer Stadt geht immer mal der Eine oder Andere verloren, das fällt kaum auf.

Josh lächelte den Mann nur stumm an. Die Frau drängte sich näher an ihren Begleiter heran, der nochmals Josh ansprach:

»Bitte, lassen Sie gehen uns«, in seiner Stimme war ein leichter Anflug von Panik hörbar.

Ich ging langsam ein paar Schritte auf die Touristen zu. Die Frau bemerkte mich als Erster und drehte sich hastig zu mir um. Auch ich lächelte und entblößte dabei meine langen Eckzähne. Ein erschrecktes Keuchen drang aus ihrem Mund, das ihren Mann veranlasste, sich ruckartig um zudrehen. Seine Augen wurden immer größer,

»Das … das … nicht sein … darf … «, stammelte er verstört. Er ließ seine Frau los und hob seine Hände vor das Gesicht.

Darauf hatte Josh nur gewartet. Er packte den Mann von hinten und schoss mit ihm an mir vorbei in Richtung Tresen, sodass meine Haare mir nur so um den Kopf flogen.

Jetzt stand ich der Menschenfrau alleine gegenüber. Sie hatte ihre Hände zu Fäusten geballt und presste sie an den Mund. Ihre Augen wurden immer größer und größer.

Irgendwann werden sie ihr aus den Höhlen treten, dachte ich kurz. Ich musste mich ein bisschen beeilen, sonst erklang gleich ihr markerschütternder Schrei durch die ganze Stadt. Ich sah ihr an, dass sie kurz davor war, los zu kreischen.

Mit einem Satz war ich bei ihr, schlug ihre Hände weg und presste meinerseits die Hand auf ihren Mund. Ich umrundete sie halb und stand jetzt hinter ihr. Ich drückte sie gegen meine Schulter, den anderen Arm legte ich um ihren Bauch. Jetzt war sie mir sicher, sie konnte nicht mehr entwischen. Mein inneres Monster kreischte und jaulte, ich wusste, es wollte nur, dass dieses Feuer gelöscht wird. Gelöscht mit ihrem Blut.

Ihr Hals lag vor mir, ich brauchte nur noch zu zubeißen. Mit den Augen verfolgte ich die Adern unter ihrer Haut, wie köstlich das Blut daher schoss und wie es rauschte, das war Musik in meinen Ohren.

Ich schlug ihr meine Zähne in den schönen Hals und sofort floss ihr süßes Blut meine Kehle hinunter.

Das Monster war augenblicklich still, es trank ihr Blut mit mir zusammen, es ernährte sich von dem köstlichen Lebenssaft.

Ich leerte die Frau fast vollständig, erst dann ließ ich von ihr ab. Die zwei kleinen Verletzungen verheilten durch meinen Speichel sofort.

Ich konnte nicht mehr. Ich ließ sie einfach fallen, schleppte mich mit schweren Schritten zur Theke und ließ meinen Kopf auf die Glasplatte sinken. Ich war völlig fertig und musste mich kurz erholen. Meine Zähne kehrten wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück. Ich legte meine Wange auf die kühle Auflage der Theke. Tausend Bilder schossen mir durch den Kopf: Frank, die Blondine von gestern Nacht, Justin, der Mieter aus der Tiefgarage, die Mädchen in ihrem Auto und Josh.

Ich hob meinen Kopf und lauschte. Wo ist eigentlich Josh, fragte ich mich, wohin war er mit dem Blutsack verschwunden.

In dem Moment kam Josh aus seiner Kellertür. Seine Augen waren wieder so blau wie immer, die Zähne normal und seine Haut war leicht rosig.

»Hat Spaß gemacht«, er lächelte mich an und wischte sich mit der Hand über den Mund.

»Und … hat’s geschmeckt?«, dabei sah er mich fragend an und kam langsam näher. Ich antwortete ihm nicht.

Er strich mir die Haare über meine Schultern zurück.

»Hat meine Süße eine Grenze überschritten? Hat sie etwa den Kodex mit Füßen getreten?«

Er lächelte ironisch, umarmte mich und flüsterte mir ins Ohr: »Hast du etwa Frank in den Hintern getreten?«

Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Einerseits ärgerte mich seine Aussage, vor allem auf die Art, wie er es sagte. Auf der anderen Seite wusste ich genau, dass er Recht hatte. Ich hatte Frank in den Hintern getreten und ich hatte den Kodex missachtet. Aber … ich horchte in mich hinein, störte mich das wirklich, würde es mich daran hindern es noch mal zu tun?

Nein, wahrscheinlich werde ich genauso wieder handeln, vielleicht schon in ein paar Stunden. Wenn ich Glück habe.

Darum antwortete ich Josh:

»Es ist alles okay, er kommt darüber hinweg.«

Diesmal schob ich Josh auf Armeslänge von mir weg, und blickte ihn ernst an. »Was machen wir mit den Leichen?«

»Keine Sorge, ich kümmere mich darum.«

Er presste mich wieder fest an seine Brust. Ich atmete diesen eigenartigen Geruch ein und erinnerte mich plötzlich an Justin.

Verflixt, dachte ich, den hatte ich ganz vergessen. Ob er immer noch schläft? Ich löste mich von Josh und ging in Richtung Eingangstür. Unterwegs machte ich einen großen Schritt über die auf dem Boden liegende Frau. Sie war jetzt tot und leer, ohne Geruch und Geschmack, sie interessierte mich nicht mehr.

Mit einem Blick aus der Glasscheibe stellte ich fest, dass Justin wirklich immer noch schlief, er hatte sich nur auf die andere Seite gedreht.

Ich blickte wieder zu Josh, der gerade die Tote vom Boden aufhob und in Richtung Keller trug. Ich wusste nicht, was er mit ihr machen wird, ich verschwendete aber auch keinen weiteren Gedanken darauf.

Als Josh wieder in seinem Laden, hinter dem Tresen, stand, sagte ich zu ihm: »Ich muss jetzt gehen, Josh«, ich sah ihn an, »danke … für alles, wir sehen uns.«

»Ja, aber warte nicht zu lange mit deinem nächsten Besuch.«

»Okay, bis dann«, murmelte ich, schloss die Tür auf und stand wieder draußen auf dem Gehsteig. Es waren keine Fußgänger mehr unterwegs, gänzlich unbelebt war die Straße.

Ich ging zu meinem Mustang, öffnete leise die Türe, setzte mich und knallte sie mit Wucht wieder zu.

Justin riss den Kopf hoch und murmelte etwas Unverständliches.

Er reckte und streckte sich ausgiebig.

»Na, du Murmeltier, ausgeschlafen?« fragte ich ihn leichthin.

»Ja, ich glaube. Wie spät ist es?« er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Oh, halb eins schon, da habe ich ja lange geschlafen.« Er hielt sich die Hände vor sein Gesicht und atmete prustend aus.

»Und du, hattest du auch ein paar nette Stunden?«, fragte er mich. Ich musste grinsen und dachte an die nette Ausländerin.

»Ja, es hat sich gelohnt.«

Ich startete den Wagen und warf einen letzten Blick auf Joshs Hexenladen. Keine Angst Josh, du wirst mich schon bald wiedersehen, vielleicht schneller als du denkst.

Ich konnte diesen verdammten Auftrag nicht mehr erledigen. Zum Einen hatte ich überhaupt keinen Durst mehr, zum Anderen fühlte ich immer noch Joshs brennenden Blick auf mir, wusste ich doch genau, was er von mir erwartete.

Außerdem wollte ich einfach frei sein.

Mitten in meine Gedanken hinein klingelte mein Handy. Ich klappte es auf, es war Frank.

»Ja?«, fragte ich knurrend.

»Tascha? Ich bin’s. Vergiss den Auftrag, ich habe etwas anderes für dich.«

»W-Was ist los?«, ich war mehr als verwundert, noch nie wurde ein Auftrag abgebrochen und so kurz vorher schon gar nicht.

»Nichts«, Franks Stimme klang unverbindlich, »ein anderer erledigt das.«

»Aha«, murmelte ich und warf Justin einen kurzen Seitenblick zu, er sah mich fragend an.

»Komm gegen Morgen zu mir«, fuhr Frank fort, »dann erkläre ich dir alles.«

»Ist gut«, ich wollte gerade auflegen, als Frank rief:

»Ach, Tascha?«

»Ja?«

»Lebt er noch?«, seine Stimme war scharf.

Ich musste einfach grinsen. »Ja, ja, nur keine Sorge, Frank. Auch wenn er selbst nicht gerade dazu beiträgt.«

Am anderen Ende der Leitung hörte ich ihn aufseufzen. »Gut«, dann ein Klicken, er hatte aufgelegt.

»Was ist los?«, fragte Justin, als ich immer noch grinsend mein Handy wieder wegsteckte.

»Unser Auftrag wurde abgeblasen, wir fahren zu mir, da ruhen wir uns noch ein bisschen aus. Morgen früh geht’s zu Frank.«

Ich sah, wie Justin die Stirn in Falten legte und tief Luft holte.

»Hör mal«, begann er zögernd, »wir können auch in meine Wohnung, sie ist hier ganz in der Nähe.«

»Ich wollte eigentlich eine Runde duschen«, wendete ich ein.

Er lachte kurz. »Das kannst du auch bei mir.«

Nachdenklich sah ich ihn von der Seite her an. »Warum nicht«, murmelte ich nach einer Weile und parkte meinen Mustang in einer Seitenstraße.

Wir stiegen aus und gingen zu Fuß weiter.

Seine Wohnung war wirklich nicht weit weg. Er wohnte im obersten Stock, in einem kleinen Geschäftshaus. Als wir eintraten, umgab uns angenehme Dunkelheit. Justins Hände tasteten nach dem Lichtschalter. Ich legte meine Hand auf seine und schüttelte den Kopf.

»Lass es ruhig so«, sagte ich leise. Er sah mich an, seine Hand war ganz warm und meine, wie immer eiskalt.

 

Es war eine kleine Wohnung, mit einer riesigen Fensterfront im Wohnzimmer. Justin verschwand sofort in seinem Schlafzimmer. Er kam wieder, mit dem Arm voller, größtenteils schwarzer, Klamotten, die er auf sein Sofa warf.

»Die hat meine Schwester da gelassen, sie hat mal kurz hier gewohnt«, sagte er leise, »fühl dich ganz wie zu Hause, hier findest du bestimmt was für dich zum Anziehen.«

Ich wühlte den Klamottenberg durch und fand wirklich eine schwarze Hose und ein T-Shirt, die mir passen könnten.

Justin zeigte mir sein kleines Bad. »Hier ist alles was du brauchst. Ich mach mir nur schnell was zu essen«, murmelte er und ließ mich alleine.

Ich zog mich aus und stellte mich unter das heiße Wasser. Das tat wirklich gut. An die Wand gestützt ließ ich das Wasser auf meinen Nacken und die Schultern prasseln.

Ich wusste nicht, wie lange ich schon einweichte, aber es kam mir unendlich vor. Langsam drehte ich das Wasser aus, trocknete mich ab und probierte die Sachen an, sie passten perfekt.

Das passiert mir bei meiner Figur nicht oft.

Ich ging wieder in das kleine Wohnzimmer. Justin hatte das Licht in der Küche angelassen und zusätzlich auf dem Couchtisch eine Kerze angezündet. Sie tauchte das Wohnzimmer in ein diffuses, flackerndes Schattenmeer.

Er stand mit nacktem Oberkörper vor dem großen Panoramafenster, hatte ein Glas in der Hand und starrte auf die Lichter der Stadt unter uns.

»Ich hoffe«, begann ich, »ich hab dir nicht das ganze heiße Wasser weggenommen.«

»Ist schon okay.« murmelte er geistesabwesend und starrte weiter in die Lichter, fast wie hypnotisiert.

Ich atmete durch die Nase ein, es roch nach Staub, Rauch, Whisky und… Justin.

Ich stellte mich neben ihn und warf auch einen Blick auf die beleuchtete Stadt, es sah wirklich wunderschön aus.

Ich blickte erneut zu Justin und bemerkte, wie er die Zähne aufeinander biss, wie seine Kiefer sich verhärteten. Was ging bloß in dem Jungen vor, überlegte ich. Er sah so verbissen aus, als tobte ein Kampf in ihm. Als stellte er sich selbst ein paar Fragen, auf die er die Antworten vielleicht nicht hören wollte.

»Kann ich dir eine Frage stellen?«, begann er auch prompt, seine Stimme klang rau, sein Blick noch auf die Lichter gerichtet.

»Klar, nur zu«, meinte ich gezwungen fröhlich.

»Warum dauert die Verwandlung eigentlich so lange? Kann man das nicht beschleunigen?«, er richtete seine Augen auf mich und sah mich gespannt an.

Auf so eine Frage war ich nicht gefasst. Ich wunderte mich insgeheim, dass Frank ihm das nicht schon längst erklärt hatte, warum er ihn nicht informierte.

»Die Antwort ist eigentlich ganz einfach«, ich sah Justin direkt an, auch um seine Reaktion zu beobachten.

»Die Verwandlung dauert so lange, weil man nur dann einigermaßen sicher sein kann, dass der angehende Vampir seinen ursprünglichen Charakter behält. Dass er nicht zu einem blutrünstigen, mordlüsternen Monster mutiert. Sich in die Gesellschaft einfügt, ohne pausenlos über unschuldige Menschen herzufallen und uns Anderen damit alle in Gefahr bringt.«

Justin schob angestrengt seine Augenbrauen zusammen.

»Aber es gibt noch einen anderen Weg.« Das war keine Frage, er stellte es einfach fest.

Jetzt verengten sich meine Augen, ich war mir unsicher, ob er das wissen musste und fragte mich zum wiederholten Mal, warum Frank ihn nicht schon längst darüber informiert hatte.

»Ja-a, aber das ist kein guter Weg«, ich presste die Lippen aufeinander.

»Bitte, sag es mir, ich möchte es wissen.« Er atmete ein, als ich keine Antwort gab.

»Bitte, Tascha«, es klang sehr eindringlich.

»Es bereitet einem Schmerzen«, begann ich und blickte Justin scharf an, »außerdem kann man sich nie sicher sein, ob es auch funktioniert.« Ich überlegte kurz, ob Justin schon bereit war, für den Rest.

»Der Vampir saugt das gesamte Blut aus. Alles was drin ist. Dann muss es sehr schnell gehen, da der Gebissene ja eigentlich schon tot ist. Der Vampir beißt sich selbst und gibt dem Toten einen Teil seines Blutes zu trinken. Nicht immer klappt es, man muss den richtigen Zeitpunkt treffen, bevor er ganz gegangen ist, sonst war alles umsonst. Wenn es aber funktioniert hat, kommt das nächste Problem.«

Ich stockte kurz, Justin hing an meinen Lippen und folgte gespannt meiner Erklärung.

»Ja?«, fragte er kurz, seine Stimme war nur ein Hauch.

»Der Charakter, die Seele, das was den Menschen ausmacht, seine Einzigartigkeit, ist raus. Dafür bekommt er sozusagen ein Gemisch vom Vampir wieder. Das ist aber das eigentliche Problem. Der Charakter, die Eigenschaften vom Vampir werden übertragen und heraus kommt dann meist ein Vampirneuling, den man nicht gebrauchen kann, der, wie ich eben schon sagte, mordlüstern und gefährlich ist. Der uns alle in Gefahr bringt.« Damit schloss ich meine Erklärung und sah Justin gespannt an. Er schluckte.

»Aber es kann auch klappen? Ich meine, es kann auch alles Gut werden, oder?«, fragte er drängend.

»Ja, kann sein, aber ich habe noch von keinem wirklich positiven Bericht gehört. Warum interessiert dich das so?«

»Nur so«, antwortete er fast schon gelangweilt und blickte wieder auf die Lichter der Stadt.

Als er seinen Kopf drehte bemerkte ich eine Narbe an seiner Schulter, direkt am Halsansatz. Die war mir vorhin gar nicht aufgefallen. Ich hob meine Hand und strich vorsichtig mit dem Daumen darüber. Sie war noch ziemlich frisch und rau. Er stöhnte kurz auf und bewegte die Schultern, als wenn ihm ein Schauer den Rücken herunter lief.

»Entschuldige«, murmelte ich, und zog meine Hand schnell zurück. Ich wusste, was den Schauer auslöste, mein eiskalte Haut auf seiner warmen Schulter.

»Nein«, sagte Justin, sah mich an und nahm meine Hand am Handgelenk.

»Bitte, mach weiter, das war ein schönes Gefühl.« Er legte meine Hand behutsam zurück auf seine Schulter.

»Bitte«, flüsterte er erneut.

Ich strich wieder mit dem Daumen über die lange Narbe, diesmal sah ich ihm direkt in die Augen dabei. Ein unergründlicher Ausdruck lag darin verborgen. Ich hatte schon bemerkt, dass er schöne Augen hat. Es war mir aber noch nicht aufgefallen, dass sie so unergründlich, so tief waren.

Unsere Blicke waren ineinander verschlungen.

Langsam näherte er sich, zögernd. Seine Hand, die das Glas hielt, legte sich um meine Taille und zog mich in seine Richtung. Ich kam ihm näher, ich ließ es einfach zu. Ich war gespannt und verlor mich ein bisschen in seinen unergründlichen, schönen Augen.

Wir waren nur ein paar Zentimeter voneinander entfernt. Sein Mund näherte sich langsam meinem Gesicht. Die freie Hand strich über meinen Arm, zeichnete die Schulter nach und fuhr den Hals entlang. Seine Hand war ganz warm und brannte beinahe auf meiner Haut. Er strich mir weiter über die Wange und über mein Haar. Weiterhin sah ich ihn wie gebannt an. Ich konnte nichts denken und war wie abgeschaltet.

Ganz langsam zog mir sein köstlicher Geruch in die Nase, ich wagte es nicht, tief einzuatmen.

Dann trafen sich unsere Lippen, er stöhnte erneut kurz auf, ich hörte sein Blut schneller durch seinen Körper rauschen, als er seine Hand in meinem Haar vergrub. Unsere Lippen öffneten sich leicht. Ich begann, den Kuss zu erwidern.

Meine Hand streichelte seinen Rücken hinunter und ich bemerkte, wie ihm erneut ein Schauer über den Rücken lief. Auch ich stöhnte kurz auf und zog dabei, die mich umgebende Luft und somit seinen Duft in mich ein.

Das war ein Fehler.

Plötzlich änderte sich die Situation schlagartig.

Ich spürte noch, wie meine Zähne sich verselbstständigten, schon lag Justin am Boden und ich über ihm.

Mein Verlangen, meine Gier, meine Lust hatten mich so sehr im Griff, dass ich nicht darüber nachdachte und nur noch ein Ziel vor Augen hatte: Ich wollte meine Zähne in seinen schönen Hals schlagen, in sein warmes pulsierendes Fleisch eindringen, sein Blut in mich aufnehmen. Trinken und ihn töten.

Das Glas, das ihm aus der Hand gefallen war, rollte geräuschvoll über den Boden. Die Luft war erfüllt vom stechenden Geruch des billigen Whiskys.