Natascha

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»Bist du dir da ganz sicher?«

»Ja. Ganz sicher. Und jetzt komm, wir müssen die beiden suchen, es wird bald hell.«

Tatsächlich war es in dem schäbigen Wohnzimmer immer heller geworden. Die Sonne ging bald auf, dann würde sie ihre goldenen Strahlen über die vier verbrannten, jungen Körper gleiten lassen. Ich fragte mich, wieso Frank das gemacht hat, warum hat er sie nicht einfach nur getötet, er brauchte sie nicht auch noch anzuzünden.

Das war ekelhaft.

Ich glaubte, er ist völlig verrückt geworden. Ich musste ihn erwischen, bevor er noch mehr Unheil anrichtete und noch mehr Leid verbreitete.

Ich musste ihn töten.

Wir gingen die Treppen hinunter und stiegen wieder in den Mustang. Ich überlegte fieberhaft, wo Frank sein könnte, und im Besonderen, wo Dennis sich befand. Ich nahm an, dass Frank in seinem Haus war, wahrscheinlich mit meinem Sohn. Die Gedanken wirbelten nur so in meinem Kopf umher.

Dann fiel mir noch etwas anderes ein.

»Wir müssen Ralph noch loswerden«, damit zeigte ich mit dem Daumen hinter mich, in Richtung Kofferraum. Justin blickte mich zerstreut an.

»Wen?«

»Dein Nachtmahl, der Typ im Kofferraum.« Wie konnte er ihn nur so schnell vergessen haben?

Im selben Augenblick fiel mir ein, dass mich ein leerer Körper auch nicht mehr interessierte, sobald ich fertig mit ihm war. Da wird auch ein ganz neuer Vampir keine Ausnahme sein.

»Auf jeden Fall fahre ich keine Leiche spazieren. Bald fängt er da hinten an zu stinken, das brauche ich nicht.« Ich presste die Lippen aufeinander und grübelte darüber nach, wo ich ihn hin verfrachten könnte.

Da fiel mir Josh ein, er und sein geheimnisvoller Keller. Mein Freund Josh, der bestimmt erfreut sein würde, mich so schnell wiederzusehen, aber wird er auch von Justins Anwesenheit begeistert sein? Ich wagte es zu bezweifeln.

Er konnte Justin jetzt nicht mehr anfallen, ihm nichts mehr zu leide tun. Aber würde er noch genauso freundlich zu mir sein? Würde er mir helfen? Trotz allem?

Wir werden sehen, ich war gespannt, und ein wenig nervös.

Langsam fuhr ich durch die immer heller werdenden Straßen, bis ich vor Joshs Geschäft anhielt. Ich stellte den Motor ab und wartete. Justin hatte schon den Türgriff in der Hand. Als er bemerkte, wie ich zögere, blickte er mich fragend an.

»Was ist, willst du doch nicht rein?«

Ich war unschlüssig und blieb sitzen. Mit meinem Daumen trommelte ich auf das Lenkrad. Josh und Justin, zusammen, in einem Raum, würde das gut gehen? Würde das auch gut für mich sein?

Ich blickte in Justins Augen und sah sie wieder, die Brunnen, diese tiefen unendlichen Brunnen. Man könnte sich in ihnen verlieren. Sie könnten einen in ihre unruhige, alles verschlingende Tiefe mitziehen, hinunter in diese unergründliche Welt. Eine Seele die nicht darauf vorbereitet war, ein Körper der schwach war.

Ich aber blieb am Rand der Brunnen, ich blieb oben, und wurde nicht mehr mit hinunter gezogen. Ich wusste nicht, ob ich froh darüber sein sollte.

»Was nun?«, fragte Justin neben mir, ich seufzte

»Ja, komm. Lass uns reingehen und sehen, ob er uns helfen kann.«

Wir stiegen beide aus dem Auto und gingen zur Eingangstüre. Abermals dieses zarte Glöckchen, als ich die Tür aufstieß. Es klang als erwartete einen hier drinnen nur das Schönste und Leichteste. Als verkaufte Josh hier Wolken, Wind und Glück. Gut, dass ich es besser wusste.

Justin, neben mir, erstarrte, kaum dass er über die Schwelle trat. Es war noch der gleiche Geruch nach Nichts, wie bei meinem letzten Besuch. Nur das ich darauf gefasst war und er nicht.

Ich ließ ihn stehen und sah mich nach Josh um. Wie immer stand er hinter dem Tresen, auf seine Arme gestützt und blickte mich an.

Diesmal lag keine Freundlichkeit mehr in seinem Blick. Sein Geruchssinn war scharf genug, sodass er Justin sofort als Artgenossen erkannte. Er würde sich aber auch daran erinnern, dass Justin der Blutsack war, der letztens erst vor seinem Geschäft in meinem Mustang schlief.

Jetzt war er schon ein Vampir.

»Hallo Natascha«, sagte Josh leise. Er kam hinter seinem Tresen hervor, seine Augenbrauen düster zusammengezogen, sein Blick war abwartend und misstrauisch.

»Was führt dich zu so früher Stunde in meinen Laden?«

Er blickte rasch zu Justin rüber, der staunend seine Augen aufriss.

Ich lächelte Josh freundlich zu, packte seinen Arm und zog ihn nach hinten zu seinem Tresen. Er ging bereitwillig mit.

Ich senkte meine Stimme zu einem Flüstern, ich wusste auch nicht warum, aber aus irgendeinem Grund wollte ich nicht, dass Justin unsere Unterhaltung mitbekam.

»Hör mal Josh, ich brauche ganz dringend deine Hilfe. Ich … wir haben da ein klitzekleines Problem, ein 160 Pfund Problem.« Ich blickte Josh gespannt an. Er zog eine Augenbraue bis hoch in seine blonden Harre, sodass sie fast darin verschwand.

»Ein 160 Pfund Problem?« Josh sah leicht amüsiert aus, um seinen Mund zuckte es ein wenig.

»Was hast du denn wieder angestellt?« Er schüttelte leicht den Kopf.

»Ich war das ausnahmsweise diesmal nicht. Justin war das, er ist einfach über ihn hergefallen, in einer Tiefgarage.«

Ich verdrehte die Augen und entschied mich dafür, Josh die ganze Wahrheit zu erzählen. Lügen brachten mich hier nicht weiter.

»In meiner Tiefgarage, wo ich wohne. Wir waren gerade auf dem Weg zu mir nach oben, da hat der Kerl die Tür geöffnet und schon war es passiert. Nun kann ich in meinem eigenen Revier ja nicht gut eine Leiche herumliegen lassen, so hab ich ihn in den Kofferraum gepackt.«

Ich lächelte kurz. »Dann bist du mir eingefallen, du und dein Keller. Könnte ich dir den Kerl überlassen? Du hast doch eine Möglichkeit Leichen verschwinden zu lassen. Du könntest mir diesen Kerl vom Hals schaffen.« Joshs Blick ging abermals in Justins Richtung. Schnell beeilte ich mich, zu sagen:

»Ich meine den Kerl in meinem Kofferraum.« Irgendwie war mir Josh heute unheimlich. Sein Blick war so anders, so starr und kalt, unnahbar, ja beinahe schon teuflisch.

»Hm, eigentlich habe ich keinen Zauberkeller, der Leichen einfach so«, er schnippte mit den Fingern, »verschwinden lässt. Ich gehe damit ein großes Risiko ein, die Obrigkeit könnte davon Wind bekommen, dann wäre ich dran.«

Ein seltsamer Blick traf mich aus seinen schönen blauen Augen. So hatte ich das noch nicht gesehen, ich wollte natürlich nicht, das Josh meinetwegen Ärger bekam. Dennoch war ich enttäuscht. Dann musste ich mir eine andere Lösung ausdenken.

»Ja, da hast du natürlich Recht, Josh. Daran habe ich nicht gedacht. Verzeih, ich wollte dich nicht damit belästigen.«

Ich wollte mich umdrehen um mit Justin den Laden zu verlassen. Josh packte mich am Arm und drehte mich zu sich. Seine funkelnden Augen trafen mich.

»Ich will auch den Rest hören«, abermals ein rascher Seitenblick auf Justin. Dann zerrte Josh mich um die Theke, zu seiner Kellertür, stieß sie auf und schubste mich hinein. Ich sah noch, als ich einen kurzen Blick über die Schulter warf, wie Justins Kopf herumfuhr, sich sein Blick verdunkelte.

»Wir sind gleich wieder da«, sagte Josh knapp zu ihm. Justin schien beruhigt zu sein.

Im Keller war es dunkel, tröstlich und duftend.

Josh schaltete kein Licht ein, wir brauchten auch keins. Zuerst konnte ich nur Umrisse erkennen, meine Augen brauchten ein bisschen länger, um sich an die Dunkelheit anzupassen.

Josh presste mich leicht gegen die Wand, ich konnte seine Hände um meine Hüften spüren, sie wanderten langsam höher, meine Seiten hinauf, über meine Rippen, herum zu meinen Schulterblättern. Er löste seine Hände von mir und drückte mich ganz an die Wand. Seine Hände berührten mein Gesicht, vergruben sich in meinen Haaren. Sein Körper presste sich an meinen. Sein Geruch hüllte mich ein.

»Josh, ich … hör bitte auf.«

»Ich wollte nur sehen, ob es noch genauso ist, wie vor ein paar Tagen. Ob du noch genauso bist«, flüsterte er mir ins Ohr. Alleine sein kalter Atem, der auf meine feinen Haare traf, löste bei mir ein Schaudern aus, der meinen Rücken rauf und runter schoss.

»Und?«, fragte ich ihn neugierig. Er ließ mich los, ging einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Du riechst immer noch genau so verführerisch. Aber…«, er zögerte.

»Aber?«, fragte ich zurück. Josh holte kurz Luft.

»Aber irgendwas ist anders an dir. Ich kann es noch nicht erfassen, doch ich werde es schon noch herausfinden«

Er legte mir locker seine Arme auf die Schultern.

»So, meine Süße, jetzt will ich alles hören, was in den letzten paar Tagen passiert ist. Vor allem interessiert mich, wie dieser Blutsack da drinnen«, er nickte flüchtig mit seinem Kopf in Richtung Tür, die in seinen Laden führte, »sich so schnell in einen Vampir verwandeln konnte.«

Ich holte tief Luft und erzählte ihm alles… fast alles. Bestimmte pikante Details ließ ich unter den Tisch fallen, aber im Prinzip breitete ich die letzten Tage genau vor ihm aus.

Als ich fertig war, blickte mich Josh immer noch an.

»Er scheint ja kein böser Junge geworden zu sein.«

»Nein, er ist eigentlich immer noch genau so, wie sonst auch.«

»An deiner Stelle, würde ich ihn im Auge behalten. Die schnelle Verwandlung ist immer mit Risiken verbunden. Das weißt du doch.«

»Er ist kein Monster«, antwortete ich trotzig, »es war viel Gutes in ihm und das ist es jetzt auch noch.«

In Joshs Augen blitzte es plötzlich auf.

»Jetzt weiß ich was mit dir nicht stimmt, warum alles so anders ist. Du bist in den Kerl verliebt … total verknallt.«

 

Ich rollte mit den Augen und blickte zu Seite. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich wahrscheinlich noch knallrot im Gesicht geworden.

Ich befreite mich von seinen Armen.

»Nun weißt du ja alles, ich … wir müssen jetzt weiter, ich muss die Leiche noch entsorgen, bevor sie zum Himmel stinkt. Außerdem muss ich Frank und Dennis finden. Ich habe noch viel vor. Also, danke schön fürs Zuhören und wir sehen uns.« Ich löste mich von der Wand und wollte zur Tür gehen.

Joshs Arm schnellte vor und packte mich, ich hielt an. Er stand hinter mir, eng an meinen Rücken gelehnt. An beiden Oberarmen hielt er mich eisern fest. Ich sah über die Schulter, ich wollte wissen, was er vorhatte.

»Josh, was ist … lass mich los.« Statt einer Antwort strich er mit seiner Nase und den Lippen, meinen Hals hoch. Er küsste mich hinters Ohr. Ich konnte gerade noch ein Stöhnen zurückhalten.

»Sag mir, dass du das nicht schön findest, dass du keine Lust empfindest. Sag mir, dass du diesen Kerl liebst, mich aber nicht.« Aus Joshs Körper erklang ein kurzes drohendes Knurren. »Sag es mir.« Seine Stimme war drängend.

Ich holte tief Luft. »Ich liebe dich nicht. Lass mich jetzt bitte los.« Ich spürte, wie seine Hände, meine Arme kurz noch fester umfassten, härter zupackten. Dann wurde sein Griff wieder locker, schließlich ließ er mich ganz los.

Ich atmete einmal tief durch. Warum nur war alles immer so kompliziert?

»Danke schön. Bis bald, Josh.«

Wieder versuchte ich zu gehen, zum dritten Mal heute schon. Erneut hielt er mich zurück.

»Natascha, bitte warte.« Seine Finger streiften nur flüchtig meine Schulter.

»Hol den Kerl aus deinem Kofferraum, wir bringen ihn hier in den Keller. Ich werde sehen, wie ich ihn los werde.« Erleichterung war das Einzige, das ich spürte.

»Danke, ich stehe tief in deiner Schuld.«

»Ich weiß. Ich komme bei Gelegenheit darauf zurück.«

Ich drehte mich um und blickte ihm fragend in die Augen. Er grinste mich nur an. Dann gab er mir einen Stoß in den Rücken. »Los mach schon, gleich ist es zu belebt draußen.«

Ich öffnete seine Tür und betrat den Laden wieder.

Justin saß im Sessel und blätterte in einem Buch. Es war ein Roman über Vampire. Die üblichen Schauergeschichten über uns, von verbrennender Sonne, die Unverträglichkeit von Silber, das Unvermögen ein kirchliches Kreuz anzufassen, die Vernichtung durch Weihwasser und durch Holzpflöcke, die uns durch die kalten Herzen gerammt wurden. Grässlich.

Er sah von seinem Buch hoch und blickte mich erleichtert an.

»Hilfst du mir mal?«, fragte ich ihn und ging an ihm vorbei. Er legte sein Buch weg und folgte mir. Draußen, an meinem Auto blickte ich die Straße rauf und runter, um mich zu vergewissern, vor neugierigen Augen verschont zu sein.

»Was habt ihr denn so lange besprochen?«, fragte Justin mich und seine Brauen zogen sich düster zusammen.

»Ich habe Josh von unseren Abenteuern erzählt. Er wollte das gerne genauer wissen.«

Ich hob Ralph aus dem Kofferraum und hielt ihn, als wenn er betrunken wäre und ich ihn stützen müsste.

Auch Justin blickte die Straße runter und beobachtete zusätzlich noch die Fenster aus den Häusern gegenüber. Mit meinem Betrunkenen im Arm wankte ich zurück in den Hexenladen.

Josh stand wieder hinter seiner Theke, er nahm mir Ralph ab und trug ihn selbst in den Keller.

Nach kurzer Zeit kam er wieder, rieb sich die Hände an der Hose ab und schloss krachend die Tür zum Keller.

»Danke nochmals«, ich nickte ihm zu.

»Ich werde darauf zurückkommen.« Sein Blick war abermals kühler. Ich wendete mich um und wollte gehen.

»Natascha?« Das war dann der vierte Versuch.

»Ja?«

»Ich kann mir sehr gut vorstellen, wo du Frank finden kannst. Dein Sohn wird auch bei ihm sein.«

»Wo?«

»Einige Kilometer von hier hat Frank doch sein Landhaus. Weißt du wo das ist?«

Er sah mich fragend an. Ich schüttelte meinen Kopf.

»Warte kurz, ich zeig es dir auf einer Karte.« Er ging zurück zu seinem Tresen, unterwegs griff er, scheinbar wahllos, in eine Kiste und holte eine Landkarte von der Umgebung hervor. Er breitete sie auf seinem Tresen auseinander. Ich war ein wenig verwirrt.

»Frank hat ein Landhaus?«, fragte ich Josh. Er schaute von der Karte auf, und runzelte die Stirn.

»Ja, hast du das nicht gewusst?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Nein«

»Ich glaube du hast so einiges nicht von ihm gewusst.«

Er suchte weiter auf der Karte. Dann blieb sein Finger stehen.

»Da. Da ist es.« Ich kam näher, um mir den Punkt einzuprägen und ihn wiederzufinden. Dabei stellte ich fest, dass es genau zwischen unserer Stadt und dem kleinen Dorf war, in dem Dennis mit seinem Vater und seiner Schwester wohnte. Wir waren also schon einmal daran vorbeigefahren. Ich konnte es nicht fassen. Sollte ich den beiden denn schon so nah gewesen sein und hatte es nur nicht gewusst?

»Danke.« Dabei legte ich meine Hand auf seine, die immer noch den Punkt auf der Karte markierte. Er blickte mich nicht an. »Schon in Ordnung, ihr geht jetzt besser.«

Seine Stimme wirkte gepresst.

Justin und ich gingen zum Ausgang. Ich war schon gespannt, ob ich es diesmal wirklich hier raus schaffte.

»Natascha?« Unwillkürlich musste ich grinsen. Fünfter Versuch fehlgeschlagen. Ich drehte mich um. »Ja?«

»Sei bitte vorsichtig, Frank ist ein kranker Irrer. Du weißt nicht, wozu er fähig ist.« Josh schluckte kurz.

»Seid vorsichtig.«

Mir war nicht entgangen, dass er jetzt uns beide, Justin und mich, angesprochen hatte. Es freute mich ein bisschen.

»Okay. Bis dann.«

Diesmal gingen wir wirklich.

Im Wagen angekommen meinte Justin:

»Wart ihr beiden mal …« er suchte nach dem richtigen Wort, »Gefährten?« Seine Augenbrauen schoben sich zusammen.

Ich sah über ihn hinweg, auf die geschlossene Tür von Joshs Laden.

»Nein, aber es war schon irgendetwas … na ja, zwischen uns. Aber das ist vorbei.«

Ich lächelte Justin an, bemerkte aber, wie es nicht meine Augen erreichte.

Vorbei?

Wirklich?

Aus und vorbei?

Fragte irgendetwas tief in mir drin. Ich gab dem Ding keine Antwort.

Ich startete den Motor und fuhr in Richtung Landhaus. Justin saß schweigend neben mir, auch ich hing meinen Gedanken nach. Wer oder Was hatte da bloß eben zu mir gesprochen? Warum wurden die Dinge immer kompliziert, wenn sie doch gerade einfacher werden sollten. Ich grübelte weiter und horchte in mich hinein.

Dabei bemerkte ich gar nicht, wie Justin immer wütender wurde. Wie er vor Zorn fast schon rauchte. Seine Augen blitzten und sprühten vor Hass.

Ich bemerkte es nicht, ich lauschte nur dem monotonen Geräusch der Reifen, die unter mir rollten und mich näher an Frank brachten und hoffentlich auch zu Dennis.

Ein scharfes Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Dann war ein Knurren zu hören, tief und bedrohlich. Ich überlegte wo dieser Laut herkam. Ich wollte Justin gerade fragen, ob er es auch hörte. Ich wendete meinen Kopf ihm zu und erstarrte.

Gelbe Raubtieraugen funkelten mich an, die Zähne waren lang und spitz, sie blitzten im hellen Tageslicht. Das Gesicht war zu einer wütenden Fratze verzerrt.

»Justin, was ist los?«, ich starrte ihn an.

Seine Hände schnellten vor und umgriffen die Kante der Ablagefläche, über dem Handschuhfach. Seine Finger verkrampften sich und mit einem lauten Krachen hatte er ein Stück davon abgebrochen. Mit offenem Mund starrte ich auf seine Hände. Er ließ das Stück Plastik einfach fallen. Schaumstoff rieselte aus der klaffenden Wunde meines Mustangs. Justin drehte sich nach rechts und zerschmetterte mit einem Fausthieb die Seitenscheibe. Es knallte fürchterlich, Glas flog umher. Die kleinen Scherben setzten sich überall fest. Er ballte die Hand abermals zur Faust.

»Hey, hör sofort auf damit«, brüllte ich ihn an, »du nimmst mein Auto auseinander. Was ist los mit dir?« Ich fuhr an den rechten Fahrbahnrand und hielt an.

Die Faust immer noch im Anschlag blickte Justin mich mit diesen Funken sprühenden Augen an. Ohne den Blick von mir abzuwenden, schlug er auf das geschlossene Handschuhfach. Es knackte, krachte und Plastiksplitter schossen umher wie die Schrapnellteile einer Handgranate.

Meine Hand schnellte vor und packte ihn am Arm.

»Was zum Teufel ist los mit dir?« Ich musste brüllen, um das wahnsinnige Knurren, das aus Justins Inneren kam, zu übertönen.

»Ich bin wütend«, knurrte er, holte mit der rechten Hand aus und donnerte sie gegen seine Tür. Der ganze Mustang wackelte und vibrierte.

»So wütend war ich noch nie. Ich muss meine Wut raus lassen.« Er verzog kurz den Mund, es sollte wohl ein Lächeln sein.

»Aber nicht an meinem Auto, verdammt;« brüllte ich zurück.

Ich gab es ja nur ungern zu, aber ich hing sehr an meinem Mustang. Er war schließlich ein Oldtimer, Baujahr 1966, 4,7 Liter, V8 Motor. Er brachte satte zweihundertsiebzig Pferdchen auf die Straße. Er wurde liebevoll restauriert und mit einem herrlichen roten Lack überzogen. Aber am liebsten hatte ich ihn in einem Stück, heil und unversehrt.

Ich hielt Justin an den Schultern und drehte ihn in meine Richtung. Immer noch hörte ich dieses drohende Knurren aus seinem Inneren. Ich suchte seinen Blick, sah in diese wütenden Raubtieraugen, nagelte sie mit meinen fest.

»Was ist los mit dir?« Ich betonte jedes Wort, damit ich bis zu seinem Inneren durchdrang, über das wütende Knurren hinweg.

Er fixierte mich, seine Brauen zusammengezogen, die Augen zuckten hin und her.

Aber das Grollen wurde leiser, langsam floss die braune Farbe über das Gelb seiner Iris. Die Gesichtszüge entspannten sich. Das Knurren hatte ganz aufgehört.

Justin zwinkerte ein paar Mal, dann sah er mich erstaunt an.

»Was ist los? Warum hast du angehalten?« Seine Stimme war sanft, er blickte sich um.

»Wir sind doch noch gar nicht da.«

Ich ließ seine Schultern wieder los und starrte nach vorne. Er hatte sich auch wieder gerade hingesetzt und betrachtete nachdenklich die Stelle an der Ablage vor ihm. Schaumstoff quoll heraus, ein paar dünne Kabel waren zu sehen. Der gezackte Plastikrand gab dem Ganzen das Aussehen einer tiefen Wunde. Justin fuhr mit den Fingerspitzen leicht über das klaffende Loch.

»Was ist das denn?« fragte er leise und schien wirklich erstaunt zu sein.

»Das warst du«, ich wendete mich ihm zu, »ich habe dich nicht wiedererkannt, Justin. Du warst… so voller Wut.«

Ich schüttelte meinen Kopf.

»Was ist bloß in dich gefahren?«

»Ich … ich weiß es nicht.«

Er schob seine Brauen zusammen und blickte zur Seite.

»Ich war ein bisschen sauer auf dich, das weiß ich noch. Das Nächste was ich sehe, bist du und das wir angehalten haben.«

»Warum warst du sauer auf mich?«, fragte ich und war immer noch erstaunt, dass er von seinem Verhalten nichts mehr wusste.

»Ach«, er machte eine kurze wegwerfende Handbewegung,

»wegen Josh, und … dass ihr euch so vertraut seid, so nahe steht. Das hat mich ein bisschen wütend gemacht.«

»Ein bisschen wütend?« Mein Ton wurde sarkastisch.

»Das eben sah mir aber nicht nach ein bisschen wütend aus, sondern eher wie: komm her und ich reiß dir den Kopf ab wütend.«

Justin verzog den Mund zu einem Lächeln.

»Es tut mir sehr, sehr leid. Ich werde den Schaden natürlich ersetzen.« Er nahm meine Hand und küsste mir auf die Innenseite. Er küsste jede meiner Fingerspitzen, sofort stand meine Hand in Flammen. Mit jeder Berührung seiner kalten Lippen schwand mein Misstrauen immer mehr. Am Ende schloss ich die Augen und hatte den Vorfall schon beinahe vergessen. Er rückte näher zu mir und sein Mund berührte meinen Hals. Er strich mit den Lippen hoch bis zu meinem Ohr und langsam wieder herunter. Dann biss er mir ganz leicht in den Hals.

Eine Stimme in mir brüllte laut und knurrend: »Vorsicht!«

Vor Schreck schrie ich kurz auf. Meine Arme wirbelten herum, wehrten Justin ab. Ich hatte einen kurzen Moment wirkliche Todesangst.

Mein Atem ging schneller, meine Augen waren schreckensgeweitet.

Justin blickte mich erstaunt an. »Was ist?«

 

»Nichts.« Log ich.

»Alles in Ordnung, lass uns einfach weiterfahren. Okay?« Justin lehnte sich wieder in seinen Sitz und starrte vor sich hin.

Ich versuchte mich zu beruhigen, atmete prustend aus und startete den Mustang. Meine Hände zitterten leicht.

Was ist bloß hier los, fragte ich mich. Seit wann höre ich denn Stimmen? Seit wann habe ich Angst vor Justin? Ich warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, er starrte nachdenklich vor sich hin.

In welchen miesen Horrorfilm bin ich hier geraten?

Hatte Josh am Ende mal wieder Recht behalten? Kann bei einer schnellen Verwandlung einfach nichts Gutes herauskommen? Ich wollte es nicht wahrhaben, ich wollte es einfach nicht.

Während die Reifen unter mir schnell dahin rollten, redete ich mir unermüdlich ein, dass eben nichts passiert sei, dass Justin nur ein bisschen überreagiert hatte, nur ein wenig ausflippe. Ich wiederholte die Worte so lange in mir drin, bis sie glaubwürdig klangen, bis ich sie selber glaubte.

Wir waren fast am Ziel, ich musste nur noch in einen kleinen Waldweg einbiegen, der mich einen Kilometer in den Wald führte.

Ich war ein wenig nervös, starrte auf den Waldweg vor mir. Ich suchte nach dicken Ästen, die meinem Mustang den Weg versperren könnten.

Plötzlich schrie eine Stimme wieder: »Vorsicht!« Ich riss den Kopf herum, aber es war zu spät.

Der Jeep kam zwischen den Bäumen hervorgeschossen wie ein wütender Bär.

Er rammte mit seinem Bullenfänger die Seite meines Wagens. Justin schrie auf. Es krachte fürchterlich, der Mustang stand kurzzeitig nur auf zwei Räder. Dann schleuderten wir auch schon auf die Bäume zu. Ich bremste und riss dann das Lenkrad herum. Wir standen quer auf dem Waldweg. Der schwarze Jeep blieb seitlich zu uns, in ein paar Metern Entfernung stehen.

Justin und ich blickten aus dem zerstörten Seitenfenster auf diesen mörderisch großen Pritschenwagen. Ich kannte das Auto, es war Franks Jeep Gladiator. Ein riesen Teil von einem Wagen.

Hinter der Beifahrerscheibe grinste Dennis mich spöttisch an. Frank lehnte sich von der Fahrerseite her zu ihm rüber und winkte uns zu. Dann gab er Gas, ließ die Hinterreifen Dreck schleudern und fuhr in Richtung Landstraße davon. Ich wendete und machte mich auf, sie zu verfolgen.

»Ich glaub, ich spinne«, regte sich Justin neben mir auf.

»Der wollte uns umbringen«, er schüttelte seinen Kopf.

Ich spürte keine Angst, mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt, dass ich nicht sterben konnte.

Ich sah nur Dennis’ Gesichtsausdruck vor mir und war entsetzt darüber, wie kalt seine Augen wirkten und dann sein spöttisches Lächeln …

Ein entsetzlicher Verdacht keimte in mir hoch, ich unterdrückte den Gedanken schnell und konzentrierte mich nur auf die Verfolgung von Franks Jeep.

Inzwischen war er, ohne langsamer zu werden, auf die Landstraße abgebogen und preschte in südlicher Richtung davon. Ich gab Gas, der Motor brüllte und knurrte unter mir. Ich bog auch auf die Landstraße ein. Aber sie waren weg. Kein Jeep war mehr zu sehen, obwohl die Straße hier schnurgerade war. Ich blickte verdutzt die Straße rauf und runter, so schnell war der Jeep auch wieder nicht, Frank musste also irgendwo abgebogen sein.

»Wo sind sie denn bloß hin?«, fragte Justin.

»Ich weiß es nicht«, sagte ich leise und überlegte wieder. Langsam fuhr ich die Straße entlang. Es gab hier alle hundert Meter einen schmalen Weg, der in den Wald hineinführte. Welchen haben die Beiden nur genommen? Plötzlich sah ich breite Reifenspuren, die in einen der Wege führten. Ich zerrte mein Lenkrad herum und folgte den Spuren.

Nur langsam kam ich voran. Trotz der lang anhaltenden Dürre in den letzten Wochen war der Weg morastig, nicht viel, aber mein Auto war schließlich kein Offroader. Wenn wir stecken blieben, wäre das nicht gut, gar nicht gut.

Ein Stück weiter wurde der Untergrund wieder fester und ich konnte beschleunigen. Immer tiefer fuhren wir in den Wald hinein. Keine Spuren waren mehr zu entdecken.

»Das gibt es doch nicht. Wo sind die nur?«, fragte ich in die Stille hinein.

»Keine Ahnung, aber gib mal Gas, dann erwischen wir sie bestimmt weiter vorne.« Justin blickte angestrengt durch die Windschutzscheibe. Ich drückte das Pedal noch tiefer durch. Der Mustang schoss über den erstaunlich ebenen Waldweg. Plötzlich ein Knurren und Brummen von rechts.

Der Jeep flog förmlich zwischen den Bäumen hervor. Wie ein brüllendes Tier stürzte er sich auf den Mustang. Selbst ich konnte mir ein erschrecktes Kreischen nicht verkneifen.

Die Schnauze des Gladiator traf mit voller Wucht die Beifahrerseite. Justin hielt sich die Arme vors Gesicht und wendete sich ab. Ich hielt das Lenkrad krampfhaft fest, aber es half nichts. Die Wucht des Aufpralls katapultierte meinen Wagen nach links, runter vom Waldweg, unaufhaltsam in Richtung Bäume. Ich versuchte zu bremsen, den unvermeidlichen Aufprall in letzter Sekunde noch abzuwenden. Aber der Mustang reagierte nicht mehr.

Mit hoher Geschwindigkeit prallten wir frontal gegen eine Fichte. Das Heck des Mustangs hob ein bisschen vom Boden ab, als sich die gesamte Frontpartie, wie in einer innigen Umarmung, um den Stamm schmiegte.

Blitzartig war es still. Ein Ticken war noch zu hören, sonst nichts. Ein paar Vögel, die aufgeregt davonflogen, dann war es wieder still.

Ich blickte auf meine Hände, die noch krampfhaft das Lenkrad umklammerten. Sah auf den rauen Stamm der Fichte, die viel zu nahe stand. Langsam drehte ich meinen Kopf, es knackte in meinem Genick.

Justin saß immer noch in seinem Sitz, ich war erstaunt, er war nicht angeschnallt und hatte eigentlich nichts zum festhalten. Ich hatte eigentlich erwartet, dass er im hohen Bogen aus dem Auto geschleudert wurde.

Er hielt sich eine Hand vor die linke Gesichtshälfte, Blut rann darunter hervor. Ich nahm seine Hand und wollte sie wegziehen.

»Zeig mal, wie schlimm ist es.«

»Nein, lass es.« Er klang ängstlich. Er drehte sich ein wenig von mir weg und nahm die Hand langsam runter, sie war voller Blut. Dann blickte er mich zögernd an. Seine linke Gesichtshälfte, vom Auge bis zum Mund, war beinahe verschwunden. Tiefe Risse zogen sich über die Wange. Der Wangenknochen war gebrochen, ich konnte durch die offenen Wunden die Knochensplitter sehen, die gesamte Seite sah eingefallen aus. Aber das Schlimmste war die leere Augenhöhle. Sein linkes Auge war nicht mehr da. Stattdessen starrte mich ein schwarzes Loch an.

»Oh, …dich hat es aber erwischt.« Ich hob meine Hand und wollte ihm über die zerstörte Wange streichen. Er zuckte zurück.

»Ich kann auf der Seite nichts mehr sehen, wie kommt das?«

Er drehte den Rückspiegel in seine Richtung und blickte hinein. Sekundenlang, schweigend. Dann ruckte sein Kopf zu mir.

»Meinst du das verheilt wieder? Meinst du ich kann bald wieder sehen mit …eh …wird mir eigentlich ein neues Auge wachsen?« Er blickte erneut in den Spiegel.

»Das sieht furchtbar aus. Ich sehe furchtbar aus.«

»Deine Selbstheilungskräfte werden dich schon wieder zusammenflicken. Was mit dem Auge allerdings passiert, das weiß ich auch nicht.«

Er tat mir leid. Ich schien bei dem Unfall nichts abbekommen zu haben. Ich hatte nicht einmal einen Kratzer.

Er starrte nach wie vor in den Spiegel, mir brannte die Zeit unter den Nägeln, ich wollte Frank erwischen.

»Justin, meinst du, du kannst laufen? Ich will weiter, ich will Frank und Dennis erwischen.«

»Ja, natürlich. Entschuldige bitte, ich hatte sie für einen kurzen Moment vergessen. Komm lass uns gehen.«

Er versuchte die Beifahrertür zu öffnen, aber sie war bei dem Aufprall des Jeeps mit dem Rest der Karosserie verschmolzen. Er sprang über die Tür und stand auf dem weichen Waldboden. Ich musste es ihm nachmachen, da meine Tür auch klemmte.

»Wir werden sie schon finden Tascha, mach dir keine Sorgen.« Er sah mich merkwürdig an.

»Ja, ich weiß.«

Ich schloss meine Augen und zog die Waldluft in meine Nase ein. Alles was ich roch war Wald, Harz, Blut, Justin, Benzin und Öl. Ich öffnete meine Augen und ging auf den Weg zurück. Da waren die Reifenspuren wieder zu erkennen, sie führten den Weg weiter, Frank war also den Waldweg entlang gefahren. Ich packte Justin am Arm und deutete auf die Spuren im Boden.