The Butterfly Tales: Imogen

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„Woher willst du wissen, ob das Schwert ohne deine Magie nicht funktioniert? Hast du es ausprobiert?“, fragte Blake. Sowohl die Spitze als auch die Schneide konnten ihm sicherlich Schaden zufügen, mutmaßte er.

„Es war nicht nötig, es herauszufinden“, murmelte Imogen. Auf ihrem Gesicht zeigten sich abermals Spuren des Bedauerns. Das konnte Blake sehen. Er brummte vor sich hin und brachte sie so zum Aufblicken. „Was ist?“, fragte sie und verstaute den Stab wieder dort, wo er sicher war, als sie die geringschätzigen Blicke des Mannes bemerkte.

„Lass mich eines klarstellen“, begann Blake zu sagen und trat auf sie zu. „Ich glaube nicht an Gottheiten. Ich glaube nicht an Zauberei. Ich glaube nicht an Schicksal. Doch woran ich glaube ist dies: an die Kraft aus uns selbst heraus. Ich glaube daran, dass ein jeder von uns Talente und Fähigkeiten besitzt. Was wir aus ihnen machen, liegt in unseren eigenen Händen und nicht in denen von unsichtbaren Wesen, die sich einen Dreck um unser Wohlergehen scheren. Es liegt auch nicht an schön klingenden Zaubersprüchen oder am Anheulen des Mondes. Einzig und allein an uns und an unserem Vertrauen in uns selbst. Du setzt viel zu sehr auf anderes als auf dich selbst. Das ist verständlich, denn du wurdest mit deiner Magie und dem Glauben an sie und dem Vertrauen in sie geboren und erzogen. Aber du solltest dich vielleicht fragen, ob deine Magie wirklich jemals hier drin gesteckt hat.“ Behutsam berührte er ihren intakten Flügel. „Oder ob sie nicht doch eher hier drin war und ist“, sagte er und deutete auf ihre Brust.

Seine Worte riefen unterschiedliche Gefühle in Imogen hervor. Einerseits schockierten sie seine Ansichten und ließen Mitleid für Blake in ihr aufkommen. Welches Elend musste er erlebt haben, um so zu denken und um den Glauben an so ziemlich alles zu verlieren? Für Imogen selbst war es etwas völlig anderes. Sie wusste um die Wunder ihrer Welt, und sie wünschte sich, Blake würde all das ebenfalls sehen – eines Tages – und dann seine Meinung ändern. Ebenso wusste sie um die Existenz ihrer Magie, hatte sie erlebt und mit ihr gelebt. Nun war sie fort. Sie spürte aber auch Neugierde aufgrund von Blakes Rede. Was, wenn er Recht hatte? Wenn ihre wirkliche Magie aus ihr selbst herauskam, wenn sie schon immer tief in ihr gesteckt hatte? Wünschenswert wäre es allemal und ihrem Plan zuträglich gewesen.

Imogens Augen weiteten sich und sie keuchte auf vor Erstaunen. Blake nickte. Er hatte vermutet, dass sie nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet hatte, dass es möglich sein konnte, wovon er sprach. Doch hier hatte er nun den Beweis: ihre Reaktion.

„Es ist möglich“, flüsterte er, „deine Kraft kann aus dir selbst herauskommen. Du musst nur daran glauben.“ Imogen schüttelte den Kopf. Ob nun als Verneinung auf seine Aussage oder ob aus Verwirrung vermochte er nicht zu deuten. Doch er beobachtete sie dabei, wie sie beinahe hilfesuchend zu Arren blickte. Sein notwendiges Übel, das schweigend bei ihnen gestanden hatte, nickte ihr zu.

„Ich würde seinem Rat folgen. Ich habe Leute sagen hören, dass es wie Magie wirkt, wenn Blake kämpft, ob mit oder ohne Waffe, und das kommt ganz sicher nicht von irgendwelchen phantastischen Schwingen auf seinem Rücken“, meinte Arren und zwinkerte seinem Partner zu. Dieser wandte sich wieder Imogen zu.

„Siehst du, er vertraut mir“, merkte er an, was sie höhnisch auflachen und einwenden ließ, dass sich die beiden bereits längere Zeit kannten als Imogen Blake kannte. Der Meuchelmörder hob die Hand und brachte sie zum Schweigen. „Das stimmt, aber immerhin vertraust du uns genug, um uns um Hilfe zu bitten“, erinnerte er sie.

Imogens Lippen öffneten sich, bereit, ihm eine Antwort darauf zu geben. Doch die Widerworte, die sich in ihrem Kopf zusammengefügt hatten, fanden den Weg nicht zu ihrem Mund. Somit verschränkte sie nur die Arme vor der Brust und gab sich geschlagen. Sie wusste, dass sie zumindest diesen Kampf verloren hatte.

Blake schmunzelte über ihren Anblick, kam jedoch nicht umhin zu denken, dass daran etwas nicht stimmte. Nun, es stimmte so einiges nicht an ihrem Anblick und der gesamten Situation. Immerhin stand vor ihm ein menschengroßer eingeschnappter, aber nicht minder kämpferischer und vor allem ein sehr hübscher Schmetterling. Blake schüttelte den Kopf, um Gedanken dieser Art loszuwerden, und das war es auch nicht wirklich, was nicht zur Symmetrie des Bildes passte. Symmetrie – das war es! Es war die Ungleichheit von Imogens Silhouette, die ihm Rätsel aufgab.

„Bevor wir weitergehen, habe ich noch eine Frage an dich“, sagte er und wartete auf ihre Erlaubnis, sie stellen zu dürfen. Als sie sie ihm nickend erteilte, fuhr er fort. „Warum hast du dir nicht auch den anderen Flügel abgeschnitten, wenn er doch unnütz ist? Ich könnte mir vorstellen, dass du ohne das verdammte Ding einfacher und unauffälliger durch das Gebüsch gekommen wärst.“

Vor Empörung entglitten Imogen sämtliche Gesichtszüge. Wut stieg in ihr auf, die sie an Blake ausließ. Sie versetzte ihm einen kräftigen Stoß gegen die Brust, sodass er zurücktaumelte. „Nenn es nicht Ding und auch nicht verdammt! Ich wurde mit ihnen geboren. Sie sind ein Teil von mir. Beleidigst du sie, beleidigst du mich. Und glaube ja nicht, dass ich nicht darüber nachgedacht hätte, es zu tun! Doch was auf meine Waffe zutrifft, trifft auch auf meinen verbliebenen Flügel zu. Außerdem, hast du schon einmal versucht, dir etwas abzutrennen?“, fuhr sie ihn an und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Als Blake den Kopf schüttelte, rief sie: „Es tut verflucht weh!“ Damit drehte sie ihm den Rücken zu und deutete auf einen Schnitt, den sie sich selbst an einem Felsen zugefügt hatte in der Hoffnung, sich den Flügel an ihm abzureißen.

Blake lehnte sich vor und betrachtete sich die Verletzung. „Soll ich es machen?“ fragte er kurzerhand.

~

„Oh Bruder! Ich hatte dich gebeten, dass es nicht zu blutig wird“, seufzte Prinzessin Laoghaire und verbarg ihr leidig verzogenes Gesicht in den Händen.

„Ach komm schon, Mimose. Zu einer guten Geschichte gehört so etwas dazu“, warf Prinz Anrai lachend ein. Er amüsierte sich köstlich über den Anblick seiner Schwester. Diese jedoch schüttelte den Kopf.

„Zu einer guten Geschichte gehört Liebe“, entgegnete sie ihm.

„Was das angeht, werden wir wohl niemals übereinkommen. Aber du wirst doch inzwischen einsehen, dass es Sinn ergibt, dass er ihr den Flügel entfernt? Er ist unnütz geworden, und es gibt noch zwei weitere gute Gründe dafür. Erstens, ein einflügeliger Schmetterling sieht albern aus. Zweitens, den Mann, unseren Blake, sieht man auf der Tapete mit ihr ab hier“, er deutete auf eine Stelle auf der Wandverkleidung, „gänzlich ohne Flügel.“

Prinzessin Laoghaire lugte hinter ihren Fingern hervor und stellte fest, dass ihr Bruder Recht hatte. Sie seufzte. „Na schön. Mach weiter. Aber bitte schmücke die Sache nicht zu lebhaft aus. Wenn du mir eklige Worte um die Ohren haust, schreie ich.“

Prinz Anrai rollte mit den Augen und winkte ab. „Keine Angst. Ich werde Rücksicht auf dich nehmen, und bald wirst du auch wieder an der Reihe sein zu erzählen“, sagte er und zwinkerte ihr zu. „Vorher kommt noch der Rest meiner Szene.“

~

Imogen wusste nicht, was sie mehr schockieren sollte: der Vorschlag an sich oder die Art, wie er ihn vorgebracht hatte? Trocken, ohne jegliche Emotion, ja schon beinahe herzlos und etwas müde war er in den letzten Sekunden gewesen. Wo war der Mann hin, der davor Mut machende Worte gesprochen und sie dazu angespornt hatte, auf ihre eigene innere Kraft zu vertrauen? Von Blakes Launen wurde ihr schwindelig, und einen Schmetterling schwindelig zu machen, das wollte schon etwas heißen.

Vielleicht war seine fehlende Sentimentalität aber auch das, was sie nun brauchte. Sie hatte eine innige Verbindung zu ihren Flügeln, und zugegebenermaßen war sie in der Hinsicht feige, es selbst zu tun. Sie fürchtete sich davor, zu zögern und zu zaghaft vorzugehen, was nur dazu führen würde, dass sie noch mehr litt. Was sie brauchte, zumindest in dieser Situation, waren emotionaler Abstand und zielgerichtetes Denken und Handeln. In einer Ecke ihres Kopfes wusste Imogen, dass Blake Recht hatte. Nur noch ihr Herz musste mitziehen.

Imogen atmete tief durch, straffte die Schultern und sah dem Mann in die Augen, der zwar nicht ihr Henker, jedoch ihr Folterknecht war. Sie kannte die Berichte über die menschlichen Richtmethoden und Möglichkeiten zur Erpressung eines Geständnisses oder zur Bestrafung. Sie hätte nie gedacht, dass ihr selbst solches Leid zugefügt werden würde.

„Ich bin bereit. Tue es“, sagte sie mit fester Stimme und reckte ihr Kinn stolz vor.

Umgehend nickte Blake und wies Arren an, Imogen vorzubereiten. Dieser packte sie an den Handgelenken und führte sie zu einem Baum, um den sie ihre Arme legen sollte wie zum Willkommensgruß der Natur. Imogen hätte beinahe gelacht über die Ironie, die sich hierin verbarg. Die Natur hatte ihr ihre Flügel gegeben. Nun war sie dabei, als man sie ihr nahm.

Bevor Blake auch nur die Klinge gezogen hatte, begann Imogen zu zittern und zu weinen. Arren, der auf der anderen Seite des Baumes, ihrem Richtblock, stand und ihre Arme festhielt, flüsterte ihr beruhigend zu: „Ich bin bei dir. Ich lasse dich nicht allein. Du wirst sehen, alles wird danach besser werden.“

Imogen lächelte gequält. Sie hoffte so sehr, dass er Recht behalten würde, und das dies hier ihr Opfer war, das sie für etwas Größeres hergab. Als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm, wurde ihren Gedanken ein Ende gesetzt. Es war Blake, der sich zum Schlag bereit machte.

Mit den Füßen schob er Blätter und Zweige auf dem Waldboden beiseite und ebnete die Erde, um einen sicheren Stand zu haben. Er hob die Arme, mit beiden Händen sein Schwert umfassend.

 

„Bist du sicher, dass du das tun willst?“, fragte Arren ihn.

Blake schnaubte. „Von wollen kann keine Rede sein. Es ist nun einmal notwendig. Ich tue, was getan werden muss, und jetzt halte sie ruhig“, knurrte er. Sein Gesicht war eine versteinerte Miene, die Imogen aufkeuchen ließ. Empfand er wirklich gar nichts in diesem Moment? Kein Mitleid, keine Sympathie? Doch war dies wirklich das, was gerade vonnöten war? Nein, schalt sie sich innerlich und spannte ihren Körper an, um Arren zu helfen, sie still zu halten.

„Mach endlich“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und kniff die Augen zusammen.

„Ich zähle bis drei“, hörte sie Blake sagen. Imogen begann zu wimmern.

„Eins.“

Sie spürte, wie ihre Knie weich wurden. Nicht mehr lange und ihre Beine würden unter ihr nachgeben. Würde Arren sie aufrechthalten können? Worüber man so nachdachte, wenn…

„Zwei.“

Der Griff um ihre Arme wurde stärker. Das konnte nur bedeuten, dass das Zittern ihres Körpers zugenommen hatte, von ihr unbemerkt. Imogen öffnete ein Auge und schielte zu Arren. Eine Schweißperle rann seine Stirn hinab, lief über seine Nasenwurzel und machte einen Bogen, um schließlich in seinem Auge zu landen. Er blinzelte verstärkt. Dann klärte sich seine Sicht auf sie wieder. Er ist immer noch da, hier bei mir. Wie er es versprochen hat, dachte sie und lächelte.

„Drei.“

Reflexartig kniff sie die Augen zusammen. Dann folgten der Schlag und unsagbare Schmerzen. Reißend, brennend, als würde sie in Flammen stehen. Ihr Schrei brachte ihre Kehle beinahe zum Bersten. Ihre körperliche Pein wurde zu seelischer, das Weinen und Klagen zu einem Wimmern, bis die Laute ganz verstummten und nur noch das Zittern blieb.

Sowohl Imogen als auch Blake besahen sich den auf dem Waldboden liegenden Flügel, dessen leuchtendes Gelb verblasste. Es wurde zu Silber und schließlich zu Schwarz, zum Tod. Der Flügel wurde faltig, kräuselte sich zusammen wie Pergament, das im Feuer verbrennt. Ein trauriger Anblick, der selbst so jemand wie den Meuchelmörder betroffen machte.

Blake dachte, er hätte schon alles auf dieser Welt gesehen. Doch dem war nicht so, wie er feststellte. Um zu verhindern, dass er noch tiefer in die Rührseligkeit tauchte, riss er seinen Blick von dem vertrockneten, toten Ding – und mehr als das war es auch nicht, ein Ding – und betrachtete sich Imogens Rücken.

„Es blutet nicht“, murmelte er, das Schwert nun an seiner Seite gesenkt, und trat näher an Imogen heran, die nickte.

„Nicht auf eine Weise, wie du es kennst“, sagte sie mit brüchiger Stimme. „Sieh hin. Dann wirst du verstehen, was ich meine.“ Und das tat er.

Er sah hin und beobachtete, wie eine silbrige Flüssigkeit aus dem Stummel, den er ihr gelassen hatte, trat. Sie leuchtete kurz auf, und als das Glühen nachgelassen hatte, war das Silber weiß und fest und die Wunde verschlossen. Imogens Rücken sah nun wieder symmetrisch aus, selbst mit zwei Stümpfen, die einmal starke, prächtige Flügel gewesen waren. Vielleicht können die Heilerinnen ihres Volkes etwas für sie tun, die Reste entfernen, glätten – ach, was auch immer, dachte Blake. Vorausgesetzt, sie würden ihr helfen. Nach allem, was sie erzählt hatte, war es nicht gewiss, dass sie es tun würden.

„Hier, nimm den“, sagte er und legte Imogen seinen Umhang um die Schultern.

Sie nickte und meinte: „Mir ist ungewöhnlich kalt.“

Blake setzte ein schiefes Lächeln auf. „Ihr seid eben doch auch nur -“, er hielt inne.

„Was? Menschen?“, fragte Imogen. Prüfend blickte sie ihn an. Das war es in der Tat, was er hatte sagen wollen. Denn jetzt, ohne jegliche Schwingen, die sie durch die Lüfte tragen konnten, kam Imogen ihm so zerbrechlich vor wie ein Mensch, ein Kind, das nicht für sich selbst sorgen kann.

„Ich habe dir den Umhang nicht gegeben, weil ich dachte, dir sei kalt. Er ist dazu da, um dich zu verbergen“, entgegnete er ihr. „Du leuchtest wie die verdammte Sonne. Jetzt passt der Umhang wenigstens.“ So schnell wie er es vermochte, zwischen Grob- und Sanftheit zu wechseln, konnte es niemand. Imogen schwindelte es bereits wieder.

„Tss, genau“, kam es aus Richtung von Blakes Füßen, wo sich Arren von den Strapazen der letzten Minuten ausruhte, „weil den Schrei ja auch niemand gehört hat.“ Augenrollend blickte er zu seinem Partner auf.

Blakes Mund verzog sich zu einer schmalen Linie. „Wollen wir hoffen, das dem nicht so ist“, erwiderte er und sah sich kurz um, suchend, ob er Bewegungen in den Schatten des Waldes ausmachen konnte, lauschend nach Schritten von Verfolgern. „Komm“, sagte er, als alles still blieb, und klopfte Arren auf die Schulter. „Wir müssen weiter und zwar schnell.“ Damit hob er Imogen auf seine Arme und stapfte mit ihr voraus.

5


~

Prinzessin Laoghaire atmete auf. „Danke, dass du es so erzählt hast und nicht anders. Auch wenn ich sagen muss, dass es mich traurig stimmt, was Imogen passiert ist“, meinte sie und verdrückte eine kleine Träne. „Und der schwarze, tote Flügel war doch recht gruselig.“

Prinz Anrai zuckte mit den Schultern und streckte sich, auf dem Rücken liegend, aus. Mit den Händen hinter dem Kopf verschränkt, die ihm als Kissen dienten, schloss er lächelnd die Augen. Er fand, er konnte zufrieden sein mit seinem Teil der Geschichte. Sollte es seine Schwester erst einmal besser machen. Und das versuchte sie auch, als sie an seine Erzählung anknüpfte.

~

Die Nacht schritt weiter voran. Arren und Blake kam es so vor, als würden sie buchstäblich vor ihr flüchten. Die beiden Männer wussten nicht mehr, in welchem Teil des Waldes sie waren. Imogen hingegen schien genau zu wissen, wo sie sich befanden und in welche Richtung ihr Weg weiter verlief. Ob getragen von Blake oder zu Fuß gehend – ihr wohnte eine Macht inne, die sie sich orientieren ließ wie ein Kompass auf hoher See. So gelangten sie schließlich an eine Lichtung, die in verschiedenen Blautönen und Schwarz vor ihnen lag und die von zahlreichen Glühwürmchen umschwirrt wurde. Der Zauber, den der Anblick ihres Tanzes in der Finsternis besaß, wurde jedoch getrübt. Denn in der Mitte der Lichtung standen zwei dunkle Gestalten. Ihre Formen der von Imogen nicht unähnlich, als sie noch ein ganzer Schmetterling gewesen war.

Blake starrte Imogen überrascht an. „Kannst du mir dazu etwas sagen?“, fragte er sie. Ein Kribbeln breitete sich in seinem Körper aus, wie es das immer tat, bevor er kämpfte. Und kämpfen würde er. Dessen war er sich gewiss.

„Es sind weitere Dealan-Dè. So viel kann ich dir verraten. Sind es die, die mich verstümmelt haben? Das ist möglich. Ich kann ihre Gesichter nicht erkennen und auch nicht ihre Farben eindeutig ausmachen, um mehr sagen zu können“, gestand Imogen.

„Das heißt, wir finden es nur heraus, wenn wir näher an sie herankommen?“, fragte Blake. Imogen nickte.

„Ist euch eigentlich schon in den Sinn gekommen“, schaltete sich Arren in das Gespräch ein, „dass sich in der Nähe noch weitere von denen verstecken könnten, die uns ebenso belauern wie wir die da?“ Er deutete auf die beiden Schemen auf der Lichtung, die nach wie vor wild gestikulierend beisammen standen. Stritten sie miteinander oder diskutierten sie über Blake, Imogen und Arren, deren Anwesenheit sie längst bemerkt hatten?

Das herauszufinden darauf war Blake nicht erpicht. Er hatte bereits zu oft in solch einer Lage gesteckt: mit dem Feind sowohl vor der Nase als auch im Nacken. Wichtig war hierbei, dass man den ersten Streich tat und nicht wartete.

„Die Möglichkeit besteht“, pflichtete Imogen Arren bei, „aber ich sehe niemand sonst, weder hinter noch neben uns und auch nicht zwischen den Bäumen auf der anderen Seite der Lichtung. Tatsache ist jedoch, dass der direkte Weg der kürzeste ist, um zu meiner Heimat zu gelangen. Würden wir versuchen, einen weiten Bogen um sie zu schlagen, würde uns das kostbare Zeit rauben, die wir nicht haben.“

„Also ab und direkt durch die Höhle des Löwen?“, murmelte Blake und nickte zustimmend.

„Welche Höhle? Welcher Löwe?“, fragte Imogen verwirrt. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie er nun auf so etwas kommen konnte.

Der Meuchelmörder winkte ab. „Vergiss es. Ist nicht so wichtig. Was allerdings wichtig ist, ist die Frage, wie wir sie besiegen können? Wie können wir sie töten?“, wollte er wissen.

Imogen lächelte müde. „Ihr beide“, sie deutete zunächst auf Blake und schließlich auf Arren, „könnt sie nicht töten. Keine Menschenhand kann das bewirken. Nur magische Wesen können sich gegenseitig wirklichen Schaden zufügen. Ihr könnt sie höchstens bewusstlos schlagen, was uns allenfalls einen Vorsprung verschafft. Und da ich meine Flügel und so auch meine Magie verloren habe, kann auch ich nicht viel mehr beisteuern als das.“

Imogen entging Blakes Seufzen nicht, als sie über ihre verlorenen Kräfte gesprochen hatte. Er war immer noch davon überzeugt, dass ihr kämpferisches Können aus ihr selbst heraus kommen konnte und nicht abhängig war von ihren Flügeln und der ihnen innewohnenden Zauberkraft. Es konnte auch tatsächlich so sein, wie sie mittlerweile selbst dachte. Sie war vermutlich dazu imstande zu kämpfen und auch sehr gut zu kämpfen. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie ihre Magie benötigte, um ihresgleichen zu töten. Imogens Finger verkrampften sich um ihren silbernen Stab, den sie umschlossen hielt. Niemals hätte sie sich erträumen lassen, darüber nachdenken zu müssen, wie sie ihre Schwestern umbringen konnte. Allein der Gedanke daran, ihnen Leid zuzufügen, auch wenn sie es ihr angetan hatten, war absurd. Doch hier war sie nun. Es hatte sich viel geändert. Nein, alles hatte sich geändert.

„Wenn wir versagen, werden wir sterben. Hier und jetzt“, flüsterte sie mehr zu sich selbst als zu den beiden Männern, die dabei waren, ihr Gepäck abzulegen. Arren entledigte sich seines Umhangs und Imogen tat es ihm gleich. Für einen Moment legte sich Schweigen über die drei, bis Blake sein Schwert zog, das mit einem leisen Klirren aus dem Futteral glitt.

„Es ist nicht der Tod, vor dem ich mich fürchte, sondern das Leben“, sagte er mit fester Stimme und beinahe gelassen, sodass Imogen wusste, dass er die Wahrheit sprach. „Was ist nun? Wollen wir?“, fragte er und blickte sie an.

Imogen versuchte ihre Bestürzung fortzublinzeln und das Schaudern, das sie durchfuhr, niederzukämpfen, das seine offenen Worte in ihr hatte aufsteigen lassen. Was war das nur für ein seltsamer Mensch, der so verbittert über die Welt und das Leben sprach?

„Ich bin so weit“, sagte sie und bereitete ihre Waffe vor.

Blake nickte verstehend und sah sich nach Arren um. „Und was ist mit dir? Kann es losgehen?“

„Habe ich eine Wahl?“, fragte sein Partner.

Blake zuckte mit den Schultern und sagte: „Du kannst auch hierbleiben, allein, und dich davon überzeugen, ob nicht doch noch jemand anderes hier ist. Vielleicht auch wilde Tiere, die sich über ein üppiges Mahl zu Tagesbeginn bestimmt freuen.“

Arren schnaubte. „Das hättest du wohl gern, was? Ich komme mit dir und rette dir den Arsch – wie ich es schon so oft getan habe“, erwiderte er und machte seinen Bogen zum Abschuss bereit.

~

„Erst brichst du ein Schloss mit einer Haarnadel auf und nun verwendest du solch unschickliche Worte, Schwester. Du stehst eindeutig unter schlechtem Einfluss von Glyn und mir“, sagte Prinz Anrai lachend und richtete sich auf. Er setzte sich in den Schneidersitz und beobachtete Prinzessin Laoghaire dabei, wie diese kichernd die Hand vor den Mund hielt.

„Sollte mir solch ein Wort in Gegenwart unserer Eltern herausrutschen, würde ich die Schuld auf dich schieben. Das ist dir hoffentlich klar“, meinte sie.

Ihr Bruder gluckste vor Freude. „Tu das. Allein ihre Gesichter zu sehen, wenn du Arsch sagst, wäre jede Strafe wert.“

„Ich werde es auf meine Aufgabenliste für die kommende Woche setzen. Einverstanden?“, fragte sie.

„Oh ja, bitte mach das“, stimmte er ihr zu und brach in schallendes Gelächter aus.

Prinzessin Laoghaire nickte bedächtig. „In Ordnung. Aber lass uns jetzt zurückkehren zu der Geschichte“, schlug sie vor. Und als wieder Ruhe in das Turmzimmer mit der wundersamen Tapete eingekehrt war, fuhr das Mädchen fort zu erzählen.

 

~

Es war Blake, der zuerst zwischen den Bäumen hervortrat und sich den Fremden zeigte. Es dauerte nicht lange, bis diese ihn bemerkten und eine der Gestalten auf ihn reagierte.

„Wer bist du?“, fragte eine samtige weibliche Stimme, die Blake durchaus angenehm in den Ohren klang. Doch er durfte sich von ihr nicht einlullen lassen.

„Wer bist du?“, fragte er zurück und ließ sein Schwert kreisen.

Die samtige Stimme antwortete ihm mit einem melodischen Lachen und zog einen Stab ähnlich dem Imogens hervor. Das vertraute Klicken ertönte und die silberne Klinge blitzte gefährlich auf. „Ich bin die, die dir den Kopf abschlägt, Mensch, wenn du dich nicht auf der Stelle ergibst“, sprach sie und setzte sich in Bewegung, mit jedem Schritt ihm näher kommend.

„Du spuckst große Töne für eine schwächliche Frau“, erwiderte Blake.

„Schwächlich? Frau? Ich bin weder das eine noch das andere“, knurrte sie. Offensichtlich fühlte sie sich von seinen Worten beleidigt. Mit einem diabolischen Lachen breitete die Gestalt ihre Flügel aus und zeigte sich ihm in ihrer ganzen Pracht. Mehr noch, sie demonstrierte ihre Stärke und ihre Erhabenheit über ihn, in dem sie sich vom Boden abstieß und hoch in die Luft stieg, wo sie mit Hilfe ihrer mächtigen Schwingen schwebte und auf ihn hinabblickte.

Jeder andere hätte das Wesen für einen Engel gehalten. Nicht so Blake, der zuvor Imogens Bekanntschaft gemacht hatte und nun eingeweiht war in die Existenz des Schmetterlingsvolkes. Nichtsdestotrotz geriet seine Fassade der Ruhe und Unerschrockenheit ins Wanken. Bei wem wäre das nicht der Fall gewesen, wenn er solch ein mächtiges Geschöpf gesehen hätte, das genau das ausstrahlte: Macht. Jedoch hatte er bereits den ersten Schock bei Imogens Anblick überwunden, sodass er sich nach wenigen Momenten wieder fing. Weder die imposanten Flügel, die im Mondlicht blutrot leuchteten, noch die gefährlich blitzende Klinge konnten ihm wirklich Angst einjagen.

„Er ist nicht dein einziger Gegner“, rief Arren hinter Blake aus und stellte sich, mit Pfeil und Bogen im Anschlag, neben ihn.

Der Schmetterling lachte und schlug so kräftig mit den Flügeln, sodass der Wind, der dadurch erzeugt wurde, ihnen heftig entgegenschlug. „Ihr Menschen seid so arrogant und einfältig. Aber wenn es euer Wille ist, Seite an Seite zu sterben, dann sei es so“, rief sie. Sie legte ihre Hand an den Mund und sandte einen Schrei aus. Ein Rascheln ertönte, das schnell zu einem Brausen anschwoll. Die Bäume am Rande der Lichtung wankten und der Boden bebte, als drei weitere Dealan-Dè erschienen, von denen jede in ihren Farben strahlte.

„Ich glaube, wir haben einen Fehler gemacht“, flüsterte Arren, als er die eindrucksvollen, aber auch Furcht einflößenden Kriegerinnen sah, die sich zum Kampf bereit machten.

Blake verzog missmutig den Mund und brummte. Ja, vielleicht hatten sie einen Fehler begangen. Mehr als nur den einen in dieser Nacht, schoss es ihm durch den Kopf. Und ein winziger Teil in ihm dachte dabei auch an den Moment, als er eingewilligt hatte, Imogen zu helfen. Doch zurück konnten sie nicht mehr. Nun hieß es, Augen zu und durch. „Bereit, mein Freund?“, fragte er Arren.

„Ach, jetzt bin ich dein Freund. Zuvor war ich ein notwendiges Übel“, merkte der Bogenschütze an und schnaubte verächtlich.

„Außergewöhnliche Umstände bewirken deine Beförderung“, erwiderte Blake, umfasste den Schwertgriff fest mit beiden Händen und zwinkerte dem anderen Mann zu. Die beiden nickten. Dann stürmten sie los. Brüllend, mit wildem Blick und willens, alles zu geben und wenn es das Letzte war, das sie taten.

Klinge traf auf Klinge, Schläge und Tritte wurden ausgeteilt. Kampfgeschrei erfüllte die Luft. Blakes und Arrens Bemühungen, die Dealan-Dè zu bezwingen, blieben fruchtlos. Pfeile konnten gegen mächtige Flügel nicht bestehen.

Wo bleibt Imogen?, fragte sich Blake, während er im Schwitzkasten von einer der insgesamt fünf Kriegerinnen steckte, die sich auf der Lichtung befanden. Noch immer war ihnen der gelbe Schmetterling nicht zu Hilfe gekommen. Ob sie sich nach wie vor davor fürchtete, ohne ihre Magie zu kämpfen? Blake rang nach Luft. Seine Augen fühlten sich an, als würden sie jeden Moment aus den Höhlen springen. Imogen sollte schleunigst ihren Mut finden, dachte er. Doch bis es so weit war, musste er sich selbst helfen.

Er nahm den Kopf vor und ließ ihn dann zurückschnellen. Sein Hinterkopf traf seine Angreiferin mitten ins Gesicht. Sie keuchte auf. Die Kraft in ihren Armen ließ nach, so sehr, dass Blake sich aus ihnen befreien konnte. Um die blondhaarige Dealan-Dè mit blau-weißen Flügeln außer Gefecht zu setzen, war es allerdings zu wenig gewesen. Blake bewunderte insgeheim ihre Standhaftigkeit, ihre Ausdauer, ihre Kraft und ihr Können. Er war noch nie zuvor gegen einen weiblichen Gegner angetreten und niemals hätte er gedacht, dass ihm eine Frau im Kampf ebenbürtig sein könnte. Doch das war sie und sie hatte bei Weitem nicht genug.

Mit vor Wut verzerrtem Gesicht stand sie vor ihm, ein bedrohliches Blitzen in den Augen, schnaufend, zitternd, aber nicht vor Erschöpfung, sondern vielmehr vor Abscheu ihm gegenüber. Blake lächelte.

„Komm schon, lass es uns beenden“, sagte er und lockte sie mit einem Finger zu sich. Seine Gegnerin grinste, reckte den Schwertarm nach oben und stieg in die Luft empor. Mehrere Meter über dem Boden verharrte sie.

Blake hob den Kopf und beobachtete, wie sie dort oben zu lauern schien, dass er nur blinzelte. Sie war stur und wartete. Doch er war gleichfalls dickköpfig, schenkte ihr nicht die Genugtuung, auch wenn es sich nur um ein Augenzwinkern handelte. Er riss sich zusammen und starrte sie an. Ein Muskel an seinem Auge zuckte. Es war ein Kräftemessen der ganz anderen Art begleitet von den Geräuschen des Kampfes, den sich Arren mit zwei Schmetterlingskriegerinnen lieferte – und Imogen.

Ihr Schrei, laut und kraftvoll, fegte über die Lichtung wie ein Sturm. Blake lächelte. Er empfand Stolz für sie, dass sie sich überwunden, ihren Mut und ihre Stimme wiedergefunden hatte. Am liebsten hätte er sich nach ihr umgedreht, um zuzusehen, wie sie sich in die Schlacht warf. Er war sich gewiss, dass er einiges Aufregendes verpasste. Jedoch hatte er sein eigenes Problem am Hals, das den Moment der Ablenkung ausnutzte und auf dem Weg zu ihm war. Und auch für Arren sah es schlecht aus. Den Brustkorb von den Armen der Kriegerin mit den blutroten Flügeln umschlungen, wurden ihm von seiner anderen Gegnerin die Beine unter ihm weggefegt, sodass er zwischen den zweien hing wie ein nasser Sack. Er war ihnen vollkommen ausgeliefert. Ob Imogen noch rechtzeitig bei ihm sein würde, bevor sie ihn richteten? Blake hoffte es. Er selbst konnte nichts für seinen Partner tun. Die Entscheidung zwischen Blake und seiner Gegnerin stand unmittelbar bevor. Er nahm einen festen Stand ein, hob das Schwert und erwartete die Dealan-Dè, die zum Sturzflug angesetzt hatte.

Wenn es mit ihm hier und jetzt zu Ende gehen sollte, dann war er zumindest froh, dass es im Kampf gegen eine gleichwertige Kriegerin geschah. Gegen sie zu verlieren, kam ihm nicht wie eine Schande vor. Denn dieses Geschöpf war einmalig, beinahe engelsgleich. Nun konnte er sich vorstellen, wie Imogen in ihrer ganzen, vollkommenen Pracht ausgesehen haben musste.

Blake atmete tief durch. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er seiner Gegnerin entgegen. Diese ließ einen ohrenbetäubenden Schrei los und holte mit dem Schwert zum Schlag aus. Blake meinte spüren zu können, wie die Flügelspitzen der Dealan-Dè seine Wangen streiften. So dicht war sie ihm bereits gekommen, als sich eine andere Stimme erhob. Sie schien von überall her zu kommen: aus dem Himmel, dem Erdboden, aus den Bäumen. Und sie brachte die Kämpfenden dazu innezuhalten.

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