Philosophische und theologische Schriften

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DREIZEHNTES KAPITEL
Von der wunderbaren göttlichen Kunst
in Erschaffung der Welt und der Elemente

Da es die einstimmige Ansicht der Philosophen ist, daß wir durch die sichtbare Welt, die Größe, Schönheit und Ordnung der Dinge zur Bewunderung der Göttlichen Kunst und Herrlichkeit hingerissen werden, und nachdem wir einige Kunstwerke der göttlichen Weisheit bei Erschaffung des Universums besprochen haben, so wollen wir zur Erhöhung dieser Bewunderung noch einiges über die Lage und Ordnung der Elemente beifügen.

Gott hat sich bei Erschaffung der Welt der Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie bedient, Künste, die auch wir jetzt anwenden, wenn wir die Verhältnisse der Dinge, der Elemente und Bewegungen erforschen. Durch die Arithmetik hat er die Dinge in ein Ganzes gebracht (coadunavit), durch die Geometrie hat er sie geformt (figuravit), daß sie Festigkeit, Bestand und Beweglichkeit, je nach ihrer Beschaffenheit, erlangten. Durch die Musik hat er sie in solche Verhältnisse gebracht, daß nicht mehr Erde in der Erde ist als Wasser im Wasser, Luft in der Luft, Feuer im Feuer, und daß kein Element sich ganz in das andere auflösen läßt, woher es kommt, daß der Weltbau nicht untergehen kann. Wiewohl ein Teil des einen sich in ein anderes auflösen läßt, so kann doch nie die ganze Luft, die mit Wasser vermischt ist, in Wasser verwandelt werden, weil die umgebende Luft dies verhindert. Gott hat es daher bewirkt, daß nur Teile der Elemente wechselseitig aufgelöst werden; geschieht dies langsam, so wird aus dem Zusammenwirken der Elemente etwas hervorgebracht, das solange dauert, solange jenes Zusammenwirken stattfindet. Mit ihr löst sich auch das durch sie Entstandene wieder auf. In wunderbarer Ordnung sind daher die Elemente durch Gott geschaffen, der alles in Zahl, Maß und Gewicht erschaffen hat. Die Zahl bezieht sich auf die Arithmetik, das Gewicht auf die Musik, das Maß auf die Geometrie. Die Schwere wird durch Einwirkung des Leichten (levitate constringente) gehalten; die schwere Erde ist durch das Feuer wie in der Mitte schwebend. Das Leichte dringt auf das Schwere ein wie das Feuer auf die Erde. Indem die ewige Weisheit dieses so ordnete, verfuhr sie nach einer nicht zu entziffernden Proportion. Sie wußte voraus, wieviel jedes Element das andere überwiegen müsse, indem sie die Elemente so abwog, daß das Feuer um so viel leichter wäre als die Luft, als diese leichter ist als das Wasser, und dieses leichter als die Erde, so daß Gewicht mit Volumen übereinstimmte und das Einschließende einen größeren Raum einnahm als das Eingeschlossene. Er verband sodann die Elemente so miteinander, daß eines notwendig im andern ist. Die Erde ist, wie Plato sagt, gleichsam ein lebendes Wesen, die Steine sind die Knoten, die Bäche die Adern, die Bäume die Haare; die Tiere, die zwischen diesen Haaren der Erde sich nähren, sind wie die Maden in den Haaren der Tiere. Zum Feuer verhält sich die Erde wie die Welt zu Gott, mit welchem das Feuer in seiner Beziehung zur Erde viele Ähnlichkeit hat. Seine Entfaltung ist grenzenlos, es wirkt, durchdringt, erhellt, fördert und gestaltet alles auf der Erde, und zwar mittelst der Luft und des Wassers, so daß alles, was auf der Erde entsteht, nur eine immer wieder anders modifizierte Wirksamkeit des Feuers ist, wie denn auch die Gestalten der Dinge (im Äußerlichen) durch den verschiedenen Widerschein des Feuers entstehen. Indes ist das Feuer mit den Dingen vermengt, ohne welche Vermengung weder es selbst, noch die Dinge auf Erden sein können. Gott aber ist absolut. Er wird daher von den Alten ein verzehrendes, absolutes Feuer, eine absolute Klarheit genannt, da er ein Licht ist, in dem keine Finsternis. An seinem feurigen klaren Wesen sucht alles, was da ist, teilzunehmen, wie wir an allen Gestirnen sehen, wo sich diese Klarheit materiell beschränkt findet. Diese unterscheidende und alles durchdringende Klarheit ist immateriell konkret in den lebenden und geistigen Wesen. Wer bewundert nicht den Künstler, der einer ähnlichen Kunst (Astronomie) auch in den Himmelskörpern, Sternen und Sternregionen sich bedient hat, so daß ohne Präzision bei der größten Verschiedenheit die schönste Harmonie besteht! Die Größe, Lage und Bewegung48 der Sterne hat er festgestellt, die Entfernungen der Sterne so geordnet, daß, wenn nicht jede Region so wäre, wie sie ist, sie weder selbst bestehen, noch in dieser bestimmten Lage und Ordnung, noch das Universum überhaupt bestehen könnte. Er gibt jedem Sterne ein anderes Licht, Einfluß, Gestalt, Farbe und Wärme. Das Verhältnis der Teile zueinander hat er so geordnet, daß in jedem die Bewegung der Teile eine Beziehung auf das Ganze hat: von oben nach der Mitte beim Schweren, von der Mitte nach oben beim Leichten, und um die Mitte, wie bei der kreisförmigen (orbicularem) Bewegung der Sterne.

Bei dieser so bewunderungswürdigen, verschiedenartigen Ordnung der Welt sehen wir durch unser System, daß wir von allen Werken Gottes keine rationelle Einsicht erlangen, sondern nur staunen können, weil Gott groß und seiner Größe keine Grenze ist. Als die absolute Größe ist er von allen seinen Werken wie Urheber und Verständnis, so auch das Ziel. In ihm ist alles, außer ihm nichts, er ist Anfang, Mitte und Ende von allem, Zentrum und Umkreis des Universums, und in allem wird nur er gesucht, weil ohne ihn alles nichts ist, mit ihm haben wir alles, in ihm wissen wir alles; denn er ist die Wahrheit von allem und will, daß der wunderbare Weltbau uns zur Bewunderung hinreiße. Er verbirgt jedoch denselben vor uns um so mehr, je mehr wir ihn bewundern, weil er es ist, den wir mit ganzem Herzen und allem Eifer suchen sollen. Und da er das unzugängliche Licht bewohnt, das in allem gesucht wird, so kann er allein den Anklopfenden die Tür öffnen und den Bittenden geben. Kein Wesen von allen erschaffenen hat die Macht, sich den Anklopfenden aufzutun und zu zeigen, was es sei, da alle ohne ihn, der in allen ist, nichts sind. Wer aber nach Anleitung des Systems des Nichtwissens sie fragt, was und wie und wozu sie seien, dem antworten sie: Aus uns sind wir nichts, und aus uns können wir auch dir nichts anderes als nichts antworten, da wir von uns selbst keine Erkenntnis haben, sondern allein der, durch dessen Denken wir das sind, was er in uns will, befiehlt und weiß. Wir alle sind stumm, er, der uns erschaffen hat, redet in uns allen, er allein weiß, was, wie und wozu wir sind. Willst du etwas über uns erkennen, so frage unsern Grund, unsere Ursache, nicht uns; dort findest du alles, wenn du diesen Einen suchst, ja auch dich selbst kannst du nur in ihm finden. Strebe daher, sagt unsere gelehrte Unwissenheit, daß du dich in ihm findest, und da alles in ihm er selbst ist, so kann dir nichts fehlen. Unsere Sache ist es nicht, uns dem Unzugänglichen zu nahen, sondern dessen, der uns ein ihm zugewandtes Antlitz gegeben hat, damit wir ihn mit allem Eifer suchen. Tun wir dies, so wird er in seiner großen Güte uns nicht verlassen, er zeigt sich selbst uns, und wenn seine Herrlichkeit erscheint, wird er ewig uns sättigen. Er sei gepriesen in Ewigkeit! Amen.

Drittes Buch

Nach diesen kurzen Erörterungen über das Universum und seine beschränkte (contractione) Existenz, will ich nun, um über das absolut und beschränkt Größte zugleich, Jesus Christus, der ewig gepriesen sei, eine Untersuchung in wissenschaftlichem Nichtwissen anzustellen, zur Vermehrung des Glaubens und unserer Vollkommenheit, dir, dem Manne von bewundernswerter Tätigkeit, einen kurzen Lehrbegriff von Jesus überreichen, wobei ich ihn anrufe, er möge mir der Weg zu ihm, der die Wahrheit ist, sein, durch die wir jetzt im Glauben und dereinst durch seligen Genuß (per adeptionem) zum Leben gelangen, in ihm und durch ihn, der das ewige Leben ist.

ERSTES KAPITEL
Das in dieser oder jener konkreten Form erscheinende Größte, über welches es kein Größeres gibt, kann ohne das absolut Größte nicht bestehen.

Im ersten Buche ist die Rede von dem einen absolut Größten, das nicht mitgeteilt, in das endliche Sein vermengt (immersibile) und nicht auf dieses oder jenes eingeschränkt werden kann, sondern in sich ewig gleich und unbeweglich als die absolute Identität existiert. Im zweiten Buche wurde das konkrete Universum gezeigt, und wie dieses und jenes nur konkret existiert. Es ist also die Einheit des Größten in sich absolut, die Einheit des Universums in Vielheit beschränkt. Die Vielheit nun, in welcher das Universum in Wirklichkeit seinen Ausdruck findet, kann unmöglich mit der höchsten Gleichheit bestehen, denn sonst wäre es keine Vielheit. Somit besteht alles notwendig in differenter Weise, nach Gattung, Art und Zahl, so daß jegliches in besonderer Zahl, Maß und Gewicht besteht. Es sind daher im Universum Gradunterschiede, und kein Wesen koinzidiert mit dem andern. Kein konkretes Sein kann daher den Grad der Konkretheit eines andern Seins präzis decken. Zwischen dem Größten und Kleinsten ist sonach alles konkret und es gibt immer größere oder kleinere Grade des Konkreten, ohne daß jedoch dies ins Unendliche fortgeht, da eine Unendlichkeit von Graden unmöglich ist; denn unendlich viele Grade wären soviel als kein Grad, wie ich in der Lehre von der Zahl im ersten Buche gezeigt habe. Es gibt somit im Konkreten kein Auf- oder Absteigen zu dem absolut Größten oder Kleinsten. Wie daher die göttliche Natur, die absolut größte, keine Verminderung zuläßt, so daß sie in die endliche und konkrete übergeht, so kann auch die konkrete, endliche ihrer Konkretheit so entkleidet werden, daß sie zur ganz absoluten wird. Sonach erreicht kein konkretes Sein, da es mehr oder weniger konkret sein kann, das Höchste (terminus) im Universum, in der Gattung oder Art, denn die erste generelle konkrete Ausgestaltung des Universums ist die Vielheit der Gattungen, die notwendig graduell verschieden ist. Die Gattungen aber bestehen konkret nur in den Arten, die Arten nur in den Individuen, die allein in Wirklichkeit existieren. Wie es daher nach der Natur des Konkreten kein Individuum gibt, das nicht hinter dem Höchsten seiner Spezies zurückbleibt, so kann auch kein Individuum das Höchste in der Gattung oder im Universum erreichen. Denn unter mehreren Individuen derselben Art muß notwendig eine Verschiedenheit der graduellen Vollkommenheit stattfinden. Kein Wesen ist daher in seiner Art ganz vollkommen, so daß es kein vollkommeneres gibt, sowie keines so unvollkommen ist, daß es kein unvollkommeneres gibt: Das höchste seiner Art erreicht keines. Es gibt somit nur ein Höchstes (unus terminus) aller Arten, Gattungen und des ganzen Universums, es ist das Zentrum, die Peripherie und die Verbindung von allem; das Universum erschöpft nicht die unendliche absolut größte Macht Gottes, so daß es als das schlechthin Größte die Grenze der göttlichen Allmacht bildete. Es erreicht somit das Universum nicht das Höchste des absolut Größten, wie die Gattungen nicht das Höchste des Universums, die Arten nicht das Höchste der Gattungen, die Individuen nicht das Höchste der Arten, so daß es alles das, was es ist, auf die beste Art wäre, zwischen dem Größten und Kleinsten, und Gott Anfang, Mitte und Ende des Universums und jedes einzelnen, auf daß alle Dinge, sie mögen nach oben oder nach unten oder nach der Mitte streben, sich Gott nähern. Wohl aber besteht eine Verbindung aller Dinge durch ihn; alles noch so Verschiedene ist verbunden. Unter den Gattungen, die der konkrete Ausdruck des einen Universums sind, besteht eine solche Verbindung der niedern und höhern, daß sie in der Mitte koinzidieren. Die verschiedenen Arten sind so geordnet, daß die oberste Art einer Gattung mit der untersten der nächsthöheren koinzidiert, wodurch in einer Kontinuität die Vollkommenheit des Universums sich darstellt. Jede Verbindung ist aber graduell, und man gelangt nicht auf die größte, weil diese Gott ist. Es sind daher verschiedene Arten der niedern und höhern Gattung nicht in einem gewissen Unteilbaren verbunden, das kein Mehr oder Weniger zuläßt, sondern in einer dritten Art, dessen Individuen graduell verschieden sind, so daß keines derselben gleichmäßig an jeder Art, als wäre es ein aus beiden Arten Zusammengesetztes, partizipiert, sondern es ist in seinem Grade der konkrete Ausdruck einer besondern Art, die im Vergleich zu den übrigen aus der niedern und höhern zusammengesetzt scheint. Keine Art steigt demnach zum Minimum einer Gattung hinab, denn bevor sie dieses wird, verändert sie sich in eine andere. Wenn in der Gattung der lebenden Wesen die Menschenart daran ist, sich im Gebiete des rein Sinnlichen auf eine höhere Stufe zu erheben, geht sie plötzlich die Verbindung mit der geistigen Natur ein, doch bleibt die niedere Seite überwiegend, weshalb sie noch lebendes Wesen (animal) genannt wird … Die Arten sind daher wie eine progressive Zahl, die notwendig begrenzt ist, so daß Ordnung, Harmonie und Proportion bei aller Verschiedenheit besteht, und man muß zuletzt zu der untersten Art der niedrigsten Gattung, die in Wirklichkeit die kleinste ist, und zu der obersten Art der höchsten Gattung, die ebenso in Wirklichkeit die höchste ist, über der es jedoch noch eine kleinere oder größere geben könnte, kommen, ohne Progression ins Unendliche, so daß wir, wir mögen nun nach oben oder nach unten zählen, mit der absoluten Einheit, die Gott ist, als dem Prinzip aller Dinge den Anfang machen. Die Arten sind dann gleichsam die bei dem Fortschritt von dem Kleinsten (das das Größte ist), oder von dem Größten, dem kein Kleinstes entgegensteht, uns entgegentretenden Zahlen, so daß nichts im Universum ist, das sich nicht eines gewissen singulären Seins erfreute, das sich in keinem andern Wesen findet. Kein Wesen vereinigt alles in allem, keines das Entgegengesetzte auf eine gleiche Weise, keines kann mit irgendeinem andern zu irgendeiner Zeit ganz gleich sein, wenn es auch zu einer Zeit weniger, zu einer andern Zeit mehr als das andere ist. Diesen Übergang macht es in einer gewissen Singularität des Seins, ohne je die präzise Gleichheit zu erreichen. So geht ein in einen Kreis beschriebenes Viereck zur Größe eines um den Kreis beschriebenen über: Aus dem Viereck, das weniger als ein Kreis ist, geht es über zu dem Viereck, das größer als der Kreis ist, ohne jedoch je zur Gleichheit mit jenem zu gelangen. Der Einfallswinkel erhebt sich aus einem Winkel, der kleiner als ein rechter ist, zu einem solchen, der größer als ein rechter ist, ohne die volle Gleichheit zu erreichen. Mehreres hierüber in dem Buche über die Mutmaßungen. Es können nämlich die individualisierenden Prinzipien in keinem Individuum in derselben harmonischen Proportion wie in einer andern zusammentreffen, so daß jedes Wesen für sich eine Einheit, und in seiner Weise vollkommen ist. Wenn sich gleich in einer Art, z. B. der Menschenart, zu einer bestimmten Zeit einige finden, die vollkommener und in gewisser Hinsicht hervorragender sind als andere, wie Salomon alle an Weisheit, Absalon an Schönheit, Samson an Stärke übertroffen hat, und wenn die geistig Hervorragenden von den übrigen geehrt wurden, so können wir doch, weil die Verschiedenheit der Ansichten nach der Verschiedenheit der Religionen, Sekten und Gegenden verschiedene Urteile erzeugt, so daß, was nach dem einen Gesichtspunkte Lob, nach einem andern Tadel erlangt, und weil uns die auf der ganzen Welt zerstreuten Menschen unbekannt sind, nicht sagen, wer unter allen der Vortrefflichste sei, da wir ja nicht einmal einen aus allen vollkommen zu erkennen imstande sind. Dies ist von Gott so angeordnet, auf daß jeder in sich selbst Genüge finde, wenn er gleich andere bewundert, und auf daß ihm in seinem Heimatlande sein Geburtsort viel schöner vorkomme, ebenso hinsichtlich der Landesgebräuche, Landessprache etc. So herrscht Einheit und Friede ohne Mißgunst, soweit dies nur immer möglich ist; denn vollkommen herrscht der Friede nur bei denen, die mit dem herrschen, der unser alle Sinne übersteigender Friede ist.

 

ZWEITES KAPITEL
Das Größte, konkret und absolut zugleich, Schöpfer und Geschöpf

Es ist hinlänglich gezeigt, daß das Universum nur in konkret Vielem besteht, das in Wirklichkeit von der Art ist, daß keines das schlechthin Größte erreicht.

Ich füge nun bei: Wenn man sich das Größte konkret in einer bestimmten Art (species) wirklich existierend denkt, so wäre es, entsprechend dem Charakter der gegebenen konkreten Art, in Wirklichkeit alles, was in der ganzen Möglichkeit jener Gattung oder Art liegt ; denn das absolut Größte ist alles, was möglich ist, in absoluter Wirklichkeit. Dieses Größte in konkreter Erscheinung einer Gattung oder Art ist zugleich in Wirklichkeit die höchstmögliche Vollkommenheit derselben, entsprechend dem gegebenen Konkreten. Da es in dem Berichte derselben kein Größeres gibt, so umfaßt sie unendlich die ganze Natur des gegebenen Konkreten. Wie das absolut Kleinste mit dem absolut Größten koinzidiert, so auch das konkret Kleinste mit dem konkret Größten. Ein ganz deutliches Beispiel hiervon ist die größte Linie, die keinen Gegensatz zuläßt, jeder Figur gleich und das adäquateste Maß von allen ist, mit der der Punkt koinzidiert, wie wir im ersten Buche gezeigt haben. Wäre daher das konkret Größte ein Individuum irgendeiner Art, so müßte dieses die Vollkommenheit der ganzen Gattung oder Art sein, das Leben, das Prinzip, die Idee und Wahrheit in höchster Vollendung von allem, was diese Art als Möglichkeit in sich begreift. Dieses konkret Größte wäre über alle Natur der Konkretheit hinaus deren Höhepunkt (terminus finalis) und würde ihre ganze Vollkommenheit in sich fassen. Jedem Gegebenen wäre es, über alle Proportion erhaben, vollkommen gleich, nicht größer, nicht kleiner, als Jegliches; die Vollkommenheit von allem würde es in ganzer Fülle in sich fassen. Hieraus erhellt, daß das konkret Größte nicht als rein Konkretes (pure contractum) gelten kann, nach dem kurz vorhin Gezeigten, wonach kein Konkretes innerhalb der Grenze der Gattung oder Art die höchste Vollkommenheit erreichen kann, aber auch als konkret nicht Gott, der absolut ist, sein kann. Es wäre somit notwendig das konkrete Größte, das ist: Gott und Geschöpf, absolut und konkret, in einer Konkretheit, die nicht aus sich Bestand hätte, ruhte sie nicht in der absoluten Größe. Denn es gibt, wie im ersten Buche gezeigt ist, nur ein Größtes, durch welches das Konkrete Größtes genannt werden kann. Wenn nun die größte Macht das Konkrete so mit sich eint, daß es, unbeschadet der beiderseitigen Naturen, nicht noch mehr geeint sein könnte, und daher das so Geeinte mit Beibehaltung der Natur der Konkretheit die konkrete und erschaffene Vollkommenheit einer bestimmten Art, infolge der hypostatischen Einigung aber zugleich Gott und Alles ist, so würde diese wunderbare Einigung all unsern Verstand übersteigen. Denn denkt man sie als eine Vereinigung von Entgegengesetztem (quemadmodum diversa uniuntur), so wäre dies ein Irrtum; denn das absolut Größte ist kein anderes oder Verschiedenes, da es alles ist. Denkt man sie als zwei, die vorher getrennt, jetzt verbunden (coniuncta) sind – gefehlt! Denn in der Gottheit ist kein Vorher und Nachher, auch ist sie nicht dieses mehr als jenes. Das Konkrete konnte auch nicht vor der Vereinigung dieses oder jenes sein, denn es ist eine in sich bestehende individuelle Persönlichkeit. Jene Vereinigung ist endlich auch nicht die Verbindung von Teilen zu einem Ganzen, da Gott kein Teil sein kann. Wer sollte daher diese wunderbare Vereinigung begreifen, die auch nicht wie die Verbindung der Form mit der Materie ist, da Gott als absolut sich mit der Materie nicht vermengen kann! Sie ist daher erhabener als alle denkbaren Vereinigungen. Das Konkrete besteht hier, da es das Größte ist, nur in dem absolut Größten, ohne diesem einen Zuwachs zu geben, da es das absolut Größte ist, ohne in dessen Natur überzugehen, da es konkret ist. Das Konkrete ruhte (subsisteret) demnach in dem Absoluten in der Weise, daß, wenn wir es uns als Gott vorstellten, dies irrig wäre, da das Konkrete seine Natur nicht aufgibt; dächten wir es als diese Natur (si ipsam esse imaginaremur), so irrten wir, da das absolut Größte, Gott, dieser Natur nicht bedarf. Nehmen wir es als aus beiden zusammengesetzt, so täuschen wir uns, da eine Zusammensetzung aus Gott und Geschöpf, konkretem und absolut Größtem, unmöglich ist. Man muß sich daher jenes konkret Größte so als Gott denken, daß es dabei zugleich Geschöpf ist, so als Geschöpf, daß es zugleich der Schöpfer ist, Schöpfer und Geschöpf ohne Vermischung und Zusammensetzung. Wer mag sich so weit hinauf erheben, daß er in der Einheit die Verschiedenheit (diversitatem) und in der Verschiedenheit die Einheit begreift! Diese Vereinigung übersteigt also alle unsere Begriffe.