Philosophische und theologische Schriften

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DRITTES KAPITEL
Nur in der Natur der Menschheit ist dieses konkret Größte möglich (possibilius)

Es wird sich nun leicht untersuchen lassen, welcher Natur das konkret Größte angehören müssen (cuius naturae contractum maximum esse deberet). Da nämlich dasselbe notwendig eines ist, wie das absolut Größte die absolute Einheit ist, und es dabei konkret dieses oder jenes ist, so ist fürs erste zu erwägen, daß es die Ordnung mit sich bringt, daß einige Dinge im Verhältnis zu andern von niederer Natur sind, wie alle die, welche kein Leben und geistige Tätigkeit haben, andere höhere Natur, wie z. B. die rein geistigen Naturen (intelligentiae)49, wieder andere die Mitte von beiden einnehmen. Wenn nun das absolut Größte das Sein von allem in der universellsten Weise ist, nicht mehr das Sein des einen, als des andern, so ist klar, daß jenes Sein mit dem Größten sich eher vereinen läßt, welches die größere Verwandtschaft mit der Gesamtheit alles Seienden hat (clarum est, hoc ens magis maximo sociabile, quod magis universitati entium est commune). Betrachten wir die Natur der niedern Dinge und denken wir uns eines derselben zur absoluten Größe erhoben, so wird es Gott und zugleich es selbst sein, wie man an der größten Linie sieht. Da sie unendlich und die größte ist, so wird notwendig jede Linie, mit welcher sich die größte vereint, Gott sein durch die absolute Größe, während sie vermöge ihrer Konkretheit Linie bleibt; sie wird demnach alles in Wirklichkeit sein, was aus einer Linie werden kann. Allein die Linie schließt Leben und Geist nicht in sich, wie kann daher die Linie zur höchsten Größe erhoben werden, wenn sie die Fülle der Naturen nicht erreicht? Sie wäre50 das Größte, das noch größer sein könnte, und würde der Vollkommenheit ermangeln. Das gleiche gilt von der obersten Natur, die die untere nicht in sich faßt, außer in dem Sinne, daß höhere und niedere Natur mehr gegenseitige Annäherung als Trennung zulassen. Dem Größten aber, mit dem das Kleinste koinzidiert, wird es sich geziemen, so das eine zu umfassen, daß es das andere nicht ausschließt, sondern alles zumal in sich faßt. Es ist daher die mittlere Natur, das Verbindungsglied der niedern und höhern, allein diejenige, welche zur Erhebung zum Größten durch die Macht des unendlich größten Gottes am besten sich eignet (quapropter natura media, quae est medium connexionis inferioris et superioris, est solum illa, quae ad maximum convenienter elevabilis est potentia maximi infiniti Dei). Denn da sie als die höchste der niedern und die niederste der höhern Natur alle Naturen in sich faßt, so ist klar, daß, wenn sie nach ihrem ganzen Wesen (secundum omnia sui) sich zur Einigung mit dem Größten erhebt, alle Naturen, ja das ganze Universum auf jede mögliche Weise in ihr zum höchsten Grade (ihrer Vollkommenheit) gelangen. Die menschliche Natur ist die Krone der Schöpfung (humana natura est illa, quae est supra omnia Dei opera elevata), nur wenig unter die Engel gesetzt, die Vereinigung der geistigen und sinnlichen Natur; sie faßt die ganze Welt in sich (universa intra se constringens), weshalb sie von den Alten mit Recht μτϰϱοϰόσμος oder Welt im Kleinen genannt wird. Sie ist es daher, die, zur Einigung mit dem Größten erhoben, die Fülle aller Vollkommenheiten des Universums und alles Einzelnen darstellen würde, so, daß in der Menschheit alles zu seiner höchsten Stufe gelangte. Nun existiert aber die Menschheit nur konkret in diesem oder jenem. Da es nun nicht möglich ist, daß mehr als ein wirklicher Mensch sich zur Einigung mit dem Größten erheben kann, so wäre dieser in der Art Mensch, daß er zugleich Gott ist, und in der Art Gott, daß er zugleich Mensch ist, die Vollendung des Universums, der Primat von allem (in omnibus primatum tenens). Kleinstes, Größtes und Mittleres, der Natur des absolut Größten geeint, würde in ihm so koinzidieren, daß er die Vollkommenheit (perfectio) von allem wäre und alles Konkrete51 in ihm als in seiner Vollkommenheit zur Ruhe gelangte. Es wäre das (absolute) Maß für Menschen und Engel (wie Johannes in der Apokalypse sagt) wie für alles einzelne, weil er durch die Vereinigung mit dem absoluten Sein, das das absolute Sein von allem ist, das konkret universelle Sein aller einzelnen Kreaturen (universalis contracta entitas singularum creaturum) wäre. Alles erhielte durch ihn den Anfang und das Ende des konkreten Seins; durch ihn, der das konkret Größte aus (a) dem absolut Größten ist, ginge alles ins konkrete Sein über, durch seine Vermittlung kehrte es ins Absolute zurück; er wäre der Anfang (principium) der Emanation und das Ziel der Rückkehr in Gott. Gott aber ist als die Gleichheit alles Seins der Schöpfer des Universums, da dieses für ihn (ad ipsum) erschaffen ist. Die höchste und größte absolute Gleichheit alles Seins ist es demnach, mit der die menschliche Natur geeinigt wird, so daß Gott durch Annahme der menschlichen Natur in der Sphäre der Menschheit alles in konkreter Weise ebenso ist, wie er in absoluter Weise die Gleichheit alles Seins ist. Da nun jener Mensch durch die Einigung in der größten Gleichheit des Seins beharrte (cum in ipsa maxima aequalitate essendi per unionem subsisteret), so wäre er der Sohn Gottes oder das Wort, durch das alles gemacht ist, oder die Gleichheit des Seins selbst, die, nach dem früher Gezeigten, Sohn Gottes genannt wird, ohne jedoch aufzuhören, Menschensohn zu sein, wie er auch nicht aufhören würde, Mensch zu sein. Da Gott, dem Besten und Vollkommensten, das nicht widerstreitet, was ohne Wechsel, Schwächung oder Verminderung seines Wesens durch ihn geschehen kann, vielmehr seiner unermeßlichen Güte ganz entspricht, wie denn alles auf das Beste und Vollkommenste in schöner Ordnung von ihm und für ihn erschaffen ist, so kann, da ohne die oben erwähnte Einigung (semota hac via) alles zu höherer Vollkommenheit nicht52 gelangen kann, niemand, der nicht Gott oder dessen höchste Güte leugnen will, der obigen Ausführung vernünftiger Weise entgegentreten. Denn alle Mißgunst ist weit entfernt von dem, der die höchste Güte ist und dessen Wirken nicht mangelhaft sein kann, sondern, wie er das Größte ist, so auch sein Werk soviel als möglich dem Größten nähern will. Es hat nämlich die größte Macht ihre Grenze nur in sich selbst, weil außer ihr nichts und sie unendlich ist. In keinem Geschöpfe findet sie somit eine Grenze, daß sie nicht im Verhältnis zu irgendeinem gegebenen Geschöpfe ein besseres und vollkommeneres erschaffen könnte. Wird nun ein Mensch zur Vereinigung mit der Allmacht selbst erhoben, so daß dieser Mensch nicht mehr ein in sich, sondern in der Einheit mit der unendlichen Macht bestehendes Geschöpf ist, so ist hier die Allmacht nicht durch das Geschöpf, sondern nur durch sich selbst beschränkt. Es ist dies die vollkommenste Tätigkeit (perfectissima operatio) der unendlichen und unbegrenzbaren Allmacht Gottes, in der kein Mangel sein kann, sonst wäre weder der Schöpfer noch das Geschöpf. Denn wie könnte das Geschöpf in konkreter Weise sein aus dem absoluten göttlichen Sein, wenn die Konkretheit selbst keine Vereinigung mit letzterem zuließe (Quomodo enim creatura esset contracte ab esse divino absoluto, si ipsa contractio ipsi unibilis non esset), die Konkretheit, durch welche alle Dinge, sofern sie aus dem Absoluten sind, konkret existieren, und sofern sie konkret sind, aus dem Absoluten sind? Mit diesem Absoluten nun ist die Konkretheit selbst auf das Innigste geeint. So ist denn in erster Linie Gott der Schöpfer, in zweiter Gott und der Mensch, dessen erschaffene Menschheit im höchsten Grade zur Einheit mit sich von Gott angenommen ist (creata humanitate supreme in unitatem sui assumta), gleichsam als die universelle Konkretheit aller Dinge, mit der Gleichheit alles Seins hypostatisch und persönlich geeint, so daß durch den absoluten Gott durch Vermittlung der universellen Konkretheit – die Menschheit – in dritter Linie alles ins konkrete Sein hervorgeht, auf daß alle Dinge auf diesem Wege, was sie sind, in der besten Ordnung und Weise sein können. Diese Reihenfolge darf aber nicht zeitlich gefaßt werden, als wäre Gott der Zeit nach vor dem Erstgeborenen der Schöpfung, oder der erstgeborene »Gott und Mensch« der Zeit nach vor der Welt gewesen, sondern es bezeichnet jene Reihenfolge die über alle Zeit erhabene Natur und Ordnung der Vollkommenheit, so daß der bei Gott vor aller Zeit und allen Dingen Existierende in der Fülle der Zeit nach vielen Zeitumläufen der Welt erschienen ist.

VIERTES KAPITEL
Das konkret Größte ist Jesus, der Gottmensch

Nachdem wir nun durch diese Vernunftgründe in zweifellosem Glauben dahin gelangt sind, daß wir ohne Anstand das Gesagte als ausgemachte Wahrheit festhalten, so fahren wir weiter und sagen: die Fülle der Zeit ist vorüber und Jesus, der gepriesen sei in Ewigkeit, ist der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Teils aus dem, was er als Mensch in übermenschlicher, göttlicher Weise vollbracht hat, teils aus seinen Aussagen von sich selbst, der in allem wahrhaftig erfunden worden, teils aus den mit Hingabe des eigenen Lebens bekräftigten Zeugnissen seiner vertrauten Freunde behaupten wir mit unerschütterlicher, durch unzählige Beweise längst feststehender Gewißheit, Er sei der, den die ganze Schöpfung als in der Zeit erscheinend von Anfang an erwartet hat. ER kam, um alles zu erfüllen. Allen gab er wieder gesundes Leben, alle verborgenen Tiefen und Geheimnisse der Weisheit schloß er auf, wie einer, der Macht hat über alles. Sünden vergab er wie Gott, er erweckte Tote, verwandelte die Natur, gebot den bösen Geistern, dem Meere und den Winden, schritt auf dem Wasser dahin und gab ein Gesetz, das die Ergänzung aller Gesetze zu ihrer Vollkommenheit bildet. Nach dem Zeugnisse jenes ganz ausgezeichneten Verkünders der Wahrheit, des heiligen Paulus, der in einer Entzückung die Erleuchtung von oben erhielt, haben wir in Jesus die Vollendung von allem (perfectionem omnium), die Erlösung und Vergebung der Sünden. Er ist das Abbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung; denn in ihm ist alles erschaffen, im Himmel und auf Erden, Sichtbares und Unsichtbares, Thronen, Herrschaften, Fürstentümer und Gewalten. Alles ist durch ihn und in ihm erschaffen, er ist vor allem und alles besteht in ihm. Er ist das Haupt des Körpers der Kirche; denn er ist der Anfang selbst, der Erstling aus den Toten, so daß er in allem den Primat einnimmt; denn dem Vater gefiel es, daß in ihm die ganze Fülle wohne und alles durch ihn mit dem Vater versöhnt werde. Diese und viele andere Zeugnisse der Heiligen bestätigen es, daß er Gott und Mensch ist; die Menschheit ist in ihm durch das Wort mit der Gottheit geeint, so daß er nicht in sich, sondern in dem Worte sein Bestehen hat, dieweil die Menschheit auf ihrer höchsten Stufe und in ihrer ganzen Fülle nicht anders als in der göttlichen Person des Sohnes bestehen konnte.

 

Um nun über unsern Verstand hinaus, gleichsam in gelehrtem Nichtwissen, die Person zu verstehen, die den Menschen mit sich geeinigt hat, so wollen wir für unser Verständnis einen höheren Standpunkt einnehmen und auf den Satz zurückgehen, den wir früher besprochen haben, daß nämlich Gott durch alles in allem und alles durch alles in Gott ist. Da diese Sätze kopulativ zu verstehen sind und Gott insofern in allem ist, als alles in Gott, und da das göttliche Sein selbst die höchste Gleichheit und Einfachheit ist, so ist Gott, sofern er in allem ist, nicht graduell in allem, als ob er sich stufen- und teilweise mitteilte. Das All kann aber ohne graduelle Unterschiede nicht sein. Es ist daher mit gradueller Verschiedenheit in Gott. Da nun Gott insofern in allem ist, als alles in ihm, so erhellt, daß Gott ohne Veränderung seines Wesens in der Gleichheit des Seins alles ist in der Einheit mit der größten Menschheit Jesu. Denn der größte Mensch kann in ihm nicht anders als in der größten Weise (maxime) sein. So sind denn in Jesus, der Gleichheit alles Seins, als in dem göttlichen Sohne, der die mittlere göttliche Person ist, der ewige Vater und der heilige Geist, und alles ist in ihm als in dem Worte, jede Kreatur ist in der höchsten und vollkommensten Menschheit, welche universell alles, was erschaffen werden kann (omnia creabilia), in sich faßt, so daß Jesus die ganze Fülle ist, die in ihm wohnt. Wir können uns dies einigermaßen durch folgende Vergleichung veranschaulichen. Die Sinnenerkenntnis ist ein beschränktes (contracta) Erkennen, weil der Sinn nur Einzelnes erfaßt. Die Vernunfterkenntnis ist universell, weshalb sie im Vergleich zur Sinnenerkenntnis absolut ist und frei von der Beschränktheit auf das Einzelne. Die Sinnentätigkeit (sensatio) erscheint nun in verschiedenen Graden, wodurch, je nach den edleren und vollkommeneren Graden, verschiedene Arten von Tieren entstehen. Wiewohl nun die Sinnentätigkeit sich nach dem oben Gezeigten nicht auf den schlechthin höchsten Grade erhebt, so tritt sie doch in jener Art, welche in der Gattung der tierischen Wesen die wirklich höchste ist, also in der menschlichen, als ein lebendiges Wesen auf, das insofern lebendes Wesen ist, daß es zugleich Geist ist (denn der Mensch ist als Geist Selbstbewußtsein – homo enim suus est intellectus), so daß hier die konkrete Sinnlichkeit gewissermaßen in der geistigen Natur hypostatisch ruht (suppositatur), indem die geistige Natur ein gewisses göttliches, abgesondertes, abstraktes Sein ist, während die Sinnlichkeit ihrer Natur nach zeitlich und zerstörlich bleibt. Nach dieser obwohl entfernten Vergleichung müssen wir Jesus auffassen. Die Menschheit ruht in ihm hypostatisch in der Gottheit, weil sie anders nicht in ihrer ganzen Fülle die größte sein könnte. Da nämlich die Vernunft Jesu (intellectus Jesu) die vollkommenste und ganz und gar aktuell ist, so kann sie nur in der göttlichen Vernunft, die allein alles in Wirklichkeit ist, persönlich ruhen (suppositari). Die Vernunft ist nämlich in allen Menschen der Möglichkeit nach alles, sie geht stufenweise von der Möglichkeit in die Wirklichkeit über. Da nun die größte Vernunft der Höhepunkt (terminus) der Macht der ganzen vernünftigen Natur ist, in vollständiger Aktivität, so kann sie dies nur sein, wenn sie insofern Vernunft ist, als sie zugleich Gott ist, der alles in allem ist. Die menschliche Natur sei das in einem Kreis beschriebene Polygon, der Kreis die göttliche Natur. Soll nun das Polygon das größtmögliche sein, so dürfte es nicht in bestimmten Winkeln für sich bestehen, sondern in der Kreisform, so, daß es keine besondere Gestalt seines Bestehens hätte, die von der ewigen kreisförmigen Gestalt losgelöst werden könnte. Die höchste Vollendung der menschlichen Natur zeigt sich in ihrem Substantiellen und Wesentlichen, also in der Vernunft, der alles Körperliche dienen muß. Der vollkommenste Mensch braucht also nicht im Akzidentiellen hervorzuragen, außer soweit sich dieses auf die Vernunft bezieht. Es ist nicht erforderlich, daß er ein Riese oder uralt oder von dieser oder jener Größe, Farbe, Gestalt etc. sei. Nur das wird erfordert, daß sein Körper die Extreme vermeide, um ein ganz taugliches Werkzeug der Vernunft zu sein, der er ohne Widersetzlichkeit oder Ermattung gehorchen und Folge leisten muß. Von unserem Jesus, in dem alle Schätze der Wissenschaft und Weisheit, auch solange er als das Licht in der Finsternis auf dieser Welt wandelte, verborgen waren, nimmt man zufolge der Überlieferung der heiligen Zeugen seines Lebens an, er habe einen dem Zwecke der eminentesten Vernünftigkeit ganz entsprechenden, vollkommenen Körper gehabt.

FÜNFTES KAPITEL
Christus, empfangen von dem hl. Geiste,
ist geboren aus Maria der Jungfrau

Weiterhin ist zu erwägen, daß die vollkommenste, nach oben geeinte Menschheit, da sie im Konkreten der Höhepunkt der Vollkommenheit ist, die Natur der (menschlichen) Art nicht ganz ablegt. Nun wird aber Gleiches von Gleichem erzeugt, das Erzeugte geht nach dem Naturgesetze aus dem Erzeuger hervor. Hat aber der Grenzund Höhepunkt keine Schranke (terminus autem cum careat termino), so fehlt auch die Begrenzung und Proportion. Daher kann der größte Mensch nicht auf dem natürlichen Wege erzeugt werden. Auf der andern Seite kann er aber auch nicht des Anfangs als Gattungswesen ganz entbehren, da er die höchste Vollkommenheit der Gattung ist. Einerseits also tritt er als Mensch nach dem Gesetze der menschlichen Natur in die Welt, andererseits ist, weil er das Höchste im Anfange (altissimum principiatum), ganz unmittelbar mit dem Anfang geeint ist (immediatissime principio unitur), dieser Anfang selbst das Schaffende oder Zeugende, der Vater. Der menschliche Anfang ist passiver Natur, er gibt die empfängliche Materie; daher die Abstammung von einer Mutter, ohne männlichen Samen. Alle Tätigkeit aber geht aus einem Geist und einer Liebe hervor, die das Aktive mit dem Passiven vereint, wie früher gezeigt wurde. Die größte Tätigkeit daher, über allem Gesetze der Natur, durch welche der Schöpfer mit dem Geschöpfe geeint wird, muß aus der größten einigenden Liebe, somit aus dem hl. Geiste, der die absolute Liebe ist, hervorgehen. Durch ihn allein konnte die Mutter den Sohn Gottes, des Vaters, ohne Hilfe einer wirkenden Kraft aus dem Bereiche der Gattung empfangen; so daß Gott der Vater, gleichwie er alles durch seinen Geist gestaltet hat (formavit), was nicht aus schon Gegebenem durch ihn ins Dasein hervorgetreten ist, so in noch höherem Grade53 mittelst eben dieses heiligen Geistes wirkte, als er seine vollkommenste Tätigkeit entfaltete. Eine Vergleichung möge unserer Unwissenheit zu Hilfe kommen. Wenn ein ausgezeichneter Lehrer sein geistiges Wort, seinen Gedanken den Schülern mitteilen will, auf daß sie durch Darlegung der Wahrheit geistige Nahrung erlangen, so sorgt er dafür, daß der Gedanke seines Geistes zu einem Laute werde (vocem induat), weil er anders nicht mitteilbar ist. Dies ist aber anders nicht ausführbar, als durch den natürlichen Hauch (spiritus) des Lehrers, der durch Benützung der Luft einen Laut bildet, welcher seinem geistigen Worte (Gedanken) entspricht. Mit diesem Laute vereinigt er dieses Wort, so daß der Laut in dem Worte sein Bestehen hat, und die Zuhörer mittelst des Lautes das Wort erfassen. Diese obwohl ganz entfernte Ähnlichkeit mag uns ein wenig in unserer Betrachtung behilflich sein. Indem der ewige Vater voll unendlicher Güte uns die Schätze seiner Herrlichkeit zu aller Fülle der Wissenschaft und Weisheit eröffnen wollte, hüllte er das ewige Wort, seinen Sohn, der die Fülle von allem ist, aus Mitleid mit unserer Schwachheit, weil wir es anders als in sinnlicher und uns ähnlicher Form nicht erfassen konnten, um dasselbe nach dem Maße unserer Empfänglichkeit zu offenbaren, in die menschliche Natur, durch den hl. Geist, der gleichen Wesens mit ihm ist. Und wie der Hauch aus der an sich gezogenen Luft die Stimme, so hat der hl. Geist aus der reinen Fruchtbarkeit des jungfräulichen Blutes den Leib Jesu gebildet (contexuit), auf daß der Mensch das Wort Gottes des Vaters wäre, und hat diesen Leib innerlich so sehr mit sich geeint, daß er das Zentrum der Substanz der menschlichen Natur wurde. Alles dies ist nicht in zeitlicher Reihenfolge, wie bei der menschlichen Empfängnis, sondern in einer momentanen überzeitlichen Wirksamkeit, durch den der unendlichen Allmacht konformen Willen vollzogen worden.

Niemand wird zweifeln, daß die tugendreiche Mutter, welche die Materie (für die Menschwerdung des ewigen Wortes) darbot, alle Jungfrauen durch die höchste Tugend und Vollkommenheit übertroffen habe und unter allen fruchtbaren Weibern die gesegnetste gewesen. Sie, die zu einer so ausgezeichneten, ja einzigen jungfräulichen Geburt vorherbestimmt war, mußte notwendig von allem frei sein, was der Reinheit oder lebenskräftigen Einheit einer so ausgezeichneten Geburt im Wege stehen konnte. Wäre die Auserwählte nicht Jungfrau gewesen, wie hätte sie sich zu jungfräulichem Gebären ohne Zutun eines Mannes geeignet? War sie nicht ganz heilig und reich gesegnet von Gott, wie hätte sie das heilige Gefäß (sacrarium) des hl. Geistes, in welchem dieser für den Sohn Gottes den Leib bildete, werden können? Blieb sie nicht nach der Geburt Jungfrau, so hätte sie nicht für jene ganz einzige Geburt den Mittelpunkt der mütterlichen Fruchtbarkeit in deren höchster Vollkommenheit verwendet, sondern ihre Tätigkeit wäre geteilt und geschwächt gewesen, wie es sich für einen solchen, einzigen und höchsten Sohn nicht geziemte. Hat also die heiligste Jungfrau sich ganz Gott hingegeben, dem sie in der Wirksamkeit des hl. Geistes auch die ganze Natur der Fruchtbarkeit mitgeteilt hat, so ist in ihr die unbefleckte Jungfräulichkeit vor, bei und nach der Geburt, ganz über das Gesetz des gewöhnlichen Gebärens hinaus unversehrt geblieben. Somit ist der Gottmensch Jesus Christus aus dem ewigen Vater und einer zeitlichen Mutter, der glorreichen Jungfrau Maria, geboren: aus dem größten Vater von absoluter Fülle, aus einer Mutter in der Fülle jungfräulicher, reich gesegneter Fruchtbarkeit –, in der Fülle der Zeit. Der Mensch konnte nämlich aus der jungfräulichen Mutter nur zeitlich, aus Gott dem Vater nur ewig hervorgehen; aber die zeitliche Geburt erforderte hinsichtlich der Zeit die Fülle der Vollendung, wie in der Mutter die Fülle der Fruchtbarkeit. Als daher die Fülle der Zeit kam, wurde er in der geeignetsten Zeit und Raum, der jedoch allen Geschöpfen ganz verborgen blieb, geboren. Denn die höchste Fülle verträgt sich nicht mit den sonstigen Ereignissen des Tages. Daher kein Zeichen, an dem irgendwelcher Verstand jene Fülle der Zeit hätte wahrnehmen können, obwohl durch eine ganz geheimnisvolle prophetische Eingebung einige dunkle Andeutungen, verhüllt in menschliche Bilder, überliefert waren, an denen die Verständigen die Menschwerdung des Worts in der Fülle der Zeit hätten vorhersehen können. Doch genau den Ort, die Zeit und Art und Weise hat nur der ewige Vater gewußt, der es anordnete, daß, während alles in der Stille der Mitternacht ruhte, im Verlaufe der Nacht der Sohn aus der Himmelsburg in den Leib der Jungfrau hinabstieg und zur festgesetzten geeigneten Zeit in Knechtsgestalt sich der Welt offenbarte.