Philosophische und theologische Schriften

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SECHSTES KAPITEL
Das Mysterium des Todes Jesu Christi

Ich muß mir eine kurze Digression erlauben, um das Mysterium des Kreuzes deutlicher darzustellen.

Der Mensch besteht aus Sinn und Vernunft, zwischen welchen sich der Verstand als Verbindungsglied befindet. Der Ordnung nach ist der Sinn dem Verstande, dieser der Vernunft untergeordnet. Die Vernunft ist nicht zeitlich und weltlich, sondern hiervon frei; der Sinn ist weltlich (de mundo), der Zeit und Bewegung unterworfen. Der Verstand ist der Horizont der Vernunft, das Auge des Sinnes; in ihm koinzidiert, was unter und über der Zeit ist. Der Sinn ist unfähig für das Überzeitliche und Geistige. Das Tier versteht nicht, was Gottes ist, da Gott ein Geist, ja mehr als ein Geist ist. Daher bewegt sich die Sinnenerkenntnis in einer Finsternis der Unkenntnis der ewigen Dinge; ihre Bewegung geht fleischlich nach den fleischlichen Gelüsten vermöge der Begierlichkeit, während sie vermöge der Zornmütigkeit nicht imstande ist, jene zurückzudrängen. Der Verstand, der sein Übergewicht durch die Teilnahme an der vernünftigen Natur gewinnt, bewahrt in sich einige Gesetze, durch die er die leidenschaftlichen Begierden regiert, leitet und auf das rechte Maß zurückführt, auf daß der Mensch nicht das Sinnliche sich zum Ziele setze und so der Sehnsucht nach dem Geistigen und Vernünftigen verlustig gehe. Ein Hauptgesetz des Verstandes ist, nichts dem andern zu tun, was man selbst nicht wünscht, das Ewige dem Zeitlichen, das Lautere und Heilige dem Vergänglichen und Unlautern vorzuziehen. Behilflich sind hierzu auch jene Gesetze, die als ein Erzeugnis des Verstandes von heiligen Gesetzgebern nach Verschiedenheit von Ort und Zeit als Heilmittel für den Verstand der Sünder gegeben wurden. Allein die Vernunft erkennt auf ihrem höheren Standpunkte, daß, wenn auch der Sinn sich in allen Stücken dem Verstande unterwirft und den ihm angebornen Affekten nicht huldigt, der Mensch gleichwohl aus sich das Ziel seines vernünftigen und ewigen Sehnens nicht erreichen kann. Denn da der Mensch aus dem Samen Adams in fleischlicher Lust gezeugt ist, so daß das Tierische durch die Fortpflanzung über das Geistige das Übergewicht hat, so ist die menschliche Natur in ihrer Wurzel (in radice originis) in das fleischliche Begehren eingetaucht (carnalibus deliciis immersa), in welchem jeder Mensch durch den Vater gezeugt ist, und er bleibt daher gänzlich unfähig, über das Zeitliche hinweg das Geistige zu ergreifen. Wenn nun das Gewicht der fleischlichen Gelüste Verstand und Vernunft abwärts zieht, daß beide diesen Gelüsten zustimmen, ohne ihnen Widerstand zu leisten, so ist klar, daß der solchergestalt abwärts gekehrte Mensch, von Gott abgewandt, des Genusses des höchsten Gutes, das für die Vernunft im Himmel und ewig ist, vollständig beraubt ist. Herrscht aber der Verstand über den Sinn, so ist noch weiter erforderlich, daß auch die Vernunft über den Verstand herrsche, damit der Mensch über den Verstand hinaus in lebendigem Glauben (fide formata) an den Mittler sich anschließe, und so durch Gott zur Glorie erhoben werden kann. Kein Mensch war je imstande, erhoben über sich selbst und seine Natur, die von Anfang an den Sünden der fleischlichen Begierden unterworfen ist, über die Wurzel seines Lebens zum Ewigen und Himmlischen sich zu erheben. Nur der vom Himmel herabgestiegen ist, Jesus Christus, ist derjenige, der auch in eigener Kraft wieder hinaufgestiegen; in ihm ist die menschliche Natur nicht aus dem Willen des Fleisches, sondern aus Gott geboren und fand daher kein Hindernis, mit Macht zu Gott dem Vater zurückzukehren. In Christus ist daher die menschliche Natur durch jene Einigung zur höchsten Macht erhoben und dem Gewichte der zeitlichen und beschwerenden Begierden entrissen. Christus der Herr wollte nun alle Sünden der menschlichen Natur, die uns zum Irdischen herabziehen, an seinem menschlichen Leibe nicht um seinetwillen (da er keine Sünde begangen), sondern um unsertwillen gänzlich ertöten und durch das Ertöten wegschaffen, auf daß alle Menschen von gleicher Menschheit mit ihm die vollständige Reinigung von ihren Sünden in ihm erlangten. Der freiwillige und so unverschuldete, so schmähliche und grausame Kreuzestod des Menschen Christus war für alle fleischlichen Begierden der menschlichen Natur deren Tilgung, Genugtuung und Reinigung. Was nur immer nach Menschenweise gegen die Liebe des Nächsten geschehen kann, das ist in der Fülle der Liebe von Christus, indem er sogar für seine Feinde sich dem Tode hingab, wirklich vollbracht worden. Die Menschheit in Christo Jesu hat demnach das Mangelhafte aller Menschen ergänzt (omnes omnium hominum defectus adimplevit). Denn da diese Menschheit die größte ist, so umfaßt sie die ganze Potenz der Gattung und ist gegen jeden Menschen die Gleichheit des Seins, so daß Christus mit einem jeden Menschen weit inniger als der Bruder oder vertrauteste Freund verbunden ist. Das bewirkt das Vollmaß (maximitas) der menschlichen Natur, daß Christus in jedem Menschen, der sich in lebendigem Glauben an ihn anschließt, eben dieser Mensch ist, in vollkommenster Einigung, unbeschadet der Selbständigkeit des Einzelnen (cuiuslibet numero salvo). So bewahrheitet sich, was er selbst sagt: »Was ihr einem der Geringsten aus den Meinigen tuet, das habt ihr mir getan«, woraus umgekehrt folgt, daß, was Jesus Christus durch sein Leiden verdient hat, die verdient haben, die eins mit ihm sind, wobei jedoch verschiedene Grade des Verdienstes stattfinden, nach dem Grade der Einigung eines jeden mit ihm in einem von Liebe belebten Glauben (per fidem caritate formatam). In ihm sind demnach die Gläubigen beschnitten, in ihm getauft, gestorben, durch die Auferstehung wieder belebt, in ihm mit Gott geeint und verherrlicht (glorificati). Unsere Rechtfertigung ist daher nicht aus uns, sondern aus Christus. Da er die ganze Fülle ist, so erlangen wir in ihm alles, wenn wir ihn haben. Und da wir ihn in diesem Leben durch lebendigen Glauben besitzen, so können wir nicht anders als durch den Glauben gerechtfertigt werden, wie ich weiter unten ausführlicher zeigen werde.

Das ist das unaussprechliche Geheimnis des Kreuzes und unserer Erlösung. Durch dasselbe zeigt uns Christus (weit besser als durch das oben Berührte), daß wir Wahrheit, Gerechtigkeit, alle göttlichen Tugenden dem zeitlichen Leben als das Ewige dem Hinfälligen vorziehen sollen, so wie daß der vollkommene Mensch sich durch höchste Standhaftigkeit und Starkmut, Liebe und Humanität auszeichnen soll, wie der Kreuzestod Christi zeigt, daß in ihm, dem größten Menschen, diese und alle andern Tugenden im größten Maße vorhanden waren. Je mehr daher der Mensch in den unsterblichen Tugenden fortschreitet, desto ähnlicher wird er Christus. Das Kleinste koinzidiert dann mit dem Größten: die größte Erniedrigung mit der größten Erhöhung, der schmähliche Tod des Frommen mit dem Leben in der Glorie etc., wie uns das alles Christi Leben, Leiden und Kreuzestod zeigen.

SIEBENTES KAPITEL
Das Mysterium der Auferstehung

Der dem Leiden und Tode unterworfene Mensch Christus konnte auf keinem andern Wege in die Herrlichkeit des Vaters, der als das absolute Leben die Unsterblichkeit selbst ist, eingehen, als wenn das Sterbliche die Unsterblichkeit anzog. Dies war ohne den Tod nicht möglich; denn wie sollte das Sterbliche die Unsterblichkeit anziehen, außer wenn es der Sterblichkeit entkleidet wird? Und wie sollte dies geschehen, außer wenn dem Tode der Tribut entrichtet wird? Daher sagt die Wahrheit selbst, diejenigen seien unverständig und von langsamer Einsicht, welche nicht einsehen, »daß Christus sterben und so in seine Herrlichkeit eingehen mußte.« Da wir nun vorhin gezeigt haben, Christus sei für uns des grausamsten Todes gestorben, so müssen wir folgerichtig sagen: Weil die menschliche Natur nicht anders als durch den Sieg über den Tod zum Tempel der Unsterblichkeit hinaufgeführt werden konnte, so starb Christus, damit die menschliche Natur mit ihm zum ewigen Leben auferstehe und der tierische sterbliche Körper ein geistiger und unzerstörlicher werde. Er konnte kein wahrer Mensch sein, wenn er nicht sterblich war, und er konnte die sterbliche Natur nicht zur Unsterblichkeit führen, wenn nicht die Sterblichkeit durch den Tod entwaffnet war. Höre, wie schön uns die Wahrheit selbst hierüber belehrt, wenn sie sagt: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; stirbt es aber, so bringt es viele Frucht.« Wäre also Christus immer sterblich geblieben, wenn er auch nie gestorben wäre, wie hätte er, ein sterblicher Mensch, der menschlichen Natur die Unsterblichkeit gegeben? Wäre er nie gestorben, so wäre er eben allein, ohne zu sterben, sterblich geblieben. Er mußte also von der Möglichkeit des Sterbens durch den Tod befreit werden, wenn er viele Früchte bringen sollte, auf daß er so erhöht alles an sich ziehe, wenn seine Macht sich nicht bloß auf die Welt und vergängliche Erde, sondern auch auf den unvergänglichen Himmel erstreckte. Wir werden dies in unserer Unwissenheit einigermaßen erfassen, wenn wir das oft Gesagte uns vergegenwärtigen.

Wir haben gezeigt, Jesus, der größte Mensch, habe in sich abgesondert von der Gottheit, kein Bestehen, weil er der größte ist. Deshalb wird der gegenseitige Austausch der göttlichen und menschlichen Prädikate (communicatio idiomatum) gestattet, so daß das Menschliche mit dem Göttlichen koinzidiert, weil jene Menschheit, unzertrennlich von der Gottheit infolge der höchsten Einigung, gleichsam durch die Gottheit angezogen und angenommen (quasi per divinitatem induta et assumta) abgesondert kein persönliches Sein und Bestehen hat. Nun ist der Mensch aus Körper und Seele geeint; die Scheidung ist der Tod. Da nun der größte Mensch in der göttlichen Person hypostatisch ruht (suppositatur), so konnte auch nach der lokalen Scheidung unmöglich entweder die Seele oder der Leib im Moment des Todes von der göttlichen Person, ohne welche der größte Mensch nicht bestand, losgetrennt werden. Christus starb also nicht in der Weise, als hätte seine Person einen Mangel gehabt, sondern, abgesehen von der lokalen Scheidung, blieb er in Hinsicht auf das Zentrum, in welchem seine Menschheit ruhte, mit der Gottheit hypostatisch geeint. Nach der niedern Natur, welche ihrem Wesen nach eine Scheidung von Seele und Leib gestattet, ist diese Scheidung zeitlich und räumlich erfolgt, so daß in der Todesstunde Seele und Leib nicht mehr in derselben Zeit und in demselben Raume zugleich waren. In Körper und Seele war eine Zerstörlichkeit nicht möglich, da sie mit der Ewigkeit geeint waren, allein die zeitliche Geburt war dem Tode und der zeitlichen Scheidung unterworfen, so daß, nachdem der Kreislauf von Zusammensetzung zur Auflösung vollendet und namentlich der Leib von aller zeitlichen Bewegung freigeworden war, das wahre Wesen der Menschheit (veritas humanitatis), das überzeitlich mit der Gottheit geeint unversehrt geblieben, wie es dieses wahre Wesen erforderte, den wahren Leib mit der wahren Seele vereinte (veritatem corporis veritati animae adunaret), so daß das Schattenbild der Wahrheit (Idee) des Menschen entlassen wurde (dimissa umbrosa imagine veritatis hominis) und der in der Zeit erschienene wahre Mensch frei von aller Einwirkung der Zeitlichkeit auferstand. Es ist also ein und derselbe Jesus, erhoben über alle zeitliche Bewegung, um nicht mehr zu sterben, in Wirklichkeit auferstanden, durch eine Wiedervereinigung der Seele und des Leibes. Ohne diese Wiedervereinigung wäre die unzerstörliche Wahrheit (Idee) der Menschheit nicht auf das Wahrste, ohne Vermischung der Naturen, mit der göttlichen Person hypostatisch vereinigt gewesen. Unterstütze die Schwäche und Unwissenheit des Geistes durch das Beispiel Christi vom Weizenkorn! Das Weizenkorn wird als ein einzelnes zerstört, aber die spezifische Wesenheit desselben bleibt unversehrt, durch welche die Natur eine Menge von neuen Körnern auferweckt. Wäre nun das einzelne Weizenkorn das größte und vollkommenste seiner Art, und würde es in dem besten und fruchtbarsten Erdreiche ersterben, so könnte es nicht bloß hundert- und tausendfache Frucht bringen, sondern so viele, als im Bereiche der ganzen Möglichkeit seiner Art enthalten ist. Das ist der Sinn jenes Wortes der ewigen Wahrheit: »es bringt viele Frucht«; denn das Viele ist eine zahllose Endlichkeit. Verstehe es wohl! Die Menschheit Jesu muß, so gut sie als konkrete Erscheinung des Menschen Christus aufgefaßt wird, ebenso zugleich auch als vereint mit der Gottheit gedacht werden. In letzterer Hinsicht ist sie absolut (plurimum absoluta), sofern Christus als wahrer Mensch betrachtet wird, ist sie konkret, so daß er durch die Menschheit Mensch ist. So ist die Menschheit Jesu die Mitte zwischen dem rein Absoluten und rein Konkreten. Sie ist eben deshalb nur relativ zerstörbar, schlechthin aber unzerstörbar (non fuit corruptibilis, nisi secundum quid, et simpliciter incorruptibilis). Der Zeitlichkeit nach, auf die sie eingeschränkt war, war sie zerstörbar, als frei von der Zeit, über der Zeit, mit der Gottheit geeint, war sie unzerstörbar. Die Wahrheit in ihrer zeitlichen Erscheinung (veritas ut est temporaliter contracta) ist Symbol und Abbild der überzeitlichen Wahrheit. So ist auch die zeitliche Erscheinung des Körpers gleichsam das Schattenbild des wahren überzeitlichen Körpers, und die konkrete Seele das Schattenbild der von der Zeitlichkeit befreiten Seele. Solange diese in der Zeit ist, wo sie ohne Bilder der Dinge (sine phantasmatibus) nichts auffaßt, erscheint sie mehr als Sein oder Verstand54, denn als Vernunft; ist sie aber über die Zeitlichkeit erhaben, so ist die Vernunft (von diesen Bildern) frei und unabhängig. Da nun die Menschheit Jesu unauflöslich nach oben in der göttlichen Unzerstörbarkeit wurzelte, so konnte, nachdem der vergängliche zeitliche Lebenslauf vollendet war, die Lösung nur nach der Wurzel der Unzerstörbarkeit hin erfolgen. Daher ist Jesus nach dem Ende des zeitlichen Lebenslaufes, welches der Tod war, nach Entfernung von allem, was sich zeitlich der Wahrheit der menschlichen Natur beigesellte, auferstanden, nicht mit einem schweren, zerstörbaren, unvollkommenen (umbrosa), leidensfähigen und mit den andern, der zeitlichen Zusammensetzung anklebenden Mängeln behafteten Leibe, sondern in einem wahren, verherrlichten, leidensunfähigen, beweglichen und unsterblichen Leibe, wie es die Wahrheit, frei von zeitlichen Bedingungen, erforderte. Diese Wiedervereinigung (von Seele und Leib) war durch die Wahrheit der hypostatischen Einigung der göttlichen und menschlichen Natur geboten. Es mußte also Christus von den Toten auferstehen, wie er selbst sagte: »So mußte Christus leiden und am dritten Tage von den Toten auferstehen.«

 

ACHTES KAPITEL
Christus, der Erstling der Entschlafenen, ist in den Himmel aufgefahren

Nach dem bisher Gezeigten ist nun leicht einzusehen, daß Christus der Erstling der Gestorbenen ist (primogenitum ex mortuis esse); denn kein Mensch konnte vor ihm auferstehen, weil die menschliche Natur noch nicht in der Zeit zu ihrem Höhepunkte (ad maximum) gelangt, noch nicht mit der Unzerstörbarkeit und Unsterblichkeit, wie in Christus, geeint war. Alle waren unfähig dazu, bis der kam, welcher sagte: »Ich habe die Macht, mein Leben hinzugeben und es wieder zu nehmen.« In Christus, dem Erstlinge der Entschlafenen, hat daher die menschliche Natur die Unsterblichkeit angezogen. Nun gibt es aber nur eine unteilbare Menschheit und nur eine spezifische Wesenheit aller Menschen, durch welche alle einzelnen Menschen unter sich der Zahl nach verschiedene Wesen sind, so daß die Menschheit Christi und aller andern Menschen die gleiche ist, unbeschadet des numerischen Unterschieds der einzelnen Individuen. Hiernach ist klar, daß die Menschheit aller Menschen, die zeitlich vor oder nach Christus lebten oder noch leben werden, in Christus die Unsterblichkeit angezogen hat. Der Schluß ist also gültig: Der Mensch Christus ist auferstanden, folglich werden nach dem ganzen Ablaufe der zeitlichen Zerstörbarkeit alle Menschen durch ihn auferstehen, um ewig unzerstörbar zu sein. Wiewohl jedoch die Menschheit aller Menschen eine und dieselbe ist, so sind doch die individualisierenden Prinzipien, welche die Menschheit auf dieses oder jenes Subjekt einschränken, mannigfach und verschieden. Nur in Jesus Christus waren sie am vollkommensten und mächtigsten, dem Wesen der Menschheit am nächsten, die mit der Gottheit geeint war, in deren Kraft Jesus imstande war, mit eigener Kraft aufzuerstehen, eine Kraft, die ihm aus der Gottheit zukam. Eben deshalb heißt es auch, Gott habe ihn von den Toten auferweckt, während er, da er Gott und Mensch war, durch eigene Kraft auferstanden ist. Christus, der nur nach seiner Abstammung von einer Mutter zeitlich geboren ist, hat bei seiner Auferstehung nicht den ganzen Abschluß der Zeit abgewartet, weil die Zeit seine Geburt durchaus nicht erfaßt hat.

Beachte ferner: Die menschliche Natur hat in Christus die Unsterblichkeit angezogen; daher werden wir zwar alle, Gute wie Böse, auferstehen, aber nicht alle durch die Herrlichkeit (per gloriam), die uns durch Christus, den Sohn Gottes, zu Kindern Gottes (in filios adoptionis) umgestaltet, verwandelt werden. Alle werden durch Christus auferstehen, aber nicht alle wie Christus und durch Einigung mit ihm, sondern nur jene, die ihm durch Glaube, Hoffnung und Liebe angehören.

Hieraus siehst du, wenn ich mich nicht täusche, daß es keine vollkommene, den Menschen zum höchsten und ersehnten Ziel des Friedens führende Religion gibt, die Christus nicht als Mittler und Erlöser, als Gott und Menschen, als den Weg, die Wahrheit und das Leben auffaßt. Wie widersinnig ist daher der Irrglaube der Sarazenen, welche Christus für den größten und vollkommensten Menschen halten, geboren aus der Jungfrau, und glauben, daß er lebendig in den Himmel aufgefahren, aber seine Gottheit leugnen. Sie sind fürwahr verblendet, weil sie Unmögliches behaupten. Nach dem Gesagten muß es für jeden vernünftigen Menschen sonnenklar sein, daß kein Mensch der durchaus vollkommenste und größte und übernatürlich aus einer Jungfrau geboren sein kann, der nicht zugleich Gott ist. Die Sarazenen sind daher unverständig, Feinde des Kreuzes, die dessen Mysterien nicht verstehen und darum auch die göttliche Frucht der Erlösung nicht verkosten werden. Auch von dem Gesetze ihres Mahomed, das nichts als die Befriedigung sinnlicher Lust verheißt, die durch den Tod Christi in uns ertötet ist, dürfen sie nicht erwarten, wonach wir in Hoffnung auf den Besitz unvergänglicher Herrlichkeit eifrig streben. Mit den Sarazenen glauben auch die Juden, der Messias sei der größte, vollkommenste, unsterbliche Mensch, leugnen aber gleichfalls seine Gottheit, von derselben teuflischen Blindheit geschlagen. Auch sie werden die höchste Seligkeit, Gott zu genießen, auf die sie nicht hoffen, auch nicht erlangen. Was am befremdendsten ist, ist das, daß sowohl Juden als Sarazenen an eine einstige allgemeine Auferstehung glauben, aber die Möglichkeit derselben durch einen Menschen, der zugleich Gott ist, nicht zulassen. Wollte man auch sagen, die Auferstehung sei schon darum notwendig, weil sonst, wenn die Bewegung des Entstehens und der Zerstörung aufhört, das Universum nicht mehr seine Vollkommenheit hätte, und da die menschliche Natur ein wesentlicher Teil des Universums ist, das Universum ohne sie nicht nur nicht vollkommen, sondern überhaupt kein Universum mehr sein würde, und daß, wenn einmal die Bewegung aufhört, entweder das ganze Universum zugrunde gehen oder die Menschen, deren Natur als die mittlere das ganze in sich faßt, zur Unzerstörlichkeit auferstehen müssen (andere lebende Wesen brauchen nicht aufzuerstehen, da der Mensch die Vollkommenheit derselben ist); oder wollte man auch die Auferstehung nur deshalb annehmen, damit der ganze Mensch die ihm gebührende Vergeltung von dem gerechten Gott erhalte, so ist doch zu allem dem vor allem der Glaube an Christus als den Gottmenschen notwendig, durch welchen allein die menschliche Natur zur Unvergänglichkeit gelangen kann. Blind sind daher alle, welche an die Auferstehung glauben, aber Christus, die Vermittlung ihrer Möglichkeit, nicht bekennen, da der Glaube an die Auferstehung auch der Glaube an die Gottheit und Menschheit Christi, an seinen Tod und seine Auferstehung ist.

Auferstanden ist er, um durch die Himmelfahrt in seine Herrlichkeit einzugehen. Ich glaube, daß diese Himmelfahrt zu denken ist als über alle Bewegung der Zerstörbarkeit und über allen Einfluß der Himmel erhaben. Denn wiewohl Jesus seiner Gottheit nach überall ist, so ist doch das sein ihm eignender Ort, wo kein Wechsel, Leiden, Traurigkeit, überhaupt nichts von dem ist, was der Zeitlichkeit angehört. Dieser Ort der ewigen Freude und des Friedens – sagen wir – ist über den Himmeln, wiewohl er weder zu beschreiben noch zu definieren ist. Christus ist der Mittelpunkt und die Peripherie der vernünftigen Natur, und da die Vernunft alles umfaßt (omnia ambiat), so ist er über allem. Indessen wohnt er in den heiligen Seelen und vernünftigen Geistern, welche die Himmel sind, die seine Herrlichkeit verkünden, als in seinem Tempel. Wir erkennen also, daß Christus über Raum und Zeit zu einer unzerstörbaren bleibenden Wohnung sich erhoben habe, wenn es heißt: Er erhob sich über alle Himmel, um alles zu erfüllen. Da er Gott ist, so ist er alles in allem; er herrscht in den Himmeln der vernünftigen Naturen, da er die Wahrheit selbst ist. Er ist nicht räumlich mehr in der Peripherie, als im Zentrum, da er der Mittelpunkt aller vernünftigen Geister und ihr Leben ist. Daher sagt er auch, er, der die Quelle des Lebens und das Ziel aller Geister ist, das Himmelreich sei in den Menschen.