Philosophische und theologische Schriften

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NEUNTES KAPITEL
Christus ist der Richter der Lebendigen und der Toten

Welcher Richter ist gerechter als der, welcher die Gerechtigkeit selbst ist? Christus, das Haupt und der Anfang jedes vernünftigen Geschöpfes, ist die größte Vernunft selbst, von der jede Vernunft stammt. Die Vernunft fällt das unterscheidende Urteil. Sonach ist der mit Recht der Richter der Lebendigen und der Toten, der mit allen vernünftigen Naturen die menschliche Natur angenommen hat und dabei Gott geblieben ist, der der Vergelter von allem ist.

Christus richtet alles überzeitlich, durch sich und in sich, weil er alle Geschöpfe als der größte Mensch, in dem alles ist, in sich begreift. Gott als Gott ist das unendliche Licht, in dem keine Finsternis ist, das alles erleuchtet, so daß in diesem Lichte dem Lichte selbst alles ganz klar und offenbar ist. Dieses unendliche vernünftige Licht umfaßt überzeitlich so Gegenwart als Vergangenheit, Lebendes und Totes in sich, wie das physische Licht die Hypostase aller Farben ist. Christus ist wie das reinste Feuer, das vom Lichte unzertrennlich ist, und nicht in sich, sondern im Lichte seinen Bestand hat. Er ist das Feuer des geistigen und vernünftigen Lebens, das, indem es alles verzehrt und in sich aufnimmt, eben dadurch alles prüft und beurteilt. Alle vernünftigen Geister werden in Christus so geprüft, wie das dem Feuer Übergebene (ignibile) im Feuer. Einiges wird, während es im Feuer aushält, doch ganz in die Ähnlichkeit mit dem Feuer umgewandelt. So wird das beste und vollkommenste Gold im Feuer so in Feuer verwandelt, daß man nicht Gold mehr als Feuer wahrnimmt. Anderes nimmt an der Intensität des Feuers nicht in diesem Grade Anteil, wie das geläuterte Silber, Erze und Eisen. Jedoch scheint alles in Feuer verwandelt, obwohl jegliches in einem besonderen Grade. Dieses Gericht übt jedoch nur das Feuer aus, nicht die vom Feuer ergriffenen Gegenstände (ignitum), da jeder der letzteren in jedem andern nur das heftige Feuer bemerkt, nicht aber die Gradunterschiede der vom Feuer ergriffenen Gegenstände, gleichwie auch wir, wenn wir geschmolzenes Gold, Silber und Kupfer in einem sehr großen Feuer sehen, die Unterschiede der Metalle, wenn sie in die Form des Feuers umgestaltet sind, nicht wahrnehmen. Hätte nun dieses Feuer Bewußtsein und Vernunft, so kennte es die Grade der Vollkommenheit eines jeden, und die Fähigkeit für die Aufnahme eines intensiven Feuers würde in jedem graduell verschieden erscheinen. Wie es daher einige dem Feuer unterworfene Stoffe gibt, die im Feuer unzerstörlich verharrend Licht und Wärme in sehr hohem Grade aufnehmen und vermöge ihres geläuterten Zustandes leicht zur Ähnlichkeit des Feuers sich umgestalten lassen, während andere Stoffe wegen ihrer unreinen Beschaffenheit zwar wärmefähig, aber nicht in Licht verwandelbar sind, so teilt auch Christus der Richter in einem einfachsten und unterschiedlosen Ausspruche (iudicium), in einem Momente, an alle auf die gerechteste Weise, ohne alle Mißgunst, nicht in zeitlicher, sondern natürlicher Ordnung, die Wärme der anerschaffenen Verständigkeit (calorem creatae rationis communicat) aus, und ist diese Wärme von jedem aufgenommen, so gießt er das göttliche Licht der Vernunft von oben ein, so daß Gott alles in allem ist und alles durch ihn, den Mittler, in Gott und ihm (dem Mittler) gleich, soweit dies nach der Empfänglichkeit eines jeden möglich ist. Daß aber einige Stoffe (quaedam), die mehr geeint und geläutert sind, nicht nur für Wärme, sondern auch für Licht empfänglich sind, andere kaum für Wärme, aber nicht für Licht, ist eine Folge der mangelhaften Disposition der Gegenstände. Da nun jenes unendliche Licht die Ewigkeit und Wahrheit selbst ist, so muß das verständige Geschöpf, das durch dasselbe erleuchtet werden will, sich über Welt und Zeit zu dem Wahren und Ewigen hinwenden. Denn Körperliches und Geistiges sind Gegensätze. Das bloße Vegetieren ist körperlicher Natur, es verwandelt die von Außen aufgenommene Nahrung in die Natur des Genährten, es verwandelt sich nicht das Tier in Brot, sondern umgekehrt. Der vernünftige Geist hingegen, dessen Tätigkeit überzeitlich, gleichsam am Horizont der Ewigkeit sich bewegt, kann das Ewige, weil es ewig ist, nicht in sich verwandeln; allein er kann auch sich, da er gleichfalls unzerstörbar ist, nicht so in das Ewige verwandeln, daß er aufhört, eine vernünftige Substanz zu sein. Er wird daher so in jenes verwandelt, daß er zur Ähnlichkeit mit dem Ewigen umgestaltet wird (absorbeatur), jedoch mit graduellem Unterschiede. Ist er stärker und inniger dem Ewigen zugewandt, so geht seine Vollendung durch das Ewige auch tiefer (profundius ab aeternis perficiatur), und sein Sein verbirgt sich in dem ewigen Sein (et abscondatur eius esse aeterno). Da Christus unsterblich ist und fortlebt, ja das Leben und die Wahrheit ist, so wendet sich, wer zu ihm sich wendet, zum Leben und zur Wahrheit hin; mit je regerem Eifer es geschieht, desto mehr erhebt er sich über das Zeitliche und Vergängliche zum Ewigen hin, so daß sein Leben verborgen ist in Christus. Die Tugenden sind die ewige Gerechtigkeit, die in alle Ewigkeit dauert, das Leben und die Wahrheit. Wer sich der Tugend zuwendet, wandelt auf den Wegen Christi, auf den Wegen der Reinheit und Unsterblichkeit. Die wahren Tugenden sind eine göttliche Erleuchtung (divinae illuminationes). Wer sich daher in diesem Leben durch Christus, der die Tugend ist, zur Tugend wendet, wird, wenn er von diesem zeitlichen Leben befreit ist, in der Reinheit des Geistes erfunden werden und eingehen dürfen in die Freude, Gott ewig zu besitzen. Die Hinkehr (conversio) unseres Geistes erfolgt, wenn er sich mit allen seinen geistigen Kräften zur reinsten ewigen Wahrheit im Glauben, dem er alles hintansetzt, hinwendet und diese Wahrheit als das allein Liebenswürdige liebt. Die Hinkehr zu Christus, der die Wahrheit ist, im felsenfesten Glauben ist Verachtung der Welt und siegreiches Bezähmen alles Weltlichen (est mundum istum deserere atque in victoria calcare). Christus auf das Herzlichste lieben heißt in geistiger Bewegung zu ihm hinziehen, der nicht nur liebenswürdig, sondern die Liebe (caritas) selbst ist. Zieht der Geist in den Stufen der Liebe zur Liebe selbst hin, so vertieft er sich, erhoben über die Zeit und alle weltliche Bewegung, in der Liebe (in ipsam caritatem profundatur). Wie jeder Liebende in der Liebe, so leben alle, welche die Tugend lieben, in Christus. Niemand kennt also die Wahrheit, es sei denn der Geist Christi in ihm. Wie es unmöglich ist, daß ein Liebender ohne Liebe sei, so ist es unmöglich, daß jemand Gott besitze ohne den Geist Christi, in welchem Geiste wir allein Gott anbeten können. Daher sind die Glaubenslosen, die sich nicht Christus zuwenden, als unempfänglich für das zur Glorie umgestaltende Licht schon verurteilt zur Finsternis und zum Schatten des Todes; denn sie sind weggewandt von dem Leben, das Christus ist, von dessen Fülle allein alle in der Herrlichkeit durch die Vereinigung mit ihm gesättigt werden. Hierüber will ich weiter unten in dem Abschnitte über die Kirche auf gleicher Grundlage zu unserem Troste noch einiges beifügen.

ZEHNTES KAPITEL
Vom Ausspruche des Richters

Es ist klar, daß kein Sterblicher jenes Gericht und den Ausspruch des Richters zu begreifen imstande ist. Da es über aller Zeit und Bewegung ist, so vollzieht sich jenes Gericht nicht in einer vorausgehenden Erörterung, nicht im Aussprechen von Worten und ähnlichen Äußerlichkeiten, welche eine Zeitdauer in sich schließen, sondern wie in dem Worte (er sprach und es ward) alles erschaffen ist, so wird in demselben Worte alles gerichtet. Auch fällt zwischen den Ausspruch und dessen Vollzug keine Zeitdauer, sondern es ist ein Moment: Auferstehen und Gelangen zum letzten Ziele. Letzteres nach zwei Richtungen: Verklärung durch Aufnahme unter die Kinder Gottes und Verdammung durch Ausschließen der von Gott Abgekehrten sind durch kein Zeitmoment voneinander getrennt.

Die vernünftige Natur, die über die Zeit erhaben und der zeitlichen Zerstörung nicht unterworfen ist, die in ihrer Natur die unzerstörlichen Formen der Mathematik und der Naturwesen begreift und daher der selbst unzerstörbare Ort dieser unzerstörbaren Formen ist, wird durch eine natürliche Bewegung zur reinen, von aller konkreten Beimischung freien Wahrheit (ad veritatem movetur abstractissimam), als zum Ziele ihres Sehens und zu ihrem höchsten, genußreichsten Objekte hingetrieben. Und da dieses Objekt Gott ist, so ist die unsterbliche und unzerstörbare Vernunft nicht befriedigt, bis sie ihn erreicht, da sie nur in dem ewigen Objekte Befriedigung findet. Wenn nun die Vernunft, frei vom Körper, in dem sie den Meinungen der Zeit unterworfen ist (in quo opinionibus ex tempore subiicitur), nicht zum erwünschten Ziele gelangt, sondern vielmehr, während sie doch nach der Wahrheit ein Verlangen hat, in Unwissenheit versinkt, und während ihr höchstes Sehnen kein anderes ist als die Wahrheit selbst, nicht wie in Rätseln und Symbolen, sondern mit höchster Gewißheit von Angesicht zu erfassen, in der Stunde des Scheidens von dieser Welt wegen ihrer Abkehr von der Wahrheit und Hinkehr zu dem Vergänglichen in dieses von ihr erstrebte Vergängliche hinabsinkt, in die Ungewißheit und Verworrenheit, in das finstere Chaos der bloßen Möglichkeit, in der keine wirkliche Gewißheit ist (cum cadat ad incertitudinem et confusionem, in ipsum tenebrosum chaos merae possibilitatis, ubi nihil certi actu), so sagt man mit Recht, sie sei dem geistigen Tode verfallen (recte ad intellectualem mortem descendisse dicitur). Denn für die Seele ist das vernünftige Erkennen ihr Sein, das Ersehnte erkennen ihr Leben. Wie es daher ihr ewiges Leben ist, zuletzt das Ersehnte, Beharrliche, Ewige zu erfassen, so ist es ihr ewiger Tod, von diesem ersehnten festen Ziele getrennt und in das Chaos der Verwirrung hinabgestürzt zu werden, wo sie nach ihrer Weise von dem ewigen Feuer gequält wird, das wir uns nicht anders denken können als die Qual dessen, der der Leben gebenden Nahrung und der Gesundheit, ja, was noch mehr ist, auch der Hoffnung, je diese Güter zu erlangen, beraubt ist, und daher, ohne je zu erlöschen, ohne Ende beständig stirbt in ewigem Todeskampfe (ut sine extinctione et fine semper moriatur agonizando). Das ist ein über allen Begriff qualvolles Leben, denn es ist ein solches Leben, das zugleich Tod ist, ein Sein, das ein Nichtsein, ein Erkennen, das ein Nichtwissen ist. In dem Früheren ist gezeigt, daß die Auferstehung der Menschen erhaben über alle Bewegungen, Zeit, Quantität und über anderes, was zur Zeit gehört, erfolgt, so daß das Zerstörbare ins Unzerstörbare, das Tierische ins Geistige verwandelt wird und der ganze Mensch voller Persönlichkeit und diese ganze geistige Natur, und somit auch der wahre Leib vom Geistigen verschlungen ist (ut totus homo sit suus intellectus, qui est spiritus, et corpus verum sit in spiritu absorptum). Der Leib besteht nicht mehr in sich (in se) nach seinem körperlichen quantitativen und zeitlichen Verhältnisse, sondern ist in das Geistige aufgenommen (translatum in spiritum), das Gegenstück zu dem jetzigen Leibe, wo man nicht die Vernunft, sondern nur den Körper wahrnimmt, in dem die Vernunft selbst wie eingekerkert ist, während dort der Körper ebenso im Geiste ist wie hienieden der Geist im Körper und mithin, während hier die Seele durch den Körper belastet, dort der Körper durch den Geist schwunghaft wird (alleviatur). Wie daher die geistigen Freuden des vernünftigen Lebens die größten sind, an denen auch der verklärte Leib im Geiste partizipiert, so ist auch die höllische Traurigkeit des geistigen Todes die größte, und auch der Leib empfindet sie im Geiste. Und da unser Gott, der, lebendig erfaßt, das ewige Leben ist, über allen unsern Verstand erkennbar ist, so sind auch jene ewigen Freuden, die alle unsere Begriffe übersteigen, viel zu groß, als daß sie sich irgendwie schildern ließen. In gleicher Weise gehen auch die Strafen der Verdammten über alle denkbaren oder der Darstellung fähigen Strafen hinaus. Daher sind alle jene der musikalischen Harmonie entlehnten Zeichen der Freude, des Frohlockens und der Herrlichkeit, welche als uns bekannte Zeichen zum Ermessen des ewigen Lebens von den Vätern überliefert wurden, nur ganz entfernte sinnliche Zeichen, die unendlich von jenen geistigen, keiner Phantasie zugänglichen Freuden abstehen. Ebenso halten auch die Höllenstrafen, sofern sie mit einem Elementarfeuer aus Schwefel und Pech und ähnlichen sinnlichen Qualen verglichen werden, keinen Vergleich aus mit jenen feurigen Geistesqualen (ad igniles illas intellectuales aerumnas), vor welchen uns Jesus Christus, unser Leben und Heil bewahren wolle. Er sei gepriesen in Ewigkeit. Amen.

 

ELFTES KAPITEL
Das Mysterium (die Natur) des Glaubens

Unsere Vorfahren sagen alle einstimmig, der Glaube sei der Anfang des Wissens (fidem initium esse intellectus). In jedem Gebiet des Wissens (in omni facultate) werden einige Sätze als erste Prinzipien (Axiome) vorausgesetzt, die man nur durch den Glauben erfaßt, und aus welchen sodann die Erkenntnis des zu erforschenden Gegenstandes entwickelt wird (ex quibus intelligentia tractandorum elicitur.) Wer zu einer Wissenschaft aufsteigen will, muß an die Dinge glauben, ohne die er nicht aufsteigen kann. Darum sagt Jesaja: Wenn ihr nicht glaubet, werdet ihr nicht einsehen. Der Glaube faßt daher alles Erkennbare in sich, die Erkenntnis ist die Entfaltung55 des Glaubens (fides est in se complicans omne intelligibile, intellectus autem est fidei explicatio). Das Wissen erhält daher durch den Glauben seine Richtung (dirigitur), der Glaube durch das Wissen seine Entwicklung (extenditur). Wo daher kein gesunder Glaube ist, da gibt es auch kein wahres Wissen. Es ist bekannt, zu welchen Schlüssen falsche Prinzipien und ein unsicheres Fundament führen.

Es gibt keinen vollkommeneren Glauben als die Wahrheit selbst – Jesus. Wer sieht es nicht ein, daß der rechte (recta) Glaube die herrlichste Gottesgabe ist? Der Apostel Johannes sagt, der Glaube an die Menschwerdung des Wortes Gottes führe uns in die Wahrheit, so daß wir Kinder Gottes werden. Dies zeigt er im Eingange (seines Evangeliums) mit wenigen Worten und zählt dann viele Taten Christi auf, im Einklage mit dieser Glaubenswahrheit, damit die Vernunft im Glauben erleuchtet werde; deshalb sagt er am Schlusse: »Dies ist geschrieben, damit ihr glaubet, daß Jesus der Sohn Gottes ist.« Der süße Glaube an Christus, an dem die Einfalt des Herzens festhält, kann nun nach unserer Wissenschaft des Nichtwissens in stufenmäßigem Aufsteigen erweitert und entfaltet werden. Denn die größten und tiefsten Geheimnisse Gottes, die den Weltkindern, wie verständig sie auch sonst sein mögen, verborgen bleiben, werden dem kindlichen und demütigen Gemüte im Glauben an Jesus offenbar, weil in Jesus alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft verborgen sind. Ohne ihn kann niemand etwas ausführen, denn er ist das Wort und die Allmacht, durch welche Gott die Welt erschaffen hat; er, der allein Höchste, hat Gewalt über alles im Himmel und auf Erden. Da er in dieser Welt nicht erkennbar ist, und Verstand, Meinung und Unterricht uns durch Symbole vom Bekannten zum Unbekannten führen, so wird er nur da erfaßt, wo das Überreden (persuasiones) aufhört und der Glaube beginnt, durch den wir in der Einfalt des Herzens dergestalt entzückt werden, daß wir ihn (ipsum) über Verstand und Einsicht im dritten Himmel der einfachsten Vernünftigkeit im Körper unkörperlich (weil im Geiste), in der Welt überweltlich, himmlisch in einer alle Begriffe übersteigenden Weise betrachten, wo wir auch das einsehen, daß er wegen seiner unendlichen Erhabenheit nicht begriffen werden kann. Das ist die gelehrte Unwissenheit, durch welche der heilige Paulus sich zu der Einsicht erhob, daß er Christus, von dem er eine Zeitlang nur ein Wissen hatte (quem aliquando solum scivit), dann nicht kenne (ignorare), wenn er sich höher hinauf zu ihm erhob.56 Wir Christgläubigen werden daher durch das gelehrte Nichtwissen zu dem Berge, der Christus ist, hinaufgeführt, den wir in unserm natürlichen Leiden und Leben (cum natura animalitatis nostrae) nicht berühren können. Wollen wir aber mit dem Auge der Vernunft ihn betrachten, so stoßen wir auf Finsternis und wissen, innerhalb dieser Finsternis sei der Berg, wo nur alle, deren Stärke die Vernunft ist (omnibus intellectu vigentibus), wohnen dürfen. Besteigen wir diesen Berg mit festem Glauben, so werden wir den Augen der sinnlichen Weltkinder entrückt; wir hören innerlich (auditu interiori) die Stimmen, die Donner und schrecklichen Zeichen von Gottes Majestät und vernehmen unschwer den Herrn selbst, dem alles gehorcht, indem wir stufenweise zu einigen unzerstörbaren Spuren seiner Fußtritte, wie zu göttlichen Kennzeichen gelangen, und so nicht die Stimme sterblicher Geschöpfe, sondern die Stimme Gottes selbst in seinen heiligen Organen, in Propheten und andern Heiligen vernehmen, und so ihn noch deutlicher durch eine Menge von Verstandesgründen57 erkennen. Allein auch von hier steigen die Gläubigen in glühendem Verlangen immer höher auf, und werden über alles Sinnliche hinweg zur einfachen, vernünftigen Anschauung erhoben (ad intellectualitatem simplicem rapiuntur), ein Fortschritt, wie aus dem Schlafe zum Wachen, vom Hören zum Sehen, wo sie sehen, was nicht geoffenbart werden kann, weil kein Gehör es zu fassen, keine Stimme es zu lehren vermag. Müßte das hier Geoffenbarte ausgesprochen werden, dann würde Unaussprechliches ausgesprochen und Unerhörtes gehört, wie das Unsichtbare dort gesehen wird. Jesus, der gepriesen sei in Ewigkeit, das Ziel der Vernunft als die Wahrheit, das Ziel der Sinne als das Leben, das Ziel alles Seins als das Sein, die Vollkommenheit jedes Geschöpfes als der Gottmensch, wird dort als das Höchste aller Worte in uns unbegreiflicher Weise gehört. Er ist nämlich Ausgang und Ziel jeden Wortes: Was in einem Worte Wahres ist, kommt von ihm. Jedes Wort hat den Zweck der Belehrung. Er ist also dieser letzte Zweck, weil er die Weisheit selbst ist. Die Ursache jedes vergänglich verhallenden Wortes ist das unvergängliche Wort – die Vernunft. Christus ist die Fleisch gewordene höchste Vernunft, weil »das Wort Fleisch geworden ist«. Jesus ist demnach das Ziel von allem.

Solche Wahrheiten enthüllen sich dem, der im Glauben zu Christus aufsteigt.

Die göttliche Wirksamkeit dieses Glaubens läßt sich nicht beschreiben; sie eint den Glaubenden mit Jesus und ist somit über alles erhaben, was nicht in der Einheit mit Jesus ist. Der Gläubige hat, wenn sein Glaube groß ist, in der Kraft Jesu, mit dem er vereint ist, Gewalt über die Natur und Bewegung; er gebietet sogar den bösen Geistern, wie das Leben der Heiligen beweist.

Der vollkommene christliche Glaube muß aber ganz lauter, sehr groß und soviel als nur möglich von Liebe belebt sein. Er duldet keine Beimischung, weil er der Glaube an die reinste, allvermögende Wahrheit ist. Oft genug haben wir es bisher ausgesprochen, daß das Kleinste mit dem Größten koinzidiere. Dies gilt auch vom Glauben, der nach Sein und Macht in keinem Erdenpilger der größte sein kann, wenn der Letztere nicht zugleich, wie Jesus, der lebendige Inbegriff des Glaubens ist (qui non sit et comprehensor simul, qualis Jesus fuit.) Der in Wirklichkeit größte Glaube muß zu einem solchen Grade unzweifelhafter Gewißheit erhoben sein, daß er auch nur im kleinsten Maße (minime) Glaube, und vielmehr vollste, zweifelloseste Gewißheit ist. Das ist der machtvolle Glaube, der in der Weise der größte und kleinste zugleich ist, daß er alle Gegenstände des Glaubens in Ihm, der die Wahrheit ist, umfaßt. Wenn auch der Glaube des einen den Glaubensgrad des andern nicht erreicht, weil volle Gleichheit unmöglich ist, so muß doch jeder, soviel es an ihm liegt, in Wirklichkeit den größten Glauben haben (necesse est ut quisque quantum in se est, actu maxime credat). Dann ist der Glaube dessen, der im Vergleiche zu andern nur einen Glauben wie ein Senfkorn erhalten hat, gleichwohl von so unermeßlicher Kraft, daß selbst die Berge ihm Gehorsam leisten, wenn er ihnen in der Kraft des Wortes Gottes, mit dem er, soviel an ihm liegt, auf das Innigste im Glauben vereinigt ist, Befehle erteilt, da dem Worte Gottes nichts widerstehen kann. Wie groß ist also die Macht, die dem vernünftigen Geiste in der Kraft Christi zur Seite steht, wenn er sich an diesen vollständig anschließt, daß er durch ihn belebt wird, und, unbeschadet seiner Selbständigkeit in ihm als in seinem Lebensgrunde ruhet! Da dies nur durch die Hinkehr der Vernunft zu Christus im größten Glauben möglich ist, so muß dieser durch die einigende Liebe belebt sein; der Glaube kann ohne Liebe nicht der größte sein. Denn wenn jeder Lebende das Leben, jeder Denkende das Denken liebt, wie kann Jesus als das unsterbliche Leben und als die unendliche Wahrheit geglaubt werden, wenn er nicht auf das Höchste geliebt wird? Das Leben ist an sich der Liebe wert; ist also unser Glaube, Jesus sei das ewige Leben, sehr groß, so muß er notwendig geliebt werden; denn der Glaube ist kein lebendiger, sondern ein toter, ja kein Glaube, ohne Liebe. Die Liebe ist das belebende Prinzip (forma) des Glaubens, das ihm das wahre Sein verleiht, ja sie ist das Zeichen des felsenfesten Glaubens, denn wenn wir Christo alles hintansetzen, wenn wir Leib und Seele im Vergleich zu ihm für nichts achten, so ist dies der Beweis eines sehr großen Glaubens. Ein großer Glaube ist auch ohne die Hoffnung, einst Jesus selbst zu genießen, nicht möglich. Oder wer könnte einen festen Glauben haben, und dabei nicht auf die Verheißungen Christi hoffen? Wer nicht glaubt, er werde das ewige von Christus den Glaubenden verheißene Leben erhalten, wie kann der an Christus glauben, und ihn für die Wahrheit halten? Wer auf die Verheißungen nicht zweifellos hofft, wie wird der für Christus in den Tod gehen, wenn er nicht auf die Unsterblichkeit hofft? Wer dagegen glaubt, daß Christus die nicht verläßt, die auf ihn hoffen, sondern ihnen die ewige Seligkeit verleiht, der hält es für etwas Geringes, um einer solchen Vergeltung willen alles für Christus zu leiden.

So groß ist die Kraft des Glaubens; sie macht den Menschen Christus ähnlich (christiformem); er verläßt die Welt, entzieht sich der Befleckung des Fleisches, wandelt in Furcht auf den Wegen Gottes, folgt mit Freuden den Fußstapfen Christi, nimmt das Kreuz mit Frohlocken auf sich, im Fleische wandelnd, ist er ganz Geist; die Welt ist ihm der Tod für Christus, der Tod, der ihn zu Christus führt, ist ihm Leben. Wie edel ist doch ein Geist, in dem Christus durch den Glauben wohnt! Welch eine wunderbare Gabe Gottes, daß wir uns auf unserer Pilgerschaft im gebrechlichen Leibe durch die Kraft des Glaubens zur Macht über alles, was Christus nicht ist, erheben können! Wer stufenmäßig, durch Ertötung des Fleisches sich zur Einheit mit Christus erhebt und in einer so tiefgehenden Einigung, als es nur immer in diesem Leben möglich ist, in ihn aufgegangen ist (in ipsum absorbeatur), der erhebt sich über alles Sichtbare, ja über alles in der Welt, und erlangt die komplette Vollkommenheit der menschlichen Natur.

 

Das ist die Vollkommenheit der Natur, die wir durch Christus in Ertötung des Fleisches und der Sünde, umgestaltet zu seinem Bilde erlangen können, nicht aber jene eingebildete Vollkommenheit durch Magie, die den Menschen zu einem gewissen höhern Wesen durch die Tätigkeit der auf uns einwirkenden (höhern) Geister mittelst des Glaubens sich erheben läßt, so daß die Zauberer in der Kraft dieser Geister, mit denen sie sich durch den Glauben vereinigen, verschiedene undenkbare Dinge im Feuer, Wasser, in Kenntnis der Harmonien, in Verwandlungen, im Erraten verborgener Dinge etc. verrichten. Es ist klar, daß das alles nur Trug und Täuschung ist, ohne Leben und Wahrheit. Die Zauberer sind durch Bündnisse und Verträge mit den bösen Geistern dergestalt gebunden, daß sie, was sie im Glauben festhalten, auch tatsächlich durch Huldigungen und Gebete beweisen, die sie statt Gott, dem sie allein gebühren, den bösen Geistern, als hätten diese die Macht, ihre Bitten zu erhören, mit größter Verehrung darbringen. Sie erlangen bisweilen durch den Glauben das erbetene flüchtige zeitliche Gut, durch ihre Vereinigung mit dem bösen Geiste, mit dem sie, getrennt von Christus, auch in dem Straforte werden ewig vereinigt bleiben müssen. Gepriesen sei Gott, der durch seinen Sohn uns der Finsternis einer so großen Unwissenheit entrissen hat, daß wir nun wissen, alles sei Irrtum und Betrug, was immer durch einen andern Mittler als Christus, der die Wahrheit ist, und in einem andern Glauben, als den an Jesus vollbracht wird. Denn es ist nur Ein Herr Jesus, der Macht hat über alles, allen Segen uns zuwendet und alle unsere Unvollkommenheit im Übermaße ergänzt.