Philosophische und theologische Schriften

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Zweites Buch

Nachdem die Wissenschaft des Nichtwissens über die Natur des absolut Größten mittels einiger symbolischen Figuren dargestellt ist, so wollen wir nun mittels dieses Größten, das einigermaßen wie in Umrissen in uns widerscheint, in derselben Methode das untersuchen, welches alles, was es ist, durch das absolut Größte ist. Da aber das Verursachte ganz aus seiner Ursache und nichts aus sich ist, und da es sich an den Ursprung und Grund, durch den es das ist, was es ist, so nahe und so ähnlich als möglich anschließt (originem et causam quanto propinquius et similius potest, concomitetur), so ist klar, daß die Natur des Konkreten (contractionis) schwer zu erkennen ist, wenn das absolute Urbild nicht erkannt ist. Wir müssen also auch hier über unser Begreifen hinaus ein gewisses Nichtwissen als Prinzip festhalten (in quadam ignorantia nos doctos esse convenit), um, da wir die präzise Wahrheit an sich nicht erfassen, wenigstens dahin zu gelangen, daß wir dieselbe als seiend erkennen (ut ipsam esse videamus), da wir sie für jetzt nicht ganz begreifen können.

Dies ist mein Ziel in diesem zweiten Teile, den deine Nachsicht beurteilen und wohlwollend aufnehmen möge.

ERSTES KAPITEL
Einleitende Folgesätze aus dem Bisherigen, um den Begriff des einen unendlichen Universums festzustellen

Es dürfte für unsere Wissenschaft sehr förderlich sein, vorerst einige Folgesätze aus unserm Prinzip vorauszuschicken. Sie werden eine gewisse Gewandtheit geben, unendlich vieles Ähnliche auf gleiche Weise aus dem Prinzip zu entwickeln, und werden über das Folgende größere Klarheit verbreiten.

Als Wurzelbegriff stellten wir auf, daß man da, wo sich Ausschreitungen finden (in excessis et excedentibus), zum Größten, in Sein und Können, nicht gelange. Daher zeigten wir, die präzise Gleichheit komme nur Gott zu, woraus folgt, daß alles außer ihm sich differenziere. Es kann daher nicht eine Bewegung der andern gleich, nicht eine das Maß für die andere sein, da das Maß und das Gemessene notwendig verschieden sind. Dies läßt eine Anwendung auf unendlich vieles zu. Was die Astronomie betrifft, so ersiehst du daraus, daß der astronomische Kalkül der Präzision entbehre, weil er voraussetzt, durch die Bewegung der Sonne könne die Bewegung aller andern Planeten gemessen werden. Auch die ganze Situation des Himmels (coeli dispositio), man mag was immer für eine Stelle annehmen, seien es die östlichen oder westlichen Himmelszeichen oder die Elevation des Pols und was damit zusammenhängt, läßt keine präzise Erkenntnis zu. Und da keine zwei Orte in Zeit und Lage präzis übereinstimmen, so ist klar, daß die Urteile über die Gestirne nach deren partikularem Wesen weit von Präzision entfernt sind. Wendest du diese mathematische Regel auf die Geometrie an, so findest du auch hier, daß in der Wirklichkeit (actu) eine Gleichheit der geometrischen Figuren unmöglich sei, und kein Ding mit dem andern in Figur und Größe präzis übereinstimmen könne. Wenn gleich die Regeln rationell (in sua ratione) richtig sind, eine einer gegebenen Figur gleiche zu beschreiben, so ist doch in Wirklichkeit die Gleichheit unmöglich. Hieraus erkennst du, daß die Wahrheit, losgetrennt vom Materiellen, rationell die Gleichheit sieht, die man in den Dingen unmöglich durchführen kann, weil hier immer ein Mangel bleibt. Auch in der Musik gibt es keine Präzision. Kein Ding stimmt mit dem andern in Gewicht, Länge und Dichtigkeit überein, und zwischen den verschiedenen Tönen von Fisteln, Glocken, Menschen und Instrumenten läßt sich keine präzise harmonische Proportion herstellen, die nicht noch präziser sein könnte. Eine präzise Proportion besteht daher nur rationell; in der Sinnenwelt ist auch die schönste Harmonie nicht ohne Mangel, weil sie dort nicht zu finden ist. Erhebe dich hier zu dem Gedanken, daß die präziseste, größte Harmonie Proportion in der Gleichheit ist, die der im Fleische lebende Mensch zu hören nicht imstande ist, weil sie, da sie ganz rationell ist, das Rationelle unserer Seele vollständig an sich ziehen (absorbieren) würde, wie das unendliche Licht alles Licht (absorbiert), so daß die von der Sinnlichkeit ganz losgelöste Seele ohne eine Entzückung (sine raptu) eine auf das Höchste übereinstimmende Harmonie mit dem Ohre des Verstandes nicht hören würde. Eine schöne und wichtige Betrachtung ließe sich hier anknüpfen, sowohl über die Unsterblichkeit unserer geistigen Natur, die das unzerstörlich Rationelle (rationem incorruptibilem) in sich trägt, vermöge welchem sie dessen Abbild, den Einklang in der Musik aus sich selbst erzeugt, als auch über die ewige Freude, in welche die Seligen, losgelöst von der Welt, erhoben werden. Doch hierüber ein andermal. Wenden wir unser Prinzip auf die Arithmetik an, so sehen wir, daß keine zwei Dinge in der Zahl übereinstimmen, weil hinsichtlich der Wahrheit der Zahl die Zusammensetzung, Proportion, Harmonie, Bewegung etc. sich verändern. Wir sehen hieraus, daß wir nichts wissen (ignorare); denn keiner ist wie der andere in Sinn, Einbildung, Vernunft, in allen Tätigkeiten, im Schreiben, Malen und jeglicher Kunst, wenn er auch tausend Jahre lang den anderen nachahmen wollte. Die Kunst ist eine Nachahmung der Natur, aber zur Präzision bringt sie es nicht. Daher fehlt der Medizin, Alchymie, Magie und anderen verwandelnden Künsten die Präzision der Wahrheit, wenn gleich die Medizin wahrer ist als die verwandelnden Künste. Aus unserem Prinzip folgern wir ferner den Satz: Weil wir in den Gegensätzen immer eine Ausschreitung finden, wie im Einfachen und Zusammengesetzten, Abstrakten und Konkreten, Formalen und Materialen, Zerstörlichen und Unzerstörlichen etc., so gelangt man nie zu dem reinen Gegensatze oder zu der präzisen und ganz gleichen Indifferenz der Gegensätze (ad alterum purum oppositorum non devenitur, aut in quo concurrant praecise aequaliter). Alles ist daher in den Gegensätzen in gradueller Verschiedenheit; nach dem Übergewicht des einen über den anderen nimmt der eine von der Natur des andern mehr oder weniger in sich auf. Daher wir die Kenntnis der Dinge rationell der Art erforscht, daß wir einsehen, wie die Zusammensetzung in dem einen Dinge eine gewisse Einfachheit annimmt, während in einem andern die Einfachheit eine zusammengesetzte ist, Zerstörlichkeit in Unzerstörlichkeit in dem einen, umgekehrt in einem andern Dinge etc., wie wir im Buche von den Mutmaßungen (in libro conjecturarum) zeigen werden, wo hierüber ausführlicher gehandelt werden wird. Dies wenige möge genügen, um die hohe Bedeutung der Wissenschaft des Nichtwissens zu zeigen (pro mirabili potestate doctae ignorantiae ostendenda).

Um meinem Zwecke näherzukommen, sage ich: Da ein Hinaufsteigen zum schlechthin Größten oder Hinabsteigen zum Kleinsten unmöglich ist, weil sonst ein unendliches Auf- oder Absteigen entstünde, so läßt sich bei jedem gegebenen endlichen Dinge immer ein größeres oder kleineres geben. Denn da jeder Teil des Unendlichen unendlich ist, so involviert es einen Widerspruch, daß ein Mehr oder Weniger sich da finden sollte, wo man zum Unendlichen gelangt, da ein Mehr oder Weniger dem Unendlichen nicht zukommen und auch kein Verhältnis zum Unendlichen haben kann, indem notwendig auch dieses unendlich ist. Denn in der unendlichen Zahl wäre zwei nicht weniger als hundert. Es gibt daher nichts, was die göttliche Macht begrenzte; bei jedem Gegebenen kann durch sie ein größeres oder Kleineres gegeben werden, es wäre denn das Gegebene zugleich das absolut Größte, wie im dritten Buche gezeigt werden soll. Es ist demnach nur das absolut Größte negativ unendlich, es ist allein das, was sein kann, in voller Allmacht. (Solum illud est id, quod esse potest, omni potentia.) Das Universum dagegen kann, da es alles umfaßt, was nicht Gott ist, nicht negativ unendlich sein, obwohl es ohne Grenze (sine termino) und so privativ unendlich ist. Nach dieser Betrachtung ist es daher weder endlich noch unendlich; denn es kann nicht größer sein, als es ist, und zwar dies infolge eines Mangels (hoc quidem ex defecta evenit), denn die Möglichkeit oder Materie hat kein Streben über sich hinaus (possibilitas enim sive materia ultra se non extendit.) Zu sagen, das Universum kann actu immer größer werden, ist soviel als zu sagen: Das Sein-Können geht über in das wirkliche (actu) unendliche Sein, was unmöglich ist, da die unendliche Wirklichkeit (actualitas), die die absolute Ewigkeit ist, aus dem Sein-Können nicht entstehen kann, sie, die in Wirklichkeit die ganze Möglichkeit des Seins ist. (Nam non est aliud dicere, universum posse semper actu esse maius, quam divere, posse esse transire in actu infinitum esse, quod est impossibilie, cum infinita actualitas, quae est absoluta aeternitas, ex posse oriri nequeat, quae est actu omnis essendi possibilitas.) Wiewohl daher das Universum in Rücksicht auf die unendliche Allmacht Gottes, die unbegrenzbar ist, größer sein könnte, so kann es doch nicht größer sein, da die Möglichkeit des Seins oder die Materie, welche nicht actu ins Unendliche ausdehnbar ist, widerstrebt. Es ist daher unbegrenzt (interminatum), da es ein wirklich Größeres nicht gibt, nach dem es begrenzt würde. In diesem Sinne ist es privativ unendlich. In Wirklichkeit (actu) ist es aber nur in konkret beschränkter Weise (contracte), so daß es in so guter Weise existiert, als es seine Natur zuläßt. Denn es ist Geschöpf, das notwendig aus dem absolut göttlichen Sein stammt (est enim creatura, quae necessario est ab esse divino simpliciter absoluto), wie ich nun im Folgenden aus der Wissenschaft des Nichtwissens so klar und einfach als möglich zeigen werde.

ZWEITES KAPITEL
Das Sein der Kreatur stammt auf eine uns unbegreifliche Weise aus dem Sein des ersten Größten
(Quod esse creaturae sit inintelligibiliter ab esse primi)39

Unser System hat uns gezeigt, daß nichts aus sich ist, als das schlechthin Größte, in dem aus sich, in sich, durch sich Sein identisch ist, nämlich das absolute Sein selbst, so wie daß alles, was ist, das was es ist und soweit es ist, aus jenem sei; denn wie könnte, was nicht aus sich ist, anders sein als aus dem ewigen Sein? Da nun aber das Größte fern von jeder Mißgunst (invidia) ist, so ist es ihm unmöglich, ein vermindertes Sein (als solches) mitzuteilen. Es hat somit die Kreatur, die aus dem Sein ist, alles das, was sie ist: Zerstörbarkeit, Teilbarkeit, Unvollkommenheit, Verschiedenheit, Vielheit etc., nicht von dem ewigen, unteilbaren, vollkommensten, ununterschiedenen einen Größten, überhaupt nicht von einer positiven Ursache; denn wie die unendliche Linie das unendlich Gerade ist und die Ursache alles Seins der Linien, die krumme Linie aber als Linie ihr Sein von der unendlichen hat, als krumme Linie aber nicht von dieser, da die Krümmung eine Folge der Endlichkeit ist, indem sie deshalb krumm ist, weil sie nicht die größte Linie ist, (wäre sie die größte, so wäre sie, wie oben gezeigt wurde, nicht krumm), so geht es auch mit den Dingen. Sofern sie vermindert, getrennt etc. sind, können sie nicht aus dem Größten sein40, weil diese Zustände keine positive Ursache haben. Von Gott also hat es das Geschöpfliche, einig, unterschieden und mit dem Universum verbunden zu sein, und zwar je mehr geeint, desto ähnlicher ist es Gott. Daß aber seine Einheit in Vielheit, sein Unterschiedenes in Verwirrung (discretio in confusione), seine Verbindung in Disharmonie sich befindet, das hat es nicht von Gott, noch von irgendeiner positiven Ursache, sondern zufällig (contingenter). Wer will nun, indem er in dem Geschöpflichen die Begriffe der absoluten Notwendigkeit, aus der es ist, und der Zufälligkeit, ohne die es nicht ist, zugleich denkt, ihr Sein begreifen? Scheint es nicht, als ob das Geschöpfliche, das weder Gott noch auch Nichts ist, gleichsam nach Gott und vor dem Nichts ist, zwischen Gott und dem Nichts, wie ein Philosoph sagt: Gott ist der Gegensatz des Nichts durch Vermittlung des Seins (Deus est oppositio nihil mediatione entis); und doch kann das Geschöpfliche nicht aus dem Sein und Nichtsein zusammengesetzt sein. Es scheint also weder zu sein, weil es aus dem Sein herabsteigt, noch auch nicht zu sein, weil es vor dem Nichts ist, und nicht aus jenen beiden zusammengesetzt. Unser Verstand, der über Gegensätze nicht hinauskommt, er mag diese getrennt oder verbunden auffassen (divisive aut compositive), erfaßt das Sein des Geschöpflichen nicht, obwohl er weiß, daß dessen Sein nur aus dem Sein des Größten stamme. Das Sein des Geschöpflichen ist demnach nicht zu begreifen, da das Sein, aus dem es ist, nicht zu begreifen ist, sowie auch das Dasein des Akzidens nicht zu begreifen ist, wenn die Substanz, an der es ist, nicht begriffen wird. Weil aber das Geschöpfliche durch das Sein des Größten erschaffen ist und in dem Größten Sein, Machen und Erschaffen identisch sind, so scheint das Erschaffen nichts anderes zu sein, als daß Gott alles ist. (Quoniam vero creatura per esse maximi creata est, in maximo vero idem est esse, facere et creare, tunc non aliud videtur esse creare, quam Deum omnia esse.) Ist aber Gott alles und heißt dieses Erschaffen, wie läßt sich denken, daß das Geschöpfliche nicht ewig ist, da das Sein Gottes ewig, ja die Ewigkeit selbst ist? Es mußte im Sein selbst in der Ewigkeit sein, und konnte auch nicht vor der Zeit sein, weil es vor der Zeit kein Vorher gab; und so war es denn immer, seit es sein konnte (et ita semper facit, quando esse potuit). Sodann wer kann es begreifen, daß Gott das bildende Prinzip des Seins (essendi formam) ist, und doch sich nicht mit dem geschöpflichen Sein vermischt (nec tamen immisceri creaturae)? Denn es kann nicht aus der unendlichen Linie und der endlichen krummen ein Zusammengesetztes entstehen, das ohne Verhältnisbestimmung (absque proportione) nicht denkbar ist. Daß aber zwischen Unendlichem und Endlichem kein Verhältnis besteht, bestreitet niemand. Wie kann also der Verstand es begreifen, daß das Sein der krummen Linie aus der unendlich geraden stamme, wenn doch diese jene nicht bildet als ihr bildendes Prinzip, sondern als ihre Ursache und Grund (quae tamen ipsam non informat ut forma, sed ut causa et ratio)? An diesem ihrem Grunde kann sie nicht so partizipieren, daß sie einen Teil davon ausmacht (non potest participare partem capiendo), da derselbe unendlich und unteilbar ist, also nicht wie die Materie an der Form partizipiert, oder Sokrates und Plato an der Menschheit oder die Teile am Ganzen, die Teile des Universums am Universum oder mehrere Spiegel an derselben Gestalt, die sie abspiegeln, da das Sein der Kreatur nicht vor dem Dasein derselben41 ist; denn sie ist wie ein Spiegel; nun ist aber der Spiegel da, ehe er das Bild eines Gegenstandes in sich aufnimmt. Wer will es also begreifen, wie ein unendliches Bildungsprinzip (forma) von verschiedenen Geschöpfen verschieden partizipiert wird, da doch das Sein des Geschöpflichen nur der Widerschein ist, der nicht in einem andern positiv aufgefaßt wird, sondern zufälligerweise ein verschiedener ist (cum creaturae esse non possit aliud esse, quam ipsa resplendentia, non in aliquo alio positive recepta, sed contingenter diversa)? Gleichwie ein vollendetes Kunstwerk, das ganz von der Idee des Künstlers abhängig ist, kein anderes Sein hat, als das der Abhängigkeit von dem, aus dem es das Sein hat, und durch dessen Einfluß es erhalten wird, oder wie eine Gestalt, die in einem Spiegel sich abspiegelt, der vorher und nachher an sich und in sich nichts ist. Ebensowenig läßt es sich begreifen, wie Gott durch sichtbare Geschöpfe uns offenbar werden kann, denn es ist da nicht wie bei unserem Geiste. Wenn dieser zu denken anfängt, so nimmt er, der zuerst formlos (informis) ist, aus gewissen Anschauungen ein Bild einer Farbe, eines Tones u. dgl. in das Gedächtnis auf, nachher nimmt er wieder ein anderes Bild von andern Zeichen, Stimmen oder Buchstaben in sich auf und versenkt sich in sie (se aliis insinuat). Anders ist es bei Gott; denn obwohl Gott zur Offenbarung seiner Güte (vom religiösen Standpunkte betrachtet – ut pii volunt) oder weil er die größte absolute Notwendigkeit ist, die Welt erschaffen hat, auf daß sie ihm gehorche oder damit Wesen da sind, die seine Befehle annehmen und ihn fürchten, die er einst richte u. dgl., so ist doch klar, daß er keine andere Form annehmen kann, da er die Form aller Formen ist, noch auch in positiven Zeichen erscheinen kann, da diese Zeichen als solche notwendig wieder andere Zeichen zu ihrer Vermittlung und so ins Unendliche fort erforderten. Wer wollte es begreifen, daß alles ein Abbild des einen unendlichen Bildungsprinzips sei, und die Verschiedenheit nur zufällig (ex contingenti) habe, gleichsam als wäre das geschöpfliche Sein Gott aus Zufall, wie man das Akzidens Substanz aus Zufall, das Weib Mann aus Zufall nennen könnte (quasi creatura sit Deus occasionatus, sicut accidens substantia occasionata, et mulier vir occasionatus), weil das unendliche Prinzip nur endlich rezipiert ist, so daß das ganze geschöpfliche Sein gleichsam eine endliche Unendlichkeit oder ein geschaffener Gott ist, auf daß es so auf die bestmögliche Weise existiere (ut omnis creatura sit quasi infinitas finita aut Deus creatus, ut sit eo modo, quo hoc melius esse possit); als wenn der Schöpfer gesagt hätte: Es werde! Und weil Gott, der die Ewigkeit selbst ist, nicht werden konnte, so ist geworden, was Gott am ähnlichsten werden konnte. Eine Folgerung aus dem Bisherigen ist, daß jedes Geschöpf als solches vollkommen ist, wenn es auch im Verhältnisse zu einem andern weniger vollkommen zu sein scheint; denn der gütige Gott teilt das Sein allen in der Weise mit, in der es aufgefaßt werden kann. Da Gott ohne Verschiedenheit und Mißgunst das Sein mitteilt, und es in der Art aufgenommen wird, daß es anders nicht aufgenommen werden könnte, so ruht jedes erschaffene Sein in der Vollkommenheit, die es auf das Reichlichste (liberaliter) von dem göttlichen Sein erhalten hat, und begehrt kein anderes Geschöpf zu sein, als wäre es dann vollkommener, sondern hat eine Vorliebe (praediligens) zu dem Sein, das es von dem Größten hat, als zu einem göttlichen Geschenk, das es unzerstörlich zu erhalten und zu vervollkommnen sucht.

 

DRITTES KAPITEL
Das Größte ist auf eine uns unbegreifliche Weise42 der Inbegriff und die Entfaltung des Alls

Nichts läßt sich über die unerforschliche Wahrheit, von der im ersten Buche die Rede war, aussagen oder denken, was nicht in der ersten Wahrheit enthalten ist. Denn was mit dem, was dort von der ersten Wahrheit gesagt wurde, übereinstimmt, ist wahr, was nicht übereinstimmt, falsch. Nun aber ist dort gezeigt, es gebe nur ein Größtes von allen Größen. Das Größte ist, das keinen Gegensatz hat, wo auch das Kleinste das Größte ist. Die unendliche Einheit ist also der Inbegriff (complicatio) von allem. Das nennt man Einheit, was alles einet, nicht nur wie die Einheit der Zahl, sondern des Alls. Wie man in der Zahl als der Entfaltung der Einheit nichts als die Einheit findet, so findet sich in allem, was ist, nur das Größte wieder. In der Quantität ist die Einheit der Punkt; daher finden wir in der Linie, Oberfläche und dem Körper nichts als den Punkt. Und es ist nicht mehr als ein Punkt, der der Inbegriff alles Quantums ist. So ist die Ruhe der einheitliche Inbegriff der Bewegung, die, genau betrachtet, nichts anderes ist, als die Reihenfolge der Ruhe (motus est quies seriatim ordinata). Die Bewegung ist mithin die Entfaltung der Ruhe. Das Jetzt oder die Gegenwart ist der Inbegriff der Zeit. Die Vergangenheit war Gegenwart, die Zukunft wird Gegenwart sein. Die Zeit ist daher die aneinander gereihte Gegenwart. Es gibt also nur eine Gegenwart, als der Inbegriff aller Zeiten, und diese Gegenwart ist die Einheit selbst. So ist die Identität der Inbegriff der Verschiedenheit, die Gleichheit der der Ungleichheit. Gott ist demnach der Inbegriff von allem, in dem Sinne, daß alles in ihm ist; er ist die Entfaltung von allem, sofern er in allem ist (Deus ergo est omnia complicans, in hoc, quod omnia in eo, est omnia explicans, in hoc, quia ipse in omnibus). Und wie aus unserm Geiste dadurch, daß wir vieles einzelne als einem Gemeinsamen zugehörig erkennen, die Zahl entsteht, so entsteht die Vielheit der Dinge aus dem göttlichen Geiste, in dem das Viele ohne Vielheit ist, weil in der zusammenfassenden Einheit; deshalb nämlich, weil die Dinge an der Gleichheit des Seins nicht auf gleiche Weise partizipieren können, hat Gott in der Ewigkeit das eine so, das andere anders gedacht, woraus die Vielheit, die in ihm Einheit, entstanden ist. Die Art und Weise dieses Insichfassens und Entfaltens geht über unsern Verstand. Wer sollte es begreifen, daß aus dem göttlichen Geiste die Vielheit der Dinge entsteht, da das Denken Gottes sein Sein und dieses die unendliche Einheit ist? Ziehst du die Vergleichung mit der Zahl, dem Vielfachen der Einheit herbei, so scheint Gott gleichsam in den Dingen vervielfältigt, da sein Denken sein Sein ist, und doch siehst du die Unmöglichkeit davon ein, daß sich die unendliche und höchste Einheit vervielfältige. Wie läßt sich also die Vielheit begreifen, deren Sein aus dem Einen ohne Vervielfältigung stammt? oder wie die Vervielfältigung der Einheit, ohne Vervielfältigung? Offenbar nicht wie die Vielheit der Individuen in einer Art oder mehrerer Arten in einer Gattung, außerhalb welcher die Gattung und Art nur eine leere Abstraktion ist! Wie also Gott, dessen Sein und Einheit weder eine Abstraktion des Verstandes, noch eine Vermengung mit den Dingen ist, durch die Zahl der Dinge sich entfalte, das begreift niemand. Betrachtest du die Dinge ohne ihn, so sind sie nichts, wie die Zahl ohne die Einheit. Betrachtest du ihn ohne die Dinge, so ist er, und die Dinge sind nichts. Betrachtest du ihn, sofern er in den Dingen ist, so stellst du dir vor, die Dinge seien etwas, in denen er ist; allein das ist ein Irrtum, wie das vorige Kapitel gezeigt hat, weil das Sein eines Dinges nicht etwas ist, wie ein abgesondertes Sein, sondern sein Sein ist von dem Sein des Größten. Betrachtest du endlich das Ding, sofern es in Gott ist, so erhältst du Gott und die Einheit. Es bleibt nichts anderes übrig, als zu sagen: die Vielheit der Dinge entsteht dadurch, daß Gott im Nichts ist (quod pluralitas rerum exoriatur eo quod Deus est in nihilo). Denn nimm Gott von dem Geschöpfe hinweg, so bleibt Nichts; nimm die Substanz von dem Zusammengesetzten hinweg, und es bleibt kein Akzidens übrig; so bleibt denn das Nichts übrig. Wie mag unser Verstand dies begreifen? Denn hört auch nach Aufhebung der Substanz das Akzidens auf, so ist deshalb das Akzidens nicht Nichts; es hört aber auf (perit), weil sein Sein nur ein Dabeisein (adesse) ist. Wenn gleich z. B. die Quantität nur durch das Sein der Substanz ist, so ist doch die Substanz nur, weil die Quantität dabei ist (adest), ein Quantum. Nicht so ist es hier; denn das Geschöpfliche ist nicht so bei Gott (Deo adest), denn es bringt Gott nichts bei (nihil confert Deo), wie das Akzidens der Substanz. Ja das Akzidens bringt der Substanz soviel bei, daß diese, obwohl jenes von ihr das Sein hat, doch ohne alles Akzidens nicht sein kann. Das kann bei Gott nicht so sein. Wie können wir also das Geschöpfliche als solches begreifen, das von Gott ist, aber nichts ihm, der der Größte ist, beibringen (tribuere) kann? Und wenn es als Geschöpfliches auch nicht einmal soviel Sein als ein Akzidens hat, sondern ganz und gar Nichts ist, wie läßt es sich denken, daß die Vielheit der Dinge dadurch sich entfalte, daß Gott im Nichts ist, da das Nichts kein Sein ist? Sagst du: sein allmächtiger Wille ist die Ursache, Wille und Allmacht sind sein Sein (denn die ganze Gotteslehre bewegt sich im Kreise), so gestehst du eben damit, daß du die Art des Insichfassens und Entfaltens nicht kennst, obwohl du das weißt, daß alles in ihm er selbst, und er in allem das, was sie sind, ist, wie das Urbild in dem Abbilde; wie wenn ein Antlitz sein eigenes Abbild hätte, das von ihm bald nahe, bald fern vervielfältigt wird, die Entfernung nicht räumlich gefaßt, sondern graduell, nach der Ähnlichkeit mit dem Originale, so würde das eine Antlitz in verschiedenen Abbildern verschieden vervielfältigt erscheinen, in einer dem Sinn und Verstande unbegreiflichen Weise.