Vertrauen gegen Zweifel

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Kapitel 3

Ich lege den Telefonhörer zurück auf die Station und begegne Roberts fragendem Blick. In dem kleinen Büroraum hat er meine Seite des Telefonats natürlich mitbekommen, aber offenbar hofft er auf ein Wunder.

Ich seufze. »Keine Chance. Furbach will nicht mehr mit uns zusammenarbeiten.«

Robert runzelt die Stirn. Sein Gesichtsausdruck verdüstert sich. »Das ergibt keinen Sinn. Letzte Woche habt ihr noch über vertragliche Details gesprochen und das Kontingent für die Wintersaison festgelegt.«

»Ich weiß. Ich kann mir seinen Rückzieher auch nicht erklären. Du hast gehört, was ich ihm angeboten habe. Wäre ich ihm noch weiter entgegengekommen, hätten wir ihn praktisch dafür bezahlt, auf unserer Plattform aufgenommen zu werden.«

Gebracht hat es trotzdem nichts. Furbachs hochpreisiges Bio-Hotel an der Nordsee wäre ein ziemlich großer Fisch für travele gewesen, der Einstieg in ein neues, exklusiveres Kundensegment. Gerade im nachhaltigen Tourismus nicht oft zu finden. Selbstversorgerhütten und Bauernhöfe – kein Problem. Aber luxuriöse Wellnesshotels – Fehlanzeige.

Wenn Furbach wenigstens einen logischen Grund angeführt hätte, warum er es sich plötzlich anders überlegt hat. Aber nichts. Absolut gar nichts. Nur ein schroffes Nein und mauerndes Schweigen. Mit so was kann ich nichts anfangen, ich bin für klare Verhältnisse.

Okay, meistens. Aber Robert ist ein Sonderfall.

»Hat er nichts darüber gesagt, warum er auf einmal abspringt?«

»Nicht direkt. Nur dass er sich lieber weiterhin allein um seine Gäste bemüht, als mit uns Geschäfte zu machen.«

Roberts Augen werden schmal. »Warum?«

Ich zucke die Schultern. »Er war nicht sehr zugänglich.«

»Sondern?«

»Wütend. Entschlossen. Abweisend. Ich musste mich zehn Minuten mit seinem Assistenten streiten, bis er mich überhaupt durchgestellt hat.«

Der Anflug eines Lächelns auf Roberts schmalem Gesicht. Gegen meinen Willen flattert mein Herz.

Klar. Das hat er ebenfalls mitgehört.

»Wenn ich's nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass ich ihm mit irgendwas auf die Füße getreten bin.«

»Hm.« Nachdenklich blickt Robert auf seinen Monitor, auf dem er vermutlich die knappe E-Mail aufgerufen hat, die Furbach mir heute Mittag geschickt hat, um unsere mögliche Zusammenarbeit mit sofortiger Wirkung abzubrechen.

Allein die Tatsache, dass ich den ganzen Nachmittag gebraucht habe, um ihn ans Telefon zu bekommen, sagt alles. Ich bin seine Mail wieder und wieder durchgegangen, aber aus dem neutralen Dreizeiler lassen sich genauso wenig Informationen ziehen wie aus dem Telefonat gerade.

Robert stützt die Ellbogen auf den Schreibtisch, verschränkt die Finger ineinander und sieht mich darüber hinweg an. Der Blick aus seinen klaren, blauen Augen ist so eindringlich, dass ich unwillkürlich den Atem anhalte.

»Das ist innerhalb eines Monats schon der zweite deiner potenziellen Kunden, der es sich kurzfristig anders überlegt.«

Das klingt nicht unbedingt wie ein Vorwurf, aber ich fühle mich trotzdem dazu gezwungen, mich zu verteidigen. »Ich weiß. Und das macht mich ziemlich fuchsig, aber ich kann es mir wirklich nicht erklären.«

In größeren Firmen baut oft der Neuzugang Mist. Ich bin zwar schon seit knapp neun Monaten bei travele, aber bei einem Zwei-Mann-Unternehmen ist es nur logisch, dass sich Robert über mich ärgert, wenn sich solche Vorfälle häufen. Besonders, da ihm travele alles bedeutet.

»Ich mir auch nicht.« Er entlässt mich mit einem Kopfschütteln aus seinem Blick. »Vielleicht ist es Zufall. Vielleicht nicht. Für alle Fälle sollten wir Augen und Ohren offen halten, falls uns irgendwo Gerüchte über uns unterkommen.«

»Gerüchte?«

Aber Robert macht nur eine vage Geste, die alles oder nichts bedeuten kann.

Gerüchte.

Automatisch starte ich eine Google-Suche.

Unsere Bewertungen sind nach wie vor hervorragend. Ich grabe tiefer und durchstöbere einschlägige Foren und Blogs.

Zufriedene Kunden und Geschäftspartner. Natürlich gibt es den ein oder anderen Ausreißer nach unten, wenn sich jemand über das Wetter, die Baustelle die Straße runter oder die Qualität des Essens beschwert. Alles normal. Die Nachhaltigkeitskonzepte werden durchweg positiv hervorgehoben. Sehr gut.

Nachhaltige Reisen und sanfter Tourismus liegen nach wie vor im Trend. Auch ohne Furbachs Bio-Hotel kommen regelmäßig Buchungen rein. Die Szene sowie der Kundenkreis sind noch klein, wachsen aber stetig. Auch unser Bekanntheitsgrad steigt, was zum Großteil Roberts Geschäftssinn und seinen klugen Marketingideen zu verdanken ist.

Automatisch sucht mein Blick nach ihm. Unsere Schreibtische stehen zwar direkt voreinander, aber leicht versetzt, sodass ich mich nicht am Monitor vorbeilehnen muss, um ihn anzusehen. Mein Glück und Pech zugleich. Vielleicht würde ich ihn nicht so oft heimlich anstarren, wenn zwei Bildschirme zwischen uns stünden.

Ich betrachte sein Gesicht und verweile viel zu lange bei seinem strengen Mund. In Gedanken höre ich noch sein ungezwungenes Lachen von heute Morgen, als Viktor ihn hergefahren hat. Ein wohliges Prickeln in meinem Nacken. Wenn ich nur wüsste, wie ich ihm dieses Lachen öfter entlocken könnte.

Mein Blick wandert tiefer, über seinen Hals abwärts. Inzwischen hat er sein Jackett ausgezogen und über die Rückenlehne seines Stuhls gehängt. Der oberste Knopf des weißen Hemds ist geöffnet.

Zu wenig.

Schön gebräunte Haut, die unter dem Stoff verschwindet. Vor meinem geistigen Auge stelle ich mir vor, wie dieser sehnige Körper ohne Klamotten aussieht – und höre sofort damit auf, als mein Schwanz zu zucken beginnt.

Verflucht.

Robert blickt auf. Mir direkt in die Augen.

Hitze brodelt unter meiner Haut.

Scheiße. Hab ich das laut gesagt? Ein Geräusch gemacht? Gestöhnt?

Bevor sich mein Gehirn einschalten kann, sehe ich weg.

Oh, großartig.

Ich sehe ihn wieder an. Begegne seinem Blick. Ich schlucke. Suche fieberhaft nach irgendetwas, das ich sagen könnte.

»Entschuldigung, hast du was gesagt?« Erstaunlich, wie souverän mir dieser lahme Satz über die Lippen kommt.

»Nein.«

»Oh. Okay.«

Wenn Kev mich jetzt sehen könnte, würde er sich vor Lachen am Boden kringeln. Klare Verhältnisse, na sicher. Nur dass es bei Robert was anderes ist, und das nicht nur, weil er mein Chef ist und ich diese kleine Firma inzwischen sehr ins Herz geschlossen habe. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft wir solche Situationen schon hatten. Jedes Mal liegt so ein Kribbeln in der Luft. Ein bestimmter Ausdruck in seinen Augen.

Und trotzdem frage ich mich, ob es nicht doch nur Wunschdenken ist. Ob Robert zwar mitbekommt, was er für eine Wirkung auf mich hat, es jedoch absichtlich ignoriert.

»Du kannst ruhig schon Feierabend machen, wenn du willst. Kickern oder dich auf die Dachterrasse setzen und die Sonne genießen, bis dein Meeting anfängt.«

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Kurz nach halb sieben.

Es ist leicht, die Zeit zu vergessen, wenn ich in stiller Eintracht mit Robert arbeite. Vor einer Weile habe ich Anton noch vorgeworfen, bei seiner Arbeit alles und jeden zu vergessen, aber im Gegensatz zu seiner einsamen Versunkenheit reißen mich Roberts Disziplin und Arbeitseifer einfach mit.

Ich seufze. »Vielleicht hast du recht.«

Gut möglich, dass es sich Kev auch schon mit einem Drink oben gemütlich gemacht hat, dann könnten wir zusammen auf Anton warten. Aber für den Fall, dass ich doch allein bin...

»Du willst dich wirklich nicht anschließen?« Ich versuche, nicht allzu hoffnungsvoll zu klingen, aber als Robert abermals ablehnt, hat sich das eh erledigt.

Ich fahre den Laptop runter und räume mit ein paar Handgriffen meinen Schreibtisch auf, während Robert nachdenklich auf den Monitor starrt. Sein Zeigefinger tippt in einer untypisch nervösen Geste auf die Tischplatte. Normalerweise zeigt er im Büro keine so offensichtliche Gefühlsregung.

»Du solltest auch nicht mehr zu lange machen.«

Er blinzelt und sieht mich an. »Das Privileg des Chefs.«

»Nicht eher der Fluch?«

Ein kleines Lächeln, bei dem mir die Knie weich werden. Oh Mann. Robert, was machst du nur mit mir? Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so verknallt gewesen bin. Ich dachte, das hätte ich bei allem, was ich inzwischen ausprobiert habe, hinter mir gelassen.

Er zögert einen Moment, in dem er wieder auf die Tischplatte tippt, dann deutet er auf seinen Bildschirm. »Ich habe einen Termin mit der Seilberger Alm ausmachen können.«

Der Satz ist etwas aus dem Zusammenhang gerissen, lässt mich aber trotzdem aufhorchen. An diesem potenziellen Partner ist Robert schon eine Weile dran. »Die Chalets im Bayerischen Wald?«

Er nickt. »Nächstes Wochenende. Donnerstag bis Sonntag.«

»Ganz schön kurzfristig. Aber ich bin gespannt, ob sie halten, was die Website verspricht. Die Hütten sehen ziemlich luxuriös aus. Ich bin neugierig auf deren Nachhaltigkeitskonzept.«

»Ich auch.« Er zögert, aber falls er dem noch etwas hinzufügen wollte, tut er es nicht.

»Für die neue Zielgruppe, die wir im Auge haben, wäre das perfekt. Weniger Familienurlaub auf dem Bauernhof und mehr Romantik für Pärchen.«

»Wir haben durchaus romantische Unterkünfte im Portfolio.«

»Aber nichts auf diesem Niveau.«

Furbachs Bio-Hotel wäre vergleichbar gewesen, wenn es geklappt hätte, ebenso die Ferienhäuser im Schwarzwald, die mir davor abgesprungen sind. Robert bemüht sich schon eine ganze Weile um einen Vor-Ort-Termin bei der Seilberger Alm. Dabei geht es nur zweitrangig darum, deren Nachhaltigkeitskonzept zu prüfen. In erster Linie sucht Robert den persönlichen Kontakt, um Vertrauen aufzubauen und zu verhindern, dass uns wieder mit einem knappen Nein, danke die Tür vor der Nase zugeschlagen wird. Oder mir, besser gesagt.

 

»Abwarten. Wie du schon gesagt hast: Die Hütten sehen sehr luxuriös aus.«

»Sie wären nicht zertifiziert, wenn da irgendwas nicht mit rechten Dingen zugehen würde. Aber ich bin trotzdem gespannt, was du anschließend zu erzählen hast.«

Er sieht mich an, ohne etwas darauf zu erwidern. So lange, dass erneut dieses Kribbeln meine Wirbelsäule hochschießt. In seinem Blick lauert etwas, auf das etwas tief in mir drin anspringt und schnurrt wie ein Kätzchen.

»Ja«, sagt er schließlich nur, dann wendet er sich wieder seinem Monitor zu.

Das ist dann wohl das Ende dieser Unterhaltung. Genau wie heute Morgen: bis hierher und nicht weiter. Also ist alles andere doch nur Wunschdenken.

Ich wünsche ihm einen schönen Feierabend, drehe mich um und bin schon fast an der Tür, als er sich hinter mir räuspert.

»Joscha?«

»Ja?« Ich drehe mich noch mal um.

Wieder dieses irritierende Zögern. Dann: »Hättest du Interesse mitzukommen?«

Mein Herz springt in meinen Hals hoch und hämmert dort sekundenlang so wild, dass es mir das Atmen erschwert. Und das Denken.

»Zur Seilberger Alm?«

»Ja.«

Mit Robert allein für ein verlängertes Wochenende in ein luxuriöses Chalet mitten in der Pampa?

Ich kann mir zum Glück verkneifen, das laut auszusprechen, auch wenn augenblicklich mein Kopfkino losläuft. Lust ballt sich so heftig in meinem Unterleib zusammen, dass mir kurz schwindelig wird.

Ich habe die Fotos auf der Webseite gesehen – moderne Holzhütten mit Kaminofen, eigener Sauna und Badezuber auf der Terrasse, dazu ein fantastischer Ausblick über den Bayerischen Wald. Vor meinem inneren Auge spielt sich ein regelrechter Porno ab. Die Antwort meines Schwanzes auf diese Frage ist klar.

Aber mein Verstand schüttelt streng den Kopf. Das ist nicht nur keine gute, sondern sogar eine verdammt dumme Idee. Manchmal fällt es mir schon in diesem Büroraum schwer, Roberts Nähe zu ertragen – aber in einer romantischen Hütte, die auf verliebte Pärchen ausgelegt ist?

Ich kenne mich. Das ist zu viel Versuchung.

Offenbar schweige ich zu lange, denn Robert fährt fort: »Wenn du schon andere Pläne hast, verstehe ich das. Ich hätte zwar gerne eine zweite Meinung und vor allem dein kritisches Auge vor Ort, aber es ist tatsächlich sehr kurzfristig.«

Da ist sie. Meine unauffällige Absprungmöglichkeit. Er schubst mich praktisch drauf zu. Ich muss nur zugreifen. Nur zugreifen.

Alles andere wäre bescheuert.

Kapitel 4

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass du das gemacht hast.« Anton sieht aus großen, blaugrauen Augen zu mir auf.

Ich sitze auf der gemauerten Brüstung der Dachterrasse und lasse die Beine baumeln. Hinter mir rauscht der Münchner Feierabendverkehr vorbei und die Abendsonne brennt mir auf den Rücken. Es ist immer noch so heiß, dass ich die Ärmel meines Hemds hochgekrempelt habe und der Sekt in meiner Piccoloflasche viel zu schnell warm wird.

»Das ist echt... ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«

Ich lächle. »Wie wär's mit Danke?«

Antons Augen werden noch ein Stück größer. Ich kann verstehen, dass Chris bei dem Anblick weiche Knie bekommt und warum sich Kev gelegentlich zu anzüglichen Kommentaren hinreißen lässt. Anton ist ziemlich niedlich. Auch wenn er in mir eher das Bedürfnis weckt, ihn zu knuddeln.

»Oh, na klar. Danke. Habe ich das noch nicht gesagt? Danke. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet.«

»Freu dich nicht zu früh, das war kein reiner Freundschaftsdienst. Bei Computerproblemen werde ich dir ziemlich auf die Nerven gehen.«

»Das kannst du auch. Dafür ist der Vertrag ja da. Aber auch außerhalb davon. Also privat. Egal. Wenn du was brauchst, sag Bescheid. Jederzeit.«

»Mach ich.«

»Okay. Weil mir das echt viel bedeutet. Ich hätte nicht gedacht, dass... ähm, na ja, dass euch... so viel... an mir liegt.«

»Natürlich liegt uns was an dir.«

»Ja, aber so viel, dass du die Firma meines Vaters engagierst, für Geld... nur damit wir uns weiterhin hier oben treffen können... ich... danke.«

Kev schnaubt und lehnt sich lässig neben mir gegen die Mauer wie an einen Bartresen, in einer Hand seinen Gin Tonic, bereit für ein Pläuschchen. »Jetzt hast du's langsam oft genug gesagt. Außerdem waren unsere Sundowner doch immer lustig. Vielleicht bringst du Chris irgendwann mal mit.«

»Ähm...« Unbehaglich lässt Anton den Blick schweifen.

Auch wenn wir Chris nur ein paarmal getroffen und uns jedes Mal nur kurz mit ihm unterhalten haben, ist es ein offenes Geheimnis, dass er nicht Kevs größter Fan ist.

»Robert wollte sich sowieso nach einem eigenen IT-Dienstleister umsehen«, sage ich, um Antons Nerven zu beruhigen.

»Also weiß Robert Bescheid, ja? Das ist nicht irgendwie... gemauschelt?«

Ich runzle die Stirn. »Nein. Natürlich weiß Robert Bescheid.«

Undenkbar, dass bei travele irgendetwas vorgeht, über das er nicht Bescheid weiß. Obwohl er mir offensichtlich zunehmend mehr vertraut und Verantwortung überträgt. Das fühlt sich wie eine Auszeichnung an.

»Wir hätten es auch ohne Robert machen können, indem ich deinen Alten engagiert hätte. Weniger Bürokratie und mir tun ein paar Hundert im Monat nicht weh.« Kev wirft mir einen bezeichnenden Blick zu. »Aber ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie ihr beide hier geschrien habt.«

»Wie ich schon sagte: Er wollte eh eine externe Firma beauftragen.«

»Sicher. Oder ihm sind endlich die Herzchen in deinen Augen aufgefallen und er wollte dir einen Gefallen tun.«

»Da sind keine Herzchen.«

»Doch.« Das kommt so überraschend von Anton, dass Kev und ich ihn perplex ansehen. Normalerweise steht Anton emotional ziemlich auf dem Schlauch.

»Na ja, ich meine natürlich keine echten Herzchen, sondern... ihr wisst, was ich meine. Manchmal guckst du ihn so an. Und manchmal guckt er dich so an.«

Mein Herzschlag setzt aus.

Manchmal guckt er mich so an? Das ist keine Einbildung? Wenn es sogar Anton auffällt...

Kev lacht in seinen Gin Tonic. »Look who's talking. Unser kleiner Liebesexperte. Chris muss ein toller Lehrmeister sein.«

Noch während Anton eine Antwort stammelt, platze ich heraus: »Robert und ich fahren auf Geschäftsreise. Nächstes Wochenende.«

Ich weiß, dass ich hätte ablehnen sollen. Dass ich auf Roberts Exit-Strategie hätte eingehen sollen. Eigentlich gibt es nichts, was dafür spricht, mit ihm in diese Luxushütte zu fahren.

Abgesehen von meiner Geilheit.

»Was?« Kevs Augenbrauen schießen nach oben. Zusammen mit den feinen Sommersprossen auf seiner Nase sieht er unbedarfter aus, als ihm wahrscheinlich lieb ist. »Sekunde. Geschäftsreise. Und Wochenende. In einem Satz?«

»Ein verlängertes Wochenende. Vier Tage. Donnerstag bis Sonntag.«

»Und das sagst du erst jetzt?«

Anton lächelt zaghaft. »Aber das klingt doch... nett.«

»Das klingt nicht nett, das klingt interessant.« Auffordernd schwenkt Kev seinen Gin Tonic. »Erzähl uns mehr. Hast du schon Kondome gekauft? Großpackung?«

»Was an dem Wort Geschäftsreise hast du nicht verstanden?«

»Alles.« Er stößt meinen Oberschenkel an. »Komm schon. So wie du das gerade rausposaunt hast, wirst du allein schon beim Gedanken an diese Geschäftsreise hart.«

Abgesehen davon, dass sich bei Kev Geschäftsreise wie Gangbang anhört – er hat recht. Aber noch beschissener ist, dass man mir das offenbar am Gesicht ablesen kann. Oder am Schritt, so demonstrativ wie Kev mir zwischen die Beine guckt.

»Stimmt's oder hab ich recht?«

»Lass das.« Ich versetze ihm einen Schubs, der bei Kevs Muskeln allerdings keine Wirkung zeigt. Wenigstens sieht er mir daraufhin wieder ins Gesicht.

Wenn es für Kev und Anton so offensichtlich ist, muss es das auch für Robert sein, als sprichwörtliches Objekt meiner Begierde – oder? Das kann nur bedeuten, dass sein Interesse gleich null ist. Und diese Geschäftsreise tatsächlich nur eine Geschäftsreise.

»Wenn...« Anton räuspert sich. »Wenn ich das mal fragen darf als glücklich vergebener Außenstehender, was... ähm, was ist denn das Problem?«

»Problem?«

»Na, zwischen dir und Robert.«

»Sehr gute Frage.« Kev reckt Anton den erhobenen Daumen entgegen.

Verständnislos sehe ich zwischen den beiden hin und her. »Vielleicht habt ihr es nicht mitbekommen, aber Robert ist mein Boss.«

»Na und? Du wärst nicht der Erste und bestimmt nicht der Letzte, der mit seinem Boss fickt.«

»Ich bin sein einziger Angestellter.«

»Ist das ein Grund dafür oder dagegen? Stell dir mal die anregenden Mittagspausen vor. Kaffeepausen. Meetings.«

Anton, der gerade einen Schluck aus seiner Bierflasche getrunken hat, verschluckt sich prustend. Biertröpfchen fliegen durch die Luft, ehe er halb hustend, halb röchelnd nach Atem ringt. Entzückende Röte überzieht seine Wangen und lässt ihn furchtbar jung aussehen.

Ich klopfe ihm auf den Rücken. »Geht's wieder?«

»Ja, alles gut«, japst er, wobei er meinem Blick ausweicht.

»Außerdem wissen wir schon, dass du mit Chris in einem der Meetingräume gevögelt hast. Jetzt muss dir das auch nicht mehr unangenehm sein.«

»Es muss dir nie unangenehm sein«, betone ich.

»Genau. Weil so ein kleiner Pausenquickie die Kreativität befeuert.«

»Oder killt.«

»Nur wenn der Sex beschissen war. Das kann ich mir weder bei dir noch bei ihm vorstellen, auch wenn Robert manchmal etwas verkopft wirkt.« Kev tätschelt meinen Oberschenkel. »Aber da passt ihr zwei ja gut zusammen.«

»Manchmal kann man nicht einfach tun, worauf man Lust hat. Robert hat mich sowieso nur auf Wunsch seines Bruders eingestellt.« Auch wenn ich mir einbilde, dass er inzwischen ganz glücklich mit der Entscheidung ist. »Da kann ich mich ihm nicht einfach an den Hals werfen. Viktor und ich sind Freunde. Wie sieht das denn aus?«

Kev zuckt die Schultern. »Keine Ahnung. Und das ist auch scheißegal. Im schlimmsten Fall suchst du dir einen neuen Job.«

»Das ist gar kein so großer Weltuntergang, wie es sich im ersten Moment anhört.« Anton lächelt aufmunternd zu mir hoch. »Ich weiß, wovon ich rede.«

»Aber zufällig mag ich meinen Job.« Und Robert. Als Chef. Als Mensch. Als Mann. Scheiße. »Ich habe schon für zu viele Idioten gearbeitet.«

Tatsächlich ist Robert der Erste, der mir so viele Freiheiten lässt. Es hat ein paar Monate gedauert, aber wahrscheinlich musste er sich erst daran gewöhnen, plötzlich einen Angestellten zu haben, der ihm Arbeit abnehmen kann. Wenn sich Viktor nicht eingemischt hätte, hätte Robert wahrscheinlich weiterhin Tag und Nacht gearbeitet, um travele dorthin zu bringen, wo es jetzt ist.

Kev zuckt die Schultern. »Dann machst du dich eben selbstständig.«

»Das ist...« Ich verstumme und schüttle den Kopf, bevor ich einen Schluck Sekt trinke. Den letzten. Großartig. »Diese ganze Diskussion basiert auf der Annahme, dass Robert Interesse an mir hat.«

Ich schlucke. Normalerweise würde ich ihn einfach fragen. Mit ihm flirten. Ihn anmachen. Aber normalerweise arbeite ich auch nicht so eng mit meinen potenziellen Sexpartnern zusammen.

»Aber was ist, wenn er keins hat?« Ich wende mich an Anton. »Selbst wenn er mich manchmal so anschaut« – ich setze Anführungszeichen in die Luft, als ich Antons Worte wiederhole – »vielleicht interpretieren wir da zu viel hinein. Vielleicht ist er gar nicht interessiert und es könnte für uns beide ziemlich unangenehm werden, wenn ich den ersten Schritt mache.«

Kev legt den Kopf in den Nacken und stöhnt so laut auf, dass die anderen Co-Worker, die seit diesem Sommer zunehmend die Dachterrasse bevölkern, irritiert zu uns rübersehen.

»Ich sag's ja, verkopft.«

»Aber das ist eine reelle Möglichkeit.«

»Bullshit. Der Mann hat dich fünf Tage die Woche über acht Stunden direkt vor seiner Nase. Hast du mal in den Spiegel geschaut, Joscha? Solange Robert nicht tot ist und dich manchmal so anschaut« – Kev äfft meine imaginären Anführungszeichen nach – »hat er dich in Gedanken garantiert schon hundertmal flachgelegt. Vertrau mir. Ich hätt's getan.«