Verschwundene Reiche

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Die römische Kirche war seit den Tagen des Römischen Reiches auf der Iberischen Halbinsel zu Hause. Ein Märtyrer der römischen Christenverfolgungen, der hl. Vinzenz von Zaragoza, Diakon des Bischofs von Valencia, stammte aus Osca (Huesca). Seine Verehrung konnte sich zwar behaupten, die Kirche an sich aber hatte in den Jahrhunderten muslimischer Herrschaft große Rückschläge zu verkraften. Die Reconquista gab dem iberischen Katholizismus seine intensive Spiritualität wie auch seine Militanz. Die beiden Erzdiözesen des Königreichs – Zaragoza für Aragón und Tarragona für Katalonien – waren im 12. Jahrhundert der muslimischen Kontrolle entwunden worden. Viele Kirchen wurden wie die Kathedrale in Huesca innerhalb der Mauern »umgewidmeter« Moscheen eingerichtet.

Eine entscheidende Rolle spielte der hl. Ollegarius (Oleguer Bonestry, um 1060–1137), Erzbischof von Tarragona, der 1127 das Kirchenkonzil von Barcelona leitete, die Ehe seines Grafen mit Königin Petronila aushandelte und dann die kirchlichen Strukturen in den Diözesen Lleida, Girona, Urgell, Vic, Tortosa und Solsona festigte. Die spätere Unterordnung des Bistums Valencia unter den Erzbischof von Tarragona jedoch verärgerte die kastilischen Erbischöfe von Toledo, die für sich den Vorrang in allen zurückeroberten Ländern forderten.

Aragón-Katalonien war indirekt auch vom Krieg der Kirche gegen die Häresie der Katharer im benachbarten Languedoc betroffen. Der Konflikt führte 1232 zur Entstehung eines Inquisitionskomitees und förderte den Aufschwung militarisierter Kreuzritterorden und Organisationen wie dem »Orden der Allerseligsten Jungfrau Maria von der Barmherzigkeit zum Loskauf der Gefangenen«. Dennoch betonten viele führende Geistliche des Reiches die nichtmilitärischen Aspekte des Glaubens. Der hl. Raimund von Penyafort (um 1175–1275) aus Vilafranca war nicht nur der Beichtvater Jakobs I., sondern auch der führende Kirchenrechtler seiner Zeit. Der hl. Arnau de Gurb, Bischof von Barcelona von 1252 bis 1284, förderte den Dialog mit Juden und Muslimen; es gab bis zum Judenprogrom in Valencia im Jahr 1391 kein größeres Blutvergießen aus religiösen Gründen. In späteren Zeiten brachte die Kirche von Aragón-Katalonien zahlreiche berühmte Prälaten hervor, wie etwa Kardinal Berenguer de Anglesola (gest. 1408), päpstlicher Gesandter und eine Zeit lang Bischof von Huesca, oder Kardinal Joan de Casanova OP (1387–1436), Dominikaner und Bischof von Elne. Der in Barcelona geborene und in Florenz bestattete Geistliche war königlicher Beichtvater und Auftraggeber des Stundenbuchs des Königs Alfons.42

Wie in allen mittelalterlichen Königreichen war die Krönung des Monarchen ein Akt größter Bedeutung, der die Zusammenarbeit von Kirche und Staat sicherte. Die Zeremonien, die traditionell in der Kathedrale von Zaragoza stattfanden, führten den Zuschauern eindringlich vor Augen, dass Gott die Monarchie wollte:

Am Karfreitagabend [1328] ließ der Herr König [Alfonso El Benigno] bekannt machen, dass am Samstagmorgen, dem Tag vor Ostern, ein jeglicher die Trauer ablege, die er um seinen Vater, den Herrn König, trug, und solle sich jedermann den Bart scheren und das Fest beginnen …

Also den Samstagmorgen, als das Halleluja vorüber war und die Glocken ertönten, war jedermann bereit, nach dem Befehl des Herrn Königs das heilige Fest zu beginnen … Als nun das Zeichen mit der Glocke gegeben war, trat der Herr König seinen Zug an aus Aljaferia nach [der Kirche] San Salvador in folgender Ordnung: Zu allererst voran ritt [eine Ritterprozession mit Zeremonialschwertern] und hinter dem Schwert des Herrn Königs kamen zwei Wagen des Herrn Königs mit zwei [entzündeten] Wachskerzen, deren jede mehr als zehn Zentner Wachs enthielt …

Auf diese zwei Kerzen folgte der Herr König auf seinem Ross mit dem schönsten Harnisch, der je von Meisterhand gemacht worden war, und sein Schwert, das man, wie schon gesagt, vor ihm hertrug, war so reich und stattlich besetzt, wie noch nie ein Kaiser oder König eins trug.

Die Wache ging die ganze Nacht hindurch, begleitet von zwei heiligen Messen:

Als sie fertig waren, und der Herr König gebetet hatte, küsste er das Heft des Schwertes und gürtete sich es selber um; dann zog er es aus der Scheide und schwang es dreimal: Und indem er es das erste Mal schwang, erkärte er allen Feinden des heiligen katholischen Glaubens den Krieg; beim zweiten Male versprach er, Waisen, Unmündige und Frauen zu schützen; beim dritten Male verhieß er Gerechtigkeit sein Leben lang … Darauf salbte ihn der Herr Erzbischof mit dem heiligen Salböl auf die Schulter und den rechten Arm …

Indes nahm der Herr König selber die Krone vom Altar und setzte sie sich aufs Haupt … Und … die Herren Erzbischöfe und Bischöfe und Äbte und Prioren und die Herren Infanten [sangen] mit lauter Stimme Te Deum laudamus. Während sie noch sangen, nahm der Herr König das Zepter mit der rechten Hand und tat es in die linke. Dann nahm er den Apfel in die rechte …

Als dies alles fertig und das Evangelium gesungen war, weihte der Herr König mit großer Demut abermals sich selber und seine heilige Krone Gott dem Herrn, kniete andächtig vorm Altar … So ging er hin und setzte sich vor dem Altar zu San Salvador auf den Königsthron, legte Zepter und Apfel auf den Altar, ließ die Adligen … zu sich kommen und schlug sie zu Rittern 43

Bekanntlich existierten Christentum und Islam in verschiedenen Teilen der Krone Aragón friedlich nebeneinander. »Nirgendwo war der Kontakt zwischen den beiden Kulturen enger als am Golfe du Lion«, schrieb Christopher Dawson; vor allem die Grafschaft Barcelona »war eine Art Brücke zwischen den beiden Welten«.44 Doch die Muster waren nicht überall dieselben. In den von der Reconquista frisch eroberten Ländern waren die Mauren noch immer in der Überzahl. In den meisten Städten Aragóns und Kataloniens lebten sie in abgeschlossenen Vierteln – dennoch passten sie sich sprachlich immer sehr schnell an. Auf dem Lande waren sie oft der Aufsicht der Tempelritter unterstellt. Auch die Juden lebten für sich, wie es ihre Talmud-Regeln forderten, spielten aber eine fruchtbare Rolle im intellektuellen, medizinischen und wirtschaftlichen Leben der Stadt. Toleranz und Unterdrückung allerdings sind kaum quantifizierbar. Eine bekannte Studie zur convivencia von Mauren und Christen im Aragón des 14. Jahrhunderts berichtet, dass die gut organisierten mudéjar-Gemeinschaften gute und schlechte Zeiten erlebten, und kommt zu dem Schluss: »Die allgemeine Situation der Muslime, ob erwünscht oder unerwünscht«, hing nicht von »der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit christlicher Obrigkeiten« ab.45

Ähnliches gilt wohl auch für die jüdische Gemeinde. Vor dem Ende des 15. Jahrhunderts war die Krone Aragón neben Polen-Litauen eines der wenigen Länder Europas, in denen es den Juden gut ging. Eine besonders wichtige Rolle spielten sie unter Jakob dem Eroberer. Benveniste de Porta (gest. 1268), der Bankier des Königs, gab Kredit auf die königlichen Steuern und wurde, als die Krone mit über 100.000 sous im Minus stand, zum königlichen Steuerpächter. Moses ben Nahman Gerondi (genannt Nahmanides, 1194–1270), war ein berühmter katalanischer Rabbi und Philosoph aus Girona. Er spielte die Hauptrolle in Streitgesprächen sowohl unter Juden wie auch zwischen Juden und Christen. In den Dreißigerjahren des 13. Jahrhunderts fungierte er als Vermittler im Konflikt zwischen Solomon von Montpellier und Maimonides, und 1263 nahm er an der hitzigen Disputation von Barcelona mit dem Konvertiten Pablo Christiani teil. Sein Thora-Kommentar besaß bleibenden Einfluss, weil er alternative Deutungen kontroverser Bibelstellen umfasste. Nachdem Nahmanides durch die Machenschaften seiner dominikanischen Widersacher ins Exil getrieben worden war, gründete er in Jerusalem eine bis heute bestehende Synagoge.

Unter den mittelalterlichen Reisenden waren immer viele Pilger. Diese hatten verschiedene Ziele: Die bekannteste Wallfahrt brachte Tausende in die Benediktinerabtei Montserrat in den Hügeln hinter Barcelona, wo man die wundertätige Verge negra – die Schwarze Madonna La Morenta, die Schutzpatronin Kataloniens – verehrte. Das Kloster Ripoll nahe Girona war berühmt wegen der dortigen Grablege des Grafen Wilfried des Haarigen, der Bibliothek und der Gemeinschaft gelehrter Mönche, die arabische Handschriften studierten, antikes Wissen für die Nachwelt bewahrten und die Chroniken der Grafen von Barcelona schrieben.46 Die Könige und Grafen förderten vor allem die Zisterzienserabtei Poblet im Bezirk Tarragona. Das königliche Pantheon dort, gekrönt von einem großartigen gotischen Oktogon, beherbergte die Gräber fast aller Monarchen.

Alle Städte Aragóns und Kataloniens rühmten sich prächtiger Kathedralen, und das Land war überzogen von mächtigen Burgen, die vom Siegesstolz der reconquistadores kündeten. In der Hochzeit des Burgenbaus hatten Aragón und Katalonien die Verteidigungsmauern der Christenheit bemannt, und die sich verschiebende Grenze zu den Mauren hatte nach immer neuen Befestigungslinien verlangt. Manche dieser Festungen, wie Loarre in Huesca oder die mächtige Aljaferia in Zaragoza, waren königliche Gründungen. Andere wie Cardona oder Peratallada oder Alcañiz in Teruel wurden von adligen Kriegsherren errichtet, und sie alle waren Symbole der mittelalterlichen Binsenweisheit, wonach der Glaube und das Schwert immer Hand in Hand gingen. Die Krone Aragón konnte sich zudem ihrer sieben Universitäten in Montpellier, Perpignan, Barcelona, Valencia, Catania und später Palermo und Neapel rühmen.

 

Viele Pilger zogen auf dem Weg zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela durch Aragón oder Katalonien; eine Station auf dem Jakobsweg war das Kloster San Juan de la Peña nahe Jaca. Das im 11. Jahrhundert unter einem überhängenden Felsen am Grunde einer Schlucht errichtete Kloster war die Heimat der geistlichen Chronisten von Aragón und beherbergte Aragóns erstes königliches Pantheon. Diese Gräber verlangten von ihren Besuchern wohl damals schon ein außergewöhnliches historisches Wissen. So lautet eine Inschrift: »HIC REQUIESCIT FAMULUS DEI GARCIAS XIMENEZ PRIMUS REX ARAGONUM, QUI AMPLIAVIT ECCLESIAM SANCTI JOHANIS IBIQUE VITA DEFUNCTUS SEPELITUR« Sie bezieht sich auf einen »ersten König von Aragón«, wahrscheinlich den halb sagenhaften Garcí Ximénez, der wohl lange vor Ramiros Zeit im 8. Jahrhundert unter der Oberherrschaft Navarras in Sobrarbe regierte. Eine andere Inschrift ist leichter zu verstehen: »HIC REQUIESCIT EXIMINA, MULIER RODERICI CID« (»Hier ruht Eximina, die Ehefrau von Rodrigo, El Cid«).47

Seine lange Regierungszeit gab Jakob I. die Chance, ein noch immer verwundbares politisches System auszubauen und zu konsolidieren. Er war, wie wir gesehen haben, während des Albingenserkreuzzugs in Montpellier geboren worden und lebte offenbar einige Zeit am Hof von Simon de Montfort, dem Anführer der Kreuzritter. Allerdings stand seine Regierung anfangs unter keinem guten Stern, weil er den unglückseligen Plan verfolgte, sein Königreich mit dem von Navarra zu vereinigen, und es sollte einige Jahre dauern, bevor er seine königliche Autorität wirklich durchsetzen konnte. Dann aber, Ende der 20er-Jahre des 13. Jahrhunderts, schob Jakob innenpolitische Probleme beiseite und wandte sich der Außenpolitik zu. Im Jahr 1229 griff er die von den Mauren kontrollieren Balearen an und erklärte sich selbst zum »König von Mallorca«. Drei Jahre später betrat er das alte Revier El Cids in Valencia. Nach zwei Jahrzehnten Krieg unterzeichnete er im Jahr 1258 mit dem französischen König den Vertrag von Corbeil und erreichte dadurch eine gegenseitige Anerkennung der Grenzen und aller Herrschertitel.

Später sollte Jakob I. noch das berühmte katalanische Llibre dels Fets oder »Buch der Taten« schreiben, eine autobiografische Chronik seines Lebens und seiner Zeit. Die Handschrift, die heute in der Nationalbibliothek von Barcelona liegt, ist in einer dem Okzitanischen verwandten Mundart verfasst. Großzügig sorgte er für seine zehn ehelichen und zahlreiche uneheliche Kinder. Sein Testament, 1262 geschrieben, sah die Aufteilung seiner Reiche unter seine zwei ältesten Söhne vor. Einer von ihnen sollte Aragón, Katalonien und Valencia erben. Der andere, der den Titel des »Königs von Mallorca« trug, sollte die Balearen, das Rosselló, die Cerdanya und Montpellier bekommen.

Die Besitzungen Jakobs I. boten ein Kaleidoskop an Sprachen, Religionen und Kulturen. Das religiöse Spektrum reichte vom mehr als glühenden Katholizismus bis zum Judentum und zum Islam. Die urbane Kultur der großen Städte war Welten entfernt vom Leben in den Hirtengemeinden der Pyrenäen, und nichts beeindruckte so sehr wie die Dynamik des mittelalterlichen Barcelona. Die alte Stadt über dem Hafen wurde beherrscht von der Kathedrale Santa Eulalia und dem dicht bewohnten städtischen Verwaltungsbezirk, dem Barri Gótic. Auf der einen Seite lag der alte, aber nicht sonderlich beeindruckende Palau Reial, die Residenz der Grafen, auf der anderen Seite das jüdische Viertel El Call. Ein Gewirr enger Gassen erstreckte sich dort, wo sich heute die Ramblas befinden, hinunter zum Sandstrand. In der Zeit Jakobs I. fehlten der Stadt, die durchaus schon eine geschäftige Metropole war, noch viele ihrer späteren schmückenden Bauten. Am Nordende war die Lonja, Sitz des Consulado del Mar und Treffpunkt ausländischer Kaufleute, in einem Behelfsbau untergebracht. Am Südende befanden sich die Drassanes oder königlichen Werften mit ihrem geschäftigen Durcheinander in den frühen Phasen der Expansion.

Die beeindruckenden Paläste der Generalitat und des Ajuntament, in denen später die Stadtversammlungen abgehalten wurden, waren noch ein ferner Traum. Hinter den Hafenanlagen stand Santa Maria del Pi, die Kirche der städtischen Gilden, während das Hospital de la Santa Creu die medizinische Versorgung gewährleistete. Um diese Gebäude herum zog sich an der Landseite eine durchgehende Stadtmauer. Vor ihnen lagen Handelsschiffe und Kriegsgaleeren vor Anker oder auf dem offenen Strand auf Kiel.48

Jeder, der Barcelona sah, verstand sicher, dass die wachsende Macht zur See den Staat reicher und stärker machte. Die Drassanes in Barcelonas Hafen waren nur die sichtbare Ausgangsbasis eines sich ausweitenden Netzwerkes. Die Strategie, eine ständige königliche Flotte zu bauen, wird schon dem Vater des Eroberers, Peter II, zugeschrieben, der von einem regne dins el mar, »einem Königtum im Meer« träumte. Doch das erforderte langfristiges Engagement und gewaltige Ressourcen an Geld, Männern und Material. Die Waffe der Wahl war die seetüchtige Galeere, angetrieben durch eine Kombination aus Segeln und Rudern, die neueste Variante der altgriechischen Bi- und Triremen. Wenn die Ruder ins Spiel kamen, konnten diese Galeeren eine verheerende Beschleunigung erreichen. Die größten wurden von 100 oder sogar 150 Rudern vorwärtsgetrieben, die jeweils mit zwei oder drei Ruderern besetzt waren. Jede Galeere trug einen Rammsporn am Bug, ein Arsenal von Katapulten für den Angriff und eine Kompanie Armbrustschützen zur Verteidigung.49

Auch wenn es häufiger zu Seeschlachten kam, war aber vor allem eine von einem gern gelesenen Chronisten in Erinnerung geblieben:

Als nun die Galeeren des En Corral Llanza die zehn Galeeren herankommen sahen, segelt sie ihnen entgegen: Und die Sarazenen, die sie heransegeln sahen, schrien mit lauter Stimme auf Sarazenisch: »Drauf los! Drauf los«, und fuhren mit entsetzlichem Ungestüm den Galeeren des En Corral Llanza entgegen. Diese stellten sich im Kreis alle vier dicht beisammen und hielten Rat. Und En Corral Llanza sprach zu seinen Leuten: »Ihr Herren wisst, dass der Segen Gottes mit dem Herrn König von Aragón ist und mit all seinen Untertanen. Auch wisst ihr, welch herrliche Siege er über die Sarazenen gewonnen … Darum bitte ich euch alle, dass ihr eingedenk seid der Macht Gottes und der heiligen Jungfrau Maria, des heiligen katholischen Glaubens und der Ehre des Herrn Königs und der Stadt Valencia und des gesamten Reiches; Mutig drauf los, wie wir vier Galeeren beisammen sind! Heute wollen wir Taten tun, dass man in ewigen Zeiten von uns reden soll.« …

Da riefen sie alle: »Drauf los! Drauf los! Sie sollen uns alle nicht entgehen!« … Und alsbald ließ er die Trompeten blasen und die Pauken schlagen, und mit lautem Geschrei fingen sie an gewaltig dreinzuhauen. Die vier Galeeren aber fuhren ganz ruhig, ohne viel Geschrei und laute Worte und ohne Spektakel mitten unter die zehn Galeeren, und da entstand ein schwerer, harter Kampf, der dauerte vom Morgen bis zum Abend, und es wagte keiner auch nur zu essen oder zu trinken.

Aber unser Heergott und seine gebenedeite Mutter, von welchen aller Segen und alles Glück des Herrn Königs von Aragón kommt, verlieh den Unsrigen den Sieg, dergestalt, dass alle zehn Galeeren in Grund gebohrt wurden und die Mannschaft getötet und gefangen … Und so kehrten sie mit großem Ruhme und mit glänzendem Siege nach Valencia zurück samt den Galeeren, die sie erobert hatten, und einer großen Menge Sarazenensklaven, die sich unter dem Verdeck versteckt hatten.50

In den Augen des Chronisten war es ganz offensichtlich eine Sünde, wenn Sarazenen christliche Sklaven hielten, nicht dagegen, wenn Christen Sarazenen versklavten.

Die Balearen hat man als einen »strategischer Imperativ« für Aragón bezeichnet. Durch ihre Lage etwa 150 Kilometer vor der Küste Kataloniens beherrschten sie den Küstenhandel, den Zugang zur Straße von Gibraltar und die Verbindung nach Nordafrika. Sie boten kleineren Schiffen die nötigen Haltepunkte und gleichzeitig große Häfen, die als Marinebasen dienen konnten. Dennoch blieben sie noch lange nach dem Zusammenschluss von Katalonien und Aragón in maurischer Hand. Katalanische Seeleute müssen diese Festungen der Ungläubigen als einen Dorn im christlichen Fleich empfunden haben. Für König Jakob repräsentierten sie das drängendste aller Probleme.

Die Erobernug durch Jakob I., die 1229 begann, absorbierte stattliche logistische Ressourcen: Den ersten Schlag gegen Mallorca (die »Größere Insel«) führte eine Galeerenflotte mit gepanzerten Truppentransportern im Schlepptau, deren Bug sich – wie bei den Landungsbooten an den Stränden der Normandie – öffnete und einen Schwall vorwärtsstürmender Infanterie freigab. Der König selbst beschrieb die Operationen im Llibre dels Fets:

Ein Teil der Flotte war in Cambrils stationiert, doch der größere Teil, bei dem wir selbst uns befanden, war im Hafen von Salou und auf dem Strand, und der Rest in Tarragona … Wir hatten 25 Großschiffe, 18 Tariden, 12 Galeeren und 100 Buzas und Galioten … Bovets Schiff, auf dem Guillem de Montcada segelte, sollte als Führungsfahrzeug dienen und musste eine Laterne als Licht tragen, während Carros Schiff die Nachhut bildete … Ich war auf der Galeere im hinteren Abschnitt.

Wir setzten am Mittwochmorgen von Salou aus Segel, mit einer Brise von Land her … Es war ein wunderbarer Anblick … Das ganze Meer war weiß von Segeln. Die Stunde der Vesper kam, und nahe der ersten Wache überholten wir das Schiff von Guillem de Montcada … und wir zogen die Laterne auf und grüßten sie … Die Mann-Schaft erwiderte, dass es das Schiff des Königs sei und dass wir hundertausendfach willkommen seien … und nachts und an der Spitze der Flotte segelnd, holten wir kein Segel ein oder änderten den Kurs, sondern wir ließen die Galeere dahinfliegen, so schnell sie konnte … Der Mond war schön und die Brise wehte von Südwest, und wir sagten, wir könnten nach Pollença gehen …51

Der König, der sich nicht um das heraufziehende schlechte Wetter gekümmert hatte, überlebte den Sturm, während der er zur Jungfrau Maria betete, und landete schließlich sicher auf der Insel. Die Soldaten verließen die Schiffe, ohne auf Widerstand zu stoßen. Doch dann sahen sie, dass sie nicht allein waren:

Die Sarazenen hatten sich vor ihnen aufgestellt mit etwa fünftausend Mann Fußvolk und zweihundert Reitern. Und Ramón de Montcada kam und sagte, dass er gehen und sie sich genauer anschauen wolle, [wobei er hinzufügte:] »Lasst niemanden mit mir kommen.« Und als er ihnen näherkam, rief er: »Lasst uns angreifen, denn sie sind nichts!« Und [Montcada] war der Erste, der angriff, und als die Christen die Mauren erreichten, auf eine Entfernung von allenfalls vier Lanzenlängen, ergriffen die Mauren die Flucht. Aber sie wurden mit solcher Schnelligkeit verfolgt, dass über eintausendfünfhundert Sarazenen starben, da man keine Gefangenen machen wollte. Nach dieser Tat kehrten unsere Männer zur Küste zurück.52

Damit waren die Fahrt nach Mallorca und die erste Schlacht beendet. An jenem Abend hielt der Bischof von Barcelona eine Predigt: »Barone … beherzigt dies: Wer bei dieser Aufgabe stirbt, tut dies im Namen unseres Herrn und gelangt ins Paradies, wo er ewigen Ruhm besitzt. Wer aber überlebt, dem werden Ehre und Ansehen sein ganzes Leben zuteil und der wird einen guten Tod haben …«53

Dann wurde die größte Stadt Madina belagert. Bei ihrer Kapitulation ergaben sich die Almohaden-Herrscher unter der Bedingung, dass die Bevölkerung geschont werde. Madinas Hafen, der in Ciutat de Mallorca (heute Palma) umbenannt wurde, war fortan ein Partner Barcelonas und verwehrte feindlichen Schiffen den Zugang.

Menorca (die »Kleinere Insel«) wurde 1231 durch List eingenommen. Weil riesige Feuer auf den Felsen von Cap de Formentor auf Mallorca ein gewaltiges Feldlager vortäuschten, ergaben sich die Bewohner von Menorca kampflos und erkauften sich ihr Überleben als islamischer Vasallenstaat mit der Zusicherung eines jährlichen Tributs. Die Doppelinseln Eivissa (heute Ibiza) und Formentera eroberte der Erzbischof von Tarragona 1235 auf einem privaten Kreuzzug. Einer Sage zufolge stritt der Bruder des regierenden Scheichs mit diesem um eine Haremsdame und erzählte den Katalanen, die eine Belagerung begonnen hatten, von einem geheimen Tunnel. Nach der Einnahme wurden die arabischen Moscheen abgerissen und durch katholische Kirchen ersetzt.

 

Dann richtete der König sein Augenmerk auf Valencia, eine antike römische Hafenstadt und das Zentrum des maurischen taifa-Reichs von Balansiya. Die Eroberung begann etwas später als die der Balearen und zog sich länger hin – die Landschlachten endeten erst 1304. Aragonesische Truppen waren somit drei Generationen lang fast ständig bei Feldzügen auf den Balearen und an der Küste von Valencia im Einsatz.

Die Eroberung von Valencia ist immer als Aragóns Beitrag zum Kreuzzug gegen die Mauren gesehen worden, aber auch andere Motive spielten wohl durchaus eine Rolle. Indem sie gegen die Mauren kämpften, drängten die Aragonesen auch die Kastilier zurück, die schon früher Interesse an dem Gebiet angemeldet hatten. Zudem konnte König Jakob die Krone mit dem neu gewonnenen Kronland gegen den Adel stärken. Durch sein kluges Vorgehen bei der Besiedlung schuf er neue Güter und Einkommensquellen, von denen die Adligen ausgeschlossen waren.

Der Feldzug ging in Schüben vonstatten. Die Kämpfe dienten auch und vor allem der Verteidigung. In der ersten Phase 1232/33 eroberte Aragón die Bezirke Morella, Burriana und Peñiscola. Im Jahr 1237/38 zog Jakob I. in die »Stadt von El Cid« ein und gründete offiziell das Königreich Valencia. In der dritten Phase, 1243–1245, drangen die Aragonesen in Bezirke vor, die die Kastilier beanspruchten, und man musste eine Demarkationslinie ziehen. Die vierte und letzte Phase wurde bis ins Jahr 1296 aufgeschoben und dauerte dann acht Jahre. Im Vertrag von Torrellas (1304) in seiner späteren Fassung wurde Alicante schließlich Valencia und Murcia Kastilien zugesprochen.

Wie man noch heute an der sprachlichen Entwicklung ablesen kann, erfolgte die Besiedlung des Königreichs Valencia auf zwei Wegen. Zum einen brachte der König katalanische Siedler in den Küstenstreifen und bestimmte damit einen katalanischen Dialekt als künftige Sprache Valencias. Zum anderen gründeten adlige Abenteurer private Güter in den Bezirken des Binnenlands und holten Siedler aus Aragón. Deren Nachkommen sprechen noch immer eine dem Aragonesischen ähnliche Sprache.54

Zwei Themen sollten im Übrigen die damalige Zeit prägen: Da war einmal das Schicksal der muslimischen Mauren, zum anderen die Regierungsform. Die christliche Bevölkerung von Valencia blieb noch viele Jahre deutlich in der Minderheit, und die geschlagenen Muslime wurden dringend gebraucht, um das Land in den eroberten Territorien zu bestellen. Die Frage einer generellen Vertreibung stellte sich also nicht; vielmehr wurde der Islam geduldet, solange seine Anhänger sich loyal gegenüber der lokalen politischen Führung verhielten. Die mudéjares von Valencia bildeten eine stabile muslimische Enklave auf der christlichen Iberischen Halbinsel.55

Die Regierung des Königreichs Valencia hatte weder Aragón noch Katalonien zum Vorbild. Denn auch wenn die Königswürde dauerhaft mit der Krone Aragón verbunden war, waren doch die Furs de Valencia oder »Gesetze von Valencia« durch ein langes, zähes Ringen zwischen der Krone und der ortsansässigen (christlichen) Gemeinde entstanden. In diesen Verhandlungen, die sich über den größten Teil des 14. Jahrhunderts hinzogen, spielte der Rat von Valencia eine wichtige Rolle. Sobald die Furs eingesetzt waren, wuchsen Valencias Macht und Reichtum zusehends. Der Wollhandel belieferte große Textilmanufakturen und förderte den Seehandel, der die Stadt zu einer würdigen Partnerin (und Rivalin) Barcelonas machte. Die elegante Lonja de la Seda oder »Seidenbörse«, die noch heute zu bewundern ist, belegt die weit gespannten Kontakte der Hafenstadt, und die Taula de canvis (»Wechseltafel«) diente gleichzeitig als Bank und als Börse.56

Ein Nebeneffekt der Eroberung von Valencia war der bessere Zugriff Aragóns auf die Provinz Teruel, die im Landesinneren in direkter Linie zwischen Zaragoza und Valencia liegt. Das Terrain dazwischen ist jedoch überaus abweisend. Die Siedlertrecks wurden von einem felsigen Bergzug nach dem anderen blockiert – darunter die so treffend benannten Sierras Universales. Die Winter sind außergewöhnlich unwirtlich, und noch heute gibt es nur wenige, weit auseinanderliegende Straßen. Die Abgeschiedenheit hat Teruel zu einem bevorzugten Rückzugsgebiet iberischer Juden gemacht.

Die Berühmtheit des mittelalterlichen Teruel allerdings ist auf ewig verbunden mit einer Geschichte zweier unglücklich Liebender, Diego und Isabela, die dort im 13. Jahrhundert lebten. Ihr Grabmal ist noch heute in der Pfarrkirche zu bewundern (unerheblich, dass Boccaccio eine fast gleichlautende Geschichte aus Florenz erzählt). Die Marcillas und die Segaras in Teruel ähnelten den Montagues und Capulets in Verona. Die Seguras waren reich; die Marcillas verarmt. Als also Diego Marcilla um Isabela Seguras Hand anhielt, erklärte ihm deren strenger Vater, dass er genau fünf Jahre – und keinen Tag länger – habe, um sein Glück zu machen.

Fünf Jahre vergingen, und Diego kehrte nicht zurück. Am Tag nach dem Termin musste Isabela einen älteren Ritter heiraten. Während des Hochzeitsfestes entstand plötzlich eine große Unruhe. Diego war zurückgekommen, beladen mit Reichtümern und voller Sehnsucht nach seiner Dame. Er hatte die fünf Jahre vom Tag seiner Abreise an gerechnet, nicht wie die Seguras vom Tag seines Abschieds an. In jener Nacht schlich sich Diego in Isabelas Brautgemach und bettelte um einen Kuss. »Besame«, bat er, »que me muero« (»Küss mich, denn ich sterbe«). Isabela, die an ihr Ehegelübde dachte, wandte sich ab, und Diego fiel ihr tot zu Füßen. So folgte der Hochzeit am nächsten Tag eine Trauerfeier. Isabela beugte sich über Diegos Bahre, küsste ihn sanft auf die Lippen und fiel tot zu Boden. Die amantes de Teruel, im Leben getrennt, waren im Tode vereint.57

In eben jener Zeit heiratete der Thronfolger des Aragonesischen Reiches – der zukünftige Peter III. El Grande – die Erbin von Sizilien, Constanza von Schwaben. Die vierzehnjährige staufische Braut, die 1262 mit einer Galeerenflotte, über und über mit Schmuck behängt und mit prächtigem Gefolge in Barcelona ankam, führte eine bisher nicht gekannte Üppigkeit am Königshof ein. Die Tafel des Königs zum Beispiel verlor ihre bisherige Askese, die durchgängig Hammel und freitags Fisch als Mahlzeit vorgesehen hatte. Die erhaltenen, genau geführten Haushaltsbücher zeigen, dass sich das kulinarische Repertoire des königlichen Haushalts schnell erweiterte. Rind, Ziege, Geflügel und gepökeltes Schweinefleisch mit Kohl wurden nicht nur bei Banketten, sondern auch an normalen Tagen serviert, und gebratene Taube taucht so häufig auf, dass man hier wohl von der Leibspeise der Prinzessin sprechen darf. Milch, Butter, weißer Zucker, Gewürze, Zwiebeln, Spinat und andere Gemüse wurden zu Dingen des täglichen Bedarfs, dazu große Mengen Nüsse und frisches Obst zum Frühstück. Überaus komplizierte Regeln wurden aufgestellt, die bestimmte Teile eines Schlachttiers bestimmten Dienstgraden von Köchen als Entlohnung zuordneten. Seife taucht in den Einkaufslisten auf – ein einschneidender Wandel in der täglichen Hygiene.58

Inzwischen hatten fünfzig Jahre königliche Kriegsführung den Adel in eine gute Verhandlungsposition gebracht. Die traditionelle Kriegerkaste schlug bereitwillig die Schlachten des Königs und wurde dafür reich mit Landschenkungen und Ehrungen belohnt. Doch in den letzten Regierungsjahren Jakobs I. stellte sie neue Forderungen: Die Adligen bildeten die sogenannte Unión de Aragón und forderten eine Charta ihrer Rechte und Privilegien, eine Festlegung der Machtbefugnisse des justiciar als des höchsten Provinzbeamten, eine Garantie des Rechtsstaats und das Versprechen, die Parlamente jedes Jahr zusammentreten zu lassen. Die Nachfolger Jakobs I. gaben ihren Forderungen nach und erkannten das Privilegio General (1283) und schließlich das Privilegio de la Unión (1287) an, das nachfolgende Könige jeweils neu bestätigen mussten. Das Dokument ist zu Recht als »Magna Charta Aragóns« bezeichnet worden.59