Verschwundene Reiche

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Die wachsende territoriale Basis der Krone Aragón lieferte zuverlässig Menschen und Steuern für weitere Eroberungen im Mittelmeerraum. Sobald die Balearen befriedet waren, konnten die Galeeren zu längeren Expeditionen ausgeschickt werden. In den zwei Jahrzehnten nach 1282 griffen sie Sizilien, die Inseln Malta und Gozo und sogar Griechenland an.


Sizilien ist die größte Insel im Mittelmeer. Wegen ihrer Dreiecksform war sie seit griechischer Zeit auch als »Trinakria« bekannt und hatte seitdem mehrere Siedlungswellen von Phöniziern, Griechen, Römern, Byzantinern, Arabern und Normannen erlebt. Der gewaltige Vulkankegel des Ätna im Osten und eine Hügellandschaft mit eingestreuten Wein- und Olivengärten prägen ihr Aussehen. Die am weitesten im Osten gelegene Hafenstadt Messina ist durch eine schmale Meerenge von Süditalien getrennt, während die westlichste Hafenstadt, Marsala, mit etwa 150 Kilometern gleich weit von Sardinien und Tunesien entfernt liegt. Im frühen 13. Jahrhundert lieferte die Hauptstadt Palermo die Kamele und den Harem für den exotischen Hofstaat des Reisekaisers Friedrich II. von Hohenstaufen (reg. 1215–1250), den sogenannten Stupor Mundi. Aufgrund der Rivalität zwischen den deutschen Häusern der Welfen und der Staufer wurde Kaiser Friedrich allerdings in eine Fehde mit dem pro-welfischen Kirchenstaat hineingezogen – der Papst exkommunizierte ihn ebenso wie seine Söhne Konrad und Manfred. Im Jahr 1266 ging das staufische Königreich Sizilien, das aus Süditalien und der Insel selbst bestand, durch päpstlichen Erlass an Charles d’Anjou, den Grafen der Provence.60

Aragóns Verbindung zu Sizilien verdankte sich der Unzufriedenheit des Volkes mit der angevinischen Herrschaft. Im Jahr 1282 wandten sich die Bürger von Palermo gegen die angevinisch-französischen Besatzer und schlachteten sie in einem nächtlichen Gewaltausbruch ab, der später als »Sizilianische Vesper« in die Geschichte einging.61 In dem sich daraufhin entspinnenden Kampf bat eine Gruppe früherer Anhänger der Staufer Aragón um Hilfe und bot Peter III., dem Ehemann von Manfreds Tochter Constanza, die Krone an. Der Appell zeigte ein gewisses Vertrauen in Aragóns neue Kampfkraft auf dem Lande wie auch zur See; der aragonesische Hof hatte lange auf ein solches Angebot hingearbeitet.

Im Krieg um Sizilien, der nicht weniger als zwanzig Jahre dauerte, stand der König von Frankreich praktisch allein gegen alle. Die Kämpfe konzentrierten sich auf eine Reihe von Seeschlachten, in denen die aragonesische Galeerenflotte den Angevinern erfolgreich das Anlanden ihrer Soldaten verwehrte.62 Das Oberkommando fiel Jakob (Jaime) II. El Justo (1267–1327) zu, dem Sohn Peters III., der nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1285 den Anspruch auf den sizilianischen Thron übernahm. Architekt des Erfolges aber war zweifellos Admiral Ruggiero di Lauria (um 1245–1305), ein kalabrischer Seemann in Diensten Aragóns, der in sechs großen Seeschachten gegen eine feindliche Übermacht kämpfte und immer wieder durch Wagemut, List und überragende Seemannskunst siegte.63

Das Ergebnis im Jahr 1302 war letztendlich ein Kompromiss, in dem die Angeviner ihre Besitzungen auf dem Continente behielten und die Aragonesen die Insel bekamen.

Um die Nachwelt vollends in Verwirrung zu stürzen, trug das beschnittene angevinische Reich mit Neapel als Hauptstadt weiterhin die Bezeichnung Königreich Sizilien. Das neue aragonesische Reich auf Sizilien wurde anfangs Königreich Trinakria genannt.

Mit Bezug auf den faro oder Leuchtturm, der an der Küste der Insel an der Meerenge von Messina stand, wurde das angevinische Reich im täglichen Sprachgebrauch der Sizilianer allmählich zu »La Sicilia di qua del faro« oder »Sizilien jenseits des Leuchtturms«. Das aragonesische Reich war »La Sicilia di qui del faro« oder »Sizilien diesseits des Leuchtturms«. Um die Verwirrung perfekt zu machen, sahen die Kalabrier es natürlich genau anders herum. In ihren Augen war der Leuchtturm in Reggio die Spitze ihres Landes, und für sie lag Sizilien »di qua del faro«.

Die Krönung von Jaime El Justo von Aragón-Katalonien, die am 2. Februar 1286, also lange, bevor der Krieg gewonnen war, in Palermo stattfand, war mehr als eine gottgefällige Zeremonie mit Symbolcharakter: Sie bot dem neuen König Gelegenheit, die Einwohnerschaft auf seine Seite zu bringen.

Als daher auf der ganzen Insel die Prälaten, Barone und Vertreter der Städte am 2. Februar 1286 zu einem Parlamente in Palermo zusammengekommen waren, fand sich Jakob [Jaime] mit der Königin und dem Infanten Friedrich daselbst ein; der Bischof von Cefalu, der Archimandrit von Messina und sehr viele Prälaten Siziliens, desgleichen die Bischöfe von Nicastro und Squillaci, krönten ihn dann im Namen Gottes und der Heiligen Jungfrau. In diesen Tagen rüstete der König mitten unter den Festen … auf eigene Kosten vierhundert sizilianische Edelleute als Ritter aus und verschenkte viele der nach der Vertreibung der französischen Barone an den Fiskus zurückgefallene Lehen nebst vielen anderen Gnaden, die er reichlich austeilte, wodurch er zugleich seine Freude über seinen Regierungsantritt an den Tag legen und sich, was ihm sehr nottat, desto mehr Stützpunkte im Innern verschaffen wollte …

Daher erließ er vor demselben Parlamente am 5. Februar, wie es damals der Brauch mit sich brachte, diejenigen die Verfassung betreffenden Verordnungen und Freiheitsbewilligungen, die unter dem Titel der Regierungsbeschlüsse Jakobs in der Sammlung der Gesetze des Königreichs Sizilien verzeichnet und den Worten nach als freiwillige Zugeständnisse aufgeführt … waren.64

Für Dante Alighieri, der im frühen 14. Jahrhundert schrieb, waren die Sizilianische Vesper und ihre Folgen zeitgenössische Ereignisse, die er in die Divina Commedia aufnahm. An den Küsten des Fegefeuers etwa trifft Dante auf den Schatten von Manfred, dem Sohn Kaiser Friedrichs II., der wie sein Vater im Kirchenbann gestorben war. Manfred erklärt, dass er als reuiger Sünder trotz des Fluchs der Kirche Hoffnung auf Erlösung habe; und er bittet Dante, er möge, wenn er wieder im Land der Lebenden weile, seiner Tochter diese gute Nachricht überbringen:

ond’io ti priego che, quando tu riedi,

vadi a mia bella figlia, genitrice

de l’onor di Cicilia e d’Aragona,

e dicht ’l vero a lei, s’altro si dice.

(»Drum bitt' ich dich, wenn zu der Welt du heimkehrst/Zu meiner schönen Tochter, die die Mutter/Von Aragóns und von Siziliens Ruhm ist/Zu gehn, statt Lüge Wahrheit ihr zu künden.«)65 Manfreds Tochter Constanza (die noch das Jahr 1300 als Königinmutter erlebte) war nicht nur die Gemahlin Peters III. von Aragón, sondern auch Mutter der Brüder Jakob II. von Aragón und Friedrich II. von Sizilien.


In einem wunderschönen Tal trifft Dante die Schatten gleichgültiger Fürsten, die ihr Geburtsrecht verschleuderten. Die Umgebung wirkt idyllisch. Die wuchernde Pracht der Blumen – »Gold, Silber und Karmin wie Elfenbein/Und Holz aus Indien, sowie glänzend lichtes/Smaragd auch« – mischt sich mit einem Chor der Seelen, die das »Salve Regina« singen. Doch die Lektion ist bitter. Die Schatten von Peter III. und Karl von Anjou, Rivalen um den sizilianischen Thron, singen im Einklang. Andere bekommen die scharfe Zunge des Dichters zu spüren. Nasetto, »der stumpf Benaste«, »starb auf der Flucht, die Lilien entblätternd« – gemeint ist Philipp III. von Frankreich, der nach dem Ende seines Feldzuges in Katalonien in Perpignan gestorben war.66

Es konnte niemanden überraschen, dass der ursprüngliche aragonesische Thronkandidat für Sizilien schon lange tot war, als endlich der Frieden Einzug hielt. Der dritte Sohn Peters III., Friederich, wurde schließlich als der Herrscher bestätigt. Mit ihm begann eine neue sizilianische Linie des Hauses Aragón, die parallel zu ihren Verwandten in Barcelona und Mallorca über hundert Jahre lang herrschen sollte.67

Die Inseln Malta und Gozo kamen 1282 zur Krone Aragón und bildeten seitdem einen wesentlichen Bestandteil des Königreichs Sizilien. Aufgrund der langen Kriege zwischen Aragonesen und Angevinern erlangte der maltesische Adel allerdings eine weitreichende Autonomie, die er behaupten konnte, bis die Verbindung zu Aragón Jahrhunderte später abriss. Zwar übte die königliche Regierung ihre Kontrolle durch eine lange Reihe von Vizekönigen oder Statthaltern aus, doch wurde die arabische Elite nicht vertrieben; ihr muslimischer Glaube, die maurische Architektur und die arabische Sprache schwanden sehr langsam; das heutige Maltesisch ist in vieler Hinsicht sogar eine Weiterentwicklung des mittelalterlichen Arabisch. Die wichtigste Stadt, Mdina, behielt ihren arabischen Namen, während sie sich in eine Hochburg des feudalen Adels verwandelte.68

Auch die Verbindung zu Griechenland entstand durch die Intervention der Krone Aragón in Sizilien. Am Ende des Krieges um Sizilien fehlte das Geld, das aragonesische Heer auf der Insel weiter zu unterhalten. Deshalb wurde mit Billigung des Königs eine schlagkräftige »Katalanische Kompanie« zusammengestellt und 1302 als Söldnertruppe dem Kaiser von Byzanz geschickt, der sich schon durch das Vorrücken der Osmanen bedroht fühlte. Der Anführer dieser Kompanie war ein Abenteurer aus dem Rosselló, Ruggier Desflors (Roger Deslaur oder Roger de Flor). Ein katalanischer Soldat, der die Heldentaten der Kompanie für die Nachwelt festgehalten hat, schrieb, er und seine Kameraden seien nach »Romanien« gegangen:

 

Alsbald … ließ der Kaiser in Gegenwart aller den Bruder Roger vor sich treten und gab ihm den Stab und den Hut, das Banner und das Siegel des Reiches und machte ihn zum Cäsar des Reichs und bekleidete ihn mit dem Mantel, dem Abzeichen dieser Würde. Vermöge dieser Würde sitzt der Cäsar zunächst dem Kaiser auf einem Sessel, der ist nur eine halbe Spanne niedriger wie des Kaisers Sitz, und er hat im Reiche ganz gleiche Gewalt mit dem Kaiser: Er kann Schenkungen auf ewige Zeit verleihen, kann die Hand in den öffentlichen Schatz strecken, kann peinlich befragen, hängen und vierteilen lassen …

Er unterzeichnet: »Cäsar unseres Reiches«, und der Kaiser schreibt an ihn: »Cäsar Deines Reiches«. Kurzum, zwischen dem Kaiser und Cäsar ist weiter kein Unterschied wie der, dass… der Kaiser einen roten Hut und lauter rote Kleider [trägt], des Cäsars Hut und alle seine Kleider blau mit einer schmalen Goldborde [sind] …69

Mehrere Jahre lang kämpfte die Kompanie unter byzantinischem Kommando in Anatolien gegen die Türken und erwarb sich einen Ruf wie Donnerhall im Rauben und Plündern. Als die Disziplinlosigkeiten stärker zu Buche schlugen als der Nutzen, wurde sie von einem anderen Regiment byzantinischer Söldner zusammengetrieben und massakriert. Den Überlebenden drohte die völlige Vernichtung, und so sammelten sie Söldner aus den Balkanländern, Deserteure und Desperados um sich und starteten ihren Raubzug der »Katalanischen Rache«. Dabei nahmen sie auch Athen ein: »Einmal unter katalanischer Kontrolle, verwandelte sich Athen in einen katalanischen Ministaat. Die nominelle Abhängigkeit vom Herzogtum Achaia wurde gelöst. Katalanisch wurde zur offiziellen Sprache; das katalanische Recht ersetzte das byzantinische; und katalanische Beamten residierten im Parthenon, Herren, so weit ihr Auge reichte.«70 Das Herzogtum Neopatria (Neopatras) in Zentralgriechenland wurde zwischen 1319 und 1390 zusammen mit dem athenischen Herzogtum regiert und überlebte die aragonesische Herrschaft in Athen noch um ein Jahrzehnt.71

Aragóns herausragende Stellung in jener Zeit kann man daran ablesen, dass die Angeviner, nachdem sie Sizilien im Krieg verloren hatten, alles unternahmen, um die Insel durch diplomatischen und finanziellen Einsatz zurückzugewinnen. Im Jahr 1311 unterbreitete Robert von Neapel seinem aragonesischen Gegenüber in Palermo den Vorschlag, das »Königreich Trinakria« doch gegen das angevinische »Königreich Albanien« in Durazzo zu tauschen, zusammen mit angevinischen Rechten im Herzogtum Achaia. Das Angebot wurde abgelehnt, in den folgenden Jahren aber wiederholt aufgestockt, bis es neben Albanien und Achaia auch Sardinien, Korsika, alle früheren Templer-Besitzungen in Süditalien, eine Hälfte Siziliens und 100.000 Unzen Gold umfasste. Die Aragonesen waren nicht interessiert.72

Die schnelle Expansion der Krone Aragón und der starke Zuwachs seiner abhängigen Territorien führten unausweichlich zu Spannungen. Die Probleme können kaum auf eine »imperiale Überdehnung« zurückgeführt werden, wie sie etwa in einem stärker zentralisierten System hätte auftreten können.73 Vielmehr müssen sie als das Produkt zentrifugaler Kräfte gesehen werden, die die abhängigen Territorien vom Kernland wegzogen. Jüngere Zweige des Herrscherhauses brüskierten ihre ranghöheren Verwandten, autonome Regimes machten ihre eigene, unberechenbare Politik, und die Kluft zwischen dem Zentrum und der Peripherie wurde immer größer.

Jakob der Eroberer hatte diese Gefahren schon erkannt, als er den Plan entwickelte, die Kronlande in zwei gleiche Teile zu teilen. Er hatte gehofft, dass seine beiden Söhne im Interesse der dynastischen Harmonie kooperieren würden, doch die von ihm gewählte Lösung hatte genau das Gegenteil zur Folge. Kurz nach seinem Tod im Jahr 1276 brach ein brudermörderischer Konflikt zwischen dem Königreich Aragón und dem Königreich Mallorca aus, der über fünfzig Jahre lang schwelen sollte. Der Eroberer hatte zwei entscheidende Faktoren nicht voraussehen können: den ungeplanten Erwerb von Sizilien und das exponentielle Wachstum des mallorquinischen Handels – beides zusammen brachte die verschiedenen Teile seines Erbes aus dem fein austarierten Gleichgewicht. Die aragonesische Herrschaft in Sizilien führte zu einer endlosen Fehde mit den Angevinern, und zu allem Überfluss wurden große Teile des Kernlandes noch von bewaffneten Rotten aufständiger Adliger überrannt. Als der Schwarze Tod zuschlug, sagten viele, dass Gott sein Volk zu Recht strafe.

Das »Königreich der Größeren Insel« entstand 1276, als das Testament des Eroberers vollstreckt und seine Besitzungen aufgeteilt wurden. Peter III., der ältere Sohn, erhielt die alten Territorien der Dynastie im Süden und Westen der Pyrenäen, Jakob, der jüngere Sohn (Jakob II. von Mallorca, d. Red.), die Inseln vor der Küste, die kleineren Provinzen im Norden des Gebirges und ein paar entlegene Besitzungen. Sein Zentrum hatte Jakobs Reich auf Mallorca; seine Burg auf dem Festland errichtete er in Perpinya. Das Wappen des Reiches zeugt von seinen Ursprüngen: Über den vier vertikalen roten Streifen auf Gold, dem Emblem Kataloniens, liegt diagonal ein breites, meerblaues Band. Gleichzeitig verschob sich die innere Grenze zwischen Aragón und der Grafschaft Barcelona. Traditionell folgte sie dem Fluss Cinca; jetzt wurde sie nach Osten zum Segre hin verschoben, und dabei entstand die Franja, ein Grenzstreifen in Aragón, in dem die meisten Dorfbewohner Katalanisch sprachen (und auch heute noch sprechen).

Peter III. lehnte die hinter dem Plan seines Vaters stehenden Überlegungen ab und weigerte sich, seinen jüngeren Bruder als gleichrangig anzuerkennen. Nicht einmal drei Jahre später schickte er sein Heer vor die Mauern von Perpinya und forderte, dass Jakob sich in einem Huldigungsakt unterwerfen solle. Es sei nun einmal so, erklärte er, dass kein König sich den Wünschen eines anderen unterordnen solle. Jakob, der in der Falle saß, entschloss sich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Doch trotz des Vertrags von Perpinya, der im Jahr 1279 geschlossen wurde, ging der Streit weiter. Peters Anwälte behaupteten, dass die Vertragsbedingungen und der anschließende Unterwerfungsakt das Königreich Mallorca zu einem Lehen Aragóns gemacht hätten. Jakobs Anwälte erklärten, dass der Letzte Wille des Vaters das entscheidende Dokument bleibe.


Im Jahr 1285 schließlich wurde aus der juristischen Auseinandersetzung ein offener Krieg. Der französische König rüstete zu einem Feldzug nach Katalonien, um die aragonesischen Ambitionen in Sizilien zu blockieren. Doch dieser Schuss ging vollkommen nach hinten los. Aragón sammelte sich geschlossen hinter Peter III., die Franzosen wurden zurückgedrängt. Und da man glaubte, dass König Jakob II. mit den Eindringlingen gemeinsame Sache gemacht habe, besetzten Peters Truppen sein gesamtes Reich einschließlich der Balearen und hoben es praktisch auf. Päpstliche Intervention sicherte schließlich die Wiederherstellung als eigenes Königreich, doch die Verwundbarkeit des jüngeren Zweigs lag offen zutage.

Während der aragonesischen Besatzung wurde Menorca Opfer eines grausamen Vergeltungsaktes. Im Jahr 1287 zerschlugen die Aragonesen, zweifellos mit dem Ziel, sich die Taschen zu füllen, das Emirat von Menorca und trieben die gesamte muslimische Bevölkerung zusammen; 40.000 Seelen wurden auf die Sklavenmärkte Nordafrikas verschifft. Dieser brutale Akt, der weder auf Mallorca noch in Valencia eine Parallele fand, war ein Tiefpunkt in der düsteren Geschichte europäischer Sklaverei.74 Katalanische Kolonisten besiedelten die Insel neu, und die prächtige Hafenstadt Mahon zählte jetzt zur wachsenden Kette aragonesischer Stützpunkte.

Die königliche Fehde tobte weiter, doch trotz der politischen Verwerfungen und der Schlachten dieser Jahre blühte die Wirtschaft des jungen Königreichs. In der Landwirtschaft hielten neue Methoden Einzug, man begann mit der Herstellung und Verarbeitung von Textilien, und der Schiffbau entwickelte sich so weit, dass eine unabhängige Galeerenflotte auf Kiel gelegt werden konnte. Burgen und Paläste entstanden, vor allem das runde Castell de Bellver auf Mallorca und der Königspalast in Perpinya. Der Handel boomte, Mallorca wurde zur Drehscheibe des Seehandels zwischen Europa und Nordafrika. Hier übergaben die kleinen Küstenschiffe ihre Ladung an größere, seegängige Schiffe. Zudem gelangten seltene Luxuswaren über die Insel nach Europa – orientalische Gewürze, Gold und Kaurischnecken. Neue Handelsrouten nach Sizilien und Sardinien und sogar (weil Jakob III. in Achaia, der Heimat seiner Mutter, aufgewachsen war) nach Griechenland und dem mamelukischen Ägypten wurden erschlossen. Expeditionen erkundeten Routen über das Meer zu den Kanaren und nach Nordwesteuropa, in den Berberstaaten Nordafrikas wurden unabhängige mallorquinische Konsulate eingerichtet. Man hieß Genueser Kaufleute willkommen, die die Lonja dels generesos in Palma gründeten, und Mallorquiner drängten sich in den Atlantikhandel und ließen sich auch in London und Brügge sehen. Die Aufzeichnungen des »Kaufmanns von Prato«, Francesco Datini, zeigen, dass er iberische Wolle nach Italien importierte, aber nicht vom spanischen Festland, sondern von den Inseln. Die Hafenanlagen wurden für die aragonesische Flotte erweitert.75

Als Teil ihrer Strategie, die Einnahmen aus dem Handel zu maximieren, versuchten die Könige von Mallorca, eigene Schiffe einzusetzen und ihre Häfen für Schiffe aus Barcelona und Valencia zu sperren. So erhöhten sie zum Beispiel 1301 die Ankersteuer für katalanische Schiffe, die in Collioure anlegten, und zeigten damit ihre Absicht, sie als Ausländer zu behandeln. Der Vorstoß scheiterte allerdings und wurde durch die Forderung einer jährlichen Pauschalgebühr von 60.000 Pfund Silber ersetzt, doch auch die ließ sich nicht durchsetzen – Barcelona erklärte, Mallorca solle als Vasall die gleiche Summe für die Anerkennung der Ehe des Königs zahlen. Es war ein Katz-und-Maus-Spiel. Bald prägten die Mallorquiner ihre eigenen Münzen im Rosselló, und 1342 starteten sie sogar eine unabhängige Expedition zur Erkundung der Kanaren. In den Augen ihrer aragonesischen Cousins arbeiteten sie an einem Reich innerhalb des Reiches.76

In der Gesellschaft der Balearen war das Gleichgewicht zwischen Christen, Muslimen und Juden anders austariert als in anderen Gegenden. So gab es noch einige wenige freie Muslime auf Mallorca – die Mehrheit war leibeigen. Die Juden dagegen waren enorm erfolgreich. Sie bildeten ein kulturelles Netzwerk mit ihren Glaubensbrüdern in Barcelona, Perpinya und Montpellier, genossen eine gewisse Autonomie und partizipierten kräftig am boomenden Handel. El Call oder das »Ghetto« in Ciutat de Mallorca war ein wohlhabendes Viertel mit einer markanten Synagoge in der Mitte. Von einem isolierten Pogrom im Jahr 1391 einmal abgesehen, setzte hier eine allgemeine Verfolgung erst im 15. Jahrhundert ein.77

Der bei Weitem bekannteste Untertan des Königreichs war Ramón Llull (1232–1315). Dieser Philosoph, Romanautor, Sprachwissenschaftler und Versöhner der Religionen war kurz nach der Eroberung in Mallorca zur Welt gekommen, diente als Page am Hof des Eroberers, studierte an der Universität Montpellier und stieg bis zum Truchsess der »Größeren Insel« in Perpinya auf. Sein erstes Buch, Le Llibre de la cavalleria, beschäftigte sich mit den Prinzipien des Rittertums. Dann hatte er ein religiöses Erweckungserlebnis – und widmete sich fortan der Aufgabe, die drei großen monotheistischen Religionen zu harmonisieren. Llull konnte ebenso gut Arabisch wie Latein, er war bewandert in den Werken muslimischer wie jüdischer Philosophen. Viele Jahre arbeitete er im Franziskanerkloster Miramar am Berg Randa, bevor er auf langen Reisen Päpste und Fürsten traf, bis nach Georgien und Ägypten kam und an vielen ausländischen Universitäten lehrte. Beim Konzil von Vienne war er 1311 Zeuge, als der ihm am Herzen liegende Vorschlag zum Lehren orientalischer Sprachen zumindest nominell akzeptiert wurde. Er unternahm mehrere Missionen ins muslimische Nordafrika, wo er sich gelehrte Streitgespräche mit den ulema (Religionsgelehrten) lieferte und wo sein bemerkenswertes Leben schließlich auch endete.

 

Llulls Werke wurden von der Kirche immer misstrauisch beäugt, es fehlte ihnen aber nie an Bewunderern. Seine Ars major und Ars generalis enthalten jede Menge spekulative Philosophie. Sein Blaquerna wird manchmal als der erste Roman der Weltgeschichte angeführt, und seine Dichtung in El Desconort oder Lo Cant de Ramon ist wunderbar schlicht. Er erfand sogar eine Art kybernetische Maschine, mit der er seiner Ansicht nach die Rätsel allen Wissens lösen konnte. Völlig zu Recht ist Llull als »ein großer Europäer« bezeichnet worden.78

Sardinien kam während der vorübergehenden Aufhebung des Königreichs Mallorca zum ersten Mal ins Visier Aragóns, als Papst Bonifaz VIII., der Aragón als einen nützlichen Verbündeten gegen die lästige Republik Genua betrachtete, versuchte, Barcelona Sardinien wie auch Korsika zuzuschieben.

Das mittelalterliche Sardinien war in vier Judikate oder »Richterherrschaften« aufgeteilt, Gallura im Norden, Cagliari im Süden, Logudoro im Nordwesten und Arborea an der Westküste. Die herrschenden Richter waren Militärbeamte und Richter in einem, die viel Zeit damit verbrachten, sich um die Kontrolle der Burgen im bergigen Inneren der Insel zu streiten. An der Wende zum 14. Jahrhundert gehörten Gallura und Cagliari den Pisanern, Logudoro den Genuesen; Arborea blieb als einziges Judikat völlig unabhängig.

Der Infant Alfons aus der trinakrischen Linie belebte Aragóns Anspruch auf Sardinien neu. Seine militärische Expedition landete von Mallorca aus im Frühjahr 1323 auf der Insel:

Der Herr Infant hatte gute Witterung und vereinigte seine ganze Flotte bei der Insel San Pietro. Nachdem sie sich hier alle gesammelt, fuhren sie nach Palma de Sols, wo alle Reiter und Almogavaren landeten. Und alsbald erschien der Richter von Arborea mit seiner ganzen Macht und erkannte ihn als Herr, so wie ein großer Teil der Bewohner der Insel, und die Stadt Sassari ergab sich ihm. Daselbst beschlossen sie nach dem Rate des Richters die Stadt Iglesias zu belagern …

Als der Herr Infant die Stadt belagerte, ließ er sie täglich angreifen und beschießen und bedrängte sie dergestalt, dass sie ihre liebe Not hatten und nicht wussten, was sie anfangen sollten. Auch der Herr Infant und sein ganzes Heer litten so arg an Seuchen, dass der größte Teil der Truppen starb und er selber hart danieder lag. Ja, sicherlich wäre er in großer Todesgefahr gewesen ohne die sorgfältige Pflege der Frau Infantin, … So krank aber auch der Herr Infant war, so ließ er sich doch weder durch die Ärzte noch durch sonst einen Menschen zum Abzug bewegen, ja manchmal in der Fieberhitze griff er zu den Waffen und schwenkte sie wie zum Kampf. So brachte er durch seine Ausdauer … die Stadt zur Übergabe. Daraufhin hielt der Herr Infant mit seiner Gemahlin und dem ganzen Heere seinen Einzug in die Stadt, besetzte sie tüchtig mit unseren Truppen … Hernach zog er nach Cagliari und baute vor dem Castell dieser Stadt ein anderes nebst einer Stadt, die nannte er Bonaire.79

Am 24. April 1326 wurde das Königreich Sardinien ausgerufen. Nur Arborea leistete noch ernst zu nehmenden Widerstand.

Die aragonesische Herrschaft in Sardinien war nicht ganz unparteiisch. Das Coeterum-Privileg von 1324 schaffte das pisanische Recht ab und führte eine Gesetzgebung ein, die die Neuankömmlinge bevorzugte. Alle öffentlichen Ämter waren Katalanen, Mallorquinern und und Aragonesen vorbehalten. Seit 1328 wurde bei Einbruch der Nacht eine Trompete von den Zinnen von Cagliari geblasen – als Mahnung an alle Sardinier, die Stadt zu verlassen. Ein Parlament ähnlich den Corts von Barcelona entstand. Die drei Stände der Feudalherren, der Geistlichkeit und der königlichen Beamten kamen in getrennten Kammern zusammen und hatten beratende Funktion. Im Jahr 1354 wurde die Hafenstadt Alghero von Katalanen besiedelt, deren Nachkommen bis auf den heutigen Tag Katalanisch sprechen.

Das Leben und die Herrschaft Peters IV. (1319–1387) bilden das Herzstück des aragonesischen 14. Jahrhunderts. Als Sohn von Alfons IV. und Teresa d’Entença, Erbin von Urgell, trat er 1336 die Thronfolge an und erbte ein Herrschaftsgebiet, das sich quer über das Mittelmeer von Valencia bis nach Athen erstreckte. Wegen der strengen Etikette, die an seinem Hof herrschte, wurde er auch El Ceremonioso genannt, und El Punyalet, »der Dolch«, nachdem er mit einem solchen in seiner Wut eine vorgelegte Charta adliger Freiheitsrechte und gleichzeitig einen eigenen Finger durchschnitten hatte. Er führte sein Leben lang Krieg: gegen seine Verwandten, gegen den Adel und gegen seinen Nachbarn und Namensvetter Peter den Grausamen von Kastilien. Vor 1348 schlug er einen bewaffneten Adelsaufstand nieder, überlebte die Seuche, die seine Gemahlin Leonora von Portugal dahinraffte (der Schwarze Tod war eine deutliche Zäsur in seiner Regierungszeit), und zwang das Königreich Mallorca zur Huldigung. Viele Ereignisse dieser Regierung sind in der Chronik, die er persönlich in Auftrag gab, ausführlich dargestellt.80

Die beiden Zweige der Familie Jakobs des Eroberers heirateten in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in der Hoffnung auf eine Versöhnung wiederholt untereinander, doch zu einer Vereinigung der Reiche kam es nicht. Das Königreich Mallorca wurde schließlich aufgehoben, als Aragón seine Existenz nicht mehr ertrug: Die Handelspolitik der Mallorquiner ärgerte Barcelona. Ihre über Montpellier noch immer guten Verbindungen zu Frankreich weckten Verdacht. Und der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war die Nachricht, dass sie mit den Genuesen Intrigen spannen. Peter IV. beschloss zu handeln. Im Jahr 1343 brachte die katalanische Flotte Soldaten auf die Balearen, ein Jahr später stürmte ein aragonesisches Heer Perpinya und trieb den mallorquinischen Hof ins Exil. Jakob III., der letzte mallorquinische Herrscher, verkaufte in seiner Verzweifelung 1349 Montpellier, weil er Geld für eine Expedition zur Rückeroberung Mallorcas brauchte. Doch auch dieses Wagnis zahlte sich nicht aus. Er starb auf dem Schlachtfeld von Llucmajor im Süden Mallorcas, und sein »kurzlebiges Reich« starb mit ihm.81 Die gesetzlichen Ansprüche der mallorquinischen Line blieben zwar aktuell, solange es noch direkte Erben Jakobs III. gab, doch sein Sohn, nominell Jakob (Jaime) IV., lebte in Neapel als Gemahl der berüchtigten Königin Johanna I.

Peters entschlossenes Handeln brachte den monarchischen Konsolidierungsprozess zum Abschluss. Um das Auseinanderbrechen der Krone Aragón zu verhindern, war zu Zeiten seines Vaters entschieden worden, dass »wer immer in Aragón herrscht, auch in Katalonien und Valencia herrscht«. Jetzt vereinnahmte der König auch die Territorien der »Größeren Insel«.

In ihren Ursprüngen wie in ihren Ergebnissen spiegelte die Adelsrevolte des (zweiten) »Vorrechts der Union«, die 1347 losbrach, eine tiefe gesellschaftliche und politische Unruhe wider. Der königliche justiciar hatte bestimmt, dass »ein Herr seinen Vasallen misshandeln darf, wenn es dafür einen gerechten Grund gibt«, und damit waren die Leibeigenen ihren adligen Unterdrückern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Die wenigen erhaltenen Gerichtsakten in Bezug auf Beschwerden gegen obrigkeitliche Übergriffe geben die »gequälten Stimmen« einer praktisch unsichtbaren Unterschicht wieder.82 Nach bester aragonesischer Manier setzten die Anführer der Union auch das Recht auf Rebellion gegen den König auf ihre übliche Liste von Privilegien und Forderungen. Dass die Halbbrüder des Königs, die den Verlust ihrer Spitzenpositionen in der Thronfolge fürchteten, ihr Anliegen unterstützten, steigerte das Allmachtsgefühl der Rebellen noch.83

Doch die Union hatte sich einen beweglichen und hartnäckigen Gegner gewählt, der zudem über einsatzbereite Verbündete vor allem in Katalonien verfügte. Anfangs gelangen den Rebellen Vorstöße tief in das Gebiet von Valencia und Aragón hinein, aber dann zerstritten sie sich immer mehr, als der König unerwartet zu gewissen Konzessionen bereit war. Während sie noch diskutierten, wandte sich der König an die wohlhabenden Kaufleute von Barcelona, die ihn mit Geld und Söldnern ausstatteten. Die Rebellion brach in der blutigen Schlacht von Epila nahe Zaragoza im Juli 1348 in sich zusammen. Nach seinem Sieg widerrief der König das Privilegio de la Unión von 1287 zusammen mit allen anderen Privilegien, die Bezug auf das adlige Recht auf Rebellion nahmen. Gleichzeitig schwor er, die althergebrachten Freiheiten seiner Untertanen zu wahren, stärkte im Gegenzug aber die Machtbefugnisse des justiciar, dessen verfassungsrechtliche Vorrangstellung aus dieser Zeit stammt. Er erreichte einen vernünftigen Kompromiss und widerstand der Versuchung, in einen königlichen Despotismus zu verfallen.84