Verschwundene Reiche

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

ractria riallü trin orthoret,

tebïhïc tan teryd druï cïnneüet.

Dïu Maurth guisgassant eü cein dühet

Diu Merchyr bü guero eü cïtunet …

Die Anführer wahrten den Lobpreis der verdienten Ehre

wie ein helles Feuer, das gut angefacht wurde.

Am Dienstag legten sie ihre dunkle Deckung an.

Am Mittwoch war ihr gemeinsames Ziel bitter.

Am Donnerstag wurden Gesandte als Pfand geschickt.

Am Freitag wurden Leichen gezählt.

Am Samstag handelten sie rasch gemeinsam.

Am Sonntag wurden ihre roten Klingen neu verteilt.

Am Montag sah man einen Strom von Blut, hoch bis zum Oberschenkel.

Ein Mann von Gododdin erzählt, dass, als sie zurückkamen

vor Madawgs Zelt nach dem erschöpfenden Ende der Schlacht,

nur einer von hundert zurückkehrte.41

Wie viele Fachleute festgestellt haben, besitzen Kriegerethos, poetische Überspitzung und der konkret erfahrbare Kult des Todes und des Blutbads eine zeitlose Qualität. Dies sind Kelten, die gegen Angeln kämpfen, aber ohne allzu viele Veränderungen könnte es sich auch um die Schar Agamemnons vor Troja handeln. Der Herr von Alt Clud ritt in der Vorhut:

Moch arereith ï – immetin

pan – crïssiassan cïntäränn i-mbodin …

Er erhob sich früh am Morgen

Als die Anführer der Hundertschaften sich eilten, das Heer aufzustellen,

Bewegte sich von einer vorgeschobenen Stellung zur anderen.

An der Spitze von einhundert Männern sollte er der Erste sein, der tötete.

So groß war seine Sehnsucht nach Leichen

Wie nach Met oder Wein.

Es war mit blankem Hass,

Dass der Herr von Dumbarton, der lachende Krieger, Den Feind tötete.42

Doch diesmal blieb ihm das Lachen im Halse stecken. Die Vorhut der anglischen Truppen hatte sich zurückgezogen und ihre Gegner in die Marschrichtung einer zweiten anglischen Armee gelockt, die von Deira heraufzog. Bei Catraeth (dem heutigen Catterick) stießen sie aufeinander. Es war ein entsetzliches Blutbad, selbst für eine Gesellschaft, die vom Krieg lebte, und das nordbritische Heer wurde aufgerieben: nur einer der dreihundert Anführer kehrte zurück. Yrfai und Cynon und die meisten ihrer Gefährten wurden erschlagen:

E tri bet yg Kewin Kelvi …

Die drei Gräber auf den Höhen von Celvi,

Die Eingebung hat sie mir bezeichnet:

[Sie sind] das Grab Cynons mit den wilden Brauen,

Das Grab Cynfaels und das Grab Cynfelis.43

Damit war der Weg frei für die Angeln, die ihren unerbittlichen Vormarsch wieder aufnahmen.

Die politischen Folgen der Schlacht bei Catraeth zeigten sich in den nächsten Jahrzehnten. Die Angeln von Bernicia strömten nach Norden und überrannten Gododdin – schon 631 war aus Dun Eidyn Edinburgh geworden (burgh mit der Bedeutung »Festung« war einfach eine Übersetzung des keltischen dun). Und sie nahmen den Angriff auf Rheged wieder auf, den Urien hatte bremsen können. In einer früheren Auseinandersetzung hatten die Männer von Deira den Bewohnern von Luguvalium bei Aderydd (dem heutigen Arthuret nahe Longtown in Cumbria) eine ähnliche Niederlage wie in Catraeth beibringen können und hatten Myrddin (Merlin), den Barden der Stadt, angeblich gezwungen, Zuflucht im »Wald von Cellydon« (was sehr nach Caledonia, der lateinisch-keltischen Bezeichnung für Schottland klingt) zu suchen. Jetzt konnten die Angeln mit doppelter Heeresmacht nach Rheged einziehen und furchtbare Rache üben. Ihnen folgten Siedler, die sich auf Dauer dort niederließen.

Uriens Königslinie verschwindet aus der Geschichte. Der letzte König von Rheged, der vertriebene Llywarch Hen, findet am walisischen Hof von Powys Aufnahme, und Rheged selbst geht unter. Binnen kurzem ist die Präsenz der Angeln im Norden von einer Küste bis zur anderen gesichert; Bernicias Expansionsdrang lebt wieder auf; und die Briten von Dumbarton Rock sind noch immer von ihren Landsleuten abgeschnitten.

Der religiöse Konflikt spitzte sich in den 660er-Jahren zu. Auslöser waren oft religiöse Riten oder theologische Fragen, wie etwa die Berechnung des Osterfestes, doch im Grunde ging es um einen brutalen Machtkampf. Der Norden war von keltischen Missionaren bekehrt worden; von Ninian, Columban und Rhun, dem Sohn Uriens und Bischof von Luguvalium, der angeblich Edwin von Northumbria getauft hatte, und von dem Iren Aidan, der um 635 den Bischofssitz Lindisfarne einrichtete. Doch die römische Mission, die eng mit der Expansion der angelsächsischen Macht verbunden war, setzte sich unerbittlich durch. Im Jahr 664 rief Oswy von Northumbria, der weitaus stärker war als seine Vorgänger, die Synode von Whitby zusammen. Trotz seiner persönlichen Beziehungen zum keltischen Christentum entschied er sich zugunsten der römischen Partei und ernannte den hl. Wilfrid zum Bischof von Northumbria. Von diesem Zeitpunkt an marschierte die anglische Regierung Hand in Hand mit dem römischen Glauben. Nach nur fünf Jahren behauptete Wilfrid, er sei »Bischof von Piktlandes«. »Es stellte sich heraus, dass Gott neben Latein auch Englisch sprach, aber nicht Gälisch.«44

Es stellte sich auch heraus, dass Wilfrid allzu optimistisch gewesen war. Nechtansmere, der anglische Name einer Stätte, die die Briten entweder Llyn Garan, »Reiherteich«, oder Dunnicken, die »Festung des Nechtan« nannten, liegt ein gutes Stück nördlich des Firth of Forth, nahe Forfar in der heutigen Grafschaft Angus. Beda erwähnt den Ort in Verbindung mit dem Beginn des Niedergangs von Northumbria, denn dort in Nechtansmere wurde um drei Uhr am Samstagnachmittag, dem 20. Mai 685, das Heer des Ecgfrith, Sohn des Oswy, König von Northumbria, durch die verbündeten Truppen von Piktland und Alt Clud unter einem Kriegerhäuptling mit dem großartigen Namen Bridei map Bili aufgerieben. Ecgfrith und seine gesamte königliche Leibgarde wurden niedergemacht. »Als der König … im darauffolgenden Jahr unüberlegt ein Heer in das Land der Pikten führte, um es zu verwüsten, wurde er durch die Feinde … in die Enge unzugänglicher Berge geführt und mit dem größten Teil der Truppen, die er mitgebracht hatte, … getötet.«45 Die Angeln sah man in dieser Gegend nie wieder.46

Brideis Sieg wurde, ungewöhnlich für die »Dunklen Jahrhunderte«, sogar mit einem erhaltenen Denkmal, dem sogenannten Skulpturenstein von Aberlemno, gefeiert. Er steht auf einem Friedhof nur knapp zehn Kilometer vom Schlachtfeld entfernt und zeigt als einziger piktischer Symbolstein eindeutig eine Schlacht:

[Die Darstellung] liest sich wie ein Comicstrip in einer Zeitung mit vier von oben nach unten angeordneten Szenen. In der ersten jagt ein Berittener, der vielleicht Bridei sein soll, einen anderen Krieger zu Pferde. Auf der Flucht hat der Letztere Schild und Schwert weggeworfen. Dieser Mann könnte Ecgfrith sein … der sich umwendet und flieht in dem Moment, als ihm klar wird, dass er in einen Hinterhalt geraten ist. Durch seinen Helm ist der flüchtende Krieger als Northumbrier zu identifizieren. Bei Ausgrabungen am Coppergate in York wurde ein sehr ähnliches Exemplar, abgerundet mit langem Nasenschutz, gefunden.“47

Die zweite Szene zeigt Ecgfrith oder einen anderen Northumbrier zu Pferde mit der gleichen Art Helm, wie er eine Gruppe piktischer Fußsoldaten angreift. Der Bildhauer verstand offenbar etwas von Kriegstaktik, denn er stellte die Männer sorgfältig in der richtigen Schlachtformation in drei Reihen dar. Vorn stand ein Krieger mit Schwert und einem runden, gebogenen Schild mit vorspringendem Buckel. Wenn die Reiterei der Gegner angriff, musste er der Wucht des Zusammenpralls standhalten. Zu seiner Unterstützung stand ein weiterer Mann direkt hinter ihm mit einem langen Speer, der weit über die erste Reihe hinausragte. Hinter den beiden Kriegern, die den Feind angriffen, stand ein dritter Speerträger in Reserve. Die ganze langgezogene Schlachtlinie entlang sollte eine Reihe blitzender Speerspitzen die Angreifer abschrecken und die Pferde dazu bringen, dass sie scheuten oder den Angriff verweigerten. In einer dritten Szene im unteren Teil des Steins stehen Bridei und Ecgfrith einander zu Pferde gegenüber. Ecgfrith scheint gerade seinen Speer zu schleudern, während Bridei sich bereit macht, ihn abzuwehren. Und in einem letzten Akt, ganz unten in der rechten Ecke, liegt Ecgfrith tot auf dem Schachtfeld. Ein Aas fressender Rabe, das Symbol der Niederlage, pickt an seinem Hals.

Der Skulpturenstein von Aberlemno ist Ausdruck des piktischen Nationalstolzes. Er entstand ein Jahrhundert nach dem großen Sieg und verkündete eine ebenso schlichte wie kraftvolle Botschaft: Piktland ist anders. Und im Jahr 685 »war diese einzigartige Identität durch Waffengewalt bewahrt worden«.48

Es gibt keinen Grund, die Kontinuität von Alt Clud im 7. Jahrhundert infrage zu stellen, doch alle Königsnamen sind zweifelhaft, und man kann gewisse Überlappungen mit den Herrschern von Piktland feststellen. Rhydderch Hael scheint keine Söhne gehabt zu haben. Der Thron ging auf Nwython (Neithon, Nechtan) über, der möglicherweise mit Nechtan, König des piktischen Fortriu, identisch ist († um 621), nach dem vielleicht Nechtansmere benannt wurde. Nwython war der Vater von Beli (oder Bili I.) und Großvater von Ywain (Owen, Owain) wie auch von Brude (Bridei). Owen von Dumbarton Rock ging im Jahr 642 als Sieger aus der Schlacht von Strathcarron hervor, in der der König von Dalriada fiel, während sein Bruder oder Halbbruder Bridei map Bili, der in Fortriu regierte, bei Nechtansmere siegte.49 Hinweise auf eine weitere Reihe zweifelhafter Namen tauchen von Zeit zu Zeit in den Annalen von Ulster auf, was zeigt, dass die Monarchen von Alt Clud in ihrer Rivalität mit Dalriada nicht zögerten, den Krieg auch über das Meer nach Irland zu tragen.

 

Nechtansmere hatte bleibende Folgen. Die Schlacht beendete eine Phase, in der das Kriegsglück an der anglisch-piktischen Grenze mal diesem, mal jenem hold gewesen war und das Grenzland mehrmals den Besitzer gewechselt hatte. Doch nach Nechtansmere wichen sowohl die Pikten wie auch die Briten von Dumbarton Rock nicht mehr von der Stelle. Die Angeln ließen sich dauerhaft im Süden des Firth of Forth nieder und wagten sich nicht über ihre Festung in Stirling hinaus. Sie kolonisierten Galloway und das frühere Aeron (Ayrshire) im Südwesten, aber sie kamen nicht bis zum Clyde. In ihrem Siedlungsgebiet führten sie ihren besonderen Dialekt des Altenglischen ein, der gemischt mit lokalen Dialekten zur Entstehung einer Sprache namens »Lallans« oder »Lowland Scots« führte.50 Fortan trugen nördlich und westlich der Angeln die gälischen Skoten, die Pikten und die Briten einen neuen dreiseitigen ethnischen Wettstreit aus. Grob gesagt gewannen die Skoten darin die Oberhand über die Pikten, bevor die Piktoskoten die Briten übermannten. Das Ganze dauerte vielleicht 250 Jahre.

Das 8. und die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts sind die dunkelsten überhaupt. Historische Aufzeichnungen über die langen Jahrzehnte zwischen Nechtansmere und den Einfällen der Wikinger sind dünn gesät. Trotz gelegentlicher Lichtblicke ergibt sich keine durchgehende Geschichte. Während die northumbrischen Angeln sich südlich von ihnen verschanzten und die sich bekriegenden Skoten und Pikten im Norden allmählich zusammenwuchsen, waren sich die Briten am Clyde selbst genug. Es gab keine berühmten Herrscher, keine gewaltigen Schlachten, keine im Gedächtnis haftenden Gedichte, keine erhaltenen Chroniken. Die Quellen bieten keine Anhaltspunkte etwa zum Thema Seemacht. Man hört nichts von Expeditionen über das Meer. Man weiß nichts über die Größe der bewaffneten Patrouillen, die womöglich am Firth of Clyde aufgeboten wurden, um die Schifffahrt zu überwachen und die Steuereintreiber des Königreichs zu schützen. Nichts von alledem hat überlebt, wenn man von gelegentlichen Bemerkungen in Texten, die das Handeln anderer beschreiben, einmal absieht. Von den verschiedenen Völkern, die an der Entstehung Schottlands beteiligt waren, »sind es die Briten, über die man am wenigsten weiß und über die am wenigsten geschrieben worden ist«.51

Über die territoriale Ausdehnung des Königreichs von Alt Clud kann man für einen Großteil dieser Zeit deshalb nur spekulieren. Nach dem Fall von Rheged und Gododdin blieben die Nachbarn des Königreiches dieselben. Im Westen und Nordwesten kontrollierten die Skoten von Dalriada die meisten Inseln und Landzungen. Der außergewöhnliche Senchus oder das »Register« von Dalriada – eine Art Vorläufer des Domesday Book – zeigt, dass Kintyre zu den wichtigsten Regionen zählte.52 Es lässt im Umkehrschluss auch vermuten, dass die Steuereintreiber von Alt Clud nicht weiter als bis Bute und Arran kamen.

Die Hauptsorge war wohl darauf gerichtet, die Seewege des Firth zu sichern. Im Norden markierte der Clach nam Breatan oder »Britische Stein«, der noch immer in Glen Falloch über der Nordspitze von Loch Lomond zu sehen ist, die traditionelle Trennlinie zu den Pikten. Jenseits davon lagen das fruchtbare Strathearn-Tal und die piktische Provinz Fortriu. Im Osten und Süden grenzte Alt Clud an Northumbria. Es umfasste die Täler der Zuflüsse und die umliegenden Höhen des Clyde-Beckens, aber nicht viel mehr. Ein wichtiger Grenzposten befand sich wahrscheinlich in der Nähe des heutigen Kelvinhead, ein anderer in der Nähe von Beattock. Die internen Kommunikationswege waren kurz, sei es über den Fluss oder über das Meer. Es gab Land für den Ackerbau und die Viehzucht, außerdem Wald. Der Ring der Hochlandhügel bot ein geschütztes Klima und gute Verteidigungslinien.

Doch im Großen und Ganzen verfügte das Königreich nicht über die gleichen Ressourcen wie die Nachbarstaaten. Northumbria war mindestens doppelt so groß. Der Zusammenschluss der Pikten und der Skoten sollte eine weitere große Macht hervorbringen. Im Laufe der Zeit wurde es für das Königreich von Alt Clud immer schwerer, Schritt zu halten. Alles weist darauf hin, dass Dalriada über beträchtliche Seefahrtskapazitäten verfügte.53 Man darf annehmen, dass die Herren von Dumbarton Rock ähnliche Vorkehrungen zu treffen suchten, aber nicht mithalten konnten.

Zur Zeit der Schlacht von Nechtansmere war Piktland noch heidnisch gewesen, und das Christentum im Norden fand erst allmählich zu einer gewissen Form. Eine Zeit lang konkurrierten die northumbrischen Angeln bei der Bekehrung der Pikten mit den Skoten von Dalriada, und das Ende ihrer eigenen territorialen Expansion bedeutete noch nicht das Ende ihrer religiösen Ambitionen. Die ersten beiden Amtsinhaber eines northumbrischen Bistums in Whithorn waren Penthelm, »Anführer der Pikten«, und Pentwine, »Freund der Pikten«. Whithorn grenzte nicht an Piktland, aber eine gewisse christliche Mission gehörte offenbar zum Auftrag des Bistums. Zur gleichen Zeit vertrieb Nechtan, König der Pikten (reg. 706–724), die Mönche von Iona und bat Bedas Vorgesetzten, den Abt von Jarrow, um Rat, wie man eine Kirche nach römischem Vorbild gründen könne. Später schrieb man ihm pauschal die Bekehrung von Piktland zu. Tatsächlich aber führte er wahrscheinlich nur flächendeckend den römischen Ritus ein. Sein Nachfolger Oengus I. (reg. 729–761) ging einen Schritt weiter, holte die Reliquien des hl. Andreas aus Byzanz und errichtete ihnen eine Kultstätte an der Küste ganz im Osten seines Landes. Für die Menschen in Alt Clud, die den hl. Mungo verehrten, änderte sich dadurch allerdings wohl nichts.

Das Jahr 731 ist das Datum des eindeutigsten Hinweises auf Alt Clud überhaupt. In seiner Kirchengeschichte des englischen Volkes erwähnt Beda, der nur vier Jahre später starb, den Firth of Clyde »ubi est civitas Brettonum muniüssima usque hodie quae vocatur Alcluith«, »wo sich eine Stadt der Briten befindet, die bis zum heutigen Tag stark befestigt ist und Alcluith heißt«. An anderer Stelle nennt er »urbem Alcluith, quod lingua eorum significavit Petram Cluit; est enim iuxta fluvium nominis illius«, »die Stadt Alcluith, was in ihrer Sprache Felsen des Clyde heißt; sie liegt nämlich am Fluss dieses Namens«. Er hält auch fest, dass sich das Westende des Antoninuswalls in der Nähe befindet. Beda lebte in Jarrow, nicht einmal 300 Kilometer entfernt. Seine Aussage, dass Alcluith »bis zum heutigen Tag« stark befestigt war, ist ein schlagender Beweis dafür, dass Dumbarton Rock bewohnt war und aktiv verteidigt wurde.54 Zwanzig Jahre später finden wir einen weiteren kurzen, aber eindeutigen Hinweis im walisischen Brut y Tywysogion, der »Fürstenchronik«:

DCCL. Deg mlyned a deugeint a seith cant oed oet Crist pan vu y vróydyr róg y Brytanyeit ar Picteit yg góeith Maesydaóc, ac lladaód y Brytanyeit Talargan brenhin y Picteit. Ac yna y bu uaró Teódór map Beli.

Siebenhundertfünfzig war das Jahr Christi, als die Schlacht zwischen den Briten und den Pikten stattfand, der Kampf bei Maesydog, und die Briten Talargan, den König der Pikten, töteten. Und dann starb Tewdwr, Sohn des Beli.55

Diese kryptische Nachricht stimmt mit anderen Informationsschnipseln walisischer wie irischer Herkunft überein. Teudebur map Beli, Sohn von Beli II., König von Alt Clud, kommt in den Harleian Genealogies als ein Zeitgenosse des Oengus macFerguson von Piktland vor, dessen Bruder Talorgen in Maesydaóc/Mygedawc – wohl das heutige Mugdock auf halbem Weg zwischen Dumbarton und Stirling – starb. Die irischen Annalen von Tigernach notieren den Tod von »Taudar mac Bili, ri Alo Cluaide« auf das Jahr 752.56 Mit dem Tod von König Teudebur/Taudar begann eine Zeit dynastischer Unruhen. Den umkämpften Thron sicherte sich zunächst der Sohn des verstorbenen Königs, Dynfwal (Dumnagual) map Teudebur, doch fast sofort fielen die verbündeten Krieger der Pikten und Angeln wie Aasgeier in sein Königreich ein. Am 1. August 756 übergab König Dynfwal Dumbarton Rock an Oengus, König der Pikten, und Eadberht, König von Northumbria; die Bedingungen dieser Unterwerfung kennen wir nicht. Nur zehn Tage später wurden Eadberht und sein Heer auf dem Rückmarsch »zwischen Ouania und Niwanbrig« plötzlich vernichtend geschlagen. Der einzige mögliche Übeltäter war Oengus, den ein Nachfolger Bedas als »tyrannischen Schlächter« bezeichnet, ohne ihn allerdings direkt dieses hinterhältigen Verbrechens anzuklagen. Der Fluss Ouania oder Avon, ein walisischer Name, war wohl der Avon in West Lothian, und Niwanbrig oder »Newbridge«, ein anglischer Name, lag irgendwo jenseits der Grenze zu Northumbria. Die piktisch-northumbrische Allianz war dahin, und das Königreich Alt Clud bekam noch einmal eine Atempause.

Eine ständige Bedrohung stellte allerdings das Bündnis zwischen Pikten und gälischen Skoten dar, dem zweifellos auch die letzte Christianisierungsphase des Piktlandes Vorschub leistete. Es ging dabei um drei parallel ablaufende Vorgänge. In der kulturellen Sphäre lieferten die gälisch sprechenden Skoten, die schon lange Christen waren, den gebildeten Klerus, der die Bekehrung vorantrieb. Es fiel ihnen vermutlich nicht schwer, ihren piktischen Konvertiten nicht nur ihre religiösen Überzeugungen, sondern auch ihre Sprache zu vermitteln. (Ihren Erfolg kann man vielleicht mit dem der angelsächsischen Geistlichen vergleichen, die später die heidnischen Dänen des Danelag christianisierten und zugleich anglisierten.) Zeitgleich wanderten in der geografischen Sphäre die Gälen ostwärts, mischten sich mit den Pikten und bildeten einen stabilen skotischen Siedlungsgürtel von Argyll bis Fife. Als die erste erhaltene Liste der Provinzen Piktlands geschrieben wurde, trugen zwei von ihnen gälisehe Namen. Atholl, was »Neuirland« bedeutet, liegt östlich der gebirgigen Wasserscheide; Gobharaidh oder »Gowrie« liegt nördlich des Tay rund um das heutige Perth. In der politischen Sphäre entstanden noch engere Beziehungen zwischen den Herrscherhäusern Dalriadas und Piktlands, bis sich die Unterschiede völlig verwischten. Da Edinburgh noch lange in northumbrischer Hand blieb, entstand die Hauptstadt des aufstrebenden Königreichs in Dunkeld. Der heilige Krönungsstein wurde in der nahe gelegenen Abtei Scone untergebracht.57 Aus Sicht der Nordbriten entstand hier durch die Verbindung zweier alter Feinde ein neuer und noch gefährlicherer Rivale.

Die Manöver, durch die sich die gälischen Dynasten von Dalriada mit ihren Pendants in Piktland zusammenschlossen, kann man heute nicht mehr genau nachvollziehen. Ein piktischer König, Oengus I. macFerguson, stammte angeblich aus Argyll. Ein anderer, Oengus II. (reg. 820–834), schuf ein Jahrhundert später für kurze Zeit ein gemeinsames Reich, das sich von einem Meer bis zum anderen erstreckte. Doch dann kam es wegen eines Thronfolgestreits zum Bürgerkrieg; und es verging ein Jahrzehnt, bevor der gälische Prätendent, Cinaed mac Alpin, besser bekannt als Kenneth macAlpin (810–858), sich den Thron als »König der Pikten« sicherte. Später schrieb man macAlpin im Allgemeinen die Schaffung des ersten vereinigten »Königreichs Schottland« zu, doch dieser Ruhm gebührt ihm vielleicht gar nicht. Unter seinem Sohn Konstantin I. (reg. 863–877, Gründer von Dunkeld) wurden Argyll und Piktland noch immer als getrennte Einheiten regiert, und womöglich wurde der Zusammenschluss dauerhaft erst unter Konstantin II. (reg. 900–943) vollzogen. »Alba«, der gälische Name des Königreiches, taucht in macAlpins Zeit noch nicht auf; der Name »Schottland« wurde nur von Außenstehenden verwendet.

Irgendwann im Laufe der piktisch-gälischen Verschmelzung wurde der Apostel Andreas zum Schutzpatron des Königreichs Alba. Der Legende zufolge bekam ein König Oengus die Reliquien des Heiligen geschenkt; das Kloster Cennrigmonoid (der Kern des heutigen St Andrews), das zum Zentrum der Verehrung des Heiligen wurde, stammt aus der Mitte des 8. Jahrhunderts. Die Flagge des Königreiches Alba zeigt das weiße Andreaskreuz auf blauem Grund.

 

Seine Stabilität erlangte der Zusammenschluss vor allem unter dem Druck der Wikingereinfälle. Seeräuber aus Skandinavien drangen gegen Ende des 8. Jahrhunderts unter lautem Getöse ein. Sie segelten von Norden her die Küsten entlang, zerstörten 793 Lindisfarne und 795 Iona, eroberten dann die Isle of Man und siedelten in Irland, Sutherland, Orkney und Shetland. Jener erste Angriff auf Lindisfarne fand einen ähnlichen Widerhall wie die Ankunft Idas des Flammenträgers 250 Jahre zuvor. Der Autor der Angelsächsischen Chronik berichtet angsterfüllt:

AD 793. In diesem Jahr kamen entsetzliche Vorwarnungen über das Land der Northumbrier, die die Menschen ganz jämmerlich erschreckten: das waren große Lichtwände, die durch die Luft sausten, und Wirbelwinde und wilde Drachen, die über das Firmament flogen. Diesen furchtbaren Vorzeichen folgten kurz darauf eine Hungersnot und am sechsten Tag vor den Iden des Januar … grauenvolle Überfälle heidnischer Männer, die in der Kirche Gottes auf der Heiligen Insel eine elende Verwüstung anrichteten, dann Plünderung und Gemetzel.

Die Wikinger wollten – wie schon die Skoten und die Angeln vor ihnen – bleiben.

Der Nordwesten Britanniens war besonders verwundbar. In den 830er-Jahren machten die eindringenden Wikinger das unter der Herrschaft Dalriadas stehende Argyll unsicher, verheerten die Küstensiedlungen und drangen plündernd tief ins Binnenland vor. Im Jahr 839 marschierte ein Trupp Wikinger in das piktische Kernland Fortriu ein und tötete die beiden Söhne Oengus’ II. Die Nordmänner ließen sich nicht dort nieder, schufen jedoch die nötigen Voraussetzungen für die Thronfolge Kenneth macAlpins, des damaligen Herrschers von Argyll.

Ein noch größeres Durcheinander sollten die Wikinger im benachbarten Königreich Alt Clud anrichten. Kommentatoren schreiben, das Reich von Dumbarton Rock habe in jener Zeit »offenbar unter fremder Herrschaft gestanden« oder sei »anscheinend in den Hintergrund gedrängt worden«.58 Die näheren Umstände allerdings werden nirgendwo beschrieben. Die »Fremdherrscher« könnten Wikinger oder Pikten gewesen sein, aber auch »Skoten« aus Dalriada, oder vielleicht eine Kombination verschiedener fremder Mächte. Ein einzelner Zwischenfall ist für die Zeit um 849 festgehalten: »Die Briten brannten Dunblane nieder.« Dunblane liegt in Piktland, nahe Stirling. Unter anderem besteht die Möglichkeit, dass die Briten aus Dumbarton Rock sich schon gegen die wachsende Macht einer piktisch-gälischen Vereinigung zu wehren begannen, die in den folgenden Jahrzehnten nur noch stärker werden sollte.

Gegen Ende der 860er-Jahre bestand die Gefahr, dass die Wikinger die gesamten Britischen Inseln überrennen würden. Sie hatten sich eine wichtige Ausgangsbasis in Dublin geschaffen, von wo aus sie nach ganz Irland und an die Westküste Britanniens ausschwärmten. Auch London, East Anglia und Humberside in späteren Danelag standen unter ihrer Herrschaft. Unter den angelsächsischen Reichen leistete nur Wessex ernsthaften Widerstand. König Alfred von Wessex (reg. 871–899) entkam ihnen nur mit Glück. Weiter im Norden hatten die skandinavischen Plünderer, die den Mersey, den Solway und den Humber hinaufsegelten, eine nordische Gemeinde im Lake District im früheren Königreich Rheged und ein Wikingerreich in York gegründet. Und sie hatten den gesamten hohen Norden Britanniens, den sie ihr »Südland« (Sutherland) nannten, eingenommen. Das frühere Machtgleichgewicht war zerstört, die Zukunft ungewiss. Falls sich die Wikinger durchsetzten, würde sich ganz Britannien in ein weiteres nordisches Reich wie Dänemark oder Norwegen verwandeln. Falls Wessex im Süden oder Alba im Norden wieder erstarkte, konnte vielleicht ein neuer Modus vivendi gefunden werden.


Alle erhaltenen zeitgenössischen Quellen berichten übereinstimmend, dass Dumbarton Rock 870 oder 871 von den Wikingern zerstört wurde. Das genaue Datum kann wegen des Chaos in der jeweiligen Jahreszählung um ein oder zwei Jahre abweichen. Doch die Chronisten in Ulster, in St Davids und in drei Fassungen der Annalen von Wales verwenden alle denselben Namen für das Ziel der Angriffe: Alt Clud (die britische Form); und sie alle verwenden Verben, die eine völlige Vernichtung bezeichnen:

869 …. die Schlacht von Cryn Onen [Ash Hill] fand statt.

870. Achthundertsiebzig war das Jahr nach Christus, und Caer Alclut wurde von den Heiden zerstört.

Deg mlyned athrugeint ac wythgant oed Krist, AC Y TORRET KAER ALCLUT Y GAN Y PAGANYEIT

(Hl. Carodog von Llancarvan, Brut y Tywysogion

[Fürstenchronik])

869 an Cat Brin Onnen

870 an Arx Alt Clut a gentilibus fracta est.

871 an Guoccaun mersus est, rex Cereticiaun

(Nennius und die Annalen von Wales)

870 an Cat Brionnen annus. Cant Wrenonnen (Ashdown)

871 an Arx Alclut a Gentilibus fracta est Alclut fracta est.

872 an Guoccaun mersus est Gugan, rex Cereticiaun rex Ceredigean mersus est

(Annalen von Wales)

Obsesio Ailech Cluathe a Nordmannis, i.e. Amlaiph et Imhar ii regis Nordmannorum obsederunt arcem illam et destruxerunt in fine 4 mensium arcem et predaverunt.

Die Belagerung von Ailech Cluathe durch die Nordmänner; d.h. Olaf und Ivar, zwei Könige der Nordmänner, belagerten jene Burg, und zerstörten und plünderten sie nach vier Monaten.

(Annalen von Ulster)59

Wenn wir diese verstreuten Informationen zusammensetzen, können wir eine relativ plausible Geschichte konstruieren:

Es war im Jahr 870, als der nordische König von Dublin, Olaf der Weiße … sich zu einer militärischen Expedition entschloss, um das Königreich der Briten in Strathclyde zu plündern. Er segelte mit einer großen Flotte von Dublin los, fuhr den Firth of Clyde hinauf und belagerte Alclut. Ein weiterer Wikingerherrscher schloss sich ihm an: Ivar Ragnarsson (genannt »Ivar Beinlause« oder »der Knochenlose«) zog von York, das er 867 eingenommen hatte, nach Norden. Die Garnison von Alclut hielt vier Monate lang stand, doch schließlich sah sie sich zur Aufgabe gezwungen, nachdem der Brunnen auf dem Felsen ausgetrocknet war … Die Burg wurde zerstört, und das Königreich der Briten stand den Eindringlingen offen, die über den Winter in Strathclyde blieben, [bevor] sie mit einer Flotte von zweihundert mit Sklaven und Beute beladenen Schiffen zurück nach Dublin segelten. Der König von Strathclyde wurde kurz darauf getötet, und das Reich fiel eine Zeit lang unter die Herrschaft benachbarter Könige.60

Die Wikingerflotte segelte mit ihrer Beute davon, zweifellos in Richtung auf den Dubliner Sklavenmarkt. Allerdings verweisen »Hogback«-Grabsteine im Wikingerstil im nahen Distrikt Govan darauf, dass womöglich einige Wikinger zurückblieben.61 Zudem gab es auch einheimische Überlebende, und die gedemütigte Monarchie von Dumbarton Rock wurde nicht völlig ausgelöscht. Das genaue Schicksal von König Arthgal ist schwer zu rekonstruieren. Ein Historiker nimmt an, dass er als Gefangener nach Dublin gebracht wurde.62 Die meisten anderen akzeptieren die Aussage des Chronisten, dass »Arthgal, König der Briten, im Jahr 872 auf Anraten Konstantins, des Sohnes von Kenneth [macAlpin], erschlagen wurde«. Sicher ist, dass der Sohn des britischen Königs, Rhun map Arthgal, mit der Schwester König Konstantins I. verheiratet war oder kurz vor der Eheschließung stand. Die naheliegendste, wenn auch nicht sichere Erklärung wäre, dass Konstantin Rhun während der Abwesenheit seines Vaters als Herrscher eingesetzt hatte und die Dubliner Wikinger dann womöglich mit Hilfe finanzieller Zuwendungen dazu überredete, Arthgal zu töten.63 Jedenfalls ist klar, dass die Schotten unter Konstantin I. in den frühen 870er-Jahren ihre Vorherrschaft über Alt Clud errichteten, in dem Rhun als abhängiger Unterkönig regierte.

Das walisische Brut y Tywysogion drückte es so aus: »Die Männer von Strathclyde, die sich weigerten, sich mit den Engländern zusammenzuschließen, mussten ihr Land verlassen und nach Gwynedd gehen«. Wahrscheinlich verwendete der walisische Chronist das Wort »Engländer« so, wie die Engländer den Begriff »Waliser« benutzten – in der Bedeutung »Fremder«. Die Episode zeigt, was in den »Dunklen Jahrhunderten« geschah, wenn eine einheimische Gesellschaft von einer anderen überrannt wurde. Einige Mitglieder der unterlegenen Bevölkerung wurden in die Sklaverei verkauft. Einige, wahrscheinlich die meisten, blieben, bestellten das Land und gingen mit der Zeit in der Gesellschaft der Sieger auf. Die herrschende Elite jedoch musste ersetzt werden. Wenn sie Glück hatten, ließ man ihnen die Wahl, sich der Herrschaft der Sieger zu unterwerfen oder das Land zu verlassen. Wenn nicht, mussten sie sterben. Dies erklärt, wie Sprache und Kultur sich in Gebieten verändern, in denen der menschliche Genpool im Grunde derselbe bleibt. Ein Musterbeispiel ist die Verwandlung des nachrömischen Britannien in das angelsächsische England; die Verwandlung der Briten des Nordens in gaelische Strathclyder ist ein weiteres.