Verschwundene Reiche

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Die Stammesältesten von Dumbarton Rock, die beschlossen hatten, sich lieber wieder ihren britischen Verwandten anzuschließen, als sich mit den neu einwandernden Gälen zu arrangieren, können das ferne Gwynedd nur über das Meer erreicht haben. Ihre Schiffe segelten mit der Ebbe, ließen den Felsen hinter sich, glitten an Bute und Arran vorbei (die sie sicher ganz anders nannten), fuhren um die Küste von Aeron hinaus durch die kabbelige See an der Mündung der Ituna. Sicher nahmen sie ihre Barden und Schreiber mit, die ihren walisischen Gastgebern das Wissen über die Gwyr y Gogledd weitergaben. Sie müssen gespürt haben, dass hunderte, ja sogar tausende Jahre Geschichte mit ihnen segelten. Man kann nicht genau sagen, wann diese Reise stattfand, doch im Jahr 890 tauchten die Exilanten schon in den Annalen von Wales auf und halfen, wie dort berichtet wird, dem König von Gwynedd, die »Sachsen« zurückzuschlagen.64

Die verbliebenen Briten von Dumbarton Rock waren seit 870/71 direkte Untertanen des aufstrebenden Königreichs Alba. Noch gab es dort keine formelle Lehnsherrschaft, wie sie sich damals langsam in Europa verbreitete, doch der Machtwechsel war deutlich zu spüren. Die Herren von Alt Clud handelten fortan in Abstimmung mit ihren Oberherren. Das Verwaltungszentrum wurde auf die andere Seite des Flusses von Dumbarton Rock nach Govan verlegt; und der Name Cumbria bezeichnete immer öfter das Unterkönigreich als Ganzes. Die Kontrolle über Dumbarton Rock und das tributpflichtige Territorium half, so kann man annehmen, den Söhnen und Enkeln von Kenneth macAlpin, ihr Erbe aufzuwerten.

Es waren die Könige von Alba und ihre gälischen Landsleute, die den Namen Strath Cluaith oder »Strathclyde« einführten, unter dem Alt Clud in späterer Zeit vor allem bekannt war. Sie hatten gute Gründe, die Menschen von Dumbarton Rock einigermaßen gnädig zu behandeln; aus ihrer Sicht waren die Herrscher von Strathclyde nur ein jüngerer Zweig ihrer Familie in mütterlicher Linie. Eochaid map Rhun (reg. 878–879) scheint sich sogar als Kenneth macAlpins Enkel um den Thron von Alba beworben zu haben. Eine Quelle nennt ihn »den ersten Briten, der über die Gälen herrschen sollte«. Er wurde von dem schattenhaften Giric MacRath oder »Sohn des Glücks« abgesetzt, der in seinem Hause Briten, Nordmänner und Engländer als Sklaven hielt. Doch das Zerwürfnis zwischen dem älteren und dem jüngeren Zweig der Herrscherfamilie führte nicht zu einem längeren Streit. Der unerwartete Zusammenbruch der Wikingerherrschaft jenseits des Hadrianswall zog die Herren von Strathclyde und Schottland bald in einen weiteren Wirbel von Machtkämpfen hinein, in dem sie zusammenstehen mussten.

Im 10. Jahrhundert trat das wieder erstarkende Wessex in Südbritannien in den Vordergrund. Innerhalb von nur zwanzig Jahren nach König Alfreds Tod im Jahr 899 deutete sich an, dass es nicht nur die Dänen und Wikinger unterwerfen, sondern auch ein vereinigtes »Königreich von ganz Britannien« schaffen würde. Athelstan (reg. 924–939), Alfreds Enkel, trat die Thronfolge im Königreich Mercia wie auch in Wessex an und startete im Jahr 927 einen Blitzfeldzug in den Norden, bei dem er das Wikingerreich in York zerstörte, Northumbria bis hin zum Forth überrannte und Konstantin II., König der Schotten, zwang, um Frieden zu bitten. Bei einer Zusammenkunft von fünf Königen bei Eamont Bridge in Cumbria setzte Athelstan die Anerkennung seiner Oberherrschaft durch. Neben Athelstan und Konstantin nahmen der König von »Westwales«, der »König von Bamburgh« und Ywain map Dynfwal von Strathclyde, auch »Owen von Cumbria« genannt, daran teil. Der Unterwerfungsakt signalisierte nicht nur das Vordringen der angelsächsischen Macht vom Tyne bis zum Forth; er markierte auch den ersten Schritt eines langfristigen Hegemoniestrebens der englischen Könige über ihre nördlichen Nachbarn.

Dennoch erlaubte die Demütigung der Wikinger von York und Northumbria den Herrschern von Strathclyde, einen Teil des entstehenden Vakuums zu füllen und viele historische Territorien des »Alten Nordens« wieder unter ihre Fittiche zu nehmen. In den folgenden Jahrzehnten stießen sie nach Süden in die früheren Gebiete von Rheged und tief in die Pennines vor. Als abhängiger Staat schoben sie die Grenze Albas mit England weit über die heutige Grenzregion hinaus nach Süden. Ein Stein bei Stainmore – auf halbem Weg zwischen Penrith und Barnard Castle –, bekannt als Rere Cross, Rear Cross oder Rey Cross, markiert wahrscheinlich die Grenze der Herrschaft von Alba und Strathclyde. Eine Ansammlung von cumbrischen, dem hl. Mungo/Kentigern geweihten Pfarrkirchen vor allem in Dearham nahe Cockermouth bezeugt die fortdauernden Einflüsse der Clydeside. In dieser Zeit kamen die Bräuche und die Sprache der brythonischen Bevölkerungselemente, nicht zuletzt der cumbrischen Schafzähler, sicher wieder stärker zum Tragen, obwohl die etablierte Dominanz der anglischen und nordischen Elemente nicht völlig verloren ging. Die große Mehrheit der Ortsnamen im Lake District etwa, wie Bassenthwaite, Langdale oder Scafell, sind eindeutig nordischen Ursprungs, und nur einer Minderheit wie Derwent, »Oak Valley«, oder Helvellyn, »Gelbes Moor«, merkt man ihre brythonische Herkunft an. Der Gebirgspass Dunmail Raise an der Straße zwischen Keswick und Grasmere, wo in späteren Zeiten ein Cairn die Grenze zwischen Cumberland und Westmorland markieren sollte, war nach einem der drei gleichnamigen Unterkönige von Strathclyde benannt. Im frühen 10. Jahrhundert könnte der Cairn von Dunmail ein südliches Gegenstück zum Rere Cross bei Stainmore gewesen sein.


Doch die Atempause währte nicht lange. Im Jahr 937 fand eine für die Geschichte der Britischen Inseln entscheidende, aber häufig unbeachtete Schlacht bei Brunanburh statt, einer nicht näher bekannten Stätte irgendwo in Merseyside.65 Die Angelsächsische Chronik schildert diese Begegnung in Versform, und Alfred, Lord Tennyson übersetzte das Gedicht unter dem Titel The Battle of Brunanburh:


Athelstan King, Lord among Earls, Bracelet-bestower and Baron of Barons, He with his brother Edmund Atheling, Gaining a lifelong Glory in battle, Slew with the sword-edge There by Brunanburh, Brake the shield-wall, Hew’d the lindenwood, Hack’d the battleshield … König Athelstan Herr unter Grafen, Geber des Ehrenbandes und Baron der Barone, Er mit seinem Bruder Edmund Atheling, Sie errangen ewigen Ruhm in der Schlacht, Schlugen mit der Schwertklinge Dort bei Brunanburh, Durchbrachen die Mauer aus Schilden, Zerhauten das Lindenholz, Zerhackten den Kampfschild …

In Brunanburh stand Athelstan von Wessex, seines Zeichens »König von ganz Britannien«, einer Koalition von Walisern, Schotten, und nordischen Königen gegenüber, die ganz offenbar durch den plötzlichen südenglischen Machtgewinn aufgescheucht worden waren und ihre Soldaten in Athelstans Territorium geführt hatten. Unter ihnen war auch der König von Strathclyde, wahrscheinlich Ywain map Dynfwal. An diesem Punkt hätten die nichtenglischen Truppen, wenn ihnen das Schlachtenglück hold gewesen wäre, Wessex die Flügel stutzen können. England war nicht stärker als Schottland, und das Schlachtenglück immer wieder ungewiss. Doch letztendlich triumphierte Athelstan, und die antienglische Koalition zerbrach. Der angelsächsische Chronist (wieder von Tennyson übersetzt) verkündete einen endgültigen Sieg über die »Wahser«:


Never liad liuger Nie war ein gewaltigeres
Slaughter of heroes Heldengemetzel,
Slain by the sword-edge – Erschlagen durch die Schwertklinge –
Such as old writers Wie es die alten Schreiber
Have writ of in histories – in Geschichten geschildert haben –
Hapt in this isle, since geschehen auf dieser Insel seit
Up from the East hither hierher vom Osten herauf
Saxon und Angle from Sachsen und Angeln von
Over the broad billow Jenseits des weiten Meeres
Broke into Britain with Nach Britannien eingefallen waren mit
Haughty war-workers who Stolzen Kriegsarbeitern, die
Harried the Welshman, when die Waliser hetzten, als
Earls that were lured by the Grafen, durch die Ruhmsucht
Hunger of glory gat herbeigelockt, das Land
Hold of the land. in ihre Macht bekamen.

Die Folgen von Brunanburh – von den Engländern als die »Große Schlacht« bezeichnet – zeigten sich nicht sofort. Athelstans früher Tod führte vielmehr dazu, dass seine Feinde wieder Morgenluft witterten und die Erben hart um seine Eroberungen kämpfen mussten. Im Jahr 944/945 marschierte zum Beispiel Athelstans Halbbruder und Nachfolger Edmund der Ältere in das durch zusätzliche Territorien erweiterte Königreich Strathclyde ein, schlug dessen Unterkönig Dynfwal III. – den die Angelsächsische Chronik »Dunmail« nennt – und bestand als Teil einer allgemeinen Abmachung darauf, dass Strathclyde sich formell Alba unterstellte. Den Herrschern von Alba befahl er, die Zügel bei ihren Unterkönigen anzuziehen. Die unabhängige Existenz des früheren Alt Clud näherte sich ihrem Ende.

 

Ein einzelner Satz des walisischen Brut y Tywysogion ist bemerkenswert. Nachdem dort der Tod des Bishof Emerys von St Davids im Jahr 944 vermeldet worden ist, heißt es völlig kommentarlos: »Ystrat Clut adiffeithóyt y gan y Saeson« (»Ystrat Clut wurde von den Sachsen verheert«). Es muss wenigstens das vierte Mal gewesen sein, dass Alt Clud verwüstet wurde, und die Täter können nur die Soldaten oder Verbündeten Edmunds I. gewesen sein. Aber es war das erste Mal, dass die Waliser den traditionellen brythonischen Namen Alt Clud durch Ystrad Clut oder »Tal des Clyde« ersetzten – eine einfache Übersetzung des gälischen Namens. Der brythonisch/cumbrische Charakter des Reiches schwand fortan; das gälisierte »schottische« Strathclyde tauchte auf, und die Waliser waren sich dessen bewusst.66 Die Briten des Alten Nordens wurden nicht einmal mehr erwähnt.

In der nächsten Generation wurden, wie die Angelsächsische Chronik berichtet, sechs reguli oder »Kleinkönige« gebraucht, um das Boot von Edmunds Nachfolger in einem rituellen Akt der Unterordnung nach Wikingerart, der auch als »Unterwerfung von Chester« bekannt ist, über den Fluss Dee zu rudern. Einer der späteren Dynfwals nahm als Ruderer daran teil, was ihm eine gewisse Stellung verlieh. Die Zeitgenossen waren sich des Symbolgehalts dieses Aktes wohl durchaus bewusst. Strathclyde hatte von einer kurzfristigen geografischen Expansion profitiert, und sein politischer Status war noch immer beachtlich. Die Zeit der Unabhängigkeit war zwar vorbei, doch das frühere Alt Clud war nicht einfach eine weitere Provinz Albas. Die Nachkommen Ceredigs bewahrten sich ihre Identität und blieben sich, wie man an der Verwendung alter britischer Namen sieht, offenbar ihrer Herkunft bewusst, doch ihr Handlungsspielraum war begrenzt. Wenn sie in den Krieg zogen, kämpften sie und ihre Männer unausweichlich an der Seite Albas.67

Im 11. Jahrhundert schwand die britische Kultur in Strathclyde weiter, auch wenn es bis zu einem gewissen Grad davon profitierte, dass in England wie in Alba andere Probleme in den Mittelpunkt rückten. Die Britischen Inseln wurden durch ein letztes Aufbäumen der Wikinger erschüttert. In England wurde die angelsächsische Monarchie von Knut dem Großen (reg. 1018–1035) gestürzt, der kurzzeitig an ein englisch-skandinavisches Großreich denken ließ. Im Jahr 1066 landeten dann voneinander unabhängig zwei feindliche Militärexpeditionen in England. Die erste unter der Führung von Harald Sigurdsson »Hardrada« segelte im September von Norwegen her den Tyne hinauf und wurde in der Schlacht von Stamford Bridge zurückgeschlagen. Die zweite unter der Führung von Herzog Wilhelm von der Normandie, dem Enkel normannischer Wikinger, überquerte im Oktober den Ärmelkanal und errang nach der Schlacht bei Hastings die Herrschaft über England. In den Jahren nach 1066, als das Land zu einer normannischen Kolonie wurde, verbrachte Wilhelm der Eroberer viel Zeit mit dem sogenannten »Harrying of the North« – der Unterwerfung Northumbrias und dem Einmarsch in Schottland. Der Vertrag von Abernethy (1072) zwischen England und Schottland schloss einen Huldigungsakt ein, der die englische Rechtsposition, wonach Schottland jetzt ein Lehen Englands war, weiter stärkte.

Nordbritannien nahm in dieser Zeit eine Gestalt und Prägung an, die im ganzen Mittelalter erkennbar bleiben sollten. Orkney und Shetland, Sutherland und die Äußeren Hebriden blieben zwar in den Händen der Nordmänner, doch die große Masse des Territoriums wurde unter einem Herrscher vereint. Darüber hinaus führten die Könige von Alba immer häufiger den Titel des rex Scottorum oder »König der Schotten« und stärkten damit das Konzept eines einigen »Schottland«; die Eroberung des Nordens von Northumbria nach der Einnahme von Edinburgh 1020 erzeugte einen weiteren Identitätswandel. Die Eingliederung der Lallans sprechenden Lowlands, deren Adel jetzt enge Kontakte zu Engländern und Normannen pflegte, stellte die vorherige Dominanz des Gälischen infrage.

Dennoch kontrollierte das Haus macAlpin das Königreich Alba/Schottland fast das ganze Jahrhundert lang. Im Jahr 1031 unterwarfen sich Malcolm I. und seine Verbündeten ohne weitere Kämpfe dem Wikinger Knut, als der in den Norden kam. Die einzige Unterbrechung in der Thronfolge der macAlpins begann 1040, als Donnchad I. (Duncan) durch die Hand von MacBethad mac Findlaich (reg. 1040–1057), Herr von Moray – den Zeitgenossen als Ri Deircc oder »Roter König« und Shakespeare-Lesern als Macbeth bekannt – den Tod fand. Fast alle Historiker, die sich mit dieser Zeit beschäftigen, heben hervor, dass Shakespeares Stück ein großes Drama, aber schlechte Geschichtsschreibung sei.68 Kein einziger zeitgenössischer Bericht beschreibt Macbeth als Tyrannen. Er herrschte am Vorabend der normannischen Eroberung und gewährte Exilanten aus England Zuflucht. Als letzter König von Alba stand er einem gälisch sprechenden Hof vor. Schließlich töteten ihn Soldaten Malcolms III. Canmore (reg. 1058–1093), der ein Sohn des ermordeten Donnchad war.

Das war das Umfeld der letzten Phase der politischen Geschichte von Strathclyde. Das Königreich erstreckte sich bis tief in die zwischen Schottland und England umkämpfte Zone hinein und wurde unweigerlich in diese englischschottische Rivalität mit hineingezogen. Lange ging man davon aus, dass Eogan II., auch als Owain der Blinde († 1018) bekannt, der Letzte seiner Linie gewesen sei. Seine Teilnahme an der Schlacht von Carham nahe Durham zwischen den Schotten und den Engländern im Jahr 1016 oder 1018 ist sicher belegt. Das gilt aber nicht für seinen Tod auf dem Schlachtfeld. Tatsächlich hatten die Unterkönige von Strathclyde und ihr Staat noch einige Jahrzehnte vor sich. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Donnchad Strathclyde als königliche Apanage übertragen bekam, bevor er den Thron von Alba bestieg; und es bestehen kaum Zweifel, dass die Engländer Strathclyde in den letzten Jahren von Macbeth’ Herrschaft angriffen. Im Jahr 1054 führte Siward, der mächtige Graf von Northumbria, der zu Knuts Zeit nach Britannien gekommen war, eine große Flotte und ein riesiges Heer nach Norden und richtete in der bisher nicht lokalisierten Schlacht am Siebenschläfertag ein gigantisches Blutbad an. Macbeth wurde in die Flucht geschlagen, Siwards Sohn getötet. Vor allem aber »machte« Siward nach Aussage eines englischen Chronisten »Mael Coluim, den Fürsten der Cumbrier, zu einem König«.69 In der schottischen Überlieferung wurde dieser Fürst zumeist mit Macbeths Feind Malcolm Canmore gleichgesetzt; wahrscheinlicher ist jedoch, dass er ein Cumbrier aus Strathclyde mit demselben Namen war, der von Siward das Land seiner Vorfahren übertragen bekam.70 In diesem Fall hätte Strathclyde im 11. Jahrhundert abwechselnd Phasen schottischer und englischer Oberhoheit erlebt.

Eines steht jedenfalls fest: Der gälische Druck auf die britische Kultur Strathclydes und auf die cumbrische Sprache wurde noch durch gleichzeitigen Druck aus England verstärkt. Die ständige Gälisierung seit der Zerstörung von Alt Clud durch die Wikinger in den Jahren 870/71 konkurrierte nun mit einer Anglisierung. Die sprachlichen Veränderungen sind schlecht dokumentiert, aber sie vollzogen sich wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten und Milieus unterschiedlich schnell. Von Rhun map Arthgal (der eine gälische Ehefrau hatte) an waren die Unterkönige von Strathclyde wohl zweisprachig gewesen, wobei das Gälische das Brythonische immer mehr zurückdrängte. Dank der englischen Invasion von 1054 hatten sie nach der Mitte des Jahrhunderts wahrscheinlich immer stärker auf das Lallans zurückgegriffen, genau wie der Hof von Macbeth. Die brythonischen Untertanen der Kleinkönige hatten diesen sprachlichen Wandel sicher nicht so schnell übernommen. Als Erste hatten sich wahrscheinlich die Bewohner der nördlichen Distrikte in der Nachbarschaft zu Argyll angepasst, wo der Einfluss des Gälischen am stärksten war, oder die Einwohner der wenigen winzigen städtischen und kirchlichen Zentren wie Glasgow. Da die Zuweisungen von Kirchenpfründen durch die herrschenden Kreise beeinflusst und die Bildung von der Kirche kontrolliert wurde, folgte die kleine gebildete Schicht vermutlich den Moden bei Hofe. Die Bauern und Hirten auf dem Land waren da schwerer zu erreichen. Es könnten Jahrhunderte vergangen sein, bevor die alten Dialekte wirklich verschwanden.

Auch im 12. Jahrhundert führte das Schwinden des Brythonischen bei den Bewohnern von Strathclyde nicht zur Aufgabe ihrer Identität. Strathclyde erinnerte sich noch lange an seine Wurzeln, und das Volk unterschied sich noch lange durch besondere Bräuche, besondere Gesetze und zweifellos auch durch einen besonderen Akzent von seinen Nachbarn. Es ist zum Beispiel kaum daran zu zweifeln, dass die brythonische Identität noch bis in die Zeit der schottischen Highland-Clans überdauerte. Verschiedene Clan-Namen sind eindeutig brythonischen Ursprungs, und einige Clan-Genealogien rühmen sich brythonischer Vorfahren. Das deutlichste Beispiel ist der Clan Galbraith, dessen gälischer Name »britischer Fremder« bedeutet und dessen Stammburg auf der Insel Inchgalbraith im Loch Lomond stand. Die Galbraiths führen ihren Stammbaum auf Gilchrist Breatnach, »Gilchrist den Briten«, zurück, der im späten 12. Jahrhundert eine Tochter des Earl of Lennox heiratete. Ihr Emblem, ein Keilerkopf, gleicht dem der früheren Könige von Strathclyde. Die Colquhouns aus Luss, die Kincaids, die MacArthurs und der Clan Lennox haben ähnliche Beziehungen zu diesem Territorium, in dem einst Gälen wie Briten zu Hause waren.71

Im Jahr 1113 erhielt David, der Sohn von Malcolm Canmore und der hl. Margaret (1045–1093), der enge Kontakte zu den Engländern pflegte, den Titel eines »Fürsten der Cumbrier«. Dieser Ehrentitel mag wenig mehr als eine Aufmerksamkeit vonseiten des Königs gewesen sein (wie der des Fürsten von Wales am mittelalterlichen englischen Hof), aber man kann ihn auch als Hinweis darauf sehen, dass Strathclyde noch immer eine getrennte Verwaltungseinheit war und dass die Könige von Schottland die Besonderheiten der Region anerkannten. In seinen Jahren als cumbrischer Fürst errichtete David sein Jagdschloss in Cadzow (heute Hamilton), und die Glasgower Bischöfe des Mittelalters nannte ihre Diözese gewöhnlich »Cumbria«.72 Zwanzig Jahre später brachte David, nachdem er den schottischen Thron bestiegen hatte, normannische Barone und damit, sicher ganz im Sinne seiner verstorbenen Mutter, eine weitere politische und sprachliche Kulturschicht nach Strathclyde. Seit dem Fall von Alt Clud im Jahr 870/871 hatten Govan und seine aus Steinen errichtete alte Kirche als Strathclydes Kultur- und Regierungszentrum gedient. Der Ort war Sitz der königlichen Residenz und Stätte einer Großproduktion keltischer Kreuze gewesen. Jetzt aber musste er hinter Glasgow zurücktreten, wo David I. den Kult des hl. Mungo förderte.

 

Man könnte durchaus vermuten, dass die nicht weit von Glasgow entfernt liegenden Inseln des Firth of Clyde die hartnäckigsten Hochburgen der brythonischen Kultur waren. Doch ganz offenbar hatte sich das Gälische dort bereits durchgesetzt, und irische Dichter der Zeit sprachen vom Firth als einem Teil ihrer eigenen Welt. Im berühmten Acallam na Senórach, der »Unterhaltung der Alten«, schildert ein gälischer Dichter des 12. Jahrhunderts ein fiktives Treffen zwischen dem hl. Patrick, dem Briten, der Irland bekehrt hatte, und Caílte, einem Schüler von »Fingal«, dem berühmtesten der sagenhaften Helden Irlands. Das Treffen ist völlig unhistorisch; der hl. Patrick gehört in das nachrömische Britannien, während Fingal zu verschiedenen Zeiten bis hinein in die Wikingerzeit immer wieder auftauchte. Die späteste Legende berichtet, dass er Glencoe gegen einen Trupp Nordmänner verteidigte, der in den Loch Leven hineingesegelt war, was ihn zu einem Zeitgenossen des Wikingerangriffs auf Alt Clud machen würde. Jedenfalls geht das Gedicht davon aus, dass die beiden Männer ihre Ansichten über alles Mögliche austauschen. In einem Abschnitt fragt Patrick Caílte, ob die Jagdgründe an der irischen oder der schottischen Küste besser seien. In der Antwort wird eine Insel in Sichtweite des White Tower Crag genannt:

Arran blessed with stags, encircled by the sea,

Island that fed hosts, where black spears turn crimson.

Carefree deer on its peaks, branches of tender berries,

Streams of icy water, dark oaks decked with mast,

Greyhounds here and beagles, blackberries, fruit of sloe,

Trees thick with blackthorns, deer spread about the oaks,

Rocks with purple lichen, meadows rich with grass,

A fine fortress of crags, the leaping of fawns and trout,

Gende meadows and plump swine, gardens pleasant beyond belief,

Nuts on the bough of hazel, and longships sailing by.

Lovely in fair weather, trout beneath its banks,

Gulls scream from the cliffs, Arran ever lovely.73

Arran, gesegnet mit Hirschen, vom Meer umkreist,

Insel, die Rudel nährte, wo schwarze Speere blutrot werden.

Sorgloses Wild auf ihren Spitzen, Zweige mit reifen Beeren,

Bäche mit eiskaltem Wasser, dunkle Eichen voller Mast,

Windhunde hier und Beagle, Brombeeren, die Frucht des Heckendorns,

Bäume voller Schlehen, Wild, das sich unter den Eichen verteilt,

Felsen mit purpurroten Flechten, Wiesen mit üppigem Gras,

Eine schöne Klippenfestung, das Springen der Kitze und Forellen,

Sanfte Weiden und fette Schweine, Gärten, unvorstellbar schön,

Nüsse am Haselstrauch und Langboote, die vorbeisegeln.

Lieblich bei schönem Wetter, mit Forellen, die unter den überhängenden Ufern stehen,

Möwen, die von den Felsen schreien, Arran, immer wunderschön.

Als dieser Zauber beschworen wurde, verschwanden Alauna, Aloo, Alt Clud und das cumbrische »Königreich Strathclyde« gerade in den Tiefen der Geschichte.

Dumbarton Rock selbst gerät außer Sicht. Dun Breteann, die »Festung der Briten«, findet sich zwischen 944 und dem Spätmittelalter nicht in der Geschichtsschreibung. Archäologische Befunde lassen vermuten, dass sie nie völlig aufgegeben wurde, aber bestenfalls ein rückständiges Bauerndorf war. Das aktive Leben von Strathclyde fand jetzt anderswo statt. Andere Häfen dienten dem Verkehr auf dem Fluss.

Schiffe segelten vorbei, ohne anzulegen. Ein Stück flussaufwärts florierte die Stadt Glasgow; und auf der anderen Flussseite diente die Baronie von Renfrew einer großen normannischen Familie, den fitzAlan-Stewarts, als Sprungbrett in eine königliche Zukunft.74

Einigen Schätzungen zufolge zog sich die Endphase der cumbrischen Sprache bis ins 13. Jahrhundert hinein, also bis in die Zeit von William Wallace, Robert Bruce und Schottlands Kampf um die Unabhängigkeit. Dank seiner Heldentaten in den Kriegen gegen England stieg Wallace zum schottischen Nationalhelden auf. Doch seine Herkunft liegt völlig im Dunkeln, und Historiker zweifeln schon lange an den Angaben zu seiner Geburt und Abstammung. Man räumt bereitwillig ein, dass Wallaces Ruf »sagenumwoben«75 und »sein frühes Leben ein Rätsel« sei.76 Dennoch hält eine Gruppe von Fachleuten an seinem Geburtsjahr 1272 und dem Geburtsort im Dorf Elderslie nahe Paisley fest, wo heute ein beeindruckendes Denkmal steht.77 Eine andere Gruppe gibt Riccarton Castle in Ayrshire den Vorzug.78 Eines der wenigen harten Fakten dieser Geschichte ist, dass der Nachname Wallace – Uallas auf Gälisch – »Waliser« oder »Brite« bedeutet. Wie die englische Bezeichnung für Wales ist auch dies eine Variante der gängigen germanischen Bezeichnung für »Fremder« und wurde von englischsprachigen Bewohnern des Grenzlandes zwischen England und Wales wie auch in den cumbrischen Bezirken weiter nördlich so verwendet. In der Folge gab es im Mittelalter viele Menschen namens Wallace, nicht nur in englischen Countys wie Shropshire, sondern auch in Teilen Südschottlands. Früher erklärte man den Nachnamen des Helden mit der genialen Vermutung, dass seine Vorfahren im Gefolge der fitzAlans aus Shropshire eingewandert seien. Doch diese Annahme entbehrt jeder Grundlage. Es war der Doyen der schottischen Namensforschung, George Fraser Black, der als Erster die Idee in Umlauf brachte, dass William Wallace väterlicherseits Briten aus Strathclyde im Stammbaum gehabt haben könnte.79

Der geografische Kontext spielt dabei eine große Rolle. Der für Wallace überlieferte Geburtsort Elderslie, heute ganz in der Nähe der südlichen Startbahn des Flughafens Glasgow, liegt buchstäblich in Sichtweite von Dumbarton Rock und lag vor der Ankunft der fitzAlans in den 1130er-Jahren mitten im früheren britischen Kernland. Zudem befinden sich alle Stätten, die mit den frühen Jahren des Helden verbunden sind, sei es Elderslie, Riccarton oder Lanark (wo er 1297 den englischen Sheriff tötete), in derselben einst brythonischen Gegend. Da das Gälische dort das Cumbrische weitgehend ersetzt hatte, verleiht diese Verortung dem Bericht Glaubwürdigkeit, demzufolge Wallace unter seinen gälisch sprechenden Gefährten als Uilleam Breatnach oder »William der Brite« bekannt war. Das beweist noch nicht, dass Wallace selbst Kumbrisch sprach. Aber es verweist auf die vage Möglichkeit, dass »Braveheart« eine ähnliche Verbindung zum Schottentum gehabt haben könnte wie der hl. Patrick zum Irentum.80

Ähnliche Fragen umgeben auch die Ursprünge des mächtigsten Highland-Clans überhaupt, der Campbells. Ihre ältesten bekannten Besitzungen konzentrierten sich im Distrikt Cowal, direkt gegenüber der Insel Bute; und ihr späteres Kernland rund um Loch Awe und den oberen Loch Fyne liegt in fußläufiger Entfernung zum Loch Lomond. Ihr gälischer Name MacCailinmor leitet sich von einem berühmten Krieger des 13. Jahrhunderts ab, von »Colin Campbell dem Großen«, doch der Clan MacArthur Campbell von Strachur kann eine parallele Abstammung vorweisen, und dessen Beiname Campbell kommt vom gälischen caim beil oder »verzerrter Mund« und wird gewöhnlich übersetzt mit »eine Person, deren Rede nicht zu verstehen ist«. Sie waren mit anderen Worten keine gälisch sprechenden Schotten. »Der Clan Campbell«, so liest man in einer neueren historischen Arbeit über die Clans, »stammte wahrscheinlich von den altwalisischen Verwandten im alten Königreich Strathclyde ab.«81

Man könnte also annehmen, dass irgendwo im Schatten von Dumbarton Rock die alten Sitten und Gebräuche fortbestanden. Vielleicht plauderten die alten Leute in ein paar bescheidenen Tavernen und Fischerhütten noch in der alten cumbrisch-brythonischen Sprache, sangen die alten Lieder und erzählten die alten Geschichten über Ceredig und Patrick, über Mungo und den Lachs, über die großen Schlachten bei Catraeth, Nechtansmere und am Siebenschläfertag.

Sie fragten sich sicher, was aus ihren Verwandten geworden war, die ins Exil gesegelt und nie zurückgekommen waren. Und sie brachten ihren Kindern bei, an den Fingern abzuzählen: yinty, tinty, tetheri, metheri, bamf