Geologie der Alpen

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1-5 Das Zerbrechen von Pangäa, dargestellt anhand von drei Momentaufnahmen. Umgezeichnet nach Blakey (2008) und Scotese & Sager (1988). Grl: Grönland, It: Italien, Gr: Griechenland, Tu: Türkei, SAm: Südamerika, Wr: Wrangellia.

1.2 Das Zerbrechen von Pangäa und die Öffnung der alpinen Tethys

Die plattentektonischen Vorgänge beim Zerbrechen des Großkontinents Pangäa beeinflussten die späteren Alpen in vielerlei Hinsicht. Die kleinen Ozeanbecken und Mikrokontinente, die dabei entstanden, verursachten ein kompliziertes Nebeneinander verschiedener Sedimentationsräume: Tiefseebecken, Schelfmeere und Schwellenzonen. Die faziell sehr unterschiedlichen Sedimente sind heute in den Alpen in einem scheinbar heillosen Durcheinander neben- und übereinander zu sehen. Bei der Schließung dieser Sedimentbecken anlässlich der Bildung der Alpen beeinflussten die paläogeografischen Formen der Becken die Architektur der Alpen.

Das Zerbrechen von Pangäa ist in Abb. 1-5 in drei Momentaufnahmen erläutert. Alle diese Plattenrekonstruktionen sind mit Unsicherheiten behaftet, weshalb die paläogeografischen Karten bei verschiedenen Autoren auch sehr unterschiedlich aussehen. Abb. 1-5 wurde vereinfacht nachgezeichnet nach Vorlagen von Blakey (2008). In der späten Trias (Keuper), vor 230 Millionen Jahren, zerbrach Pangäa längs eines Rifts, das sich, ausgehend von der Tethys, zwischen Gondwana und Laurasien öffnete. Das Rift breitete sich von einem Arm der Tethys zwischen den Kontinentalmassen von Arabia und Griechenland-Italien aus. Die Paläotethys wurde anschließend durch Subduktion geschlossen, sodass die türkische Landmasse im mittleren Jura (Dogger) vor 170 Millionen Jahren mit Laurasien (Baltica) verschweißt war. Das Rift verlagerte sich im östlichen Teil nach Norden und trennte nun die Landmassen Griechenland-Italien von Laurasien ab. Dieses schmale Ozeanbecken wird |Seite 23| in der alpinen Geologie als Ligurischer oder Piemontesischer Ozean bezeichnet. In westlicher Richtung verbreiterte sich das Rift und trennte Afrika-Südamerika von Nordamerika. Dieses Rift war der Vorläufer des Atlantiks und erstreckte sich bis nach Mexiko. In der frühen Kreide, vor 120 Millionen Jahren, drifteten Nordamerika und Afrika weiter auseinander, der zentrale Atlantik war geboren. Im Norden trennte sich Iberia von Nordamerika ab. Die Bewegung von Iberia war bedingt durch eine Spreizungszone im Westen (mittelozeanischer Rücken des sich öffnenden Atlantiks) und je eine Transformstörung im Norden und Süden von Iberia. Weitere Riftsysteme breiteten sich im Norden auf beiden Seiten von Grönland aus. Sie waren Wegbereiter für die Öffnung des Nordatlantiks.

In Abb. 1-6 ist eine Plattenrekonstruktion für die Wende Jura-Kreide (vor etwa 145 Millionen Jahren) nach Wortmann et al. (2001) vereinfacht wiedergegeben. Über die genaue Geometrie der einzelnen Becken gehen die Ansichten teilweise auseinander. Aber die in Abb. 1-6 gezeigte Lösung vereinigt die wesentlichen Merkmale. Hier ist erkennbar, dass Iberia einen abgetrennten Wurmfortsatz hat, aus Korsika-Sardinien-Briançon bestehend, der sich in nordöstlicher Richtung erstreckt. Dieser Wurmfortsatz entspricht dem sogenannten Briançon-Mikrokontinent, einer Schwellenzone, die von den Westalpen bis in die Schweizer Alpen verfolgt werden kann. Das Meeresbecken auf der nordwestlichen Seite des Briançon-Mikrokontinent entspricht dem Wallis-Trog, dasjenige auf der südöstlichen Seite dem penninischen Ozean. Ein Transformbruch trennt Iberia von Europa und funktioniert als lokale Plattengrenze bei der Wegdrift von Iberia von Nordamerika. Ein weiterer Transformbruch verbindet den Piemont- mit dem Penninischen Ozean. Die Öffnung des Atlantiks ging |Seite 24| mit einer schiefen Öffnung des Ligurisch-Piemontesischen und Penninischen Ozeans einher. Für die heutigen Alpen sind die Gebiete Dauphinois-Helvetikum auf dem Südostrand von Europa sowie die Südalpen-Dolomiten im Norden von Adria und Ostalpin zwischen Vardar- und Penninischem Ozean von besonderer Bedeutung.


1-6 Plattenrekonstruktion für das Berriasian (vor ca. 145 Millionen Jahren), vereinfacht nach Wortmann et al. (2001). Der Ligurisch (Li) -Piemontesische (Pi) Ozean trennt den Adriatischen vom Iberischen Mikrokontinent. Er ist von zahlreichen Transformstörungen durchsetzt und setzt sich als Penninischer (Pe) Ozean zwischen dem Briançon-Mikrokontinent und dem Ostalpin fort. Am Südrand des Europäischen Kontinents verläuft ein schmaler Meeresarm (VS: Wallis-Trog, Vo: Vokontischer Trog) der im Süden von einem Mikrokontinent, bestehend aus den Blöcken Korsika-Sardinien (Kors-Sard) und Briançon, begrenzt ist.

Der größere Rahmen der Paläogeografie an der Wende Barremian-Aptian vor 125 Millionen Jahren ist in Abb. 1-7 dargestellt. Die Rekonstruktion basiert auf Wortmann et al. (2001). Der Ligurisch-Piemontesische Ozean ist von mehreren Transformstörungen geprägt, die auf eine fortschreitende schiefe Öffnung dieses Ozeans deuten. Ein Transformbruch trennt Adria von den Mikrokontinenten Bakony, Ostalpin und Tiza. Der Wallis-Trog öffnete sich weiter durch Ausdünnung des Kontinentalrands von Baltica bzw. Europa und entwickelte nur lokal, in „pull-apart Becken“, ozeanische Kruste. Demgegenüber bestand der Piemont-Ozean aus exhumierten Mantelgesteinen, die von einem untergeordneten basaltischen Magmatismus begleitet waren. Der adriatische Kontinentalrand und der Ostalpin-Mikrokontinent wurden mit der Öffnung des Piemont- und |Seite 25| des Penninischen Ozeans in Ost-West-Richtung gestreckt. Davon zeugen die Abschiebungen im künftigen Bereich des Ostalpins und Südalpins.


1-7 Plattenrekonstruktion für das Barremian/ Aptian (vor ca. 125 Millionen Jahren), vereinfacht nach Wortmann et al. (2001). Der Ligurisch-Piemontesische Ozean ist breiter geworden und ist nun auf einer Linie mit dem Penninischen Ozean. Auch das Südalpin und Ostalpin sind nun nebeneinander.

Die Alpen entstanden als Folge konvergenter Plattenbewegungen zwischen Baltica/Europa und Afrika-Arabia. Dabei wurden die dazwischenliegenden Meeresbecken, der Piemont-Ozean und der Wallis-Trog, durch Subduktion geschlossen. Dies erfolgte in zwei getrennten Etappen. Der Piemont-Penninische Ozean wurde in der Kreide durch westgerichtete Subduktion geschlossen, der Wallis-Trog im Känozoikum durch eine mehr NS-gerichtete Kollision zwischen dem Briançon-Mikrokontinent und dem adriatischen Kontinentalrand, später zwischen dem Briançon-Mikrokontinent und dem europäischen Kontinentalrand. Die Betrachtung der komplizierten Paläogeografie in Abb. 1-7 lässt erahnen, dass der Subduktions- und der Kollisionsprozess zu einer noch komplexeren Geometrie des entstehenden Gebirges führen musste.

1.3 Das alpine System

Die alpinen Gebirgsketten entstanden in der Kreide und im Känozoikum. Zu diesen Ketten zählen etwa die „jungen“ europäischen Hochgebirge (Betische Kordilleren, Pyrenäen, Alpen, Apennin, Karpaten, Dinariden). Auffallend sind die gewundenen Bogenformen der Gebirgsketten. Um einen Einblick in die plattentektonischen Vorgänge bei der Bildung dieser Gebirge zu geben, sind in Abb. 1-8 die heute andauernden Relativbewegungen zusammengefasst (nach Kahle et al. 1995). Afrika bewegt sich um vier Millimeter und mehr pro Jahr Richtung Norden. Die Bewegung ist im Westen etwas langsamer, d. h., Afrika macht eine leichte Rotation im Gegenuhrzeigersinn. Arabia bewegt sich viel schneller, mit 25 Millimetern pro Jahr, Richtung Norden. Der Sprung in der Geschwindigkeit findet an einer Seitenverschiebung statt, die, von der Spreizungszone im Roten Meer ausgehend, durch den Golf von Aqaba über das Tote Meer und den Genezarethsee nach Norden zieht. Der türkische Block bewegt sich mit 25 Millimetern pro Jahr in westlicher Richtung. Die Plattengrenze im Norden dieses Blocks ist in der Nordanatolischen Bruchzone zu suchen, einer seismisch aktiven dextralen Seitenverschiebung. Diese Westdrift ändert in der Ägäis ihre Richtung nach SSW. Ihre Geschwindigkeit nimmt zu, da sich die Ägäis in derselben Richtung dehnt. Allein schon zwischen Afrika, Arabien und dem türkischen Block zeigen sich die Plattenbewegungen als recht kompliziert. Noch schwieriger verständlich wird es weiter im Norden. In den Ostkarpaten ist heute eine nach Westen einfallende Subduktionszone aktiv. Die abtauchende eurasische Platte rollt sich gleichzeitig zurück (slab retreat bzw. roll back), d. h., die Plattengrenze |Seite 26| an dieser Subduktionszone bewegt sich nach Osten. Im Gefolge davon wird das Pannonische Becken auf der oberen Platte in Ost-West-Richtung gestreckt. Der Tiza-Block im Untergrund des Pannonischen Beckens wird durch die Zangenbewegung zwischen Europa und Afrika (bzw. Apulia) seitlich nach Osten herausgequetscht.

Gleichzeitig bewegen sich aber auch der Apennin und die Dinariden aufeinander zu. Im Hinterland des aktiven Apennins stellt man in der Tyrrhenis Dehnung und Neubildung von ozeanischer Kruste fest (Facenna et al. 2002). Dieser Prozess begann vor etwa fünf Millionen Jahren. Etwas früher, im Miozän, erfolgte die Öffnung des ligurischen Beckens unter ähnlichen Umständen. Damals trennte sich der Mikrokontinent Korsika-Sardinien von Europa, und beim anschließenden Wegrotieren bildete sich im Ligurischen Meer neue ozeanische Kruste. Auch hier also erfolgten kleinsträumige Blockbewegungen zwischen den beiden kollidierenden Kontinentalplatten.

 

In den Alpen selbst können heute aktive horizontale Verschiebungen gemessen werden (Tesauro et al. 2005, Brockmann in Pfiffner & Deichmann 2014). Das nördliche Alpenvorland bewegt sich nach SSE, und in den Alpen selbst sind Bewegungen Richtung SW wie auch Richtung ENE zu messen. Das komplizierte Bild zeigt aber, dass sich die Alpen mit ungefähr 0,5 Millimetern pro Jahr in NNW-SSE-Richtung verkürzen.

Das heutige komplizierte Bewegungsbild gibt einen Eindruck, wie man sich die bei der Alpenbildung abgelaufenen Bewegungen vorzustellen hat. Die Größe der beteiligten Ozeanbecken und Kontinente bzw. Mikrokontinente war bescheiden im Vergleich zu den Dimensionen in den klassischen Subduktionsgebirgen der Anden oder der nordamerikanischen Kordilleren oder in den Kollisionsgebirgen Himalaja und Appalachen. Aber die Konvergenzbewegungen waren qualitativ vergleichbar und machten die Alpen zu einem derart heterogen zusammengesetzten Gebirge.


1-8 Die heutige Konfiguration der tektonischen Platten im Alpinen System. Die offenen Pfeile mit Geschwindigkeitsangaben (mm/Jahr) zeigen die Richtung der Plattenbewegungen, die einfachen Pfeile die Überschiebungsrichtungen an. Mit Doppelpfeilen sind Dehnung und Öffnung von Meeresbecken angegeben.

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1.4 Geologische Gliederung der Alpen

Der Gebirgskörper der Alpen erstreckt sich in weitem Bogen von Nizza nach Wien. Im Innern des Bogens liegt das Po-Becken. Morphologisch hebt es sich ab durch die tiefe Lage und das geringe Relief, wie aus dem digitalen Höhenmodell von Abb. 1-9 klar ersichtlich. Außerhalb des Alpenbogens sind lange schmale Becken ohne Relief zu erkennen: der Rhone-Bresse-Graben ganz im Südwesten, der Rhein-Graben im Norden. Ganz im Osten verschwinden die Alpen unter dem Becken von Wien.

Längs der Gebirgskette gliedern sich die Alpen in Westalpen, Zentralalpen und Ostalpen. Die Ostalpen verlaufen mehr oder weniger Ost-West und ihre westliche Grenze liegt etwa auf der Linie St. Margrethen–Chur–Sondrio. In den Zentralalpen ändert sich der Verlauf der Kette von Ost-West zu nahezu Nord-Süd. Die Westalpen verlaufen Nord-Süd, bilden aber einen engen Bogen um das Westende des Po-Beckens. Die Grenze zwischen Zentral- und Westalpen ist unscharf. Gewisse Autoren unterteilen deshalb die Alpen lediglich in Westalpen und Ostalpen. Wenn hier die Dreiteilung bevorzugt wird, so erfolgt dies aufgrund der Internstrukturen, die sich dadurch in einer verständlichen Art gliedern lassen.

Quer zur Gebirgskette unterteilt man die Alpen in tektonische Einheiten, die zu bestimmten paläogeografischen Domänen zu zählen sind. Die paläogeografische Zugehörigkeit wird dabei durch den Ablagerungsbereich der mesozoischen Sedimente dieser Einheiten definiert. Aufgrund dieser Gliederung erhält man einen Gürtel von Einheiten, die dem europäischen Kontinentalrand zugehören |Seite 28| und in einem externen Bereich der Alpen, d. h. ganz im Westen bzw. Norden, aufgeschlossen sind. Man bezeichnet diese Gesteinsserien als „Dauphinois“ und „Helvetikum“. Ein zweiter Gürtel von Gesteinseinheiten, der unter dem Begriff „Penninikum“ zusammengefasst wird, folgt in einer mehr internen Position, d. h., er liegt weiter östlich bzw. südlich. Die damit verknüpften mesozoischen Sedimente wurden in den Meeresbecken zwischen dem europäischen und adriatischen Kontinentalrand abgelagert. Ein dritter Gürtel von Gesteinseinheiten ist vorwiegend auf der innersten Seite, gegen das Po-Becken hin, zu finden. Diese Einheiten werden als „Ostalpin“ und Südalpin“ bezeichnet und sind dem adriatischen Kontinentalrand zuzuordnen. Generell gesehen, liegt das Penninikum auf dem Helvetikum und das Ostalpin auf dem Penninikum. Es handelt sich bei diesen Einheiten um eigentliche Deckenkomplexe, die als relativ dünne Gesteinspakete bezüglich ihrer Unterlage über Hunderte von Kilometern transportiert wurden. Die Verteilung dieser Einheiten in den Alpen ist aus Abb. 1-10 ersichtlich.


1-9 Digitales Höhenmodell der Alpen und angrenzender Gebiete. Deutlich erkennbar sind die größeren Quertäler und Längstäler innerhalb der Alpen. Im Vorland der Alpen manifestieren sich die Tiefebenen des Rhein-Grabens im Norden und des Rhone-Bresse-Grabens im Westen, das Po-Becken im Süden und das Pannonische Becken im Osten als größere Flächen ohne Relief.

Das Ostalpin macht nahezu den gesamten Teil der Ostalpen aus. Nur am äußeren Rand im Norden und Osten sind im Liegenden des Ostalpins noch penninische und helvetische Decken zu erkennen. Im Innern der Ostalpen, im sogenannten Tauern-Fenster, ist das Ostalpin erodiert, und man gewinnt dadurch einen spektakulären Blick in die darunterliegenden penninischen und helvetischen Einheiten. Ein kleineres, aber ansonsten äquivalentes Fenster findet sich etwas westlich, im Unterengadin. Noch weiter im Westen, in den Zentralalpen, ist das Ostalpin fast vollständig abgetragen. Kleinere Erosionsreste, sogenannte Klippen, zeugen aber von der ursprünglichen Verbreitung. Die westliche dieser Klippen ist in der Zentralschweiz am Roggenstock zu finden.

Das Südalpin und die östlich angrenzenden Dolomiten sind vom Ostalpin durch eine größere Störung, das periadriatische Bruchsystem, abgetrennt. Diese setzt sich ostwärts in die Karawanken fort und trennt dort die Dinariden von den Ostalpen. In den westlichen Zenttralalpen sind südalpine Einheiten auf das Penninikum überschoben worden, wie dies die große Klippe der Dent Blanche bezeugt. Südalpin, Dolomiten und Dinariden waren tektonisch unabhängig vom Ostalpin. Lediglich die Affinität der mesozoischen Sedimente zum adriatischen Kontinentalrand stellt ein verbindendes Element dar.

Auch bei der Verteilung des Penninikums ist im Bereich der Zentralalpen eine größere Klippe am Nordrand der Alpen zu verzeichnen. Diese liegt in den romanischen Voralpen der Schweiz und im Chablais von Frankreich. Weitere kleinere Klippen sind in der Zentralschweiz zu finden. Auch diese Klippen belegen, dass die penninischen Decken einst große Teile der Alpen bedeckten.

Am äußeren Rand der Zentralalpen ist in Abb. 1-10 der Jura zu erkennen. Dieser bananenförmige Gebirgszug wurde am Schluss der Deckenbildung in den Alpen zusammengestaucht, gefaltet und nach Nordwesten geschoben.

Jüngere, känozoische Becken bilden die Begrenzung der Alpen. Im Norden der Alpen erstreckt sich das Molassebecken von Wien über München in das schweizerische Mittelland und läuft in westlicher Richtung aus. Das Molassebecken ist eine Vorlandsenke, die sich im Oligozän-Miozän im Gefolge der alpinen Deckenbildung bildete und mit dem Abtragungsschutt der werdenden Alpen aufgefüllt wurde. Das Molassebecken |Seite 29| wurde bei den jüngsten Deckenbewegungen hauptsächlich an seinem Südrand zusammengestaucht und im Bereich des Juras sogar nach Nordwesten geschoben.

Außerhalb des Juras erkennt man das Riftsystem mit Rhein-Graben und Rhone-Bresse-Graben. Die beiden Riftbecken sind durch ein Transform-Bruchsystem miteinander verknüpft. Aufbrüche von kristallinem Grundgebirge flankieren die Riftbecken auf beiden Seiten: Schwarzwald und Vogesen sowie Massif Central und Massif de la Serre.

Im Süden der Alpen schließlich erkennt man das Po-Becken, ein Vorlandbecken, das sich Alpen und Apennin teilen. Bis über zehn Kilometer mächtige klastische Sedimente haben sich in diesem Becken im Känozoikum abgelagert. Diese Beckenfüllung wurde teilweise von den Deckenbewegungen in den Alpen erfasst, gefaltet und überschoben.

In Abb. 1-11 sind drei schematische, vereinfachte Profilschnitte durch die Alpen wiedergegeben. Sie zeigen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen West- Zentral- und Ostalpen. Alle drei Profilschnitte bauen auf den Erkenntnissen von reflexionsseismischen Untersuchungen, die im Rahmen von drei größeren, nationalen und internationalen Forschungsprogrammen durchgeführt wurden. Der Profilschnitt durch die Westalpen basiert auf dem französisch-italienischen Projekt ECORS-CROP (Nicolas et al. 1990, Roure et al. 1996 und Schmid & Kissling 2000), jener durch die Zentralalpen auf dem schweizerischen Nationalen Forschungsprojekt NFP 20 (Pfiffner et al. 1997a) und schließlich das Ostalpenprofil auf dem deutsch-österreichisch-italienischen Projekt TRANSALP (TRANSALP working group 2002, Lüschen et al. 2004). Die Struktur der Unterkruste basiert auf Refraktionsseismologie und Erdbebentomografie (Waldhauser, et al. 2002, Diel et al. 2009 und Wagner et al. 2012).

Im Profilschnitt durch die Westalpen sieht man, wie die Kruste des europäischen Kontinentalrands nach ESE unter die Alpen eintaucht und dann sogar vom Erdmantel und der Kruste des adriatischen Kontinentalrands überlagert wird. Der steile Kontakt besitzt eine Seitenverschiebungskomponente (der Ostteil bewegte sich nach Norden). Überschiebungen in der europäischen Kruste deuten auf eine beträchtliche Zusammenstauchung in Ost-West-Richtung, was die Krustenmächtigkeit mindestens verdoppelte. Größere Kristallinaufbrüche (Belledonne, Gran Paradiso) lassen darauf schließen, dass einzelne Kristallinkörper über mehr als 100 Kilometer nach Westen auf das Vorland aufgeschoben wurden. Davon betroffen waren auch die mesozoischen Sedimente des Juras, die sogar auf die känozoischen Sedimente des Bresse-Grabens aufgeschoben wurden. Auf der adriatischen Seite wurden die Krustenblöcke in östlicher Richtung aufeinandergeschoben. Diese Strukturen sind von der Beckenfüllung des Po-Beckens zugedeckt und nur aus seismischen Untersuchungen bekannt. Im Falle von Ivrea gelangte der Erdmantel bis fast, die Unterkruste bis ganz an die Erdoberfläche. Diese Hochlage der Krusten-Mantel-Grenze ist etwas Einmaliges und beruht auf einer ererbten Geometrie aus der Zeit der Entstehung des Piemont-Ozeans. Reste dieses Ozeans sind im dünnen Band von Ophiolithen im Liegenden und Hangenden des Gran Paradiso-Kristallins zu finden.

Auch im Profilschnitt der Zentralalpen taucht die europäische Kruste nach SSE unter die Alpen ein. Die Oberkruste ist von der Unterkruste abgeschält und zu einem Deckenstapel aus Kristallindecken aufgetürmt. Die Unterkruste zieht unter den zusammengestauchten Rand der adriatischen Platte. Ähnlich dem Profil in den Westalpen befindet sich der adriatische Erdmantel in einer Hochlage. Auf der Südseite dieser Hochlage erfassen nordfallende Überschiebungen die Oberkruste, während die Unterkruste aufgefaltet wurde. Dieser Stil wird als „thick-skinned tectonics“ bezeichnet. Eine steile Bruchzone, die Insubrische Störung, trennt die Gesteine der adriatischen und europäischen Platte. Die Bruchzone zeigt zwei Bewegungskomponenten. Als steile Aufschiebung bewegten sich die abgeschälten Oberkrustenpakete des europäischen Rands südwärts, und teilweise gleichzeitig bewegte sich der adriatische Block als dextrale Seitenverschiebung westwärts. Nördlich des Aar-Massivs liegen Klippen von helvetischen und penninischen Sedimentdecken. Sie wurden von ihrer kristallinen Unterlage abgeschert und über mehr als 100 Kilometer in nördlicher Richtung geschoben. Dabei kamen sie auch auf die internen, südlichen Teile der känozoischen Füllung des Molassebeckens zu liegen.

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1-10 Vereinfachte tektonische Karte der Alpen und ihres Vorlandes. Jura und Helvetikum sind Teile des europäischen Kontinentalrandes, Ostalpin und Südalpin gehören zum adriatischen Kontinentalrand. Das Penninikum entspricht dem Bereich dazwischen (Wallis-Trog, Briançon-Schwelle und Piemont-Ozean). Zwei Fenster in den Ostalpen (Engadiner und Tauern-Fenster) beweisen, dass sich Penninikum und Helvetikum im Untergrund nach Osten weiterziehen. Andererseits zeigt eine Klippe am Übergang Zentralalpen-Westalpen, dass das Ostalpin sich einst viel weiter nach Westen erstreckte. A,B,C: Spuren der Profile in Abb. 1-11.

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1-11 Drei schematische Profilschnitte durch die West-, Zentral- und Ostalpen, basierend auf geologischen und geophysikalischen Untersuchungen. Deutlich erkennbar ist das bedeutende Ausmaß der Krustenverkürzung der Oberkruste im Vergleich zur einfacheren Struktur der Unterkruste und des lithosphärischen Mantels. Die Profilspuren sind in Abb. 1-10 angegeben.

Im Profilschnitt durch die Ostalpen taucht die europäische Kruste zwar ebenfalls nach Süden unter den adriatischen Kontinentalrand, aber das Ausmaß der Verkürzung scheint etwas geringer. Die adriatische Lithosphäre taucht ihrerseits nach Norden ein. In beiden Fällen ist die Unterkruste im Kontaktbereich deutlich verdickt. Es ist ein einzelner Kristallinaufbruch zu verzeichnen, der im Tauern-Fenster zutage tritt. Eine steile Bruchzone auf der Südseite des Tauern-Fensters, die Pustertal-Störung, trennt die Ostalpen von den Dolomiten. In den Dolomiten sind mehrere südgerichtete Überschiebungen zu erkennen, welche auch die kristallinen Oberkrustengesteine erfassen. Der Verlauf dieser Überschiebungen in der Tiefe und ihre Vereinigung mit der großen Überschiebung im Liegenden des Tauern-Massivs ist spekulativ. Immerhin ist aber die Struktur der Unterkruste durch die seismischen Untersuchungen einigermaßen gesichert. Über dem Tauern-Kristallin liegen mesozoische Sedimente, die mit jenen des Helvetikums in den Zentralalpen vergleichbar sind. Diese Sedimente sind ihrerseits überlagert von penninischen Decken und diese wiederum von ostalpinen Decken. Ein größerer Komplex von ostalpinen Decken, die sogenannten Nördlichen Kalkalpen, liegt nördlich des Tauern-Fensters auf einem Kissen von penninischen Decken. Die Nördlichen Kalkalpen wurden schon in der Kreidezeit zu einem Deckenkomplex zusammengeschoben, wobei die Überschiebungen teilweise in westlicher Richtung stattfanden.