Goettle und die Blutreiter

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Irgendwann hatte der Rausch der Hormone die Vorsicht gemeuchelt. Vielleicht war es der stetig wachsende Reiz gewesen, Wollschläger zu demütigen, indem Zacharias Kim im ehelichen Schlafgemach Orgasmen entgegentrieb, die ihr Gatte ihr nicht verschaffen konnte. Und so kam es, wie es kommen musste. Wollschläger kehrte an einem Abend früher als erwartet nach Hause zurück, weil eine Veranstaltung abgesagt worden war, und erwischte Zacharias und Kim, die gerade dabei waren, sich die Seele aus dem Leib zu vögeln.

Es war Sex, mehr nicht, und Zacharias wäre bereit gewesen, die Angelegenheit unter Männern zu regeln. Sicher, im Falle einer körperlichen Auseinandersetzung hätte der betrogene Ehemann sicher den Kürzeren gezogen, allerdings hätte man in Ruhe über alles reden können.

Aber Wollschläger wollte Rache. Und er spielte die einzigen Trümpfe aus, die er hatte. Er drohte Kim mit der Scheidung, was bedeutet hätte, dass ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert worden wäre. In diesem Fall hätte sie nach Thailand zurückkehren müssen. Als sie die Drohung vernommen hatte, verließ sie der Geist der Kurtisane und sie verwandelte sich in das Mäuschen zurück, das sie zuvor gewesen war.

Und für Zacharias hatte Wollschläger die Bestrafung parat, die seinen Widersacher am meisten traf. Bei der Ausschreibung des Sicherheitsdienstes für die Tage rund um den Blutritt setzte sich ein anderes Unternehmen durch. Der wichtigste Auftrag des Jahres brach damit für den Unternehmer weg, und das, obwohl er seit zehn Jahren regelmäßig den Zuschlag erhalten und für einen störungsfreien Ablauf der Veranstaltung gesorgt hatte.

Zacharias war klar gewesen, dass Wollschläger seinen Einfluss geltend gemacht hatte, und er lauerte ihm auf, um ihn zur Rede zu stellen. Der betrogene Ehemann ließ kein Argument gelten. Zacharias hatte ihm sogar Geld angeboten, um den Zuschlag zu bekommen. Er hatte geschworen, Kim nie wieder zu sehen, an die Vernunft appelliert, es half nichts. Eine Firma aus Ravensburg hatte den Auftrag bekommen, Zacharias musste einigen Angestellten kündigen, entkam knapp dem Konkurs. Das war der Moment gewesen, in dem er sich geschworen hatte, diesem Wollschläger, diesem Festkomitee, nein, der ganzen Stadt Weingarten zu zeigen, dass es ein Fehler war, auf ein eingespieltes Sicherheitsteam zu verzichten. Wollschläger würde sich an ihn erinnern, ganz zweifellos.

»Hey, du bist ja so gut drauf. Das ist schön«, unterbrach Rosalie seinen Gedankengang und stellte sein Bier vor ihn. »Ich hab mir schon Sorgen gemacht, dass du mich nicht mehr magst.«

Sie zog einen Schmollmund, stützte sich mit beiden Händen am Tisch ab und beugte sich vor. Zacharias konnte einen kurzen Blick auf ihre Brüste werfen, wie üblich trug Rosalie keinen BH. Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.

Rosalie lächelte. »Was macht dich denn so fröhlich?«, fragte sie. »Ich will mich mitfreuen.«

»Hm, läuft bei mir«, antwortete er. Er konnte den Blick nicht von ihrem Busen lösen und merkte, wie ihm das Blut in die Lenden schoss. Er hatte lange keinen Sex mehr gehabt, viel zu lange. Mindestens zwei Tage nicht. Oder drei. Und Rosalie war ein heißer Feger, wusste ihre körperlichen Attribute perfekt einzusetzen.

»Mir geht es auch gut«, sagte sie. »Ich habe nächste Woche ein Vorsprechen am Theater in Ravensburg. Die suchen da jemand für die Rolle einer Tänzerin. Die Rolle wurde bestimmt allein für mich geschrieben. Was meinst du?«

Sie warf sich in Pose und lachte.

Zacharias zog die Mundwinkel nach oben. »Vergiss Ravensburg, Baby. Du musst groß denken. Berlin, London, Paris, Hollywood, das ist deine Kragenweite.«

Rosalie hauchte ihm eine Kusshand zu. »Du bist ja süß. Aber ich glaube, das wird ein Traum bleiben. Ich bin wahrscheinlich nicht schön genug für die großen Filme. Keine langen Beine, die Titten zu klein, keine aufgespritzten Lippen …«

Ihre Züge verdunkelten sich. Sie nahm einen Lappen und wischte mit ausladenden Bewegungen über den Tisch. Ihre Brüste drückten gegen den dünnen Stoff des Tops und Zacharias spürte seine Geilheit wachsen.

»Das stimmt nicht. Du bist naturschön. Alles echt, kein Plastik. Und du bist gut, das weiß ich. Du brauchst jemanden, der dich fördert. Einen Typen wie mich.«

»Einen Typen wie dich? Soviel ich weiß, bist du Inhaber einer Securityfirma und kein Filmproduzent. Wie willst du mir denn helfen?« Sie hielt in ihrem Putzvorgang inne und sah ihn an.

»Beziehungen«, sagte Zacharias. »Ich kenne Leute aus der Branche. Die brauchen immer neue Gesichter.«

Er zog sein Smartphone aus der Tasche, strich mit dem Zeigefinger über das Display. »Hier, der Joe zum Beispiel. Der arbeitet bei der Bavaria. Der hat mir letzte Woche erzählt, dass die eine neue Serie planen und das Casting nicht abgeschlossen ist. Meines Wissens ist die weibliche Hauptrolle frei. Wenn du willst, ruf ich den an und mach einen Termin für dich aus.«

»Dein Ernst?« Rosalie starrte ihn an, als wäre er ein Wesen von einem anderen Stern.

Zacharias nickte und fasste sich an die Stirn. »Ich Idiot, da hätte ich früher draufkommen können. Sorry.«

Die Kellnerin juchzte, lief um den Tisch herum, setzte sich auf seinen Schoß und überzog sein Gesicht mit Küssen. »Danke, danke, danke. Dafür hast du was bei mir gut.«

»Ich wüsste da was.«

Zacharias legte seine Hände an ihre Hüften, und als sie ihn gewähren ließ, arbeitete er sich langsam in Richtung Po vor.

Rosalie spürte seine Erregung.

»In zwei Stunden habe ich Feierabend«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Wenn du auf mich wartest, könnte ich mit zu dir kommen und das Vorsprechen üben.«

»Ich glaube, das würde die Sache enorm beschleunigen«, erwiderte Zacharias und küsste sie.

Polizeiobermeister Fritz lenkte seinen Wagen die steile, enge Straße zum Gut Oberstaig hinauf.

»Do darf dr au koiner entgegakomma«, murmelte er in Anbetracht des Weges, der gerade mal breit genug für ein Fahrzeug war. Dabei waren es genau diese Abgeschiedenheit und schwere Zugänglichkeit, die ihn und seine Frau dazu bewogen hatten, ihre Stute Winona in den Stallungen der Familie Riedle unterzubringen. Hier hatten die Pferde weite Auslaufflächen, wurden nicht von Straßenlärm in ihrer Ruhe gestört. Zudem war die Pferdepension ein moderner Betrieb, der bereits in dritter Generation geführt wurde. Entsprechend gepflegt waren der Hof und die Stallungen. Die Pferdeboxen boten ausreichend Platz und die Pflege der Tiere war ausgezeichnet.

Diese Vollpension hatte ihren Preis und Fritz hatte oft darüber nachgedacht, Winona zu verkaufen. Seine Töchter, denen die Stute eigentlich gehörte, studierten beide in Norddeutschland. Sie waren selten bei den Eltern zu Gast, und wenn, hatten sie nicht die Zeit, sich um das Pferd zu kümmern. Also besuchten seine Frau und er das Tier, wann immer sie in der Gegend waren. Ein Pferd wie Winona gab man nicht einfach auf. Sie war anmutig, eigensinnig, auch einfühlsam und vor allem wunderschön. Dem Biberacher Polizeiobermeister ging jedes Mal das Herz auf, wenn er sie sah.

Bis zum Blutfreitag wollte er in der Nähe von Winona bleiben und sich auf die Prozession vorbereiten. Erfahrungsgemäß kamen in der Woche vor dem Ereignis immer mehr Teilnehmer auf dem Gut an, die er größtenteils kannte. Diese gemeinsame Vorfreude hatte in der Vergangenheit zu einigen sehr lustigen Abenden geführt. Denn die Blutreitergemeinschaft war eine sehr trinkfreudige, und was konnte es Schöneres geben, als mit Gleichgesinnten zu feiern und sich gemeinsam auf die Prozession zu freuen.

Fritz bog in die Hofeinfahrt, parkte sein Fahrzeug vor dem Wohnhaus und stieg aus. Das Gebäude war mit Girlanden geschmückt, die Blumenkästen vor den Fenstern strotzten vor Farbenfreude. Über dem Eingang hieß ein Schild die Ankömmlinge willkommen. Auf den Weiden standen einige Pferde und grasten, Winona war nicht darunter.

Fritz wuchtete sein Gepäck aus dem Kofferraum, das schwerer war als üblich. Er hatte drei Flaschen Palmisch Birnenbrand aus einer Brennerei in Ummendorf dabei, der im letzten Jahr den Blutreitern köstliche Ausklänge der Tage beschert hatte.

»Do frei i mi jetzt scho druff«, murmelte Fritz und leckte sich über die Lippen. In ungefähr 30 Metern Entfernung entdeckte er Johannes, den Sohn des Pferdewirtes Ortwin Riedle, der auf einem Baumstumpf saß und an einem Stock herumschnitzte.

»Hallo, Johannes, schee, dich zum seha«, rief Ernst Fritz und winkte dem Jungen zu. Der sah kurz auf, hob eine Hand zum Gruß und konzentrierte sich wieder auf seine Schnitzerei. Fritz stutzte, ob der sehr zurückhaltenden Begrüßung, zuckte mit den Schultern und klingelte an der Haustür. Charlotte Riedle, die Tochter des Hauses, öffnete ihm.

»Hallo, Charlotte. Mensch, du wirsch ja emmer scheener«, sagte POM Fritz und streckte der jungen Frau die Hand hin. Charlotte ergriff sie und errötete.

»Hallo, Herr Fritz. Schön, dass Sie da sind. Winona war den ganzen Tag schon sehr nervös. Ich glaube, sie weiß, dass Sie heute kommen.«

»Ja, die Tierle hen a ganz oigene Antenne. Die spüret so ebbes. Da könntet mir Menscha ons a Stickle abschneida, gell?«

Charlotte nickte und trat zur Seite, um den Polizeiobermeister hereinzulassen. »Meine Eltern sind in Weingarten bei einer Besprechung, müssten in einer Stunde zurück sein. Sie kennen ja den Weg. Der Schlüssel zu Ihrem Zimmer steckt im Schloss.«

»Alles klar«, antwortete der Polizeiobermeister. »No räum i mol mei Zuigs uff und dann nix wie naus zu mei’m Gaul.«

Winona schien ihn zu erwarten. Als POM Fritz die Stallung betrat, steckte sie den Kopf aus ihrer Box und wieherte.

»Ja, i frei mi au, altes Mädle«, sagte der Polizeiobermeister und streichelte den Kopf der Stute. Ihr braunes Fell glänzte, offenbar war sie unlängst frisch gestriegelt worden. Er öffnete das Tor, ging in die Box hinein und sog tief den würzigen Duft der Stallung ein: Es roch nach Heu, dem Schweiß der Tiere und ein wenig nach Fäkalien. Gewöhnungsbedürftig, aber einzigartig.

 

Winona stupste mit dem Maul gegen seine Jackentasche. Sie wusste, dass er dort immer eine kleine Leckerei für sie bereithielt.

»Ja, du bisch a ganz G’scheite, gell? Du hosch scho g’spannt, dass i was für di dabeihan.«

Er griff in die Tasche, um ihr zwei kleine Äpfel auf der flachen Hand anzubieten. Vorsichtig schloss Winona die Lippen um die Früchte und zermalmte sie krachend.

»Des schmeckt, gell? Die sen au b’sonders guad. Die han i vom Baum meiner Nochbore. Die Äpfel aus Nachbars Garten sen besonders süß, verstohsch?«

Fritz gluckste, während die Stute durch erneutes Stupsen Nachschub forderte. Ihr war es offensichtlich egal, dass die Köstlichkeiten durch eine Straftat beschafft worden waren.

Fritz zauberte nochmals zwei Äpfel hervor.

»Man darf nicht stehlen. Das ist eine Sünde«, sagte eine Stimme hinter ihm.

Fritz drehte sich um. Vor der Box seines Pferdes stand Johannes. Für seine 13 Jahre war er sehr groß und sehr dünn, die Hose schlackerte um seine Beine und den Kapuzenpulli hatte er offenbar von seiner älteren Schwester geerbt. Seine Haut war von besonderer Blässe, lediglich ein paar rote Aknepickel besiedelten seine Stirn. Er starrte den Polizisten aus Biberach durch seine große Brille an, seine Lippen zitterten.

»Noi, stehla darf mr net. Da hosch du recht, Johannes. Aber so a paar Äpfel machet nix aus. Mei Nochbore, die pflückt die eh net. No han i denkt, bevor die rahaglet, nemm i a paar mit. Winona freit sich und mei Nochbore kriagt des gar net mit.«

Fritz lächelte den Jungen an, doch der zeigte keine Reaktion.

Johannes blieb stocksteif vor ihm stehen, als wäre er die Personifizierung der Anklage. »Diebe kommen ins Gefängnis«, stammelte er.

»Ha, jetzt komm. Net wega vier Äpfel. Da gibt’s Schlimmeres. Wenn de zum Beispiel jemand den Geldbeutel klausch oder ebbes ganz Wertvolles. Dann kann es sei, dass de ens G’fängnis kommsch.«

Fritz lächelte den Jungen an, Johannes blieb ernst. »Gott hat es gesehen, dass Sie gestohlen haben«, sagte der Junge schließlich. »Und er wird Sie bestrafen.«

Johannes drehte sich um und lief nach draußen.

»Aha, wenn i mi net täusch, sen des die Auswirkunga vom Firmungsunterricht«, murmelte Fritz. »Des kann ja no was gäba.«

Rosalie drehte sich zur Seite und schmiegte sich an Zacharias’ muskulöse Brust. Er grunzte wohlig, zog sie näher an sich heran und massierte ihren Hintern. Sie spürte, dass er wieder eine Erektion hatte, und das, obwohl er bereits dreimal wie ein sexuell Ausgehungerter über sie hergefallen war. Zacharias war kein zärtlicher Liebhaber und ganz auf seine Befriedigung bedacht, grob zuweilen, aber er wusste, wie er einer Frau Lust bereiten konnte. Und offenbar war er einer, der nie genug bekam.

Rosalie lächelte und presste ihren Unterleib gegen seinen. »Es ist spät, ich muss gleich gehen. Wir könnten doch kurz deinen Freund bei der Bavaria anrufen und einen Termin ausmachen. Nicht, dass er die weibliche Hauptrolle mit einer anderen besetzt.«

»Das macht der nicht. Vertrau mir«, wisperte Zacharias und bedeckte ihren Hals mit Küssen. Seine Hand fuhr die Innenseiten ihrer Schenkel auf und ab und sie spürte die Hitze zwischen ihren Beinen. Sie stöhnte leise, gab sich kurz seinen Zärtlichkeiten hin. Als er ihre Scham berührte, hielt sie seine Hand fest.

»Bitte, ruf ihn an«, hauchte sie. »Es ist mir wirklich sehr wichtig.«

»Weiß ich. Aber erst zeig ich dir, was mir wichtig ist.«

Er führte ihre Hand zu seinem Glied, sie zog sie zurück.

»Das kenn ich schon«, sagte sie und lächelte.

Zacharias machte keine Anstalten, ihrem Wunsch nachzukommen. Stattdessen tauchte er unter die Bettdecke ab, liebkoste ihre Brüste, ihren Bauch, ihren Venushügel. Seine Bewegungen wurden schneller, fordernder, der Druck seiner Hände wurde stärker. Er tat ihr weh. Rosalie versuchte, ihn abzuwehren, griff mit beiden Händen in Zacharias’ Haar und zog seinen Kopf nach oben.

»Lass mich, ich will nicht. Nicht, bevor du mit deinem Freund gesprochen hast.«

Zacharias rollte mit ihr herum, schwang sich auf sie, hielt ihre Arme fest und presste mit seinem Becken ihre Beine auseinander. Rosalie erkannte, dass sie gegen den Muskelprotz keine Chance hatte. Er war durchtrainiert bis in die Zehenspitzen und zudem mindestens 50 Kilo schwerer als sie.

»Verdirb uns nicht die Stimmung. Es ist gerade sehr nett mit uns«, keuchte er. Erneut küsste er ihren Hals, knabberte an ihrem Ohrläppchen. Sein Penis drückte gegen ihren Bauch, eine Hand machte sich unsanft an ihrer Scham zu schaffen, unter seinem Gewicht fiel ihr das Atmen schwer. Rosalie bäumte sich auf und stemmte sich gegen ihn. Der vage Gedanke, dass Zacharias sie hereingelegt haben könnte, regte sich in ihr. Womöglich hatte er gar keine Beziehungen zur Filmbranche, das alles war ein Vorwand gewesen, um sie ins Bett zu bekommen. Sicher würde er sich bald mit seiner Eroberungsmasche rühmen und allen erzählen, wie leicht es war, Rosalie abzuschleppen. Eine Welle aus Wut und Scham überschwemmte sie, gegen ihren Willen stiegen ihr Tränen in die Augen. Diese Geschichte hatte das Zeug dazu, ihren stark angekratzten Ruf noch mehr zu schädigen. Durch ihre knappen Outfits und ihre zahlreichen Liebeleien hielten sie viele für eine kleine Nutte, die für jeden die Beine breit macht, der die richtigen Versprechungen anbrachte. Dabei sehnte sie sich nur nach ein bisschen Anerkennung, wenn es schon keine Liebe für sie geben konnte.

Sie presste die Schenkel zusammen, um ihm das Eindringen zu erschweren, aber ihre Widerborstigkeit schien ihn weiter anzuturnen. Er grunzte, verstärkte den Druck seines Beckens, Rosalie schrie vor Schmerz auf. Sie biss ihm in die Schulter. Zacharias warf den Oberkörper zurück und ließ sie los. Rosalie gab ihm einen kräftigen Stoß, sodass er zur Seite fiel.

»Du spinnst wohl komplett, du dumme Sau!«, schrie er und griff nach ihr. Mit einer behänden Bewegung wich Rosalie aus, rollte sich aus dem Bett und beeilte sich, ihre Sachen im Zimmer zusammenzusuchen.

»He, was soll denn das? Wir wollten Spaß haben und wir hatten unseren Spaß, oder nicht? Zick nicht so rum, du lässt doch sonst auch nichts anbrennen.«

Zacharias massierte die Schulter, an der sich der Biss rot abzeichnete. Rosalie würdigte ihn keines Blickes und zog sich an. »Diesen Freund bei der Bavaria gibt es gar nicht, oder?«, presste sie hervor. Tränen liefen ihr über die Wangen. »Du hast mich verarscht und ich blöde Kuh bin darauf reingefallen. Echt schade, ich habe gedacht, du bist nett.«

»Nett kann ich auch. Das bringt nichts«, erwiderte Zacharias und grinste, obwohl er es ein wenig bereute, dass der Spaß zu Ende sein sollte. Eigentlich fand er es ganz reizvoll, wenn sich eine Frau wehrte und er sich letztlich als Eroberer fühlen konnte. Außerdem war Rosalie schöner, wenn sie wütend war. Er schwang seine Beine aus dem Bett und versuchte, sie daran zu hindern, ihre Shorts anzuziehen. Sie schlug und trat nach ihm. Auch wenn sie ihm damit keine großen Schmerzen zufügen konnte, wich er tänzelnd aus. Der kleine Übungskampf gefiel ihm, zumal er wusste, dass der Sieger bereits feststand.

Das Klingeln seines Smartphones brachte ihn aus dem Konzept. Rosalie nutzte seine Unaufmerksamkeit und floh ins Nebenzimmer. Zacharias zögerte, entschied sich gegen eine Verfolgung und nahm das Gespräch an. Wortlos hörte er zu, und je länger er lauschte, desto mehr verflogen seine Wut und seine Lust auf Rosalie. Er merkte nicht einmal, dass sie zum Ausgang schlich, so euphorisch stimmte ihn das Gehörte. »Gut gemacht, Kleiner«, sagte er und schüttelte die rechte Faust vor seinem Gesicht. »Jetzt packen wir sie alle an den Arsch. Du machst jetzt Folgendes …«

Er senkte seine Stimme und sprach leise weiter, bis er das Telefonat so abrupt beendete, wie er es angenommen hatte. Mit wirrem Blick wendete er sich zu Rosalie, die wie hypnotisiert stehen blieb. »Was ist denn passiert?«

»Gerechtigkeit, Süße. Es gibt Gerechtigkeit. Das Schicksal meint es gut mit mir. Sehr bald werden ein paar Herren bereuen, dass sie sich mit mir angelegt haben«, murmelte er.

»Wie meinst du das? Welche Herren werden sich wundern?« Ihre Stimme hörte sich piepsig an.

»Die Blutreiter, diese Verbrecherbande. Kümmer dich nicht um Dinge, die du gar nicht verstehst …«

Zacharias streckte eine Hand nach ihr aus und bewegte sich auf die junge Frau zu. Sie löste sich aus ihrer Erstarrung, lief zur Wohnungstür, nestelte fahrig an dem Schlüssel, der im Schloss steckte. Er ließ sich nicht drehen.

»Komm, meine Schöne, du sollst an meinem Glück teilhaben. An die nächste Runde wirst du dich lange erinnern. Glaub mir, das wird herrlich«, röchelte Zacharias, wenige Meter hinter ihr. Rosalie wimmerte und zog immer kräftiger an dem Schlüssel, der sich nicht bewegte.

»Sei nett zu mir und ich bring dich persönlich nach Hollywood, versprochen. Ab jetzt ist alles möglich.«

Mit einem Knacken sprang die Tür auf. Rosalie raste die Treppen hinunter und betete, dass ihr Zacharias nicht nachstellte. Als sie unten auf der Straße war, sah sie zum Fenster hoch. Zacharias stand nackt da, sah mit leerem Blick in die Ferne, ballte erneut eine Faust und reckte sie gen Himmel.

»Der Typ ist verrückt, völlig übergeschnappt«, sagte sie leise und eilte davon.

Sieben Tage bis zum Blutritt

Vorboten.

Meist lassen sie sich zunächst im Kleinen erkennen und doch haben sie die Macht, sich zu etwas Großem zu entwickeln. Wohl dem, der sie rechtzeitig entdeckt und sich vorbereiten kann. Denn: Vorboten sind wendig, tauchen unter, um dann für unliebsame Überraschungen zu sorgen.

Der Wecker des Polizeiobermeisters Fritz klingelte pünktlich um acht. Während seines Urlaubs wollte er zeitig aufstehen, um sich auf die Zeremonie des Blutritts vorzubereiten. Er hatte am Vorabend festgestellt, dass an seinem Gehrock zwei Knöpfe lose an ihren Fäden hingen. Sie galt es zu befestigen. Ebenso musste er den Schmuck für Winona aussuchen, für den Nachmittag war ein Ausritt mit anderen Teilnehmern angesagt. Außerdem wollte er darüber nachdenken, welche Erwartungen er in den Blutritt mit hineinnahm. Im letzten Jahr war seine Frau an einer Gürtelrose erkrankt, die ihr lange Zeit starke Schmerzen bereitet und von der sie sich sehr langsam erholt hatte. Sein Vater bereitete ihm Sorge, denn es war dem alten Herrn anzumerken, dass er immer mehr das Gedächtnis verlor und nicht mehr allzu lange für sich selbst würde sorgen können. Und auch wenn Fritz selbst bislang von altersbedingten Krankheiten verschont worden war, so beschäftigte es ihn zunehmend, dass er nur noch ein Drittel seines Lebens vor sich hatte. Die Zeit lief gegen ihn und es gab vieles, was er sich vorgenommen, jedoch nicht erledigt hatte. Er hatte sogar eine Liste mit Tätigkeiten geschrieben, die er nach seinem Berufsleben in Angriff nehmen wollte. Voraussetzung war, dass seine Frau und er einigermaßen gesund blieben. Dafür wollte er fürbitten.

Er schälte sich ächzend aus dem Bett, ging zum Fenster hinüber, öffnete es und lehnte sich hinaus. Das saftige Grün der Koppel wurde von einem sanften Sonnenlicht angestrahlt und von den dunkleren Tönen des angrenzenden Waldes eingerahmt. Drei Pferde grasten in friedlicher Eintracht und es schien nichts zu geben, was dieses harmonische Bild hätte zerstören können.

Fritz atmete tief ein und aus, wollte diese Ruhe aufsaugen. Und tatsächlich spürte er mit jedem Atemzug die Lebensgeister in ihm erwachen. »Was frei i mi uff mein Honger beim Frühstück«, sagte er zu sich selbst und schritt fröhlich pfeifend ins Badezimmer, um die Morgentoilette zu verrichten.

Wenige Minuten später stieg er die Treppe zum Frühstücksraum hinunter, aus dem Stimmengewirr und Gelächter zu ihm drangen. Fritz nahm an, dass weitere Bluttritt-Teilnehmer angekommen waren, und freute sich darauf, alte Bekannte zu begrüßen. Auf dem Weg nach unten kam er an einem Zimmer vorbei, aus dem Geräusche zu hören waren, die nicht zu der allgemeinen Fröhlichkeit passen wollten. Es hörte sich an, als würde jemand weinen. Die Tür stand einen Spaltbreit auf, Fritz sah Johannes, der auf seinem Bett lag und in sein Kissen schluchzte. Zaghaft klopfte der Polizeiobermeister. Johannes schreckte hoch und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

 

»Johannes, was isch denn los? Warum heulsch denn?«

»Ich heule doch gar nicht.« Der Junge wischte sich mit dem Ärmel seines Sweatshirts über die Augen und die Nase. Fritz nahm auf dem Bett neben ihm Platz und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Duat dir ebbes weh? Bisch krank?«

Johannes schniefte und zuckte mit den Schultern.

»Hosch Sorga oder macht dir ebbes Angschd?«

Der Junge schien blasser zu werden, als er ohnehin schon war. Seine Mundwinkel zuckten, doch er gab keinen Laut von sich.

»Isch es wega einem Mädle?«

»Quatsch«, sagte Johannes trotzig und drückte das Kissen vor seine Brust.

Polizeiobermeister Fritz lächelte. Er kannte das von seinem Sohn. Mit 13 war es verpönt, Mädchen gut zu finden, bereits drei, vier Jahre später würden sich die Gedanken überwiegend um das andere Geschlecht drehen.

»Wenn du Sorga hosch oder dir ebbes Angschd macht, kannsch emmer zu mir komma«, versuchte er zu trösten. »I kenn mi mit so Sacha aus. I ben ja bei der Polizei.«

Johannes schluchzte laut. Fritz drückte ihn an sich und streichelte ihm über den Kopf. »Ha komm, so schlemm wird’s scho net sei. Es goht älles vorbei. Bald kannsch drüber lacha.«

Er hielt den Jungen fest, bis sein Schluchzen in ein Schniefen übergegangen war, und löste sich schließlich von ihm.

»Goht’s wieder?«, fragte er und blickte dem Jungen in die rot geweinten Augen.

Johannes nickte.

Fritz klopfte ihm auf die Schulter. »No isch es guad. Wie g’sagt, du kannsch emmer zu mir komma. Mir sen doch Kumpels, oder net?«

Sein Magenknurren beendete das Gespräch. »Siehsch, mei Maga schwätzt au mit mir. Der braucht dringend a Frühstück, sonschd isch er beleidigt.«

Johannes lächelte. Und Polizeiobermeister Fritz beeilte sich, nach unten zu gelangen, um seinen Magen versöhnlich zu stimmen.

»Spannen Sie mich nicht so auf die Folter. Was hat er gesagt?« Pfarrer Seegmüller saß mit Andreas Goettle im Klostercafé und ließ seinen Löffel nervös in seiner Teetasse kreisen.

»Er isch g’schockt, dass des passiera konnt. Ond gleichzeitig au wieder net, weil er einem Triabel wie Ihne älles zuatraut …«

»Ich muss doch sehr bitten!«

»Des waret seine Worte. Ond anfangs hot er sich g’weigert, a Duplikat von dem Reliquiar herzumstella. Des isch net so leicht, moint er. Er wäre jedoch bereit, Ihne zum helfa, wenn Sie ihm an G’falla tun, zu dem Sie bisher net bereit waret.«

»Ich weiß genau, was dieser Sturkopf will!«, bellte Seegmüller. »Mit dieser Forderung geht mir dieser Querulant schon lange auf die Nerven und ich werde mich diesem Ansinnen nicht beugen. Nur über meine Leiche!«

Mit empörter Geste warf er den Löffel auf die Tischplatte.

Die Gespräche an den anderen Tischen verstummten, alle Augenpaare waren auf die beiden Geistlichen gerichtet. Goettle nippte an seinem Cappuccino und leckte sich über die Lippen. »Hm, sehr guad, der Kapotschino. Der Trautwein hot scho so ebbes angedeutet, dass Ihne sein Vorschlag net g’falla wird. Es isch halt sei Bedingung.«

»Das kann er getrost vergessen. Es gibt in meiner Kirche keine Trauung für ein homosexuelles Paar. So wie es in keiner anderen katholischen Kirche eine Trauung geben wird. Nie und nimmer.«

Goettle erkannte sein Gegenüber fast nicht wieder. Der ansonsten so souverän wirkende Seegmüller war völlig außer sich, was mit Sicherheit mit dem Diebstahl der Reliquie zusammenhing. Auf seinen Wangen hatten sich rote Flecken gebildet, seine Hände zitterten. An seinen Mundwinkeln hingen weiße Schlieren, was Andreas Goettle an eine geifernde Dogge erinnerte. Natürlich hatte Weingartens Stadtpfarrer so gar nichts von einer Dogge, weder die kräftige Statur noch das laute Gemüt. Im Moment spielten ihm eher die Nerven einen Streich.

»Gucket Se, der Herr Trautwein isch ja scho verheiratet mit seinem Werner. Klar, bloß standesamtlich, aber als gläubiger Mensch hätt er doch ein Recht darauf, au kirchlich traut zum werda. Es muas ja net jeder wissa.«

Seegmüller sprang auf und wischte dabei seine Tasse vom Tisch, die klirrend am Boden zersprang. Er bebte vor Empörung. »Das ist eine Ungeheuerlichkeit, die Sie da von mir verlangen. Wie können Sie es mit Ihrer Verantwortung der katholischen Kirche gegenüber vereinbaren, einen solchen Vorschlag gutzuheißen?«

»Ach, wisset Se, die katholische Kirch nimmt’s mit ihrer Verantwortung mir gegenüber au net so genau. I würd saga, da schenket mir ons nix. Ond i ben au der Moinung, mr sodd a paar Kompromisse eingeha, sonschd laufet uns bald alle Schäfla davo. I woiß, des sehet die ganz oba andersch, aber was die net wisset, goht se au nix an.«

Seegmüller ließ sich auf seinen Stuhl fallen, ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken und stöhnte. »Herr, was habe ich getan, dass du mich so hart prüfst?«

»Ja, manchmol kann er scho an rechter Plog’goischd sei, onser Herrgott. Genau wie i. Ond weil des so isch, hätt ich einen Vorschlag. Wellet Se den höra?«

Seegmüller hob schwach die Hand, die Stirn berührte nach wie vor den Tisch. Goettle beugte sich vor, um seinem Gegenüber seine Idee ins Ohr zu flüstern. Mit jedem Satz wurde das Gejammer des Blutreiters lauter, es schien, als würden ihm die Worte Schmerzen bereiten.

»Also?«, fragte Goettle laut, nachdem er geendet hatte.

»In Gottes Namen«, röchelte Seegmüller.

»Noi, in Goettles Namen passt besser. Also, i sag dem Trautwein, dass er anfanga kann. Mir dürfet jetzt koi Zeit mehr verliera.«

»… es ist so: Gerade die junge Generation muss sich viel mehr für ihre Belange einsetzen. Nehmen Sie zum Beispiel die Fridays-for-Future-Bewegung. Wenn es sie nicht gäbe, würde die Regierung in Sachen Klimapolitik keinen Finger rühren. Protest muss auf die Straße, Missstände müssen aufgedeckt werden, die Menschen brauchen Informationen, sonst ändert sich nichts.«

Anong war dabei, sich in Rage zu reden. Ihr Gegenüber, ein Journalist der »Oberschwäbischen Nachrichten«, der sich mit Hilmar Glanzer vorgestellt hatte, schien das wenig zu interessieren. Er blickte immer wieder zu dem Tisch hinüber, an dem Pfarrer Seegmüller mit einem anderen schwarz gekleideten Herrn saß, der ihm offenbar Dinge erzählte, die den Weingartener Stadtpfarrer völlig aus der Fassung brachten.

Die mangelnde Aufmerksamkeit ihres Gegenübers ärgerte die junge Frau, schließlich war er wegen ihrer Geschichte hier. Allerdings hatte er von Anfang an Interesse missen lassen. Er hatte bislang kein Wort mitgeschrieben, starrte sie die gesamte Zeit unverwandt an und machte ihr zweifelhafte Komplimente. Carsten hatte offensichtlich richtiggelegen mit seiner Behauptung, der Journalist habe sich nur auf das Gespräch eingelassen, um sie persönlich kennenzulernen. Anstatt sich nach den Zielen der Gruppe zu erkundigen, hatte er sie mit persönlichen Fragen gelöchert und ihr entlockt, dass sie neben ihrem Studium in der Erwachsenenbildung arbeitete und Deutschkurse für Menschen mit Migrationshintergrund gab. Zu intimeren Bekenntnissen wie Lieblingsfilm, bevorzugte Musikrichtung und so weiter ließ sie sich nicht hinreißen. Sie hatte an Glanzer nicht das geringste Interesse. Er war mindestens 20 Jahre älter als sie, zudem eine ungepflegt wirkende Erscheinung. Seine dünnen Haare standen wirr vom Kopf ab und sein Anzug hatte länger keine Reinigung mehr genossen. Wenn sie sich in seine Richtung vorbeugte, nahm sie ein olfaktorisches Gemisch aus Schweiß und Imbissbude wahr. An Selbstbewusstsein mangelte es ihm wiederum nicht. Sein anmaßendes Gebaren, dieses Augengezwinkere, ließ die Vermutung zu, dass er sich für unwiderstehlich hielt.

Anong räusperte sich übertrieben laut und tatsächlich konnte sich Glanzer kurz vom Nebentisch losreißen.

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