Zwischen meinen Inseln

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Brisbane, 19. Dezember 1916

Ich habe heute in der Zeitung über Verdun in Frankreich gelesen. Dort wird seit Februar gekämpft, immer an ein und derselben Front. Die Deutschen haben Festungen belagert und eingenommen, aber die tapferen Franzosen konnten sie zurückerobern. Es wurde vormarschiert und sich wieder zurückgezogen. Die Erde bei Verdun muss zerfurcht sein von den Geschützgranaten. In der Zeitung wird es beschrieben, es gibt keine Bilder, es gibt nur die Worte, über Tod und Zerstörung.

Brisbane, 23. Dezember 1916

In gut einem Monat wird Tom die Vorschulgruppe hier in New Farm besuchen. Sie haben ihn aufgenommen, aber es wird uns einiges kosten. Er wird dann immer bis mittags fort sein. Ich muss mir meinen Arbeitstag also neu einteilen. Der Vormittag gehört dem Geldverdienen, der Nachmittag Tom.

1917
Brisbane, 1. Januar 1917

Den Silvester Abend haben wir im Restaurant von Onkel Louis gefeiert. Es war gar nicht so voll und darum war es auch sehr gemütlich. Tom durfte bis nach Mitternacht aufbleiben. Um halb eins habe ich ihn dann aber nach oben in die Wohnung gebracht. Er hat auch bei Tante Maggie und Onkel Louis übernachtet. Heute Morgen sind Vater und ich hin, um ihn abzuholen und bei dieser Gelegenheit haben wir sogar noch alle gemeinsam gefrühstückt. Onkel Louis stand wieder am Herd und er musste ein richtiges englisches Frühstück braten. Er hat den Mund verzogen, als er es uns servierte, aber es hat trotzdem herrlich geschmeckt, es gab Eier, Speck, Bohnen, Toast und so leckere weiche Brötchen, die noch warm waren. Tante Maggie hat eines genommen und mit dem Kopf geschüttelt, warme, weiche Brötchen sollen eine Spezialität in Toulouse sein.

Brisbane, 18. Januar 1917

Die Vorschule für Tom sollte ja am 29. Januar beginnen, jetzt wurde die Einschulung verschoben. Es ist schon tragisch. Der vorgesehene Erzieher hat in den Sommerferien an einem Zivilschutzprogramm teilgenommen und ist dabei tödlich verunglückt.

Brisbane, 12. Februar 1917

Ich bin so glücklich, weil Vater sich über mein Geburtstagsgeschenk wirklich sehr gefreut hat. Ich habe fast die ganze Woche daran gearbeitet, um in den Ledereinband Vaters Zeitungsartikel einzukleben, alle Zeitungsartikel, die ich in den letzten Jahren gesammelt habe. Es war aber mehr als einkleben, ich habe geschnitten, gepuzzelt, ausprobiert und erst dann geklebt. Es ist sehr schön geworden und es sind noch einige Seiten frei, für die ich mich schon verpflichtet habe, alles Kommende aus Vaters Feder hineinzubringen. Wenn der Band dann doch einmal voll ist, werde ich einen Zweiten herrichten.

Brisbane, 19. Februar 1917

Einen Monat hat es gedauert, eine neue Vorschullehrerin zu finden. Erst letzte Woche wurden die Eltern unterrichtet, dass heute Einschulung ist. Ich habe Tom hingebracht. Keith und Paul sind in seiner Gruppe. Die Lehrerin hat gleich mit ein paar Kennenlernspielen begonnen und die Eltern haben sich schon nach einer halben Stunde zurückgezogen. Ich werde Tom gegen Mittag abholen.

Brisbane, 1. März 1917

Ich bin jetzt selbst zur Lehrerin geworden, zur Privatlehrerin. Ich gebe nachmittags an einer Schule Französischunterricht. Die Schule hat mich darum gebeten, weil einige Eltern einen Französischkurs für ihre Kinder gewünscht haben, aber in der Kürze der Zeit keine richtige Lehrerin zu finden war. Ich mache es also nur vertretungsweise und auch nur bis Ende April. Es bringt nicht viel ein, dafür ist es aber nicht weit von zu Hause und so kann ich schnell hin- und wieder zurückkommen. Es sind vier Stunden die Woche. Ich habe jetzt natürlich den Ehrgeiz, die Kinder so gut vorzubereiten, dass der Lehrer, von dem die Klasse im Mai übernommen wird, über den großen Fortschritt staunt. Ich bin gespannt, ob es mir gelingt.

Brisbane, 13. März 1917

Ich bin ganz aufgeregt. Eben hatte ich ein Gespräch mit einem Professor von der Universität in Brisbane, ein Philologe oder Literaturwissenschaftler, wie er sein Gebiet nennt. Es war ganz interessant. Er benötigt die Übersetzung von Artikeln aus spanischen Fachzeitschriften. Es können auch Übersetzungen aus dem Portugiesischen anfallen. Er hat mir gleich einen ganzen Packen Papiere mitgegeben. Ich soll es einfach nur wörtlich übersetzen und dann, wenn ich fertig bin, mit ihm durchsprechen. Die Bezahlung ist sehr gut, sogar sehr, sehr gut. Ich habe mich gleich an meinen Schreibtisch gesetzt und losgelegt. Ich verstehe vieles aus den Fachartikeln zwar nicht, was mich aber an der Übersetzung der Wörter und Sätze nicht hindert.

Brisbane, 25. März 1917

Seit zwei Wochen habe ich mit meiner Klasse kein Wort Englisch mehr gesprochen. Zu Beginn des Unterrichts habe ich den Kindern noch jedes Wort übersetzt und die Grammatik fast nur auf Englisch erklärt. Das war nicht so gut, der andere Weg ist besser. Die Kinder drücken sich zwar noch recht umständlich aus, oft nur mit einzelnen Wörtern, aber wenn ich sie dann auf Französisch und nur auf Französisch korrigiere, wird es von Stunde zu Stunde besser. Ich muss eben auch meine Erfahrungen sammeln. Leider habe ich bislang außer meiner Anwaltskanzlei und dem Universitätsprofessor noch keine weiteren Kunden. Ich habe sogar schon meinen Kindern gesagt, sie sollen ihren Eltern erzählen, dass ich auch Briefe oder Dokumente übersetze, aber ich glaube, sie haben mich nicht richtig verstanden.

Brisbane, 7. April 1917

Die Amerikaner werden jetzt in den Krieg eintreten. Präsident Wilson hat dem Deutschen Kaiser den Krieg erklärt. Vater sagt, es hätte schon viel früher sein müssen, schon als vor zwei Jahren die Lusitania versenkt wurde. Alle hoffen jetzt, dass die amerikanischen Truppen schnell in Europa eintreffen, kämpfen und siegen.

Brisbane, 29. April 1917

Die eine Aufgabe ist jetzt fortgefallen. Ich habe gestern meine letzte Französischstunde gegeben. Ich weiß nur, dass ein neuer Lehrer gefunden wurde, vielleicht lerne ich ihn ja noch irgendwann einmal kennen, um zu erfahren, was er von meiner Klasse hält. In knapp drei Monaten ist zwar noch nicht viel zu erreichen, aber ich habe den Kindern einige Kunststücke beigebracht. Das Zählen funktioniert sehr gut und natürlich auch die ganzen Begrüßungen und Höflichkeitsformeln. Wir sind auch eine Menge Tiere durchgegangen. Die Kinder wissen wie der Hund, die Katze oder auch das Pferd und viele andere Tiere auf Französisch heißen. Ich bin eigentlich zufrieden. Ich hätte wirklich gerne weitergemacht. Dennoch bin ich mit den Aufträgen von der Universität und der Anwaltskanzlei einigermaßen ausgelastet. Die Anwaltskanzlei hat mir sogar ein höheres Honorar bewilligt.

Brisbane, 10. Mai 1917

Ich muss wohl jetzt langsam Karteikarten anlegen, um meine Kunden verwalten zu können. Ich übersetze jetzt auch ausländische Pressemitteilungen. Vater hat mir die Aufträge mit seinen Kontakten zu den verschiedenen Zeitungen besorgt. Es sind sechs Zeitungen, für die ich künftig arbeite, darum werde ich auch die Karteikarten brauchen. Ich muss bei der Übersetzung ganz schnell sein. Ein Bote schickt mir zumeist am Nachmittag die Texte und ich muss sie bis zum Abend fertig haben, denn dann holt der Bote sie wieder ab. Zum Glück gibt es auch Texte, für die ich mehr Zeit habe. Es wird zwar nicht so gut bezahlt, aber die Übersetzungen lassen sich schnell machen, weil alles recht einfach geschrieben ist. Das meiste ist auf Spanisch und Französisch, aber ich hatte auch schon einen Text, den ich aus dem Holländischen übersetzen musste, es war sogar einer der ersten Aufträge.

Brisbane, 21. Mai 1917

Es gab bisher noch keinen Tag, an dem Tom nicht gerne in seine Gruppe gegangen wäre. Er hat sofort Gefallen daran gefunden. Er freut sich schon beim Aufstehen darauf. Für mich war es aber merkwürdig, dass das Haus jetzt morgens immer so still ist. Dafür ist am Nachmittag nicht mehr ans Arbeiten zu denken. Tom will mir alles zeigen, was er am Vormittag gespielt hat. Wir benutzen dabei sehr häufig die Schiefertafel. Tom zeichnet etwas und ich muss es nachzeichnen oder ich muss mir einen Buchstaben ausdenken und Tom nennt dann Wörter, die mit diesem Buchstaben beginnen.

Brisbane, 30. Mai 1917

Ich habe heute einen Teil meiner Honorare in Bücher investiert. Die ganzen juristischen Dinge habe ich bislang ganz gut übersetzen können, aber es fehlten mir immer wieder Worte, also Fachausdrücke. Ich bin dann in die Universitätsbibliothek gegangen und habe mir dort mein Wissen geholt. Eine mühsame Angelegenheit. Jetzt habe ich erst einmal ein spanisches Fachwörterbuch. Es ist nicht sehr dick, hat mich aber acht Schilling gekostet. Ich werde noch weitere Bücher brauchen, die ich mir nach und nach zulege.

Brisbane, 19. Juni 1917

Seinen letzten Fotoapparat hat Vater doch erst vor einem oder zwei Jahren bekommen, jetzt hat Monsieur Chazaud wieder eine Kamera geschickt, natürlich das neuste Modell, wieder eine Brownie Balgenkamera, auf die er Vater wohl spezialisieren will. Natürlich ist alles kostenlos, auch die Filme, die uns ja mehrmals im Jahr kartonweise erreichen. Es ist mittlerweile Vaters vierte Kamera. Der einzige Nachteil, Vater muss immer der Firma Eastman-Kodak treu bleiben.

Brisbane, 30. Juni 1917

Helen hat mich heute zum Einkaufen mitgenommen, ich sollte sie beraten. Sie braucht für eine Familienfeier ein neues Kleid. Nun hat Helen gedacht, dass ich den Pariser Chic kennen würde, was ich erst erfahren habe, als wir schon unterwegs waren. Ich musste sie leider enttäuschen, ich bin ja noch nie in Paris gewesen und dort wo ich herkomme, ist die Mode gegenüber dem Mutterland wohl meist Jahre zurück. Ich habe ja auch erst hier in Brisbane ein schönes Kleid schätzen gelernt. Helen hat sich aber davon nicht irritieren lassen, sie meinte, dass ich als Französin doch den Geschmack für Mode im Blut hätte. Wir haben dann auch gemeinsam etwas Schönes ausgesucht und Helen ist wirklich zufrieden.

 

Brisbane, 10. Juli 1917

Ich bin Anfang Juni das erste Mal gebeten worden, einen Brief, einen privaten Brief zu übersetzen. Eine Dame kam zu mir. Sie hatte irgendwo gehört, dass ich Portugiesisch übersetze. Das Interessante, sie war selbst gebürtige Portugiesin, lebt aber seit dreißig Jahren hier in Australien. Ihre Eltern sind früh gestorben und sie hatte ihre Muttersprache wieder völlig vergessen. Es war ihr zu peinlich, sich an ihre Landsleute zu wenden und so ist sie zu mir gekommen. Sie wollte an Verwandte in Portugal schreiben. Ich habe es dann gemacht und es war einmal etwas anderes. Auf jeden Fall hat es sich wohl herumgesprochen, dass ich solche Übersetzungen mache und so hatte ich bestimmt in den letzten Wochen zwei Dutzend solcher Aufträge. Ich musste Briefe schreiben und auch welche aus Portugal übersetzen. Ich kann dafür nicht das gleiche Honorar verlangen, wie bei meinen geschäftlichen Kunden, aber dafür fällt mir die Arbeit auch leichter.

Brisbane, 28. Juli 1917

Heute haben Tom und ich vor einem Atlas gesessen und uns die Inseln angeschaut, ihre Lage und ihre unvorstellbare Entfernung von Australien und von Brisbane. Ich hatte mir schon viel früher vorgenommen, Tom von Onoo, von seinem Vater zu erzählen. Tom ist jetzt fünf Jahre alt. Ich habe ihm die Wahrheit gesagt, über Onoo und mich. Ich habe auch gesagt, dass es meine Schuld sei, denn sein Vater wüsste nichts von ihm und es sei sogar meine große Schuld, es ihm nie gesagt zu haben. Tom hat alles verstanden. Ich habe auch gedacht, dass wir gemeinsam einen Brief an Onoo schreiben, denn ich finde es wichtig. Tom muss seinen Vater kennenlernen. Dann hat Tom aber gesagt, dass sein Vater doch spüren müsse, dass es ihn gibt und wenn er bislang noch nichts gespürt hat, so müssen wir warten, bis er es endlich spürt und von selbst zu uns kommt. Tom will auf seinen Vater warten. Ich habe nichts mehr dazu gesagt. Wir müssen Onoo irgendwann einen Brief schreiben. Ich habe es jetzt wieder aufgeschoben und weiß nicht, ob es richtig ist.

Brisbane, 5. August 1917

Seit einigen Tagen wird bei der Eisenbahn in New South Wales gestreikt. Vater ist in Sydney. Ich weiß noch nicht, ob er dort bleibt, um über die Streiks zu berichten, oder ob er keinen Zug nach Hause bekommt. Die Post soll jetzt sogar mit dem Schiff zwischen Brisbane und Sydney transportiert werden. Vater muss eben auch das Schiff nehmen. Ich werde es ihm schreiben.

Brisbane, 21. August 1917

Die Stahlwerke, die Schuh- und Kleiderfabriken und selbstverständlich auch die Eisenbahn und vieles mehr sind von den Streiks betroffen. Der Courier berichtet fast täglich und es ist nicht nur Vater, der seine Artikel schreibt. Es gibt zwei Lager. Die einen sagen, der Krieg verlange Höchstleistungen von jedem, der in der Heimat geblieben ist. Dies gilt besonders für die Arbeiter in den Fabriken. Das andere Lager sieht nicht den Krieg als Grund für die Erhöhung der Arbeitsstandards und so seien die Streikenden im Recht und keineswegs unpatriotisch. Es ist aber anscheinend unwichtig, wer im Recht oder im Unrecht ist, der Streik schließt das ganze Land ein, von Queensland und den anderen Ostterritorien bis in den Westen, bis nach Perth, vom Norden bis in den Süden und selbst bis auf die tasmanische Insel. Nachdem zunächst nur wenige Eisenbahner gestreikt haben, sollen es jetzt schon an die hunderttausend sein.

Brisbane, 1. September 1917

Ich bin sehr stolz, dass Tom jetzt schon in der Zeitung lesen kann. Es ist noch etwas holprig, wenn er Vater oder mir laut vorliest, aber er bekommt jedes Wort hin. Er fragt dann immer was dies oder jenes bedeutet und vieles weiß ich selbst nicht, oder ich tue mich schwer, die politischen Dinge zu erklären. Dann muss Vater uns beiden helfen. Am liebsten lesen wir aber, was auf dem Lande vorgefallen ist, wenn es irgendwo gebrannt hat und die Feuerwehr konnte es löschen oder wenn bei einer Zuchtausstellung ein Preis für den schwersten Bullen vergeben wurde. Einmal hat Mrs. Lovegrove ihre Brille vergessen und Tom hat ihr vorgelesen. Jetzt tut sie immer so, als hätte sie die Brille nicht dabei und Tom ist dann ganz eifrig mit der Zeitung. Ich überlege mir, Tom auch einmal ein richtiges Buch zum Lesen zu geben.

Brisbane, 12. September 1917

Es kehrt nun doch wohl Ruhe ein. Als Erstes nehmen die Eisenbahnen ihren Betrieb wieder auf. Vater hat bereits einen Zug nach Sydney bestiegen, um die Ereignisse, die in New South Wales ihren Ausgang genommen haben, noch einmal zu recherchieren. Wenn so ein Streik beendet wird, dann kehrt sehr schnell wieder Normalität ein, wie es im Land jetzt festzustellen ist.

Brisbane, 20. September 1917

Ich habe den Ehrgeiz, dass Tom zu seiner Einschulung nicht nur lesen kann, sondern auch schon das Einmaleins beherrscht. Wir sind jetzt bei der Sechs und wir haben erst letzte Woche angefangen. Tom soll es natürlich nicht auswendig lernen, sondern richtig rechnen, was sich aber erst bei den Zahlen über zehn erweisen wird. Dann möchte ich noch, dass er seine Heimat kennenlernt. Wir haben uns eine Karte von Australien genommen. Ich decke die Städtenamen ab und Tom muss zeigen, wo Sydney oder Perth oder gar Darwin liegt. Bei diesem Spiel ist Tom besonders gut und es macht ihm auch die größte Freude. Er sitzt oft lange über der Karte und schaut sich alles genau an. Er fragt mich dann, ob ich wüsste, wo Charleville oder Cunnamulla liegen. Ich weiß es natürlich nicht, ich habe von diesen und anderen Orten noch nie gehört. Wir schauen es uns dann gemeinsam an. Die Orte in Australiens Innerstem liegen wirklich sehr einsam.

Brisbane, 2. Oktober 1917

Mein Schlafzimmer wird mir langsam zu klein. Ich bräuchte auch noch ein Bücherregal, aber es passt nichts mehr hinein. Ich habe die meisten meiner Bücher im Wohnzimmer stehen und nehme nur die mit an meinen Schreibtisch, die ich gerade für eine Übersetzung brauche. Ich bin jetzt schon recht gut ausgestattet. In diesem Jahr habe ich wirklich viel Geld für Wörterbücher ausgegeben, aber es sind eben meine Arbeitsgeräte.

Brisbane, 19. Oktober 1917

Die französischen Bücher, die Vater oder ich im Hause haben, sind für Tom noch nicht das Richtige. Ich möchte aber, dass er nicht nur englische, sondern auch französische Texte liest. In meiner Bibliothek auf dem College habe ich mich daher nach geeigneten Büchern umgesehen. Es gibt dort vieles auch auf Französisch. Es stammt aus Spenden oder wurde von Flohmärkten aufgekauft. Ich habe ein Tom-Sawyer-Buch auf Französisch gefunden, das ganz hübsch ist, weil es auch Bilder enthält. Tom soll es versuchen. Die Geschichten werden ihm sicherlich gefallen.

Brisbane, 10. November 1917

Ich habe Post aus Argentinien bekommen. Eine Anwaltskanzlei bittet mich um Übersetzungen. Ich sei empfohlen worden, sie schreiben aber nicht von wem. Ich soll eine Korrespondenz überwachen und Briefe übersetzen. Ich habe mich gefragt, ob es dafür keine Übersetzer in Argentinien gibt. Ich werde zurückschreiben. Vater meint, ich sollte mein Honorar möglichst hoch ansetzen, dann würden wir ja sehen, was ihnen meine Mitarbeit wert ist.

Brisbane, 30. November 1917

Die Anwaltskanzlei aus Argentinien, genauer gesagt aus Neuquén, hat sich wieder gemeldet. Sie akzeptieren meine Honorarforderungen ich muss aber ein Dokument unterschreiben, in dem ich mich zum Stillschweigen über alles verpflichte, was ich zu lesen oder zu übersetzen bekomme. Ich habe das Dokument gleich unterschrieben und zurückgesendet, schließlich sind solche Vereinbarungen auch bei den Anwälten hier in Brisbane üblich. Vater und ich haben nachgesehen, wo dieses Neuquén eigentlich liegt. Wir haben es in unserem Atlas erst gar nicht gefunden. Es liegt mitten im südamerikanischen Kontinent, weit von jeder Küste entfernt.

Brisbane, 11. Dezember 1917

Vor ein paar Tagen haben wir uns abends Vorträge über die Schulen in Brisbane angehört. Den Eltern wurden dabei die privaten Schulen vorgestellt, in denen Schulgeld bezahlt werden muss. Es klingt wohl verlockend. Es ist auch gar nicht so teuer, zumindest findet Vater, dass es nicht sehr teuer ist. Tom würde auch den ganzen Tag betreut und dies ist es, was ich eigentlich nicht mag. Es ist für meine Arbeit schon ganz gut, dass Tom an den Vormittagen betreut ist, aber dass ich ihn den ganzen Tag nicht sehen soll. Noch schlimmer ist ein Internat. Es waren auch Vertreter eines Internats bei den Vorträgen. Tom würde dann nur alle vier Wochen zu Hause sein, weil das Internat oben bei Landsborough liegt. Ich denke, Tom wird nächstes Jahr wohl auf eine staatliche Schule gehen. In New Farm, gleich in der Nachbarschaft, gibt es eine Grundschule und in Spring Hill sogar zwei, die auch nicht so weit entfernt sind.

Brisbane, 22. Dezember 1917

Über Weihnachten werde ich ein wenig arbeiten müssen. Die Anwaltskanzlei aus Neuquén hat mir einige Akten geschickt, die ich jetzt bearbeiten muss. Ich habe schon hineingeschaut, es wird nicht besonders schwer, es sind aber sehr viele, engbedruckte Seiten. Ich hoffe, ich werde bis zum Januar damit fertig. Die Sachen sollen nämlich bis Ende Januar wieder in Argentinien sein.

1918
Brisbane, 7. Januar 1918

Australische Truppen werden jetzt auch in Frankreich eingesetzt. Es berührt mich, dass jemand, den ich kenne, mein französisches Vaterland verteidigt. Ich sitze hier, so weit weg und jemand, der Frankreich nichts schuldig ist, gibt sein Blut für meine Nation.