Zwischen meinen Inseln

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Taiohae, 18. November 1909

Ich habe heute das Paket von der Post abgeholt, Monsieur Guerinaud hat die Fotografien geschickt. Vater und ich haben sie gemeinsam durchgesehen und sortiert. Einige sind gut für Vergrößerungen. Wir mussten uns beeilen, denn das Postschiff sollte schon am Nachmittag wieder fahren. Ich habe alles genau notiert, die Negative beschriftet und verpackt. Vater hat auch gleich neue Filme bestellt, er hat in den letzten Wochen viel verbraucht, einige Rollen sind wohl auch unbrauchbar geworden, weil sie zu lange in der Sonne lagen. Dann hat Vater Monsieur Guerinaud in seinem Brief zum wiederholten Male gebeten, endlich eine Filiale auf Nuku Hiva zu eröffnen, es würde sich lohnen, was natürlich nicht stimmt, denn außer Vater fotografiert hier kaum jemand von den Leuten. Wir sind dann gemeinsam zum Anleger gegangen und haben unsere Rücksendung direkt am Schiff aufgegeben.

Taiohae, 12. Dezember 1909

Ich musste ja lange warten, aber endlich ist mein Tiki fertig. Er wurde mir in einem Tuch verhüllt überreicht. Die wenigen Francs, die ich für ihn bezahlen musste, haben den Künstler glücklich gemacht. Er hat aber gar nicht erst versucht, mir noch weitere Aufträge zu entlocken. Ich weiß auch, warum, denn die Missionare sind, auf dem Markt gewesen und es sah nicht so aus, als ob sie sich nur für die angebotenen Früchte und die duftenden Gemüsestände interessiert hätten. Ich verstehe es nicht, die kleine Figur ist doch ganz harmlos, sie ist wunderbar glatt und von außen dunkelbraun gefärbt und alles wurde poliert. In den dicken runden Kopf wurden zwei glotzende Augen und eine breite Nase geschnitzt. Der Mund ist rund mit wulstigen Lippen. Die Figur ist zwar klein, dafür aber recht schwer.

Taiohae, 27. Dezember 1909

Weihnachten ist vorbei und ich habe endlich Ruhe. Ich habe mir Bücher gewünscht. Sie sind schon vor ein paar Wochen aus Tahiti gekommen, aber Vater hat sie vor mir versteckt, sie sollten ja ein Weihnachtsgeschenk sein. Endlich habe ich meinen eigenen Atlas und ein Universalwörterbuch, einen dicken Schinken, wie Vater sagt. Aus einer Kiste, die Vater vor mir hütet, hat er weitere Bücher für mich hervorgeholt. Ich möchte zu gern wissen, was sich noch in der Kiste befindet. Ich werde es aber nicht ausspionieren, aus Respekt vor Vater. Ich muss einfach darben, was er noch für mich hat und mir vielleicht zu meinem Geburtstag gibt. Jedenfalls habe ich zwei Bände von einem Herman Melville. Derzeit blättere ich allerdings in dem Atlas. Kurz vor Weihnachten bin ich wieder auf Ua Huka gewesen. Vater hat mich ausgeschimpft und mich noch zu einer härteren Strafe verurteilt, wenn ich nicht in Begleitung einer der Nonnen gewesen wäre. Wir sind eine Woche lang mit einem Karren zu mehreren Dörfern gefahren und haben die Schar von Kindern unterrichtet, die nicht zur Schule kommen können. Es hat mir Freude gemacht. Die Lehrerin hat mich fast alles alleine machen lassen. Es war eine schöne Übung. In einem Dorf an der Küste haben wir die sieben Kinder eines Koprabauern unterrichtet. Der älteste Sohn, ein großer, kräftiger Junge in meinem Alter, konnte weder lesen noch schreiben, was sogar seine jüngeren Geschwister leidlich beherrschten. Dafür konnte er mir alles über das Kopra erzählen. Ich nahm mich seiner an und habe damit eine Mission begonnen, die ich unbedingt zu Ende bringen muss. Onoo heißt dieser Junge. Er hat mir sogar ein Weihnachtsgeschenk gemacht, eine Kokosnussschale, auf die er eine Gruppe von Pferden geschnitzt hat. Es ist ein wunderschöner Wandschmuck, der jetzt in meinem Zimmer hängt.

1910
Taiohae, 8. Januar 1910

Heute haben wir ein verspätetes Weihnachtsgeschenk bekommen. Eigentlich hat Vater es bekommen und eigentlich war es kein Weihnachtsgeschenk. Es war ein Paket aus Amerika, von Vaters Schulfreund. Ich war ganz aufgeregt, fast wie ein Kind. Vater und ich haben es gemeinsam geöffnet. Das Paket war größer als die, die wir sonst bekommen. Ich will es kurz machen. Vater hat einen neuen Fotoapparat. Monsieur Chazaud schreibt, dass er sehr modern sei, das neuste Modell. Es ist eine Brownie 2a mit einer ausfahrbaren Linse. Die Klappe an dem Fotoapparat wird geöffnet und die Linse fährt an einem gefalteten Ledersack heraus. Vaters alte Brownie hatte das nicht. Monsieur Chazaud hat natürlich auch noch neue Fotofilme mitgeschickt.

Taiohae, 10. Februar 1910

Ich glaube ich will nicht mehr nach Tahiti und dort Lehrerin werden. Ich brauche das nicht. Ich habe meine Aufgabe gefunden. Ich weiß natürlich, dass ich eine Ausbildung brauche, um zu unterrichten, aber es geht doch auch so. Für die Schüler, die ich habe und die mir folgen, reicht es, auch wenn dies vermessen klingt. Auf Ua Huka bin ich schon bekannt. Ich war bereits zum vierten Male dort, zuletzt sogar allein, auch wenn nur für ein paar Tage, weil die Lehrerin erkrankt war. Ich habe auch schon Erfolge. Ich habe einigen Mädchen und Jungen das Lesen und Schreiben beigebracht. Diese Fertigkeiten scheinen mir am Dringlichsten zu sein. Alles andere erlernt sich dann von allein, wenn jemand erst einmal in der Lage ist, ein Buch zu lesen oder die Bibel, wie es die Lehrerin sofort angeführt hat. Einen Schüler habe ich, der besonders eifrig ist, zumal er auch mein erster Schüler war. Es ist Onoo, der mir sogar weitere seiner Kumpane zugeführt hat. Sie müssen alle schon lange auf dem Feld arbeiten und dennoch, sind sie bemüht, meinen Unterricht am Nachmittag zu besuchen.

Taiohae, 12. Februar 1910

Ich habe heute für Vater gekocht. Onoos Großmutter hat mir die Zubereitung einiger Gerichte gezeigt. Eigentlich war es nicht nett, meine neuen Künste an Vater auszuprobieren, wo es doch sein Geburtstagsgeschenk sein sollte. Aber es hat uns beiden geschmeckt, also habe ich nichts falsch gemacht. Onoos Großmutter sagt, aus der Brotfrucht ließe sich alles kochen. Eine Familie könnte das ganze Jahr über von der Brotfrucht leben und von den vielen verschiedenen Speisen, die sich daraus zubereiten ließen. Ich weiß nicht, das was ich gekocht habe war doch recht einfach, es war gut, aber es war einfach und so möchte ich es nicht jeden Tag essen. Ich bin doch ganz froh, dass wir morgen wieder in die Taverne gehen. Nicht dass mir französisches Essen besser schmeckt, aber ich brauche dort wenigstens nicht zu kochen und hinterher auch nicht abzuwaschen.

Omoa, 18. März 1910

Meinen Geburtstag habe ich nicht zu Hause gefeiert. Vater und ich sind seit gestern auf Fatu Hiva. Es war die weiteste Schiffsfahrt seit Langem. Wir sind an Hiva Oa und an Tahuata vorbeigesegelt. Omoa auf Fatu Hiva ist eine recht große Siedlung, nicht zu vergleichen mit Taiohae, bei Weitem nicht, aber es ist hier trotzdem sehr belebt. Vater wird diesmal nicht nur die Landschaften fotografieren, sondern auch die Dörfer und vor allem Omoa. Wir wollen eine Woche bleiben und es hat gestern schon sehr schön für mich begonnen. Wir haben zu meinem Geburtstag gegrillt, am Strand. Es gab Fisch und Brotfrucht und richtige Kartoffeln und so vieles mehr zu essen, denn es hat nicht lange gedauert und ich hatte viele Gäste. Einige Leute haben sich einfach dafür interessiert, was wir am Strand machen und Vater musste ja unbedingt damit heraus, dass es mein fünfzehnter Geburtstag sei. Mir wurden alle möglichen Glückwünsche überbracht, Gebete, Gedichte, Gesang. Ich habe eine Harpune geschenkt bekommen und einige Schnitzereien. Es wurde mir einfach so gegeben, die Leute wussten ja vorher nicht, dass ich Geburtstag habe. Dann haben wir alle gemeinsam gegrillt und gegessen und dabei sind die vielen verschiedenen Speisen zusammengekommen. Wir hätten natürlich nicht so viel Fisch gehabt, um all die Leute zu bewirten, aber das war eben auch nicht notwendig. Meine Gäste haben ihre Speisen nämlich selbst mitgebracht. Wer von dem Fest gehört hat, ist zurück zu seiner Hütte oder zu seinem Haus gelaufen und hat Essen von dort geholt. Es wurde alles geteilt und ich musste von allem probieren. Mein erster Tag auf Fatu Hiva hatte wirklich einen sehr schönen Ausklang.

Omoa, 2. April 1910

Aus der einen Woche sind doch einige Tage mehr geworden. Vater hat sich sogar noch Filme für seinen Fotoapparat dazukaufen müssen. Es war aber auch Glück dabei, denn ein Handelsschiff hatte Ware für Fatu Hiva geladen und wollte weiter nach Hiva Oa und Nuku Hiva fahren. Die Fotofilme waren eigentlich für den Händler in Taiohae gedacht. Vater hat den Zahlmeister des Schiffes davon überzeugen können, dass er die Filme ja ohnehin bekommen würde, wenn er wieder auf Nuku Hiva sei und dass er sie eben jetzt schon bräuchte. Vater hat nicht alles bekommen, was er haben wollte, aber doch so viel, dass er erst einmal weiter fotografieren konnte. Sein Glück war es auch, dass er den Zahlmeister recht gut kennt. Für mich gab es nach einer Woche nicht mehr viel Neues auf Fatu Hiva zu tun und so habe ich Vater auf seinen Unternehmungen begleitet. Ich bin regelrecht zu seiner Assistentin geworden.

Ua Huka, 15. Mai 1910

Es soll eine Mutprobe sein, die Frucht des Maulbeerstrauches roh zu essen. Eigentlich wird aus der Noni ja ein Saft gepresst, dem weitere Zutaten beigegeben werden, damit er genießbar ist. Ich wollte natürlich erst einmal wissen, ob man sich an der Noni nicht vergiften kann. Dann hat einer der Jungen vorgekostet und so getan, als sei es köstlich. Ich habe mir auch eine Frucht gepflückt und vorsichtig probiert. Ich musste auf den Kern aufpassen, es war eher ein Stein wie bei einem Pfirsich, aber wo der Pfirsich süß und aromatisch schmeckt, ist die Noni einfach nur schrecklich. Sie schmeckt geradezu faulig. Ich hätte das Fruchtfleisch sofort wieder ausgespuckt, wenn nicht alle um mich herumgestanden hätten. Ich habe sogar gejubelt, wie gut es sei und mir noch eine Noni genommen. Immerhin habe ich zwei gegessen, aber es war bestimmt das letzte Mal. Den Saft werde ich wohl vorerst auch nicht wieder anrühren.

 

Ua Huka, 7. Juni 1910

Meine kleine Schule ist jetzt endgültig aufgelöst worden. Der Monsignore hat es verboten und gleichzeitig eine eigene Schule eingerichtet, die wohl die christlichen Werte deutlicher vermittelt, als mein Unterricht, in dem nur weltliche Dinge Platz finden. Zumindest habe ich etwas angestoßen, das eben nur von anderen weitergeführt wird. Allein mein erster und jetzt einziger Schüler ist mir noch geblieben, Onoo. Er hat mich sogar schon einmal in Taiohae besucht. Er kann recht gut lesen. Im Schreiben fehlt ihm aber noch die Übung. Ich lasse ihn aus dem Robinson Crusoe abschreiben, was ihm nicht gefällt, aber eine gute Übung ist. Onoos Familie ist mir auch schon gut bekannt. Für seine jüngeren Brüder und seine Schwester Vanessa war ich ja bereits die Lehrerin. Nur seine Eltern sträuben sich und sind zu stolz, um von mir, einem kleinen Mädchen, zu lernen. Es gibt auch einige alte Leute in der Familie. Ich weiß noch nicht, wer sie sind. Vielleicht sind es die Großeltern oder sogar die Urgroßeltern. Es können auch Onkeln und Tanten sein, was ich aber eigentlich nicht glaube. Heute Nachmittag holt mich Onoo von der Missionsstation ab und er zeigt mir das Land seiner Familie. Wir werden uns wohl wie immer am Dorfrand treffen, damit die Nonnen und vor allem der Monsignore nichts zu reden bekommen. Ich möchte nicht, dass Vater durch so etwas veranlasst wird, mich zurückzuholen und mir am Ende noch verbietet wieder herzufahren. Bisher toleriert Vater meine Ausflüge, aber er weiß ja auch, wie selbständig ich bin.

Taiohae, 30. Juni 1910

Auf der Fahrt von Ua Huka nach Nuku Hiva habe ich heute viele Haie gesehen. Es waren mehrere Dutzend und sie sind auf einen Kadaver gegangen. Es war vermutlich ein Wal, von dem aber nicht mehr viel übrig war. Unser Kapitän hat extra den Kurs geändert und ist näher herangefahren. Er hat die Haie verflucht, sie als Biester und Bestien beschimpft und seinen Steuermann auf das Getümmel im Wasser schießen lassen. Es sind wohl einige Haie getroffen worden und sofort haben sich die anderen auf die Opfer gestürzt. Das Wasser färbte sich rot, es war grausam aber auch sehr interessant. Ich habe nie zuvor Haie so aus der Nähe gesehen. Delphine begleiten die Segelschiffe ja häufiger, aber Haie schwimmen wohl eher unter der Meeresoberfläche, es sei denn, sie haben eine Beute. Irgendwann hat der Kapitän dann das Zeichen zum Aufhören gegeben und uns wieder auf Kurs gebracht.

Taiohae, 12. Juli 1910

Vater hat die beiden Zeichnungen immer in einem Regal in seinem Arbeitszimmer stehen. Jetzt hat er sie gerahmt und im Wohnzimmer aufgehängt. Ich habe heute davorgestanden. Wir waren noch so klein und trugen diese Sonnenhüte. Ich hocke vor einem Fischerboot und Thérèse steht auf ihrem Bild neben einem großen Korb. Dieser Maler, dieser Monsieur Gauguin, hat es so gezeichnet, wohl, damit wir uns voneinander unterscheiden, denn sonst bin ich wie Thérèse und Thérèse ist wie ich. Vater spricht nie von Mutter. Er hat einmal gesagt, ich könne zu ihr fahren, wenn ich wollte, ich könne bei ihr und Thérèse leben, in Frankreich. Vater wird mich nicht begleiten und darum will auch ich nicht fort. Ich will ihn nicht alleine zurücklassen. Wir gehören zusammen, nachdem er mich doch schon einmal verloren hat.

Taiohae, 7. August 1910

Ich habe noch nie Karten gespielt und wir hatten auch bislang keine Karten zu Hause. Vater hat jetzt aber fünf Päckchen mit Spielkarten geschenkt bekommen. Sie riechen noch ganz nach Farbe und sind richtig fest und glatt. Vater hat gefragt, ob er sie gleich ins Feuer geben soll, um mich nicht zu verderben. Ich habe natürlich Nein gesagt. Vater hat dann überlegt, ob er ein Kartenspiel kennt, das er mir beibringen kann. Er hat einen Stapel Karten nachdenklich gemischt und weiter überlegt. Dann sagte er mir, dass ich jetzt Piquet erlernen würde. Jeder von uns hat zwölf Karten bekommen, die restlichen acht wurden auf den Tisch gelegt. Dann haben wir unser Blatt angesehen und noch einmal Karten ausgetauscht. Vater hat immer alles vorgemacht, die ersten Partien haben wir offen gespielt, damit ich lerne, worum es geht. Vater hat mir auch das Zählen der Punkte beigebracht, was ich am schnellsten verstanden habe. Beim eigentlichen Kartenspiel muss man versuchen, die Karte des anderen auszustechen, also eine höhere Karte dagegenzuhalten, um einen Stich zu gewinnen. Ich habe solche Begriffe gelernt wie Farbe bekennen, Sexte, Octave oder Cartes blanches. Nach jeweils sechs Spielen steht ein Gewinner fest. Je länger wir gespielt haben und je besser ich es verstanden habe, desto interessanter war es für mich.

Taiohae, 25. August 1910

Ich bin erst gestern wieder nach Hause gekommen. Ich war wie schon die letzten Monate wieder auf Ua Huka, eine kurze Woche lang. Ich habe in Onoos Familie gelebt, mit ihnen vom selben Tisch gegessen und später in der Küche geholfen. Vanessa ist mir zu einer kleinen Freundin geworden. Die Frauen in Onoos Familie sind in der Minderheit. Vanessa nennt mich ihre große Schwester, sie ist gerade einmal sieben und ich schon fünfzehn. Ich lese ihr oft vor, obwohl meine Bücher nicht immer der richtige Stoff für eine Siebenjährige sind. So erzähle ich ihr Märchen, die ich aus dem Gedächtnis vortrage. Ihre Mutter und die beiden alten Frauen hören auch zu, wenn ihre Arbeit es zulässt. Ich weiß allerdings nicht, ob sie mein Französisch immer verstehen. Selbst Vanessa und auch Onoo haben damit noch ihre Schwierigkeiten. Ich selbst versuche einige Worte Marquesanisch zu lernen. Vieles lerne ich in der Küche und ebenso vieles bringen mir Onoo und Vanessa bei. Die Grammatik, sofern es eine gibt, habe ich bisher noch nicht richtig durchschaut. Onoo versteht sich nicht auf diese Dinge, sondern verwendet die Grammatik ohne mir eindeutige Regeln nennen zu können. Einmal habe ich Onoo auf die Felder begleitet. Sie lagen hoch oben zur Steilküste hin. Es gab Vanille, herrlich duftend und wir haben Mangos geerntet, ein Obst, das es zu jeder Mahlzeit gibt, genauso wie die Bananen, die mehr im Tal wachsen. In die Kokosnusshaine, von denen die Ropaatis mehrere besitzen, hat mich Onoo nicht mitgenommen. Es sei zu gefährlich, hat er mir erzählt und mir die Gefahr mit den herabfallenden Nüssen beschrieben. Die Palmen sind oft mehr als dreißig Fuß hoch und die Nüsse hängen ganz oben in den Kronen. Auf dem Weg zur Erde werden die Kokosnüsse zu gefährlichen Geschossen. Wir haben dafür aber Kokosnüsse geschält, was eine harte Arbeit ist. Ich habe auf einer Art Hocker gesessen, vor einem ein Metallspieß, neben einem Berg von Nüssen. Ich habe dann eine Kokosnuss genommen und sie auf den Spieß gehackt. Dann habe ich gezogen und die faserige Schale aufgerissen, um an die harte Nuss zu gelangen. Ich habe nur eine Nuss geschafft, dann waren meine Kräfte am Ende. Mit etwas Übung schaffe ich sicherlich mehr, aber es ist keine richtige Arbeit für mich. Besser gefallen hat mir dagegen das Monoimachen. Onoo hat mir schon des Öfteren den Tiare-Busch gezeigt. Seine Blüten duften so herrlich. Die gepflückten Blüten werden in Kokosnussöl eingelegt. Selbst Vanessa konnte mir erklären, dass das Öl die guten Stoffe aus den Tiare-Blüten aufnimmt und so zum Monoi-Öl wird. Ich kenne das Monoi-Öl schon seit Langem, seinen Geruch verbinde ich immer mit ganz frühen Erinnerungen. Ich war noch sehr klein und ich wurde mit dem Öl eingerieben. Ich wusste bislang aber nicht, wie Monoi-Öl gemacht wird, jetzt weiß ich es und habe es sogar selbst hergestellt. Onoo hat mir ein kleines Fässchen geschenkt, mit ganz frischem Monoi, das wir gerade erst gemacht haben. Ich will es jetzt jeden Tag benutzen, es riecht ja auch so gut und macht die Haut schön weich. Vanessa benutzt es auch für ihr Haar, was ich nicht so bevorzuge.

Taiohae, 12. September 1910

Vater hat es sich gestern mit einem Glas Absinth gemütlich gemacht. Er öffnet die Flasche ja nur sehr selten. In den vergangenen Tagen hat er viel in der Dunkelkammer gearbeitet. Es sind gute Aufnahmen geworden, ich habe sie mir angesehen. Das meiste ist wohl entstanden, als ich auf Ua Huka war. Wir haben die Bilder dann noch gemeinsam sortiert und die Päckchen fertiggemacht. Vater sagte, sie würden nach links und nach rechts gehen. Mit links meint er Australien, eine Adresse in Brisbane und zwei in Sydney. Rechts ist Amerika. Ein Päckchen nach San Francisco und eines sogar nach New York. Ich habe noch nie eine Zeitung oder ein Magazin gesehen, das Vaters Bilder gedruckt hat, aber die Zeitschriften aus Amerika oder Australien erreichen uns hier ja auch nur selten. Ich habe mir dann ebenfalls ein Glas genommen und den Absinth probiert, nur einen ganz kleinen Schluck. Vater hat nicht protestiert, weil er gleich gesehen hat, dass es mir nicht schmeckt. Ich musste sofort an den Matrosen denken, der sich vor meinen Augen erbrochen hat. Erst wurde mir auch etwas übel, aber dann kam doch ein wohlig warmes Gefühl in meinen Bauch. Trotzdem wird mir dieses Getränk wohl niemals schmecken.

Taiohae, 3. Oktober 1910

Ich werde einen Liebesbrief schreiben, einen Liebesbrief an Onoo. Ich bin plötzlich wie verzaubert, ich konnte mich am letzten Freitag gar nicht von ihm losreißen. Oh, er ist so fern von hier. Die Fahrt mit einem der Schiffe, die zwischen den Inseln verkehren ist so lang, was mir sonst doch nie so vorgekommen ist. Onoo hat mich geküsst, oben bei den Vanille-Feldern, inmitten dieses betörenden, beruhigenden Duftes. Er hat eine Schote aufgebrochen und sie zwischen seinen Fingern zerrieben. Es war wie eine Betäubung, als er mich dann in seinen Armen hielt und mich küsste. Onoo ist ein braver Kavalier, er hat mich nur dieses eine Mal geküsst. Danach gingen wir Hand in Hand zum Tal hinunter. Erst als wir auf seine Familie trafen, ließ er meine Hand los. Ich stand aber den Rest des Tages immer ganz in seiner Nähe und berührte seine Finger, wenn wir unbeobachtet waren. Die letzten Tage musste ich immer an Onoo denken. Ich habe diese Gefühle früher nicht für ihn gehabt, wo wir uns doch auch schon so viele Monate kennen. Ich rechne, es sind bald zehn Monate. Ich werde jetzt dieses Büchlein zuklappen und meinen Brief beginnen.