Zwischen meinen Inseln

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Taiohae, 15. Oktober 1910

Heute haben sie einen toten Matrosen am Strand gefunden. Ich habe gesehen, wie er zur Gendarmerie getragen wurde. Vater hat sich später erkundigt. Der Mann wurde erstochen, mit einem Messer oder einem Spieß. Er kommt von dem Frachtsegler, der seit Kurzem in unserer Bucht vor Anker liegt. Der Matrose soll noch ganz jung gewesen sein, kaum ein paar Jahre älter als ich. Sie wissen noch nicht, wer ihn getötet hat, oder ob es nicht doch ein Unfall war. Von den Leuten hier auf der Insel kann es niemand gewesen sein. Die Gendarmen wollen jetzt den Frachtsegler untersuchen und die Mannschaft befragen.

Taiohae, 22. Oktober 1910

Der Frachtsegler liegt seit mehr als einer Woche in der Bucht. Die Gendarmen haben blutige Verbände auf dem Schiff gefunden, auch getrocknetes Blut. Sie vermuten jetzt, dass der Matrose nicht hier auf Nuku Hiva erstochen wurde und auch nicht auf seinem Schiff. Der Frachtsegler ist aus Papeete gekommen. Der Matrose wurde wohl bei einer Messerstecherei im Hafen von Papeete verletzt. Weil er sich nicht behandeln ließ ist er schließlich an seinen Wunden verblutet. Für die Gendarmerie auf Nuku Hiva gibt es somit nichts mehr zu tun.

Ua Huka, 11. November 1910

Ich habe heute bei der Ernte geholfen. Die Schoten der Johannisbrotbäume können in diesen Wochen gepflückt werden. Onoo hat mich mit aufs Feld genommen. Seine Familie besitzt siebzig Johannisbrotbäume. Es wird natürlich nicht gepflückt, sondern mit Stöcken gegen die tragenden Äste geschlagen. Die Schoten fallen dann herunter und können aufgesammelt werden. Anfangs habe ich auch einen Stock genommen, aber es wird auf die Dauer zu schwer und ich konnte den Stock zuletzt gar nicht mehr in die Höhe heben. Nach einer Pause habe ich dann den Sammlerinnen geholfen. Wir haben eine Menge Schoten zusammenbekommen. Abends hat Onoo mir dann die Früchte noch einmal gezeigt. Die Hülsen werden getrocknet, können aber auch frisch zu Brei verarbeitet werden. Onoo hat auch einige Schoten aufgebrochen und mir den Samen gezeigt, der ebenfalls verkauft werden kann. Ich brauche jetzt ein paar Tage um mich auszuruhen, aber dann möchte ich wieder bei der Ernte helfen, es hat wirklich Freude gemacht.

Taiohae, 11. Dezember 1910

Heute habe ich etwas Ekelhaftes mit angesehen. Einige Fischer hatten aus dem Meer eine große Schildkröte gefangen und mit an den Strand gebracht. Sie haben sie erst dort getötet. Sie haben ihr mit einem Knüppel auf den Kopf geschlagen, sie betäubt, sodass sie nicht mehr zuschnappen konnte und sie dann mit einem Messer aufgeschnitten, es war nicht schön, aber ich habe mir alles genau angesehen, weil ich auch wissen wollte, wie eine Schildkröte unter ihrem Panzer aussieht. Der Panzer ist mit dem Tier verwachsen. Die Fischer haben mit langen Messern alles Fleisch herausgetrennt. Das Fleisch wurde verteilt und jeder hat eine ordentliche Portion erhalten, es war eine sehr große Schildkröte. So ganz ohne das Tier in seinem Inneren sah der Panzer dann aber doch recht klein aus, eine leere Hülle. Einer der Männer hat ihn kurz als Trommel benutzt. Dann wurde der Panzer aber zersägt und das Schildpatt wurde abgetrennt. Ich durfte mir ein Stück ansehen. In die Sonne gehalten schimmert es in bunten Farben. Das Schildpatt wurde auch an die Jäger verteilt. An diesem Tag hatten sie wirklich eine reiche Beute. Die Schildkröte tat mir aber trotzdem leid.

Taiohae, 27. Dezember 1910

An den ruhigen Tagen habe ich mir ein Spiel für den Unterricht ausgedacht. Ich glaube, es stammt nicht von mir, denn ich erinnere mich, als Kind auf ähnliche Weise die Buchstaben des Alphabets gelernt zu haben. Ich will eine Tafel nehmen und mit Kreide ein Wort darauf schreiben. Dann werde ich mit einem Tuch die Buchstaben wieder auswischen. Ich lasse nur einzelne Striche der Buchstaben stehen. Die Schüler müssen dann herausfinden, welches Wort ich geschrieben habe. Ich werde erst einfach beginnen, mit kurzen Wörtern. Später sollen die Wörter dann länger werden. Bei den längeren Wörtern muss man aber wohl einzelne Buchstaben stehen lassen, damit es nicht ganz so schwierig ist.

1911
Ua Huka, 9. Januar 1911

Ich habe mich danach gesehnt, dass Weihnachten und Neujahr vorübergehen. So gern ich diese Tage auch mit Vater verbringe, so sehr hat es mich doch auch fortgezogen. Onoo und seine Familie feiern das Weihnachtsfest nicht wie wir. Sie folgen zwar den Zeremonien, die die Kirche vorgibt und ich bin auch davon überzeugt, dass sie gute Christen sind. Ich weiß aber auch, dass Onoos Großeltern noch ganz anders erzogen wurden und dass die Familie stets auch den Riten der Alten folgt. Ich liebe Onoos Familie, ich liebe Vanessa, die immer noch Große Schwester zu mir sagt und ich liebe seine Brüder, die ihn um mich bewundern. Vor Onoos Eltern habe ich Respekt, sie behandeln mich wie eine von den Inseln. Onoos Großmutter spricht von den Alten noch am besten Französisch. Ich habe ihr von meiner Geburt erzählt, weil sie es von mir wissen wollte, weil die Geburt eines Menschen das Schicksal bestimmt. Wer auf einer weichen Strohmatte geboren wird, muss zeit seines Lebens um jedes Recht und um alles kämpfen. Wer auf einem Fischerboot zur Welt kommt, den können die Haie und großen Fische im Meer niemals etwas anhaben. Ich wurde in einem Wald geboren, so hat Vater es mir immer erzählt. Er war nicht dabei und konnte es nicht verhindern. Onoos Großmutter hat es aber als gutes Zeichen gesehen. Je schwieriger die Geburt, desto glücklicher wird das Leben eines Menschen. Die Großmutter gab mir den Namen Julie de Bois, damit jeder gleich weiß, zu welcher Sorte Mensch ich gehöre. Es kam überraschend für mich und doch enthält es die Wahrheit. Großmutter hat erklärt, dass es etwas Ehrenvolles, etwas Naturnahes sei, wenn ein Mensch vom Walde kommt oder vom Berg oder vom Meer oder vom Fluss. Ich bilde mir ein, dass sich dieser Name jetzt erfüllt, ich fühle mich stark. Vanessa hat es als Erste aufgegriffen, sie nennt mich ihre Große Schwester Julie de Bois.

Ua Huka, 13. Januar 1911

Es ist nicht immer leicht, mit Onoo alleine zu sein, meisten gehen wir hinauf zur Steilküste und sitzen an dem Feld mit den Vanille-Sträuchern. Manchmal ziehen wir uns zwischen die Holzgestelle zurück, in denen die Pflanzen eingehängt sind. Wir liegen dann nebeneinander und sehen in den blauen Himmel, sehen, wie die Wolken vorbeiziehen und Onoo hält meine Hand. Wir erzählen uns Geschichten, die wir uns ausdenken. Onoo erzählt zumeist, dass er als Kapitän die Welt kennenlernen will und dass ich ihm den Weg nach Frankreich zeigen soll. Ich bringe ihm dann bei, welche Städte und Länder er dort besuchen kann. Wir dürfen nicht zu lange fortbleiben. Wir müssen auch immer etwas Vanille geerntet haben oder wir gehen gleich mit Hacken und Rechen zum Feld. Natürlich bleibt uns keine Zeit das Unkraut zu jäten und wenn doch, dann immer nur ein bisschen. So geht es zwar nicht jeden Tag, aber diese Tage sind mir dann die schönsten. Onoo hat sehr viel Fantasie und er ist intelligent. Ich sehe es daran, wie schnell er lernt und mit welcher Begeisterung. Sein Leben scheint vorbestimmt zu sein. Als ältester Sohn wird er einen großen Teil der Plantagen bekommen, die heute noch seinem Vater und Großvater gehören. Er wird eines Tages zum Oberhaupt seiner Familie werden. So kann ich mir Onoo noch gar nicht vorstellen. Ich genieße jetzt die Zeit und ich gestehe mir sogar ein, dass ich Onoo sehr liebe.

Anmerkungen der Herausgeber

In diesem Teil der Tagebücher, das heißt in den Originaldokumenten, sind sehr viele unvollendete Beschreibungen zu finden. Madame Jasoline, oder besser Julie, wie wir sie noch nennen wollen, hat in den Aufzeichnungen häufig Sätze durchgestrichen, neu begonnen und zum Teil wieder durchgestrichen. Die Streichungen sind nicht immer lesbar. In diesem Zusammenhang haben wir über die Lebenssituation von Julie nachgedacht und versucht einzuschätzen, welches tatsächliche Verhältnis sie zu Onoo oder der Familie Ropaati hatte. Meine Frau und ich haben die Familie Ropaati selbst kennengelernt. Uns ist sogar Vanessa, die jüngste Schwester von Onoo Ropaati, noch begegnet. Die Ropaatis sind heute einfache Koprabauern. Zu Julies Zeiten bedeutete dies aber hohes Ansehen und eine gewisse gesellschaftliche Stellung innerhalb der Inselwelt der Marquesas. Noch heute ist der Landbesitz der Ropaatis beträchtlich und gehört zum größten Vermögen der Familie. Julie hatte sich also im Jahre 1911 nicht einfach mit einem Bauernsohn liiert. Dennoch haben die kolonialen Verhältnisse in Französisch-Polynesien eine solche Verbindung nicht toleriert. Julie berichtet nur am Rande davon. Sie ist sich aber auch nicht der Situation bewusst. Sie lebt in ihrer Welt und der Vater lässt sie bis zu einem gewissen Grade gewähren. Was Victor Jasoline allerdings tatsächlich darüber denkt, erfahren wir nur sehr oberflächlich. Dies liegt zum einen daran, dass er natürlich nicht selbst zu Wort kommt und zum anderen, dass Julie sehr wahrscheinlich nicht alle Konflikte zwischen ihr und ihrem Vater dokumentiert hat. Sie lebt auch hier in ihrer eigenen Welt. Dieses Fazit ist nicht negativ gemeint, es liegt zum einen an Julies Jugend und zum anderen an den Umständen, unter denen sie aufgewachsen ist. Der Leser wird aber in den folgenden Aufzeichnungen, insbesondere in denen der späteren Jahre, eine Entwicklung, eine Reifung in dem Menschen Julie Jasoline erkennen. Nach diesem kleinen Einschub möchten wir Julie wieder selbst zu Worte kommen lassen.

Taiohae, 22. Januar 1911

Wie hat Onoos Großmutter mich genannt, Julie de Bois. Ich habe die Zeichnung von der Wand genommen und aus der einfachen Julie eine Julie de Bois gemacht. Ich habe versucht, die Worte so zu schreiben, wie der Maler sie geschrieben hat. Ich habe Monsieur Gauguins Grab im letzten Jahr auf dem Friedhof über Atuona gesehen. Er ist 1903 gestorben, die Zeichnung hat er 1902 gemacht, es sind fast zehn Jahre her. Ich bin doch recht erwachsen jetzt.

 

Taiohae, 14. Februar 1911

Onoo hätte mich am liebsten gleich wieder mitgenommen, aber ich bleibe noch bei Vater. Ich tue Onoo Unrecht, er ist ja nicht nur gekommen, um mich abzuholen, er hat Vater auch ein Geschenk gemacht, einen wundervollen Stock. Es ist kein Spazierstock, wie ihn die Männer in Papeete tragen, sondern ein Bergstock, mit dem sich jedes Gelände bezwingen lässt. Onoo hat es uns vorgemacht. Der Stock ist aber nicht nur praktisch, sondern auch sehr schön. Onoo hat lange nach einem geeigneten Ast gesucht und ihn erst im Januar gefunden. Ich habe den Stock noch so gesehen, wie ihn die Natur gegeben hat und jetzt ist er ein Kunstwerk. Er ist der Länge nach blank poliert. Dann hat er einen geschnitzten Griff. Die Rillen darin zeigen die gleichen Motive, wie sie die Männer als Tattoos tragen. Onoo hat eines seiner Armtattoos in den Griff gearbeitet, als seine Unterschrift. Die Rillen im Griff sind aber nicht nur schön, sie sorgen auch dafür, dass die Hand immer einen festen Halt hat. Vater hat sich sehr über das Geburtstagsgeschenk gefreut. Für Onoo und mich ist dies sehr wichtig. Ich möchte, dass Vater Onoo genauso gern hat wie mich. Darum darf es jetzt auch nicht so aussehen, als wollte Onoo mich einfach nur wieder mitnehmen. Vater und ich haben ihn gestern verabschiedet und ich werde ihm frühestens in zwei Wochen nach Ua Huka folgen.

Taiohae, 17. März 1911

An meinem sechzehnten Geburtstag ist Onoo heute zu Besuch bei mir und Vater. Ich denke Vater wird erst jetzt bewusst, was Onoo mir bedeutet. Ich weiß nicht, ob er es gutheißt. Vater hat mir immer meine Freiheiten gelassen, meine Entscheidungen. Ich habe Onoo auch nach Taiohae gebracht, weil Vater akzeptieren soll, dass wir jetzt ein Paar sind. In Onoos Familie ist dies schon längst geschehen. Vater weiß es, aber er hat mich noch nicht darauf angesprochen und er wird es auch nicht, solange Onoo noch hier ist. Dann aber wird Vater mit mir sprechen. Onoo wird noch bis übermorgen bleiben. Ich wollte ihm dann eigentlich folgen, aber ich werde es nicht tun, zumindest nicht gleich. Ich möchte Vater Gelegenheit geben, mit mir allein zu sein und zu sprechen. Onoo hat von seinem Land gesprochen und über die Ernte und überhaupt von den Dingen, die auf Ua Huka wachsen. Vater schien interessiert zu sein, aber ich habe auch das Gefühl, das er Onoo gemustert hat. Ich habe mittlerweile gelernt, dass Onoos Familie sehr angesehen ist und das nicht nur auf Ua Huka, seinen Vater und Großvater kennen die Leute auch auf den anderen Inseln, selbst auf Nuku Hiva, wo ihre Waren den Überseehändlern angeboten werden. Das Monoi der Ropaatis hatte schon immer eine besondere Qualität, die selbst auf Tahiti begehrt ist. Vater weiß über all dies Bescheid.

Taiohae, 19. März 1911

Wie erwartet, habe ich ein langes Gespräch mit Vater geführt. Ich sitze jetzt im Schein einer Kerze, weil ich dies beim Schreiben schöner finde als elektrisches Licht. Vater hat mich nach meinen Gefühlen gefragt und ich habe ihm frei und ohne Scheu geantwortet. Ich liebe Onoo, das hat jetzt auch Vater aus meinem Munde gehört. Er hat mich an sich gedrückt und mir gezeigt, dass er diese Liebe respektiert. Er lässt mich auch morgen in der Frühe wieder zu meinem Onoo fahren. Er weiß mich in einer Großfamilie, sodass er sich keine Sorgen um mich machen muss. Ich bin so froh, dass ich mit Vater gesprochen habe, es erleichtert mir jetzt einiges.

Taiohae, 7. April 1911

Vater mit seinen Sprichwörtern. Ich glaube immer, alle zu kennen und dann kommt er mit etwas ganz Neuem. Es war schon dunkel draußen, wir haben aber noch auf der Veranda gesessen und geschwiegen. Es ist herrlich, einfach nur dazusitzen, jemanden in seiner Nähe zu haben und dann für eine Weile zu schweigen. Vater hat das Schweigen als Erster gebrochen, eben mit diesem Sprichwort, dass ich noch nicht kannte und Vater hat irgendwie meine Gedanken erraten. Ich weiß auch nicht, wie er das gemacht hat. Das Sprichwort war für mich nicht ganz schmeichelhaft: »Was eine Frau will, davor zittert Gott«. Ich weiß doch gar nicht, was ich will. Ich will bei Onoo sein, gut, das stimmt, aber ich will kein Leben führen, das in alle Ewigkeit vorbestimmt ist. Es wird noch passieren, dass ich deswegen Onoos Leben und das Leben seiner Familie durcheinanderbringe. Ich komme von weit her, nicht aus diesem Teil der Welt. Frankreich kann mir genauso nahe sein wie Tahiti oder diese kleinen Inseln hier. Nicht nur Gott zittert vor dem, was ich will.

Ua Huka, 18. April 1911

Onoo und ich waren mit einem Boot draußen, weit draußen. Die Fischer haben uns mitgenommen, ein Ausflug. Es war ein schöner Nachmittag und wir haben beim Fang geholfen. Ich würde wegen der Haie niemals ins Wasser gehen, nicht so weit vom Land entfernt. Onoo wollte mir seinen Mut beweisen, er hat sich am Heck des Bootes ins Wasser plumpsen lassen. Es war gar nicht so tief, dort wo er getaucht ist. Onoo war aber trotzdem lange unter Wasser. Ich habe mich immer umgesehen, ob nicht doch ein Hai auftaucht, aber es kam zum Glück keiner und vielleicht wurde Onoo ja auch auf einem Fischerboot geboren und die Haie können ihm daher nichts anhaben. Ich hätte es aber auch nicht auf die Probe stellen wollen. Bei seinem ersten Tauchen hat Onoo einen Stein mit heraufgebracht, keinen besonders schönen. Ich habe es nur im Spaß gesagt, natürlich war der Stein schön oder wenigstens akzeptabel. Onoo verzog das Gesicht und ist noch einmal getaucht, er wollte gar nicht wieder hochkommen. Einer der Fischer sagte dann auch noch, dass die Riffhaie die Schlimmsten seien, sie haben alle gelacht, ich fand es nicht so lustig. Onoo ist dann natürlich doch wieder aufgetaucht. Er hatte eine Muschel in seiner Hand, eine geschlossene Muschel. Er hat sie erst gar nicht vom Grund losbekommen, darum hat es auch so lange gedauert. Ich habe die Muschel an mein Herz gedrückt, damit Onoo endlich wieder ins Boot kommt. Wir sind dann auch schnell an Land gefahren, denn es war mittlerweile schon spät. Zu Hause habe ich nach einem schönen Platz für die Muschel gesucht. Onoo hat nur mit dem Kopf geschüttelt, ich könne doch das Muschelfleisch nicht in der Schale lassen, es würde schon am nächsten Tag riechen. Onoo hat dann ein großes Messer geholt und die Muschel aufgehebelt. Beinahe hätte er sich dabei geschnitten. Das Muschelfleisch war noch richtig feucht, vielleicht hat die Muschel sogar noch gelebt. Dann haben wir es erst gesehen, eine winzige Perle, tatsächlich eine Perle, schwarz glänzend. Onoo hat sie herausgenommen und abgewischt, dann hat er kurz überlegt und gesagt, dass es nicht die Muschel sei, die er für mich heraufgeholt hätte, sondern diese Perle. Ich müsse sie mein Leben lang behalten und sie an meine Kinder und Kindeskinder weitergeben, sie müsse immer in meiner Linie bleiben. Onoo hat dabei gegrinst, aber ich fand seine Worte dennoch sehr erhebend. Ich habe die Perle in ein kleines Tuch gewickelt, sie ist ja so winzig.

Ua Huka, 22. Mai 1911

In den letzten Wochen war ich nur einmal zu Hause, aber was ist zu Hause. Ich meine damit, dass ich nur einmal für ein paar Tage bei Vater in Taiohae war. Er hat uns aber auch auf Ua Huka besucht. Es war eine offizielle Einladung der Familie Ropaati, Anfang Mai. Sie haben sich sehr um Vater bemüht. Es gab ein kleines Fest und sie haben ihm alles gezeigt, das Gut, die Felder und die Ernte. Onoos Vater war sehr stolz, als mein Vater das Land und den vorbildlichen Anbau gelobt hat. Nach zwei Tagen haben Onoo und ich Vater wieder zum Schiff gebracht. In den darauffolgenden Tagen hat sich allerdings einiges in der Familie Ropaati geändert, zumindest kam es mir so vor und dieser Eindruck hält sich noch immer. Letztendlich gab mir Vanessa ungewollt einen Hinweis. Ich schlafe mit ihr und den alten Frauen in einem Zimmer des Bauernhauses. Vanessa erwähnte dann eines Abends, dass sie traurig sei, wenn ich nicht mehr bei ihr schlafe, weil Eheleute schließlich doch auch in der Nacht zusammen sind. Ich habe es erst gar nicht richtig verstanden. Jetzt weiß ich, dass es nicht nur Vanessas Gedanken sind, viel mehr hat sie es von ihren Eltern. Vanessa hat mir dann sogar gesagt, dass ihr Vater in mir schon Onoos Frau sieht. Ich muss zugeben, dass ich mir zuvor nie darüber Gedanken gemacht habe, was mir und Onoo die Zukunft bringen wird. Ich bin einfach nur verliebt in ihn und will mit ihm zusammen sein, so oft es geht, seine Hand halten, ihn küssen, aber auch einfach nur mit ihm reden und träumen, wenn wir einmal wieder zwischen den Vanille-Sträuchern liegen und mit unseren Augen am Himmel den Wolken folgen. Natürlich habe ich über die Zukunft nachgedacht. Ich wollte Onoo unbedingt Tahiti zeigen, er war noch nie dort, er hat noch nie die Marquesas verlassen. Ich hatte sogar die Idee, dass ich zusammen mit ihm auf Tahiti einen Handel betreibe und wir die Waren verkaufen, die das Land seiner Eltern abwirft. Ich weiß, welche Spannen die reisenden Händler machen, wenn sie das kostbare Kopra oder die Vanille auf den Marquesas aufkaufen und nach Tahiti bringen. Ich habe mit Onoo darüber gesprochen, aber er hat mir nur zugehört und nichts darauf geantwortet. Ich fürchte, er kann meinen Träumen nicht folgen, noch nicht, denn wir sind ja noch jung und haben alles vor uns. Onoo ist zwar schon siebzehn, aber ein richtiger Händler, der Respekt erwarten kann, muss älter sein. Bis es soweit ist, werde ich Onoo weiter unterrichten. Ein Händler muss das Rechnen beherrschen und sich mit den Gewichten und Maßen auskennen. Dies alles sind Dinge, die ich auf der Missionsschule gelernt habe und die ich an Onoo weitergeben kann. Vielleicht werden wir eines Tages auch nach Europa reisen, aber doch bestimmt nach Australien oder Südamerika.