Zwischen meinen Inseln

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Taiohae, 30. Juni 1911

Im letzten Monat gab es viel zu tun, Erntezeit. Eigentlich ist das ganze Jahr über Erntezeit, doch im Mai und Juni wird das beste Kopra und der gehaltvollste Monoi gemacht. Wir haben Fässer gekauft und sie mit Monoi gefüllt. Ich kann nicht beziffern, welchen Wert alles hat. Aus der Nachbarschaft wurden Pferdekarren geliehen, um die Waren zum Anleger zu bringen. Onoos Vater ist in diesen Tagen ein reicher Mann, aber er hatte auch Auslagen und er ist so vernünftig, einen Teil der Einnahmen für schlechtere Zeiten zurückzulegen. Ich bin vor drei Tagen gleich am Anleger geblieben und habe das Postschiff nach Nuku Hiva genommen. Ich war es meinem Vater schuldig, ihn wieder einmal zu besuchen. Die Welt in Taiohae ist mir beinahe fremd geworden. Taiohae ist wie eine Stadt und ich komme jetzt ja vom Lande, von einem kleinen Gut, wie ich immer zu Onoo sage. Die Elektrizität blendet mich heute Abend, sodass ich wieder bei Kerzenschein in meinem Büchlein schreibe. Ich habe heute lange mit Vater gesprochen. Ich habe ihm von meinen Erlebnissen berichtet und er hat mir seinen Alltag geschildert. Wir haben auch über Tahiti gesprochen. Vater und ich sind jetzt schon so viele Jahre auf den Marquesas. Vater hat mir offen gesagt, dass er etwas verändern will. Er hat es mir so gesagt, als wenn es mich nicht betreffen würde und doch, wenn Vater tatsächlich nach Tahiti geht, so trennt mich mehr von ihm als eine kurze Reise mit dem Postschiff, ein ganzer Ozean liegt dann zwischen uns. Es dauert immerhin gut sechs Tage von Taiohae bis nach Papeete. Aber vielleicht ist es auch von Vorteil, wenn Vater schon auf Tahiti ist, wo ich doch Onoo dazu bewegen möchte dort ebenfalls sein Glück zu versuchen. Vater könnte uns Kontakte verschaffen und wir könnten bei ihm wohnen. Sicherlich sind meine Gedanken verfrüht, Onoo ist noch nicht reif für meine Pläne genauso wenig wie ich selbst. Es ist aber dennoch von Vorteil, Vater auf Tahiti zu wissen, auch wenn es schmerzt.

Ua Huka, 11. Juli 1911

Die Ropaatis hatten Besuch. Ein ganzer Klan hat sich auf unserem Gut eingefunden. Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen und zahlreiche Kinder. Ich habe lange über den Anlass nachgedacht und den wahren Grund noch immer nicht erfahren, selbst Onoo hat mir keine schlüssige Erklärung gegeben. Mir ist nur aufgefallen, dass ich des Öfteren im Mittelpunkt dieser Gesellschaft stand. Ich habe natürlich bei der Bewirtung geholfen, Mutter Ropaati hat mich sogar direkt dazu aufgefordert, was sie sonst nicht tut. Es war mir eine Freude. Am Abend haben sich die Männer zurückgezogen und sich beraten. Ich weiß nicht, worum es ging, denn diese Zusammenkünfte bin ich sonst in der Familie nicht gewohnt. Frauen und Männer sitzen am Abend stets beieinander. Neben der Männerrunde gab es auch eine Frauengesellschaft. Hier hatte ich wieder das Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen.

Ua Huka, 28. Juli 1911

Onoo hat mir heute ein Stück Land geschenkt. Ich weiß nicht, ob es ein Spaß von ihm war. Wir sind hinauf zu den Vanille-Feldern gegangen. Er hat das Feld halbiert und mir erklärt, dass der Teil zum Meer hin mir gehören würde. Wir sind mein Feld dann abgeschritten. Onoo sagte mir auch, dass ich bestimmen könne, was in Zukunft hier angebaut werden soll. Ich habe mich dann auf Vanille festgelegt. Es soll alles so bleiben, weil es mir so gut gefällt und weil ich mit Onoo so gerne zwischen den Vanille-Pflanzen liege und den Himmel beobachte. Als wir später wieder auf dem Gutshof waren, wusste Onoos Vater bereits von dem Geschenk. Er nahm mich in den Arm und gratulierte mir. Er sprach davon, dass die Schenkung im Buch der Alten vermerkt sei. Ich habe dieses Buch noch nie gesehen und glaube auch, dass Onoos Vater es eher symbolisch gemeint hat, genauso wie auch dieses Land mir nur symbolisch geschenkt wurde. Es hat mich aber trotzdem sehr stolz gemacht.

Ua Huka, 8. August 1911

Endlich habe ich begriffen. Endlich weiß ich, was vorgeht. Ich bin ganz hin und her gerissen, ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Morgen reise ich erst einmal zu meinem Vater und werde mich ihm anvertrauen. Onoo will mich heiraten, oder besser gesagt, seine Familie will eine Heirat. Für Onoos Vater scheint es ganz selbstverständlich zu sein. Natürlich heiraten wir nicht sofort, wir sollen uns zunächst verloben, wenn das der richtige Ausdruck ist und wenn es auf den Marquesas überhaupt eine Ehe und Eheleute gibt. Auf jeden Fall ist eine Verbindung zwischen mir und Onoo abgemachte Sache. Ich wurde der Verwandtschaft ja bereits vorgestellt und habe wohl einen guten Eindruck hinterlassen. Natürlich ehrt es mich, dass die Ropaatis ihren ältesten Sohn mit einer Französin verheiraten wollen, nur was kommt dann? Ich will eines Tages mit Onoo nach Tahiti gehen oder noch weiter fort. Jetzt denke ich aber, dass der Hoferbe niemals fortgelassen wird, und schon gar nicht, wenn er eine Frau hat. Ich habe mit Vanessa gesprochen. Sie ist zwar noch ein Kind, aber sie war ganz begeistert, sie will mir nacheifern und ist unheimlich stolz, dass ich bald ihre Schwägerin bin. Es ist beschlossene Sache, nur ich weiß nicht, was eine solche Verbindung zwischen Onoo und mir bedeutet.

Taiohae, 10. August 1911

Ich habe mich mit Vater ausgesprochen. Er hat mir erst jetzt die ganze Wahrheit gesagt. Meine Beziehung zu Onoo wird von ihm zwar toleriert und respektiert, aber nicht von den Behörden. Es hat sich herumgesprochen, dass ich mit Onoo zusammen bin. Die Kirche hat sich mehrfach bei Vater gemeldet, er soll die Verbindung lösen, es gehört sich nicht. All dies ist in den letzten Wochen und Monaten an mir vorübergegangen, ohne dass ich eine Ahnung hatte. Vater stärkt mich und sagt, dass er dem Druck standhält und sich für mich gegen die Missgunst stellt. Vater sagt, er will mir diese Liebe lassen, es gehört zum Leben, zum Erwachsen werden. Ich denke noch immer über seine Worte nach. Vater und ich haben dann nicht weiter über die Sache gesprochen. In der Nacht habe ich wach im Bett gelegen und über alles nachgedacht. Ich wünschte, ich wäre einige Jahre älter und reifer und im Leben erfahrener. Ich muss dann mit diesem Gedanken eingeschlafen sein. Ich habe geträumt, wie ich Onoos Frau war, wie ich das Haus versorgt habe und mich um die Alten gekümmert habe. Onoo war der Bauer und ich die Bäuerin. Ich bin im Traum auf den Hof vors Haus gegangen und in Richtung Küste. Ich bin gelaufen, schneller als ich es je vermag. Ich stand schließlich an der Klippe, dort wo das Land ist, dass mir Onoo geschenkt hat. Ich habe aufs Meer hinausgesehen. Ich konnte alles sehen, die Länder fern am Horizont, Tahiti und rechts Australien und Neuseeland, so wie in meinem Atlas. Tahiti habe ich so gesehen, wie ich es kannte, mit grünen Palmenhainen, den schwarzen Sandstränden und den schroffen Felsen der Gebirge. Australien und Neuseeland lagen aber vor mir wie eine Karte. Und ich konnte sogar über den Ozean sehen. Dann war plötzlich Onoos Familie bei mir, sie umringten mich und hielten mich. Und obwohl ich diese Leute mag, sie sogar liebe, fühlte ich mich unfrei und bedrängt. Ich wollte schreien, doch Onoo hat mich geküsst und ich brachte keinen Laut hervor. Ich weiß nicht, ob ich noch mehr geträumt habe. Der Traum liegt zwei Tage zurück. Heute Abend werde zurück nach Ua Huka fahren.

Ua Huka, 18. August 1911

Ich war kaum eine Woche wieder auf Ua Huka, als mich ein Brief von Vater erreichte. Er will im September nach Tahiti. Ich wusste nicht, dass es schon so bald sein sollte. Vater schreibt, dass er aber Weihnachten wieder auf Nuku Hiva sei. Weihnachten, das ist so lang hin. Ich bin verwirrt und mir über meine Gefühle nicht ganz im Klaren. Ich sehe Onoo plötzlich ganz anders, ich sehe seine Familie ganz anders. Ich brauche Zeit für mich, ich hätte noch länger bei Vater bleiben sollen, solange bis zu seiner Abreise. Ich überlege auch, sofort nach Taiohae zu fahren und ein paar Tage Abstand von alldem hier auf Ua Huka zu finden.

Ua Huka, 20. August 1911

Onoo spricht schon über den Tag, den er aber nicht richtig benennt. Ich weiß, dass es der Tag unserer Verlobung sein soll. Onoo selbst würde mich auch lieben, ohne dass dieser Tag kommt, aber ich glaube seine Familie hat Einfluss auf ihn. Er ist ein folgsamer Sohn, das erkenne ich immer mehr und es erschreckt mich. Warum können Onoo und ich nicht einfach so glücklich sein. Ich habe plötzlich eine Idee, ich werde Vater begleiten und ich werde Onoo bitten, mir zu folgen, wenigstens für ein paar Wochen. Ein paar Wochen mit ihm auf Tahiti. Dann wüsste ich auch, wie ich zu ihm stehe.

Ua Huka, 31. August 1911

Es ist eine Entscheidung gefallen. Onoo lässt mich gehen, aber er macht keine Anstalten, mir zu folgen. Ich habe ihm erklärt, dass es nicht für lange ist, dass ich ihm Tahiti, dass ich ihm die Welt zeigen will, von der ich ihm so viel erzählt habe. Ich habe bisher nur mit Onoo gesprochen und er hat es keinem anderem aus seiner Familie erzählt. Das ist die erste Enttäuschung. Ich will wissen, was sein Vater, seine Mutter denken und ich will sehen, wie Onoo zu mir steht, wie er die Verlobung verschiebt, über die mich bisher noch keiner aufgeklärt hat. Er tut aber nichts. Er wartet nur ab. Ich habe Vater einen langen Brief geschrieben. Er soll mich von Ua Huka abholen und dann werde ich sehen, wie sich Onoo verhält. Vielleicht ist eine kurze Trennung auch sehr gut für uns. Ich kann jederzeit aus Tahiti zurückkehren, zurück zu Onoo. Ich werde es sehen. Ich weiß nicht, wann Vater kommt.

Papeete, 14. September 1911

Seit einer Woche sind Vater und ich auf Tahiti. Es gab keinen Brief, Vater ist selbst gekommen und hat mich abgeholt. Es ist alles so geschehen, wie ich es befürchtet habe. Onoo war traurig, das habe ich gespürt, gezeigt hat er es aber nicht. Seine Familie hat sich nicht eingemischt, zu groß war der Respekt, den sie vor Vater hatten. Er ist einfach nur auf die Insel gekommen. Er kam alleine zum Gut der Ropaatis, zu Pferd. Wir haben eine halbe Stunde miteinander gesprochen. Vater hat mich gefragt, ob ich mir mit meiner Entscheidung sicher bin. Ich habe es bejaht. Ich habe dann einen Teil meiner Sachen gepackt, nicht alles, ich wollte nicht, dass es wie ein Abschied für immer aussieht und das soll es ja auch nicht sein. Wir sind dann zu Fuß ins Dorf und zum Anleger gegangen. Vater hat das Pferd am Zügel gehalten. Onoo hat uns begleitet. Wir haben den ganzen Weg nicht miteinander gesprochen, aber Onoo hat meine Hand gehalten. Ich war überrascht, dass das große Postschiff vor Reede lag. Ein Boot wartete auch schon. Wir sollten sofort nach Tahiti aufbrechen. Vater hat mir und Onoo noch fünf Minuten gegeben. Er hätte uns auch mehr Zeit zugestanden, aber es war nicht notwendig. Ich habe Onoo nichts versprochen und er mir auch nicht. Onoo weiß, wo er mich finden kann und ich weiß, wo er und seine Familie auf mich warten, wenn sie noch warten, wenn das Kapitel Julie de Bois für sie nicht schon zu Ende ist. Ich habe in den letzten Monaten verstanden, wie diese Menschen denken. Ein Sohn braucht irgendwann eine Frau, mit der er das Gut, das Land seiner Ahnen fortführt. Julie de Bois war akzeptiert, Julie de Bois hätte diese Frau sein können, ich bin mir nur nicht sicher, ob ich es jemals will, es kommt doch auch auf mich an. Ich liebe Onoo und ich hoffe er bricht mit seinen Traditionen, wenigstens sollte er es versucht haben, nur das eine Mal, um für sein Leben zu wissen, was der richtige Weg ist. Ich möchte dies wissen. Ich warte jetzt auf Onoo. Ich schreibe ihm keine Briefe, ich habe ihm alles gesagt, was zu sagen war, jetzt muss er handeln. Es kann aber auch sein, dass ich handele, dass ich nach ein paar Wochen das nächste Schiff nehme und zu meinen Inseln vor dem Winde zurückkehre, zu Onoo zurückkehre und seine Bäuerin werde, ein Teil seiner Familie werde.

 

Papeete, 21. September 1911

Vaters Pläne haben mich überrascht. Vor sechs Jahren hat er seinen Dienst quittiert, aber wir sind auf den Inseln geblieben. Jetzt zieht es ihn fort. Wir haben gemeinsam überlegt, was uns die Zukunft bringen kann. Ich habe dabei auch wieder an Onoo und mich gedacht. Vater und ich haben aber auch über Mutter gesprochen. Vater wollte eigentlich nicht mehr nach Frankreich zurückkehren, aber er hat ernsthaft überlegt, es zu tun, endlich mit Mutter ins Reine zu kommen. Mutter hat ihn verstoßen, ich muss zu Vater halten. Vater meint, dass Mutter bis heute nicht weiß, dass ich noch lebe. Sie hat Vaters Briefe nie beantwortet und er hat ihr doch so oft geschrieben, dass er mich auf Maui wiedergefunden hat, dass ich gerettet wurde. Mutter glaubt, dass Vater mich getötet hat. Ich kann mich nicht mehr gut an Mutter erinnern, ich habe eigentlich keine Erinnerung mehr an sie. Vater möchte noch einmal schreiben und dabei weiß er gar nicht, wo Mutter heute lebt. Vater soll es versuchen, ich stehe zu ihm.

Papeete, 1. Oktober 1911

Vater und ich haben wieder lange gesprochen, wir sind auf Pferden die Küste entlang geritten, bis hin zu einer Bucht, bis nach Orofara. Vater ist schon früher oft dort gewesen. Die Bucht ist sehr einsam, genügend Ruhe um nachzudenken und um zu sprechen. Wieder steht eine Entscheidung an. Die Frage ist, ob ich auf Tahiti bleibe und Onoo und mir noch eine Chance gebe. Onoo hat sich nicht bei mir gemeldet, er ist nicht zu mir nach Tahiti gekommen und er hat auch nicht geschrieben. Ich habe ihm das Schreiben beigebracht, jetzt könnte er es nutzen, jetzt hätte es einen so wichtigen Sinn. Vater hat ein Ziel, er will Polynesien verlassen, wir haben über Australien gesprochen. Wann und ob wir nach Australien gehen, hängt von mir ab. Vater wird mich nicht alleine lassen, noch ist er für mich verantwortlich. Ich habe mit ihm über Onoo gesprochen. Vater toleriert meine Liebe zu ihm, das hat er früher ja schon öfter betont. Er sagt, ich sei jung, ich dürfte eine solche Liebe haben. Ich weiß nicht, ob ich Vater verstanden habe. Ich weiß nicht, ob er von alldem weiß, ob er es für ernst genommen hat, dass man von mir erwartet, eine Familie mit Onoo zu gründen. Weiß er es überhaupt, hat es ihm jemand gesagt? Wenn ich das Leben auf den Inseln liebe, dann können wir noch einige Jahre dort leben. Ich habe mich in den letzten Monaten immer mehr von Vater entfernt, das habe ich jetzt eingesehen. Vater kennt mich nicht mehr, ich bin eine Frau geworden. Ich werde eine Entscheidung treffen, und zwar sehr schnell. Entweder entscheide ich mich sofort für Onoo und beuge mich den Wünschen seiner Familie oder ... Es kann auch einen Abschied für länger geben, ich hoffe nicht für immer. Ich kann in einigen Jahren einen Neubeginn machen, wieder nach Ua Huka zurückkehren und von vorne beginnen. Es würde mir leichter fallen, wenn ich in dieser Zeit Onoo bei mir hätte, wenn wir beide diese Distanz zu unserem bisherigen Leben aufbauen können, um dann gestärkt zurückzukehren und das vorgegebene Leben zu leben. Es schmerzt mich, dass ich die ganze Zeit nichts von Onoo gehört habe. Jeden Tag hoffe ich darauf, dass er plötzlich vor mir steht und meine Hand nimmt und an meiner Seite bleibt.

Papeete, 5. Oktober 1911

Ich bin ganz ruhig und ich werde es auch sein, wenn irgendwann einmal eine Antwort kommt. Vater hat an Mutter geschrieben. Ich habe Vater zum Postamt begleitet. Morgen geht ein Dampfer nach San Francisco und wird den Brief mitnehmen. Ich weiß nicht, was Vater geschrieben hat.

Auf der Portland, 12. Oktober 1911

Ich kann noch nicht glauben, dass es geschehen ist. Wir sind auf See, wir haben Tahiti verlassen. Unser Ziel ist Australien, Brisbane. Vater hat mehr geplant, als er mir erzählt hat, was auch gut so ist. Jetzt, wo er weiß, dass ich mich entschieden habe, werde auch ich Teil seines Planes. Vater hat sich über eine Rückkehr noch nicht geäußert. Ich fürchte, er denkt nicht daran, jemals wieder zurückzukehren. Ich habe das Schiff, die Portland, nur bestiegen, weil ich mir gesagt habe, dass es immer eine Rückkehr geben kann. Ich habe Onoo nun doch geschrieben, ihm den Verlauf der Dinge geschildert. Wenn er jemals zurückschreibt, wird mich seine Antwort erreichen, dafür habe ich zumindest gesorgt. Ich werde meine Notizen für heute beenden, mir wird wieder übel. Ich wundere mich selbst, dass ich die Seereise nicht vertrage, wo ich es doch gewohnt bin auf einem Schiff gegen Wind und Wellen zu fahren. In den letzten Tagen kam die Übelkeit so häufig, dass ich glaube, sie ist eine Reaktion auf meine Entscheidung fortzugehen. Ich sitze den ganzen Tag in der Kabine. Vater bringt mir französische Zeitungen, die Gil Blas und den Figaro. Es lenkt mich ab, obwohl es durchweg alte Ausgaben sind.

Brisbane, 18. Oktober 1911

Wir wohnen in einer Pension. Vater sagt aber, dass es nicht für ewig sein kann. Er will uns eine Wohnung oder ein Haus suchen. Vater hat mir auch noch nicht verraten, was er in Australien machen will und ob wir in Brisbane bleiben. Ich habe mich noch nicht an den neuen Kontinent gewöhnt. Ich schlafe schlecht und die monatlichen Leiden einer Frau, die auch ich seit mehr als zwei Jahren habe, lassen auf sich warten. Bei den ganzen Aufregungen der letzten Wochen, meiner Flucht, meiner Entscheidung gegen Onoo, kann ich gar nicht mehr sagen, wann es das letzte Mal war. Ich stelle fest, dass dies alles doch nicht so an mir vorübergegangen ist, wie ich es gehofft habe.

Brisbane, 26. Oktober 1911

Es ist erstaunlich. Wir sind keine drei Wochen in Brisbane und schon hat Vater einen neuen Beruf. Er arbeitet bei einem Schiffsmakler. Ich habe verstanden, dass er sich um die Einfuhrgenehmigungen australischer Waren nach Frankreich kümmert. Vater sagt, er macht den ganzen Papierkram und diese Anstellung war der Grund, warum wir nach Brisbane gegangen sind. Er hatte alles schon von Tahiti aus arrangiert. Ich bin stolz auf Vater.

Brisbane, 30. Oktober 1911

Das australische Essen bekommt mir gar nicht. Es gibt hier zwar auch die Früchte, die ich von Tahiti kenne, aber das Brot schmeckt anders. Oft habe ich keinen Appetit und dann wieder großen Hunger. Gestern waren wir auf einem Markt. Es gab Zuckerwaren und Vater hat mir eine Schachtel Schokolade gekauft. Schokolade habe ich in meinem Leben höchstens zweimal gegessen. Als wir auf einer Bank Pause machten, habe ich die halbe Schachtel aufgegessen. Ich habe es gar nicht gemerkt, ich habe nur gegessen und gegessen und dabei hatte ich gut gefrühstückt, was in letzter Zeit nicht häufig vorgekommen ist. Ich warte jetzt darauf, dass mir wieder übel wird. Ich bin doch wirklich dumm.

Brisbane, 3. November 1911

Es kann nicht sein, ich glaube es noch immer nicht. Meine Beschwerden haben mich gestern zu einem Arzt geführt. Ich bin nicht krank, es ist keine Krankheit, sagt der Arzt und er ist sich sehr sicher. Er zeigte Verständnis für mich, weil er aufgrund meiner Jugend vermutet, dass ich eine ledige Mutter sein werde und er hat natürlich recht. Eine Mutter, ich bekomme ein Kind. Nein es kann nicht sein, ich kann noch nichts an mir sehen, aber jetzt verstehe ich, warum meine Blutungen ausgeblieben sind, es war nicht die Trennung oder die neue Umgebung.

Brisbane, 4. November 1911

Vater steht zu mir. Ich habe keine Sekunde gezögert, ihn über den Befund des Arztes zu unterrichten. Als Erstes hat er mich in den Arm genommen. Er hat sofort gewusst, wer der Vater des Kindes ist und er hat sich Vorwürfe gemacht. Aber so war es nicht. Es musste etwas geschehen, mit mir und Onoo. Natürlich denke ich noch immer an Onoo und habe gerade in den ersten Tagen hier in Australien immer gehofft, dass ein Brief von ihm ankommt oder, dass er selbst erscheint. Dieser letzte Wunsch war der größte, und seitdem ich weiß, dass ich ein Kind von Onoo erwarte, hoffe ich umso mehr, dass er sich für mich entscheidet. Dann wird mir aber schnell klar, dass er keinen Grund dazu hat. Ich habe ihn verlassen. Ich habe ihn vor die Wahl gestellt und ihm im Grunde keine Wahl gelassen. Wer bin ich denn, dass er für mich seine Familie aufgibt, sein Leben aufgibt. Doch natürlich kann er das, ich werde wohl bald die Mutter seines Kindes sein, ist das nicht Grund genug. Ich ertappe mich dabei, ungerecht zu sein. Onoo weiß nichts von alldem, wie soll er da handeln oder entscheiden. Auf der anderen Seite will ich natürlich auch nicht, dass er sich nur für mich entscheidet, weil ich ein Kind bekomme. Ich will, dass er sich für mich entscheidet und nicht für die Moral.