Land des Geldes

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Gegen Moneyland vorzugehen ist allerdings nicht einfach. Man kann nicht mit Soldaten einrücken, denn es ist auf keiner Landkarte zu finden. Man kann keine Sanktionen dagegen verhängen und keine Diplomaten zu Verhandlungen schicken. Moneyland hat keine Zöllner, die Pässe abstempeln, keine Flagge, vor der man den Hut zieht, und keinen Außenminister, mit dem man telefonieren könnte. Es hat keine Armee, um sich zu verteidigen, aber die braucht es auch nicht. Es existiert überall da, wo jemand sein Geld dem Zugriff seines Staats entzieht und die Anwälte und Banker bezahlen kann, die ihm dabei helfen. Aber wenn wir unsere Demokratie erhalten wollen, müssen wir etwas gegen seine nomadenhaften Bewohner unternehmen und Wege finden, die Offshore-Konstrukte zu zerschlagen, mit denen sie ihr Geld vor der demokratischen Aufsicht verbergen. Von ihnen geht mindestens dieselbe Gefahr für die rechtsstaatliche Ordnung aus wie von den Terroristen und Diktatoren, von denen wir täglich hören.

Ich habe dieses Buch chronologisch und thematisch geordnet und anschauliche Beispiele aus möglichst vielen Ländern zusammengestellt, um klarzumachen, wie allgegenwärtig Moneyland ist. Zunächst beschreibe ich, wie Moneyland funktioniert und wie kleine Länder davon leben, ihre Gesetzgebung an den Interessen von Moneyland auszurichten. Dann beschreibe ich, was passiert, wenn die Mächtigen Moneyland nutzen, um sich selbst zu bereichern; dazu erzähle ich die Geschichte eines Krankenhauses in der Ukraine, die im Kleinen veranschaulicht, was in aller Welt passiert.

Drittens zeige ich, wie Moneyland seine Einwohner und ihren Reichtum schützt, wie es ihnen Pässe verkauft, wie es sie vor den neugierigen Fragen der Journalisten schützt, und wie es verhindert, dass die wahren Eigentümer ihr gestohlenes Vermögen zurückbekommen. In Moneyland kann man ungestraft morden.

Viertens zeige ich, wie die Moneylander das Geld ausgeben, das sie dort gebunkert haben – für Kleidung, Immobilien, Kunstwerke und so weiter –, und was ihre zunehmend schamlose Prunksucht mit dem Rest der Welt anstellt. Die Verschwendung der Superreichen nimmt inzwischen derart gewaltige Ausmaße an, dass sich ein eigener Wissenschaftszweig mit ihr beschäftigt, die sogenannte Plutonomie.

Und schließlich beschreibe ich, wie Staaten versuchen, sich zu wehren. Ich schildere, wie die Vereinigten Staaten versuchten, gegen Schweizer Banken vorzugehen, und wie schlaue Anwälte und Banker dies als Chance nutzten, um Moneyland stärker und sicherer denn je zu machen. Das mag kein hoffnungsvoller Ausblick sein, doch wenn der erste Schritt zur Lösung eines Problems darin besteht, es überhaupt zu erkennen, dann sind wir vielleicht jetzt auf einem guten Weg.

Die Recherchen zu diesem Buch haben sich nicht einfach gestaltet. Moneyland ist gut bewacht und gibt seine Geheimnisse nur widerwillig preis. Es stellt auch alle unsere Annahmen über die Welt auf den Kopf. Moneyland verursacht Schwindelgefühle, was auch daran liegen könnte, dass seine Existenz so vieles erklärt, wenn man sie einmal erkannt hat. Warum fahren so viele Schiffe unter ausländischer Flagge? Weil Moneyland den Eignern erlaubt, die Arbeitsschutzgesetze ihrer Heimat zu unterlaufen. Warum bauen Russen lieber Milliarden Dollar teure Brücken als Schulen und Krankenhäuser? Weil sie 10 Prozent der Baukosten stehlen und das Geld in Moneyland bunkern können. Warum leben Milliardäre in London? Weil sie dank Moneyland dort keine Steuern zahlen müssen. Warum wollen so viele korrupte Ausländer in New York investieren? Weil Moneyland ihr Vermögen dort vor dem Zugriff der Gerichte schützt.

Bei meiner Beschreibung von Moneyland und seinen Anfängen, Entwicklungen, Strukturen und Verteidigungsstrategien stütze ich mich überwiegend auf eigene Recherchen, aber auch auf die Arbeit von Ausschüssen des amerikanischen Kongresses, Nichtregierungsorganisationen wie Global Witness oder Transparency International, Wirtschaftswissenschaftlern und vielen anderen. Eines muss ich allerdings immer wieder betonen: Was ich hier beschreibe, ist keine Verschwörung. Moneyland wird nicht von einem Erzbösewicht beherrscht, der in einem Ledersessel sitzt und eine weiße Katze streichelt. Wenn jemand Moneyland kontrollieren würde, dann ließe sich das Problem ganz einfach aus der Welt schaffen. Die Wirklichkeit ist viel komplizierter und heimtückischer: Moneyland ist das natürliche Produkt einer Welt, in der Geld frei fließt und Gesetze am Schlagbaum enden, und in der man von der Ausnutzung der daraus resultierenden Verwerfungen gut leben kann. Wenn die Steuern in Jersey niedrig und in Großbritannien hoch sind, dann kann man daran verdienen, wenn man das Vermögen seiner Klienten von Großbritannien nach Jersey verlegt. Dasselbe gilt auch für den Rest der Welt: Jedes Land hat eigene Regeln und Gesetze.

Moneyland hat mehr Ähnlichkeit mit einem Ameisenhaufen als mit einer herkömmlichen Organisation. Die Ameise folgt keinen Anweisungen, sie hat keine Vorgesetzten, die sie aussenden, um Grassamen ins Nest zu bringen. Es gibt keine Ameisenpolizei, die alle verhaftet, die Grassamen für sich behalten, und keine Ameisenrichter, die sie dafür ins Gefängnis stecken. Die Ameisen reagieren einfach in berechenbarer Weise auf bestimmte Reize ihrer Umwelt. Auch in Moneyland reagieren Anwälte, Banker und Politiker in berechenbarer Weise. Wenn irgendwo ein Gesetz verabschiedet wird, das Reichen in irgendeiner Weise einen Vorteil verschafft, dann sorgen die Dienstleister von Moneyland dafür, dass die Superreichen in den Genuss dieses Gesetzes kommen, egal wo es gilt. Den Schaden haben alle anderen. Wenn man eine Ameise zerdrückt oder einen korrupten Anwalt verhaftet, machen die anderen einfach unbeirrt weiter. Deshalb müssen wir das gesamte System verändern, und das ist nicht einfach.

Daher beginne ich mit der Beschreibung von den Anfängen von Moneyland, das mit der Auflehnung gegen frühere Bestrebungen der Demokratisierung der Welt begann. In den finsteren Tagen des Zweiten Weltkriegs sahen sich die Alliierten einer Bedrohung für die freie Welt gegenüber, die größer war als alles zuvor Dagewesene. Ihre Antwort war der Aufbau einer Finanzarchitektur, die die Demokratie für alle Zeiten sichern sollte. Nie wieder sollte eine demokratisch gewählte Regierung durch Feinde bedroht werden. Der Versuch scheiterte, und damit beginnt die Geschichte von Moneyland.

* In der Übersetzung wird durchgehend für Land des Geldes der englische Begriff Moneyland verwendet.

KAPITEL 2
UNTER PIRATEN

NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG funktionierte die Welt ungefähr so wie heute, wenn auch mit weniger technischer Raffinesse. Das Geld floss mehr oder weniger nach dem Belieben seiner Besitzer zwischen den Ländern hin und her, und auf der Suche nach Erträgen brachte es Währungen und Wirtschaften aus dem Gleichgewicht. Die Reichen wurden reicher, während die Wirtschaft vor die Hunde ging. Deshalb verdanken wir den Dreißigerjahren sowohl Zärtlich ist die Nacht als auch Früchte des Zorns, sowohl Lust und Laster als auch Erledigt in Paris und London. Das Chaos führte schließlich zur Machtübernahme von Diktatoren in Deutschland und anderen Ländern, zu einer Spirale aus Währungsabwertungen und Zinserhöhungen, zu Handelskriegen und schließlich zu den Schrecken des Zweiten Weltkriegs mit seinen Abermillionen Toten.

Nach dem Willen der Alliierten sollte es nie wieder so weit kommen. 1944 trafen sie sich daher zu einer Konferenz im Wintersportort Bretton Woods in New Hampshire, um die Einzelheiten einer internationalen Währungsordnung auszuhandeln und unkontrollierte Geldströme ein für alle Mal abzustellen. Damit sollte verhindert werden, dass Staaten den Handel als Waffe gegen ihre Nachbarn missbrauchten und Banker mit der Aushöhlung der Demokratie Geschäfte machten. Die erzwungene Stabilität sollte Kriege in Zukunft schon im Vorfeld verhindern und ein neues System des Friedens und der Stabilität schaffen. Die Alliierten blickten auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück, die sich (zumindest im Westen) durch freien Handel und eine stabile Weltordnung auszeichnete. Damals basierte das Währungssystem auf dem Goldstandard. Der Wert einer Währung hing von der Größe der Goldreserven eines Landes ab, die mit dem Handelsvolumen wuchsen oder schrumpften, sich damit auf die Geldmenge und Preise auswirkten und das Gleichgewicht erhielten.

Allerdings ließ sich der alte Goldstandard nicht wiederbeleben, denn 1944 befand sich der Großteil der weltweiten Goldvorräte in den Vereinigten Staaten. Also mussten sich die Delegierten etwas anderes ausdenken. Der britische Vertreter John Maynard Keynes sprach sich für eine neue internationale Währung aus, an die alle anderen Währungen geknüpft sein sollten. Sein amerikanischer Kollege Harry Dexter White war jedoch skeptisch: Er wollte nicht hinnehmen, dass der Dollar seine Stellung als wichtigste Währung der Welt verlor. Da die Vereinigten Staaten zu diesem Zeitpunkt das einzige zahlungsfähige Land der Welt waren, setzte er sich schließlich durch: Alle Währungen wurden an den Dollar geknüpft, und der wiederum basierte auf Gold. Eine Unze Feingold sollte 35 Dollar kosten.

Soweit der Grundgedanke des Systems. Das Finanzministerium der Vereinigten Staaten verpflichtete sich, jeder ausländischen Regierung, die mit 35 Dollar in der Hand anklopfte, eine Unze Gold zu geben. Außerdem wollten die Vereinigten Staaten Dollar in ausreichender Menge bereitstellen, um den internationalen Handel zu ermöglichen, und genug Gold vorhalten, damit der Dollar seinen Wert behielt. Man brauchte keine Edelmetalle, wenn der Dollar Gold wert war.

Auch die anderen Länder machten Zusagen. Wenn sie ihre Währung auf- oder abwerten wollten, würden sie dazu die Zustimmung eines neuen Organs einholen, das den Namen Weltwährungsfonds erhielt. Damit sollte verhindert werden, dass Diktatoren ihre Währung manipulierten, um ihre Nachbarn in den Ruin zu treiben und Konflikte zu schüren. Um zu verhindern, dass Spekulanten das System der festen Wechselkurse angriffen, wurden grenzüberschreitende Geldströme stark reglementiert. Man konnte Geld im Ausland anlegen, aber ausschließlich in Form langfristiger Investitionen, nicht zur kurzfristigen Spekulation mit Währungen oder Staatsanleihen.

 

Stellen Sie sich zur Veranschaulichung einen Öltanker vor. Wenn das Schiff nur einen einzigen großen Tank hat, dann kann das Öl in immer größeren Wogen hin und her schwappen, bis es das gesamte Schiff zum Kentern bringt. Dieses Bild steht für das System nach dem Ersten Weltkrieg, als die Wellen des spekulativen Geldes zum Untergang der Demokratien beitrugen. In Bretton Woods erfanden die Delegierten nun ein neues Schiff, in dem das Öl auf viele kleinere Tanks verteilt war, wobei jeder Tank für ein Land stand. Die Ölmenge blieb dieselbe, sie wurde nur anders verteilt. Die Flüssigkeit konnte in den kleinen Tanks herumschwappen, aber dort würde sie nicht mehr genug Schwung entwickeln, um das ganze Schiff zu gefährden. Und wenn ein Tank ein Leck bekam, dann wäre nicht mehr die gesamte Fracht bedroht. Es war möglich, Öl von einem Tank in den anderen zu pumpen, aber dazu war die Erlaubnis des Kapitäns erforderlich, und das Geld musste durch die offiziellen Pumpen des Schiffs gepumpt werden (womit die Metapher endgültig an ihre Grenzen stößt).

Wer die Finanzwelt kennt, wie sie sich seit den 1980er-Jahren darstellt, der kann sich das System von Bretton Woods kaum vorstellen, denn seither hat sich die Finanzwelt von Grund auf verändert. Unentwegt fließt Geld von einem Land ins andere, auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten in China, Brasilien, Russland oder wo auch immer. Ist eine Währung überbewertet, dann spüren die Investoren ihre Schwäche und umkreisen sie wie Haie einen kranken Wal. In globalen Krisenzeiten flüchtet sich das Geld in sichere Häfen wie Gold oder amerikanische Staatsanleihen. Zu Boomzeiten bläht es anderswo die Börsenkurse auf und sucht rastlos nach besseren Erträgen. Die Wellen des flüssigen Kapitals sind so gewaltig, dass sie selbst starke Staaten fortreißen könnten. Konzertierte Angriffe von Spekulanten auf den Euro, den Rubel oder das Pfund, wie wir sie in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben, wären unter dem System von Bretton Woods unvorstellbar gewesen, denn das war darauf ausgelegt, genau so etwas zu verhindern.

Eine der vielleicht besten Beschreibungen dieses längst vergessenen Währungssystems stammt aus dem James Bond-Roman Goldfinger von Ian Fleming, der 1959 erschien. Der gleichnamige Film hat eine andere Handlung, doch in beiden geht es um einen sowjetischen Agenten, der das westliche Finanzsystem zum Einsturz bringen will, indem er sich an den Goldreserven vergreift. Im Roman schickt »M«, der Chef des britischen Geheimdienstes, Bond zur Bank von England, wo dieser einen Colonel Smithers kennenlernt (»Colonel Smithers sah exakt so aus, wie man sich jemanden mit dem Namen Colonel Smithers vorstellen würde«). Smithers soll verhindern, dass Gold aus England ins Ausland geschmuggelt wird.

»Gold und goldgestützte Währungen sind das Fundament des internationalen Finanzgeschäfts«, erklärt Smithers 007. »Wir wissen nur, wie stark das Pfund ist, und andere Länder wissen das nur, wenn wir wissen, wie viele echte Werte hinter unserer Währung stehen.« Das Problem ist nur, dass die Bank von England nicht bereit ist, mehr als 1000 Pfund für einen Goldbarren zu zahlen, was dem Preis von 35 Dollar pro Unze in den Vereinigten Staaten entspricht, und das, obwohl das Gold in Indien, wo die Nachfrage nach Goldschmuck hoch ist, 70 Prozent mehr einbringt. Es ist daher extrem gewinnträchtig, Gold außer Landes zu schmuggeln und im Ausland zu verkaufen.

Der Schurke Auric Goldfinger hat einen teuflischen Plan: Er will alle Pfandleiher in ganz Großbritannien aufkaufen, den Goldschmuck der Briten horten, ihn zu Tafeln schmelzen, diese in seinen Rolls-Royce einbauen, damit in die Schweiz fahren, sie dort umschmelzen und dann nach Indien bringen. Damit will er nicht nur die britische Währung und Wirtschaft untergraben, sondern mit den Gewinnen will er gleichzeitig Kommunisten und andere Missetäter finanzieren. Ein Sechstel der 3000 Mitarbeiter der Bank von England hat die Aufgabe, Betrügereien wie diese zu verhindern, erklärte Smithers, doch Goldfinger sei einfach zu gerissen für sie. Inzwischen sei er der reichste Mann Großbritanniens, in einem Banktresor auf den Bahamas stapele er Goldbarren im Wert von 5 Millionen Pfund.

»Das Gold gehört England, oder zumindest das meiste davon. Die Bank kann nichts dagegen unternehmen. Deswegen wollen wir, dass Sie Mr. Goldfinger das Handwerk legen, Mr. Bond, und das Gold zurückholen. Sie haben von der Währungskrise und den hohen Zinsen gehört? Natürlich. Also, England braucht das Gold dringend, je schneller umso besser.«

In dieser etwas langatmigen, aber unverzichtbaren Einleitung (Spoiler-Warnung: Bond schafft es tatsächlich, Goldfinger zu überwinden, doch zuvor legt er sich mit der Mafia von Chicago an, verhindert einen Überfall auf Fort Knox und verführt eine Lesbe, »die sich vorher noch nie mit einem Mann getroffen hat«) wirft Colonel Smithers eine philosophische Frage auf, die uns in das Innerste des Systems von Bretton Woods führt. Aus heutiger Sicht könnte man Goldfinger nichts zur Last legen, außer vielleicht, dass er Steuern hinterzieht. Er kauft das Gold zu einem Preis, den die Kunden akzeptieren, und verkauft es auf einem anderen Markt, auf dem sie mehr zu zahlen bereit sind. Es war sein Geld. Es war sein Gold. Er ölte das Getriebe des Handels und investierte das Kapital in effizienter Weise da, wo es den größten Ertrag erbrachte, oder etwa nicht?

Nein, denn so funktionierte Bretton Woods nicht. In den Augen von Colonel Smithers gehörte dieses Gold eben nicht nur Goldfinger, sondern auch Großbritannien. Für das System war der Besitzer des Geldes nicht der Einzige, der darüber zu entscheiden hatte, was damit passierte. Nach den ausgeklügelten Regeln hatten auch die Nationen, die das Geld ausgaben und seinen Wert hüteten, ihre Rechte daran. Um eine Wiederholung der Schrecken der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs zu verhindern, hatten die Alliierten in Bretton Woods beschlossen, dass beim internationalen Handel das Recht der Gesellschaft über dem der Reichen stand.

Das war nur eine von vielen Vorkehrungen, die in den Dreißiger- und Vierzigerjahren getroffen wurden, um Vollbeschäftigung, Stabilität und Wohlstand zu sichern. In den Vereinigten Staaten schob die Gesetzgebung des New Deal der Spekulation einen Riegel vor, und in Großbritannien und anderen westlichen Ländern garantierte der Wohlfahrtsstaat die medizinische Versorgung und kostenlose Schulbildung für alle. Diese Neuerungen waren erstaunlich erfolgreich: Während der Fünfziger- und Sechzigerjahre erlebte der Westen ein nahezu ungebrochenes Wirtschaftswachstum, die Infrastruktur und Volksgesundheit verbesserten sich dramatisch. Das war allerdings nicht ganz billig und wurde mit Steuergeldern finanziert: Beatlesfans erinnern sich an George Harrisons »Taxman«, den Steuereintreiber, der 19 Shilling einsteckte und ihm nur einen einzigen ließ. Das entsprach tatsächlich ziemlich genau dem, was das Finanzamt von den Einnahmen der Beatles behielt. Für die Reichen war es nicht einfach, ihr Geld vor dem Zugriff des Finanzamts in Sicherheit zu bringen – dank der Einzeltanks des Öltankers. Steuern ließen sich kaum vermeiden, es sei denn man wechselte den Wohnsitz (wie die Rolling Stones, die nach Frankreich zogen, um Exile on Main Street aufzunehmen).

Was man von dem innovativen Tanker hielt, hing davon ab, ob man zu den Leuten gehörte, die Steuern zahlten, oder zu denen, die in den Genuss eines noch nie da gewesenen Lebensstandards kamen. Die Beatles und die Rolling Stones konnten dem jedenfalls nicht viel abgewinnen, genauso wenig wie Rowland Baring, ein Spross der Dynastie der Barings Bank, Dritter Earl von Cromer und von 1961 bis 1966 Direktor der Bank von England. »Die Kontrolle der Wechselkurse stellt einen Eingriff in die Rechte der Bürger dar«, schrieb er 1963 an die britische Regierung. »Daher halte ich sie für ethisch falsch.« Seiner Ansicht nach sollten die Bürger mit ihrem Geld machen können, was sie wollten, und die Regierung dürfe ihre Rechte, dieses Geld im Ausland anzulegen, nicht beschneiden. Den neuen Öltanker hielt er für einen Irrweg. Kapitäne sollten das Öl nicht daran hindern dürfen, dahin zu schwappen, wo sein Besitzer es haben wollte, egal wie sehr es das Schiff beutelte.

»M« sah das interessanterweise genauso. Im Roman Goldfinger erklärt er James Bond, er verstehe gar nicht, wovon Colonel Smithers da rede. »Ich persönlich würde meinen, dass die Stärke des Britischen Pfunds davon abhängt, wie viel wir alle arbeiten, und nicht davon, wie viel Gold wir haben«, sagt er mit der Überheblichkeit eines Mannes, der glaubt, seine Ansichten stünden über der Politik. »Aber diese Antwort ist wahrscheinlich zu einfach für Politiker. Oder eher zu kompliziert.« Diese Ansicht war auch in der City of London verbreitet, wo die Banker glaubten, die Bewertung einer Anlage solle dem Markt überlassen werden, und nicht der Politik.

In der City war diese Ansicht vor allem deshalb so verbreitet, weil das System von Bretton Woods die Verdienstmöglichkeiten der Banker einschränkte. Vor dem Ersten Weltkrieg war das Britische Pfund die wichtigste Währung der Welt gewesen, und die Banker der City hatten mit der Finanzierung des Welthandels gute Geschäfte gemacht. Mit ein bisschen Einsatz und den richtigen Beziehungen konnte man ein gewaltiges Vermögen verdienen. Doch zwei Weltkriege später war Großbritannien verarmt, der Dollar war die neue Leitwährung, und die Banker der City drehten Däumchen.

»Es war, als würde man einen Sportwagen mit 30 Stundenkilometern fahren«, klagte ein Banker über seine Zeit an der Spitze einer britischen Großbank. »Die Banken waren gelähmt. Es war, als würde man im Traum leben.« Die Leute kamen spät zur Arbeit und gingen früh wieder nach Hause, und die Zeit dazwischen vertrödelten sie im Pub. Ein Banker erinnert sich an seine Mittagspausen auf der Themse. Mit der Fähre fuhr er flussabwärts nach Greenwich, aß an Bord Sandwiches und trank Bier, dann nahm er die nächste Fähre zurück, verdrückte noch ein paar Sandwiches, trank mehr Bier, und ging wieder ins Büro. Der Ausflug dauerte zwei Stunden, doch das interessierte niemanden, denn es gab sowieso kaum etwas zu tun. Auf diese Weise kam er wenigstens an die frische Luft. Die Banker der City verdienten nicht viel, aber ihre Arbeit war ja auch nicht sonderlich anspruchsvoll. Die Banken hielten es für anrüchig, einander die Kunden wegzuschnappen, und die wenigen Kunden, die sie hatten, konnten mit ihrem Geld nicht viel unternehmen. Bis weit in die Sechzigerjahre hinein trug die City die Narben der Bomben, die die Deutschen zwei Jahrzehnte zuvor über der Stadt abgeworfen hatten. In den Ruinen, in denen einst emsige Börsenmakler gewirkt hatten, wuchs das Unkraut und spielten die Kinder. Warum sollte man diese Gebäude auch wiederaufbauen, wenn sie doch zu nichts gebraucht wurden?

Wer die lange Geschichte Londons kannte, dem konnte das nicht gefallen. Noch vor Ankunft der Römer war der Hügel am Nordufer der Themse ein wichtiger Handelsplatz. Die Römer hatten die Sache einfach in geordnete Bahnen gelenkt, als sie hier die Provinzhauptstadt errichtet und Londinium genannt hatten (wenn es Sie interessiert und Sie sonst nichts Besseres vorhaben, können Sie sich ja an einem verregneten Nachmittag im Keller der Guildhall die Ruinen des römischen Amphitheaters ansehen). Es war eine gute Wahl, denn London ist perfekt für den Handel. Die Stadt ist trocken, leicht zu verteidigen und mit Schiffen gut zu erreichen. London blickt hinaus in die Welt, nicht hinein ins Land. Hier können Sie Ihre Fracht löschen und Ihre Waren an die Provinzler aus dem Hinterland verkaufen. Oder Sie können sie an ausländische Kaufleute verkaufen. Die City ist die Schnittstelle zwischen England und dem Rest der Welt. Die Themse und das Meer haben London reich gemacht, und reich zu werden war die Bestimmung Londons. Im Grunde ist London gar nicht die Hauptstadt von England – das ist Westminster, eine ganz andere Stadt weiter flussaufwärts, die zwar räumlich, aber nie geistig mit London zusammengewachsen ist. Westminster verzettelte sich im Kleinkram des britischen Alltags, aber London hatte immer seine eigene Politik und wurde von großen Banken beherrscht, die eher nach Manhattan oder Mumbai blickten als nach Machynlleth oder Maidenhead.

 

Es waren Londoner Unternehmer, die Indien, Afrika und Nordamerika eroberten, nicht der britische Staat. Sie finanzierten die Eisenbahnen und Dampfschiffe, die Kontinente miteinander verbanden, und sie versicherten die Fracht, die auf ihnen transportiert wurde. Und wenn die City unter den Bestimmungen von Bretton Woods keinen Handel mehr finanzieren, kein Geld mehr verdienen und nicht mehr überall auf der Welt bei Geschäften mitmischen durfte – und so war das in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg –, wozu war sie dann überhaupt noch da?

Das Ärgerliche war nur, dass New York brummte. Viele der Geschäfte, die früher in London abgewickelt wurden – Handelskredite, Versicherungsgeschäfte und alles andere, das man in London als angestammtes Recht ansah –, gingen nun an diese lästigen Emporkömmlinge an der Wall Street. London war zusammengeschrumpft auf das Finanzzentrum Großbritanniens und einer immer kleiner werdenden Zahl von Überseegebieten und ehemaligen Kolonien, die so konservativ waren, dass sie sich an den Sterling klammerten. Das machte keinen Spaß.

Wer heute die Schluchten aus glitzerndem Glas und Stahl sieht oder in der Abenddämmerung zwischen dem Heer der Pendler über die London Bridge geht, kann sich kaum vorstellen, dass London als Finanzzentrum beinahe vor die Hunde gegangen wäre. Aber in den Fünfziger- und Sechzigerjahren kam die City in nationalen Angelegenheiten tatsächlich kaum noch vor. Sozialgeschichten der Swinging Sixties gehen mit keinem Wort darauf ein, was in dem alten römischen Handelslager passierte, was umso seltsamer ist, als sich etwas Bedeutsames zusammenbraute – etwas, das die Welt weit mehr verändern sollte als die Beatles, Alan Sillitoe oder David Hockney, und das die vornehme Zurückhaltung des Systems von Bretton Woods über den Haufen werfen sollte. Hier öffnete sich der Tunnel von Moneyland zum ersten Mal, und die ersten Menschen erkannten, dass am Ende dieses Tunnels eine Menge Geld zu verdienen war.

Als Ian Fleming seinen Roman Goldfinger veröffentlichte, hatten die vermeintlich sicheren Tanks des Öltankers der Weltwirtschaft bereits erste Lecks bekommen. Nicht alle Länder vertrauten darauf, dass die Vereinigten Staaten ihre Selbstverpflichtung ernst nehmen und den Dollar als unparteiische internationale Währung respektieren würden, denn Washington verhielt sich nicht immer wie ein unparteiischer Schiedsrichter. In den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Vereinigten Staaten die Goldreserven des kommunistischen Jugoslawien beschlagnahmt, woraufhin die Länder des Ostblocks ihre Dollars in europäischen Banken hinterlegten, und nicht mehr in New York. Der Weltwährungsfonds, der seinen Sitz in Washington hatte und sich am Gängelband seines größten Anteilseigners befand, weigerte sich, den Wiederaufbau des kommunistischen Polen zu unterstützen. Und als Großbritannien und Frankreich 1956 die Kontrolle über den Suezkanal zurückgewinnen wollten, fror Washington, das den Einsatz ablehnte, ihre Dollarguthaben ein, und damit war die gesamte Aktion beendet. Ein neutraler Schiedsrichter verhält sich anders.

Großbritannien stolperte von einer Krise in die nächste. 1957 hob es seine Zinsen an und verknappte das Pfund, um seine Währung zu stützen (das waren die von Colonel Smithers erwähnte »Währungskrise und die hohen Zinsen«). Weil den Banken der City das Pfund ausging, stiegen sie auf Dollars um; die bekamen sie aus der Sowjetunion, die sie in London und Paris lagerte, um sich vor dem Druck der Vereinigten Staaten zu schützen. Das erwies sich als profitables Geschäft. In den Vereinigten Staaten waren die Zinsen für Dollarkredite gedeckelt, nicht so in London. In den Vereinigten Staaten mussten die Banken einen Teil ihrer Dollars als Reserve vorhalten, nicht so in London. Die Banken hatten ein Loch in den Tanks des Öltankers von Bretton Woods entdeckt: Wenn sie den Dollar außerhalb der Vereinigten Staaten verwendeten, dann hatten die amerikanischen Währungshüter keinen Zugriff, und den britischen Währungshütern war es egal. Diese staatenlosen Dollars – die als »Eurodollar« bezeichnet wurden, vielleicht wegen der »Euro«-Telexadresse, die eine der sowjetischen Banken verwendete – konnten ganz wie früher ungehindert zwischen den Ländern hin und her fließen. Und das Gesetz konnte ihnen nicht folgen.

Die Behörden der Vereinigten Staaten versuchten, dem einen Riegel vorzuschieben. Die Bankenaufsicht eröffnete ein festes Büro in London, um ein Auge auf die britischen Niederlassungen der amerikanischen Banken zu haben. Doch auf der anderen Seite des Atlantiks waren sie zahnlos, denn sie bekamen keine Unterstützung von den Einheimischen. Jim Keogh von der Bank von England, der für die Aufsicht der ausländischen Banken zuständig war, sagte: »Mir ist es egal, ob die Citibank in London amerikanische Regeln umgeht. Das interessiert mich nicht. Wenn die Amerikaner meinen, dass die ihre Gesetze hier in London durchsetzen können, dann wünsche ich ihnen viel Glück.« Einen ausländischen Banker ließ er wissen, er könne in London tun und lassen, was er wolle – »aber nicht auf der Straße und nur, wenn er die Pferde nicht scheu macht«. Im Vergleich zu dem, was die amerikanischen Banken in New York bewegten, waren die Beträge in London überschaubar, doch sie wuchsen jedes Jahr um ein Drittel, und London hatte endlich eine neue Einnahmequelle gefunden.

Etwa zur selben Zeit (wobei kein Zusammenhang besteht, außer vielleicht dass damals die Rebellion in der Luft lag) bekam das britische Publikum einige neue Radiosender zu hören. Damals war die BBC der einzige in Großbritannien zugelassene Sender, und wenn es um Musik ging, war sie hoffnungslos vorgestrig. Die Jugendlichen wollten Nero, Gladiators oder B. Bumble & the Stingers hören und fanden das Programm der BBC öde. Hier sahen einfallsreiche Schiffseigner ihre Chance. Sie gingen außerhalb der britischen Hoheitsgewässer vor Anker, richteten einen Sender ein und übertrugen Popmusik auf die Insel.

Diese Radiostationen wurden bald als »Piratensender« bekannt. Manche nannten sie auch »Offshore-Sender«, was zwar weniger aufregend klingt, dafür aber korrekter ist. Diese Schiffe befanden sich gerade weit genug von der Küste entfernt, um nicht mehr unter die britische Gesetzgebung zu fallen. In den Radioapparaten waren sie zwar genauso anwesend wie die BBC, weil man ihre Sendungen problemlos hören konnte, doch juristisch waren sie abwesend und schwer zu fassen.

Diese Vorstellung von »offshore« – physisch anwesend, aber juristisch abwesend – erwies sich als nützlich, und schon bald wurde der Begriff auch auf Finanztransaktionen angewendet. Die Banken, die mit den unbeaufsichtigten Eurodollars handelten, hatten zwei Arten von Konten. Die einen für die üblichen langweiligen Transaktionen in Pfund, die sich streng an die Regeln hielten – die Onshore- oder Inlandskonten. Und die anderen für den aufregenden neuen Piratenmarkt in Eurodollar, das Öl, das aus den Tanks gelaufen war und nun im Kielraum des Bretton-Woods-Tankers herumschwappte. Diese bezeichnete man als Offshore-Transaktionen, so als fänden sie außerhalb des britischen Hoheitsgebiets statt und als hätten die britischen Gesetze hier keine Gültigkeit. Die beiden Transaktionen wurden zwar an demselben physischen Ort durchgeführt, nämlich in der Londoner City, doch aus juristischer Sicht fand eine an einem Ort statt, an dem die Regeln keine Gültigkeit hatten. Und dieser Gedanke, das »Offshore«-Konzept, demzufolge ein Vermögen zwar physisch anwesend, aber juristisch nicht greifbar ist, steht im Mittelpunkt unserer Geschichte. Denn ohne Offshore gäbe es Moneyland nicht.