Sag mir, was du wirklich meinst

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Was Sie erwarten können

Das Feld der Kommunikation umfasst viele Bereiche: private und professionelle Beziehungen, Fähigkeiten auf höherer Ebene wie Gruppenmoderation oder Mediation sowie strategische Anwendungen wie Diplomatie und gewaltfreier Widerstand. Natürlich kann dieses Buch nicht all diese Felder abdecken, und das ist auch gar nicht beabsichtigt. Der Fokus liegt auf der interpersonellen Kommunikation in sozialen Kontexten und nahen Beziehungen. Sollten Sie darüber hinaus Interesse haben, sich weiterzubilden, werden die hier vorgestellten Methoden eine unentbehrliche Basis für weitere Anwendungsbereiche darstellen.

Dieses Buch ist unmittelbar von meiner eigenen Lebenserfahrung geprägt, was auch bedeutet, dass es in mancherlei Hinsicht durch diese Erfahrung begrenzt ist. Insbesondere Aspekte meiner Konditionierung als heterosexueller, jüdischer, weißer Mann aus der Mittelschicht haben zur Folge, dass ich schlecht gewappnet bin, die Vision zu verwirklichen, die Marshall Rosenberg für sein Werk artikuliert hat. Noch immer bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, was er im Jahr 2005 bei einem Retreat in der Schweiz sagte:

Wenn ich Gewaltfreie Kommunikation dazu benutze, dass Menschen freier und weniger deprimiert werden, dass sie besser mit ihren Familien auskommen, ich sie aber nicht gleichzeitig auch lehre, ihre Energie darauf zu verwenden, schnellstens die Systeme in dieser Welt zu transformieren, dann bin ich Teil des Problems. Im Wesentlichen beruhige ich die Leute dann, sorge dafür, dass sie zufriedener in den Systemen leben, so wie sie sind. Dann benutze ich Gewaltfreie Kommunikation als Betäubungsmittel.4

Etwas zu lehren macht bescheiden: Ich weiß, dass ich noch vieles zu lernen habe, insbesondere was die blinden Flecken meiner eigenen Privilegien5 betrifft. In dem Ausmaß, in dem es mir gelungen ist, über meine eigenen Konditionierungen hinauszusehen, wird der Text hoffentlich auch andere Menschen in verschiedensten sozialen Situationen dabei ­unterstützen, sich aus ihren eigenen Konditionierungen zu befreien und sich mehr und mehr auf den Tanz der Kommunikation einzulassen. Nichts würde mich mehr freuen. Und in dem Ausmaß, zu dem ich noch nicht über meine Konditionierung hinausgesehen habe, widme ich mich weiter der Praxis der achtsamen Kommunikation als einem lebenslangen Weg des Lernens und der Transformation.

Solch eine langfristige Selbstverpflichtung ist die hilfreichste Weise, sich dieser Praxis zu nähern. Gelingende Kommunikation ist nicht etwas, was wir an einem Wochenendworkshop meistern, genauso wenig wie durch einen sechswöchigen Kurs oder ein Buch mit vier Teilen. Es erfordert Geduld, Interesse, Engagement und Bescheidenheit. Es ist normal, sich in verschiedenen Phasen dieses Prozesses ganz und gar unfähig zu fühlen. Manchmal kann es einem sogar so vorkommen, als wäre man besser dran gewesen, bevor man diese Methoden ausprobierte!

All das muss Sie nicht überraschen. Was auch immer man lernt, es ist ein Prozess, in dem man Fehler macht. Rechnen Sie damit, ab und zu eine Bruchlandung hinzulegen. Es ist egal, wie oft Sie hinfallen, wichtig ist nur, dass Sie sich wieder aufrappeln. Denken Sie daran, dass jeder kleine Erfolg, jede Interaktion, in der es Ihnen gelingt, eine der Methoden oder eins der Prinzipien anzuwenden, Ihr Selbstvertrauen stärken und ein neues Muster in Ihrem Geist anlegen wird.

Wir können die Art, wie wir kommunizieren, nicht über Nacht verändern. Es hat gedauert, die Gewohnheiten zu lernen, die wir uns angeeignet haben. Es wird dauern, sie zu verlernen und eine neue Kompetenz zu erwerben. Doch jede Minute, in der Sie etwas dazulernen, lohnt sich. Es wird sich auszahlen in der Qualität Ihrer Beziehungen, im Ausmaß an Wohlbefinden in Ihrem Leben und in Ihrer Fähigkeit, sich wirkungsvoll in der Welt zu engagieren.

Fahrrad fahren lernen

Ich erinnere mich gut an meine Begeisterung und meine Neugier als Kind, aber ich erinnere mich auch daran, wie schwer es trotz meines Redebedürfnisses für mich war, in den schnellen, lebhaften Gesprächen an unserem Abendbrottisch zu Wort zu kommen. Noch heute sehe ich mich an dem schwarzen Küchentisch sitzen, mit einem Gefühl der Schwere in meiner Brust, einem festen Knoten im Hals und unter der Oberfläche brennenden Tränen der Frustration, während der Rest meiner Familie durch eine Unterhaltung preschte, in der es so gut wie keinen Raum für meine Stimme gab.

Die eigene Stimme finden, lernen, das zu sagen, was man meint, und tief zuhören – das gehört wohl zu den bereicherndsten Abenteuern, zu denen man aufbrechen kann. Wenn man die Fähigkeit entwickelt hat, weise zu sprechen und gut zuzuhören, verfügt man über eine unerschöpfliche Ressource, mit der man sich nicht nur in der Welt zurechtfinden, sondern sie sogar transformieren kann. Anstatt Ihren Gesprächen den faden, neutralen, »netten« Anstrich zu verpassen, werden die Anregungen in diesem Buch Ihnen helfen, sich lebendiger und wirklich beteiligt zu fühlen.

Als ich ein Kind war, besaß ich ein blaues Geländefahrrad mit einem roten Sattel und roten Lenkern. An Sommerabenden fuhr ich nach dem Abendessen oft mit meinem Fahrrad durch unsere Gegend in einem Vorort in New Jersey, sprang über Bordsteine und düste unter alten Eichen und Ahornbäumen auf dem Gehweg dahin.

Zu lernen, achtsam zu kommunizieren, hat auch mit dem Fahrradfahren einiges gemeinsam. Es dauert seine Zeit. Am Anfang, während man noch das Gleichgewicht sucht, sind Stützräder hilfreich. Jemanden zu haben, der einen ermutigt, ist meist sicherer, und es macht mehr Spaß. Und wenn man die Stützräder dann abnimmt, sollte man darauf gefasst sein, ein paar Kratzer abzukriegen und sich die Knie oder Ellbogen aufzuschürfen. Aber wenn man es erst einmal gelernt hat, vergisst man es nie wieder. Man kann große Distanzen überwinden, und es lohnt sich schon allein wegen der Aufregung und der Freude, unterwegs zu sein.

1 Nhat Hanh, Thich: Das Herz von Buddhas Lehre. Leiden verwandeln – die Praxis des glücklichen Lebens, Freiburg: Herder 1999, S. 87 (orig. The Heart of the Buddha’s Teaching: Transforming Suffering into Peace, Joy and Liberation, New York: Harmony Books 1998, S. 84).

2 In diesem Buch verwende ich immer wieder das Wort »Dialog« als Synonym für »Gespräch« sowie die Begriffe »wahrer Dialog« oder »echter Dialog«, wenn ich die transformative Art von Gespräch meine, auf die Lochhead und andere hingewiesen haben. Wenn die Atmosphäre für solch eine Begegnung nicht gegeben ist, können wir auf unsere innere Haltung zurückgreifen, um günstigere Umstände zu fördern. Die Autorin und Gewaltfreie-Kommunikation-Trainerin Miki Kashtan bezeichnet dies als die »Disziplin des Dialogs«, eine Ausrichtung auf Kooperation, die »in ihrem Herzen in dem Commitment besteht, ein Ziel anzustreben, das wirklich für jeden gut ist, selbst wenn die anderen bloß an ihre eigenen Interessen denken«. Siehe Lochhead, David: The Dialogical Imperative: A Christian Reflection on Interfaith Encounter, Eugene, OR: Wipf and Stock 1988, S. 51; Kashtan, Miki: Spinning Threads of Radical Aliveness: Transcending the Legacy of Separation in Our Individual Lives, Oakland, CA: Fearless Heart Publications 2014, S. 319.

3 Rosenberg, Marshall B.: Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens, Paderborn: Junfermann, 12., überarbeitete und erweiterte Auflage 2016 (2001) (orig. Nonviolent Communication. A Language of Life, Encinitas, CA: PuddleDancer Press, 3rd Edition 2015 [1999]).

4 Rosenberg, Marshall B., zitiert nach Teilnehmern einer Sitzung während eines Workshops über GfK und sozialen Wandel, Schweiz, Juni 2005.

5 Siehe die Definition im Glossar. Ein Bürger der Vereinigten Staaten zu sein bringt beispielsweise in den USA wie auch in vielen anderen Ländern der Welt bestimmte Privilegien mit sich. Weiß, männlich, gebildet oder körperlich unversehrt und so weiter zu sein hat in unserer derzeitigen Gesellschaft ebenfalls bestimmte Vorteile. Vgl. McIntosh, Peggy: »White Privilege: Unpacking the Invisible Knapsack«, National SEED Project, 1989, https://nationalseedproject.org/Key-SEED-Texts/white-privilege-unpacking-the-invisible-knapsack, abgerufen am 19. 3. 2021; Kasthan, Miki: »You’re Not a Bad Person: How Facing Privilege Can Be Liberating«, The Fearless Heart, 26. 11. 2016, http://thefearlessheart.org/youre-not-a-bad-person-how-facing-privilege-can-be-liberating, abgerufen am 15. 3. 2021. Zu den Themen »Privilegien und Macht im Kontext der Gewaltfreien Kommunikation« vgl. Manning, Roxy, und Skinner, Janey: »NVC – Changing Consciousness, Relationships & Systems«, BayNVC, http://baynvc.org/nvc-changing-consciousness/, abgerufen am 12. 4. 2018.

Teil I
Der erste Schritt
Mit Präsenz beginnen

Gelingende Kommunikation beruht auf unserer Fähigkeit, präsent zu sein. Offenes und ehrliches Sprechen, tiefes Zuhören und das Navigieren durch die unvermeidlichen Drehungen und Wendungen eines Gesprächs erfordern ein hohes Maß an Selbstgewahrsein. Um zu sagen, was wir meinen, müssen wir zuerst einmal wissen, was wir meinen. Und um zu wissen, was wir meinen, müssen wir nach innen lauschen und herausfinden, was unsere Wahrheit ist.

Der erste Schritt der achtsamen Kommunikation besteht darin, mit Präsenz zu beginnen, also möglichst voll und ganz da zu sein. Wenn wir nicht da sind, sind wir wahrscheinlich im Autopilotmodus. Und in diesem Modus ist es weniger wahrscheinlich, dass wir uns an die Methoden erinnern, die wir gelernt haben, aus unseren besten Intentionen heraus sprechen und Zugang zu unserer Weisheit haben.

 

Mit Präsenz zu beginnen ist eine tiefe Praxis mit vielen Dimensionen. In Teil I erkunden wir diese erste Grundlage gelingender Kommunikation: unsere Fähigkeit, präsent zu sein. Wir betrachten die Natur der menschlichen Kommunikation, welche zentrale Rolle sie in unserem Leben einnimmt und welche Möglichkeiten wir haben, in uns selbst und in Gesprächen bewusster zu werden.

1
Das Zentrum unseres Lebens

»Sprache ist sehr mächtig. Sprache beschreibt die Realität nicht nur. Sprache erschafft die Realität, die sie beschreibt.«

Desmond Tutu

Wir kommen auf diese Welt verletzlich, vollkommen abhängig und bestens darauf vorbereitet, sprechen zu lernen. Von dem Moment unserer Geburt an steht Kommunikation im Zentrum unseres Lebens.

Ein Menschenkind wird mit dem Potenzial geboren, jede der rund siebentausend Sprachen auf dieser Welt zu lernen. In den ersten Wochen und Monaten haben wir jedoch nur zwei Mittel zur Verfügung, um unsere Bedürfnisse auszudrücken: Weinen und Lächeln. Das ist die Ausgangsbasis für unsere Gehirnentwicklung. Die Neuronen sind darauf angelegt, die menschliche Sprache nach Rhythmus, Klang, Ton und Lautstärke zu unterscheiden. Und in diesem frühen Alter lernen wir sehr schnell – unabhängig davon, in welche Sprache die Umstände (oder das Schicksal) uns hineinfallen lassen.

Mittels dieses Systems aus Klängen, Worten und Grammatik lernen wir, unsere Gefühle auszudrücken, um das zu bitten, was wir brauchen, und das zu bekommen, was wir wollen. Schließlich, wenn alles gut läuft, lernen wir, zu lesen und komplexere soziale Signale einzusetzen; wir lernen Metaphern, Idiome und Humor. Und all dies lernen wir durch Zuhören, Nachfragen, Beobachten und Wiederholen.

Wenn wir mithilfe der Sprache unseren Platz in der Menschenfamilie einnehmen, greifen wir ganz natürlich jene Kommunikationsmuster auf, die nun mal in unserer jeweiligen Herkunftsfamilie, ethnischen Gruppe, sozialen Schicht, Geschlechtszugehörigkeit, Gesellschaft und dominanten Kultur vorherrschen. Manche von uns lernen, dass es nicht sicher ist, Bedürfnisse auszudrücken, und versuchen dann zu bekommen, was sie brauchen, indem sie sich um andere kümmern. Andere lernen, gewaltsam zu bekommen, was sie wollen; also setzen sie sich durch und versuchen, als die Stärksten oder Klügsten dazustehen. Wieder andere lernen, dass ihre Bedürfnisse von der Gesellschaft nicht geschätzt werden, und werden dann innerlich hart und schneiden sich von ihrer Verletzlichkeit ab. Und manchmal lernen wir zum Glück auch, dass es Raum gibt, um das zu bitten, was wir brauchen, und dabei mit den anderen in Verbindung zu bleiben und gemeinsam eine Lösung zu finden.

Die meisten Menschen vereinen mehrere dieser Strategien, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen, doch egal, was wir gelernt haben, wir alle haben eine Kommunikationsschulung durchlaufen, wenn auch zumeist eine unbewusste. Der Kontext unseres sozialen Umfeldes und kulturellen Milieus bestimmt den Rahmen und prägt unsere Überzeugungen, und unsere Lebenserfahrung bestätigt und verstärkt diese. Zumindest geschieht dies so lange, bis etwas in unserem Inneren wach wird und sagt: »Das geht so einfach nicht!« Diese Erkenntnis mag durch eine gescheiterte Beziehung oder eine schwierige Ehe befördert werden, durch einen Streit, der in dem Verlust einer Freundschaft endet, oder durch ständige Kommunikationsprobleme bei der Arbeit, durch das Ringen ums Überleben in einem System, das nicht darauf angelegt ist, unsere menschlichen Bedürfnisse zu erfüllen, durch die missliche Lage unserer Welt – oder einfach dadurch, dass wir die Tyrannei der Stimme in unserem eigenen Kopf satthaben.

Die gute Nachricht bei alldem lautet: Da Sprache etwas Erlerntes ist, da unsere Kommunikationsmuster und die emotionalen Gewohnheiten, die sie am Laufen halten, angelernt sind, können sie auch verlernt und neu gelernt werden. Wir können lernen, auf eine neue Weise zu sprechen und zuzuhören, die dem Leben dient, das wir führen wollen, und der Gesellschaft, die wir schaffen wollen, zuträglicher ist.6 Wir können lernen, unsere Stimme zu finden, zu sagen, was wir meinen, und eine tiefere Art des Zuhörens entdecken.

Mein Weg aus der Sprachlosigkeit

Ich erreichte einen Wendepunkt, als ich Anfang zwanzig war. Nach so einigen gescheiterten Beziehungen, verlorenen Freundschaften und der Scheidung meiner Eltern wandte ich mich der buddhistischen Meditation zu, um Ordnung in mein inneres Chaos zu bringen. Nach dem College lebte und arbeitete ich in der Insight Meditation Society im ländlichen Massachusetts. Die buddhistischen Lehren halfen mir, besser klarzukommen und reifer zu werden. Und doch bemerkte ich, dass Qualitäten wie Klarheit, Güte und Mitgefühl, die ich so stark empfand, während ich meditierte, sich meist schnellstens in Luft auflösten, wenn es beispielsweise einen Konflikt mit einem Kollegen gab. Und noch weniger zugänglich waren sie mir, wenn ich mit meiner Familie sprach.

Ich erinnere mich an einen besonders wüsten Streit mit meinem älteren Bruder, der damit endete, dass ich, an der Grenze meiner Frustrationstoleranz angelangt, einen Stuhl nahm und ihn auf den Boden im Wohnzimmer meiner Großmutter schmetterte. Dramatisch, ich weiß – aber so war es.

Erst als ich an einem Kommunikationstraining für die Mitarbeiter des Meditationszentrums teilnahm, wurde mir klar, dass ich meine Sprechgewohnheiten genauer studieren und verbessern konnte. Nach diesem ersten halbtägigen Seminar hatte ich angebissen. Ich belegte einen achtwöchigen Kurs in einem nahegelegenen Städtchen, und es dauerte nicht allzu lange, bis ich auf Dr. Marshall B. Rosenberg stieß.

Als ich begann, die Schnittmengen von kontemplativem Gewahrsein und Kommunikation zu erkunden, stellte ich fest, dass die Jahre meiner Achtsamkeitspraxis einen fruchtbaren Boden bildeten, auf dem neue Kommunikationsgewohnheiten heranwachsen konnten. Als ich dann später mit dem Somatic Experiencing in Kontakt kam, einem von Dr. Peter A. Levine begründeten Ansatz der Traumatherapie, fügte das meinem Verständnis von menschlichem Verhalten eine neue Dimension hinzu. Ich fing an, Beziehungsmuster als Teil der natürlich in uns angelegten Mechanismen zum Selbstschutz, zum Überleben und zu sozialer Verbundenheit zu betrachten.7 Ich konnte differenzierter beobachten, wie diese elementaren evolutionären Mechanismen in Gesprächen zum Tragen kommen, und lernte, anderen Menschen zu helfen, Gewohnheitsmuster abzulegen, die ihnen nicht mehr dienlich waren. All dies hat mich zu einer viel tieferen Wertschätzung der Macht und der Komplexität menschlicher Interaktion und Kommunikation geführt.

Das Universum der Kommunikation

Kommunikation besteht aus viel mehr als nur Sprechen und Zuhören. Sie umfasst weitaus mehr als den bloßen Austausch vermeintlich objektiver Information. Ob es nun um ein strategisches Ziel geht (etwas Bestimmtes erreichen) oder um eine Beziehung (sich verbinden), Kommunikation hat immer mit einem bedeutsamen, auf Verständigung abzielenden Austausch zu tun.

Kommunikation ist ein Interaktions- oder Austauschprozess, der Verständigung schafft.

Das gilt nicht nur für uns Menschen. Die meisten (wenn nicht gar alle) Lebensformen haben irgendeine Art »Sprache«, ein System, mithilfe dessen sie Informationen austauschen. Wir Menschen haben die Fähigkeit, Botschaften auszusenden und zu empfangen, außerordentlich weit entwickelt. Das trägt dazu bei, dass wir auf solch erstaunliche Weisen kooperieren und Dinge erschaffen können, im Guten wie im Schlechten.

Und doch umfasst menschliche Kommunikation so vieles mehr als das, was wir sagen. Sie impliziert auch, wie wir sprechen – den Tonfall, die Lautstärke und die Geschwindigkeit –, wodurch wir eine ganze Fülle an Informationen darüber vermitteln, wie wir uns fühlen, was wir voneinander halten, wie viel Macht wir haben und so weiter. Dabei spielt auch eine Rolle, warum wir sprechen. Was wollen wir? Was ist unsere Motivation? Und natürlich geht es auch um das Zuhören: wie wir zuhören, warum wir zuhören und ob wir überhaupt zuhören.

Neben dem Sprechen und dem Zuhören ist Gewahrsein eine weitere grundlegende Komponente der Kommunikation. Gelingende Kommunikation hängt von unserer Fähigkeit ab, aufmerksam zu sein. Damit »Nachricht versendet« auch »Nachricht empfangen« bedeutet, brauchen wir Präsenz, müssen ganz da sein, unserer selbst und des anderen Menschen bewusst.

Das können wir in ganz alltäglichen Situationen erleben. Haben Sie schon mal mit jemandem gesprochen, der gerade gelesen oder ferngesehen und Sie einfach nicht gehört hat? Die Person spricht dieselbe Sprache, ihre Ohren funktionieren einwandfrei – aber ihre Aufmerksamkeit ist nicht auf das Zuhören gerichtet. Sie ist sich Ihrer Worte nicht bewusst, also findet auch keine Kommunikation statt.

Die Wahrheit ist so offenkundig, dass wir sie oft übersehen: Gewahrsein ist die erste Grundlage aller Kommunikation. Wenn es bei Kommunikation darum geht, Verständigung zu erreichen, geht es bei achtsamer Kommunikation darum, Verständigung durch Gewahrsein zu schaffen. Man könnte sagen, dass das Gegenteil davon achtlose Kommunikation ist – entweder befinden wir uns im Autopilotmodus, oder wir sind absorbiert von dem, was in unserem Geist vor sich geht: Urteile, Kritik, Planungen oder zerstreute Gedanken. Und das ist viel öfter der Fall, als wir zugeben möchten!

Präsenz gehört zu den Dingen, die sich in Worten nur schwer auf den Punkt bringen lassen, und doch macht sie im Hinblick auf unsere Lebensqualität einen riesigen Unterschied. Ich definiere Präsenz als das Erleben, im gegenwärtigen Moment vollkommen bewusst zu sein und den eigenen Körper zu spüren. Meiner Erfahrung nach ist Präsenz so wichtig für die Kommunikation, dass ich all meine Trainings damit beginne, das deutlich zu machen und den Teilnehmenden einen Geschmack davon zu vermitteln, wie es ist, im Gespräch präsent zu sein.

Präsenz ist das verkörperte Gewahrsein unseres unmittelbaren sinnlichen, mentalen und emotionalen Erlebens.

Bei einer der Übungen, die ich als Erstes anleite, lade ich die Teilnehmenden ein, einander eine kurze Geschichte zu erzählen. Wir beginnen mit einigen Minuten Stille, um zu spüren, wie es ist, ganz hier und sich des eigenen Körpers gewahr zu sein. Dann hört die eine Person zu, während die andere ihre Geschichte erzählt, beide in dem Versuch, im gegenwärtigen Moment präsent zu bleiben.

Nach etwa einer Minute läute ich eine Glocke und bitte alle innezuhalten – wo auch immer sie gerade sind, und sei es mitten im Satz. Ich lade sie ein, zu dem Gefühl von Präsenz zurückzukehren und wahrzunehmen, was in ihren Körpern geschieht. Nach einigen Momenten der Stille fahren sie fort und tauschen dann die Rollen, sodass alle Teilnehmenden die Gelegenheit bekommen, im Sprechen innezuhalten. Die meisten Menschen berichten hinterher zweierlei: (1) wie schnell sie den Kontakt zu ihrem Körper verloren haben und (2) wie aufgewühlt sie innerlich waren, als sie innehielten.

Einen Moment lang die Präsenz zu halten ist für die meisten Menschen machbar und einfach. Kontinuierlich mit der Präsenz in Kontakt zu bleiben ist viel schwieriger – offen gesagt, es erfordert einige Übung. In einem Gespräch die ganze Zeit über bewusst zu bleiben ist sogar noch anspruchsvoller. Wir neigen stark dazu, die Präsenz zu verlieren: Oft fallen wir schon aus ihr heraus, sobald wir nur die Augen öffnen. Und es ist kaum zu glauben, wie schwer es ist, hier zu bleiben, sobald wir den Mund öffnen!

Natürlich kennen wir alle auch Ausnahmen: Sei es die Intimität, die wir in romantischen Beziehungen erleben, oder Momente gesteigerten Gewahrseins in der Natur. In solchen Augenblicken fühlen wir oft eine tiefe Verbundenheit. Es ist genau die Kombination von tiefer Präsenz und der Beziehung zu einem anderen Menschen oder unserer Umgebung, die diese Erfahrungen so eindrücklich macht.

Präsenz in eine Beziehung zu bringen ist eine kraftvolle Praxis. Es bedeutet, dass wir wirklich da sind, für uns, für die andere Person und für das, was zwischen uns passiert. Doch es gibt einige Gründe, warum es schwer ist, präsent zu bleiben, während wir sprechen und zuhören:

 

 Wir fühlen uns verletzlich, wenn wir von Angesicht zu Angesicht mit einem anderen Menschen sprechen.

 Soziale Interaktion kann unser Nervensystem aktivieren und uns nervös machen.8

 Wir neigen dazu, unsere Aufmerksamkeit entweder nach außen zu richten, auf die andere Person, oder nach innen, auf unsere Gedanken – und so das Gefühl für die Bezogenheit und die Verbindung zu verlieren.

 Wir sind nicht geübt, im Gespräch präsent zu bleiben.

Bei Primaten kann Blickkontakt ein Ausdruck von Aggression sein. Und auch in uns Menschen wirkt noch immer und trotz der Größe unseres Gehirns diese alte Konditionierung, wenn wir einem anderen ins Angesicht schauen. In Sekundenschnelle schätzt unsere Biologie ein, ob wir in Sicherheit sind: »Ist das ein Freund, ein Feind oder ein potenzieller Partner?«

Obwohl diese Konditionierung meist unterhalb der Bewusstseinsschwelle wirkt, spielt sie doch zu Beginn der meisten Interaktionen eine gewisse Rolle. Wenn wir unsere Kommunikationsmuster transformieren wollen, so gehört dazu auch, dass wir diese grundlegende Verunsicherung in unserem Nervensystem erkennen und wissen, wie wir uns erden und beruhigen können. (In Kapitel 3 werde ich Ihnen einige Methoden vorstellen, die das begünstigen.)