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Zu Teil II, Kapitel 5

(S. 145, Z. 5 v. u.) Anderthalb Jahre nach Niederschrift dieser Partien fand ich in Schopenhauers Nachlaß (Neue Paralipomena, § 143) eine Stelle, die einzige mir in der gesamten Literatur bekannt gewordene, in der eine Ahnung des Zusammenhanges zwischen Genialität und Gedächtnis sich äußert. Sie lautet: »Ob nicht alles Genie seine Wurzel hat in der Vollkommenheit und Lebhaftigkeit der Rückerinnerung des eigenen Lebenslaufes? Denn nur vermöge dieser, die eigentlich unser Leben zu einem großen Ganzen verbindet, erlangen wir ein umfassenderes und tieferes Verständnis desselben, als die übrigen haben.«

(S. 146, Z. 5 f.) David Hume fragt einmal (A Treatise of Human Nature, 1. Ausgabe, London 1738, Vol. I, p. 455): »Who can tell me, for instance, what were his thoughts and actions on the first of January 1715, the 11. of March 1719 and the 3. of August 1733?« Das vollkommene Genie müßte dies von allen Tagen seines Lebens mit Sicherheit wissen.

(S. 150, Z. 4 ff.) Vgl. Goethe, Dichtung und Wahrheit, III. Teil XIV. Buch (Bd. XXIV, S. 141 der Hesseschen Ausgabe): »Ein Gefühl aber, das bei mir gewaltig überhand nahm und sich nicht wundersam genug äußern konnte, war die Empfindung der Vergangenheit und Gegenwart in eins: eine Anschauung, die etwas Gespenstermäßiges in die Gegenwart brachte. Sie ist in vielen meiner größeren und kleineren Arbeiten ausgedrückt und wirkt im Gedicht immer wohltätig, ob sie gleich im Augenblicke, wo sie sich unmittelbar am Leben und im Leben selbst ausdrückte, jedermann seltsam, unerklärlich, vielleicht unerfreulich scheinen mußte.«

(S. 152, Z. 5 v. u. f.) »Der Erfolg der Sängerinnen hatte im Laufe des XVII. Jahrhunderts der Frau jede Gelegenheit auch der theoretisch-musikalischen Ausbildung eröffnet. Unzulängliche Vorbildung kann also in der Komposition als Grund für die minderwertige weibliche Leistung nicht gelten.« So Adele Gerhardt und Helene Simon, Mutterschaft und geistige Arbeit, S. 74; ich citiere diese Stelle auch, um Mills geistreichen Syllogismus anzuführen: »Man unterrichtet die Frauen in der Musik, aber nicht damit sie komponieren, sondern nur damit sie ausüben können, und folglich sind in der Musik die Männer den Frauen als Komponisten überlegen.« (Die Hörigkeit der Frau, übersetzt von Jenny Hirsch, Berlin 1869, S. 126.)

(S. 152, Z. 2 v. u. f.) Die Angabe über die Malerinnen etc. nach Guhl, Die Frauen in der Kunstgeschichte, Berlin 1858, S. 150.

(S. 153, Z. 10 v. u.) »A mesure qu'on a plus d'esprit, on trouve qu'il y a plus d'hommes originaux. Les gens du commun ne trouvent pas de différence entre les hommes.« (Pascal, Pensées, I, 10, 1.)

(S. 154, Z. 5 v. u.) Hiemit stimmt überein, was Helvetius (nach J. B. Meyer, Genie und Talent, Eine prinzipielle Betrachtung, Zeitschrift für Völkerpsychologie, Bd. XI, 1880, S. 298) und Schopenhauer (Parerga und Paralipomena II, § 53) über den nur dem Grade nach bestehenden Unterschied zwischen dem Genie und den Normalköpfen lehren. Vgl. auch Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, § 8: »Wie könnte denn ein Genie nur einen Monat, geschweige Jahrtausende lang von der ungleichartigen Menge erduldet oder gar erhoben werden ohne irgend eine ausgemachte Familienähnlichkeit mit ihr?«

(S. 155, Z. 9 ff.) Man vergleiche die Autobiographie der bedeutenden Menschen mit denen minder hervorragender Männer. Jene reichen stets weiter zurück (Goethe, Hebbel, Grillparzer, Richard Wagner, Jean Paul u. s. w.). Rousseau, Confessions, Nouvelle édition, Paris 1875, p. 4: »J'ignore ce que je fis jusqu'à cinq ou six ans. Je ne sais comment j'appris à lire; je ne me souviens que de mes premières lectures et de leur effet sur moi: c'est le temps d'où je date sans interruption la conscience de moi-même.« – Natürlich ist nicht jeder Biograph seines eigenen Lebens ein großer Genius (J. St. Mill, Darwin, Benvenuto Cellini).

(S. 157, Z. 19 v. u.) Richard Wagner, »Die Meistersinger von Nürnberg,« III. Akt (Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. VII, Leipzig 1898, S. 246).

(S. 157, Z. 12 v. u.) So bemerkt bereits Aristoteles (während Platon bis auf Timaeus 37 D ff. die Zeit im engeren Sinne nicht Problem geworden zu sein scheint), Physika VI, 9, 239 b, 8: Οὐ γὰρ σύγκειται ὁ χρόνος ἐκ τῶν νῦν ἀδιαιρέτων.

(S. 158, Z. 1 v. u.) Wie wenig tief im Wesen der Frau das Gedächtnis gegründet ist, geht daraus hervor, daß man in einer Frau das Erinnerungsvermögen für bestimmte Dinge töten kann, indem man ihr in der Hypnose verbietet, je wieder derselben zu gedenken. Einen solchen Fall entnehme ich einer Erzählung Freuds in seinen mit Breuer gemeinsam herausgegebenen »Studien über Hysterie«, Leipzig und Wien 1895 (S. 49): »Ich unterbreche sie hier .... und nehme ihr die Möglichkeit, alle diese traurigen Dinge wieder zu sehen, indem ich nicht nur die plastische Erinnerung verlösche, sondern die ganze Reminiszenz aus ihrem Gedächtnisse löse, als ob sie nie darin gewesen wäre.« Und in einer Anmerkung zu dieser Stelle fügt Freud hinzu: »Ich bin diesmal in meiner Energie wohl zu weit gegangen. Noch 1½ Jahre später, als ich Frau Emmy in relativ hohem Wohlbefinden wiedersah, klagte sie mir, es sei merkwürdig, daß sie sich an gewisse, sehr wichtige Momente ihres Lebens nur höchst ungenau erinnern könne. Sie sah darin einen Beweis für die Abnahme ihres Gedächtnisses, während ich mich hüten mußte, ihr die Erklärung für diese spezielle Amnesie zu geben« (um einen Rückfall in die Krankheit zu verhindern).

(S. 159, Z. 9 v. u.) Lotze: im »Mikrokosmus«, 1. Aufl., 1858, Bd. II, S. 369.

(S. 162, Z. 17 f.) Diese Ableitung aus dem Schein der Bekanntheit neuer Situationen bei Rhys Davids, Der Buddhismus, Leipzig, Universalbibliothek, S. 107.

(S. 162, Z. 23.) Edward B. Tylor, Die Anfänge der Kultur, Untersuchungen über die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitte, übersetzt von J. W. Spengel und Fr. Poske, Leipzig 1873, Bd. II, S. 1: Es »kann … nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden, daß die Lehre von einem zukünftigen Leben, wie wir sie selbst bei den niedrigsten Rassen vorfinden, eine durchaus notwendige Folge des rohen Animismus ist.« – Herbert Spencer, Die Prinzipien der Soziologie, Bd. I, Stuttg. 1877, § 100 (S. 225). Richard Avenarius, Der menschliche Weltbegriff, Leipzig 1891, S. 35 ff.

(S. 163, Z. 11 f.) Über dieses plötzliche Auftauchen aller Erinnerungen vor dem Tode oder in Todesgefahr und Todesnähe vgl. Fechner, Zend-Avesta, 2. Aufl., Bd. II, S. 203 ff.

(S. 164, Z. 8 f.) Über die »Euthanasie der Atheisten« vergleiche man, was F. A. Lange erzählt (Geschichte des Materialismus, 5. Aufl., 1896, Bd. I, S. 358).

(S. 166, Z. 5 v. u. f.) Aus den angeführten Gründen sind mir die indischen Lehren vom Leben nach dem Tode, die griechische Anschauung vom Lethe-Trunk und die Verkündung von Wagners Tristan: »… im weiten Reich der Welten-Nacht. Nur ein Wissen dort uns eigen: göttlich ew'ges Ur-Vergessen«, ungleich weniger verständlich als die Anschauung Gustav Theodor Fechners, dem das zukünftige Leben ein volles und ganzes Erinnerungsleben ist (Zend-Avesta oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits vom Standpunkte der Naturbetrachtung, 2. Aufl., besorgt von Kurd Laßwitz, Hamburg und Leipzig 1901, Bd. II, S. 190 ff.), z. B. S. 196: »Ein volles Erinnern an das alte Leben wird beginnen, wenn das ganze alte Leben hinten liegt, und alles Erinnern innerhalb des alten Lebens selber ist bloß ein kleiner Vorbegriff davon.«. Die Annahme ist unethisch, welche die Erinnerungen aus dem Erdenleben mit dem Tode völlig ausgelöscht sein läßt: sie entwertet Wertvolles; da Wertloses ohnehin vergessen wird. Und dann: in der Erinnerung ist der Mensch bereits aktiv, das Gedächtnis ist eine Willenserscheinung; von einem Leben in voller Aktivität ist zu denken, daß es alle Elemente der Aktivität in sich aufgenommen habe, es ist ewig, weil es zeitlos ist und also Vergangenes und Zukünftiges nebeneinander sieht. Sehr schön sagt Fechner (ibid. S. 197 f.): »So denke dir also, daß nach dem letzten Augenschluß, der gänzlichen Abtötung aller diesseitigen Anschauung und Sinnesempfindung überhaupt, die der höhere Geist bisher durch dich gewonnen, nicht bloß die Erinnerungen an den letzten Tag erwachen, sondern teils die Erinnerungen, teils die Fähigkeit zu Erinnerungen an dein ganzes Leben, lebendiger, zusammenhängender, umfassender, heller, klarer, überschaulicher, als je Erinnerungen erwachten, da du immer noch halb in Sinnesbanden gefangen lagst; denn so sehr dein eigener Leib das Mittel war, diesseitige Sinnesanschauungen zu schöpfen und irdisch zu verarbeiten, so sehr war er das Mittel, dich an dies Geschäft zu binden. Nun ist aus das Schöpfen, Sammeln, Umbilden im Sinne des Diesseits; der heimgetragene Eimer öffnet sich, du gewinnst, und in dir tut's der höhere Geist, auf einmal allen Reichtum, den du nach und nach hineingetan. Ein geistiger Zusammenhang und Abklang alles dessen, was du je getan, gesehen, gedacht, errungen in deinem ganzen irdischen Leben, wird nun in dir wach und helle; wohl dir, wenn du dich dessen freuen kannst. Mit solchem Lichtwerden deines ganzen Geistesbaues wirst du geboren ins neue Leben, um mit hellerem Bewußtsein fortan zu arbeiten an dem höheren Geistesleben …«

 

»Manche sind, die glauben wohl an ein künftig Leben, nur gerade, daß die Erinnerung des jetzigen hinüberreichen werde, wollen sie nicht glauben. Der Mensch werde neu gemacht und finde sich ein anderer im neuen Leben, der wisse nichts mehr von dem früheren Menschen. Sie brechen damit selbst die Brücke ab, die zwischen Diesseits und Jenseits überleitet und werfen eine dunkle Wolke zwischen. Statt daß nach uns der Mensch mit dem Tode sich ganz und vollständig wieder gewinnen soll, ja so vollständig, als er sich niemals im Leben hatte, lassen sie ihn sich ganz verlieren; der Hauch, der aus dem Wasser steigt, statt den künftigen Zustand des ganzen Wassers vorzubedeuten, verschwindet ihnen mit dem Wasser zugleich. Nun soll es plötzlich als neues Wasser in einer neuen Welt da sein. Allein wie ward es so? Wie kam's dahin? Die Antwort bleiben sie uns schuldig. So bleibt man auch gar leicht den Glauben daran schuldig.

Was ist der Grund von solcher Ansicht? Weil keine Erinnerungen aus einem früheren Leben ins jetzige hinüberreichen, sei auch nicht zu erwarten, daß solche aus dem jetzigen ins folgende hinüberreichen. Aber hören wir doch auf, Gleiches aus Ungleichem zu folgern. Das Leben vor der Geburt hatte noch keine Erinnerungen, ja kein Erinnerungsvermögen in sich, wie sollten Erinnerungen davon in das jetzige Leben reichen; das jetzige hat Erinnerungen und ein Erinnerungsvermögen in sich entwickelt, wie sollten Erinnerungen nicht in das künftige Leben reichen, ja sich nicht steigern, wenn wir doch im künftigen Leben eine Steigerung dessen zu erwarten haben, was sich im Übergange vom vorigen zum jetzigen Leben gesteigert hat. Wohl wird der Tod als zweite Geburt in ein neues Leben zu fassen sein; … aber kann darum alles gleich sein zwischen Geburt und Tod? Nichts ist doch sonst ganz gleich zwischen zwei Dingen. Der Tod ist eine zweite Geburt, indes die Geburt eine erste. Und soll uns die zweite zurückwerfen auf den Punkt der ersten, nicht vielmehr von neuem Anlauf auf uns weiter führen? Und muß der Abschnitt zwischen zwei Leben notwendig ein Schnitt sein? Kann er nicht auch darin bestehen, daß das Enge sich plötzlich ausdehnt in das Weite?« (S. 199 f.).

(S. 169, Z. 4.) In den werttheoretischen Büchern von Döring, Meinong, Ehrenfels, Kreibig habe ich vergebens nach irgend einer Bestimmung des Verhältnisses von Wert und Zeit gesucht. Was bei Alexius v. Meinong, Psychologisch-ethische Untersuchungen zur Werttheorie, Graz 1894, S. 46 und 58 ff., bei Josef Clemens Kreibig, Psychologische Grundlegung eines Systems der Werttheorie, Wien 1902, S. 53 ff., zu finden ist, steht in keiner Beziehung zu dem hier in Betracht kommenden prinzipiellen Zwecke. Gerade was Kreibig ausführt, S. 54: »Das stets gleichbleibende lang andauernde Tönen einer Dampfpfeife oder eines Nebelhornes, das Einerlei eines gleichförmig grauen Himmels, das endlose Plappern eines witzelnden Gesellschafters wirkt auf die Dauer unlusterregend, auch wenn diese Inhalte ursprünglich angenehm empfunden wurden. Goethe sagt treffend, nichts sei schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen (!) Tagen. Auf allen höheren Gebieten finden wir ähnliche Tatbestände; der immer süße Mendelssohn, der leiernde Hexameter Vossens, das Lob der Speichellecker wird schließlich peinvoll. Der Sozialist Fourier beweist Beobachtungsgabe, indem er in seinem Phalansterium der »Schmetterlingsleidenschaft« der Menschen durch entsprechenden Wechsel der pflichtmäßigen Beschäftigung jedes einzelnen Rechnung trägt. Daß anderseits eine zu rasche Abfolge differenter Inhalte ermüdend und damit negativ wertbeeinflussend wirkt, braucht nicht ausführlich belegt zu werden« – gerade diese Auseinandersetzung zeigt, wie heillos die Brentanosche Schule »Wertgefühl« und Lust konfundiert hat. Die Lust mag durch Dauer geschwächt werden, ein Wertvolles kann durch sie nie an Wert verlieren.

Nur an zwei Orten finde ich Meinungen, die an die Darlegungen des Textes erinnern könnten. Harald Höffding stellt in seiner »Religionsphilosophie« (übersetzt von F. Bendixen, Leipzig 1901, S. 105, 193 ff.) eine These von der »Erhaltung des Wertes« auf, durch welche man sich entfernt an den Satz von der Zeitlosigkeit des Wertes gemahnt fühlen könnte. Viel näher und deutlicher erkennbar ist meine Übereinstimmung mit Rudolf Eucken, Der Wahrheitsgehalt der Religion, Leipzig 1901, S. 219 f.: »… Wohl heißt es, daß der Mensch der bloßen Zeit angehört, aber er tut das nur für eine gewisse Fläche seines Daseins; alles geistige Leben ist eine Erhebung über die Zeit, eine Überwindung der Zeit. Was immer an geistigen Inhalten entfaltet wird, das trägt in sich den Anspruch, ohne alle Beziehung zur Zeit und unberührt von ihrem Wandel, d. h. also in einer ewigen Ordnung der Dinge zu gelten; nicht nur die Wissenschaft gibt ihre Wahrheit »unter der Form der Ewigkeit«, was immer wertvoll und wesenhaft sein will, das verschmäht ein Dahinschwimmen mit dem Flusse der Zeit, eine Unterwerfung unter den Wandel ihrer Mode und Laune, das will umgekehrt von sich aus die Zeiten messen und ihren Wert bestimmen.

Dieses Verlangen nach Ewigkeit begnügt sich nicht damit, eine Zuflucht aus den Wirren der Zeit zu suchen, es nimmt auf dem eigenen Boden der Zeit den Kampf mit ihr auf; dieser Zusammenstoß von Zeit und Ewigkeit ist es vornehmlich, woraus Geschichte im menschlichen Sinne entsteht und besteht. In der Zeit selbst erwächst ein Streben über alles Zeitliche hinaus zu etwas Unwandelbarem: so fixiert das Kulturleben von den Leistungen der Vergangenheit gewisse als klassisch und möchte sie nicht nur dauernd im Bewußtsein erhalten, sondern in ihnen ein untrügliches Maß des Strebens finden … nicht dadurch entsteht Geschichte im menschlichen und geistigen Sinne, daß Erscheinungen einander folgen und sich anhäufen, sondern dadurch, daß diese Folge irgend gedacht und erlebt wird. Nun aber wäre nicht einmal ein Überschauen und die Vereinigung der Mannigfaltigkeit in einen Gesamtanblick möglich ohne ein Heraustreten des Beobachters aus dem rastlosen Strom der Zeit. Und die Betrachtung allein vermag keineswegs eine historische Gestaltung der Kultur hervorzubringen, diese kommt nur zustande, indem in der Geschichte Wesentliches und Nebensächliches, Bleibendes und Vergängliches auseinandertritt; sie ist nicht möglich ohne ein energisches Sondern und Sichten der chaotischen Fülle, die uns zuströmt. Der echte Bestand, der allein für die eigene Lebensführung Wert hat, ist aus der Erscheinung immer erst herauszuarbeiten. Wer anders aber sollte jenes Sondern und Sichten vollziehen als ein der Zeit überlegener, nach inneren Notwendigkeiten messender Lebensprozeß und wie anders sollte er es tun, als indem er das echt Befundene aus allem Wandel der Zeit heraushebt und ihr gegenüber festlegt?…« S. 221 f.: »… ein anderes ist es, die anthropomorphe Unsterblichkeit abzulehnen, ein anderes, dem Geisteswesen des Menschen alle Teilnahme an der Ewigkeit zu versagen. Denn dies heißt nicht sowohl Aussichten in die Zukunft abschneiden als alles Geistesleben der bloßen Zeit überantworten, damit aber es herabdrücken, zerstreuen, innerlich vernichten. Auch das zeitliche Leben wird zu bloßem Schatten und Schein, wenn ihm kein Streben zur Ewigkeit innewohnt; müßte doch bei voller Gebundenheit an die Zeit alles menschliche Erlebnis, alle menschliche Wirklichkeit nach dem Aufleuchten des bloßen Augenblicks sofort in den Abgrund des Nichts zurücksinken.«

Wollte ich noch weiteres anführen, so könnte ich nur auf den schönen Traum verweisen, den Knut Hamsun in seinem Roman »Neue Erde« (übersetzt von M. v. Borch, München 1894, S. 169 ff.) schildert, oder müßte schon hier auf die ewigen Ideen Platons zurückgreifen, die unberührt von der Zeit an einem Orte »jenseits des Himmels« thronen. Die Ideen Platons in ihrer späteren restringierten Fassung sind die Werte der modernen, von Kant begründeten Philosophie. Aber in der rein psychologischen Auseinandersetzung dieses Kapitels kommt das noch nicht in Betracht.

(S. 174, Z. 19 f.) Carlyle, On Heroes etc., p. 11 f. »He was the ‚creature of the Time’, they say; the Time called him forth, the Time did everything, he nothing .... The Time call forth? Alas, we have known Times call loudly enough for their great man; but not find him when they called! He was not there; Providence has not sent him; the Time, calling its loudest, had to go down to confusion and wreck because he would not come when called.

For if we will think of it, no time need have gone to ruin, could it have found a man great enough, a man wise and good enough: wisdom to discern truly what the Time wanted, valour to lead it on the right road thither; these are the salvation of any Time. But I liken common languid Times, with their unbelief, distress, perplexity, with their languid doubting characters and embarrassed circumstances, impotently crumbling-down into ever worse distress towards final ruin; – all this I liken to dry dead fuel, waiting for the lightning but of Heaven that shall kindle it. The great man, with his free force direct out of God's own hand, is the lightning. His word is the wise healing word which all can believe in. All blazes round him now, when he has once struck on it, into fire like his own. The dry mouldering sticks are thought to have called him forth. They did want him greatly; but as to calling him forth —! – Those are critics of small vision, I think, who cry: ‚See, is it not the stick that made the fire?’ No sadder proof can be given by a man of his own littleness than disbelief in great men.«

(S. 176, Z. 4 v. u.) Baco als Sprachkritiker: Novum Organum I, 43. Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. I, Sprache und Psychologie, Stuttgart 1901.

(S. 177, Z. 19 v. u.) Hermann Türck, Der geniale Mensch, 5. Aufl., Berlin 1901, S. 275 f. – Cesare Lombroso, Der geniale Mensch, übersetzt von M. O. Fränkel, Hamburg 1890, passim. – Zur Erheiterung sei hier noch Francis Galton (Hereditary Genius, Inquiry into its Laws and Consequences, London 1892, p. 9, vgl. Preface p. XII) folgende Auffassung entnommen: »When I speak of an eminent man, I mean one who has achieved a position that is attained by only 250 persons in each million of men, or by one person in each 4000.«

(S. 177, Z. 15 v. u.) Kant über das Genie: Kritik der Urteilskraft, § 46–50. Vgl. Otto Schlapp, Kants Lehre vom Genie, Göttingen 1902, besonders S. 305 ff. Schelling, System des transscendentalen Idealismus, Werke I/3, S. 622–624, S. 623 heißt es: »Nur das, was die Kunst hervorbringt, ist allein und nur durch Genie möglich.« – Gegen Kantens Ausschluß der Philosophen von der Genialität wenden sich Jean Paul, Das Kampanertal oder über die Unsterblichkeit der Seele, 503. Station und Johann Gottlieb Fichte, Über den Begriff der Wissenschaftslehre, 1794, § 7. (Sämtliche Werke herausgegeben von J. H. Fichte, Bd. I/1, S. 73, Anmerkung.)