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Das letzte Märchen

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Räubersteige! Wer niemals auf ihnen ging, war niemals jung. Denn Jugend hat Ziegenblut, hat eine kletterlustige Phantasie und liebt die weichen Wiesenwege weniger, als die ruhigen Milchkühe und die braven Ackerpferde sie lieben. Kindlich Volk hat Hunger nach Furcht, weil sein Leben zu sicher ist, liebt die Geheimnisse, weil ihm alles noch Geheimnis ist, braucht Heldenmaße, riesenhafte Dimensionen und sucht sie außerhalb seiner Schulvorbilder, die ihm klein erscheinen, weil es ihre Größe nicht begreift. Deshalb hatten die Alten Riesen und wir haben Strategen, deshalb liest das naive Volk den »Schinderhannes« lieber als den »Faust«. Und deshalb ist zu alleinigem Trost Ungeschmack so oft – Jugend.

Ich aber mit meiner Kinderseele und mit meiner alten Seele, ich mit meiner Mischseele mußte in inneren Zwiespalt kommen auf diesen Wegen. Ich konnte alle Schauer der Einsamkeit, der Furcht, der versteckten Geheimnisse empfinden und gleich hinterher über meine Empfindungen reflektieren. Mich überkam das Gruseln an steilen Abhängen und dunklen Schluchten, und ich konnte doch feststellen, daß das Gebirgee aus Porphyr bestand. Ich fühlte oft einen Schauder beim Anblick Brumbus und seiner bunten Schar, die uns Willenlose ins Ungewisse führten, und ich hatte doch Lust, sie auszufragen, über sie zu spotten oder mir Notizen über sie zu machen.

Das sind die Räubersteige des letzten Märchens. Und zu diesen inneren Erlebnissen paßte ein äußeres Ereignis.

Wir hatten uns an einer Berglehne gelagert, ein Feuer angezündet und brieten ein paar Stücke Wild, die unterwegs erbeutet worden waren. Wir rauchten natürlich alle aus kurzen Pfeifen, auch ich, obwohl das zu meiner schottischen Bluse, die ich immer noch trug, nicht paßte, und wir mußten alle aus derselben Flasche trinken.

Da brachte eine ausgestellte Wache einen Gefangenen herbei. Er war ein kleines, altes Männlein mit einer Brille. Er trug ein Paket unter dem Arm.

Sofort trat das »Berggericht« zusammen, Brumbu, der Räuberchef, mit sechs ausgewählten Beisitzern. Der Hauptmann hielt dem Gefangenen in strengen Worten vor, daß es eine Frechheit von ihm sei, sich auf diesem verbotenen Gebiet herumzutreiben, und daß er also zur Strafe seine sämtlichen Habseligkeiten auszuliefern habe, widrigenfalls seiner ein grauenvolles Schicksal harre.

Daraufhin legte das Männlein äußerst behutsam sein Paket zur Seite, zog eine Kapsel aus der Tasche, trat an Brumbu heran und sagte:

»Ach, entschuldigen Sie, wenn Sie hier zu Hause sind, können Sie mir vielleicht sagen, was das für eine Pflanze ist, die ich hier in der Kapsel habe?«

Brumbu machte ein sehr verdutztes Gesicht.

»Ich bin nämlich Botaniker,« fuhr das Männlein fort, »und habe da eine Pflanze entdeckt, die in keine einzige der 24 Klassen des Linnéschen Systems paßt. Sie können sich davon leicht überzeugen, wenn Sie einen Blick durch meine Lupe werfen wollen.«

Der Botaniker drückte dem Räuberchef sein Vergrößerungsglas in die Hand, der es verwundert betrachtete und dazu ein hilflos dummes Gesicht machte.

»Ja, verstehen Sie,« sagte der Botaniker wieder, »das einzige Exemplar im ganzen Gebirge! Ein Mirakulum, ein Mirakulum! Ein ganz außerordentlicher Fall! Es ist ein Fund für die Wissenschaft, ein Fund, sage ich –«

Dr. Nein, Dr. Schnugu und ich drängten uns heran. Brumbu atmete auf.

»Ich sehe nicht gut,« sagte er zu dem Botaniker und gab ihm die Lupe zurück, »aber wenden Sie sich an diese da! Das sind die drei klügsten Leute der Welt.«

Der Botaniker wandte sich zuerst an Dr. Nein. Dieser lachte verlegen.

»Ja, mein Bester, Botanik so – so! Aber geben Sie mal das Ding her! – Blau – hm! Blau! Sehr blau! Warten Sie mal: Ein Veilchen ist's nicht, eine Kornblume ist's auch nicht, also kann's nur eine Glockenblume sein! Campanula rotundifolia!«

»Herr!« schrie der Botaniker kirschrot vor Wut und nahm Dr. Nein entrüstet die Kapsel ab. »Sie sind – Sie sind ein Esel!«

Darauf wollte Dr. Nein über den Gelehrten herfallen, aber Brumbu hinderte ihn und sagte:

»Ruhig, der Mann hat recht!«

Nun nahm Dr. Schnugu die Kapsel, betrachtete die darin liegende Pflanze lange durch das Vergrößerungsglas und gab sie endlich an mich.

»Ja, es ist ein Mirakel,« sagte er. »Die Pflanze läßt sich nicht einordnen! Ich kenne sie nicht.«

»Und das Fräulein wird sie erst recht nicht kennen,« sagte der Gelehrte nervös. »Weiber können nie was in Botanik.«

»Aber das ist ein ganz absonderliches Weib!« behauptete Dr. Schnugu. »Lassen Sie ihr die Kapsel!«

In der Kapsel lag eine Blume von wunderbarem Farbenglanz. Ich sog den Glanz ein mit meinen Augen, und meine Seele suchte in ihren Erinnerungsschätzen nach einem Vergleich für diese Farbenstimmung. Ferne Bilder stiegen vor mir auf.

Einen Nonnenchor sah ich einmal einen Berg hinaufsteigen. Der Abend war nicht weit. Ein tiefer, schwermütiger Friede lag über der Welt. Vom Berge her tönte ein leises, silbernes Läuten, und der Wind flüsterte über mir in alten Bäumen. Die Nonnen gingen alle gesenkten Hauptes an mir vorbei. Nur einer konnte ich in die Augen sehen, und ihre Augen hatten die Farbe dieser Blume. –

Und einmal, als ich noch ein Kind war und viel tn den Bergen herumlief, kam ich zu einem Brunnen, den ein altes, verwittertes Gemäuer einschloß. Die Leute erzählten, er sei sieben Meilen tief, und in schweren Kriegszeiten hätten die Menschen ihre Schätze in den Brunnen geworfen. Das Wasser könne keiner sehen; es sei zu tief, das Gemäuer sei morsch, und wer hinunterschauen wolle, sei verloren. Ich aber schaute doch hinunter, und einmal, als der Himmel ganz hell war, sah ich das Wasser. Es hatte die Farbe dieser Blume.

Dann ein anderes Mal, als ich schon ein Mann war und nach langer Krankheit und vieler Qual einsam spazieren ging, kam ich auf einen Hügel. Es lag viel blühendes, lebendiges Land zu meinen Füßen, eine große, bunte Stadt mit hohen Schulhäusern, mit langen Fabrikreihen, mit vielen belebten Straßen, drüber hinaus Dörfer mit fruchtbaren Feldern, drüber hinaus der belebte Fluß, das ragende Gebirge. Aber ich sah das alles nicht, das starke, wahre Leben da unten tat meinen Augen weh; ich sah darüber hinweg, sah eine einzige Farbenlinie, dort, wo am verdämmernden Horizont der Himmel die Erde berührt – und diese Linie hatte die Farbe dieser Blume.

Ja, diese Farbe ist noch im Leben und doch schon jenseits des Lebens, sie ist noch mit menschlichem Auge zu schauen, aber wer sie findet, für den ist es ein Schauen, ein Hinträumen, kein scharfes Sehen mehr.

Ich beugte mich tiefer über das Mirakel. Ein süßer, weltfremder Duft fing meine Sinne, ein Duft, in dem die Sehnsucht mit dem Frieden rang, ein Duft, stark genug, diese Augen zu schließen und andere zu öffnen, – Wundergärten zu erschließen, das Leben zu vergessen. Da richtete ich mich auf.

»Lassen Sie mir diese Blume! Ich kenne sie!«

»Sie kennen sie?«

»Ja, es ist die blaue Blume der Romantik.«

Ein Griff, – die Kapsel war mir entrissen.

Rauh nahm der Gelehrte dem Dichter die Blume aus der Hand.

»Können Sie mir den botanischen Namen sagen?« fragte er lauernd.

»Nein, das kann ich nicht!« sagte ich mit mattem Lächeln.

»Dann kann mich das alles nichts nützen,« entgegnete er abfällig. »Die blaue Blume der Romantik – mit solchen lokalen Benennungen läßt sich nichts anfangen.«

Und er klappte die Kapsel zu, raffte seine anderen Pflanzen zusammen und ging davon.

Niemand hinderte ihn, die blaue Blume der Romantik in seiner Kapsel davonzutragen, niemand, – nicht einmal die Räuber.

***

Durch ein Gewirr von schmalen Pfaden, durch viele maskierte Durchgänge, teilweise durch unterirdische Wanderungen und in halsbrecherischen Kletterpartien waren wir endlich an die geheime Höhle gelangt, die im verlorensten Teile des völlig unwegsamen Gebirges lag.

Die Höhle war von großer Ausdehnung und bot ein Chaos von geraubten Gegenständen aller Art. Gold — und Silbersachen, Geschmeide, Seidenstoffe, kostbare Geräte und Waffen, Teppiche, Uhren, Kunstgegenstände, aber auch Wäschestücke, alte, abgeschabte Anzüge, landwirtschaftliche Geräte, Handwerkszeuge, Musikinstrumente, Schuhe und Stiefel, Lampen, selbst Kinderspielzeug – das alles lag, lehnte, stand, hing, quetschte durch-, über — und untereinander.

Brumbu seufzte.

»Glauben Sie mir, wenn ich einmal Inventur mache, das ist eine Hundearbeit,« sagte er zu mir.

»Machen Sie manchmal Inventur?«

»Hier selten! Aber in den offiziellen Höhlen muß ich in jedem Jahr Inventur machen. Es ist wegen der Steuer.«

»Zahlen Sie denn Steuer?«

»Ja, natürlich, was glauben Sie denn? Gewerbe-, Einkommen — und Vermögenssteuer! Kommunallasten gebe ich nicht, weil ich meist unbestimmten Aufenthaltes bin. Aber der Staat! O, ich sage Ihnen, ich muß jedes Jahr reklamieren, denn die Herren am grünen Tische schätzen mich immer zu hoch ein. Und sie haben keine Ahnung von meinen Spesen und der schwierigen Geschäftslage.«

Es ist gar nicht uninteressant, einmal in einer Räuberhöhle zu hausen. An viele der geraubten Gegenstände knüpften sich aufregende Geschichten, die ich aber nicht wiedergebe, weil ich annehme, daß Brumbu in seiner Eitelkeit vieles übertrieb und zu seinem Vorteil ausschmückte. Denn er war ungeheuer eitel. Bei vielen seiner Abenteuer hatte er sogar von einem seiner Leute photographische Momentaufnahmen machen lassen; auch besaß er eine Autographensammlung berühmter Gefangener, in die ich wohl oder übel meinen Namen eintragen mußte.

Bei der Besichtigung des »Inventars« hatte Dr. Schnugu zu seiner großen Freude die alte Tabakspfeife wieder entdeckt, die ihm Brumbu bei der Konsultation einst geraubt hatte. Der alte Walddoktor saß nun meist draußen zwischen den Felsen, rauchte und starrte in die Ferne. Ich saß bei ihm, ebenso schweigsam und in Gedanken verloren wie er, während Dr. Nein in der Höhle Studien mächte, einen Artikel über die Abschaffung der Staatsräuberei skizzierte und beständig Händel mit Brumbu hatte. Ganz einsam, von uns allen abgesondert, war Stimpekrex. Er litt unbeschreiblich in jenen Tagen.

 

Zwischen den Felsen war eine bedrückende Stille. Stumpf und öde lag das Gebirge. Mit starren Armen dehnte es sich tot gegen den braunen, unbewegten Himmel hin und wieder kaum ein paar grüne Halme; selten ein Vogel, der sich daher verirrte, vor der Einsamkeit erschrak und kreischend zurückflog ins Tal.

Aber dieser lautlose, tote Friede quälte uns nicht so sehr wie die stumpfe Ruhe, zu der wir selbst verurteilt waren in jenen Tagen, da das ganze Land von den heftigsten Kämpfen durchtobt war.

Dazu kam bei mir die Sorge um die Geliebte und auch um Goldina, das Kind des toten Königs. So zersann ich mir bei Tage und in der Nacht den Kopf, was ich Vernünftiges zu tun vermöchte, das irgendwie der guten Sache von Nutzen sein konnte.

Ich fand nichts; auch Dr. Schnugu wußte keinen Rat. Wir waren beide bereit, jedes Opfer zu bringen, wenn wir nur gewußt hätten, wozu es dienen sollte.

So waren wir in der Tat in einer grausamen Gefangenschaft. Am fünften Tage unseres Aufenthalts in der Höhle brachte einer der Leute Brumbus aus dem Tale die Nachricht, die erste Schlacht sei gefallen, die Herididasufoturanier seien vollständig geschlagen, und die Hakulatotuländer seien auf dem Wege nach Marilkaporta. Die Bestürzung im Lande sei furchtbar. Hamrigula habe die wilde Flucht seines Heeres nicht aufhalten können. Nun stehe er mit seiner Schar nahe beim verbotenen Berge vor der heiligen Stadt. Dort wollten die Herididasufoturanier den verzweifeltsten Widerstand leisten.

Eine fiebernde Erregung ergriff uns. Das eigene Volk geschlagen, der Feind vor dem Tor der heiligen Stadt! Und doch war das der Weg, das Land vor noch schwererem Unglück zu bewahren, es zu erlösen aus der Hand dieses Verräters.

Die Frage beschäftigte uns, wie eine so vollständige Niederlage, eine so haltlose Flucht möglich gewesen sei. Der Bote gab uns einigen Anhalt.

Die Herididasufoturanier waren ohne die rechte Begeisterung in den Krieg gezogen. Männer waren unter ihnen aufgestanden, die an das Friedenstestament des toten Königs erinnert hatten; andere, die sich offen aufgelehnt hatten gegen die Gewaltherrschaft Hamrigulas. So konnte der Prinz nur durch eiserne Strenge die Ordnung in seinem Sinne aufrecht erhalten. Auf dem Lande und in den kleinen Städten gärte es, in Marilkaporta herrschte tote Stille. Immerhin hatte der Prinz noch einen großen Anhang. Er suchte ihn zu erhalten und zu vergrößern, indem er immer wieder die Lügenmären über den Erbprinzen neu auffrischte.

»Nehmt Rache an Juvento, dem Mörder unseres toten Königs!«

Und das Volk glaubte es, und die armen, irregeleiteten Patrioten strömten ihm zu.

Der Bote brachte auch die neueste Nummer der »Posaune« mit. Das Blatt enthielt wieder die gemeinsten Beleidigungen unseres Volkes, des Prinzen Hamrigula und des toten Königs. Auf der dritten Seite der »Posaune« stand folgende Notiz:

»Wie bekannt, sind die vier Redakteure der ›Zeitung‹ in unsere Gewalt gebracht worden, auch Dr. Schnugu, der das verbrecherische Urteil über den Königsmord abgegeben hat. Die Redakteure sind vor ein Kriegsgericht gestellt, abgeurteilt und vorgestern erschossen worden. Dr. Schnugu wurde gehängt. Durch solch unrühmlichen, aber wohlverdienten Tod haben die Herididasufoturanier ein paar der ›Edelsten ihrer Nation‹ verloren. Sie werden sich aber zu trösten wissen, denn solcher Galgenvögel, wie Dr. Schnugu, haben sie noch sehr viel im Lande.«

»Hurra!« schrie Dr. Nein, »wir sind tot! Mausetot! Erschossen und begraben! Und Sie, edler Dr. Schnugu, hängen an einem Galgen, und die Hakulatotuländer spielen Zappelmann mit Ihnen.«

Wir konnten diese Fröhlichkeit nicht teilen. Abermals wurden unsere Namen mißbraucht, um den Haß des Volkes zu schüren; nun konnten wir unmöglich länger schweigen; nun war selbst ein nutzloser Tod besser als dieses Schweigen.

Draußen in den Felsen hielt ich mit den Getreuen eine Beratung. Auch Brumbu hatte dabei Sitz und Stimme.

Wir berieten nicht lange und gingen unmittelbar an die Ausführung unserer Beschlüsse. Am Nachmittag saß ich in Brumbus kleinem »Kontor« und schrieb mit fliegender Hand Blatt um Blatt. Eine Darstellung des Lügengewebes, in das das Volk verstrickt war. Die Entlarvung Hamrigulas. Wenn ich lebte, sollte mir dieser Artikel eine Waffe sein, wenn ich sterben mußte, war er mein Testament.

Nach zwei Stunden war ich fertig. Brumbu hatte inzwischen aus seinem Chaos eine Anzahl Anzüge herausgesucht, aus denen wir uns je einen auswählten: ich, der Redakteur, einen blauen, Schnugu, der Arzt, einen schwarzen, Dr. Nein, der Parlamentarier, einen gescheckten. Stimpekrex, der Hofmann, hätte einen grünen wählen müssen, verschmähte aber die Farbe und kleidete sich blau wie ich.

Dann öffnete Brumbu zwei Kisten, die von oben bis unten mit künstlichen Bärten gefüllt waren. Einer der Räuber, der früher Theatercoiffeur gewesen war, übte seine Künste; nicht lange, so hatten wir jeder einen passenden Bart angeklebt und sahen nun genau so aus wie früher.

So traten wir vier nebeneinander und hielten gemeinsam eine Tafel hoch, auf der zu lesen stand:

»Wir leben! Hamrigula hat uns gefangen gehalten, Wir sind ihm entflohen. Unsere Urteile über den Königsmord sind von Hamrigula gefälscht. Hamrigula selbst ist der Mörder des Königs. Macht Frieden mit Juvento!«

In dieser Aufstellung wurden wir photographiert. Brumbu hatte zu diesem Zweck aus seinen Vorräten ungefähr zwölf photographische Apparate herausgesucht. Infolge der hochentwickelten Technik waren die ausgezeichneten Bilder in wenigen Minuten fertig.

Es war gegen Abend, als wir uns anschickten, die Höhle zu verlassen. Zuvor hielten wir noch ein Mahl. Um ein brodelndes Feuer lagen wir, das flackerte und knisterte eine geheimnisvolle Musik und bestrahlte mit rotem Schein die bunten phantastischen Gewänder der Räuber. Der Hauptmann hatte großen Staat angelegt; seine Kleider waren von der kostbarsten Seide, der Griff seines Dolches war ein einziger großer, blaugrüner Diamant. Musternd glitt sein Blick über die Schar.

»Wir werden jetzt ausziehen, um einen Einbruch zu verüben,« sagte er mit feierlicher Würde. »Aber den Gästen kann ich die Beteiligung nicht gestatten. Dazu gehört eine große Kunstfertigkeit, die ihnen mangelt. Nur Dr. Barragu werde ich mitnehmen, weil er unbedingt notwendig ist. Die anderen werden im Walde warten, bis wir von dem Einbruch zurückkehren.«

»Die andern werden sich schön bedanken,« sagte Dr. Nein; »sie werden nicht warten, weil das viel zu langweilig wäre, sondern lieber bei dem Einbruch mitmachen.«

Die Räuber starrten erschrocken Dr. Nein an, der es wagte, ihrem Hauptmann zu widersprechen. Es kam zu einer heftigen Aussprache zwischen den beiden, in welcher sich der Parlamentarier dem Räuberchef an Grobheit weit überlegen erwies. Endlich mußte die Debatte ohne Resultat abgebrochen werden, da es Zeit zum Aufbruch wurde.

Brumbu hielt einen Abschiedstoast.

Er freue sich, sagte er, daß er uns habe in seiner Häuslichkeit aufnehmen können. Nun gingen wir vier: Dr. Schnugu, Dr. Nein, Stimpekrex und ich einer gefahrvollen Zukunft entgegen. Sollten wir (was er für höchst wahrscheinlich halte) in den nächsten Tagen unseren Tod finden, so wolle er uns – mit Ausnahme von Dr. Nein – ein ehrenvolles Andenken bewahren.

Ich dankte Herrn Brumbu in einem kurzen Gegentoast, und dann brachen wir auf. Der Räuberchef mit feinen besten Leuten begleitete uns. Er gab stundenlange, mühsame Kletterpartien, dann bestiegen wir Pferde und trabten rasch dahin. In einem Walde hielten wir an.

Drüben auf einer Wiese lagen mehrere große Gebäude, ein bißchen weiter ins Tal hinab erstreckte sich eine Stadt. Tiefe Nacht. Einsam und still lagen die Häuser auf der Wiese. Brumbu zeigte auf das eine der Gebäude und sagte:

»Also das ist das Haus, das ich meine! Ich gehe kundschaften. Wenn der Ruf des Käuzchens erschallt, kommt Dr. Barragu mit meinen Leuten über die Wiese gekrochen. Gekrochen, sag ich! Und alle anderen bleiben hier – alle!«

Denjenigen, die noch nie an einem Einbruch beteiligt gewesen sind, kann ich verraten, daß es eine aufregende Sache ist. Wer schwache Nerven oder gar einen Herzfehler hat, dem rate ich entschieden ab, bei solchen Dingen mitzumachen, selbst wenn das Einbrechen einmal Modesport werden sollte, was ja leicht möglich ist.

Ich muß sagen, daß mir sehr elend zu Mute war, als ich so in dem Walde wartete. Endlich erscholl der Ruf des Käuzchens, der ja in allen Räubergeschichten erschallt. Brumbus Leute warfen sich auf den Bauch und schlängelten sich über die Wiese, und ich warf mich auch auf den Bauch und gab mir Mühe, mich ihnen kunstgerecht nachzuschlängeln.

Als wir zur Hälfte drüben waren, hörte ich eine leise Stimme hinter mir:

»Ich bin auch da!«

Dr. Nein!

»Aber Sie sollen doch gar nicht mitkommen!«

»Unsinn! Ich werd' mir gerade von dem alten Spitzbuben was befehlen lassen.«

»Sie sind doch aber so gegen das Räuberwesen.«

»Bloß als Parlamentarier! Als Privatperson macht es mir Spaß. Sogar mächtigen Spaß! Verdammt,– jetzt hab' ich mir in die linke Hand einen Dorn eingetreten! Das Kriechen ist eine faule Sache!«

Wir krochen dicht an das Haus heran. Brumbu hatte indes ein zu ebener Erde gelegenes Fenster geöffnet und war bereits emgestiegen. Er winkte mir. Eine ganz eigentümliche Übelkeit überkam mich, aber ich nahm mich zusammen und stieg ein. Wir waren in einer hübsch eingerichteten Stube. Nacheinander stiegen die Räuber durchs Fenster.

»Sind alle herein?« flüsterte Brumbu. Da sah er Dr. Nein. »Zum Donnerwetter, was will denn der Kerl hier? Wollen Sie machen, daß Sie rauskommen?«

»Sie haben mich gar nichts rauszuschmeißen, Sie alter Halunke,« knirschte Dr. Nein. »Ich habe ebensoviel Recht hier einzubrechen wie Sie.«

Da verlor der Räuber seine Fassung.

»Soviel Recht wie ich?! Haben Sie eine Konzession?« schrie er. »Einen Gewerbeschein? Ein Wilder sind Sie, ein Schwärzer, ein Raubräuber!«

Das ließ sich der Doktor nicht gefallen, ein wütender Streit brach aus, es kam zu Tätlichkeiten, ein Tischchen mit Porzellan fiel um, ich wandte mich nach dem Fenster –

Da sprang die Tür auf, und fünf bewaffnete Männer drangen in die Stube.

»Waffen hoch!« kommandierte Brumbu. Die Räuber erhoben die Waffen.

»Was wollt Ihr?« rief der Älteste von den fünf Männern, bleich vor Schreck, als er die Menge der Eindringlinge sah.

»Dr. Barragu, treten Sie vor und sagen Sie dem Manne, was wir von ihm wollen!« befahl Brumbu.

Ich muß sagen, daß ich mich in einer großen Verlegenheit befand. Ich machte vor dem alten Herrn eine tiefe Verneigung und stammelte:

»Ach, bitte entschuldigen Sie nur gütigst, verehrter Herr, – daß wir – daß wir so frei gewesen sind, – – Sie können mir glauben, daß es mir außerordentlich fatal ist, zu solch ungewohnter Stunde und auf diesem Wege in Ihre traute Häuslichkeit –«

»Das ist Quatsch!« unterbrach mich Brumbu und trat selbst vor. »Also hören Sie, Freundchen, dieser Herr hat einige Bogen Papier in der Tasche, die Sie schleunigst in Ihrer Buchdruckerei etliche tausendmal abdrucken werden. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß wir große Eile haben und daß die ganze Geschichte sich schnell, exakt, ohne allen Lärm und völlig kostenlos für uns abwickeln muß; sonst würde die Sache für Sie gefährlich werden.«

***

In den nächsten Stunden saß ich mit meinen Gefährten in einer Buchdruckerei, die an das Wohnhaus, in das wir eingestiegen waren, angebaut war. Der alte Herr war der Besitzer, die anderen vier Männer waren seine Gehilfen. Eifrig arbeiteten alle an den Setzertischen und an den Maschinen. Sie hatten außer dem Manuskript, das ich am Nachmittag abgefaßt hatte, auch die Photographle von Schnugu, Nein, Stimpekrex und mir zu vervielfältigen.

Es war ein recht eigentümlicher Anblick, diese Leute nächtlicherweile so eifrig arbeiten zu sehen, während die Räuber an den Wänden lehnten und sie nicht aus den Augen ließen.

»Ich war schon einmal hier,« sagte Brumbu in der Zwischenzeit leise zu mir. »Der Mann hat für mich schon einmal zwangsweise ein Bändchen Gedichte drucken müssen. Ein junger Dichter hatte sich an mich gewandt. Er konnte für seine Dichtungen durchaus keinen Verleger finden, denn alle behaupteten, die Gedichte seien sehr schlecht. Da wandte er sich vertrauensvoll an mich. Mir gefielen die Gedichte, und als ich sie hatte zwangsweise drucken lassen und ein kleines Vorwort dazu gemacht hatte, haben sie 3l7 Auflagen gehabt!«

 

Morgens gegen vier Uhr waren die Broschüren fertig; auf der Titelseite war unser Bild. Der Druckereichef, der alles gelesen hatte, war in schwerster Aufregung über den Inhalt und kam mir mit der größten Höflichkeit entgegen. Ich entschuldigte mich nun noch einmal bei ihm, aber er sagte, er sei glücklich, helfen zu können an einer patriotischen Tat.

Behutsam und liebenswürdig entließ er Dr. Nein und mich durch die Haustür. Brumbu erklärte eine solche Art des Ausgangs für ehrenrührig oder doch für höchst ungewöhnlich und kletterte mit seinen Gefährten wieder durchs Fenster. Jeder von uns trug ein Paket der Broschüren.

Im Walde trafen wir mit Dr. Schnugu und Stempekrex wieder zusammen. Wir nahmen dort von Brumbru und seiner Schar kurzen, aber herzlichen Abschied. Die Räuber zogen aus nach allen Teilen des Landes. Überall sollten die Flugblätter verteilt werden. An einzelstehenden Bäumen, an Wegzeigern, Brückengeländern, Straßenecken, auf den Haustürschwellen, auf den Marktplätzen, an den Brunnen, überall sollten die Herididasufoturianier das Flugblatt finden.

Wahrheit! Die Wahrheit mußte das Volk wissen, dann mochte es sich entscheiden.

Und wir vier gingen dorthin, wohin uns das Herz zog – nach Marilkaporta.